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Alexander von Humboldt, die Sklavereien in den Amerikas und das „Tagebuch Havanna 1804“ [Alexander von Humboldt, las esclavitudes en las Américas y el diario ‚Habana 1804‘/ Alexander von Humboldt, the slaveries in the Americas and the diary ‚Havana 1804‘] published online: http://avhr.bbaw.de/reisetagebuecher/index.xql „[Der] Orinoco ist [der] eigentliche Schlüssel von Süd-Amerika“.1 „pero la insurrección de los negros del Guarico ha agrandado el horizonte de mis ideas“. 2
Michael Zeuske (Endversion) Einleitung Endlich ist es da, Humboldts lost diary von 1804. Es gab Zeiten, da habe ich selbst nicht daran geglaubt, dass es existierten könnte.3
Humboldt, Alexander von, „Kapitel 11. Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela. Auswahl aus den amerikanischen Reisetagebüchern, ed. u. eingel. v. Faak, Margot, Berlin: Akademie Verlag 2000 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, Bd. 12), S. 311389, hier S. 330. 2 Arango y Parreño, Francisco, “Comisión de Arango en Santo Domingo [1803]”, in: Arango y Parreño, Francisco, Obras de D. Francisco de Arango y Parreño, 2 Bde., La Habana: Publicaciones de la Dirección de Cultura del Ministerio de Educación, 1952, Bd. I, S. 114-162, hier S. 149 (im Folgenden: Arango, Obras). 3 Siehe meine Arbeiten zu „Humboldt und Sklaverei“ („Arbeiten von Michael Zeuske über Bolívar, Humboldt, Miranda und die Independencia“, in: Zeuske, Michael, Simón Bolívar, Befreier Südamerikas. Geschichte und Mythos. Rotbuch, Berlin 2011, S. 131-138); um 2000 gibt es einen fundamentalen Wandel, mit der Nachricht von Ulrike Leitner über den Fund des Humboldt-Textes „Isle de Cube. Antilles en général“ von 1804 in Kraków (und der Texte zu Mexiko); den Stand des Wissens über Humboldt und seine Schriften über Humboldts zwei Kuba-Aufenthalte bis ca. 2000 fasst Margot Faak zusammen in: Humboldt, „Kapitel 9: Von Veracruz bis Philadelphia“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena, durch die Anden und durch Mexico, aus den Reisetagebüchern ed. and introd. Faak, 2 Bde., Berlin 1986/1990, Bd. I: Texte (Beiträge zur Alexander-VonHumboldt-Forschung, Bd. 8), S. 393-402, hier 394; siehe auch: Faak, Alexander von Humboldt auf Kuba, Berlin: Akademie Verlag 1996 (Berliner Manuskripte zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, 11); Naranjo Orovio, Consuelo, „Humboldt en Cuba: reformismo y abolición“, in: Debate y perspectivas. Cuadernos de Historia y Ciencias Sociales, Madrid, No. 1 (Diciembre de 2000): Alejandro de Humboldt y el mundo hispánico. La Modernidad y la Independencia americana, coord. por Puig-Samper, S. 183-201; Rebok, Sandra, “Alejandro de Humboldt en Cuba: reflexiones historiográficas”, in: Opatrný, Josef (ed.), El Caribe Hispano. Sujeto y objeto en política internacional, Praha: Universidad Carolina de Praga; Editorial Karolinum, 2001, S. 117-144. Den Stand des Wissens über die Humboldt-Texte und Manukripte nach 2000 fasst zusammen: Leitner, Ulrike, ‚Anciennes folies neptuniennes!’ Über das wiedergefundene ‚Journal du Mexique à Veracruz’ aus den mexikanischen Reisetagebüchern A. v. Humboldts“, in: Humboldt im Netz (HiN). International Review for Humboldtian Studies, III, 5 (2002) (www.uni-potsdam.de/u/romanistik/humboldt); Leitner, „Die Tagebücher Alexander von Humboldts“, in: Humboldt, Von Mexiko-Stadt nach Veracruz. Tagebuch, Leitner, Ulrike (ed.), Berlin: Akademie Verlag, 2005 (Beiträge zur Alexander-Von-Humboldt-Forschung, Bd. 25), S. 7-10; zur Interpretation historischer Zusammenhänge unter Hinzuziehung der neuen Humboldt-Texte siehe: Zeuske, „¿Padre de la Independencia? Humboldt y la transformación a la modernidad en la América española, in: Debate y perspectivas. Cuadernos de Historia y Ciencias Sociales, Madrid, No. 1 (Diciembre de 2000): Alejandro de Humboldt y el mundo hispánico. La Modernidad y la Independencia americana, coord. Por Miguel Ángel PuigSamper, S. 67-100 (noch ohne Wissen um das Tagebuch von 1804 aus Kraków); Zeuske, “Comparando el Caribe: Alexander von Humboldt, Saint-Domingue y los comienzos de la comparación de la esclavitud en las Américas, in: Estudos Afro-Asiáticos, Ano 26:2, Rio de Janeiro (2004), S. 381-416 (mit der Beschreibung über die erste Reaktion, als ich von Ulrike Leitner die Information über das Tagebuch 1804 erhalten hatte); siehe auch: Zeuske, “Arango y Humboldt/Humboldt y Arango. Ensayos científicos sobre la esclavitud”, in: GonzálezRipoll, María Dolores & Álvarez Cuartero, Izaskun (eds.), Francisco de Arango y la invención de la Cuba azucarera, Salamanca: Ediciones de la Universidad de Salamanca, 2009 (Aquilafuente, 158), S. 245-260 (den 1
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Alexander von Humboldt hat weder für seine Zeit in Europa noch auf seiner Reise durch Spanien vor dem Beginn der Amerika-Reise (1799-1804) Aufzeichnungen oder Texte hinterlassen, die darauf schließen lassen, dass es sich mit Sklaverei oder Sklaven beschäftigt hätte (obwohl Humboldt in Spanien Kontakte hatte, die Sklaverei und Sklavenhandel in Spanisch-Amerika gut kannten bzw. aktiv an denAbolitionsdebatten teilnahmen). 4 Für diesen Essay zur Sklaverei in den Amerikas zu Humboldts Zeiten, die zugleich eine kritische Einschätzung von Humboldts Aussagen zur Sklaverei sowie eine Einleitung in die kommentierte Textausgabe des Tagebuches Isle de Cube von 1804 sein soll, bietet es sich an, die Chronologie der Reiseabschnitte (und -routen) Humboldts sowie große SklavereiRäume5, die diese Routen durchquerten, einerseits zu unterscheiden; andererseits deren Repräsentation im Werk allgemein sowie speziell im „Tagebuch Havanna 1804“ nachzuzeichnen. Der Schwerpunkt liegt auf den Sklavereien in der Generalkapitanie de Caracas (heute: Venezuela) und auf Kuba, speziell auf dem in Havanna/ Kuba geschriebenen „Tagebuch Havanna 1804“. Zunächst allgemein zur Sklaverei. Sklaverei oder besser Sklavereien in den Amerikas hatten zwei große sozial-ethnische Komponenten: ersten die Sklavereien und Sklaverei ähnlichen Formen von „Indios“ und zweitens die Sklaverei von aus Afrika in die Amerikas verschleppten Menschen. Die Übergangsformen der „zeitweiligen Sklaverei“ (indenture) von Menschen aus Europa in den Frühzeiten der Kolonisierung (im Kolonialjargon „Weiße“), die es auch gab, vernachlässige ich hier weitgehend.6 In Bezug auf Sklavereien indigener Völker Artikel habe ich nach einem Aufenthalt in Krákow geschrieben); Zeuske, “Humboldt, esclavitud, autonomismo y emancipación en las Américas, 1791-1825”, in: Cuesta Domingo, Mariano; Rebok, Sandra (coords.), Alexander von Humboldt. Estancia en España y viaje americano, Madrid: Real Sociedad Geográfica/CSIC, 2008, S. 257277. 4 Unter den Kontakten Humboldts in Spanien fanden sich viele Menschen mit Erfahrungen über Sklaverei und Sklavenhandel (Luis de las Casas, 1790-1796 Generalkapitän Kubas, hatte Kontakt mit Wilhelm von Humboldt; Gonzalo O'Farrill y Herrera aus der kubanischen O’Farrill-Familie (große Sklavenbesitzer), zu dieser Zeit Minister in Madrid, der einer der Verantwortlichen für die Erlaubnisschreiben war, die es Humboldt und Bonpland gestatteten, durch das Spanische Amerika zu reisen; Francisco de Saavedra war zwar zur Zeit Humboldts in Madrid krank, aber Ministerpräsident Mariano Luis de Urquijo, der andere Verantwortliche für die Erlaubnisschreiben, stand ihm nahe; Saavedra war Intendant in Venezuelas gewesen und gehörte zu den Befürwortern von mehr Sklavenhandel, er hatte auch auf Kuba gelebt, dazu kam noch der Kaufmann und Bankier Francisco de Cabarrús) aber insgesamt scheint es keine Aufzeichnungen von Humboldt darüber und auch nichts in der Historiografie zu geben, siehe: Puig-Samper Mulero, Miguel Ángel; Rebok, Sandra, „Contactos científicos y preparación de viaje americano“, in: Puig-Samper Mulero; Rebok, Sentir y medir. Alexander von Humboldt en España. Prólog Ette, Ottmar, Aranjuez (Madrid): DOCE CALLES, 2007 (Theatrum Naturae. Colección de Historia Natural), S. 89-114. 5 Die Chronologie basiert auf: Humboldt, Alexander von, Chronologische Übersicht über wichtige Daten seines Lebens. Bearbeitet von Kurt-R. Biermann, Ilse Jahn und Fritz G. Lange. 2., vermehrte u. berichtigte Auflage, bearbeitet von Kurt-R. Biermann unter Mitwirkung von Margot Faak und Peter Honigmann. Berlin: AkademieVerlag 1983 (Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung. Bd. 1) (online: http://avh.bbaw.de/chronologie (01. August 2016)). 6 Emmer, Pieter C. (ed.), Colonialism and Migration: Indentured Labour before and after Slavery, Dordrecht: M.
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und Stämme war das Spanische Imperium ein „Empire of Slaves“.7 Diese Sklavereien könnte man auch als first slaveries in den Amerikas bezeichnen. Jede Sklaverei braucht Sklavenhandel bzw. „Sklaven-Produktion“ und/ oder Sklavenfanggebiete. Das waren im Spanischen Amerika erstens frontier-Regionen vor allem zwischen Gebieten unter Kontrolle von kolonialspanischen Städten/ Verwaltungen sowie noch nicht erschlossenen Interiors der Kolonialgebiete, Kriegszonen indigenen Widerstands und Missionsregionen (mit sehr flexiblen Formen der captivity/ Sklaverei).8 In den kolonial erschlossenen Territorien wurden Sklaverei ähnliche kollektive Zwangsarbeitsformen entwickelt, die die direkte Kontrolle meist indigenen Eliten/ Kaziken ließ. Sklaverei von Indigenen, obwohl formal verboten, wurde im Spanischen Imperium, vor allem an Grenzen und Peripherien, durch Razziensklavereien (entradas) und Handel mit versklavten Kindern und Frauen aufrechterhalten. Die Provinzen des heutigen Venezuelas waren eindeutig Grenz- und Peripherieterritorien des spanischen Kolonialgebietes.9 Darüber oder, mit Ausnahme der großen und mittleren Kolonialstädte (wo es seit Beginn der Kolonialzeit Luxussklaven und urbane Sklaven aus Afrika gab), daneben bildeten sich in Gebieten, in denen die Indigenen durch die Conquista vernichtet oder ausgestorben waren oder aus denen sie sich im Widerstand zurückgezogen hatten, Formen von Sklavereien afrikanischer Menschen. Diese Sklaverei war der Teil der globalen Atlantic slavery und wurde durch transatlantischen Sklavenhandel sowie Schmuggel zwischen Inseln der Karibik oder aus den Gebieten der nichtspanischen Kolonien in den Guayanas und den spanischen Kolonialgebieten, in denen sich Plantagenzonen entwickelt hatten, aufrechterhalten.10 Städte, vor allem Küsten-, Hafenstädte sowie Städte an großen Flusssystemen, spielten dabei eine extrem wichtige Rolle.11 Zwischen 1791 und 1820 bildeten Nijhoff, 1986 (Comparative Studies in Overseas History); Palmer, Colin A. (ed.), The Worlds of Unfree Labour: From Indentured Servitude to Slavery, Brookfield, VT: Variorum, 1998; Drescher, Seymour, “White Atlantic? The Choice for African Slave Labor in the Plantation Americas”, in: Eltis, David; Lewis, Frank; Sokoloff, Kenneth (eds.), Slavery in the development of the Americas, Cambridge: Cambridge University Press, 2004, S. 31-69. 7 Reséndez, Andrés, “An Empire of Slaves”, in: Reséndez, The Other Slavery: The Uncovered Story of Indian Enslavement in America, Boston /New York: Houghton Mifflin Harcourt, 2016, S. 131-135; Karte “Major Slaving Grounds of the Spanish Empire in the Seventeenth Century”. S. 133. 8 Prado, Fabricio, “The Fringes of Empires: Recent Scholarship on Colonial Frontiers and Borderlands in Latin America”, in: History Compass Vol. 10:4 (2012), S. 318–333. 9 Zeuske, Von Bolívar zu Chávez. Die Geschichte Venezuelas, Zürich: Rotpunktverlag, 2008, passim. 10 Borucki, Alex; Eltis, David; Wheat, David, “Atlantic History and the Slave Trade to Spanish America”, in: The American Historical Review Vol. 120:2 (2015), S. 433-461. 11 Bernand, Carmen, Negros esclavos y libres en las ciudades hispanoamericanas, Madrid: Fundación Histórica Tavera, 2001; Farias, Juliana Barreto et al., Cidades Negras: Africanos, crioulos e espaços urbanos no Brasil escravista do século XIX, São Paulo: Alameda, 2006; Adelman, Jeremy, “Capitalism and Slavery on Imperial Hinterlands”, in: Adelman, Sovereignty and Revolution in the Iberian Atlantic, Princeton and Oxford: Princeton University Press, 2006, S. 56-100; Cañizares-Esguerra, Jorge; Childs, Matt D.; Sidbury, James (eds.), The Black Urban Atlantic in the Age of the Slave Trade, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2013; Zeuske, „Atlantic Slavery und Wirtschaftskultur in welt- und globalhistorischer Perspektive“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 66:5/6 (2015), S. 280-391.
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in den Amerikas, auch im Spanischen Amerika, moderne und intensive Formen der Massensklaverei heraus, vor allem mit Versklavten aus Afrika. Diese „moderne“ zeitgenössische Sklaverei wird seit einiger Zeit als Second Slavery konzeptualisiert.12 Humboldt und Bonpland haben, vor allen in Venezuela und, wie wir sehen werden, auf Kuba, empirisch diese „zweite Sklaverei“ beschrieben und analysiert. A) Cumaná und Hinterland
In Bezug auf die Sklavereien war die erste Stadt der Reise durch Spanisch-Amerika, die Humboldt und Bonpland sehr intensiv kennenlernten, Cumaná, ein Volltreffer. Auf den ersten Blick ein marginales Provinznest, hatte sich Cumaná im Laufe des 18. Jahrhunderts als Stadt unterschiedlicher Sklavereien konsolidiert (*Ill. „Cumaná“ Ferdinand Bellermann). Cumaná war um 1800 ein puerto negrero, ein Sklavenhafen für negros de mala entrada, d.h, für Sklaven aus dem karibischen Menschenschmuggel. Nur deshalb gab es in Cumaná einige wenige extrem reiche und einflussreiche Familien, die sich für Wissen und Fremde interessierten und Humboldt und Bonpland Unterkunft gewährten. Cumaná war Zentrum eines entstehenden Plantagenhinterlandes (im direkten Umfeld der Stadt und auf der PariaHalbinsel, bei Cumanacoa, bei Carúpano („dort viele neue Cacaopflanzungen“13), bei Cariaco - für Humboldt das „grüne Thal von Cariaco“14). In diesem entstehenden Plantagengebiet wurden vor allem aus Afrika in die Karibik verschleppte und nach Cumaná geschmuggelte schwarze Sklaven eingesetzt.15 Humboldt hat die Anlage einer Kakao-Plantage beschrieben: „Verständige Hausväter leben dort 10-12 Jahre kümmerlich, bis die Stämme [der Tomich, Dale W., „‘The ‚Second Slavery‘: Bonded Labor and the Transformations of the Nineteenth-century World Economy“, in: Ramírez, Francisco O. (ed.), Rethinking the Nineteenth Century: Contradictions and Movement, New York: Greenwood Press, 1988, S. 103-117; Tomich, “The Wealth of the Empire: Francisco de Arango y Parreño, Political Economy, and the Second Slavery in Cuba“, in: Comparative Studies in Society and History, No. 1 (2003), S. 4-28; Tomich; Zeuske, “The Second Slavery: Mass Slavery, World Economy and Comparative Microhistories”, in: Review: A Journal of the Fernand Braudel Center, Binghamton University I, no. 2 (2008), S. 91-100 (=special issue edited by Dale Tomich & Michael Zeuske, eds., The Second Slavery: Mass Slavery, World-Economy, and Comparative Microhistories, Part I); Laviña, Javier; Zeuske (eds.), The Second Slavery. Mass Slaveries and Modernity in the Americas and in the Atlantic Basin, Berlin; Muenster; New York: LIT Verlag, 2014 (Sklaverei und Postemanzipation/ Slavery and Postemancipation/ Esclavitud y postemancipación; Vol. 6). 13 Humboldt, „Cumaná, Nachtrag“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 432-433, hier. S. 433. 14 Humboldt, „Exkursion nach Caripe und in die Guácharohöhle (4.-24.9. 1799)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 138-164, hier S. 159; siehe auch: Humboldt, „Cumaná, Nachtrag“, S. 432-433. 15 Harwich, Nikita, „Le cacao vénézuélien: une plantation à front pionnier“, in: Caravelle. Cahiers du Monde Hispanique et Luso-Brésilien N. 85, Toulouse (2005), S. 17-30 (Themenheft: Grandes plantations d’Amérique latine. Entre rêve et commerce); allgemein zum Problem des Sklaven-Hinterlandes in Spanisch-Amerika siehe: Adelman, “The Slave Hinterlands of South America”, in: Adelman, Sovereignty and Revolution in the Iberian Atlantic …, S. 58-64; Hunt, Nadine, “Scattered Memories: The Intra-Caribbean Slave Trade to Spanish America, 1700-1750” in: Araujo; Candido, Lovejoy (eds.), Crossing Memories: Slavery and African Diaspora, Trenton: Africa World Press, 2011, S. 105-127. 12
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Kakaobäume – MZ] heranwachsen (sie dismontiren [Span.: desmonte – MZ], rotten Wald mit einem Sklaven aus) und nach 10 J[ahren] haben sie reichliches Auskommen für 11/2 Generation. Eine Familie bedarf zum guten Auskommen ein 30000 Stämme“.16 In Cariaco hält Humboldt politische Stimmungen der Plantagenbesitzer fest (die er dann später, im Plantagengebiet um Caracas zu Aussagen über eine „weiße Republik“ als politisches Ziel der Sklavenhalter-Oligarchie von Venezuela zusammenfasst, darstellt und kritisiert; siehe unten): „In Cariaco im Hause des Josef Francisco Mexias, ein Amerikaner (der Name Amerikaner hier schon sehr beliebt [d.h., ein Mann, der sich als americano bezeichnete; im Grunde eine antispanische Mentalität – MZ]), Feind der Spanier, lange Bewohner der Trinité [Trinidad; heute Trinidad and Tobago – MZ] und dort durch Zusammenwohnen mit Franzosen und Engländern sehr erleuchtet und unspanisch – eine Menschenrace, die mehr als das Gouv[ernement] [d.h., eine autonome Regierung statt der Kolonialverwaltung – MZ] wünscht“.17 Seit langem ist es ein feste Größe der Independencia-Forschung, dass es im östlichen Venezuela und speziell in und um Cumaná zu englischen und französischen Einflüssen in Bezug auf antispanische Einstellung der Menschen der Region kam; das ist seit Jahrzehnten Teil der Debatte um die Ursachen der Independencia.18 Cumaná war auch eine Stadt indigener Sklavereien, vor allem von Menschen (oft Kindern/ Mädchen), die über die Missionen sowohl Osten19 wie auch im Süden (die berühmten Missionen der katalanischen Kapuziner am Caroní mit Zentrum bei Santo Tomé/ Angostura am Orinoco (Humboldt: „ein eigenes, unabhängiges Jesuitenreich“)20) in die Stadt verschleppt worden waren. In den Missionen wurden offensichtlich auch die positiven Begründungen für Sklaverei und Sklavenhandel durch Missionare ziemlich aggressiv verbreitet (man kann davon ausgehen, dass diese Begründungen zur Mentalität aller Sklaverei-Eliten Spanisch-Amerikas gehörten); Humboldt sagt über die Gespräche auf dem Weg nach Cariaco, die sich u.a. um die so genannte Conspiración de Gual y España von 1797
Humboldt, „Exkursion nach Caripe und in die Guácharohöhle (4.-24.9. 1799)”, S. 138-164, hier S. 433. Humboldt, „Exkursion nach Caripe und in die Guácharohöhle (4.-24.9. 1799), in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 138-164, hier S. 160. 18 Callahan Jr., William J., “La propaganda, la sedición y la revolución francesa en la capitanía general de Venezuela, 1786-1796”, in: Boletín Histórico Vol. 14, Caracas (1967), S. 177-205; Zeuske, „The French Revolution in Spanish America“, in: Forrest, Alan; Middell, Matthias (eds.), The Routledge Companion to the French Revolution in World History, London and New York: Routledge, 2016, S. 77-96. 19 Carrocera, P. Buenaventura de, Misión de los Capuchinos en Cumaná. Documentos, 3 Bde., Caracas: Academia Nacional de la Historia, 1968 (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia; 88-90). 20 Sanoja, Mario; Vargas Arenas, Iraida, “Las misiones capuchinas catalanas”, in: Sanoja; Vargas Arenas, Las edades de Guayana. Arqueología de una quimera. Santo Tomé y las misiones capuchinas catalanas 1595-1817, Caracas: Monte Ávila Editores Latinoamericana, 2005, S. 235-307; Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela ..., S. 311- 389, hier S. 378. 16 17
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(Humboldt: „Unabhängigkeitsbestrebungen“21) drehten und „über die Notwendigkeit des Sklavenhandels, über die angeborene Bösartigkeit der Schwarzen und über die Segnungen, welche dieser Rasse daraus erwachsen, daß sie als Sklaven unter Christen leben!“.22 Und Cumaná war Zentrum der Razziensklaverei verschiedener indigener Völker (wie der Kariben). In Cumaná und anderen ostvenezolanischen Häfen, wie Barcelona de Venezuela, wurden die geschmuggelten Menschen gegen Maultiere, Häute, Talg, lebendes Vieh (Pferde, Esel, Rinder und Ochsen) aus den Llanos orientales (denen Humboldt in globalgeschichtlicher Perspektive in seinem kleinen Meisterwerk in den Ansichten der Natur ein Denkmal gesetzt hat23) sowie Kakao, Salzfleisch, Trockenfleisch und -fisch sowie Fette, Öle und andere Naturprodukte getauscht.24 Humboldt und Bonpland blieben immerhin, von Reisen nach Araya und durch die Missionsgebiete unterbrochen, in ihrem ersten Aufenthalt fast vier Monate in Cumaná (bis November 1799), deshalb schreibt Humboldt in einem Fragment des Tagebuches auch: „Cumaná. In keinem Orte Südamerikas haben wir so lange verweilt als hier, und keines Andenken ist uns so lieb geblieben“.25 Von dem „lieb“ einmal abgesehen - kein Wunder, dass viele Notizen in den Tagebüchern Humboldts zu unterschiedlichen Aspekten der Sklaverei in Cumaná aufgeschrieben wurden.26 Und erstaunlicherweise hat Humboldt seinen Tagebuchnotizen über Cumaná in der publizierten Fassung der Relation historique die Aizpurúa Aguirre, Ramón, “La Conspiración por dentro: un análisis de las declaraciones de la conspiración de La Guaira de 1797”, in: Rey, Juan Carlos; Pérez Perdomo, Rogelio; Aizpurúa Aguirre, Hernández, Adriana (eds.), Gual y España. La Independencia frustrada, Caracas: Fundación Empresas Polar, 2008 (Colección Bicentenario de la Independencia), S. 213-344; Michelena, Carmen L., Luces revolucionarias: De la rebelión de Madrid (1795) a la rebelión de La Guaira (1797), Caracas: CELARG, 2010; Gómez, Alejandro E., “La caribeanidad revolucionaria de la ‘costa de Caracas.’ Una visión prospectiva (1793-1815)”, in: Hébrard, Véronique; Verdo, Geneviève (eds.), Las independencias hispanoamericanas, Madrid: Casa de Velázquez, 2013 (Collection de la Casa de Velázquez; 137), S. 35-48. 22 Humboldt, „Achtes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents, ed. Ette, Ottmar, 2 Bde., Frankfurt am Main und Leipzig: Insel Verlag, 1991, Bd. I, S. 364-390, hier S. 378. 23 Humboldt, „Über die Steppen und Wüsten“, in: Humboldt, Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen und sechs Farbtafeln nach Skizzen des Autors, Frankfurt am Main: Eichborn Verlag, 2004 (Die Andere Bibliothek, hrsg. von Hans Magnus Enzensberger), S. 13-168 (davon Haupttext S. 15-37 und „Erläuterungen und Zusätze“, S. 37-168, insgesamt 131 Fußnoten, d.h., Paratexte, Links und Hyperlinks), (geschrieben 1805-1806; Reprint der dritten Auflage von 1849). 24 Brito Figueroa, Federico, „Venezuela colonial: las rebeliones de esclavos y la Revolución Francesa“, in: Caravelle. Cahiers du monde hispanique et luso-brésilien no. 54 (1990), S. 263-289, hier S. 272. 25 Humboldt, „Aphorismen zur amerikanischen Reise. Fragment“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 441. 26 Eine nützliche erste Übersicht zu den Tagebuchnotizen bietet: “Die afroamerikanischen Sklaven“, in: Humboldt, Lateinamerika am Vorabend der Unabhängigkeitsrevolution. Eine Anthologie von Impressionen und Urteilen aus den Reisetagebüchern zusammengestellt und erläutert durch Margot Faak. Mit einer einleitenden Studie von Manfred Kossok, Berlin: Akademie-Verlag, 1982 (Beiträge zur Alexander-von-HumboldtForschung, Bd. 5), S. 244-264; insbesondere: Humboldt “Sklaven”, Cumaná, Herbst 1800, in: Humboldt, Vorabend …, S. 244-247 (Dok. 164); Humboldt „Sklaven“, Cumaná, Herbst 1800, in: Humboldt, Vorabend …, S. 256-257 (Dok. 172); siehe auch: “Humboldt, „Cumaná, Nachtrag“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 432-433, hier S. 432. 21
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Miniatur über einen Sklavenmarkt hinzugefügt (die in den Tagebüchern nicht vorkommt). „Der große Platz [in Cumaná – MZ] ist zum Teil mit Bogengängen umgeben, über denen eine lange hölzerne Galerie hinläuft, wie man sie in allen heißen Ländern sieht. Hier wurden die Schwarzen verkauft, die von den afrikanischen Küsten herübergebracht werden. Die zum Verkauf ausgesetzten Sklaven waren junge Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren. Man gab ihnen jeden Morgen Kokosöl, um sich die Körper damit einzureiben und die Haut glänzend schwarz zu machen. Jeden Augenblick erscheinen Käufer und schätzten nach der Beschaffenheit der Zähne Alter und Gesundheitszustand der Sklaven; sie rissen ihnen den Mund gewaltsam auf, ganz wie es dem Pferdemarkt geschieht … Man stöhnt auf bei dem Gedanken, daß es noch heutigen Tags auf den Antillen europäische Kolonisten gibt, die ihre Sklaven mit dem Glüheisen zeichnen, um sie wieder zu erkennen, wenn sie entlaufen“.27 So stellen wir uns einen Sklavenmarkt vor. Cumaná war für die beiden Reisenden noch in anderer Hinsicht wichtig: „Wir lernten nun erst [in Cumaná – MZ], besonders Bonpland, spanisch, denn in Spanien selbst sprachen wir ewig Französisch“.28 In Cumaná sind Humboldt und Bonpland zum ersten Mal mit fast allen Dimensionen der Sklaverei von Menschen aus Afrika mit Sklavenhandel und Menschenschmuggel, aber auch mit den Phänomenen der Rebellion/ Flucht/ Unterdrückung, der Freilassung und des Selbstfreikaufes von Sklavinnen und Sklaven (coartación) zusammengetroffen. Über Freilassung und Selbstfreikauf schreibt Humboldt in Cumaná; seine Erfahrungen aus Caracas einflechtend: „Es ist ein Herkommen in Caracas unter der feineren Welt [d.h., den sehr vermögenden mantuanos (siehe unter Caracas) – MZ], im Testament ein drei bis fünf Sklaven freizugeben. Jetzt starb eine Dame, die im Testament 30 Sklaven auf einmal freiläßt. Für 300 Piaster muß ein Herr den Sklaven losgeben [29]. Dies auch laufender Preis, ja in Caracas noch niedriger, dagegen in Cumaná 500 Piaster“.30 Über die Seltenheit der Rache von Versklavten an ihren Herren reflektiert Humboldt auch in Cumaná und lässt sich zugleich über das Humboldt, „Fünftes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, Bd. I, S. 257-290, hier S. 260f. 28 Humboldt, „Von Nueva Barcelona nach Havanna (24.11.-19.12.1800“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 391-422, hier S. 392. 29 Ein sehr umstrittener Punkt; die Herrn erhöhten oft den Preis, wenn eine Sklavin oder ein Sklave mit dieser Summe kam; zur Freilassung und zum Selbstfreikauf siehe: Zeuske; García Martínez, Orlando, “Notarios y esclavos en Cuba, siglo XIX”, in: Fuente, Alejandro de la (coord.), Su “único derecho”: los esclavos y la ley, Madrid: Fundación Mapfre| Tavera, 2004 (=Debate y perspectivas. Cuadernos de Historia y Ciencias Sociales, No. 4 (Diciembre 2004)), S. 127-170; sowie: Fuente, “Slaves and the Creation of Legal Rights in Cuba: Coartación and Papel”, in: Hispanic American Historical Review Vol. 87:4 (November 2007), S. 659-692 (reprinted in: Fradera, Josep María; Schmidt-Nowara, Christopher (eds.), Slavery and Antislavery in Spain's Atlantic Empire, New York: Berghahn, 2013, S. 101-134). 30 “Humboldt, „Cumaná, Nachtrag“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 432-433, hier S. 432. 27
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koloniale Rechtswesen aus: „[Es ist] unbegreiflich, daß Herrenmord so selten [in Venezuela und Spanisch-Amerika – MZ], und doch unter einem Dache mit Menschen, die vor wenigen Monathen Menschenfleisch aßen, denen faule, aufgedunsene Kazen eine süße Speise, der Tod eine Wohlthat ist, die große Hoffnung auf das Entrinnen sezen, weil die in Unkenntniß des Landes von gastfreien Wilden in der Nähe träumen“.31 Humboldt meint Versklavte aus Afrika. Über das Gerichtswesen und die Prügelstrafen für Sklavinnen und Sklaven heißt es: „Überhaupt ist dadurch, daß man von Gerichts wegen züchtigt, Sache der Sklaven fast noch schlimmer geworden. Ein Herr führt seinen Sklaven dem Richter zu und giebt ihm Schuld was er will, er habe den Herrn geschimpft, Meuterei gemacht p. der Richter, ohne zu untersuchen, schlägt, schlägt so lange als der Herr seine Rache kühlen will. Schlägt man ihn tot, so ist der Herr ganz unverantwortlich. In Cumaná 1800 habe ich einem Sklaven von Gerichtswegen 120 cueros [Peitschenhiebe] geben sehen, weil der Herr log, er habe gestohlen; man fand ihn unschuldig“.32 Über den transatlantischen Sklavenhandel schreibt Humboldt: „Sklaven auf Schiffen, die sie bringen, am ärgsten durch Diätätsregeln gequält. Nach dem Essen begießt man die Neger mit Meerwasser, statt des Bades. Wegen des Salzgehalts erregt dies der delikaten Negerhaut Schmerz. Man giebt jedem darauf Cocosöl, um sich die Haut zu salben. Der Neger hat dann Lust, nach dem Essen zu schlafen, aber nein, man geißelt sie zum Tanze mit vollem Magen und schlägt jeden, der nicht tanzt. Jeder Kapitän quält nach seiner eigenen Diätätstheorie!!“.33 Das Wissen über den transatlantischen Sklavenhandel hat Humboldt vorwiegend durch Lektüre erworben (z.B. William Snelgrave sowie Carl Bernhard Wadström34); er übernimmt dabei auch die spatio-kulturellen und pseudoethnographischen Bezeichnungen für unterschiedliche Gruppen von Versklavten aus Afrika (als „Negerrace“35:
Humboldt „Sklaven“, Cumaná, Herbst 1800, in: Humboldt, Vorabend …, S. 256-257 (Dok. 172), hier S. 256. Ebd. 33 Ebd.; siehe auch: Zeuske, „Mobilität, Diäten, Terror und translokale Infrastrukturen der Gewalt“, in: Zeuske, Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin/ Boston: de Gruyter, S. 430-450. 34 Snelgrave, Captain William, A New Account of Some Parts of Guinea and the Slave Trade, London: 1734 (Reprint: London: Frank Cass & Co, 1971); Wadström, Carl Bernhard, An essay on colonization, particularly applied to the western coast of Africa, with some free thoughts on cultivation and commerce; also brief descriptions of the colonies already formed, or attempted, in Africa, including those of Sierra Leona and Bulama, London: Printed for the author by Darton and Harvey, 1794-1795; siehe auch: Law; Snelgrave, William, “The Original Manuscript Version of William Snelgrave's “New Account of Some Parts of Guinea””, in: History in Africa Vol. 17 (1990), S. 367-372. 35 Humboldt „Sklaven“, Cumaná, Herbst 1800, in: Humboldt, Vorabend …, S. 256-257 (Dok. 172), hier S. 256; die Textstelle findet sich nicht in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, passim. 31 32
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„Congo“, Calabari’s“, „Cormartinos“36). Ich halte diese Bezeichnungen - aus dem Munde von Sklavenhaltern, Mayorales und Sklavenhändlern sowie ihres Hilfspersonals – für „Waren“Qualitätsaussagen, die, wie alles in der Marktwirtschaft, eine starke psychologische Dimension haben. Das Problem ist, dass diese Bezeichnungen nicht nur von Versklavern gebraucht wurden, sondern auch von Versklavten bei ihren Identitätskonstruktionen als naciones (Herkunftsgruppen). Im 19. Jahrhundert waren die anderen großen Gruppen jolofes, mandinga, gangá, arará/ mina, lucumí/ anago (später zu yoruba umgedeutet), carabalí, angolas, monzolo und makuá (oder macuá – aus Moçambique), um nur die wichtigsten zu erwähnen.37 Es gab auch Sklaven, die heimlich, zum Teil auch offen, dem Islam anhingen, in Brasilien malê und in Venezuela möglicherweise mandinga genannt.38 Humboldt hat nur die oben zitierten naciones erwähnt, eventuell weil sich die anderen Identitäten erst im Laufe des nachfolgenden 19. Jahrhunderts herausbildeten bzw. verfestigten.
