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In: Postkoloniale Politikwissenschaft: Theoretische und empirische Zugänge, edited by Aram Ziai, Bielefeld: transcript Verlag 2016, 111130.
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FrauenUnrechte richten Zur Bedeutung postkolonial-feministischer Interventionen für eine kritische Analyse von Menschenrechtspolitiken C HRISTINE M. K LAPEER Of course one prefers rights talk because of the general inscription of the globe within the culture of European Enlightenment. GAYATRI CHAKRAVORTY SPIVAK The search for universal solutions to women’s concerns continues to ignore both the significance of the colonial encounter for the situation and understanding of women in the postcolonial world, and also how their struggles for rights are tethered to the legacy of that encounter in the contemporary moment. RATNA KAPUR
E INLEITUNG : D OING
MY / OUR
H OMEWORK
In einem Interview erzählte die bekannte postkoloniale, feministische Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak die Geschichte von einem USamerikanischen, männlichen, weißen gut situierten Studenten, der sich aufgrund seiner privilegierten Position weigert, die Situation in der ‚Dritten Welt‘ zu kritisieren (Spivak 1990: 62f.). Diese Weigerung ließ Spivak jedoch nicht gelten und forderte ihn im Gegenteil dazu auf, seine „Hausaufgaben zu machen“ und sich durch eine historische Beschäftigung mit Kritiken an seiner eigenen dominanten Position als weißer, männlicher Forscher, „the right to criticize“ zu erwerben
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(ebd., eigene Übers.). Diese Art der herrschaftskritischen Situierung von Prozessen und Bedingungen der Erkenntnisproduktion konzeptualisierte Spivak auch als eine wissenschaftspolitische Praxis der Verantwortung, der sich insbesondere weiße und/oder durch andere soziale Kategorien privilegierte Forscher*innen stellen müssten, um sich überhaupt das Recht zu erwerben, kritisch über die Welt, insbesondere den Globalen Süden zu sprechen. Gleichzeitig bleibt jedoch jede Form der Theorieproduktion und des wissenschaftlichen Sprechens ‚über Andere‘, so Spivak, immer ein risikoreiches und problematisches Unterfangen. Doch solange eine fortwährende Beschäftigung mit dieser Problematik stattfindet und die eigene Involviertheit, die permanente ‚Kontaminierung‘ durch und Kompliz*innenschaft1 mit Herrschaftssystemen ebenso Gegenstand der Auseinandersetzung sei, gäbe es „some hope“ (ebd.: 63; vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 217f.). Spivaks Aufforderung, ‚die eigenen Hausaufgaben zu machen‘, umschreibt nicht nur meine eigene Rezeption, Motivation und Zugang zu postkolonialen Theorien, ich verstehe diese Aufforderung auch als grundlegendes Kernstück einer feministisch-postkolonialen Beschäftigung mit politikwissenschaftlichen Methodologien und Denktraditionen. Postkoloniale und postkolonialfeministische Theorien lese ich daher weniger als mögliche ‚Ausrichtung‘ oder ‚produktive Chance‘ für politikwissenschaftliche Forschungen, sondern als politisierte, politisierende und somit notwendigerweise „de-kanonisierte“ (Mann 1995: 70) und „anti-disziplinäre Intervention“ (Castro Varela/Dhawan 2009: 9) in dieses Fach, geht es doch um eine grundlegende kolonialismus-, rassismus-, geschlechter- und somit auch herrschaftskritische Befragung von politikwissenschaftlichen Grundprämissen sowie den (neo-)kolonialen, imperialistischen und heteronormativ-androzentrischen Wissenschaftstraditionen dieser Disziplin selbst. Insofern ist für mich der Zusatz ‚postkolonial‘ auch keine mögliche ‚Option‘ oder ‚Erweiterung‘ politikwissenschaftlicher (Gender-)Forschung, sondern eine „notwendige Spezifizierung“ (Hornscheidt 2012: 217). Da jedoch weder geschlechterkritische, kolonialhistorische noch rassismuskritische Perspektiven bisher zum selbstverständlichen Repertoire politikwissen-
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Aufgrund meiner wissenschaftstheoretischen und politischen Verortung im Bereich der Queer Studies verwende das sogenannte Sternchen (*) als ein sprachliches Hilfsmittel, um einerseits die Konstruiertheit von Geschlecht(ern) entsprechend zu kennzeichnen als auch einen Raum für komplexe und vielgestaltige Identifizierungen jenseits einer heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit zu eröffnen.
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schaftlicher Zugänge2 gezählt werden, stehen postkolonial-feministische Ansätze in mehrerer Hinsicht quer zum Mainstream der Politikwissenschaft, nehmen sie doch die komplexen Interdependenzen von Rassismen, Misogynie, Heteronormativität, ungleichen Klassenverhältnissen sowie das Fortwirken kolonialer Episteme vor dem Hintergrund globaler und transnationaler Ungleichheitsstrukturen in den Blick. Diese historisierende, interdependente und notwendigerweise auch transnationale Perspektive entfaltet besonders mit Bezug auf aktuelle und historische Entwicklungen hinsichtlich von Frauen- und Menschenrechtspolitiken eine außerordentliche Relevanz, erscheinen diese doch auf der Basis postkolonial-feministischer Auseinandersetzung deutlich ambivalenter und vieldeutiger als dies Darstelllungen in politikwissenschaftlichen und geschlechterkritischen Werken häufig suggerieren. Der folgende Beitrag skizziert demnach in einem ersten Teil einige grundlegende theoretische Implikationen und analytische Konsequenzen einer postkolonial-feministischen (Forschungs-)Perspektive (nicht nur) für politikwissenschaftliche Zugänge und Fragestellungen besonders in Hinblick auf den Einsatz der (Struktur-)Kategorie ‚Geschlecht‘. In einem zweiten Teil wird dann anhand ausgewählter postkolonialer und postkolonial-feministischer Auseinandersetzungen mit Frauen-/Menschenrechtkonzeptionen und -politiken die Bedeutung dieser Forschungsperspektiven für aktuelle (politikwissenschaftliche) Debatten diskutiert. Geleitet wird dieser Beitrag maßgeblich von der Aufforderung der postkolonial-feministischen Menschenrechtstheoretikerin Ratna Kapur „einen Spaziergang auf der Schattenseite“ des Menschenrechtsprojektes zu unternehmen und sich seinen problematischen Subtexten aus einer transnationalen und kolonialismuskritischen Perspektive zu nähern, um überhaupt transformative Menschenrechtspolitiken und -konzepte formulieren zu können (Kapur 2006a: 685, eigene Übers.).