B) Caracas/ La Guaira und die Anfänge der Second Slavery
Die nächste große Etappe der Reise durch Sklaverei-Räume, die zugleich als Sklaverei-Typen aufgefasst werden können, begann in La Guaira-Caracas. Als beide Reisende Ende November 1799 im Hafen von Caracas, La Guaira, landeten, betraten sie auch eine der weit entwickelten Sklaverei-Plattformen der entstehenden Second Slavery in den Amerikas. Humboldt „Sklaven“, Cumaná, Herbst 1800, S. 256-257 (Dok. 172), hier, S. 256f; siehe auch: Childs, “Pathways to African Ethnicity in the Americas: African National Associations in Cuba during Slavery”, in: Falola, Toyin; Jennings, Christian (eds.), Sources and methods in African history : spoken, written, unearthed, Rochester: University of Rochester Press, 2003 (Rochester studies in African history and the diaspora ; [vol. 15]), S. 118-143 sowie: Zeuske, „Versklavte, Sklavereien und Menschenhandel auf dem afrikanisch-iberischen Atlantik“, in: Zeuske, Sklavenhändler, Negreros und Atlantikkreolen. Eine Weltgeschichte des Sklavenhandels im atlantischen Raum, Berlin/ Boston: De Gruyter, 2015, S. 296-364. 37 López Valdés, Rafael L., „Notas para el estudio etnohistórico de los esclavos lucumí de Cuba“, in: Menéndez, Lázara, Estudios Afrocubanos, 4 Bde., La Habana: Universidad de la Habana, 1998, Bd. II, S. 311-347; López Valdés, Africanos de Cuba, San Juan de Puerto Rico: Centro de Estudios Avanzados de Puerto Rico y el Caribe, ²2004; López Valdés, Pardos y morenos esclavos y libres en Cuba y sus instituciones en el Caribe Hispano, San Juan de Puerto Rico: Centro de Estudios Avanzados de Puerto Rico y el Caribe, 2007. 38 Lovejoy, Paul E., “Scarification and the Loss of History in the African Diaspora”, in: Apter, Andrew; Derby, Lauren (orgs.), Activating the Past Historical Memory in the Black Atlantic, Newcastle: Cambridge Scholarly Publishing, 2010, S. 99-138; Reis, João José; Mamigonian, Beatriz Gallotti, “Nagô and Mina: The Yoruba Diaspora in Brazil”, in: Falola, Toyin; Childs (eds.), The Yoruba diaspora in the Atlantic world, Bloomington: Indiana University Press, 2004 (Blacks in Diaspora), S. 77-110; Reis, Rebelião Escrava no Brasil: a História do Levante dos Malê#s (1835). Edição revista e ampliada, São Paulo: Companhia Das Letras, 2003; Gomes, Flávio, „Africanos, „naciones“ y cofradías en Río de Janeiro, siglos XVIII y XIX”, in: Boletín Americanista, Año LXI:2, no. 63 (2011), S. 167-188; La Rosa Corzo, Gabino, Tatuados. Deformaciones étnicas de los cimarrones en Cuba, La Habana: Fundación Fernando Ortiz, 2011; Barcia, Manuel, “An Islamic Atlantic revolution: Dan Fodio’s Jihad and slave rebellion in Bahia and Cuba, 1804-1844”, in: Journal of African Diaspora, Archaeology, and Heritage Vol. 2:1 (2013), S. 6-18; Barcia, “West African Islam in colonial Cuba”, in: Slavery and Abolition Vol. 35:1 (2014), S. 292-305. 36
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Das Gebiet und die Städte liegen vor (La Guaira) bzw. in (Caracas) einer Andendoppelkette, die diesen Teil Venezuelas wie Festungsmauern zur Karibik hin abschirmen. Es war ein Gebiet der haciendas (meist Zucker, Kakao und Kaffee, aber auch Baumwolle und Añil sowie Tabak, u.a.) sowohl auf der Küstenseite, meist an den Mündungen kleinerer Flüsse gelegen (wie Guarenas und Guatire) und großen, für ihre Zeit sehr modernen Haciendas in den Innentälern der Doppelkette.39 Die Innentäler mit Massen von Haciendas bildeten zwei Plattformen der damals modernsten Sklaverei: von Caracas aus gesehen, welches das Zentrum der Plantagensklavereiregion bildete, der Valle del Tuy/ Barlovento Richtung Osten und die Valles de Aragua Richtung Westen, wo sie über die Ufer des Sees von Valencia und die Stadt Valencia bis Puerto Cabello reichten. Humboldt nennt diese Region auch poetisch „die Bergthäler von Caracas“.40 Haciendas waren im Sprachgebrauch der aristokratischen Familien von Caracas, auch mantuanos genannt, die Humboldt und Bonpland gastfreundlich aufnahmen (vor allem die hohe Nobilität der títulos de España (spanische Hochadelstitel): Marqués Rodríguez del Toro, des Conde de Tovar und des Marqués de Ustáriz y Tovar41), Plantagen/ „Pflanzungen“, Sklavenplantagen mit Massen versklavten Menschen aus Afrika. Die genannten Marqueses (Marquis) und Condes (Grafen) waren Sklavenhalter und Plantagenbesitzer. Sie profitierten vom Sklavenschmuggel. Humboldt und Bonpland lernten auch ärmere „Weiße“ aus der kleinen Bildungsschicht kennen, wie den damals noch sehr jungen Andrés Bello; Humboldt nennt ihn Bellito.42 Der junge Andrés Bello wünschte sich nichts sehnlicher als selbst eine Hacienda zu besitzen (mit Sklaven).43 Caracas und La Guaira selbst waren Sklaverei-Städte mit großen Massen von urbanen Sklaven. Als Haussklaverei in den Palästen der Mantuanos war das eine Art Luxus-Sklaverei (je mehr versklavte „Diener“ desto höher der Status). Aber es gab auch in den Haushalten der nicht ganz so reichen „weißen“ und farbigen Bürger (im Kolonialjargon – pardos) Sklavinnen und Sklaven und es gab Dienstleistungssklaverei, Transportsklaverei, staatliche Sklaverei (vor allem zum Bau von Festungen, Hafenanlagen sowie Infrastrukturen) und Sklaverei im Hafen von La Guaira. Von Humboldt beschreibt die Regionen und Orte genau in der relation historique: Humboldt, „Sechzehntes Kapitel“, Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, S. 629-701, hier S. 687ff 40 Humboldt, „Über die Steppen und Wüsten“, S. 13-168, hier S. 15. 41 Nieto Cortadellas, Rafael, „Ascendencia y descendencia de don Bernardo Rodríguez del Toro, primer marqués del Toro (la estirpe de Teresa Toro de Bolívar)“, in: Anuario de Estudios Atlánticos Vol. 23, Las Palmas-Madrid (1977), S. 443-480; Quintero, Inés, El último marqués. Francisco Rodríguez del Toro 1761-1851, Caracas: Fundación Bigott, 2005; Quintero, „Los nobles de Caracas y la Independencia de Venezuela“, in: Anuario de Estudios Americanos Vol. 64:2 (julio-diciembre 2007), S. 209-232. 42 Humboldt, „Aufenthalt in Caracas (22. 11. 1799-7. 2. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 173-184, hier S. 177. 43 „At Petare, some miles east from Caracas [heute ein Barrio von Caracas -MZ], the Bello family adquired in 1806 a small coffee farm called „El Helechal“, siehe: Jaksić, Iván, „Bolívar and Humboldt“, in: Jaksić, Andrés Bello. Scholarship and Nation-Building in Nineteenth-Century Latin America, Cambridge/ New York: Cambridge University Press, 2001, S. 8-10, hier S. 9. 39
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Caracas aus starteten Humboldt und Bonpland in die Plantagengebiete; die Besitzer der Plantagen und Sklaven lebten meist in Caracas, in La Guaira oder in Valencia am See von Valencia. Vom 9. Februar bis zum 9./10. März 1800 durchreisten Humboldt und Bonpland diese modernste Plantagenregion der Provinz Caracas, möglicherweise damals die am meisten entwickelte Plattform der Second Slavery in den Amerikas; ich zitiere Besuche auf Haciendas aus der Humboldt-Chronologie (auch zu Ehren von Margot Faak): „Hacienda des José de Manterola im Tal des Río Tuy (9.-11.2.), Victoria am See von Valencia (11.-12.2.), La Concepción, Hacienda der Familie Ustáriz (13.2.), Maracay (13./14.2.), Tapatapa am Vorgebirge EI Portachuelo (14.2.), Hacienda de Cura, Besitz des Grafen Domingo Tovar (1762-1807), (14.-21.2., am 18.2. Besuch der heißen Quellen von Mariara), Punta Zamora, Guacara (21.2.), Mocundo (22.2.), Nueva Valencia (22.-26.2.), Trinchera (heiße Quellen, 27.2.), Puerto Cabello (27.2.-1.3.), Barbula (l.3.), Guacara (Familie des Marqués del Toro, 4.6.3.), zurück nach Nueva Valencia (6.-8.3.), Guige (8.3.), Villa de Cura (9./10.3.)“.44 Das publizierte Kapitel des Reisetagebuches im Band „Reise durch Venezuela“ ist wahrscheinlich die dichteste und mit modernsten, im Grunde heute noch gültigen, von Humboldt benutzten Methoden (trotz einer Reihe von Detailfehlern) erarbeitete Beschreibung einer „modernen“ Plantagenregion in den Amerikas. Es ist, obwohl publiziert, ähnlich unbekannt wie die Beschreibung der Sklaverei und der Haciendas auf Kuba im Tagebuch von 1804 (siehe unten). Nach dem Besuch auf der Hacienda Mocundo (wer wäre nicht an Macondo erinnert?) am 22. Februar 1800 am Vormittag, - „größte hacienda der Provinz“ - 45, schreibt Humboldt über den Besuch des Hauses der Peñalvers in Valencia (wo sie Fastnacht feierten): „Die Gesellschaft in Valencia fast gebildeter als in Caracas [Valencia war eine Art Sommerresidenz der reichen Sklavenhalter – MZ] und der Ton ungezwungener. D[on] Fernando Peñalver, gebildet wie sein Bruder, ebenso hundemager, aber größer und sich ein Adonis dünkend, elend eitel, die ersten Tage immer von Raynal, Encyclopédie, Menschenfreiheit … sprechend. Aber nachher brach die gemeine Menschennatur durch. Der Portugiese [die Peñalvers stammten aus einer portugiesisch/ brasilianischen (?) Familie von Kaufleuten, wahrscheinlich auch Sklavenhändlern – MZ] meinte, man solle eine weiße Republik stiften, zu einer Zeit, wo die franz[ösische] Republik, wie nicht zu zweifeln, die Sklaverei wieder erlaubt hat [hatte Humboldt bereits 1800 Informationen über die 44
Humboldt, Alexander von, Chronologische Übersicht über wichtige Daten seines Lebens (online); siehe auch: Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 185-222. 45 Ebd., S. 207.
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Wiedereinführung der Sklaverei in Frankreich und seinen Kolonien (real: Dekret Napoleons von 180246)? – MZ], und wenn Frankreich mit Spanien im Krieg ist; in der weißen Republik giebt man selbst den freien Mulatten keine Rechte, die Sklaven bedienen ihre Herren knieend, jene verkaufen die Kindern der letzteren … Das ist die Frucht amerikan[ischer] Aufklärung! Verbannt Eure Encyclop[ädie] und Euren Raynal, ihr schändlichen Menschen“.47 Das ist die massivste Kritik an einer Gruppe der Sklavenhalter-Oligarchie von Venezuela, die erkennen lässt, daß sich im Grunde die lokalen Gruppen der Oligarchie und der jüngeren Mantuanos durch eine Klassenideologie auszeichneten, deren politische Ziele darauf hinausliefen, die zentralen Eliten des Imperiums („Spanier“) davon zu jagen und die Sklaverei weiter in Richtung Modernität sowie Second Slavery auszubauen. Ich nenne dieses Klassensegment in ihrem Ambiente der Haciendas und deren Luxus-Produkten (für Europäer48) „BolívarGruppe“.49 Humboldt hat diese Kritik nach der Reise durch die Plantagenregion und durch die Orinoquía, bei Rückkehr nach Cumaná im Herbst 1800, nochmals verschärft: „In Nordamerika haben die weißen Menschen für sich eine weiße Republik gestiftet und die schändlichsten Sklavengesetze bestehen lassen … So möchten vornehme [Süd-] Amerikaner auch gern eine Republik stiften. Sie lenken ein, so bald man vom Elend der gefärbten Racen spricht. Andrés Ibarra [in dessen Haus auf seiner Kaffee-Plantage im Tal von Caracas Humboldt und Bonpland (S. 177, 181) zugebracht hatten – MZ] will den freien Mulatten gar die Ausübung eines Handwerks verbieten; sie soll das Gouv[ernement] zwingen, zertreut in dem Innern der Provinz (um Gefahr zu vermindern) den Weißen den Akker zu bauen ***, und arme Weiße soll das Gouv[ernement] zwingen, Schuh und Stiefel zu machen … Das ist
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Archivo Nacional de Cuba, La Habana (ANC), Donativos y Remisiones, leg. 210, no. 441 (1791): “Esclavitud. Decreto por el cuál queda abolida la esclavitud de los negros en las colonias francesas. Impreso en frances. Donativo de la Srta. Carlota Párraga 1951. por en cargo de los descendientes de Ld. Héctor Ponce de León”. Es handelt sich um zeitgenössische Drucke des Dekrets zur Abolition der Sklaverei von 1794 und des Dekrets von Napoleon zur Restauration der Sklaverei von 1802; siehe auch: Bénot, Yves; Dorigny, Marcel (dir.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises. Aux origines de Haïti, Paris; Maisonneuve et Larose, 2003; Belaubre, Christophe; Dym, Jordana; Savage, John (eds.), Napoleon’s Atlantic: The Impact of Napoleonic Empire in the Atlantic World, Leiden: Brill, 2010 (= The Atlantic World. Europe, Africa and the Americas, 1500-1830; Vol. 20). 47 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 185-222, hier S. 208. 48 Humboldt hält zu den (möglichen) Profiten der Plantagenwirtschaft fest: „So reich kann man sich hier durch die Kultur der kostbaren Produkte machen, welche die Natur hier willig hervorbringt“, siehe: Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 203. 49 Zeuske, „Una revolución con esclavos y con Bolívar. Un ensayo de interpretación”, in: Memorias. Revista Digital de Historia y Arqueología desde el Caribe Vol. 8, núm. 14 (Junio 2011), S. 5-47 http://rcientificas.uninorte.edu.co/index.php/memorias/article/view/2006/1288; Zeuske, “La Independencia: Unvollendete Revolution mit Sklaverei und Bolívar“, in: Rinke, Stefan et. al. (eds.), Bicentenario: 200 Jahre Unabhängigkeit in Lateinamerika. Geschichte zwischen Erinnerung und Zukunft, Stuttgart: Verlag Hans-Dieter Heinz. Akademischer Verlag, 2011, S. 147-182; Gómez, Alejandro E., “¿Ciudadanos de color? El problema de la ciudadanía de los esclavos y gente de color durante las revoluciones franco-antillanas, 1788-1804”, in: Bolivarium. Anuario de Estudios Bolivarianos XI:12 (2005), S. 117-157.