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Eine nicht-repräsentative Untersuchung der Handapparate an der Politikwissenschaft der Universität Wien hat gezeigt, dass postkoloniale Theorien ebenso wie postkolonial-feministische Theorien nicht nur so gut wie nicht vorkommen, sondern auch anscheinend als nicht relevant für das Fach Politikwissenschaft gelten. Ich danke Christoph Osztovics für diese Recherche!
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G ESCHLECHT DEKOLONIALISIEREN : E INIGE K ERNELEMENTE EINER POSTKOLONIAL - FEMINISTISCHEN K RITIK Aufgrund der großen Bandbreite und Heterogenität an Positionen und Zugängen ist es stets ein problematisches Unterfangen, postkolonial-feministische Ansätze zu umreißen. Insofern sind die folgenden Ausführungen maßgeblich durch meine eigene Forschungs-, Lese- und Lehrpraxis sowie meine (selbst-)kritischen Auseinandersetzungen mit postkolonial-feministischen Theorien inspiriert. Als zentrale Kernelemente einer postkolonial-feministischen Kritik würde ich demnach die De-Chiffrierung und Aufdeckung des komplexen Zusammen- und Nachwirkens der „entangled histories“ (Randeria 1999) zwischen (neo-) kolonialen Machtverhältnissen, Rassismen, (Hetero-)Sexismen und der internationalen kapitalistischen Arbeitsteilung sowie der Bedeutung dieser Verflechtungen für die historische und fortwährende Konstituierung von Geschlecht/erverhältnissen und umgekehrt identifizieren (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005; Castro/Varela 2009; Castro Varela/Dhawan 2015; Lewis/Mills 2003; Rajan/Park 2005; Suleri 1992; Hornscheidt 2012). Daraus folgt auch eine herrschaftskritische Verkomplizierung sowie dekolonialisierende De-Zentrierung der politischen, feministischen und analytischen Kategorie ‚Frau‘/‚Geschlecht‘ sowie von darauf aufbauenden Analysen und (Repräsentations-)Politiken, welche weit über eine intersektionale Methodologie und Herangehensweise hinausgeht (vgl. Castro Varela/Dhawan 2010). Postkoloniale-feministische Theorien und Ansätze fordern daher auf mehreren Ebenen politikwissenschaftliche Annahmen heraus, wenn sie insbesondere in Hinblick auf Geschlechterverhältnisse deutlich machen, dass „eine Geschichte des Westens ohne die Geschichte der kolonisierten Länder“ nicht zu schreiben ist „und vice versa“ (Castro Varela/Dhawan 2015: 16). Trotz – oder vielleicht auch gerade aufgrund – poststrukturalistischer und postmoderner Destabilisierungen der Kategorie ‚Frau‘ sowie der Anerkennung von (intersektionalen) ‚Differenzen‘ und der multidimensionalen Positionierung von Frauen/Männern wird Geschlecht in weiten Teilen der politikwissenschaftlichen Forschung als nicht-rassifizierte (Analyse-)Kategorie geframed. Das heißt auch wenn die Kategorie ‚Geschlecht‘ und Fragen der ‚Differenz‘ mittlerweile partiell Eingang in die politikwissenschaftliche Forschung gefunden hat, ist es immer noch möglich ‚Gender‘‚ Geschlechterverhältnisse‘ oder Manifestationen (vergeschlechtlichter) sozialer oder politischer/staatsbürgerlicher Ungleichheit – auch in geschlechterkritischen Lehrwerken – gleichsam isoliert oder unabhängig von (neo-)kolonialen Genealogien und Praktiken der Rassifizierung oder Ethni-
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fizierung zu analysieren. Die komplexen Interdependenzen von ‚Rasse‘/Rassismus und ‚Geschlecht‘/Sexismus sowie die kolonialen und kapitalistischen Genealogien dieser Verschränkungen werden daher oftmals nur dann zum Gegenstand kritischer Auseinandersetzung, wenn es um eine explizite Beschäftigung mit ‚intersektional Betroffenen‘ oder diskriminierten Subjekten und Minderheiten‘3 (wie z.B. ‚Migrantinnen‘) oder den Globalen Süden selbst geht. „Wenn Rassismus thematisiert wird“, so etwa die Kritik von Gutiérrez Rodríguez, „dann weil von Schwarzen Frauen oder Migrantinnen die Rede ist“ (Gutiérrez Rodríguez 1999: o.S.). Fragen von kolonialen Interdependenzen, dem Verhältnis von Imperialismus, Rassismus und der Genese moderner (National)Staatlichkeit werden derart also auch zum Partikulären oder zum Thema von/für jeweils Betroffene erklärt (vgl. Löw 2009). Postkolonial-feministische Theoretiker*innen haben aber gerade gezeigt, dass Geschlecht bereits an sich als rassifiziertes, sexualisiertes und klassifiziertes Konstrukt betrachtet werden muss, das sich im Kontext kolonialer, imperialer, rassistischer und somit auch transnationale Praktiken des othering und der ökonomischen Ausbeutung (u.a. Sklaverei und der Plantagenökonomie) konstituiert(e) und somit auch die Herstellung von weißen Geschlechtsidentitäten und Weiblichkeits- wie Sexualitätsnormen maßgeblich von diesen rassifizierenden Praktiken abhängen (vgl. Loomba 1998; McClintock 1995; Stoler 2002; Frankenberg 1993; Suleri 1992). Oder in den Worten Anne McClintocks (1995): „Gender here, then, is not simply a question of sexuality but also a question of subdued labor and imperial plunder; race is not simply a question of skin color but also a question of labor power, cross-hatched by gender.“ (McClintock 1995: 5)
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Aufgrund der politischen und erkenntnistheoretischen Nähe werden daher auch intersektionale, diasporische, migrantische und Schwarze feministische Theorien oftmals als ‚postkolonial-feministisch‘ rezipiert – eine Lesart, die für den deutschsprachigen Kontext eine zentrale Relevanz entfaltet, da hier bereits in den 1980er Jahren von Schwarzen/afro-deutschen Feministinnen eine Auseinandersetzung mit der Kolonialvergangenheit Deutschlands vorgelegt und eine Kritik an rassistischen Wissenschaftsstrukturen artikuliert wurde (Oguntoye et al. 1992 [1986]). Umgekehrt problematisieren andere postkoloniale Theoretiker*innen jedoch auch eine zunehmende Metropolitanisierung von postkolonialen Theorien, da derart die globale Arbeitsteilung sowie die materiellen Bedingungen (von Frauen) in der sogenannten ‚Dritten Welt‘ immer häufiger zugunsten von metropolitanen Räumen und Subjekten im Globalen Norden vernachlässigt werde (Castro Varela/Dhawan 2010).
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Anne McClintock zeigt in ihrem Werk Imperial Leather auf, dass Geschlechterrepräsentationen gerade im Prozess der Kolonisierung eine zentrale Rolle spielten, da eine imaginäre Feminisierung der neu ‚entdeckten‘ „virgin lands“ nicht nur deren Inbesitznahme und ökonomische/sexuelle Ausbeutung legitimierte, sondern die dort anzutreffenden ‚devianten‘, ‚promiskuitiven‘ Weiblichkeiten und ‚barbarischen‘ Geschlechterverhältnisse auch koloniale Gewalt und Zivilisierung als ‚notwendig‘ erscheinen ließen (ebd.: 21ff.). Umgekehrt macht Ann Laura Stoler in ihrer feministischen Untersuchung niederländischer Kolonialpolitiken deutlich, dass Vorstellungen von einer ‚bürgerlichen‘ Weiblichkeit und ‚richtiger‘ (Hetero-)Sexualität ebenfalls nicht jenseits einer Berücksichtigung kolonial-rassistischer Praktiken gedacht und analysiert werden können, da Ideen von ‚Rassezugehörigkeit‘ in Wechselwirkung mit bestimmen (binärhierarchischen) Geschlechterbildern und Weiblichkeitsnormen standen (Stoler 2010; vgl. für Deutschland Dietrich 2007). „Rassialisierte, klasseninformierte Genderordnungen“ erwiesen sich demnach als „Kernstücke kolonialer Diskurse“ (Castro Varela/Dhawan 2009a: 13). Umgekehrt bedeutet diese Perspektive aber freilich auch, dass Geschlecht damit keineswegs mehr als die zentrale feministische Analysekategorie gelten kann, sondern umgekehrt dieser Fokus auch selbst bereits eine problematische Universalisierung beinhaltet (vgl. Mohanty 1982). Aus einer postkolonialfeministischen Perspektive reicht es demnach nicht aus, Differenzen und Ungleichheiten zwischen Frauen* bzw. intersektionale oder multidimensionale Positionierungen von Subjekten miteinzubeziehen, sondern es geht um eine grundlegende Problematisierung und De-Zentrierung der Kategorie Geschlecht selbst. Sie „muss daraufhin befragt werden, ob und wie mit dieser Bezugnahme Universalisierungen aufgemacht werden, die bestimmte, in der Regel weiße Vorstellungen zu einer allgemeinen, pauschalen, universalisierenden Norm erklären“ (Hornscheidt 2012: 218; vgl. Mohanty 1982; Spivak 1988). Neben dieser Verkomplizierung der Kategorie ‚Frau‘ durch eine (de)koloniale, imperialismus- und rassismuskritische Re-Perspektivierung von globalen und historischen Interdependenzen, verfolgen postkolonial-feministische Arbeiten aber auch eine radikale De-Zentrierung des androzentrischen Blicks herkömmlicher postkolonialer Theorien (vgl. Castro Varela/Dhawan 2009b). Folglich geht es um eine „feministische Konzeptualisierung des kolonialen und postkolonialen Momentes“ (Gutiérrez Rodríguez 2008: 269) sowie eine kritische Analyse von „verflochtene[n] Patriarchate[n]“ und den komplexen Wechselwirkungen und Brüchen von unterschiedlichen Gender-Regimen in diesen jeweiligen historischen und geopolitischen Momenten (Castro Varela/Dhawan 2009a: 11). Feministisch-postkoloniale Theorien beschäftigen sich folglich auch mit der
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zentralen Bedeutung von Geschlecht bzw. (‚konservativen‘) Weiblichkeitskonstruktionen in anti-kolonialen Befreiungskämpfen und Nationenbildungsprozessen sowie für aktuelle anti-imperialistische/anti-westliche oder auch islamistische Artikulationen im Globalen Süden/Osten (vgl. Spivak 2009 [1993]; Chanda 2005). Insofern erscheint eine postkoloniale feministische Intervention gerade auch dann angebracht, wenn die, in einer politikwissenschaftlichen Logik als ‚fragil‘ bezeichneten, Staaten des Globalen Südens gerade auch als Inbegriff eines ‚patriarchalen‘, ‚frauenfeindlichen‘ oder ‚homophoben‘ Staates gelten, während die EU oder die USA (wiederum) zum Modell für ‚(Geschlechter)Gleichheit‘, ‚Modernität‘ und ‚Toleranz‘ erklärt werden. Erst durch eine sorgfältige Analyse der Bedeutung von Geschlechter- und Sexualitätskonstruktionen für postkoloniale Nationenbildungsprozesse werden daher auch die „triangulären“ Wechselwirkungen zwischen hegemonialen Formationen und Interventionen (z.B. im Namen der Menschenrechte) und misogynen, homophoben Politiken sowie damit verbundene ‚anti-westlichen‘ Rhetoriken (z.B. die Zurückweisung von sexueller Selbstbestimmung als ‚westlich‘) in ihrer Komplexität deutlich (Rahman 2014). Ein zentrales Thema aktueller postkolonialer-feministischer Diskussion ist demnach auch die Frage, wie die (rechtliche) ‚Situation von Frauen‘ einerseits in einer liberaldemokratischen Modernisierungslogik zu einem neuen Marker für ‚Fortschritt‘, ‚Modernität‘ oder ‚Entwicklung‘ stilisiert wird, während gleichzeitig neoliberale Austeritäts- und Privatisierungspolitiken zu einer permanenten Verschlechterung der Lebensbedingungen (nicht nur) von Frauen* im Globalen Süden führen, während auf der anderen Seite aber auch Artikulationen und Widerstände gegen neue (neokoloniale) Hegemonien mit der Etablierung von misogynen oder homophoben Gender-Regimen einhergehen (vgl. Kapur 2006b).