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der Plan der hiesigen Philantropen“.50 Auch Ibarra gehörte in der Independencia zur „BolívarGruppe“. Auf dem Weg von La Guaira nach Caracas über die Berge der Küstenkordilleren (heute gibt es dort Tunnel) beschreibt Humboldt in der literarischen Fassung des Essai historique eine größere Gruppe von Menschen, die nicht aus der Elite stammten; man kann also vermuten, dass die „Bolívar-Gruppe“ für Humboldt eine breitere soziale Basis hatte: „auf dem Wege zur Hauptstadt von Venezuela … traf ich vor der kleinen Herberge von Guayavo viele Reisende, die ihre Maultiere ausruhen ließen. Es waren Einwohner von Caracas; sie stritten über die Bewegung zur Unabhängigkeit ihres Landes und einen Aufstand, der kurz zuvor stattgefunden [Conspiración de Gual y España – MZ) … Die Erregung der Gemüter, die Bitterkeit, mit der man über Fragen stritt, über die Landsleute nie verschiedener Meinung sein sollten, fielen mir unangenehm auf … man [verhandelte] ein Langes und Breites über den Haß der Mulatten auf die freien Neger und die Weißen, über den Reichtum der Mönche und die Mühe, die man habe, die Sklaven in der Zucht zu halten“.51 Nimmt man die historische Entwicklung der Hacienda-Gebiete an der Tierra firme, vorwiegend auf dem Territorium des heutigen Venezuelas zwischen dem 16. Jahrhundert und 1800 als Ganzes in den Blick, ergibt sich für Humboldt-Zeit folgendes Bild: Die erste, relativ kleine Plantagen-Plattform der Tierra firme (Kakao- und Zuckerplantagen mit indianischen Arbeitskräften, Encomendados, freien Arbeitern und schwarzen Sklaven) existierte seit ca. 1580 am Südufer des Maracaibosees im Hinterland des Hafens San Antonio de Gibraltar, auf einer Ebene zwischen Estanques, der Mündung des Río Escalante, Santa Bárbara und Río Poco, in der Jurisdiktion von Mérida. In den 1670er Jahren kam es zu schweren Erdbeben sowie schon vorher zu massiven Plünderungen durch Piraten, so Jean-David Nau alias El Olonés (1667 - es wurden auch über 1000 Sklaven verschleppt) und Henry Morgan (1669).52 Humboldt hat dieses Plantagengebiet Venezuelas nicht gesehen. In Bezug auf die Entwicklung der Second Slavery für den gesamten Raum der Amerikas und der Karibik ist eine andere Genealogie in Anschlag zu bringen, vor allem deshalb, weil diese intensiven Sklavereiformen sich zunächst auf kleinen Inseln und Off-Shore-Gebieten besser durchsetzen Humboldt “Sklaven”, Cumaná, Herbst 1800, in: Humboldt, Vorabend …, S. 244-247 (Dok. 164), hier S. 245 (das Dokument erscheint nicht in „Reise durch Venezuela“). 51 Humboldt, „Elftes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, S. 458-494, hier S. 492f. 52 Ramírez Méndez, Luis Alberto, “Las haciendas en el sur del Lago de Maracaibo (siglos XVI-XVII)”, in: Boletín de la Academia Nacional de la Historia, tomo XCII, no. 66, Caracas (2009), S. 121-164; Ramírez Méndez, “Los esclavos negros en el sur del Lago de Maracaibo (siglos XVI-XVII)”, in: Boletín de la Academia Nacional de la Historia, tomo XCIV, no. 373 (2011), S. 83-106; Ramírez Méndez, La tierra prometida del sur del Lago de Maracaibo y la villa y puerto de San Antonio de Gibraltar (siglos XVI-XVII), 2 Bde., Caracas, Editorial el perro y la rana, 2011, passim; Ramírez Méndez, “Las haciendas cañeras en el sur del Lago de Maracaibo Venezuela. (Siglos XVI-XVII)”, in: Revista de Indias Vol. LXXIV, no. 260 (2014), S. 9-34. 50
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und kontrollieren ließen. Pionierinseln der Second Slavery waren Barbados und Martinique sowie Küstenebenen von Jamaika sowie Saint-Domingue. Das waren alles räumlich noch relativ kleine Gebiete – je größer die Gebiete wurden, wie etwa die Plaine du Nord auf SaintDomingue, desto schwerer zu kontrollieren waren sie und desto mehr stieg die Gefahr von Aufständen (wie der Revolution von Saint-Domingue/ Haiti 1791-1803). Von den InselEnklaven griffen Anfänge der Second Slavery auf (sehr viel) größere Inseln, wie Kuba, über oder eben in die Täler-Enklaven, wie die genannten Valles in Venezuela. Humboldt analysierte auch sehr klar die Elemente der „Modernität“ der SklavenHaciendas vor allem in den Valles de Aragua (das erlaubt es eindeutig, von Anfängen der Second Slavery zu sprechen - auch wenn Humboldt den Begriff nicht benutzt hat): „Nachts in [der] Hacienda des D[on] Fernando Key Muñoz … Haus ein großes Viereck, worin 80 Neger wohnen, ein Art Caserne [es handelt sich um ein barracón - der im 19. Jahrhundert auf Kuba weit verbreiteten Sklavenkasernen auf den Plantagen – MZ]; über 12 Feuer im Hof, woran jeder seine Speise selbst zubereitet. Vier Neger unverheiratet in einem Zimmer wie Hunde auf der Erde (blos auf Ochsenfellen) schlafend. Unbegreifliche Lustigkeit der schwarzen Menschen bis tief in die Nacht [die Barracones wurden von außen nachts abgeschlossen, so dass die Versklavten ihr eigenen, halbautonomes Leben führen konnte; eine der Ursachen für die von Versklavten kontrollierte Transkulturation „afrikanischer“ Kulturelemente, vor allem Essen und Musik/ Religionsformen – MZ]. Zuckerplantation künftig … sehr einträglich“.53 Die andere Form der ökonomischen Modernität [in den Barracones durch Essenzubereitung durch Sklavinnen gesichert – MZ] der Second Slavery findet sich in der Beschreibung der Zuckerplantage von Joseph de Manterola: „Haus [das Herrenhaus – MZ] sehr groß auf der Höhe, umher auf engstem Raum eine Art Dorf [diese Art Anlage wurde im Laufe der Ökonomisierung meist später – sofern die Besitzer genug Kapital aufbringen konnten – durch Barracones ersetzt – MZ], Lehmhütten der Sklaven, über 120 mit Kindern, meist wohlgenährt. Den verheiratheten giebt man Land [conuco – eine Art Sklavengarten – MZ], das sie Sonnabend und Sonntag und andere Tage (da sie nicht immer arbeiten) kultivieren [meist die Sklavinnen – MZ]. Man ernährt sie dann nicht. Sie halten sich Schweine, etwas Federvieh, das sie verkaufen, und der Herr weiß ihr Schicksal (nach Herrenart in allen Welttheilen) gar reizend zu schildern. Dabei hört man sie täglich perro, perra schimpfen, vor dem Herrn (wenn sie mit ihm reden) auf beide Knie fallend und andere Schändlichkeiten mehr. Doch straft man (aus Furcht?) minder als man glaubt. Wir sahen 3 Sklaven, die Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 187. 53
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geflohen waren, einbringen. Man schlug keinen“.54 Die dritte Dimension der Second Slavery, der mehr oder weniger „freie“ Zugang zur Atlantisierung, d.h. hier, zur Möglichkeit der Kapitalakkumulation aus dem transatlantischen Geschäft mit verschleppten menschlichen Körpern, ist Humboldt auch ziemlich klar gewesen, zumindest was das empirisch Beobachtbare betrifft (und das, was Humboldt in Gespächen hörte): „Kurz vor Ausbruch des Krieges [die Kriege der französischen Revolution/ napoleonische Kriege, speziell der zweite Koalitionskrieg 1799-1802 – MZ] nahm die Sklaveneinfuhr so ungeheuerlich zu, daß [die] Kaufleute von Grenada und Jamaica neue Casas de negros [Sklavenhandelsbarracken – MZ] in Caracas stiften wollten“.55 Formal war der Zugang zum transatlantischen Sklavenhandel für „Spanier“, auch „Spanier“ Spanisch-Amerikas, seit 1789 frei, aber in Realität durch englische, französische und niederländische sowie „portugiesische“ Sklavenhändler, Sklavenschmuggel und Kapitäne dominiert.56 In den Partien der Tagebücher über die „Bevölkerung der Provinz Venezuela [Caracas – MZ]“57, wo Humboldt auf ca. 32500 Versklavte in der Provinz kommt58, bricht bei der Beschreibung von Tälern, in denen keine sehr großen Haciendas (Sklavenplantagen) unter Vorherrschaft von Mantuano-Eigentümern zu finden sind, die Vorliebe Humboldts für „freie Menschen“ durch: „Die Bevölkerung, was sehr wichtig, und glücklich, fast ganz aus freien Menschen, denn sorgfältig zusammengezählt und hoch angeschlagen, kann man in allen hacienden jener Jurisdictionen, die Stadt Valencia abgerechnet, nicht 2000 Neger, Mulatten und Zambensklaven zusammenzählen. In [den] Llanos noch mehr freie Menschen. Als im Frieden [nach dem ersten Koalitionskrieg 1792-1797 – MZ] im Valle de Aragua [die] Indigopflanzungen im höchsten Flor standen, schickte man in die Llanos, um dort Knechte (Tagelöhner) aufzubieten. Um 5000 freie peones kamen dann zur Beihülfe in das Thal von Aragua. [Die] Bevölkerung von Valencia alt, im Thal von Aragua sehr alt [auch die Versklavten, sowohl Haus- wie auch Feldsklaven – MZ]. Das Thal von S[an] Felipe und Aroa oder das am Río Yaracuy (schiffbar und bei Puerto Cabello ins Meer fließend) ist vielleicht noch fruchtbarer als das Thal von Aragua; dort alle Handelsprodukte, Korn, Vieh, Metalle, Humboldt “Hacienda de Cura am See von Valencia (Venezuela), 14.-21. Februar 1800”, in: Humboldt, Vorabend …, S. 259-260 (Dok. 177), hier S. 260 (dieser Teil des Textes erscheint nicht in „Reise durch Venezuela“, siehe: Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 189-190 (wo er hingehört)). 55 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 185-222, hier S. 201. 56 Borucki, “Trans-imperial History in the Making of the Slave Trade to Venezuela, 1526-1811”, in: Itinerario 36:2 (2012), S. 29-54; Johnson, M. Sherry, The social transformation of eighteenth century Cuba, Gainesville [u.a.] : University Press of Florida, 2001. 57 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 200. 58 Ebd., S. 200f. 54
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Schiffahrt“.59 Humboldt hat auch Tabakplantagen mit Sklaven („Tabakplantation“ in Guaruto) gesehen.60 Humboldt hat, wie gesagt, von den Sklaverei-Gebieten Spanisch-Amerikas zunächst die Plantagen-Plattformen bei Cumaná und die Valles de Aragua und des Valle del Tuy/ Barlovento um 1800 durchreist und beschrieben (später kommt auch Kuba dazu).61 Um auch einen kurzen Blick in Zukunft der Second Slavery in Venezuela „nach Humboldt“ zu tun: In diesen modernsten Plantagen-Plattformen kam es nach Ausbruch der Unabhängigkeitsrevolution zu massiven Sklavenrebellionen.62 Nach dem Sieg Bolívars 1819 in der Schlacht von Carabobo konnten die überlebenden Oligarchien zwar die Sklaverei an sich retten, aber mit der Modernität der Second Slavery war es aus in Venezuela.63 Ferdinand Bellermann, der „Tropenmaler“, hat die Plantagenregion dann 44 Jahre nach Humboldt besucht und gemalt (visualisiert).64 C) Llanos, Schmuggel und Hirtensklaverei „Apure ewig im Llano“ (S. 252) Zwischen Villa de Cura und San Juan de los Morros, um den 10. März 1799, erreichten die Reisenden die Llanos von Caracas (heute im Staat Guárico) und damit eine neue Sklaverei-Region, die der hatos (Vieh-Plantagen), der llaneros und Sklavenrazzien; Humboldt gibt auf einem Hato der Ustáriz-Familie gleich eine gute Erklärung darüber ab, was ein Hato ist: „ein hato ist ein Art Vorwerk, wo ein Sklave als Majordomus mit vier oder fünf Sklaven wohnt, um Hornvieh und Pferde in der Weide/ S(avanna) zu beobachten, zu suchen, wenn sie sich verlieren …“65 (siehe auch die Handskizze Humboldts mit Ausweis der
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Ebd. S. 200. Ebd., S. 218, Anm. ****; siehe auch: Méndez Sereno, Herminia, „La economía del tabaco en la Venezuela de finales del siglo XVIII“, in: Hirshbein, Cesia; Cabrera, Elery; Yépez Colmenares, Germán (coords.), Alejandro de Humboldt y Venezuela 1799-1999, Caracas: Ediciones Rectorado UCV, 2000, S. 115-125. 61 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222. 62 Coll y Prat, Narciso, Memoriales sobre la Independencia de Venezuela, Caracas: Academia Nacional de la Historia, 1960, S. 181; Castillo Lara, Lucas Guillermo, “La candente disputa por la supremacia entre los negros criollos y los loangos o de Curazao”, in: Castillo Lara, Apuntes para la historia colonial de Barlovento, Caracas: Academia Nacional de la Historia, 1981 (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia; 151), S. 479-499; Banko, Catalina, „Las haciendas azucareras en la Venezuela del siglo XIX“, in: Bolivarium. Anuario de Estudios Bolivarianos Año X,11 (2004), S. 145-167. 63 Zeuske, „Das Vermögen der Bolívars“, in: Zeuske, Simón Bolívar. Befreier Südamerikas. Geschichte und Mythos, Berlin: Rotbuch Verlag, S. 72-86. 64 Achenbach, Sigrid, „Ferdinand Bellermann (1814-1868) in Venezuela“, in: Achenbach, Kunst um Humboldt. Reisestudien aus Mittel- und Südamerika von Rugendas, Bellermann und Hildebrandt im Berliner Kupferstichkabinett, München: Hirmer, 2009, S. 133-210; insgesamt siehe: Zeuske, Von Bolívar zu Chávez …, passim. 65 Humboldt, „Durch die Llanos von Guacara bis San Fernando de Apure (6. März-27. April 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 222-235, hier S. 223f. 60
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Gebirgsketten und Savannen (Llanos) von Venezuela).66 Die Llanos von Venezuela (oder: Orinoco-Llanos) bilden, zusammen mit ihren Erweiterungen am Apure (llanos de Barinas) und am Río Meta eine Makroregion zwischen den heutigen Staaten Venezuela und Kolumbien. Wie die Prärien und die Pampas oder die Llanos im Norden Mexikos bzw. des heutigen Südwestens der USA stellen sie frontier-Regionen67 dar, in die sich nach der Kolonisierung der Küstengebiete zunächst die Reste von Indio-Völkern (oft Frauen und Kinder) sowie Sklaven aus den Plantagenregionen, Abenteurer, Deserteure, flüchtige Gefängnisinsassen, Schmuggler und Verbrecher aller Art geflohen waren. Eine Flucht- und Widerstandkultur geflohener Versklavter (cimarrones) par excellence entstand, mit eigenen Gesetzen, Bräuchen, Lebensweisen, aber auch Sklavereien, Razzienkonflikten, Viehdiebstahl, Überfällen und Gewaltkulturen. Wie in den Pampas wurden die Llanos seit der Conquista durch Millionen von Rindern, Pferden, Eseln, Maultieren und -eseln besiedelt; unter den freien Llaneros zählte nicht Landkontrolle oder Eigentumstitel, sondern der Erfolg der berittenen Jagd auf halbwildes Vieh. Humboldt hält mehrfach fest: „In [den] Llanos noch mehr frei Menschen“68 – das ist in dem Sinne gemeint, dass allgemein die Llanos nicht als Gebiet der Sklaverei, sondern der Freiheit und der freien Menschen galt. Die Llanos del Orinoco im Norden Südamerikas haben die Besonderheit, dass sich die in einer KlimaGroßregion befinden, die ein halbes Jahr für extreme Trockenheit und ein halbes Jahr für extreme Überschwemmungen sorgen, je näher zum Orinoco, desto höher.69 Zudem ist die Oberfläche der Makroregion kaum in irgendeine Richtung geneigt, so dass Flüsse im Grunde kaum Fließgeschwindigkeit haben und sich bei Regen in die Ebenen, sozusagen „ohne Ufer“ ausbreiten. Die Charakterisierung Humboldts: „Von Villa de Cura aus gegen … den Orinoco hin hält man das unermeßliche Llano für sehr unsicher…“,70 ist weit gehend richtig, aber eben aus der Perspektive der „zivilisierten“ Kolonialgesellschaft im Norden geschrieben.71 Erst im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts hatte die Erschließung der Llanos durch Missionen begonnen, die seit ca. 1760 verstärkt wurde durch eine massive Expansion des Großgrundbesitzes in Form von Hatos mit schwarzen Hütesklaven (siehe Humboldts Beschreibung oben). Da seit der Monopolisierung des Kakaoexportes durch die spanische Humboldt, „Von Caracas nach Calabozo“, in: Ebd., S. 434-438, hier S. 437. Prado, “The Fringes of Empires: Recent Scholarship on Colonial Frontiers and Borderlands in Latin America”, S. 318–333. 68 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 200. 69 Siehe auch die Beschreibung der Überschwemmungen mit der Legende der „schwanzlosen“ Pferde: Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 236-310, hier S. 238-239. 70 Humboldt, „Von Caracas nach Calabozo“, in: Ebd., S. 434-438, hier S. 436. 71 Ebd., S. 434-438. 66 67
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Krone (1728) und verschiedene Aufstände die Plantagenwirtschaft der Küstenzonen nicht mehr ganz so profitabel war wie vorher, expandierten auch die großen Sklavenhalterfamilien der Küstenstädte, vor allem die von Caracas, in die Llanos. Eigentumstitel an Land wurden vergeben – aus Sicht der freien Llaneros absolut illegal, ebenso wie sie das Einfangen und Markieren (Brandzeichen und Ohrmarken) des wilden Viehs für illegal hielten. Die bisherige freie Jagd der Llaneros wurde zu „Viehdiebstahl“ erklärt und die neuen Herren der Hatos (u.a. die Bolívar-Familie) versuchten den Widerstand der freien Llaneros durch Milizen (rondas72) und eben versklavte Llaneros (oft Verschleppte aus Afrika) zu brechen. Das gelang nicht. Im Grunde kam es von 1750 bis um 1920 zu schwersten Konflikten und Razzienüberfällen73, eine regelrechte „Chronik der angekündigten Gewalt“, mit einigen Phasen intensiver Grenzkriege (wie 1812-1825 im Rahmen der antikolonialen Unabhängigkeitsrevolution und der Guerra Federal 1859-1864). In der literarischen Darstellung erscheinen die Männer der Llanos noch exotischer als in den Tagebüchern: „Männer, bis zum Gürtel nackt und mit einer Lanze bewaffnet, streifen zu Pferd durch die Savannen, um die Herden [der Privatbesitzer – MZ] im Auge zu behalten, zurückzutreiben, was sich zu weit von den Weiden des Hofes entfernt, mit glühendem Eisen zu zeichnen [markieren], was noch nicht den Stempel des Eigentümers trägt. Diese Farbigen, Peones Llaneros genannt, sind zum Teil Freie oder Freigelassene, zum Teil Sklaven … Sie nähren sich von luftgetrocknetem, schwach gesalzenem Fleisch [tasajo – MZ]; selbst die Pferde fressen es zuweilen“.74 Humboldt hat, wie gesagt, den Llanos in „Über die Steppen und Wüsten“ in den Ansichten der Natur75 nicht nur ein globalhistorisches poetisches Denkmal gesetzt, sondern in seinen Tagebüchern die sozusagen empirische Atmosphäre des Hasses der freien Llaneros, der Rechtsunsicherheit und der Gewalt in der frontier-Region der Llanos sehr gut erfasst Perspektive Hin oder Her.76
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Ebd., S. 437. Izard, Miquel, “Sin el menor arraigo ni responsabilidad. Llaneros y ganadería a principios del siglo XIX”, in: Boletín Americanista 37, Barcelona (1987), S. 109-142; siehe auch: Rodríguez Mirabal, Adelina C., “El hato: Unidad social de producción y explotación”, in: Rodríguez Mirabal, La formación del latifundio ganadero en los llanos de Apure: 1750-1800, Caracas: Academia Nacional de la Historia, 1987 (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia; 193), S. 313-320, S. 277-320; Izard, Orejanos, cimarrones y arrochelados, Barcelona: Sendai Ediciones, 1988; Zeuske, “Llaneros und Liberale”, in: Zeuske, Von Bolívar zu Chávez ..., S. 242-254. 74 Humboldt, „Siebzehntes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, Bd. II, S. 703-761, hier S. 729. 75 Humboldt, „Über die Steppen und Wüsten“, in: Humboldt, Ansichten der Natur …, S. 13-168. 76 Humboldt, „Von Caracas nach Calabozo“, in: Ebd., S. 434-438, hier S. 436f. 73
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D) Im Interior am Apure, Orinoco und Meta
Richtig spannend wurde es, als die beiden Reisenden die frontier-Region sozusagen ersten Grades (weil noch mit intensivem Austausch sowie Transkulturation zwischen von Euro-Kreolen und Iberern nichtkolonisierten und kolonisierten Gebieten) verließen. Seit Ende März 1800 kamen Humboldt und Bonpland, nachdem sie San Fernando Apure (erst 1789 formal gegründet!) verlassen hatten, zum ersten und einzigen Mal während der gesamten Reise in die „unbekannte Welt“77 des von Europäern/ Kreolen nicht direkt kolonisierten Interior, eine Flusswelt, die sozusagen eine lang gezogene frontier-Region zweiten Grades bildete, die in die Siedlungsgebiete und Territorien nichtkolonisierter Indígena-Stämme hineinragte. Allerdings wirkten sich Conquista und Kolonisierung auch auf diese der Küste so fernen Gebiete aus: „Wenn man wie wir ein 30 Tage lang auf dem Orinoco schifft und ewig nur sich selbst, nie ein freundlich begegnendes Schiff, nie Menschen am Ufer sieht, dann fragt man sich“,78 schreibt Humboldt, „wem diese Welt diese Ödigkeit, diese Totenstille verdankt. Euch, Ihr Europäer, die ihr den armen, friedlichen Einwohnern (sie mit Schießgewehren schreckend oder feig im Schlaf überfallend) Nächtlich die Kinder raubt, Euch, die ihr den Wilden vom Ufer verdrängt … Der Wilde lebt jetzt zurückgedrängt an den entfernten Flüssen, Armen, Caños“.79 Das zeigt, dass diese Welt ganz so „unbekannt“ doch nicht war, wie Humboldt mit seinen Bemerkungen über die Sklavenjagd auf Kinder, aber auch über Conquistadoren im 16. Jahrhundert und Missionare im 18. Jahrhundert (vor allem Jesuiten von Brasilien bis 1759/6780 und Kapuziner von Tierra firme) und denen über die wenigen „Krämer“81 (Kaufleute) erkennen lässt. Dieses Tagebuch-Kapitel Humboldts ist unvorstellbar reich an unbekannten Beobachtungen/ Analysen von Sklavereiformen. Ich will mich hier nur auf Sklavereien und Sklaven-Razzien beschränken, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Humboldt hier auch Lebensmittel- und Nahrungskonsum erwähnt, sicherlich, weil ihm hier vieles neu war (Affenfleisch z.B.). Aber viele Elemente der Kolonialkultur (wie Rinder) waren auch schon in den Interior vorgedrungen.82 Missionsgrenzen und Frontiers der
Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 236. 78 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 277. 79 Ebd. 80 Vogel, Christine, „Die Aufhebung der Gesellschaft Jesu (1758–1773)“ (online: http://iegego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/christine-vogel-aufhebung-dergesellschaft-jesu-1758-1773 (04. Aug. 2016)). 81 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 263. 82 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis 77
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Europäer waren immer auch Rindergrenzen. Ein materielles Element verband Kolonialgebiete und beide Frontier-Regionen: die „machete“. Humboldt erwähnt einen „Indianer“ mit „dem berühmtes Spanische Messer, 14 Zoll lang [wie lang war wohl dieses Zollmaß? – MZ], ohne welches man in Amerika nicht gehen kann“.83 Macheten wurden in Konflikten und Razzien benutzt, aber auch, um junge Indigene anzulocken, die scharf auf Eisengeräte waren, und sich dafür zeitweilig versklaven ließen. Als mobiles Element der materiellen Transkulturalität zu erwähnen sind die Flussschiffe. Sie stellten das Transportmittel par excellence auch für Sklavenrazzien dar: „Größte indian[ische] Embarcation auf [dem] Orinoco: Bongo, kleiner Piragua, kleinste Curiara“.84 Humboldt beschreibt, um auf die vielfältigen Sklavereien zu kommen, meist indirekt Sklavereien und Sklavenfang unter den Indigenen, etwa an den Stellen, wo er über guahibos, guahibos bravos (Karte S. 321), Cariben, guajaribos und macos (z.B.: „Macos-Macos im Osten des Duida“85) sowie viele andere „Nazionen“ (Völker, Stämme) spricht. Die historischen Kariben Venezuelas und Guayanas, die Humboldt ausführlich beschreibt (und ihnen sogar einen Staat zugesteht: „die verbrüderten Cariben [sind] eigentlich der größte Staat im N[euen] Continente“86), waren Razzienkrieger und Sklavenjäger par excellence. Alle anderen, nicht zu ihren Abstammungsgemeinschaften gehörigen Menschen, bezeichneten sie mit dem Begriff itoto. Itotos waren zu bekämpfende Feinde, die nach dem Sieg getötet oder geopfert wurden (in ausgeklügelten rituellen Opferzeremonien die bedeutendsten Feinde); männliche Halbwüchsige wurden oft auch getötet und Frauen sowie Mädchen und kleine Jungen wurden in die Gruppe integriert. Die jungen Männer der Kariben waren furchtbare Krieger mit Kanu, Langbogen und Keule. Keulen sind reine Tötungswaffen, was Rückschlüsse auf die Härte der Konflikte zulässt. Völker, die den Karibenkriegern leichte Beute boten, wurden mit dem Namen macos benannt, sozusagen schwache und dumme Itotos. Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 239 (Lebensmittel), S. 260 (Essvorräte alle; neue NahrungsmitteL Fisch, Yuca, Schildkröteneier, Palmfrüchte), S. 260 (Anm.: Erde essen), S. 266 (Affenfleisch), S. 275 („Nahrung Fischerei und Jagd“ sowie Gartenbau auf Pisang und bittere Yuca (Kassava), S. 284 (Rinder: „Jesuitenvieh“). Vorher hatte Humboldt Bemerkungen zu Genuß- oder Nahrungsmitteln eher selten gemacht: “Erst am 4ten ritten wir mit Fernando Peñalverd und Juliac (der mich fürchterlich mit Instrumenten und Fragen peinigte) nach Guacara, um unsere Freunde, die Familie des Marqués del Toro noch einmal zu sehen und die astron[omische] Arbeit an der Lagune zu vollenden. Dort unbeschreibliche Hitze und wegen vielen Kaffeegenusses und liqueur etwas krank bis 6ten”, in: Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 214. 83 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 290. 84 Ebd., S. 254. 85 Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 41-63, hier S. 53. 86 Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela ..., S. 311- 389, hier S. 340-348, hier S. 343.
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Nach und nach setze sich bei den Kariben auch der Begriff des poito (Kriegsgefangener; Sklave) durch, vor allem seit sie Spaniern, Niederländern oder Engländern Kriegsgefangene gegen Eisen- und Feuerwaffen verkaufen konnten – oder seit sie fremde Männer wegen der vielen Kriege mit Vernichtungscharakter in der Kolonialzeit (die Kariben hatten traditionellerweise nur wenige Männer geopfert) über Heirat in Gruppe aufnehmen mussten. Deshalb bezeichnet das Wort poito sowohl Sklave wie auch Schwiegersohn. 87 Humboldt gibt eine sehr authentische Darstellung der poitos und der Sklavenjagd und des Sklavenhandels der Kariben im 18. Jahrhundert: „Denn selbst in Gegenden, wo [die] Cariben nicht ihre Herrschaft ausgebreitet [frontiers zwischen Indigenen-Stämmen – MZ] … streifen doch Cariben in Horden von 12-15 stämmigen Männern [Razzienkriegstrupps – MZ] vor 1750 umher, aller Wege kundig und die dort so still und herrenlos lebenden Waldindianer beunruhigend, besonders Knaben raubend, welche sie am Guainía und Mao den Portugiesen als Poitos verhandelten. Ebenso raubten sie (ja im öst[lichen] Theile in den Sabanas am Quimiropaca treiben sie noch Sklavenhandel mit [den] Portugiesen) Baumwollene Zeuge, Hamacas, Gifte in Parime und handeln damit“.88 Am Río Negro hält Humboldt fest: „der Río Negro diente den Portugiesen damals bloß zum Sklavenhandel. Damals [zur Zeit von La Condamines Amazonasreise 1743-1745, gilt aber mit Sicherheit auch danach – MZ] … waren [die] Cariven Meister der Orinoco, sie streiften von Berbice und Essequibo durch Caroní und Paraguamuci nach R[ío] de Aguas Blancas, wie durch Caura nach Ventuari und Esmeralda; sie reizten kleine Ind[ianische] Fürsten zu Kriegen, kauften mit Waren (Messern, machete, Angelhaken), die sie von Holländern und Portugiesen empfingen, von diesen Fürsten die Sklaven und lieferten sie an Holl[änder] und Portugiesen“.89 Auch andere Stämme betrieben Razziensklaverei, wie Humboldt ebenfalls erwähnt: „Sklaven. Noch bis 1756 waren [die] Cariben die Handelsleute, [die] Armenier dieses Continents. Niemand traute sich solche Reisen, und da sie alles bezwungen, so reisten sie sicher, da niemand sie anzugreifen wagte. Ihr Hauptgewerbe war, von [den] Holländern angereizt, [der] Sklavenhandel. Sie fingen selbst ein, und andere Nazionen am Ventuari und Padamo halfen ihnen … [Die] Portugiesen trieben, durch Temi und Cababuri endringend ebenfalls Sklavenhandel“.90 Zur Politik der KaribenAcosta Saignes, Miguel, „Macos e Itotos“, in: Acosta Saignes, Estudios de etnología antigua de Venezuela, La Habana: Casa de las Américas, 1983, S. 89-114. 88 Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, S. S. 311- 389, hier S. 344; siehe auch: Gilij, Felipe Salvador, “De los esclavos llamados poitos (Capítulo XXXII)”, in: Gilij, Ensayo de Historia Americana. Traducción de Tovar, Antonio, 3 Bde., Caracas: Fuentes para la Historia Colonial de Venezuela, Italgráfica, 1965 [1782] (Biblioteca de la Academia Nacional de la Historia, 71-73), Bd. II, S. 287-290. 89 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 306. 90 Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem 87
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„Völkerschaften“ sagt Humboldt: „Ihre Politik ist sehr fein, besonders in ihrer Freundschaft mit den [den] indianischen Sklavenhandel begünstigenden Portugiesen und ihrer Verbrüderung mit den freien Negern [maroons/ cimarrones – MZ], welche einen Freistaat im Gebirge von Essequibo bilden und östlich von den Cariben wohnen. Von diesen Negern erhalten die Cariben bisweilen Schießgewehr, auch, obgleich selten, mischen sie sich mit ihnen … Die freien Neger schmeicheln den Cariben, weil sie ihnen westl[ich] als Vormauer gegen die Spanier dienen“.91 Ein klassischer indigener Subimperialismus der Kolonialzeit. Es gab auch, wie in jedem „Sklaven-Produktions“-Gebiet dieser Welt, eine lingua franca des Menschenhandels: Caribe; Humboldt merkt dazu an: „Allgemeine Sprachen[:] Caribe fast [in der] ganzen Orinocowelt, bes[onders] bajo Orinoco, Essequibo, Savana del Parime“.92 Humboldt hält auch ziemlich richtig die Sklaverei unter Missions-Indígenas fest: „[Die] Indianer … sehr begierig, Menschen zu fangen, um Sklaven zu haben; denn der Indianer, der einfängt, behält meist den Gefangenen, der ihm einige Jahre lang dient, bis der Padre erklärt, er sei humanisirt genug, um selbst [eine] Wirtschaft zu führen. Alles will mitziehen [zur entrada – MZ], selbst Weiber, theils aus Reiselust und weil Weiber besonders solche Sklaven wünschen [als Hauspersonal und für „niedere“ Arbeiten (Asche, Abfälle entfernen, Wasser und Abwässer tragen, Wunden versorgen, heizen, Kleinvieh hüten, etc.) – MZ]. Man sucht besonders Knaben zu fangen, dann dauert [der] Dienst lange“.93 Die von europäischen Conquistadoren, Siedlern, Kolonisten und vor allem von Missionaren betriebenen Sklavenrazzien/ Menschenjagden hießen entradas oder jornadas. Es gab sie seit der frühen Conquista; entrada (verbatim: „Eintritt“) spiegelt im Wort den Enklavencharakter der europäischen Kolonisation wider. Der „Eintritt“ erfolgt in das noch nicht eroberte bzw. kolonisierte Gebiet; meist von der Küste Richtung innere Gebiete des südamerikanischen Kontinents (Interior). Allerdings soll man sich nicht eine Linie oder irgendetwas klar Definiertes vorstellen, durch oder über das der jeweilige „Eintritt“ erfolgt – es handelt sich, wie bereits mehrfach gesagt, um frontier-Zonen (mit dem ebenfalls bereits erwähnten captive-Phänomen, übrigens beider Seiten; „weiße“ captives bei Indigenen werden von Humboldt kaum erwähnt94). Im Grunde waren alle iberischen Kolonien in den AtlantikOrinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, S. 311- 389, hier S. 332. 91 Ebd., S. 344. 92 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 308, Anm.***. 93 Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, S. 311- 389, hier S. 311. 94 Siehe (im Wesentlichen für Nordamerika, aber cum grano salis als allgemeine Phänomene): Reséndez, „Powerful Nomads“, in: Reséndez, The Other Slavery …, S. 172-195 sowie: Reséndez, „Missions, Presidios, and Slaves“, in: Ebd., S. 196-217 und: Reséndez, „The Comanches in Mexico“, in: Ebd., S. 218-230.