F RAUEN * ALS DAS P ARADIGMA DER A NDEREN : Z IVILISATORISCHE R ETTUNGSNARRATIVE ALS EPISTEMISCHE G EWALT Nicht zuletzt haben die militärischen Interventionen in Afghanistan und Syrien sowie die in diesem Kontext zirkulierenden ‚War on Terror‘-Diskurse gezeigt, dass Geschlecht nach wie vor als ein zentrales Kampffeld internationaler Politik gelten kann und sich auf seiner Basis immer wieder neue Zivilisierungsmissionen artikulieren können (vgl. Chowdhry/Nair 2002a; Ayotte/Husain 2005; Brunner 2015). Auf der Basis einer postkolonial-feministischen Perspektive rücken somit auch kulturell-diskursive Repräsentationen von ‚Dritte Welt-Frauen‘ auf
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eine neue Art in das Zentrum der Analyse. Im Rahmen einer solchen Herangehensweise werden daher nicht nur ‚unmittelbare‘ politische Prozesse und ‚klassische‘ Politikbereiche untersucht, sondern es wird ebenso gefragt, wie und wodurch weibliche* Körper bzw. die rechtliche Stellung von Frauen* als privilegierte ‚Zeichen‘ von ‚Zivilisation‘, ‚Entwicklung‘, oder ‚Modernität‘ fungieren und so gleichsam zu Kampffeldern okzidentialistischer Selbstvergewisserungspraxen werden können (Brunner 2015: 154f.). In Abgrenzung und Weiterentwicklung etablierter politikwissenschaftlicher Gewaltbegriffe, rücken derart auch Formen der „epistemische Gewalt“ sowie koloniale Genealogien und Dis/kontinuitäten in das Blickfeld (Spivak 1988: 281; vgl. Brunner in diesem Band). Christine Löw spricht in Anlehnung an Gayatri Spivak demnach auch von der anhaltenden Konstruktion von (Dritte-Welt-)Frauen als dem „Paradigma der Anderen“ entlang dessen sich Menschenrechtspolitiken wiederum auf der Basis einer geopolitisch-temporalen Spaltung der Welt entfalten können (Löw 2009 31). Aktuell lässt sich etwa beobachten, wie sich in und durch transnationale Menschen- und Frauenrechtspolitiken eine Hierarchisierung von Gesellschaften und geopolitischen Räumen reproduziert, wenn der Globale Norden als ‚entwickelte‘ und ‚fortschrittliche Zivilisation‘ gilt, als selbstverständlicher Verteidiger und ‚Spender‘ von Rechten (dispenser of rights) der ‚weniger entwickelten‘ Gesellschaften Menschen- und Frauenrechte ‚(bei-)bringen‘ oder ein Menschenrechtsbewusstsein ‚lehren‘ müsse. Spivak kritisiert an aktuellen Menschenrechtspolitiken daher nicht primär – wie fälschlicherweise oft angenommen wird – die eurozentristische Genealogie von Menschenrechten, sondern die damit einhergehende Aktualisierung einer (kolonialen) Zivilisierungsmission, durch welche der als ‚fortschrittlich‘ konstruierte Globale Norden wiederum als privilegierter Richter, Überwacher und überlegenen Beseitiger von Unrecht erscheinen kann (Spivak 2004). Menschenrechtspolitiken würden demnach auf Basis kolonialer Genealogien und bestehender globaler Ungleichheiten eine asymmetrische Spaltung „between those who right wrongs and those who are wronged“ (re-) produzieren (Spivak 2004: 563; vgl. Castro Varela/Dhawan 206ff.). Im Rahmen dieser (Klassen-)Spaltung wird folglich jenen Gesellschaften, Nationen, Organisationen, Aktivist*innen, die fähig sind, in (Menschen-)Rechten ‚zu denken‘ und ‚zu handeln‘ eine ‚überlegene‘ und ‚richtende‘ Stellung im Weltsystem zuerkannt. Damit kann sich das kolonial-rassistische Rettungsnarrativ eines white man’s burden transformieren und re-legitimieren, da die Durchsetzung von Menschen- und Frauenrechten nun als ein burden of the fittest erscheinen kann (Spivak 2004: 54):
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„‚Human Rights‘ is not only about having or claiming a right or a set of rights; it is also about righting wrongs, about being the dispenser of these rights. The idea of human rights, in other words, may carry within itself the agenda of a kind of social Darwinism – the fittest must shoulder the burden of righting the wrongs of the unfit […].“ (Spivak 2004: 523f.)
In Rekurs auf postkolonial-feministische Kritiken rücken in diesem Kontext insbesondere die vergeschlechtlichten und rassifizierten/ethnifizierten Implikationen internationaler Menschenrechtsdiskurse und -politiken in das Zentrum der Analyse – eine Perspektive, die bisher nur bedingt Eingang in politikwissenschaftliche Diskussionen gefunden hat. Im Rahmen aktueller (menschrechtsbasierter) Zivilisierungsnarrative fungieren demnach wiederum ‚(Dritte-Welt-) Frauen‘ als privilegierte Zeichen eines ‚Menschenrechtsbarbarismus‘ (‚der Anderen‘) und werden so zu „Opfern von Menschenunrechten“ par exellence stilisiert (Ehrmann 2009: 90; vgl. Mutua 2001). Während in der Vergangenheit als ‚unweiblich‘ eingestufte Verhaltensweisen (wie z.B. ‚sexuelle Promiskuität‘ oder politische Aktivitäten von Frauen*) als Zeichen ‚unzivilisierter‘ Gesellschaften galten, sind es aktuell nun gerade ‚Frauenrechte‘ (bzw. zunehmend auch LGBTIQ-Rechte), welche eine ‚fortschrittliche Kultur‘ ausmachen (vgl. Towns 2009; McClintock 1995). Chandra Talpade Mohanty kritisierte bereits in den 1980er Jahren, dass ‚Dritte-Welt-Frauen‘ (auch innerhalb feministischer Kontexte) daher gerade als konstituierende ‚Gegenstücke‘ zur ‚befreiten‘ und über Rechte verfügenden Frau* im Globalen Norden konstruiert wurde. Die „average third world woman“ wird folglich, so Mohanty, vorrangig als „sexually constrained“, „ignorant, poor, uneducated, tradition-bound, domestic, family-oriented“ , also als passives und unterdrücktes ‚Opfer‘ ihrer Kultur porträtiert – ein Urteil, das auch durch zahlreiche aktuelle Arbeiten u.a. hinsichtlich der Repräsentation von Frauen in der Entwicklungspolitik oder in Diskursen um einen ‚War on Terror‘ nichts an Aktualität verloren hat (Mohanty 1982: 337; Abu-Lughod 2002). Als „abject victim object[s]“ (Kapur 2005: 98) bedürfen diese folglich auch der ‚Hilfe‘, ‚Rettung‘ und ‚Befreiung‘ und können so permanent zu „EmpfängerInnen einer advokatorisch betriebenen Menschenrechtspolitik […] objektiviert“ werden (Ehrmann 2009: 90f.; vgl. Kapur 2005: 9). Der „verletzte Körper der Dritte Welt Frau“ wird somit, wie es Malathi de Alwis ausdrückt, zu einem Schauplatz eines „Opfer Spektakels“, auf dem sich dann die geopolitische Spaltung der Welt erneut manifestieren kann (Alvis zit.n. Dhawan 2011: 16). In Rekurs auf Spivaks bekannten (und höchst umstrittenen) Aufsatz „Can the Subaltern speak?“ wird folglich deutlich, dass wir es aktuell immer wieder mit
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unterschiedlichen Spielarten und Variationen4 eines „White men are saving brown women from brown men“ zu tun haben (Spivak 1988: 280; Spivak 1999: 287ff.). Gleichzeitig betont Spivak jedoch auch, dass nun auch Aktivist*innen im und aus dem Globalen Süden Teil dieses spalterischen Menschenrechtssystems werden und paradoxerweise gerade als „native informants“, als „authentic inhabitants of the margin[s]“ dieses wiederum bestätigen können (Spivak 2009 [1993]: 65; vgl. Spivak 2004). Trotz der ermächtigenden Implikationen von (Menschen-)Rechten problematisiert Spivak daher die Fortschreibung einer globalen (ökonomisch-materiellen) Klassenspaltung durch Menschenrechtspolitiken. Denn während postkoloniale Eliten unter der Bedingung einer „epistemischen Kontinuität“ an diesem Menschenrechtssystem teilnehmen könnten, blieben Subalterne weiterhin ohne Stimme bzw. würden durch die Dominanz einen Rechtsdiskurses auf eine neue Weise subalternisiert (Spivak 2004; Spivak 2009 [1993]).
T RADITION VERSUS M ENSCHENRECHTSKULTUREN : D IE K ULTURALISIERUNG VON G EWALT GEGEN F RAUEN * Die im vorhergehenden Abschnitt diskutierten Viktimisierungs- und Rettungsnarrative implizieren jedoch noch einen weiteren, höchst problematischen Aspekt: Frauen- und Menschenrechtsverletzungen bzw. konkret Gewalt gegen Frauen* werden, wie unter anderem Ratna Kapur anhand internationaler Diskussionen und Aktionen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* (im Globalen Süden) gezeigt hat, in einer spezifischen Weise ‚kulturalisiert‘, oder wie es Claudia Brunner nennt „religionisiert“ und damit letztlich wiederum ‚entpolitisiert‘ (Kapur 2005; Brunner 2015). Sogenannte ‚traditionelle Praktiken‘ oder ‚traditionsbedingte Gewalt‘ werden dann, wie auch der postkoloniale Menschenrechtstheoretiker Makau Mutua betont, zu Kennzeichen von „‚savage‘ cultures and peoples […] lying outside the human rights orbit“ und folglich auch zu ethnisierenden Markern einer fundamentalen Differenz zwischen „human rights cultures“ und „non-liberal, non-European cultures“ erklärt (Mutua 2001: 205). Misogynie und Gewalt gegen Frauen* (oder auch LGBTIQs) bzw. eine generelle die Neigung zur Gewalt/tätigkeit und/oder ‚Menschenrechtsbarbarei‘ werden damit unweigerlich zu einem zentralen Kennzeichen einer ‚rückständigen‘ Kul-
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Zum Beispiel „white women saving (brown) women from brown/muslim men“ oder „white queers are saving (brown) queers from brown/muslim men“ (vgl. Brunner 2015, Puar 2007).