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Amerikas und der Karibik durch entradas „entdeckt“ (auch beschrieben und manchmal kartographiert) worden, vor allem natürlich die Interiors der großen Kolonialterritorien (meist erst im Laufe des 18. Jahrhunderts - wie Teile Kolumbiens, Venezuela, die Guayanas, Brasilien und Teile des Río de la Plata). Zugleich waren es fast immer Sklavenrazzien. Humboldt kritisierte noch 1800 die von den Missionen ausgehenden Razzien (jornadas, entradas) zum Zwecke des Sklavenfangs: „Eine schändliche Sache, obgleich selten jezt [sic], doch Schande des Jahrhunderts sind die Jornadas [jornada = entrada - M.Z.] der Missionäre. Ein Mönch bietet, um sein Dorf zu vergrößern oder neue anzulegen, alle Mannschaft in der Nähe auf, ihm bewaffnet gegen die Indios bravos zu folgen. Indianer (schon bekehrte) und die Spanier, alle müssen im Namen der Religion folgen. Tenientes müssen Padre Beistand leisten, zur Jornada zwingen. Man überfällt unschuldige Indianer, sie retten sich meist nur durch Flucht, man sezt ihnen nach, tötet alles, was sich widersezt, oft ein [einige] 50-60 Männer und Weiber, raubt Kinder und schlept alt und jung, oft ein 200-300 triumphierend in das Dorf. Es gibt um Calabozo, Tisnao, Nutrias Gesindel, besonders Zamben, welches mehrere solcher schändlicher Giornadas mitgemacht und sich öffentlich rühmt, 5-6 Indianer erlegt zu haben“.95 Insofern glich Venezuela Brasilien mit seinen mestizischen SklavenjägernEntdeckern (bandeirantes, paulistas) und anderen Indiofängertrupps. In Esmeralda, dem südlichen Endpunkt seiner Orinoko-Flussreise im Mai 1800 hält Humboldt folgende Beobachtung in seinem Tagebuch fest: „Der Commendant des R[ío] Negro machte entrada ohne Erlaubniß des Governadors, Vorwand, um Yndier zu holen, und da er so wenige brachte, sagte er, er sei gewesen [er habe es gemacht], um geograph[ische] Entdekkungen zu machen! Wahrer Zwek, Neger zu Sklaven zu machen, welche (Holländer [96]) an Parime unter Indios
Humboldt, „Missionen“, in: Humboldt, Vorabend..., S. 160-162, hier S. 161 (Dokument Nr. 92). Erstaunlicherweise ist dieser Tagebuchauszug nicht an den entsprechenden Stellen der „Reise durch Venezuela“ widergegeben, siehe: Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier müsste er auf S. 268-270 zu finden sein. Insgesamt wurde mit der Razziensklaverei die „Chronik der angekündigten Gewalt“ (Miquel Izard) geschrieben, die im Sozialkrieg der Independenciazeit kulminierte und den Begriff sowie die Anwendung von nichtstaatlicher Gewalt im 19. Jahrhundert prägte; siehe: Riekenberg, Michael, „Kriegerische Gewaltakteure in Lateinamerika im frühen 19. Jahrhundert“, in: Sieferle, Rolf Peter; Breuninger, Helga (eds.), Kulturen der Gewalt. Ritualisierung und Symbolisierung von Gewalt in der Geschichte, Frankfurt am Main: Campus, 1998, S. 195-214. Eduardo Arcila Farías hat nachgewiesen, daß der größte Teil des venezolanischen Territoriums durch solche jornadas und entradas (auch expediciones genannt), de facto religiös-militärischen Unternehmungen, erobert worden ist, siehe: La obra pía de Chuao 1568-1825, Salazar, Carlos u.a. (comp.), Caracas: Universidad Central de Venezuela, 1968, S. 30-35. 96 Von den Plantagen in Surinam, Essequibo, Demerara oder Berbice geflohene afrikanische Sklaven, siehe: Thompson, Alvin O. (ed.), In the Shadow of the Plantation. Caribbean History and Legacy, Kingston: Ian Randle Publishers, 2002; Thompson, Flight to Freedom. African Runaways and Maroons in the Americas, Kingston: University of the West Indian Press, 2006, siehe auch: Parrish, Susan Scott, “African Magi, Slave Poisoners, in: Parrish, American Curiosity. Cultures of Natural History in the Colonial British Atlantic World, Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2006, S. 259-306. 95
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Guaycás wohnen, und von denen er gehört. Indianer thaten Widerstand, ein Spanier mit Curare verwundet; Rache und schändlich und unnütz unter Indianern gemetzelt“.97 Zum Panorama der Sklavereien und ihrer Kontexte gehören auch die Maroon/ Cimarrón-Siedlungen (in Venezuela meist rochelas) sowie etwas, dass wir „SeminolenPhänomen“ nennen können. Humboldts beschreibt sie folgendermaßen: „In Caura nemlich hat man eine sehr hüpsche Negercolonie angelegt, die dort als frei Menschen ungeheuer viel Mays bauen, Neger, welche aus Surinam und Essequibo [niederländische bzw. zeitweilig britische Kolonien98 – MZ] entfliehen und theils zur See, theils durch [den] Río Cuyuní nach Guayana gelangen und sich dort kaufen lassen“.99 Zum Phänomen der Ansiedlung geflohener Versklavter aus Afrika unter Indigenen: „Maquiritares, so weit von Europäischen Kolonien entfernt, beweisen, daß nicht … die Guaharibos und Macos durch Vermischung mit entlaufenen Holländern gebleicht sind, weil man Neger unter ihnen finde“.100 Humboldt kommt mehrfach auf die „freien Neger“ zurück, „welche einen Freistaat im Gebirge von Essequibo bilden“.101 Humboldt erwähnt auch den „Palenke im gebirgigten Surinam“102 und Gerüchte über „halb schwarze Zamben“103 an den Quellen des Orinoco, d.h., ein südamerikanisches Seminolen-Phänomen.104 Auf der Rückreise auf dem Orinoco erwähnt Humboldt Sklavereiformen nur noch sporadisch (sie sind weiter oben meist schon zitiert), reflektiert aber sehr stark über das am Orinoco und anderen Flüssen Gesehene und Gehörte sowie seine und Bonplands Analysen Humboldt, Vorabend …, S. 150 (Dokument 78); siehe auch: Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 295 sowie (zu den von Humboldt immer wieder erwähnten guaharibos als frühe Yanomami, etwa S. 308): Ferguson, Brian, “Early Encounters”, in: Ferguson, Yanomami warfare. A political history, Santa Fe: School of American Research Press, 1995, S. 77-98. 98 Oest, Eric Willem van der, “The Forgotten Colonies of Essequibo and Demerara, 1700-1814”, in: Postma, Johannes Menne; Enthoven, Victor (eds.), Riches from Atlantic Commerce. Dutch Transatlantic Trade and Shipping, 1585-1817, Leiden; Boston: Brill, 2003 (The Atlantic World. Europe, Africa and the Americas, 15001830, Klooster, Wim; Schmidt, Benjamin, eds.; Vol. I), S. 323-361. 99 Humboldt, „Von San Fernando auf dem Río Apure, Río Orinoco, Río Negro, Río Casiquiare, Río Orinoco bis Esmeralda (30.3.-23.5. 1800)“, S. 236-310, hier S. 275, Anm.*. 100 Ebd., S. 308. 101 Humboldt, „Mexiko-Stadt (?)“, 12. April 1803-20. Januar 1804 [Textauszüge zu Kariben], in: Humboldt, Vorabend..., S. 239-243, hier S. 241 (Dokument Nr. 162). 102 Humboldt, „Lima (Peru)“, 23. Oktober 1803-24. Dezember 1802 [Textauszüge zum Tupac-Amaru-Aufstand], in: Humboldt, Vorabend..., S. 316-320, hier S. 316 (Dokument Nr. 239). 103 Humboldt, „Mexiko-Stadt (?)“, 12. April 1803-20. Januar 1804 [Textauszüge zu Kariben], S. 239-243, hier S. 241 (Dokument Nr. 162). 104 Obwohl Humboldt Gabriel Stedman nicht erwähnt bin ich fast sicher, dass er ihn gelesen hat; siehe: Price, Richard, „Maroons in Suriname and Guyane: How Many and Where“, in: New West Indian Guide / Nieuwe West Indische Gids vol. 76, no. 1 & 2 (2002), S. 81-88; Price, Richard; Price, Sally, “Introduction”, in: Stedman, John Gabriel, Narrative of a Five Years Expedition against the Revolted Negroes of Surinam. Transcribed for the First Time from the Original 1790 Manuscript, edited and with an introduction and notes by Richard Price and Sally Price, Baltimore & London: The Johns Hopkins University Press, 1988, S. XIII-XCVII; Price; Price, Stedman’s Surinam. Life in an Eighteen-Century Slave Society, Boston: Johns Hopkins University Press, 1992. 97
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(Kariben, ihre Herkunft, Anfänge der Rassenlehre am Beispiel der Kariben, über Geographie, Schmuggelwirtschaft (mit der interessanten Schätzung, dass allen offiziellen Schätzungen über Exporte ca. ¼ -1/5 für Schmuggel hinzuzufügen ist (S. 371f), Kannibalismus und über Krankheiten (wie „venerische Geschwüre“ (Syphilis), Pocken und Geldfieber, zusammen mit den entsprechenden Miasmentheorien).105 Mitte 1800 gelangten Humboldt und Bonpland über die äußeren OrinocomündungsSicherungspositionen des spanischen Imperiums im Norden Südamerikas (Angostura und Santo Tomé de Guayana) über die llanos orientales nach Nueva Barcelona westlich von Cumaná. Bei Nueva Barcelona durchbrechen Flusstäler der Unare-Senke die KüstenKordilleren. Llano-Vieh und Menschen aus Sklavenrazzien konnten dort bis direkt zur Karibikküste getrieben werden (Puerto San Cristóbal de los Cumanagotos, Puerto Piritú am Río Unare). An und auf dem karibischen Meer erwähnt Humboldt eine weitere Sklavereiform nur sehr vermittelt in Bezug auf sich und Bonpland – Menschenraub und Razziensklaverei bei Korsaren. Man könnte von dieser Form der Razziensklaverei, da es sich meist um Piraterie/ Korsarentum als Privatunternehmen von Kapitänen (vor allem aus britischen Gebieten und aus den USA) handelte, auch von Kapitänssklaverei sprechen: „Auf der Rückreise von Barcelona nach Cumaná nahm uns ein Corsar von Halifax gefangen“.106 Der Kapitän war interessiert an Wissen, Expeditionen und Wissenschaft, so wurden beide nach einem Tag frei gelassen. Das Fazit der eineinhalb Jahre Aufenthalt Tierra firme in der Generalkapitanie Caracas/ Venezuela (16. Juli 1799-24. November 1800; Provinzen Cumaná oder Nueva Andalucia, Provinz Caracas, Provinz Barinas, Provinz Guayana, Provinz Barinas und nochmals Provinz Cumaná) lautet in Bezug auf Sklavereiformen, Menschenjagd/ Sklavenhandel und Razziensklavereien sowie Entwicklung der „modernen“ Second Slavery in Venezuela: Humboldt konnte sich, als er Ende 1800 auf Kuba ankam, mit einigem Recht als einen erfahrenen Sklaverei-Anthropologen und -Soziologen, in gewisser Weise auch als Sklaverei-Historiker betrachten. Diese Aussage ist in Bezug auf unser Oberthema „Humboldt Humboldt, „Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, S. 311- 389, hier S. 365f. 106 Humboldt, „Von Nueva Barcelona nach Havanna (24.11.-19.12.1800“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 391-422, hier S. 392. Korsarentum an sich ist in diesem Kapitel recht ausführlich dargestellt; siehe auch: Retzlaff, Carolin, „Freiheit als verhandelbares Gut - die juridische Argumentation für Freiheit“, in: Retzlaff, „Wont the law give me my freedom?“ Sklaverei vor Gericht (1750–1800), Paderborn: Schöningh, 2014, S. 80144. In dem Buch wird an einigen Fällen, die nur eine sehr kleine Spitze des Eisbergs darstellen, gezeigt, wie schwierig es für von Korsaren und Kapitänen geraubten oder betrogenen farbigen Menschen war, aus dieser Razziensklaverei wieder zu entkommen. 105
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und die Sklaverei“ neu. Erstens, weil noch niemand, auch ich nicht, die Entwicklung der Sklaverei von Menschen aus Afrika in Venezuela (vor allem die in den Plantagen-Plattformen bei Cumaná, aber besonders in den Tälern von Aragua und Tuy/ Barlovento sowie um den Valencia-See bis Puerto Cabello) als Dimension der Entwicklung der Second Slavery dargestellt hat, d.h., als „moderne“ Sklaverei ihrer Zeit. Das Sklaverei-Thema in Bezug auf Humboldt ist (bisher) fokussiert auf Kuba und Humboldts Essay über die Insel Cuba. Zweitens, weil die Geschichtsschreibung Venezuelas von Narrativen der Unabhängigkeitsrevolution (independencia) dominiert wird, die in ihrer historischen Realität entgegen den Wünschen, Hoffnungen und politischen Zielen der Oligarchien („weiße Republik“, siehe oben), aber zum Abbruch der Entwicklung der Second Slavery (nicht der Sklaverei überhaupt – Abolition erst 1854) in Venezuela führte. Erstaunlicherweise erwähnt Humboldt zwar immer mal wieder Sklavenwiderstand, aber nicht die etwa parallel zur Amerikareise ablaufende Sklavenrevolution auf SaintDomingue/ Haiti (1791-1803). Es gibt zwei Ausnahmen: eine Ausnahme gibt es dort, wo Humboldt die Versuche schildert, die Sklaveneinfuhr, d.h., vor allem den karibischen Schmuggel von frisch aus Afrika zunächst in englische, französische und niederländische verschleppten Menschen (bozales) nach Venezuela einzudämmen. Humboldt erwähnt die „revolution in S[an] Domingo“.107 Die zweite Ausnahme stellt der kurze und enigmatische Verweis (bei Cariaco im Hinterland von Cumaná) auf die „(Neger Revolution)“108 anlässlich der Hinrichtung eines „Armen Sünder[s]“109 dar. Michel-Rolph Trouillot hat in Bezug auf dieses Schweigen die Formulierung von der „undenkbaren Geschichte“110 geprägt – ich würde eher von „unschreibbarer Revolution“ sprechen.
E) Cuba grande I. Erster Kuba-Aufenthalt (19. Dezember 1800-15. März 1801) Humboldt und Bonpland erreichten Havanna, aus Venezuelas kommend, via Fahrt entlang der Südküste Kubas, um das westliche Cabo San Antonio („Cap S[an] Antonio“) herum. Beide Reisende verbrachten die meiste Zeit in der Kolonialmetropole und genossen Humboldt, „Aufenthalt in Caracas (22. 11. 1799-7. 2. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 173-184, hier S. 173. 108 Humboldt, „Cumaná, Nachtrag“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 432-433, hier. S. 433. 109 Ebd. 110 Trouillot, Michel-Rolph, „An Unthinkable History: The Haitian Revolution as a Non-Event“, in: Trouillot, Silencing the Past: Power and the Production of History, Boston: Beacon Press, 1995, S. 70-107. 107
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nach der langen Zeit an den Peripherien Spanisch-Amerikas das gesellschaftliche Leben in Havanna.111 Sie wohnten im Haus der Cuesta Manzanal (heute an der plaza vieja), einer, zu dieser Zeit vielleicht der wichtigsten, spanischen Sklavenhändler-, Kaufleute- und Bankiersfamilie Kubas.112 Der wichtigste Kontakt der Reisenden in Bezug auf Sklaverei, Wissen und Wissenschaft waren, neben spanischen Fachwissenschaftlern, in real time vor allem Francisco de Arango y Parreño und – vielleicht noch wichtiger in Bezug auf Daten (die sicherlich auch erst nach 1804) – Antonio del Valle Hernández.113 In Bezug auf direkte Beobachtungen in den Tagebuch-Notizen wissen wir über diesen ersten Kuba-Aufenthalt nur etwas über die Ankunft in Havanna114 und über die Abreise, die Passage über Land nach Batabanó, die Südküsten Kubas zwischen Batabanó und Trinidad sowie - recht wenig - über Trinidad selbst und die Südküste des país de la cuatro villas (Humboldt: „alle 4 pueblos, Trinidad, Villa [Santa] Clara, El [Puerto] Principe und S[ancti] Spiritu“115). Trinidad war immerhin eine Zucker-Plantagenplattform sozusagen eigenen Rechts; eine Wirtschaftsleistung der lokalen Eliten der Stadt, die nicht wie Havanna ein imperiales Zentrum war (*Ill. Karte „Humboldt auf Kuba“). Das Hinterland von Trinidad bildete eine weitere Enklave der frühen Zuckerproduktion mit Massensklaverei des 18. Jahrhunderts und des frühen 19. Jahrhunderts.116 Die Plantagenzone war seit ca. 1720 Trinidad als ein riesiges Dreieck zwischen Guamuhaya-Gebirge (Humboldt nennt das Gebirge „Cerro S[an] Juan“117), den Alturas de Sancti Spíritus sowie der Karibikküste in Mittelkuba Zeuske, “Alexander von Humboldt in Cuba, 1800/01 and 1804: traces of an enigma”, in: Studies in Travel Writing Vol. 15, No. 4 (December 2011), S. 347-358. 112 Zeuske, “Humboldt en Cuba, 1800/1801 y 1804 - Huellas de un enigma“, in: http://www.unipotsdam.de/u/romanistik/humboldt/hin/hin20/zeuske.htm (26. April 2010); zum Sklavenhandel siehe auch: Johnson, M. Sherry, “The Rise and Fall of Creole Participation in the Cuban Slave Trade, 1789-1796“, in: Cuban Studies 30 (1999), S. 52-75. 113 Kuethe, Allan J., Cuba, 1753-1815. Crown, Military, and Society, Knoxville: The University of Texas Press, 1986; González-Ripoll Navarro, María Dolores, “La oligarquía criolla y peninsular: hombres y mujeres del azúcar [Creole and peninsular oligarchy: sugar men and women] ”, in: González-Ripoll Navarro, Cuba, la isla de los ensayos. Cultura y sociedad (1790-1815), Madrid: CSIC, 1999 (Colección Tierra Nueva e Cielo Nuevo; 38), S. 127-138 (die Liste S. 135-137); González-Ripoll Navarro, “La minoría dominante: redes familiares, poder y política”, in: Ebd., S. 123-153; Pérez de la Riva, Juan, “Antonio del Valle Hernández, ¿El primer demógrafo cubano?”, in: Valle Hernández, Antonio del, Sucinta noticia de la situación presente de esta colonia. 1800. Chávez Álvarez, Ernesto (ed.), La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 1977, S. 3-40; siehe auch (eher in Bezug auf den Elitecharakter der Sklaverei-Oligarchie): Goncalvès, Dominique, “La noblesse de la municipalité havanaise (1763-1838)”, in: Pellistrandi, Benoît coord.), Couronne espagnole et magistratures citadines à l’époque moderne (= Dossier in: Mélanges de la Casa de Velázquez. Nouvelle série, 34,2 (2004)), S. 185-205 ; Goncalvès, “Une élite sucrière”, in: Goncalvès, Le Planteur et le Roi. L’aristocratie havanaise et la couronne d’Espagne (1763-1838). Préface de Michel Bertrand, Madrid : Casa de Velázquez, 2008, S. 51-91. Humboldt erwähnt die 114 Humboldt, „Von Nueva Barcelona nach Havanna (24.11.-19.12.1800“, S. 391-422 115 Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 41-63, hier S. 45. Bei den „4 villas“ ist statt Remedios (richtig), Puerto del Príncipe (heute Camagüey – falsch) genannt. 116 Adelman, 117 Ebd., S. 44. 111
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entstanden. Im Hinterland von Trinidad (Valle del Río Agabama, Río del Ay, die zusammen den Río Manatí bilden) entstand eine moderne Agrarregion, vor allem mit Korsaren- und Schmuggelkapital (Vieh, Häute, Tabak und Edelhölzer).118 Ob es sich bei dem von Humboldt bei der Ankunft in Trinidad im Gespräche erwähnten „D[o]n Franc[is]co Bermudez, der mit uns in Cumaná wohnte“119 nicht eigentlich um José Francisco Bermúdez de Castro y Figuera de Cáceres (1780 oder 1782 in Cariaco oder Cumaná-1831 ermordet in Cumaná; General und zeitweilig Adjutant Bolívars120) und um den verdeckten Hinweis auf Schmuggel mit Versklavten aus Afrika handelt, muss noch geklärt werden, ist aber sehr gut möglich. Die geschmuggelten Menschen wurden von den Negreros meist als „Familie“ oder negrería bzw. negrada bezeichnet; Humboldt hält jedenfalls fest: „Bermudez, der … dann mit Juan Arango und der Negerfamilie über Trinidad nach Havanna ging […/] Bermudez mit dem Rest der Negrería … wurde … dicht vor Veracruz von den Engländern gefangengenommen, aber an Land gesetzt“.121 Wenn es wirklich illegaler Sklavenhandel ist, der hier beschrieben wird und ich gehe davon aus – hätte Bermúdez Menschenhandel zwischen Cumaná, Trinidad, Havanna und Veracruz betrieben, alles wichtige Sklaverei-Städte.122 Das passt in das oben erwähnte Bild, das Humboldt von der „Bolívar-Gruppe“ skizzierte. Über die Zuckerwirtschaft (mit Sklaven, die er an diesem Punkt nicht erwähnt) schreibt Humboldt: „Die Zuckerwirtschaft um Trinidad hat etwa zugenommen … aber die Tyrannei, welche die Havanna auf [den] Rest der Insel ausübt, hindert alle Industrie. Da [die] Regierung in Havanna thront, den Rest der Insel nie sieht, da das Consulado aus Hacendados und Kaufleuten besteht, deren Interesse es ist, daß nur der Handel der Havanna florire, so erlaubt man nicht, daß neutrale Schiffe [Schiffe von Mächten, die nicht mit Spanien im Kriege waren und ihre Neutralität erklärt hatten – MZ] hier einlaufen und laden, obgleich [die] kön[igliche] Erlaubnis alle, alle Häfen [Kubas] in sich begreift. Man giebt vor, die Einfuhr der Contrebande würde zu groß sein, eben als ob man nicht irgendwo mehr Contrebande von Providence und Jamaica machen könne, als die reichste Menschenklasse in 118
Venegas [Delgado], Hernán, Trinidad de Cuba. Corsarios, azúcar y revolución en el Caribe, La Habana: Centro de Investigación y Desarrollo de la Cultura Cubana Juan Marinello, 2005; Chaviano Pérez, Lizbeth Jhoanna, Trinidad, una historia económica basada en el azúcar, 1765-1848, Ph. Diss, Universidad Pompeu Fabra, Barcelona, 2013 (online: http://www.tdx.cat/bitstream/handle/10803/129810/tljch.pdf;jsessionid=D4400F973FE779FD990A17E989C136 68.tdx1?sequence=1 (11. Februar 2016)); Chaviano Pérez, Trinidad. Una historia económica basada en el azúcar [1754-1848], Barcelona: Ediciones Bellaterra, 2014. 119 Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), Bd. I, S. 41-63, hier S. 45. 120 Siehe: http://www.sologenealogia.com/gen/getperson.php?personID=I3741&tree=001#cite4 (19. Aug. 2016). 121 Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), Bd. I, S. 41-63, hier S. 45f. 122 García Díaz, Bernardo; Guerra Vilaboy, Sergio (coords.), La Habana/ Veracruz. Veracruz/ La Habana. Las dos orillas, México: Universidad Veracruzana; Universidad de la Habana, 2002.
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Havanna und Batabanó aus treibt; in der Havanna, wo man für Geld sich jegliche Art Expeditionspapiere schaffen kann, Zeugnisse, als habe man span[ische] Produkte geladen, als habe man Eisen und Sklaven; Papiere, die man von einem Schiff aufs andere überträgt … In Trinidad haben daher wegen Mangel der Abnahme Zucker [von Span.: azucares (Plural) – MZ] keinen Preis; sie häufen sich an, während daß der Hacendado in der Havanna seine Produkte schon früher bezahlt erhält als er sie einärndtet [die sogenannte refacción – Vorschuss von Kaufleuten/ Bänkern an Hacendados _ MZ]. Die Größe der Havanna ist schuld, daß [die] übrige Insel eine Wüste ist“.123 Humboldt war ein exzellenter Kenner von Wirtschaftsstrukturen und der daraus resultierenden politischen und sozialen Spannungen – auch wenn er das Ganze für „sehr unpolitisch“ hielt.124 Humboldts unmittelbares Interesse währen seines ersten Kuba-Aufenthaltes waren Messungen für eine neue Karte der Insel, nicht so sehr die Sklaverei auf Kuba, das Leben der Versklavten oder der Sklavenhandel nach Kuba (1789-1820 Freihandel), die er zudem, wie oben bereits gesagt, vor allem aus der Capitanía General de Venezuela zu kennen glaubte, auch in ihren unterschiedlichen Formen (inklusive der „modernen“ Ansätze der Second Slavery).125 Sklaven-Haciendas, Sklaverei und Versklavte kamen sozusagen durch die Hintertür der Messungen in Humboldts Blick- und Forschungsfeld; einfach deswegen, weil die Messpunkte eben auf oder an Reisewegen oder Übernachtungsplätzen lagen, die Humboldt und Bonpland wegen ihrer sozialen Kontakte zur Sklaverei-Oligarchie besuchten. Es handelte sich him Wesentlichen um Sklavenhaciendas vor allem im Innern des País de la Habana). Es scheint, als ob auf Humboldts Karte mit dem Titel “Mapa de la Isla de Cuba. Formada sobre las observaciones astronómicas de los Navegantes Españoles y del Baron de Humboldt, Paris: En la libreria de Jules Renourd, Calle de Tournon No. 6, 1827 [Map of the Island of Cuba. Elaborated from astronomic observations from Spanish Navigators, Paris: In Jules Renouard bookshop, 6, Tournon Street, 1827]” die wichtigsten Plantagen markiert und
Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), Bd. I, S. 41-63, hier S. 47. 124 Ebd., S. 48. 125 Die Ergebnisse dieser Messungen können in Humboldts “Reasoned Analysis of the Map of the Island of Cuba” bewundert werden; siehe in: Humboldt, Political Essay on the Island of Cuba. A Critical Edition, Kutzinski, Vera M.; Ette, Ottmar (eds.), Chicago/ London: The University of Chicago Press, 2011, S. 3-21, dort begleitet von Humboldts erster Karte des kubanischen Archipels (1820; noch sehr traditionel); die zweite und definitive Karte Humboldts (1826) findet sich: Ibid., zwischen S. 198 and S. 199 – vgl. Die Gestalt und die Position der Schweinebucht (Bahía de Cochinos/ Ensenada de Cochinos) sowie die von Cienfuegos (erst 1819 gegründet), an den Orten ist Humboldt auf dem Weg nach Trinidad vorbei gefahren. 123
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genannt sind. Unter den Haciendas, die beide auf jeden Fall gesehen haben, findet sich auf der Karte z.B.: “Hac[ienda]. Del Fondeadero” und “Rio Blanco [del Sur]” (*Ill. Karte).126 Von den ländlichen Sklaven-Haciendas, auf denen Humboldt mehrere Tage verbracht und in der Lage war, Zuckerproduktion auf Kuba durch eine große Anzahl von Sklavinnen und Sklaven sowie ihr Leben persönlich zu beobachten, war die wichtigste Plantage/ Hacienda der ingenio Río Blanco (auch: Río Blanco del Sur oder La Nueva Holanda) auf der Ebene von Güines (Humboldt: „im schönen Tal von Güines“127 – „un nouvel Dorado“128), die von den Jesuiten gegründete große Sklaven-Hacienda.129 Die Reisenden haben auf dieser Hacienda mehrfach übernachtet, wahrscheinlich in einer Art „Winterurlaub auf der Plantage“ zehn Tage (wie es für die Soziabilität der in Havanna oder Matanzas lebenden Plantagen- und Sklavenbesitzer, wie oben gesagt, üblich war) im Februar 1801 und erneut im Jahr 1804. Dies zeigt sich in den wiederholten Erwähnungen von Río Blanco und von ihrem Besitzer Joaquín [Beltrán] de Santa Cruz y Cárdenas, Graf von Mopox und Jarúco130, in allen Papieren von Humboldt. Humboldt und Bonpland verbrachten auch einige Zeit in San Antonio de los Baños und auf der bereits genannten Hacienda El Fondeadero, obwohl unklar bleibt, wie lange die Reisenden sich dort aufhielten. Humboldt selbst erwähnt einen Aufenthalt auf den Besitzungen des Marquis del Real Socorro (Antonio José Beitia y Castro), in Humboldts 126
Puig-Samper, Miguel Angel; Naranjo Orovio, Consuelo; García González, Alejandro (eds.), Ensayo Político sobre la Isla de Cuba de Alejandro de Humboldt [Political Essay about the island of Cuba by Alejandro de Humboldt], Madrid (Aranjuez): Ediciones Doce Calles/Valladolid: Junta de Castilla y León, 1998 (THEATRUM NATURÆ. Colección de Historia Natural, Serie: Textos Clásicos); Puig-Samper, Miguel Ángel, „Alejandro de Humboldt en el mundo hispánico: las polémicas abiertas“, in: Debate y perspectivas. Cuadernos de Historia y Ciencias Sociales, Madrid, No. 1 (Diciembre de 2000): Alejandro de Humboldt y el mundo hispánico. La Modernidad y la Independencia americana, coord. por Miguel Ángel Puig-Samper, S. 7-27; Venegas Fornias, Carlos, “La Habana y su región: Un proyecto de organización espacial de la plantación esclavista”, in: Revista de Indias Vol. LVI, núm. 207 (1996), S. 333-366. 127 Humboldt, Cuba-Werk, herausgegeben und kommentiert von Hanno Beck in Verbindung mit Wolf-Dieter Grün, Sabine Melzer-Grün, Detlev Haberland, Paulgünther Kautenburger, Eva Michels-Schwarz, Uwe Schwarz und Fabienne Orazie Vallino. Mit einer Karte am Schluß des Bandes (Alexander von Humboldt, Studienausgabe, Sieben Bände, hrsg. v. Hanno Beck, Bd. III), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, S. 8 (im Folgenden: Cuba-Werk). Siehe auch die z.Zt. beste Ausgabe des Kuba-Essays: „the beautiful Güines Valley“, in: Humboldt, Political Essay on the Island of Cuba. A Critical Edition …, S. 25. 128 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 10. 129 Zur Rolle der Jesuiten als Modernisierungs- und Sklavereiorden siehe: García Rodríguez, Mercedes, Misticismo y capitales. La Compañía de Jesús en la economía habanera del siglo XVIII, La Habana: Ed. de Ciencias Sociales, 2000; García Rodríguez, Entre Haciendas y Plantaciones. Orígenes de la manufactura azucarera en La Habana, La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 2007; Humboldt in Honda eine weitere “Cacao-Plantage der Jesuiten”, die “Hac[ienda] de la Aegyptiaca”, siehe: Humboldt, “Kapitel 2: Auf dem Río Magdalena. Flußfahrt auf dem Río Magdalena von Barranca Nueva bis Honda (19.4.-15.6. 1801)”, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena ..., Bd. 1, S. 65-84, hier S. 84. Auch an dieser Stelle klagt Humboldt: “Empörend erschein mir, wie der unmoralische Derieux [Louis [de] Rieux, der Eigentümer der Hacienda – MZ] (derselbe, den man revolutionärer Gesinnungen wegen jahrelang eingekerkert, derselbe, der damals von Sklavenfreiheit sprach, und so lange es ihm nützlich war, den franz[ösischen] Bürger spielte) die Neger der Aegyptiaca kaltblütig auf das Knie vor sich niederfallen ließ. Elendes Menschengesindel, die ihr in Europa die Philosophen spielt”: Ebd. 130 Cornide, María Teresa, “Los condes de Jaruco y de Mopox”, in: Cornide, De La Habana, de siglos y de familias, La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 2003, S. 114-119.