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tur erklärt und – wie auch aktuelle politikwissenschaftliche Debatten um ‚fragile‘ Staatlichkeit oder ‚Bürgerkrieg‘ zeigen – vorwiegend im Globalen Süden verortet, während jegliche Form der Gewalt und Diskriminierung im Globalen Norden selbst jedenfalls nicht als Ausdruck oder inhärenter Bestandteil der jeweiligen ‚Kultur‘ (oder christlichen Religion) gelesen wird. Politikwissenschaftlich interessant und relevant ist hier auch, dass nur bestimmten Gesellschaften oder Subjekten die Fähigkeit zugesprochen wird, ‚autonom‘, aus eigenem ‚Antrieb‘ heraus und ohne internationalen Druck (z.B. in Form von Aid Cuts), ‚tolerant‘ bzw. ‚menschenrechtlich‘ handeln zu können (vgl. Brown 2006). Insofern geht es im Zusammenhang mit internationalen Diskussionen um die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* auch um die zentrale politikwissenschaftliche Frage, was jeweils als politische Handlungsfähigkeit (agency), als ‚Kultur‘ oder auch als ‚Gewalt‘ konzeptionalisiert wird, welche vergeschlechtlichten und rassifizierten Subtexte dominanten Konzepten zugrunde liegen und inwieweit Vorstellungen und Analysen des ‚Politischen‘ daher auch epistemische (Gewalt-)Ordnungen reflektieren bzw. inkludieren.
I MPLIKATIONEN EINES M ODERNISIERUNGSPARADIGMAS : M ENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN ALS R ÜCKSTÄNDIGKEIT Postkolonial-feministische Kritiken machen deutlich, dass aktuelle Menschenrechtspolitiken nicht nur Gefahr laufen, kulturalisierende Konstruktionen eines (gewalttätigen, patriarchalen) ‚Anderen‘ zu (re-)produzieren, sondern auch als (neues) zentrales Bestätigungsmoment eines universalen, teleologisch ausgerichteten und fortschrittsorientierten „truth claims of modernity“ (Kapur 2014: 27) fungieren. Im Rahmen einer solchen modernisierungstheoretischen Fortschrittserzählung können ‚menschen- und frauenrechtsverletzende‘ Gesellschaften/Staaten demnach stets nur als ‚unterentwickelte‘ Versionen der Gegenwart des Globalen Nordens, als ‚rückständige‘ ‚fragile‘ Staaten, als ‚unfertige Demokratien‘ interpretiert werden. Eine Verletzung von Frauen- und Menschenrechten ist daher gleichsam ein Ausdruck und eine Manifestation einer im Globalen Norden schon ‚überwundenen Vergangenheit‘ in der Gegenwart der Moderne. Nicht selten werden Menschen- und Frauenrechtsverletzungen daher auch mit Begriffen wie ‚rückständig‘, ‚steinzeitlich‘ oder ‚barbarisch‘ betitelt. Diese Art der Temporalisierung von globaler Ungleichheit führt Anne McClintock explizit auf eine koloniale Konstruktion eines „panoptischen“ Zeitverständnisses zurück (McClintock 1995): Die Fortschrittlichkeit des Empires
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konstituiert sich auf der Basis eines vermeintlich, retrospektiv-panoptischen Blicks auf die Kolonien als „anachronistische“ Räume, deren ‚Entwicklungsund Zivilisationsstand‘ auf einer linear konstruierten Zeitlinie gleichsam objektiv beobachtet, verortet und bewertet werden kann: „[T]ime became a geography of social power, a map from which to read a global allegory of […] social differences. [P]rogress […] is figured as a journey backward in time to an anachronistic moment of prehistory. Geographical difference across space is figured as a historical difference across time.“ (McClintock 1995: 37ff.).
Auch im Rahmen dominanter Menschenrechtsnarrative werden Länder des Globalen Südens als eine Art „anachronistic space“ (McClintock 1995: 40f.) imaginiert, als ein Raum, deren Bewohner*innen sich hinsichtlich menschen- und frauenrechtlicher Normen und Praktiken auf einer Zeit- bzw. Entwicklungsstufe befinden, die im Globalen Norden/Westen historisch bereits ‚überwunden‘ wurde. Sie werden folglich, wie es Dipesh Chakrabarty ausdrückt, „in the imaginary waiting room of history“ verbannt (Chakrabarty 2007: 8). In dieser Fortschrittserzählung wird ein Denken in (Menschen-)Rechten selbst zum Zeichen von ‚menschlicher Entwicklung‘ erhoben – „it reflects the metamorphosis of civilisation from the primitive into a modern and evolved form and this progress has emanated from the heart of Europe“ (Kapur 2006a: 668; vgl. Ehrmann 2009). Im Rahmen eines solchen modernisierungs- und fortschrittstheoretischen Paradigmas können jegliche Forderungen und Manifestationen einer politischen Veränderung – etwa in Bezug auf eine Transformation von Geschlechterverhältnissen – dann ausschließlich als ‚Entwicklung‘ von einem ‚rückständigen‘ hin zu einem ‚zivilisiert(er)en‘ Menschenrechtszeitalter, also der ‚Moderne‘, artikuliert und gelesen werden (vgl. Kapur 2014). Auch in politikwissenschaftlichen Debatten wird nicht selten davon ausgegangen, dass je besser die Menschen- oder Frauenrechtspolitik eines Staates ‚bewertet‘ wird, desto eher handle es sich dabei um einen ‚demokratischen‘ bzw. ‚liberalen‘ statt eines ‚fragilen‘ Staates und umgekehrt (vgl. Castro Varela/Dhawan 2015: 207; Mutua 2001).