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Zeiten einer der großen Modernisierer der Zuckerproduktion mit Sklaven, die sich auf dem Weg zur Second Slavery befand. Humboldt besuchte nur zwei Städte auf Kuba, Havanna und Trinidad - und letztere für nur zwei Tage. Und er machte Reisen ins Innere – für seine Bekannten aus der Zuckeroligarchie Erholungsreisen; für ihn und Bonpland Mess- und Wissensreisen; eben „Wissen aus der Bewegung“ (Ottmar Ette). Humboldt beschreibt nach diesen Er-Fahrungen mit seiner enormen Fähigkeit, Landschaften zu beobachten, zu analysieren, zu beschreiben, zu ästhetisieren und sie unter Einbeziehung von Böden, Wasser, Luft, Klima, Strukturen, Pflanzen, Tieren und Menschen zu „Figuren des Wissens“131 zu machen, das Gebiet (die zwei Plantagenregionen oder -plattformen) des Zuckers, der Haciendas und der Massensklaverei: „die Insel Cuba oder vielmehr die 100 Quadratleguas, welche zwischen Havana, Matanzas und Batabanó, wie dicht um Trinidad ... mit Zuckerrohr bepflanzt sind“132. Es handelt sich um das weitere Umfeld Havannas (auch im Westen bis Bahía Honda und Mariel) und Matanzas‘, mit einem sich nach Süden verengenden Streifen Land entlang des Weges von Havanna nach Batabanó an der Südküste sowie um das Tal des Río Ay bei Trinidad (heute „Valle de los Ingenios“ genannt133). Schon Humboldt ist die relative Kompaktheit der ersten dieser Plantagenplattformen auf Kuba aufgefallen, die später, im Rahmen des Second SlaveryAnsatzes, als Cuba grande („großes Kuba“) bezeichnet werden wird (*Ill.: Karten „Großes Kuba“134). Cuba grande bedeutet die Landschafts- und Sozialformation der Exportproduktion mit Massensklaverei und Plantagen; das Gegenstück ist die Cuba pequeña („kleines Kuba“) der freien Bauerngüter, die weit kleiner sind als Plantagen und weniger profitabel, deren Produktion aber viel mehr Menschen und lokale Märkte versorgt. Nicht von ungefähr trägt das Standardwerk der kubanischen Historiografie von Manuel Moreno Fraginals den Titel El Ingenio.135 Sklavenmanufakturen der Zuckerwirtschaft oder Ingenios stellten den kapitalistischen und strukturellen Kern der Cuba grande im Kraft, Tobias, “Essai II: Essai politique sur l’ île de Cuba (1826)”, in: Kraft, Figuren des Wissens bei Alexander von Humboldt. Essai, Tableau und Atlas im amerikanischen Reisewerk, Berlin/ Boston: De Gruyter Mouton, 2014 (mimesis. Romanische Literaturen der Welt, ed. Ette, Ottmar; 59), S. 279-307. 132 Humboldt, „Kapitel 3: In Bogotá. Reise von Honda nach Bogotá (23.6.-8.7. 1801)“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 85-93, hier S. 87. 133 García Álvarez, Rolando, “De la villa al valle de los Ingenios”, in: García Álvarez, La Trinidad, embrujo del Nuevo Mundo, La Habana: Editorial Pablo de la Torriente, 1992. S. 1-7. 134 Zur räumlichen Entwicklung 1827, 1846 und 1862, siehe: „Principal sugar-producing regions, with share of national production“, in: Curry-Machado, Jonathan, Cuban Sugar Industry. Transnational Networks and Engineering Migrants in Mid-Nineteenth Centrury Cuba, New York: Palgrave Macmillan, 2011, S. 10; Karte “Cuba grande”, in: Zeuske, Kleine Geschichte Kubas, München: Beck, 42016 (überarbeitete und aktualisierte Auflage), S. 260. 135 Moreno Fraginals, El Ingenio. Complejo económico social cubano del azúcar, 3 Bde., La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 1978. 131
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Rahmen der Second Slavery dar. Mit ihnen erreichten die manufakturelle Zuckerindustrie (bis um 1830) und die industrielle Zuckerproduktion im Sklavereiregime (ab etwa 1840) die Perfektion. Esteban Pichardo definiert Ingenio folgendermassen: “Hacienda de campo de más terreno que el Cafetal y otras menores, destinada al cultivo de la Caña y elaboración de la azúcar. Es la clase de finca de más consideración por sus costos, productos, fábricas, número de brazos etc., por los ramos que abraza con establecimientos diversos, alambique, tejar, potrero, hospital o enfermería, capilla u oratorio en algunos, carpintería etc., un pequeño pueblo, de donde salen el azúcar, miel, aguardiente, obras de alfarería etc. Los Ingenios de órden inferior carecen de algunas de estas cosa y los mui reducidos que solo producen Melado y Raspadura, so nombran Trapiches; aunque este vocablo tambien se aplica a la máquina con que se muele la Caña. Véase Finca”.136 Die Besitzer nannten ihre Ingenios auch manchmal Haciendas oder Fincas – es waren aber Ingenios, die nicht mehr viel mit den traditionellen haciendas ganaderas (hatos) sowie den kolonial-feudalen Haciendas des kontinentalen Iberoamerikas (mit Ausnahme der oben beschriebenen Haciendas/ Plantagen in Venezuela) zu tun hatten. Während im kontinentalen Spanisch-Amerika und in den oligarchischen Republiken des zukünftigen Lateinamerika die großen Landbesitze (Haciendas, Hatos, Latifundios) bis weit in das 20. Jahrhundert ungetrennt (unsepariert und meist auch unvermessen sowie ohne Kataster) blieben, war eine Gruppe von Männern vor allem aus der Oligarchie von Havanna im 18. Jahrhundert und am Beginn des 19. Jahrhunderts so reich geworden, dass sie ihre Miterben in den oligarchischen Familien auszahlen und Teile der Haciendas durch Geodäten (Landvermesser) vermessen sowie separieren lassen und durch massive Investitionen in Ingenios umwandeln konnten.137 Grundlagen waren drei: juristische Sicherheit des Bodens (informelles oder formelles (ab 1819) kapitalistisches Eigentum), freier Zugang zur Atlantisierung und damit zum wichtigsten Anlage-Kapital, den versklavten Menschen, sowie Infrastrukturen, die Boden und Menschenkapital miteinander verbanden, sowie die Möglichkeit des Abtransportes der Produkte (Kaffee, Zucker, Kakao, Tabak, Baumwolle, Indigo) – d.h., Freihandel. Dazu kam das Wissen der Landvermesser. Der zeitgenössische Begriff, der diese Grundvoraussetzungen erfasste, war fomento (etwa: Ankurbelung, Unterstützung, Anlage). Es ist charakteristisch für den iberischen Kolonialismus mit informeller Macht lokaler Eliten, dass die Eliten in ihrem informellen
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Pichardo, Diccionario provincial casi razonado de vozes y frases cubanas , Habana: Imprenta La Antilla, 1862, S. 142f. 137 Balboa, Imilcy; Funes, Reinaldo, „La tierra en Cuba. Bibliografía básica, fuentes y perspectivas de estudio”, in: América Latina en la Historia Económica núm. 16 (julio-dic. 2001), S. 89-104 (unter: www.mora.edu.mx/revistas/Numero%2016/16-6-ImilcyBalboayReinaldoFunes.pdf. (29. Mai 2008)); siehe auch: García Rodríguez, Entre Haciendas y Plantaciones ..., passim.
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Agieren (Schmuggel, Sklavenschmuggel, Kauf, Verkauf und Separierung von Landstücken) diese Grundlagen schon lange vor den eigentlichen „bourbonischen Reformen“ (die für Kuba als ein langer Prozess, im Kern von 1763-1825, zu verstehen sind) zu händeln begannen. Vor allem dort, wo sie Zugang zur Atlantisierung – entweder via Freihandel mit menschlichen Körper (1789-1820), Schmuggel von Sklaven oder illegalen Menschenhandel über den Atlantik (hidden Atlantic) hatten (Häfen). Das industrielle Zentrum der modernen Ingenios bildete die Zuckerrohr-Mühle im Zentrum der Plantage (batey), oft noch traditionellerweise trapiche genannt. Die reichsten und erfolgreichsten Hacendados verwandten immer die neuesten Technologien im Mühlenkomplex ihrer Bateyes und die effizientesten Formen der Arbeitsorganisation an im Zusammenspiel zwischen Technik, Technologie und lebendiger Arbeit.138 Humboldt zitiert neben seinen Analysen der Demographie sowie der Landschaftsstrukturen auch das Wort von der „Humanität unserer Gesetzgebung“ in Bezug auf die Behandlung der Versklavten auf Kuba und bezeichnet dessen geistigen Vater „d’Arango“ (Francisco de Arango y Parreño) als „edel und würdig“139. Das ist Don Pancho wohl gewesen, vor allem war er sehr klug und sprach in Bezug auf die Notwendigkeit der Sklaverei für die kreolische Oberschicht Kubas meist unmissverständlich Klartext. Ansonsten besaß er eine Obsession für Zahlen und Zensus, die er allerdings meist als Herrschaftswissen ansah und nicht publizierte (und sogar Humboldt täuschte – siehe unten). Alexander Humboldt vollzog aus Sicht der in Europa entstehenden globalen ReformWissenschaften zwischen 1800 und 1826 eine „statistische Entdeckung“ der Insel in seinem Essay über Kuba, obwohl die lokalen Informationsquellen (Manuskripte von Antonio del Valle Hernández und Antonio López Gómez sowie Alejandro Ramírez, Dokumente und statistische Informationen, die aus Kuba 1814 an die Cortes von Cádiz geschickt worden waren sowie die Resultate des Zensus von 1817 für die Jurisdicción de La Habana, die 1822 im Guía de Forasteros publiziert worden waren) die er benutzte, zu diesem Zeitpunkt schon veraltet waren.140 Besonders wichtig war Humboldt die neue „Verortung der Orte“ auf Kuba Cabrera Salcedo, Lizette, „Labat y la tecnología azucarera, siglos XVII y XVIII“, in: Caribbean Studies Vol. 34, No. 1 (January-June 2006), S. 241-259; Curry-Machado, Cuban Sugar Industry …, passim; siehe auch: Rood, Daniel, „Plantation Laboratories. Industrial Experiments in the Cuban Sugar Mill, 1830–1860“, in: Tomich (ed. and introd.); New Frontiers of Slavery, Albany: State University of New York Press, 2015, S. 157184. 139 Cuba-Werk, S. 164; siehe auch: Tomich, “The Wealth of the Empire: Francisco de Arango y Parreño, Political Economy, and the Second Slavery in Cuba“, in: Comparative Studies in Sociology and History, No. 1 (2003), S. 4-28. 140 Zu allen Materialien, Handschriften und Dokumenten (u.a. eine Handabschrift der „Sucinta noticia“ von Antonio del Valle Hernández) in der Biblioteka Jagiellońska Kraków, Oddział Rękopisów, Al. v. Humboldt 138
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in der angehängten Karte (und Kubas selbst). Wissen, wo sich etwas im Raum befindet und um wieviel Menschen es sich handelt (und warum), sind Grundlagen jeder wissenschaftlichen Politik und jedes Herrschaftswissens (Gouvernamentalität). Humboldt tat in Bezug auf die Behandlung der Sklavinnen und Sklaven zunächst nichts weiter, als einen zu dieser Zeit weitverbreiteten Entschuldigungstopos der kreolischen Oligarchien geschickt aufzunehmen, der allerdings auf dem procedere der sog. „patriarchalischen Sklaverei“ beruhte und mit den Realitäten der ruralen Massensklaverei nichts mehr zu tun hatte („In keinem Teil der Welt, wo Sklaverei angetroffen wird, sind die Freilassungen so häufig wie auf der Insel Cuba.“).141 Diese Rede hatte er in seinen Gesprächen „an Ort und Stelle“ mit den Spitzen der lokalen Elite immer wieder gehört. Seine Kritik bringt er trotzdem ebenso unmissverständlich an: „Der Weisheit und Milde dieser spanischen Gesetzgebung ungeachtet bleibt der Sklave in der Einsamkeit einer Pflanzung oder eines Pachthofes den größten Mißhandlungen preisgegeben, wenn auf demselben ein roher capataz [142], mit einem Buschmesser (machete) und einer Geißel, unbeschränkte Gewalt und Herrschaft übt! Gesetzlich ist weder eine Grenze für die Bestrafung des Sklaven noch die Dauer seiner Arbeitszeit bestimmt; ebenso wenig finden sich die Beschaffenheit und Menge der ihm zu gewährenden Nahrungsmittel vorgeschrieben **“.143
Nachlaß 3, siehe: Zeuske, “Arango y Humboldt/Humboldt y Arango. Ensayos científicos sobre la esclavitud”, S. 245-260; siehe auch: Zeuske, “‘Geschichtsschreiber von Amerika‘ (II): Quellen von Humboldts Essai politique über Kuba” (unpubliziertes Manuskript); Nadal, Francisco, „Ingenieros militares, geógrafos y rebeldes en la organización territorial de Cuba (1824-1899)”, in: España y Cuba en el siglo XIX, Madrid: Ministerio de Trabajo y Cultura, 1988 (=Estudios de Historia Social 44-47 (Enero-Diciembre de 1988)), S. 183-189; siehe auch: Archivo General de Indias, Sevilla, Santo Domingo, Leg 1157, 1763-1848: “Materias gubernativas: Cuba”: “Expediente instruido por el Consulado de la Habana, sobre los medios que convenga proponer para sacar la agricultura y comercio de esta Isla del apuro en que se hallan, Habana: Oficina del Gobierno y Capitania General, 1808” [Druck] (dahinter handschriftliches Original von Arango oder del Valle Hernández). 141 Cuba-Werk, S. 77f., 163-165; heute ist klar, dass die Sklaverei im Zucker die höchsten Todesraten unter Versklavten nach sich zog: Tadman, Michael, “The Demographic Coast of Sugar: Debates on Slave Societies and Natural Increase in the Americas“, in: American Historical Review Vol. 105, Number 5 (Dec. 2000), S. 15341575. 142 Im Cuba-Werk werden diese wichtigen Begriffe nicht übersetzt bzw. erläutert, zur Funktion des capataz oder contramayoral, das heißt, die direkten Aufseher und Antreiber der Sklaven-„Gangs“ bei der Feldarbeit (die immer Sklaven waren), siehe: García Rodríguez, Gloria, La esclavitud desde la esclavitud. La visión de los siervos, México: Centro de Investigación Científica „Ing. Jorge Y. Tamayo“, 1996, S. 7-57, hier S. 30-34. 143 Die Anmerkungen Humboldts sind im „Cuba-Werk“ mit Sternchen gekennzeichnet (*). Die Anmerkung ** im Cuba-Werk ..., S. 163 nimmt Bezug auf „Eine königliche Verordnung vom 31. Mai 1789“, die versucht hatte, all dies zu regeln. Sie ist, wie Humboldt schreibt „niemals vollzogen worden“. Ibid. Dabei handelt es sich um die „Real Instrucción de Su Magestad sobre Educación, Trato y Ocupaciones de los Esclavos [...] (bekannt als „Código Negro Español“, 1789), in: “R. Instrucción sobre educación, trato y ocupación de los esclavos”, Aranjuez, 31 de mayo de 1789”, in: Konetzke, Richard, Colección de documentos para la historia de la formación social de Hispanoamérica, 3 Bde./5 Teilbde., (Madrid 1959/62, III/2, S. 643-652 (Dok. Nr. 308); Lucena Salmoral, Manuel, „El original de la R.C. circular sobre la educación, trato y ocupaciones de los esclavos en todos los dominios de Indias e islas Filipinas”, in: Estudios de Historia Social y Económica de América, Nr. 13 (1995), Alcalá de Henares, S. 311-317. Diese Instrucción hatte die Krone etwa zeitgleich zur Entmonopolisierung des Sklavenhandels (1789) verfügt, übrigens unter tatkräftiger Pression von Arango. Sinn
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Humboldt erwähnt am Schluss der Überfahrt von Kuba nach Cartagena, auf der Insel Barú (im heutigen Kolumbien, heute Ausflugsstrand von Cartagena), auch eine spezielle Form des Sklaven-Widerstandes (cimarronaje marítima) und die Reaktionen darauf: „Wir sahen einen Neger aus dem Gebüsch hervortreten. Näher betrachtet sahen wir in ihm einen feisten [körperlich gut gebauten – MZ] jungen Neger, ganz, ganz nackt, Schultern, Gürtel und Füße mit Ketten beladen, einen Köcher mit Pfeilen auf der Schulter und ein machete (Messer) in der Hand … Es war eine Bande entlaufener Negersklaven, cimarrones, welche Liebe zur Freiheit und gerechter Haß der Weißen zu allem fähig macht […] Welch kannibalische Lust hatten alle Matrosen, selbst der Koch, ein französ[ischer] Neger, die Unglücklichen einzufangen oder ihnen wenigsten ein Dutzend Kugeln in den Leib zu jagen. Man schätzte, wieviel ein solcher Neger im Verkauf werth sei“.144
F) Die Reise durch das kontinentale Spanisch-Amerika
Auf der Reise von Cartagena de Indias durch das kontinentale Spanisch-Amerika (Vizekönigreiche Neu-Granada und Perú) sah Humboldt vor allem Sklaverei- und Zwangsarbeitsformen von Indigenen.145 Sie stehen hier nicht im Fokus. Haussklaverei, urbane Sklavereien und Sklavenhandel von Verschleppten aus Afrika, die es auf der Route in den meisten Städte Spanisch-Amerikas gab, sind von Humboldt nicht oder kaum reflektiert worden, mit Ausnahme des offensichtlichen Sklavenhandels in und durch Antioquia (heute: Medellín) in Neugranada (siehe unten).146 Die Reiseroute Humboldts von Cartagena nach El Callao/ Lima war auch eine wichtige Sklavenhandelsroute (auch die von Buenos Aires nach Oberperu (heute Bolivien), z.T. über Chile), auch wenn die negreros (Sklavenhändler) den beider Veranstaltungen war es, die Massensklaverei zu fördern, aber sie gleichzeitig einheitlichen, zentral gesetzten Regeln im Sinne langfristiger Stabilität (der Sklaverei) zu unterwerfen. Die Hacendados lehnten dieses Eingriff in den Rechtsraum Plantage vehement ab, siehe den Protest der Hacendados von Havannna: Marrero, Leví, Cuba: economía y sociedad, 15 Bde., Madrid: Editorial Playor, S.A., 1972-1992 (im Folg.: Marrero, Cuba), Bd. IX (Azúcar, Ilustración y Conciencia (1763-1868) (II), Madrid: Editorial Playor, S.A., 1975, S. 220225. Zum Protest der Nobilität von Caracas gegen den Código (und die wichtigsten Argumente) siehe: Quintero, „Los nobles de Caracas y la Independencia de Venezuela“, S. 209-232, vor allem S. 215f. 144 Humboldt, „Kapitel 1: Von Cuba nach Cartagena. Überfahrt von Cuba nach Cartagena (9.-30.3. 1801), in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 41-63, hier S. 55. 145 Escobar Ohmstede, Antonio, „Instituciones y trabajo indígena en la América española“, in: Revista Mundos do Trabalho Vol. 6, n. 12 (julho-dezembro de 2014), S. 27-53; Reséndez, Andrés, “An Empire of Slaves”, in: Reséndez, The Other Slavery …, S. 131-135; eine Mischform stellte wohl der Chocó dar, wo Humboldt auch “Indianer als Sklaven” erwähnt, die zum Carguero-Dienst gezwungen sind, siehe: Humboldt, “Reise über den Quindío-Paß (5.10. 1801)”, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 131-137, hier S. 134, Anm. **. 146 Humboldt, „Kapitel 4: Von Bogotá nach Quito“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 119-168, hier S. 139.
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Transport der menschlichen Körper, wenn möglich, über Schiffstransporte (Route: Cartagena/ Panamá-Guayaquil-El Callao/ Lima) zu organisieren suchten. Sicher ist, dass in allen größeren Städten Spanisch-Amerikas Sklavenhandel mit Versklavten aus Afrika, oft auch illegaler Handel mit Indigenen, alltäglich waren. Haus-, Transport-, Infrastrukturbau- und Staatssklaverei von Versklavten aus Afrika und ihren Nachkommen waren ebenso alltäglich.147 Sie waren so alltäglich, dass es Humboldt für wert hielt fest zu halten, wenn es nicht so war: „Le Mexique est la ville des Indes où il y a le moins de Nègres. On peut aller un mois dans les rues san voir à peine deux à trois. Aucune maison n’y est servie par les esclaves“.148 Über die Bevölkerung Limas, der Hauptstadt des Vizekönigreiche Perú hatte er vergleichend zur eben erwähnten Alltäglichkeit geschrieben: „Pour Lima … Il n’y a presque pas d’Indiens. Le bas peuple es mulâtre ou nègre de race africaine“.149 Die Hauptstellen zu einer Gesamteinschätzung der Sklaverei finden sich unter der Rubrik „In Bogotá“ und in Humboldts Notizen auf der Seereise von Guayaquil nach Acapulco.150 Humboldt schreibt, als ob er wüsste, dass er dereinst in Fernand Braudel „wiedergeboren“ werden würde und vergleicht den Zuckerrohranbau im Valle de las Guaduas (Neu-Granada) mit dem Kubas. Humboldt entdeckte sein „kleines Kuba“ in Neu-Granada.151 Humboldt präferiert im Sinne des Physiokratismus die Zuckerproduktion mit „freien Bauern“ auf kleinen Landstücken statt Massenproduktion mit verschleppten Afrikanern; er debattiert vergleichend die Struktur-, Technik, Technologievorzüge der jeweiligen Produktion (Sklaven/ Freie) und setzt diese mit mit Land/ Besitzgrößen sowie betriebswirtschaftlichen, sozialen, rechtlichen und politischen Kriterien ins Verhältnis. Zudem war Humboldt Evolutionist, manchmal auch interkultureller Diffusionist, und präferierte die vergleichende Methode. Eine Besonderheit in Bezug auf die Sklaverei verschleppter Menschen aus Afrika legt Humboldt mittels seiner Beobachtungen über Sklaverei im Goldabbau (Waschgold), in gewissem Sinnen Bergbausklaverei dar. Metallbergbau hatte Humboldt vorher nur in der Adelman, “Capitalism and Slavery on Imperial Hinterlands”, S. 56-100; Pérez Guzmán, Francisco, „Modos de vida de esclavos y forzados en las fortificaciones de Cuba : siglo XVIII“, in: Anuario de Estudios Americanos (AEA), Vol. XLVII (1990), S. 241-257; Jennings, Evelyn P., “War as the ‘Forcing House of Change’: State Slavery in Late-Eighteenth-Century Cuba”, in: The William & Mary Quarterly Vol. 62:3 (Jul., 2005), S. 411440. 148 Humboldt, „Aufenthalt in Mexico-Stadt (12.4. 1803-20.1. 1804)“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 322-389, hier S. 326. 149 Ebd., 323; siehe auch: Busto Duthurburu, José Antonio del, “El negro de la ciudad”, in: Busto Duthurburu, Breve historia de los negros del Perú, Lima: Fondo Editorial del Congreso del Perú, 2001, S. 40-43. 150 Humboldt, „Esclavage/ Sklaverei“, in: Humboldt, Vorabend …, S. 249-254 (Dok. 168); die Textstelle findet sich nicht in Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …; Humboldt hatte offensichtlich Illusionen hinsichtlich einer Abolition des Sklavenhandels bei den Verhandlungen zum Friedensvertrag von Amiens (1802/1803). 151 Humboldt, „Kapitel 3: In Bogotá. Reise von Honda nach Bogotá (23.6.-8.7. 1801)“, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 85-93, hier S. 87 (siehe aber zur Abhängigkeit der „freien Bauern“, Ebd., S. 86). 147
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Kupfermine von Aroa in der Provinz Caracas kennengelernt. Als Bergbauspezialist äußerte er sich dort auch (abfällig) über „wilde“ Goldsuche und -wäsche.152 Die Kupfermine gehörte de iure der Bolívar-Familie (und Simón Bolivar ab 1811153), wurde aber von dieser wegen technischer Schwierigkeiten und mangelndem Ertrag nicht betrieben. Stillschweigend hatten andere Unternehmer aus der Gruppe der „Weißen“ (blancos), darunter eine „Biscainerin mit 30 Sklaven“154 Abbau und Verarbeitung des Kupfers organisiert. Speziell in Cartago und in Popayán im heutigen Kolumbien beschreibt Humboldt eine Sklavereiform mit quasi autonomen Versklavten im Goldbergbau des Chocó (früher Provinzen Cauca und Popayán): „Der Bergbau wird im Chocó nicht eher aufblühen als bis man den Akkerbau und Viehzucht in so vortrefflichen, fruchtbaren, unsäglich nassen Thälern mehr vervollkommnet [bis heute nicht eingetreten – MZ]. Auch ist die Sklaverei hier deutlich dem bergbau nachtheilig. In vielen Minen kaufen die Mayordomos [Verwalter, Aufseher – MZ] mehr Goldstaub von den Sklaven ein, als diese dem Herrn selbst sammeln, d.h., diese Sklaven [er]arbeiten in den 11/2 Tagen, die man ihnen [als freie Zeit – MZ] gönnt, mehr Gold als (in Sklavenartiger Faulheit) in 51/2 Tagen der Zwangsarbeit … Dazu in Herbeiführung der Wasser, im Ausklauben, Waschen … Die Neger, ja nicht bloß im Lande geborene, sondern von der Afrikan[ischen] Küste introducirte, welche nie vorher Goldwäsche gesehen [155], sind hier die (bewunderten) Directoren des Bergbaus. Diese Neger, um ihren elenden Zustand etwas zu verbessern, suchen Goldminen wie Hunde die Trüffeln. Jeder Neger kennt 4-5 Punkte, in denen er für seine Rechnung samlet. Trägt diese, dem Sklaven gehörige Wäsche viel ein, so verkauft der Sklave dieselbe dem Herrn und so, wie in Deutschland die Eigenlöhnerzechen allen Bergbau beginnen, so hat hier jede große Mine (Goldwäsche) den Negern ihren Ursprung zu verdanken. Doch hat man auch Beispiele von Negersklaven, die durch selbsterfundene Minen sich nicht bloß Freiheit kaufen, sondern 60-70 Sklaven hinterlassen“.156 Humboldt beschreibt diese Form des Goldabbaus als eine spezielle Sklavereiform, die sehr viel Autonomie der Sklaven-cuadrillas (der Goldsucher und wäscher) sowie einzelner Versklavter mit sich brachte und sich, wie im letzten Satz deutlich, Humboldt, „Aufenthalt in Caracas (22. 11. 1799-7. 2. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 173-184, hier S. 175; siehe auch “Aroa“, in: Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, in: Humboldt, Reise durch Venezuela …, S. 185-222, hier S. 193-194, siehe auch: Ebd., S. 200-202. 153 Zeuske, „Das Vermögen der Bolívars“, in: Zeuske, Simón Bolívar …, S. 72-86. 154 Humboldt, „Von Caracas an den See von Valencia und nach Puerto Cabello (8.2. – 5.3. 1800)“, S. 185-222, hier S. 193. 155 Das ist falsch - vor allem von der afrikanischen „Goldküste“ nach Amerika Verschleppte waren oft Spezialisten im Goldwaschen. 156 Humboldt, „Cartago (Kolumbien), 13.-21. Oktober 1801“, in: Humboldt, Vorabend …, S. 248 (Dok. 166); die Textstelle findet sich nicht in: Humboldt, „Kapitel 4: Von Bogotá nach Quito“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 119-168. 152
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im Übergang zu den freien mazamorreros (ehemalige Sklaven, oft durch Freikauf freie Goldprospektoren und -wäscher) befand.157 Humboldt hat aber keine Illusionen über Sklavenhandel und Sklavenbehandlung (siehe auch oben): „Prov[inz] Antioquia treibt Sklavenhandel, schikt dort erzeugte [dort geborenen kreolische Sklaven – MZ] nach Popayán, welche, des dortigen kälteren Klimas ungewohnt, entlaufen. Auch viele Flüchtlinge aus Chocó, wo man Sklaven wie Vieh behandelt, daher in Palacé [Ort bei Popayán – MZ] stets ein Palenque [Siedlung entflohener Sklaven – MZ]“.158 Auf der Reise duch die großen Festlands-Kolonien Spanisch-Amerikas kommt Humboldt auch immer mal wieder auf regelrecht philosophisch-anthropologische Erwägungen über Sklaverei und Kolonialismus, z.B., wenn er über die relativ geringe Bevölkerung Perus nachdenkt: „Die Sklaverei und, was noch schlimmer ist als die Sklaverei, dieser Geist der Bevormundung, in die falsches Mitleid den Indio gebracht hat“159, d.h., Humboldt hält Kolonialideologie für schlimmer als direkte Sklaverei.
G) Cuba grande II. Das „Tagebuch Havanna 1804“
Humboldt und Bonpland hielten sich, von Veracruz kommend, vom 19. März bis zum 29. Mai 1804 in Havanna auf. Über den zweiten Kuba-Aufenthalt war bisher noch weniger bekannt als über den ersten Kuba-Aufenthalt der beiden Reisenden.160 Mit dem hier publizierten Tagebuch scheint nun das Gegenteil der Fall zu sein. Der Hauptgegenstand des „Tagebuches Havanna 1804“ in seinen in real time geschriebenen Partien sind die Zuckerund Sklavereiwirtschaft Kubas sowie die extremen Lebensbedingungen der Versklavten in Zusammenschau mit den „Antillen im Allgemeinen“ (heute würden wir sagen: den Kolonien anderer europäischer Mächte in der Karibik) und zu den USA sowie Sklaven. 157
Twinam, Ann, Miners, Merchants, and Farmers in Colonial Colombia, Austin: University of Texas Press, 1982; Helg, Aline, “Esclavos y libres de color, negros y mulatos en la investigación y la historia de Colombia”, in: Revista Iberoamericana Vol. LXV, núms. 188-189 (Julio-Diciembre 1999), S. 697-712; Helg, “Countryside”, in: Helg, Liberty and Equality in Caribbean Colombia, 1770-1835, Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2004, S. 42-79, hier S. 72f. 158 Humboldt, „Popayán (Kolumbien), c. 9. bis 27. November 1801“, in: Humboldt, Vorabend …, S. 248 (Dok. 167), siehe auch: Humboldt, „Kapitel 4: Von Bogotá nach Quito“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 119-168, hier S. 139. 159 Humboldt, „Lima (Peru), 23. Oktober bis 24. Dezember 1801“, in: Humboldt, Vorabend …, S. 230-233, hier S. 232 (Dok. 155). 160 Zeuske, „‘Geschichtsschreiber von Amerika’: Alexander von Humboldt, Deutschland, Kuba und die Humboldteanisierung Lateinamerikas“, in: Humboldt in Amerika, ed. Zeuske, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2001 (COMPARATIV. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und zur vergleichenden Gesellschaftsforschung, 11. Jg., Heft 2), S. 30-83; Vázquez Cienfuegos, Sigfrido, Tan difíciles tiempos para Cuba. El gobierno del Marqués de Someruelos (1799-1812), Sevilla: Universidad de Sevilla, 2008.
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Die 1804 in Havanna geschrieben Partien des „Tagebuchs Havanna 1804“ hat Humboldt unter dem empirischen und medialen Eindruck der siegreichen Revolution auf Saint-Domingue/ Haiti (1791-1803) geschrieben, genauer gesagt unter dem Schock der Proklamation des unabhängigen Haiti am 1. Januar 1804.161 Das betrifft vor allem die Tiefensondierungen zu den Kosten der Sklaverei, zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, zur Rechtsgeschichte und zur Demografie der Sklaverei sowie den Lebensumständen der Versklavten (diese Textpartien erscheinen in den Schriften Humboldts meist unter „Esclaves“). Das Motto des „Tagebuchs Havanna 1804“ könnte lauten – Analyse und Darlegung der langfristigen gesellschaftlichen „Kosten“ der Sklaverei unter dem Damoklesschwert von „blutiger Katastrophe“ einer Sklavenrevolution und die Konstrastierung dieser „Kosten“ mit den kurz- und mittelfristigen finanziellen Wert- und Kostenkalkulationen der Sklavenhalter. Humboldt hat die nackten Informationen und Begriffe des „Tagebuchs Havanna 1804“ erst später in literarische Sentenzen gegossen, d.h., im Essai politique über Kuba – die „furchtbare Katastrophe von Santo Domingo [Saint Domingue, seit 1804 Haiti]“162, den „große[n] Schiffbruch“163, die „Rache der dienenden Bevölkerung“.164 Im Grunde muss man vor diesem Humboldt den Hut ziehen, wenn man sich die Hysterie der Oligarchien vor Auge hält. Humboldt hat die literarischen Fassungen der harten Realität des Sklavereiregimes erst im räumlichen und zeitlichen Abstand formuliert. Im Text des Essai politique über Kuba finden sich aber auch Stellen, wo Humboldt die Leistungen ehemaliger Sklaven in ein sehr positives Licht stellt – vor allem in Bezug auf Schaffung eines Staates.165 So bezeichnet er “Liberté ou la Mort, armée indigène“ (4 Folios, handschriftlich : Unabhängigkeitproklamation des neuen Staates „haïty“ (f.1r); datiert: quartier Géneral de Gonaïves, 1. Januar 1804; unterschrieben: u.a. von Christophe und “Magloire Ambroise”, in: Archivo General de Indias, Sevilla (AGI), Estado, 68 (20-12-1803 – 01-01-1808), Estado: Caracas: „Documentos de la Secretaría de Estado relativos a la Audiencia de Caracas. Apresamiento de bergantines españoles. Bloqueo Isla Curazao. Dominación Santo Domingo por los negros. Causa seguida contra el francés Francisco Bouchet. Comercio de ganado con Isla Guadalupe. Informes sobre la expedición de Miranda”, No. 12, 2, f. 1r-2v. 162 Ebd., S. 64; siehe auch: Zeuske; Munford, Clarence J., „Die ‚Große Furcht‘ in der Karibik: Frankreich, St. Domingue und Kuba (1789-1795)“, in: Ibero-Amerikanisches Archiv. Zeitschrift für Sozialwissenschaften und Geschichte. Neue Folge, Jg. 17, Berlin (1991), Heft 1, S. 32-65; Gaspar, D. Barry; Geggus, David, A Turbulent Time. The French Revolution and the Greater Caribbean, Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press, 1997; Hernández Guerrero, D., La Revolución haitiana y el fin de un sueño colonial (1791-1803), México: UNAM, 1997; Knight, Franklin W., „The Haitian Revolution“, in: American Historical Review (AHR), Vol. 105:1 (February 2000), S. 103-115. 163 Cuba-Werk ..., S. 64. 164 Ebd., S. 159. 165 Die Furcht der Sklavenbesitzer vor eben diesen aktiven Farbigen (den Sklaven traute man – trotz SaintDomingue! – politische Akteurschaft nicht so recht zu) unterstreicht der Antrag von Andrés de Zayas 1827 auf Verbot der Zirkulation des Essai Politique: „daß dieses Werk, unter vielen Aspekten sehr bewundernswert, ohne Zweifel aber ungewöhnlich gefährlich ist, wegen der Meinungen seines Autors über die Sklaverei und in erster Linie wegen des Bildes, das je wahrer, umso schrecklicher ist, den gentes de color [freie Farbige - M.Z.] ihre immense Kraft auf dieser Insel und ihr exzessives Übergewicht auf allen Antillen und an den Küsten des 161
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„Haiti ... (das) Reich der Äthiopier“166 als möglichen staatlichen Akteur, als Kern einer „Afrikanische(n) Konföderation der Freien Staaten der Antillen“.167. Wie fast alle Eliten seiner Zeit - außer Arango und die Zeitungen Jamaikas - hat Humboldt sich mit Gesamtkommentaren zu diesem grundstürzenden Ereignis der Globalgeschichte in real time zurückgehalten (auch wenn das Wort „revolution“ im „Tagebuch Havanna 1804“ öfter als sonst vorkommt).168 Ich habe es oben schon gesagt, wiederhole es aber hier gerne: Humboldt lehnte „Revolution“ als Mittel der Gesellschaftsveränderung ab, er war Feind des direkten Einsatzes von Gewalt gegen menschliche Körper „auf der Straße“, er war Feind des Jakobinismus und - das ist das Wichtigste hier – er lehnte die Revolutionspläne der Sklavereioligarchien mit ihrem Kern „Schaffung einer weißen Republik“ (siehe oben zur „Bolívargruppe“) ab. Bis zur Proklamation des unabhängigen „Freistaates“ „haïty” am 1. Januar 1804169 glaubte kein Mensch aus den Sklaverei-Oligarchien Spanisch-Amerikas und der Karibik und keiner aus den Gruppen von Menschen, die sozial mit ihnen verkehrten - wie wir gesehen haben, auch Humboldt und Bonpland – dass es zum Sieg der Armeen aus ehemaligen Sklaven und ehemaligen mulattischen Sklavenhaltern über die sieggewohnten Truppen Napoleons auf Saint-Domingue kommen könnte. Kontinents zeigt...“, zit. nach: „Expediente en que el exmo. Ayuntam.to, sobre que se recoja la obra del Barón de Humboldt titulado ensayo politico de la Isla de Cuba y que se nieguen las licencias a la gente de color, para escuelas“, in: Boletín del Archivo Nacional, La Habana, LVI (enero-diciembre 1957), S. 32-33. 166 Cuba-Werk ..., S. 81f. und Anmerkung. 167 Ebd., S. 64; Puig-Samper; Naranjo Orovio; García González, Ensayo Político ..., S. 174: „confederación americana de los estados libres de las Antillas ...“ (diese Übersetzung von „confederation africaine“ geht wohl auf das Konto der Übersetzer oder des Übersetzers ins Spanische von 1827). 168 Geggus, David P., “Slavery, War, and Revolution in the Greater Caribbean, 1789-1815”, in: Gaspar, David Barry; Geggus (eds.), A Turbulent Time. The French Revolution and the Greater Caribbean, Bloomington and Indianapolis: Indiana University Press 1997, S. 1-50; Geggus, The Impact of the Haitian Revolution in the Atlantic World, Columbia: University of South Carolina Press, 2001; Geggus, “The Influence of the Haitian Revolution on Blacks in Latin America and the Caribbean”, in: Naro, Nancy Priscilla (ed.), Blacks, Coloureds and National Identity in Nineteenth-Century Latin America, London: Institute of Latin American Studies, 2003, S. 38-59; Fischer, Sybille, Modernity Disavowed. Haiti and the Culture of Slavery in Age of Revolution, Durham: Duke University Press, 2004; Geggus, „The Caribbean in the Age of Revolution“, in: Armitage, David; Subramanyam, Sanjay (eds.), The Age of Revolutions in Global Context, c. 1760-1840, New York: Palgrave Macmillan, 2010, S. 83-100; Geggus, “Slave rebellion during the Age of Revolution”, in: Klooster; Oostindie (eds.), Curaçao in the Age of Revolution, 1795-1800, Leiden: KITLV, 2011, S. 23-56; Fischer, “Bolívar in Haiti: Republicanism in the Revolutionary Atlantic”, in: Calargé, Carla; Dalleo, Raphael; Duno-Gottberg, Luis; Headley, Clevis (eds.), Haiti and the Americas, Jackson: University Press of Mississippi, 2013, S. 25-53; Zeuske, „The French Revolution in Spanish America“, in: Forrest, Alan; Middell, Matthias (eds.), The Routledge Companion to the French Revolution in World History, London and New York: Routledge, 2016, S. 77-96. 169 “Liberté ou la Mort, armée indigène“ (4 Folios, handschriftlich : Unabhängigkeitproklamation des neuen Staates „haïty“ (f.1r); datiert: quartier Géneral de Gonaïves, 1. Januar 1804; unterschrieben: u.a. von Christophe und “Magloire Ambroise”, in: Archivo General de Indias, Sevilla (AGI), Estado, 68 (20-12-1803 – 01-01-1808), Estado: Caracas: „Documentos de la Secretaría de Estado relativos a la Audiencia de Caracas. Apresamiento de bergantines españoles. Bloqueo Isla Curazao. Dominación Santo Domingo por los negros. Causa seguida contra el francés Francisco Bouchet. Comercio de ganado con Isla Guadalupe. Informes sobre la expedición de Miranda”, No. 12, 2, f. 1r-2v.
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Francisco de Arango war extra 1803 nach Saint-Domingue gereist, um sich selbst und der von ihm vertretenen Gruppe großer Hacendados, Kaufleute und Sklavenhalter des Real Consulado de la Habana ein Bild von der Situation einer Plantagenkolonie in Revolution zu machen. Es handelte sich nicht um irgendeine Plantagenkolonie, sondern sozusagen die Mutter aller Second Slaveries.170 Auch Arango glaubte damals nicht an den Sieg der ehemals Versklavten – ganz im Gegenteil. Über den Terror der französischen, meist jakobinischen, Offiziere und Truppen, hält Arango unter der Frage „¿Qué suerte o destino tienen los negros que caen prisioneros?“ [Welches Geschick oder Schicksal haben die Neger, die gefangen genommen werden?]: „Todos mueren, y así sucedía desde los últimos tiempos del General Leclerc: lo más dulce para estos infelices es ser pasado por las armas, y todavía no es lo peor que espalda con espalda, y de dos en dos, sean arrojados al mar. Lo que me esatremece es haber oído de la boca del Jefe de Brigada Nerau, Comandante de la Guardia del General en Jefe, que la noche antes había echado a los perros una negra prisionera; y otra tarde, que en aquella mañana había sorprendido un destacamento de doce insurgentes, cuyo Jefe fue entregado a la tropa que lo pidió para sacarle, vivo, los ojos [Alle sterben und so geschieht es seit den Endzeiten des Generals Leclerc [der Anführer der Expedition, gestorben an Gelbfieber – M.Z.]. Der sanfteste Tod für jene Unglücklichen, ist es erschossen oder erschlagen zu werden und es ist noch nicht das Schlimmste, Rücken an Rücken und immer zwei zu zwei, ins Meer geworfen zu werden. Das was mich erschüttert, ist aus dem Mund des Chefs der Brigade Nerau, Kommandant der Wache des Generals en chef gehört zu haben, dass er in der Nacht zuvor eine gefangene Negerin den Hunden vorgeworfen habe und eine andere [Nachricht besagt], dass er an jenem Morgen eine Truppe von zwölf Aufständischen überrascht hatte, deren Anführer der [französischen] Truppe übergeben wurde, die um ihn gebeten hatte, um ihm, lebend, die Augen herauszureißen]”.171 Obwohl die Intellektuellen und Schreiber der Herrenkulturen der Karibik post festum etwas ganz anderes verbreiteten – dieser “weiße” Terror der jakobinischen Offiziere war Zeitgenossen bekannt und wurde, trotz der lauen Proteste, etwa von Arango, als Mittel gegen aufständische “Neger” generell für richtig befunden. Die Aufständischen reagierten ihrerseits mit Massakern an den Weißen. Der Bürgerkrieg auf der Sklaveninsel nahm extreme Formen an. Im Unterabschnitt (n.25), den ich den „Terror-Abschnitt“ des „Tagebuchs Havanna 1804“ nenne, reflektiert Humboldt all dies
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Gliech, Oliver, Saint-Domingue und die Französische Revolution. Das Ende der weißen Herrschaft in einer karibischen Plantagenwirtschaft, Köln Weimar Wien: Böhlau, 2011. 171 Arango y Parreño, “Comisión de Arango en Santo Domingo [1803]”, in: Arango y Parreño, Obras, Bd. I, S. 344-383, hier S. 363; siehe auch: Arango y Parreño, “Comisión de Arango en Santo Domingo”, in: Arango y Parreño, Obras. Ensayo introductorio, compilación y notas García Rodríguez, Gloria, 2 Bde., La Habana: Imagen Contemporánea, 2005, Bd. I, S. 337-366.
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und lässt erkennen, dass er mit Arango gesprochen oder dessen Bericht (Comisión de Arango en Santo Domingo172), wahrscheinlich direkt vor Ort 1804, gelesen hat. Die wichtigste Aussage Humboldts ist: „Le Terrorisme regnait en 1803 aux Colonies“.173 Dann spekuliert Humboldt über die Vorstellungen in Frankreich und in den Sklavenhaltergesellschaften, was mit den „Rebellen“, Humboldt „Negres Guerriers (60000)“174 passieren soll: alle töten oder verstümmeln; auch die gesamte andere Population ehemaliger Sklaven töten; gleich alle füsilieren oder vorher noch Peitschen quälen? Die Spekulationen und Vorstellungen sind nicht so unrealistisch, wie man auf den ersten Blick denken mag. Arango schreibt in seinem Bericht über die Kommission von 1803 unter der Frage „¿A qué número llegan éstos [los insurgentes – MZ]? ¿A cuál el de los negros pacíficos?“: „Borremos de nuestra idea semejante distinción. No hay que hablar ya de negros rebeldes y pacíficos. Exeptuando los poquísimos que hay en las villas al servicio doméstico de los blancos y dos compañías que están en Cul-de-Sac al mando del Jefe de Brigada Viet, todos los demás, incluso las hembras y los niños, /son rebeldes obstinados“.175 Auf Rebellion stand die Todesstrafe in den Gesetzen des Spanischen Imperiums (und aller anderen Imperien). Und auf dem Wiener Kongress gab es wohl Geheimverhandlungen mit den Ultraroyalisten Frankreichs, Haiti wieder zu erobern, die gesamte schwarze Bevölkerung zu „exterminieren“, d.h., im Grunde die „Rebellen“ Arangos auszurotten, und neue Versklavte aus Afrika in einen „neues, nicht mehr revolutionäres SaintDomingue“ zu verschleppen; Großbritannien sollte dem Frankreich Louis des XVIII. für 5 Jahre frei Hand lassen.176 Das wusste Alexander Humboldt natürlich von seinem Bruder Wilhelm. Humboldt hielt dazu fest (wir werden nie wirklich wissen, wann exakt) (n. 29): „On dit que S. Domingue etait florissant et beau[.] Rien n’est beau que ce qui est moral. On dit que je ne l’ai pas vu[,] que je ne connais pas les Negres par ce que je n’ai jamais eu des esclaves. Faut[-]il avoir vu voler ou assassiner pour savoir s’il est permis de la faire[?]“.177 Im gleichen Jahr 1803 und besonders 1804 kamen deshalb große Wellen von Emigranten aus Saint Domingue in Santiago de Cuba, Baracoa und an den Küsten des Oriente, aber auch in Havanna, Matanzas und im Westen Kubas sowie anderen Gegenden der iberischen Kolonialreiche in den Amerikas an.178 Das scheint Humboldt, als in real time in
Arango y Parreño, “Comisión de Arango en Santo Domingo [1803]”, Bd. I, S. 344-383. Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 22. 174 Ebd., S. 24. 175 Arango y Parreño, “Comisión de Arango en Santo Domingo [1803]”, Bd. I, S. 344-383, hier S. 358f. 176 Pestel, Friedemann, „The Impossible Ancien Régime colonial: Postcolonial Haiti and the Perils of the French Restoration“, in: Journal of Modern European History 15 (2017), im Druck. 177 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 22. 178 Ferrer, Ada, Freedom’s Mirror. Cuba and Haiti in the Age of Revolution, New York: CUP, 2014; Ferrer, “Haiti, Free Soil, and Antislavery in the Revolutionary Atlantic”, in: The American Historical Review Vol. 117: 172 173
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Havanna war, nicht aufgefallen zu sein; es kann aber auch sein, dass die ersten Wellen der Flüchtlinge vor allem im Osten Kubas blieben.179 Wie ein Kommentar Humboldts zu den empirischen, d.h. hier für Seereisende fühl- und erlebbaren, Veränderungen durch die Revolution von Saint-Domingue auf dem Meer aussah, zeigt eine kaum beachtete Beobachtung Humboldts auf der Seereise von Havanna nach Philadelphia 1804: „Depuis le 213 mai … La 2 à 8h nous vîmes une petite golette, qui paraissant corsaire, elle venait droite sur nous. Nos gens frémissaient en voyant qu’elle était toute remplie de Nègres. On crut que c’étaient des Africains de S[aint] Domingue dont a souffert déjà des cruautés en pleine mer despuis quelques mois … [mais] l’on vit que c’étaient des Nègres paisibles vraisemblablement employés dans le commerce de contebande“.180 Aber nicht nur Schmuggel wurde von „Negern aus Saint-Domingue“ betrieben, auch Kreuzer des freien Haiti verfolgten den karibischen Sklavenschmuggel.181 Auf jeden Fall muss festgehalten werden: nach dem Sieg gegen die französische Intervention 1802-1803 kam es zu einem im Grunde noch kaum untersuchten Diskurs- und Visualisierungswandel in Bezug auf den neuen Staat Haiti.182 Das von Sklavenbesitzer, Negreros, Pflanzern und Intellektuellen (wie Arango) konstruierte Bild von „Haiti“ als eine atlantische Furchtikone [*Bild: 40 Tage brennt die Plaine du Nord] entstand. Diese Furchtikone ist recht eigentlich aus den Bildern von 1804/ 1805 konstruiert. Dazu kamen eine Reihe von Unterikonen (wie das Zerrbild von Henri Christophe183). Mit ihnen wurde Rassismus abrufbar. Die Oligarchien Havannas und die anderer Sklaverei-Gebiete befanden sich Anfang 1804 einerseits in einer zweiten Schockstarre (die erste datiert auf die Jahre 1795-1797 als
1 (Feb. 2012), S. 40-66. 179 Scott, Rebecca J.; Hébrard, Jean-Michel, Freedom Papers: An Atlantic Odyssey in the Age of Emancipation, Cambridge 2012 (vor allem Kapitel 3: Scott; Hébrard, “Citizen Rosalie”, in: Ebd., S. 49-64). 180 Humboldt, „Seereise von Havanna nach Philadelphia (29.4.-20.5. 1804)“, in: Humboldt, Reise auf dem Río Magdalena …, Bd. I, S. 394-402, hier S. 396. 181 Tornero, Tinajero, Pablo, “El protocolo anglo-español de 1817 y Cuba”, in: Tornero Tinajero, Crecimiento Económico y Transformaciones Sociales. Esclavos, Hacendados y Comerciantes en la Cuba Colonial (17601840), Madrid: Centro de Publicaciones del Ministerio de Trabajo y Seguridad Social, 1996, S. 89-99. 182 Rainsford, Marcus, An historical account of the black empire of Hayti: comprehending a view of the principal transactions in the revolution of Saint Domingo; with its ancient and modern state. By Marcus Rainsford …, London: Albion Press Printed: Published by James Cundee, 1805; Childs, Matt D., “‘A Black French General Arrived to Conquer the Island’. Images of the Haitian Revolution in Cuba’s 1812 Aponte Rebellion“, in: Geggus (ed.), The Impact of the Haitian Revolution …, S. 135-156; Bénot; Dorigny (dir.), Rétablissement de l’esclavage dans les colonies françaises. Aux origines de Haïti …; Gómez, „Images de l’apocalypse des planteurs. Contribution à l’étude de l’iconographie des 'horreurs' de la Révolution haïtienne, 1784-1861“, in: L'Ordinaire des Amériques [En ligne], 215 | 2013, mis en ligne le 23 février 2014, consulté le 05 juin 2016 (URL: http://orda.revues.org/665). 183 Fernández Martínez, Mirta M., “Alteridad y dimensión trágica de Henri Christophe”, in: Del Caribe, No. 45, Santiago de Cuba (2004), S. 30-35.
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deutlich geworden war, dass die Truppen Toussaints in der Sklavenrevolution gesiegt hatten (Humboldt legt die Ergebnisse der ersten Schock- und Furchtwelle unter „Esclaves“ (n.15b) dar184), andererseits fürchteten sie um die Zukunft der Cuba grande – und befanden sich in Debatten um die Wirtschaftlichkeit der Massensklaverei unter dem Eindruck und den realen Auswirkungen der Sklavenrevolution und des Sieges gegen die französische Intervention auf der Nachbarinsel. Sicherlich auch deshalb schreibt Humboldt über den zweiten KubaAufenthalt: „Nous partîmes le 29 avril 1804, tous très peu contents de notre second séjour de la Havane“.185 In einer Globalgeschichte des Wissens sind Humboldts Texte, zunächst die publizierten Arbeiten, seit den 1980er Jahren auch die Tagebücher und anderen Originaltexte für Wissens- und Wissenschaftsgeschichte immer konstitutiv gewesen und werden es mit dem Akademie-Programm zur Edition aller Humboldt-Tagebücher weiterhin sein.186 Aus dem Titel des Manuskripts des Tagebuchs von 1804 „Isle de Cube. Antilles en général“ wird sehr deutlich, dass Humboldt den Vergleich und die Verräumlichung abstrakter Aussagen (Zahlen, Konzepte) privilegiert. Der Original-Text des „Tagebuches Havanna 1804“, 32 Seiten, sind von Humboldt in ungleich umfangreiche Unterabschnitte geteilt worden, markiert mit Ordnungszahlen oder Zahlen in Klammern ((1.) oder (2)-(10) bzw. (n.11)-(n.13) oder einfach „n.14“-„n.38“. In erster Hinsicht erscheint das „Tagebuch Havanna 1804“ chaotisch, zumal Humboldt bei der Nummerierung der Unterabschnitte nicht ganz stringent war (Unterabschnitt 15 fehlt im Original „n. 16“ ist doppelt, n. 30 fehlt) und Humboldt manchmal innerhalb eines
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 13f. Humboldt reflektiert hier die Debatte in der Junta económica des Real Consulado zwischen den Befürwortern einer „weißen Emigration“ vor allem von den Kanarischen Inseln (Generalkapitän Las Casas), der Steigerung der Einfuhr schwarzer Sklaven (Arango) und der Einführung von mexikanischen und yukatekischen Indianern (Marqués de Casa Peñalver), die unter Bedingungen der Zwangsarbeit zum Einsatz kommen sollten. Insgesamt einigte man sich auf der Linie von Arango und es erging ein Verbot des Ankaufs von negros franceses (Versklavten aus französischen Kolonien – angesichts der Schmuggels ein frommer Wunsch); siehe: Naranjo Orovio, „Humboldt en Cuba: reformismo y abolición“, S. 183-201, hier S. 188; Alexander von Humboldt erwähnt diese Junta económica in seinem Essay über Kuba in dem Kapitel gegen die Sklaverei, siehe: Cuba-Werk, S. 163; die Dokumente finden sich in: ANC, Junta de Fomento de la Isla de Cuba (JF), leg. 72, no. 2774 (Noviembre 13 de 1795): “Relativo á las precauciones y seguridad en orden á los negros en gral., y en particular á los introducidos de las colonias estranjeras”, darin: “Acuerdos sobre fomentar la poblacion de Blancos”, f. 26r-32v und “Noticias acaecidas en la Villa de Puerto del Principe el dia 17 de Junio de 1798”, f. 34r-37v. 185 Humboldt, „Seereise von Havanna nach Philadelphia (29.4.-20.5. 1804)“, Bd. I, S. 394-402, hier S. 394f. 186 Ette, Ottmar, Alexander von Humboldt und die Globalisierung. Das Mobile des Wissens, Frankfurt am Main/ Leipzig: Insel Verlag, 2009; Ette, TransArea. Eine literarische Globalisierungsgeschichte, Berlin/ Boston: De Gruyter, 2012.