VON E INDEUTIGKEIT : M ENSCHENRECHTE ALS ERMÄCHTIGENDE V ERLETZUNGEN
J ENSEITS
Trotz der Kritik, die von Seiten postkolonialer Theoretiker*innen an Menschenrechtspolitiken und -konzeptionen geäußert wird, weisen diese den Kampf um
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Menschen-/Frauenrechte jedoch keineswegs vollständig zurück. Im Gegenteil, werden derartige Spaziergänge „on the dark side of human rights“ (Kapur 2006a) gerade als Voraussetzung und Bedingung einer kritischen ReFormulierung und subversiven Aneignung von Menschenrechtspolitiken konzeptionalisiert. Insofern betont auch Spivak, dass die ermächtigende und normative Kraft von Menschenrechten gerade aufgrund seiner globalen Dominanz genutzt werden müsse: „One cannot write off the righting of wrongs“, so Spivak, „[t]he enablement must be used even as the violation is renegotiated“ (Spivak 2004: 544). Sie spricht sich demnach für eine „affirmative Sabotage“ von Prinzipien der Aufklärung, u.a. auch der Menschenrechte, aus, damit sie auch gegen ihre ‚ursprüngliche‘ Intention verwendet und re-konstruiert werden können (Spivak 2007; vgl. Dhawan 2014a). Nicht zuletzt können gerade die Menschenrechtsforderungen von jenen Menschen und politischen Bewegungen (z.B. Frauen, LGBTIQs, PoCs), welche historisch gerade nicht als ‚eigentliche‘ Subjekte der Menschenrechte anerkannt wurden, als eine Art der affirmativen Sabotage von Menschenrechtspolitiken verstanden. Denn letztlich transformieren sich dadurch die politischen Implikationen und strukturellen Rahmenbedingungen von Menschenrechten selbst. Menschenrechtspolitiken sind daher, so Spivak, immer eine „enabling violation“ (Spivak 2004: 544) – sie sind zwar entlang globaler Herrschaftsverhältnisse gewaltvoll und zwangsläufig verletzend, aber können dennoch befähigende Effekte freisetzen, wenn ehemals kolonialisierte und/oder exkludierte Subjekte ihre ‚Universalität‘ tatsächlich beanspruchen. Nicht zuletzt ruft Nikita Dhawan daher zu einer permanenten Auseinandersetzung mit der niemals eindeutig, sondern immer nur situativ und kontextuell zu beantwortenden Frage, „inwiefern die Befähigung mit einem Minimum an Verletzung gestärkt werden kann“ auf (Dhawan 2009: 56). Politikwissenschaftlich bedeutet dies aber auch, dass diese Uneindeutigkeit und Ambivalenz von Menschenrechtspolitiken als Rahmung und Ausgangspunkt jeder Analyse in den Blick zu nehmen ist. Darüber hinaus rücken so auch Fragen nach (Begrenzungen von) konkreten Orten, Räumen und Akteur*innen von Menschenrechtspolitiken, nach Möglichkeiten der Partizipation und ‚Sprechbarkeit‘ von Menschenrechten aufgrund und trotz epistemischer Gewaltverhältnisse auf eine neue Art in das Zentrum der Aufmerksamkeit. In einer solchen Lesart gibt es dann auch keine ‚reinen‘ oder ‚unschuldigen‘ Menschenrechte mehr, die von ihrer ‚Instrumentalisierung‘ befreit werden müssen, sondern Menschenrechte erscheinen stets als ambivalentes, vieldeutiges und stets politisches Konstrukt.
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D E - ZENTRIEREN ,
PROVINZIALISIEREN , DEKOLONIALISIEREN , ODER : F ORSCHEN OHNE G ARANTIEN Gerade weil sich (eine vage und unspezifische Deutung von) ‚Menschenrechte(n)‘ mittlerweile als „dominanter Topos“ (Löw 2009: 256) in Bezug auf die globale Verhandlung von Gerechtigkeit und beinahe als einziges Imaginationsschema für (frauen)politische Kämpfe gegen Ungleichheit, Gewalt und Diskriminierung etablieren konnten, erscheint eine postkolonial-feministische Diskussion von (problematischen) ‚Subtexten‘ und Implikationen dieses normativen Rasters als besonders wichtiger Impuls für politikwissenschaftliche Auseinandersetzungen (vgl. Dhawan 2014; Kapur 2005; Kapur 2006a; Kapur 2014; Spivak 2004; Dipesh 2007). Denn im Rahmen internationaler Menschen- und Frauenrechtsdebatten lassen sich geopolitische Grenzziehungs- und otheringProzesse sowie die komplexen Nachwirkungen kolonialer und imperialer Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse ebenso wie Praktiken der dekolonialen Interventionen und vielschichtigen Kämpfe entlang von ‚Geschlecht‘, ‚Rasse‘, ‚Klasse‘, Sexualität‘ oder auch ‚Körper‘ oder ‚Kaste‘ untersuchen. Postkoloniale und feministische Ansätze vergegenwärtigen demnach auch, dass historische und aktuelle Kämpfe um Menschen-, Frauen- und Bürgerrechte eine andere Genealogie entfalten, werden sie aus einer zentrismuskritischen Perspektive bzw. auf der Basis der Geschichte(n) kolonialisierter Subjekte, der Subalternen, also aus der Sicht von „failed subjects“ (Kapur 2014) ‚erzählt‘. Insofern gilt es, dominante Menschenrechtserzählungen folglich auch konsequent zu provinzialisieren, geopolitisch zu situieren und somit auch epistemologisch zu de-zentrieren. Nach Spivak wäre demnach auch jedes intellektuelle und forscherische Suchen nach ‚unterdrückten‘ bzw. ‚subalternen‘ Stimmen, nach authentischen „native informants“ ein höchst problematisches Unterfangen, weil es innerhalb der etablierten epistemischen Grenzen einer identifizierbaren ‚kulturellen Differenz‘ verbleibe. Wird etwa die Genese und die Konstruktion eines modernen politischen Subjekts unter postkolonial-feministischen Vorzeichen gelesen, erscheinen die Bedingungen für einen Eintritt in das Feld politischer Intelligibilität bei weitem komplexer und vieldeutiger als dies beispielsweise aktuelle Syllabi und Lehrwerke für das Fach Politische Theorie und Ideengeschichte suggerieren. Denn derart können die rassialisierten, vergeschlechtlichten, klassistischen und heteronormativen Implikationen von Konstruktionen ‚legitimer‘ (Menschen)Rechtssubjekte nicht mehr als historisch zu erklärende und korrigierbare ‚Fehler‘ abgetan werden, sondern die Konstruktion des ‚Anderen‘, des Nicht-