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Unterabschnittes auf einen anderen Unterabschnitt oder auf weitere Materialien verweist, die sich in der Biblioteka Jagiellońka in Kraków befinden.187 Humboldt hat beim Schreiben der Original-Tagebücher - das sind die Texte, die er in real time, d.h., in diesem Falle in Havanna März-Mai 1804, verfasst hat - immer das geschrieben, was er gehört hatte, und das, was ihm in den Sinn kam. Als strikter Materialist folgt das, was Humboldt in den Sinn kam, meist der inhärenten Methode: erst die Grundlage, d.h., die Erdoberfläche (zum Teil mit geologischen Aussagen über den Unterboden), der Boden, die Landschaften, die die Erde unter den jeweiligen konkreten Bedingungen (Klima, Wasser, Regen, Wind, Unwetter) formt, die Pflanzen (meist unterteilt nach „Natur“, Nahrungspflanzen und Exportpflanzen) und Tiere sowie Menschen (Bevölkerung, Demografie), die Betriebs- und Eigentumsformen (hacienda, hato, ingenio, Kleinbesitze) und deren lokale Maßeinheiten (wie caballería, cajas, arrobas, quintales, etc.) sowie oft auch rechtliche Regelungen – all das, wie gesagt, oft im Vergleich mit anderen Territorien, Bevölkerungen, Ländern, Wirtschaften. Oder Humboldt beginnt, wie in vorliegendem Tagebuch, mit der Produktion von Gütern, in diesem Falle mit Exportgütern (commodities), d.h., im konkreten Falle mit Zucker (aber auch Tabak und Kaffee188), der zentralen Ressource atlantischer Globalgeschichte 1500-1900, wahrscheinlich sogar der gesamten Globalgeschichte (inklusive China und Indien).189 Humboldt hält richtig den Anbau von Kaffee auf unter Bedingungen der Second Slavery für „plus profitable“.190 Die Produktion von ungerösteten Kaffeebohnen auf cafetales (Kaffeeplantagen mit Massensklaverei), dessen Export von 1815 bis 1830 einen Boom auf Kuba erlebte, stellte auf Kuba fast den des Zuckers in den Schatten, zumal auch im Land selbst sehr viel Nachfrage entstand.191 Humboldt selbst Humboldt, “Isle de Cube. Antilles en general” [Tagebuch Havanna 1804], in: Biblioteka Jagiellońska, Kraków, Oddział Rękopisów, Al. v. Humboldt Nachlaß 3/1, Blatt 127-149; siehe die Auflistung und Bewertung dieser Materialien und Informationen in: Zeuske, “Arango y Humboldt/Humboldt y Arango. Ensayos científicos sobre la esclavitud”, S. 245-260. 188 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 22. 189 Fábregas García, Adela, “Del cultivo de la caña al establecimiento de las plantaciones”, in: Região Autónoma da Madeira (ed.), História e tecnologia do açúcar, Funchal: Centro de Estudos de História do Atlântico, 2000, S. 59-85; Mazumdar, Sucheta, “China and the Global Atlantic: Sugar from the Age of Columbus to Pepsi-Coke and Ethanol”, in: Food and Foodways Vol. 16:2 (2008) (Special Issue on Sidney Mintz, Sweetness and Power), S. 135-147; Curry-Machado, “Global Commodity”, in: Curry-Machado, Cuban Sugar Industry …, S. 2-5; Wendt, Reinhard, „Zucker – zentrales Leitprodukt der Europäischen Expansion“, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Vol. 61 (2013), S. 43-58; siehe auch für die atlantische Weltseite: Moore, Jason W., „Sugar and the Expansion of the Early-Modern World Economy: Commodity Frontiers, Ecological Transformation, and Industrialization“, in: Review: A Journal of the Fernand Braudel Center, Binghamton University XXIII:3 (2000), S. 409-433; Tomich, “Commodity Frontiers, Spatial Economy and Technological Innovation in the Caribbean Sugar Industry, 1783-1878”, in: Leonard, Adrian; Pretel, David (eds.), The Caribbean and the Atlantic World Economy. Circuits of trade, money and knowledge, 1650-1914, London: Palgrave Macmillan, 2015 (Cambridge Imperial and Post-Colonial Studies Series), S. 184-216. 190 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 22. 191 Bergad, Laird W., Cuban Rural Society in the Nineteenth Century. The Social and Economic History of 187
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spricht in der Relation historique selbst von dem „ungeheuren Kaffeeverbrauch“ Europas seit 1815.192 Beim Manuskript von 1804 habe ich den Eindruck, dass Humboldt diesen Text bereits auf einer höheren Verarbeitungsstufe beginnt, nachdem er sich, wie wir gesehen haben, im Laufe der Amerikareise intensiv mit Sklaven, Sklavereien, Sklavenhandel und Sklavereiwirtschaften beschäftigt hatte und die jeweiligen Notate nach der oben genannten Methode in seinen Tagebüchern festgehalten hatte. Schon in den anderen Tagebüchern finden sich, oft an unerwarteten Stellen und Zusammenhängen, Reflexionen über die Themen „Sklaverei“ und „Sklaven“, die weit über das empirisch Gesehene und Gehörte hinausgehen.193 Das Manuskript von 1804 beginnt in Unterabschnitt (1.) mit einer Erwähnung von Francisco de Arango y Parreño in Bezug auf Schätzungen der Zuckerproduktion in Kuba 1804 und in den Krisenjahren 1812-1814.194 Mit der Erwähnung der Krisenjahre 1812-1814, d.h., der Endphase der napoleonischen Kriege und des Britisch-US-amerikanischen Krieges von 1812-1814 (in dem es u.a. um die Kontrolle des Sklavenhandelszentrums New Orleans im entstehenden Sklaverei-Süden der USA, ist auch gesagt, dass Humboldt einige Partien des „Tagebuchs Havanna 1804“ nicht schon in Havanna selbst geschrieben haben kann. Er hat diesen Text später intensiv bearbeitet mit Materialien und Informationen, die ihm zugeschickt oder überbracht worden waren.195 Humboldt, getreu seiner materialistischen Methode, beschäftigt sich zuerst mit den agrikulturellen Dimensionen des Zuckerpflanzenbaus (Art des Zuckerrohrs ((n. 15) „rouge de la Guinée“, „Otaheiti“ oder „Creolia“ (criolla)196), Bodenqualitäten, Klima, Fruchtfolge, spezielle Ertragsbedingungen des Zuckerrohrs): Humboldt schließt dieses Punkt ab mit der Kernfrage der politischen Ökonomie der SklavenPlantagen-Wirtschaft: wieviel erwirtschaften effiziente (große) Ingenios insgesamt und wieviel kostet der Unterhalt eines Sklaven (zur Ernährung von Sklaven siehe unten).197 Als Beispiel der Hacienda/ des Ingenio mit dem größten Produktionsausstoß auf Kuba greift Humboldt unter (n.16) auf seine empirischen Erfahrungen vom ersten Kuba-Aufenthalt und Monoculture in Matanzas, Princeton, NJ: Princeton University Press, 1990. 192 Humboldt, „Fünfzehntes Kapitel“, Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, S. 590-629, hier S. 600. 193 Hier ist, wie bereits gesagt, die Zusammenstellung der wichtigsten Textstellen durch Margot Faak immer noch sehr nützlich: „Die afroamerikanischen Sklaven“, in: Humboldt, Lateinamerika am Vorabend …, S. 244264 (Doks. 164-184). 194 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 1. 195 Siehe die Materialien in: Zeuske, “Arango y Humboldt/Humboldt y Arango. Ensayos científicos sobre la esclavitud”, S. 245-260. 196 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9. 197 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 2.
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seinen Besuchen der Plantagen des Marques de Arcos (“Maques del Arcos (Rio blanco [del Norte]”198) zurück, der für seine Plantagen eine Kapital von 400000 Piaster (pesos de a ocho) investiert haben soll199. Es ist nicht ganz klar, welche Plantage bzw. Plantagen des Marquis Ignacio Peñalver and Peñalver (II Marqués del Arcos) Humboldt genau meint (Cañongo, El Tesorero bei San Antonio de los Baños oder El Progreso in Guamutas).200 Unterabschnitt (2) ist etwas morbid – Humboldt verbindet die Aussagen über „energie de Negre“201 auf der Flucht, d.h., das Problem der cimarronaje, mit den Methoden, geflohene Versklavte mittels Anzünden von Feldern (eine oft vor der eigentlichen Zuckerrohrernte (zafra) praktiziert Methode, um das vertrocknete Unkraut abzubrennen und die Saftkonzentration in den Rohrstängeln zu erhöhen), mit der Aussage über das „beau spectacle“202 brennender und stark rauchender Zuckerrohrfelder bei Nacht. Unter (4) macht Humboldt eine wichtige Beobachtung unter dem Motto“ La Culture a fait de grand [sic] progrès aux Isles“. Im Grunde handelt es sich um die makrostrukurelle und wirtschaftsdynamische Tatsache, dass rund um die Stadt Havanna um 1800 (heute Altstadt, Hafen und Teile des Vedado) bereits keine Zuckerrohrplantagen mehr existierten, weil Plantagen den Boden auslaugen und nach ca. 50-60 Jahren einfach räumlich an einen anderen Ort mit besserem und frischerem Boden, möglichst mit Wald darauf (Bau- und Brennmaterial) verlegt werden mussten.203 Der Boden um Havanna war zum Zeitpunkt des Besuches von Humboldt schon an kleinere Fincas und Potreros vergeben, auf denen oft freie Farbige oder ehemalige Sklaven Gemüse-, Früchte- und Nahrungsmittelproduktion betrieben; Humboldt interessierte sich besonders für Weizen (trigo), dessen Mehl aus Spanien als besonders hochwertiges und sogar elitäres Nahrungsmittel galt (auf Kuba: harina de Castilla).204 Auf die „Mehl-Problematik“ - Weizenmehl (harina) war ein extrem
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9. Ebd. S. 12. 200 Cornide, “Los Marqueses de Arcos”, in: Cornide, De La Habana ..., S. 267-269. 201 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 2. 202 Ebd. 203 Iglesias García, Fe, “La estructura agraria de la Habana, 1700-1775,” in: Las raíces históricas del pueblo cubano, Naranjo Orovio; Puig-Samper (eds.), Madrid: Arbor, 1991, S. 91-112; Funes Monzote, “Geografía del azúcar y transformación de espacio habanero”, in: Funes Monzote, De bosque a sabana. Azúcar, deforestación y medio ambiente en Cuba : 1492-1926, México : siglo veintiuno editores, s.a., 2004, S. 73-80; siehe auch: Funes Monzote, De los bosques a los cañaverales. Una historia ambiental de Cuba 1492-1926, La Habana: Editorial Ciencias Sociales, 2008, (Funes Monzote, From Rainforest to Cane Field. A Cuban Environmental History since 1492, Chapel Hill: University of North Carolina Press, 2008); Tomich; Funes Monzote, “Naturaleza, tecnologia y esclavitud en Cuba: Frontera azucarera y Revolución industrial, 1815-1870”, in: Piqueras, Jose Antonio (ed.), Trabajo libre y trabajo coactivo en sociedades de plantación, Madrid: Siglo XXI de España, 2009, S. 75-117; Tomich; Funes Monzote, “Fronteira Açucareira e Revolução Industrial em Cuba, 1815-1870”, in: Cunha, Olivia Maria Gomes da (ed.), Outras Ilhas: espaços, temporalidades e transformações em Cuba, Rio de Janeiro: Aeroplano/FAPERJ, 2010, S. 65-117. 204 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 2. 199
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monopolisierte Exportgut Spaniens in seine Kolonien und dieses Monopol generierte Monopolgewinnen vor allem der Kaufmannschaft von Madrid – geht Humboldt unter (n. 16) nochmals ein und thematisiert zugleich die in Havanna heiß umstrittene Debatte um preiswertere Mehle aus den USA (Delaware) sowie Mexiko (Ausfuhrhafen Veracruz)205; auch Schmuggel von Mehl aus Neu-Granada (Cundinamarca um Bogotá) war Gang und Gäbe. Im Unterabschnitt (6) geht Humboldt auf die Sklavengesetzgebung ein, die bei den Spaniern „aussi confuse que celle de toutes les Nations“206 sei. Das stimmt nur bedingt, den die spanische Monarchie und Spanisch-Amerika hatten eine – im Gegensatz zu anderen Imperien – fast vorbildliche zentralstaatliche Gesetzgebung.207 Das Problem war, dass die zentralen Eliten des Imperiums wegen der Stärke der lokalen Oligarchien und weil diese die grande peur vor der Sklavenrevolution geschickt manipulierten, neue zentrale Gesetze wie den bereits genannten Código Negro Español von 1789 nicht mehr durchsetzen konnten.208 Der Código, der die Sklaverei ausbauen und die Sklaven besser kontrollieren sollte – im Interesse des Gesamtsystems und nicht in erster Linie im Interesse der lokalen Eliten - , war diesen ein Dorn im Auge; er war bekannt, aber nicht formal in Kraft.209 Félix Varela (17881853) hat später dazu die passende Sentenz geäußert: „Die Gesetze verflüchtigen sich unglücklicherweise, sie schwächen sich ab und verschwinden sogar, während sie den immensen Ozean überqueren“.210 Und Humboldt hat sich Unterschied zwischen wohlmeinenden Legislatoren und Gesetzestexten und den Schwierigkeiten der Exekution der Gesetze so geäußert (in Bezug auf die Behandlung und die Lebensumstände von Versklavten): „der Geist, der die Gesetze macht, und jener, der sie vollzieht, haben nichts miteinander gemein“.211
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 13. Ebd., S. 3 207 Zeuske, „Sklavereien und Recht im spanischen Imperium“, in: Zeuske, Handbuch Geschichte der Sklaverei …, S. 231-236. 208 “R. Instrucción sobre educación, trato y ocupación de los esclavos”, Aranjuez, 31 de mayo de 1789”, in: Konetzke, Colección de documentos …, Bd. III/2, S. 643-652 (Dok. Nr. 308); siehe auch: Lucena Salmoral, Los códigos negros de la América Española, Madrid: Ediciones UNESCO – Universidad de Alcalá, 1996. 209 Siehe: Zeuske; Zeuske, Max, „Die Krise des imperialen Reformismus“, in: Zeuske; Zeuske, Kuba 1492-1902. Kolonialgeschichte, Unabhängigkeitskriege und erste Okkupation durch die USA, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 1998 (Kursus), S. 154-169. 210 “34. Primer proyecto cubano de abolición de la esclavitud [1821]”, in: Pichardo, Hortensia (ed.), Documentos para la historia de Cuba, 5 vols. in 4 Bden., La Habana: Editorial de Ciencias Sociales 1973, Bd. I, S. 267-275, hier S. 267; siehe auch: 269-275 “Memorias que demuestra la necesidad de extinguir la esclavitud de los negros en la Isla de Cuba, atendiendo á los intereses de sus propietarios, por el Presbítero don Félix Varela, Diputado á Cortes”. 211 Humboldt, „Achtes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, Bd. I, S. 364-390, hier S. 379. 206
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Humboldt bezieht sich hier auf die traditionellen Sklaven-Gesetze auf Kuba, die so genannten cuatro consuelos, wie es Arango formulierte. Francisco de Arango y Parreño, ein Befürworter der Sklaverei par excellence hat - in apologetischer Absicht, aber vielleicht auch, um seine eigenen Skrupel zu besänftigen - für das späte 18. Jahrhundert von „vier Hoffnungen“ (cuatro consuelos) für die kubanischen Sklaven im von den Siete Partidas Alfons X. herstammenden Gewohnheitsrecht gesprochen: 1. Die Wahl eines neuen Herrn, wenn der alte zu hart oder grausam war [buscar amo; auch pedir oder buscar papeles]; 2. Heirat nach eigener Wahl; 3. Die Möglichkeit, die eigene Freiheit mittels der sog. „Coartación“ durch Arbeitsabsprachen oder Geld (in Raten, wobei der Sklave oder die Sklavin nach Zahlung einer gewissen Summe auch mehr Rechte bekam) oder als Belohnung für gute Arbeit (Pflege, Dienerschaft etc.) mittels der sog. „Libertad“ oder „Manumisión“ zu bekommen, bzw. durch testamentarische Verfügung des Besitzers; 4. Das Recht eines freien Schwarzen, die eigene Frau bzw. die Kinder für deren Kaufpreis freizukaufen.212 Dazu kam das traditionelle, hier nicht expressis verbis erwähnte Recht der Sklavinnen und Sklaven auf den „Sparpfennig“ (peculium), d.h., das Recht auf Eigentum. Was Arango nicht erwähnte, war die feine, aber wichtige Unterscheidung zwischen manumission und coartación – Manumission war eine vom Herren gewährte „Gnade“ und stand voll unter dessen Kontrolle; Coartación war ein von vor allem urbanen Sklaven (und vom Staat) erkämpftes Recht. Antonio Bachiller y Morales (Havanna 7. Juni 1812 – Havanna 10. Januar 1889), ein Rechtsgelehrter, Kanoniker, Universitätsprofessor und Vielschreiber213, der als Síndico Procurador Regidor des Ayuntamiento de la Habana etwa 4000 Fälle von Coartación in Sklavensachen bearbeitet hatte (d.h., er war eine der „personnes qui l’evalue“214 - der Konflikt ging fast immer um den von den Herren manipulierten Kaufpreis oder um das Eigentum der Sklavinnen und Sklaven)215, hielt das „Recht“ auf Coartación mit der Sklaverei Marrero, Cuba), Bd. XIII, S. 156; siehe auch: Marrero, “La casta esclava: soporte hóstil del cuerpo social”, in: Marrero, Cuba ..., Bd. XIII, S. 182-234. 213 Bachiller verfasste u.a. das Werk: Bachiller y Morales, Antonio, Los negros, Barcelona: Gorgas y Comp. Eds., 1887. 214 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 3. 215 So zum Beispiel: Biblioteca Nacional de Cuba (BNC), Sala Cubana (SC), Colección Manuscrita (C.M.) Bachiller, No. 117: “Certificado expedido por Antonio Bachiller y Morales, Síndico Procurador Regidor del Excmo. Ayuntamiento, sobre demanda del negro José Murguia para que se le reconozca coartado”, Habana, julio 25, 1858 (1 Blatt); siehe auch: Zeuske, „Cosmopolites of the Hidden Atlantic: the „Africans“ Daniel Botefeur and his Personal Slave Robin Botefeur in Cuba/ Cosmopolitas del Atlántico esclavista: los „africanos“ Daniel Botefeur y su esclavos de confianza Robin Botefeur en Cuba“, in: Almanack [online] no. 12 (2016), S. 129-155 212
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für unvereinbar. Und Arango erwähnt auch nicht, dass weder das buscar amo (buscar papeles; pedir papeles) noch das Recht auf Coartación in den Siete Partidas noch in den Leyes de Indias zu finden war. Es gab keine Rechtskontinuität.216 Die Ewigkeit „unserer alten Rechte“, die er Arango immer wieder betonte, war eine Fiktion, besser eine interessengeleitete Konstruktion, aber die gut gemacht. Was es gab, war der Kampf der Sklaven um die Verbesserung ihres Status und der Kampf der Herren, um die Erhaltung eines möglichst „rechtslosen“ Status ihrer Sklaven einerseits, die Kontinuität von vorangegangenen Entscheidungen in Rechtsfällen, die als Beispielfälle in nachfolgenden Verhandlungen angerufen wurden, auch wenn das spanische Recht eher kein Fallrecht, sondern ein zentral vorgegebenes preskriptives Zivilrecht darstellte. Besonders schrecklich, trotz der relativ gemäßigten Gesetzestexte, die Humboldt auch hervorhebt, auch im Vergleich mit französischen und englischen Gesetzen war das Leben der ruralen Sklaven.217 Humboldt übertreibt die Positiva der spanischen Gesetzgebung etwas („Les loix espagnols [sic] sont partout en faveur de la Liberté“218). Er übersieht aber auch die Negativa nicht ((n. 28. „Negres“219 und (n. 34 „Esclaves cont. (n. 28)“: „marquer les Negres au fer [-] operation qui surtout fait tressaillier de crainte les enfants de 10-15 ans“220)). Und Humboldt scheint manchmal auch direkt gegen Annahmen Arangos zu argumentieren (n. 15): „on se fia beaucoup de la Religion catholique [was Arango selten als Argument benutzte – MZ], du grand nombre des blancs, de l’influence des Negres libres“.221 Arango selbst hat die Wirksamkeit dieser „sanften“ Gesetze im Alter, 1832, sehr kritisch gesehen: “Trabajan, en general, más de lo que deben. Se les castiga cruelmente. No se les alimenta, viste ni asiste en sus enfermedades, como corresponde. Se les permite, es verdad, tener peculio; pero no se les da tiempo proporcionado para cultivar su conuco, y cuidar sus animales. Pueden casarse; pero, considerados como bienes muebles, el amo, o su acreedor, puede separarlos del lado de su compañera e hijos y privarlos de los únicos consuelos de su miserable vida. – No se les da idea de la Religión, y ni tienen ese freno los bárbaros que los gobiernan, quedando impunes sus excesos en la soledad de los campos; porque la voz de
(http://dx.doi.org/10.1590/2236-463320161208 (16. Mai 2016)). 216 Fuente, “Slaves and the Creation of Legal Rights in Cuba: Coartación and Papel”, S. 659-692 217 Marrero, „El esclavo rural: una vida infernal entre la sevicia y la rebeldía deseperada“, in: Marrero, Cuba …, Bd. XIII, S. 214-215. 218 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 25. 219 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 22. 220 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 25. 221 Ebd., S. 14.
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aquellos infelices no puede llegar a los tribunales, por carecer de toda protección, y ni aun pueden ser testigos”.222 Das Problem bestand darin, wie bereits gesagt, dass die lokalen Eliten, die mit den Plantagenprodukten – vor allem Zucker, Kaffee und Tabak, die heute neudeutsch commodities heißen würden - einen Wirtschaftsboom ausgelöst hatten, die zentralen Eingriffe in den Rechtsraum ihrer Plantagen ablehnten; Arango hatte das schon im Discurso von 1792 in der literarischen Form eines Wunsches sehr selbstbewusst formuliert: “Die natürliche Ordnung verlangte, dass die Besitzer der fruchtbarsten Böden die Gesetzgeber sein sollten [El orden natural pedía que los poseedores de los terrenos más fértiles, fuesen los legisladores].223 Naturrecht für Sklavenhalter und Gesetzgebung durch Unternehmer! Jeder, der Arangos Prioritätenkatalog für die Wirtschaftsförderung las, konnte erkennen, dass es sich um eine Feststellung und Forderung handelte. Als Gesetzgeber tätig geworden sind die Sklavenhalter dann bezüglich der Sklaverei vor allem in Gestalt des harschen Reglamentos de cimarrones224, das heißt, pragmatischen Regelungen, wie Sklavenflucht und -widerstand einzudämmen und die Banden von Sklavenjägern (rancheadores) unter Kontrolle zu halten seien. Die Regelungen des Reglamento versuchten wenigsten, die Exzesse der Sklavenjäger (rancheadores) einzudämmen; Humboldt lobt es dafür: „Le noveau Reglement bienfaisant“.225 Hat sich Humboldt von Arango manipulieren lassen? Das ist nicht das Hauptproblem, denn Arango, der sich auch nicht scheute, sich als „voz de toda la Isla“226 und die Mitglieder des Real Consulado als „padres de toda la Isla“ zu bezeichnen, hat ja zugegeben, dass er alle etwas manipuliert hat mit falschen Informationen.227 Da es aber um wissenschaftliche Reputation geht, ein kurzer Exkurs zu den „internen Daten“ der Plantagen und über die Mentalität der kreolischen Zuckerelite (bei Moreno Fraginals meist verbunden mit Begriffen wie „Lüge“ und „Täuschung“).228 Moreno greift auf dieser Basis die „harten“ Datengrundlagen des Humboldt’schen Essais an. Er kann sie Arango, “Representación al Rey sobre la extinción del tráfico de negros y medios de mejorar la suerte de los esclavos coloniales” (1832), in: Arango, Obras, II, S. 529-536, hier S. 533. 223 Pichardo, Documentos, I, S. 170. 224 Arango y Parreño, “Informe que se presentó en 9 de junio de 1796 a la Junta de Gobierno del Real Consulado … Reglamento y Arancel de capturas de esclavos cimarrones …”, in: Arango, Obras, Bd. I, S. 256-274. 225 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 4, Anmerkungen des Autors (Am linken Rand ergänzt), unten. 226 Arango, „Discurso del Sr. Síndico del Consulado a su Junta de Gobierno en sesión de apertura celebrada el 10 de abril de 1795“, in: Arango, Obras, Bd. I, S. 240-242, hier S. 240 und S. 242. 227 Arango y Parreño, „Observaciones al „Ensayo político sobre la isla de Cuba“, escritas en 1827“, in: Arango, Obras, Bd. II, S. 432-444, hier S. 438f (observación „XXIV“). 228 Moreno Fraginals, El Ingenio …, Bd. I, S. 168; siehe auch: Ouiroz, “Corrupción y hacienda colonial en Cuba, 1800-1868”, in: Roldán de Montaúd (ed.), Las Haciendas públicas en el Caribe hispano durnate el siglo XIX, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 2008, S. 109-129. 222
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durchaus erschüttern. Es handelt sich vor allem um Zahlen über Produktionskosten und Gewinne.229 Im Textbezug geht es um eine Anmerkung Humboldts zu den „Preisen des Kolonial-Zuckers in Europa“ im Essai politique. Für sie hatte Humboldt, nach eigenen Worten „eine sehr alte Berechnung von Don José Ignacio Echegoyen über die Fabrikationskosten des Zuckers“ herangezogen, „... die mir in Havanna mitgeteilt worden ist, [sie] rührt vom Jahr 1798“.230 Der andere Textbezug im Essai Humboldts sind die Berechnungen über den Ertrag in Zucker pro Flächeneinheit Boden.231 Ein weiteres sehr ernstes Thema ist das Problem der energetischen Basis der Zuckerherstellung, vor allem das Problem des Waldes, des [Brenn-] Holzes, seines Ersatzes durch Bagasse als Brennmaterial in den Zuckeröfen (ausgepresstes Rohr und getrocknete Zuckerrohrabfälle, Trester, Blätter o.ä.). Weiterhin findet sich Humboldt bei Moreno noch im Zusammenhang mit technologischen Verbesserungen der Zuckerproduktion selbst sowie ihrer Geräte und im Zusammenhang mit den Verkaufsusancen der Besitzer, vor allem in Bezug auf das Problem, sowohl den braunen, wie auch den raffinierten, weißen Zucker abzusetzen.232 Alles Kernbereiche der Elitendebatte. Nach Moreno ist Humboldt dieser Eliteargumentation zum Teil auf den Leim gegangen233; im „Tagebuch Havanna 1804“ vor allem nachzuvollziehen im Technologie-Unterabschnitt (n. 16234), wo es um den Wasser-Antrieb der Zuckerrohrmühlen in den Ingenios Amistad, La Nueva Holanda (Río Blanco del Sur) und La Ninfa (Eigentum von Arango) geht und um „les eaux dans un pays plat“.235 Moreno Fraginals, El Ingenio …, Bd. I, S. 168f. und S. 190. Es handelt sich um eine Gewinnanalyse der Pflanzer, die Humboldt von José Ignacio Echegoyen bekommen hatte. Humboldt hielt in dieser Kostenanalyse die „Fabrikationskosten des Zuckers [für] etwas übertrieben“ und veraltet, benutzte sie aber trotzdem, weil er sonst nicht hatte (Cuba-Werk, S. 121-122, Anm. **). Moreno Fraginals schreibt dazu, dass es sich bei dem Dokument („Demonstración de José Ignacio Echegoyen sobre diezmos“, in: ANC, Real Consulado, 101/4330) um eine von Arango geschriebene und von Echegoyen unter seinem eigenen Namen eingereichte, „nicht ganz richtige“ Analyse handelt, siehe: Moreno Fraginals, I, S. 168. Echegoyen war Zuckermeister auf dem Gut Arangos (La Ninfa) und genoss das volle Vertrauen seines Chefs (siehe: Echegoyen, José Ignacio, Fabricación de Azúcar, Boston: Russell and Martin, 1827). Arango hat folgende Marginalie zu dieser Stelle in Humboldts Essai gemacht: „Diese Kostenanalyse (die nicht von dem ist, der sie unterschrieben hat) kann heute nicht mehr gelten; und deshalb muss ich eine Enthüllung machen, die ich vorher verborgen habe“ (Arango y Parreño, „Observaciones al „Ensayo político sobre la isla de Cuba“, escritas en 1827“, in: Arango, Obras, Bd. II, S. 432-444, hier S. 438f (observación „XXIV“); siehe auch: Moreno Fraginals, El Ingenio …, Bd. I, S. 168, FN 2). Moreno ist insgesamt der Meinung, dass die Pflanzer niemals gültige Zahlen publizierten, sondern immer nur „Lügen oder evidente Wahrheiten, die vorher schon allen anderen Zuckerherstellern bekannt waren“, siehe: Moreno Fraginals, I, S. 168. 231 Cuba-Werk, S. 108-128. Humboldt bezieht sich auf seinen „Aufenthalt in den Ebenen von Güines 1804“ (S. 108). Im Essai politique ist von einem Aufenthalt „von neuem“ (1804?) auf Río Blanco (La Nueva Holanda) die Rede, siehe: Puig-Samper; Naranjo Orovio; García González, Ensayo Político ..., S. 318. 232 Moreno Fraginals, I, , S. 215. Inwieweit Moreno hier selbst der Elitenargumentation über die mangelnde Sorgfalt der Sklaven bei den technologisch komplizierten Partien der Produktion auf den Leim gegangen sein, sei dahingestellt; ebd., S. 252. 233 Ebd., S. 200. 234 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9-13, hier vor allem S. 10 und S. 13 (nicht die Dopplung von (n.16), S. 18-19 über Theater in Havanna). 235 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9-13, hier S. 10; zu den genannten 229 230
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Auf jeden Fall schwingt im gesamten „Tagebuch Havanna 1804“ meist eine ziemliche Übereinstimmung zwischen Humboldt und Arango mit; oft erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennbar, so wie in Bezug auf eines der „Pflanzen“-Grundthemen Humboldts (Nahrungspflanzen/ Exportpflanzen): „Arango croit que Cuba peut resister sans traite … et sans sucre en cultivant des comestibles“ (n. 14).236 Das ist noch heute (2017) eine der Grundfragen der Wirtschaft und Gesellschaft Kubas! Deshalb interessiert sich Humboldt auch immer für den Anbau von Reis, Weizen und anderen sättigenden Pflanzen (Yuca, Bananen, Boniato, Malanga, Kalebasse (Flaschenkürbis), auch Reis), die Grundlage für die Ernährung der breiteren Bevölkerung und der Versklavten waren. Das Wichtigste in Bezug auf Gesetze ist, dass die kubanische Zucker-Oligarchie mehr als 50 Jahre lang (1790-1842) faktisch unter eigenen Gesetzen und eigener Gesetzgebung agieren und unter diesem Schirm die Second Slavery weiter entwickeln konnte – bis die Zuckerproduktion und der Zuckerexport Kubas, eben die Cuba grande, die weltweite „Nr. 1“ waren, flankiert von einer hochqualitativen Tabak-Wirtschaft mit Sklaven (im 18. und 19. Jahrhundert; Humboldt ordnet der Tabakwirtschaft 1804 immerhin Teile der „Esclaves …5000“237 außerhalb der Zuckerplantagen zu) sowie bis um 1840 von Kaffee-Sklavenplantagen. Kaffee geriet in den 1830er Jahren auf Kuba in die Krise und überlebte als SklavereiExportproduktion nur im Oriente der Insel um Santiago und Guantánamo; im Rest des Landes wurde Kaffee zu einer Pflanze freier Bauern (oft in Gebirgen). In der Skizze über die Schreckensfigur des „brutal rancheador“238 zitiert Humboldt nicht nur wörtlich aus dem Reglamento de Cimarrones von 1796239; er folgt auch dem Verständnis Arangos von der Rechtmäßigkeit des Reglamentos; Arango hatte über „rancheadores“ geschrieben: „los campos [de Cuba] están inundados de rancheadores que abusan de sus facultades“240; und: „La mayor parte de los rancheadores son mayorales de haciendas“241 Die Oberaufseher der Plantagen, d.h., die Manager, oft ausgemusterte Soldaten oder Bootsleute, verdienten sich mit Sklavenjagd ein Extra und lebten dabei oft ihren Hass an den Versklavten aus. Und sie züchteten Hunde. An diese Stelle passt der Kommentar zu den Textpassagen über den Exportschlager Kubas in der Ingenios, siehe: Valle Hernández, „Idea del num.o fuerzas, valor de los ingenios, y mejora que ha habido en ellos“, in: Valle Hernández, “Sucinta noticia de la situación presente de esta colonia. 1800”, in: Valle Hernández, Sucinta noticia ..., S. 77-82, hier S. 79. 236 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9. 237 Ebd., S. 37. 238 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 4 (Anmerkung des Autors (Am linken Rand ergänzt)). 239 Arango y Parreño, “Informe que se presentó en 9 de junio de 1796 a la Junta de Gobierno del Real Consulado … Reglamento y Arancel de capturas de esclavos cimarrones …”, Bd. I, S. 256-274, hier S. 258f. 240 Ebd., S. 258. 241 Ebd., S. 267.