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Bürgers, des Abjektes,5 des Nicht-Rationalen, des ‚Weibischen‘ bzw. insgesamt koloniale, kapitalistische und patriarchale Herrschaftsverhältnisse rücken als Konstitutionsbedingungen eines modernen politischen (Menschenrechts)Subjekts selbst in das Zentrum der Aufmerksamkeit (vgl. Anghie 2006; Makau 2001; Makau 2002; Suárez-Krabbe 2014; Douzinas 2012; Ehrmann 2009). Insofern ist auch zentral, wo und an welchen (geo-)politischen Angelpunkten eine politikwissenschaftliche Beschäftigung und Genealogisierung von Bürgerund Menschenrechten (aber auch Frauenrechten) ansetzt: Werden die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Französische Revolution als singuläre historische Initiationsmomente ‚erzählt‘ oder werden die komplexen „entanglements“ zwischen dem Kampf um männliche, weiße (Bürger-)Rechte auf der einen und der Versklavung und Ermordung von kolonialen Subjekten als ‚UnterMenschen‘, als Nicht-Bürgern, sowie der Ausschluss von Frauen als konstitutive Elemente der Geschichte von Menschenrechten thematisiert? Inkludiert eine philosophisch-historische Verortung von Menschenrechten die Diskussion zwischen Ginés de Sepúlveda und Bartolomé de Las Casas über das ‚Mensch-sein‘ der indigenen Bevölkerung in den Amerikas im 16. Jahrhundert,6 die Bedeutung der Haitianischen Revolution für eine Untersuchung der Gleichzeitigkeit von Rassismen, Sklaverei und der Genese der modernen Menschenrechtsidee7, oder eben auch die Geschichte des sogenannten „Women‘s War“ (Igbo: Ogu Ndem bzw. Ogu Umunwaanyi) von 1929, eines feministisch-antikolonialen Aufstands von tausenden Igbo und Ibibio Frauen gegen die britische Kolonialmacht in Nigeria und ‚lokale‘ männliche Autoritäten? Insofern bedeutet postkoloniale Politikwissenschaft eine Beschäftigung mit dem Fortwirken und der konstitutiven Bedeutung von Misogynie und kolonialer
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Ich verwende den Abjektbegriff hier in Anlehnung an Julia Kristeva und Judith Butler (Kristeva 1982; Butler 1995). Kristeva erklärte den Begriff des Abjekts anhand des ‚monströsen‘, mütterlich-weiblichen Körpers (Kristeva 1982: 4). Das Abjekt als das ‚Verworfene‘, das Ekel und Ablehnung hervorruft, ist bei Kristeva ebenso wie in der Verwendung durch Judith Butler nicht nur etwas „what disturbs identity, system, order“, es ist auch die ‚verworfene‘ Kehrseite des Subjekts selbst, gleichsam seine Konstitutionsbedingung, da es eine Unterscheidung zwischen dem ‚Selbst‘ und dem als ‚kontaminierend‘ empfundenen ‚Anderen‘ erst ermöglicht (Kristeva 1982: 4; vgl. Butler 1995: 23ff.).
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Zur Diskussion zwischen Ginés de Sepúlveda und Bartolomé de Las Casas und dessen Bedeutung für eine postkolonial-feministische Kritik von Menschenrechten siehe Julia Suárez-Krabbe (2014).
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Vgl. dazu u.a. die kritische Analyse von Sibylle Fischer (2004).
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Gewalt für die Disziplin und ihres (hegemonialen) Kanons, als auch ein Beschäftigung mit Konzeptionalisierungen des Politischen jenseits dieses dominanten Kanons. Gerade in Bezug auf das, diesem Sammelband zugrundeliegende, Plädoyer, (feministisch-)postkoloniale Ansätze stärker in die politikwissenschaftliche Forschung und Lehre zu inkludieren, stellt sich damit freilich die alte Frage nach den (Umsetzung-)Möglichkeiten von (herrschafts-)kritischer Theoriebildung und Wissenschaft innerhalb bestehender institutioneller Strukturen. Für eine ernsthafte ‚postkoloniale Politikwissenschaft‘ erscheint mir daher eine bloße ‚Integration‘ von postkolonialen/feministischen Epistemologien in bestehende universitäre Strukturen ohne eine umfassende Transformation und Dekolonialisierung der (strukturellen) Bedingungen (globaler) Wissensproduktion selbst daher weder ausreichend noch möglich. Wie bereits in der Einleitung betont wurde, kann für mich ein solches Projekt daher nur bedeuten, sich auch selbstkritisch und (wissenschafts-)politisch den Prinzipien einer Dekolonisierung und Provinzialisierung von Wissenschaft ernsthaft und nachhaltig zu verpflichten. Dies impliziert auch eine Abkehr von gewohnten disziplinären Selbstverständlichkeiten und Arbeitsweisen, eine selbstkritische und affirmative Offenheit gegenüber Methodologien, Methoden, Denkansätzen und Interventionen, welche die Disziplin und (etablierte) Positionen selbst in Frage stellen. Dieses Arbeiten nennt Spivak nicht zuletzt auch ein Arbeiten „ohne Garantien“ (Spivak 1990: 144; eigene Übers.).
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