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Sklaverei-Karibik – Sklavenjäger-Hunde, speziell für die Sklavenjagd der Rancheadores abgerichtet (perros de presa).242 Die berühmt-berüchtigsten Rancheadores der Cuadrillas im Oriente, wo zwischen 1800 und 1850 ein regelrechter Guerrillakrieg zwischen Cimarrones, Apalencados, Rancheadores sowie Landmilizen ausgebrochen war, sollen die beiden Rancheadores Miguel Pérez y Céspedes und Francisco Pérez Olivares gewesen sein. 243 Die Rancheadores, freie Weiße, aber auch freie Farbige und ehemalige Sklaven, waren Menschenjäger und Experten des Guerrillakrieges, die die geflohenen Sklaven mit Hilfe ihrer ebenso berüchtigten kubanischen perros de presa, einer Mischung aus spanischem Jagdhund (sabueso), mallorquinischer Dogge, englischem Mastiff und dem mastín der Pyrenäen, aufstöberten und jagten.244 Allerdings hielten auch Cimarrones Hunde, die sie vor Verfolgern warnten.245 Und Sklaven, die immer vor der Gefahr standen, von Hunden der Jäger gebissen zu werden, entwickelten Methoden, die Hunde abzulenken; sie operierten oft mit Gift. Humboldt behandelt unter (n. 20) die, sagen wir, außenwirtschaftlichen Aspekte der kubanischen Spezialität perro de presa: den „Comerce des Chiens“246 nach Jamaika und in das Saint-Domingue der napoleonischen Intervention: „En 1803 on a vu arriver a la Havane un General de la République une et indivible [d.h., ein Jakobiner – MZ] simplement pour faire le Comerce des Chiens!!!“.247 Zugleich entwickelte sich die repressive Kultur der Second Slavery dieser Cuba grande der industriellen Massensklaverei, wie oben gesagt, mit einem ideologischen, diskursiven Treibsatz – der Manipulation der Furchtikone „Haiti“ seit 1805 (Arango dürfte auch hier gewusst haben, dass er bewusst log, siehe oben seinen Bericht über den Franklin, John Hope; Schweninger, Loren, “Negro Dogs”, in: Franklin; Schweninger, Runaway Slaves. Rebels on the Plantation, Oxford; New York [u.a.]: Oxford University Press, 1999, S. 160-164; Villaverde, Diario del Rancheador, La Habana: Editorial Letras Cubanas, 1982 (Original: Palenques de negros cimarrones, introducción del Diario oficial del rancheador de cimarrones D. Francisco Estévez, en el quinquenio de 1837 a 1842, cafetal Último Esfuerzo, lomas de S. Blás, partido de S. Diego de Núñez, San Antonio [Habana?]: Imprenta La Protección, 1890); La Rosa Corzo, Runaway Slave Settlements in Cuba …, passim; Thompson, Flight to Freedom …, S. 150-153. 243 Carta de Eusebio Escudero desde [Santiago de] Cuba, 10 de Junio de 1816 a Pedro Ceballos: “Donativos voluntarios que se han colectado en la provincia de Santiago de cuba para subvenir á los gastos de las Partidas lebantadas contra los Negros Apalencados” (Druck), Cuba, 30 de mayo de 1816 “Ynstruccion p.a Govierno del Ten.te de Ynfant.a de la Habana D. Manuel Chenaro Comandante de la partida destinada por este Govierno para la persecucion de Negros Zimarrones ...”, ohne Datum [1816]; zum “Palenque de Moa” (El Frijol), siehe: “Cuba 1820. Sobre aprehension de los Negros llamados Cimarrones”, alles in: AGI, Santo Domingo, leg. 2210, 1763 á 1817: “Expedientes sobre asientos de negros. Isla de Cuba” (ohne Foliierung). 244 Marrero, “Perros versus Cimarrones”, in: Marrero, Cuba ..., Bd. XIII, S. 232-234; Bosch Ferrer, Diego; Sánchez Guerra, José, “Sublevación de La Somanta”, in: Bosch Ferrer ; Sánchez Guerra, Rebeldía y apalencamiento. Jurisdicciones de Guantánamo y Baracoa, Gunatánamo: Centro Provincial del Patrimonio Cultural, 2003, S. 41-43. 245 „Resumen de diario de operaciones“, in: La Rosa Corzo, Gabino; González, Mirtha T., Cazadores de esclavos, La Habana: Fundación Fernando Ortiz, 2004, S. 272-276. 246 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 20. 247 Ebd., S. 21. 242
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„jakobinischen Terror“).248 Erst 1842-44 gelang es den spanischen Liberalen, die sich mit der Sklaverei in der „Kolonie Kuba“ arrangiert hatten, die Second Slavery wieder rechtlich, man muss fast sagen – „einzufangen“ (mit dem Bando de Gobernación y Policia von 1842 und den Sklaven-Reglamento von 1844).249 Das gelang natürlich nie ganz. Das Rechts-Thema, respective das „Unrecht“ gegenüber den Versklavten, hat Humboldt nicht losgelassen, als er den Originaltext des „Tagebuches Havanna 1804“ verfasste und auch danach nicht: Er kommt mehrfach, vor allem unter (n. 15b – welches erstaunlicherweise nach (dem ersten n.16) folgt) auf das Thema der cuatro consuelos (siehe oben) als „4 consuelos“250 zurück; Humboldt erwähnt sogar die „Rl Cedula d. 31 Mai 1789“251, d.h., den Código Negro Español und die Gründe seiner Nicht-Proklamierung („La loi n’a ete mise en execution“252). Enigmatisch ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf Patrick Colquhoun 1814 und die Anmerkung „W Si [aux] Antilles tous les negres vont mourrir [,] coment [sic] [à] S. Christophe et Barbade [,] … propose sans esclaves“.253 Nicht so sehr, dass ein britischer Schotte Kolonialpolitik „sans esclaves“ nach der Abolition des Sklavenhandels durch Großbritannien in die Debatte bringt und auch nicht das „vont mourrir“ (siehe oben zur „Extermination“ der rebellischen Versklavten), sondern das „S. Christophe et Barbade“ (wo es Gesetzestexte gab, die alle „freien Neger“ von den Inseln vertreiben wollten).254 In den Unterabschnitten (6) und (7) geht Humboldt erstmals direkt auf den Auslöser des Manuskript-Textes von 1804 (eigentlich müsste ich immer „1804 ff“ schreiben) – „la Langue, Frédérique, “La culpa o la vida. El miedo al esclavo a finales del siglo XVIII venezolano”, in: Procesos Históricos: Revista de Historia y Ciencias Sociales No. 22, Mérida (jul.-dic. 2012), S. 19-41; GonzálezRipoll Navarro, María Dolores, “Desde Cuba, antes y después de Haití: pragmatismo y dilación en el pensamiento de Francisco de Arango sobre la esclavitud”, in: Gonzalez-Ripoll Navarro,; Naranjo, Consuelo; Ferrer; Garcia, Gloria; Opartný, Josef (eds.), El rumor de Haiti en Cuba. Temor, raza y rebeldia, 1789-1844, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (CSIC), 2005, S. 62-68; Naranjo Orovio, “Cara y cruz de una política colonial: azúcar y población en Cuba”, in: Santamaría García; Naranjo Orovio (eds.), Más allá del azúcar. Política, diversificación y prácticas económicas en Cuba, 1878-1930, Aranjuez (Madrid): Ediciones Doce Calles, 2009, S. 21-57; allgemein siehe: Gómez, Le spectre de la Révolution noire: l’impact de la Révolution haïtienne dans le Monde atlantique, 1790-1886, Rennes: Presses Universitaires de Rennes, 2013. 249 Valdés, Geronimo, “Bando de Gobernación y Policia de la Isla de Cuba/Reglamento de esclavos”, in: Pichardo (ed.), Documentos, Bd. I, S. 316-326 (nur Reglamento); Tardieu, Jean-Pierre, “Morir o dominar”. En torno al reglamento de esclavos en Cuba (1841-1866), Madrid: Iberoamericana; Frankfurt am Main: Vervuert Verlag, 2003 (Acta Coloniensia. Estudios Ibéricos y Latinoamericanos, eds. Hans Jürgen Prien y Michael Zeuske, VII). 250 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 14. Dieses Dokument findet sich nicht in: Arango y Parreño, Obras, sondern unter: „Representación dirigida por el Real Consulado de la Habana al Ministro de Hacienda en 10 de julio 1799“, in: Saco 2006, V, 101-113 251 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 15. 252 Ebd. 253 Ebd.; siehe: Colquhoun, Patrick, A treatise on the wealth, power, and resources of the British Empire, in every quarter of the world, including the East Indies. The rise and progress of the funding system explained. London: Mawman 1814 (Deutsch: Colquhoun, Ueber den Wohlstand, die Macht und Hülfsquellen des brittischen Reichs in jedem Theile der Welt, Ostindien eingeschlossen. ... . Aus dem Englischen übersetzt von Dr. J. C. Fick, 2 Bde., Nürnberg: Campe 1815. 254 Ebd. Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 15. 248
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revolution (destruction) de S. Domingue“255 ein, was selbst in dieser lakonischen Kürze und mit den Verweisen auf den Beginn der Zuckerwirtschaft auf Saint-Domingue und den 1791 sprunghaft gestiegenen Preis für kubanischen Zucker, sehr schön Humboldts Verhältnis zu „Revolution“ an sich demonstriert.256 Die Unterpunkte (8) und (9) zeigen ein weiteres Hauptinteresse Humboldt – wie viele Menschen in einem bestimmten Raum, in einer bestimmten Landschaft, unter bestimmten Boden- und Wirtschaftsverhältnissen, mit welcher Art von Pflanzen leben, d,h., Demografie und Bevölkerung, in diesem Fall Sklaven-Demografie. Humboldt vergleicht die Zahlen der englischen Antillen (noch ohne das 1797 von Spanien übernommene Trinidad and Tobago und ohne Guayana) mit dem spanischen Teil der Insel La Española, Santo Domingo (heute Dominikanische Republik) und den französischen Antillen.257 Dabei wird eines deutlich, was durch die historiografische Prominenz der Sklavenrevolution auf Saint-Domingue oft in den Hintergrund gerät, aber Humboldt noch sehr klar war. Saint-Domingue (und die räumlich recht kleinen französischen les Amériques) waren vor 1791 die Perle der Weltwirtschaft auf Sklavereibasis; Anschauungsobjekt und bewundertes Beispiel aller Sklaverei-Oligarchien (Humboldt listet die Zahlen für die „Antilles francaises … avant la revolution“258 unter (n. 9) auf). Ein regelrechtes Silicon Valley der Sklaverei und der Second Slavery in nuce – im Grunde handelte es sich ja, wendet man die on-the-spot-Landschaftsanalyse Humboldts (Verräumlichung) an, im Wesentlichen um die nördliche Küstenebene Plaine du Nord (sowie einige weitere kleinere Küstentaschenebene im westlichen Teil der gebirgigen Insel La Española) den westlichen Teil des berühmten Valle del Cibao auf Santo Domingo. Der Cibao war und ist eines der größten zusammenhängenden und fruchtbarsten Landwirtschaftsgebiete der Welt. Zucker dominierte zwar diese Plantagenwirtschaften mit Sklaven, aber zugleich gab es eine von freien Farbigen getragene Produktion von Indigo, Kaffee und Baumwolle (mit Schmuggelverbindungen in der ganzen Karibik) – ein Mix, den es sonst nirgends in der Neuen Welt oder anderswo gab (von den Valles in Venezuela und Jamaika vielleicht abgesehen, aber gerade Jamaika war im räumlichen Vergleich in kleines Inselchen). SaintDomingue war zwischen 1762 und 1792 die Musterkolonie aller Ökonomen in der Zeit der Aufklärung, die Perle der atlantisch-karibischen Sklavereiwirtschaften. Relativ, in Bezug das 255
Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 3. Ebd. 257 Ebd., S. 3f. Zu heutigen Dimensionen des Vergleichs der „spanischen Zuckerinseln“ in der Karibik mit anderen Zuckerproduktionsterritorien siehe: Santamaría García, Antonio; García Álvarez, Alejandro, “Azúcar en América”, in: Revista de Indias Vol. LXV, núm. 233 (2005), S. 9-32; Santamaría García, „Las islas españolas del azúcar (1760–1898). Grandes debates en perspectiva comparada y caribeña“, in: América Latina en la Historia Económica, núm. 35, México (2011), S. 147-176. 258 Ebd., S. 4; „Dominque“ meint das heutige Dominica (Ebd.). 256
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Verhältnis von Größe und Ausstoß, übertraf der französische Plantagenkomplex in les Amériques die Exporte Brasiliens.259 Aber Saint-Domingue war auch dabei, den englischen Plantagenkomplex zwischen 1762 und 1791, dem Jahr des Ausbruchs des größten Sklavenaufstandes der Weltgeschichte, zu überflügeln. Saint-Domingue produzierte 1791 fast so viel wie alle englischen Kolonien in der Karibik zusammen (Saint Domingue/Haiti [*Karte260]). Unter Punkt (10) analysiert Humboldt die in diesem Vergleich noch relativ bescheidenen Zahlen von Versklavten in Havanna und Kuba („150-180000 esclaves“261). In den vielen Zahlen der Bevölkerungs- und Sklavendemografie geht oft unter, dass der Plantagen- und Zuckerboom der Second Slavery auf Kuba zu einer Bevölkerungsexplosion geführt hat – von rund 174000 Bewohnern um 1780 bis auf rund zwei Millionen um 1900 (trotz 30-jähriger antikolonialer Kriege 1868-1898!); dieser Boom wäre ohne Migration – „freiwillige“ von „Spaniern“ und vielen anderen Menschen aus den unterschiedlichsten Völkern und gezwungene Migration durch Sklavenhandel und Menschenschmuggel (seit 1820 war Sklavenhandel illegal) nicht möglich gewesen. Unter Punkt (10) beschäftigt sich Humboldt auch mit dem, was er offensichtlich über cimarrones in der Havanna-Matanzas-Region, „sourtout dans les Montagnes de Xaruco“262, gehört hatte. In jeder repressiven Gesellschaft, die sich ideologisch als „gut“, christlich und „zivilisiert“ darstellt, sind Informationen über illegale Fluchten, Rebellionen, Sklavenwiderstand und Aufstände schwer zu bekommen.263 So nimmt es auch nicht Wunder, dass die Jaruco-Region heute eher nicht als Schwerpunkt der Sklavenflucht und der cimarronaje gilt (das war eindeutig der Ostteil der Insel).264 Den Begriff „apalencados“265 für
Garrigus, John, “Colour, Class, and Identity on the Eve of the Haitian Revolution: Saint-Domingue’s Free Coloured Elite as Colons Américains”, in: Slavery and Abolition 17 (1996), S. 20-43; Dubois, Laurent, Avengers of the New World. The Story of the Haitian Revolution, Cambridge, Mass.; London, England: The Belknap Press of Harvard University Press, 2004; Dubois, A Colony of Citizens. Revolution & Slave Emancipation in the French Caribbean, 1787-1804, Chapel Hill and London: The University of North Carolina Press, 2004. 260 Watts, David, The West Indies: Patterns of Development, Culture and Environmental Change since 1492, Cambridge: Cambridge University Press, 1987, S. 254: Karte: “major sugar-producing districts in St Domingue, 1791”; zur Gesamtentwicklung siehe: Zeuske, „Europäischer Sklavenhandel global – Plantagen und Sklavereimoderne weltweit“, in: Zeuske, Sklavenhändler, Negreros und Atlantikkreolen …, S. 270-295. 261 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 5. 262 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 5. 263 Humboldt hatte aber durchaus recht gute Informationen über einzelne Rebellionen und Verschwörungen („insurrections partielles“), siehe (n. 15b): Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 13-18, hier S. 14. 264 La Rosa Corzo, Gabino, Runaway Slave Settlements in Cuba. Resistance and Repression. Translated by Mary Todd, Chapel Hill and London: The University of North Carolina Press, 2003; La Rosa Corzo; González, Mirtha T., Cazadores de esclavos, La Habana: Fundación Fernando Ortiz, 2004. 265 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 5. 259
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sieben oder mehr geflohene Sklaven übernimmt Humboldt aus der unter (6 sowie in der Randbemerkung unten auf S. 4, Manuskript) erwähnten Gesetzgebung gegen Cimarrones. Im Unterabschnitt (n. 13) listet Humboldt die Zahlen über Sklavenimporte für SaintDomingue (vor 1791) und diejenigen der Engländer, Franzosen, Portugiesen, Holländer und Dänen vor 1788 auf; „Spanier“, d.h., die Sklavereieliten Spanisch-Amerikas und der spanischen Karibik durften vor 1789 nicht direkt Sklaven einführen (nur über von der Krone vergebene Monopole). Für den Sklavenschmuggel innerhalb der Karibik, u.a., wie wir oben gesehen haben, massiv nach Cumaná, ist die von Humboldt genannte Zahl von „annuellement 35000 esclaves“266 wichtig, die die Engländer in die französischen und spanischen Kolonien exportierten. Humboldt zitiert dann die Standorte (endroits), an denen in Afrika Versklavte verschifft werden (aus Page; Albert Hüne, Bd. I, S. 444 übernimmt die gleiche Orte bzw. Gebiete sowie Zahlen).267 Die Partien über Afrika sind die schwächsten Teile in Humboldts Wissenskultur, da er sich nirgends auf eigene, empirische Beobachtungen stützen konnte. Humboldt listet auch die Preise für Versklavte bei Engländern (in Pfund Sterling/ „livres st.“) und Franzosen auf („fr.“ = Francs)268 – erstaunlicherweise, ohne sie mit den Preisen bei den Spaniern zu vergleichen (diese Sklavenpreise listet Humboldt unter (n. 16) auf: „Negres à 270-300 p[esos] [,] en tem[p]s de guerre à 500 p[esos]“).269 Humboldt kommt unter Unterabschnitt (n. 35) nochmals auf die Zahlen und Orte des Sklavenhandels aus und in Afrika zurück. Er listet dort die Gründe für Versklavungen in Afrika auf.270 Humboldt erwähnt an dieser Stelle auch - und das ist eine der ganz wenigen Hinweise auf die Verwendung von Giften im atlantischen Sklavenhandel – die Autoren Wadström und Sparman, die „assurent que les Francais embarquent du mercure ou de l’arsenic pour depêcher [! - MZ] les esclaves en cas de contagion ou de manque de vivres, que les Anglais agissent plus ouvertement en les jettant à la mer“.271 Ein extrem wichtiges Detail – fast völlig unerforscht bis heute.
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 7. Ebd., S. 8. 268 Ebd.; siehe: Ortiz, Fernando, “Precio de los esclavos, según las épocas. Formalidades de la venta. Anuncios típicos”, in: Ortiz, Los negros esclavos, La Habana: Ed. de Ciencias Sociales, 1976, S. 169-171, Anm. S. 174175; siehe auch: Bergad; Iglesias García, Fe; Barcia, María del Carmen, “Introduction: Prices and the historiography of slavery” in: Bergad; Iglesias García; Barcia, The Cuban Slave Market 1790-1880, New York [etc.]: Cambridge University Press, S. 1-14; Bergad, “American Slave Markets during the 1850s: Slave Price Rises in the United States, Cuba, and Brazil in Comparative Perspective”, in: Eltis; Lewis, Frank; Sokoloff, Kenneth (eds.), Slavery in the development of the Americas, Cambridge: Cambridge University Press, 2004, S. 219-235. 269 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 10. 270 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 27f, hier S. 27. 271 Ebd. Wir können sicherlich davon ausgehen, dass Humboldt von „Zong-Massaker“ gehört oder gelesen hatte; siehe: Krikler, Jeremy, „A Chain of Murder in the Slave Trade: A Wider Context of the Zong Massacre“, in: 267
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All die Zahlen über Menschen stehen im Zusammenhang eines der großen Themen der „Tagebuchs Havanna 1804“ – der Bevölkerungsstatistik Kubas und der Sklaverei-Amerikas, der Untergliederung ihrer Bevölkerung in Kasten (castas), in Freie/ Versklavte und der Frage, woher diese Menschen kamen. Humboldt interessiert sich auch für das Geschlechterverhältnis der Versklavten; Sklavinnen waren wichtig für die versklavten Männer, für die Stabilität der politischen Verhältnisse, für die Positiva der spanischen Gesetzgebung (Sklaven sollten im Grunde heiraten) und für die katholische Kirche; Humboldt (n. 15b): „Negresses introduites seulement depuis 20 ans … Arango a le plus contribué a les propager[.] Il y en a dans les nouvelles haciendas [der Second Slavery – MZ] mais bien peu dans les vieux“.272 Das Argument von „mehr Frauen“ (negras) wurde aber auch gerne von Sklavenhändlern aufgenommen, wie den Negreros Zangronis (Zangroniz, Sangronis) aus Santander und Havanna: „lo que importa al bien del estado, proveer de Negros y sobre todo de Negras las preciosas haciendas de la Ysla de Cuva [sic]“.273 Wirklich wichtig unter Abschnitt (n.14) sind neben den in diesem Zusammenhang eher mäßig interessanten Landmaßen auf Saint-Domingue (Carreau und lieuex), der Vergleich der Bevölkerung 1788 - auf dem Höhepunkt der Existenz der französischen Paradeund Plantagenboom-Kolonie (mit 520000 Gesamtbevölkerung und 452000 Versklavten – im Grunde eine 1:9 Sklavereidemografie (etwa ein Teil Freie, davon ca. ein Hundertstel „große“ Sklaveneigentümer, die aber oft in Frankreich lebten) zu 9 Teilen Versklavte) sowie SaintDomingue unter Toussaint Louverture im Jahr der napoleonischen Intervention 1802 (mit 375000 Gesamtbevölkerung, d.h., mit einem Schwund von rund 28% der Bevölkerung in 14 Jahren und einem Anteil von „Laboreurs 290000“, d.h., der Anteil nun ehemaliger Sklaven war um rund 36% gefallen, sowie „Domestiques, manouvriers [,] matelots 47700 Soldats 39000“).274 Hinter diesen Zahlen verbirgt sich die grundstürzende Erkenntnis, dass in den Jahren 1790 bis 1803 eine Reihe von Rebellionen, die Revolution der Versklavten um ihre International Review of Social History Vol 57:3 (December 2012), S. 393-415. 272 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 16; zu Arango und seiner Forderung, mehr Frauen als Sklavinnen aus Afrika nach Kuba zu bringen (man stelle sich die Auswirkungen auf Afrika vor!), siehe: Arango y Parreño, “Primer Papel sobre el comercio de negros ”, in: Arango y Parreño, Obras, Bd. I, S. 79-84; Arango y Parreño, “Certificación de la Secretaría del Consulado de la Habana y Real Orden reservada de 22 de abril de 1804, sobre escasez de hembras esclavas y medios de propagar la especie negra,” in: Arango y Parreño, Obras, Bd. I, S. 97-102. 273 Archivo Histórico Nacional (AHN), Madrid, Estado, Trata de negros, leg. 8028/1, no. 1: Schreiben (Original) von Juan José de Zangroniz, aus Santander, 23 de Julio de 1816, an Ministerium mit Bitte, eine Sklavenexpedition unter spanischem Kapitän und spanischer Mannschaft ausrüsten zu dürfen, auf seinem Schiff Mulato; Zangroniz möchte zu portugiesischen Besitzungen in Afrika unterhalb des Äquators fahren und dort Sklaven aufnehmen. Das Ministerium möge das alles dem britischen Außenministerium mitteilen, damit britische Kriegsschiffe keinen Vorwand hätten, die Expedition auf zu bringen. Will ein Zertifikat (Documento ó Pasaporte) der Regierung über o.g. Charakteristiken der Expedition haben. 274 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 8f.
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Freiheit (1791-1796), der Kampf gegen Interventionen der Engländer und Spanier (17921796/ 1798), ein interner Bürgerkrieg der vorwiegend schwarzen Truppen Toussaint Louvertures (für Arango „el negro Santos Louverture“275) gegen die freien Farbigen unter André Rigaud im Süden und Westen Saint-Domingues (1799-1800: „Krieg der Messer“) und schließlich die mörderische Intervention der Truppen Napoleons (1802-1803), etwa einem Drittel der Bevölkerung und mehr als einem Drittel der ehemaligen Sklaven das Leben gekostet hatte.276 Noch explosiver war die Realität, die hinter den Zahlen steht, die Humboldt unter „S. Domingue a produit en 1799 ¼ de Sucre [et] Caffe du produit de 1788“277 darstellt. Der erfolgreiche Revolutionär Toussaint Louverture war, als er um 1799/1800 militärisch gesiegt hatte bereit, die Plantagenexportwirtschaft und eine de-facto-Sklaverei wiedereinzuführen. 278 Und er tat es auch.279 Das kostete ihn den Posten und das Leben; Toussaint wurde, faktisch durch die eigenen Leute, 1802 an die Franzosen ausgeliefert. Humboldt ist auf seiner ganzen Reise und besonders in den Gebieten (Plattformen) der Second Slavery in Venezuela und auf Kuba nahezu obsessiv besessen von „Arithmetique politique“280 (ein kameralistischer Kernbegriff), d.h., von Wert-, Kosten- und Rentabilitätsberechungen von Land (Boden), Sklaverei, Arbeit/ Unterhalt der Versklavten und Preisen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Raum (der „Landschaft“), Löhnen, Produktionsmethoden (“Technologie – vor allem in der langen n. 16281), dem „Reichtum“ der privaten Eigentümer und der Wirtschaft des jeweiligen Territoriums im Allgemeinen (n. 8, n. 9, n. 12, n. 13 (unterer Teil), n. 16, n. 22 (Kaffee), n. 23, n. 26 (Tabak und Kaffee auf Kuba), . Diese Partien sind für Kuba und den Essai politique über Kuba, wie wir in Bezug auf die „Beobachtungen“ Arangos gesehen haben, vielleicht die konkret schwächsten Stellen in Humboldts Werk. Das lag, wie ebenfalls Arango enthüllte daran, dass Humboldt keine wirklich fidedignen Ausgangsdaten bekommen konnte. Was an diesen Partien aber sozusagen „ewig“ bleibt und Humboldts Werk auch bis heute auszeichnet, ist seine Methode. Humboldt hat sie schlaglichtartig an verschiedenen Stellen erwähnt, am deutlichsten vielleicht in Bezug Arango, „Voto particular de varios Consejeros de Indias sobre la abolición del tráfico de negros“, in: Arango, Bd. II, S. 274-281, hier S. 278. 276 Zeuske, „Revolution im Zentrum der schwarzen Karibik“, in: Zeuske, Schwarze Karibik. Sklaven, Sklavereikultur und Emanzipation, Zürich: Rotpunktverlag, 2004, S. 157-190. 277 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 9. 278 Geggus, “Toussaint’s Labor Decret (Supplement to the Royal Gazette [Jamaica], 15 Nov. 1800)“, in: Geggus (ed., transl., with introd.), The Haitian Revolution. A Documentary History, Indianapolis/ Cambridge: Hackett, 2014, S. 153-154. 279 Fick, Carolyn, „Revolutionary Saint Domingue and the Emerging Atlantic“, in: Tomich & Zeuske (eds.), The Second Slavery: Mass Slavery, World-Economy, and Comparative Microhistories, 2 Bde., Binghamton: Binghamton University, 2009 (=special issue; Review: A Journal of the Fernand Braudel Center, Binghamton University XXXI, no. 2 & 3, 2008), no. I, S. 121-144. 280 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 33. 281 Ebd., S. 9-13. 275
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auf die vier Kolonialexportprodukte (commodities) der Valles de Aragua in Venezuela (añil/ Indigo, Kakao, Kaffee und Baumwolle): „Man bekommt eine Vorstellung von der außerordentlichen Ertragsfähigkeit der Landwirtschaft in den spanischen Kolonien, wenn man sich vor Augen hält, daß der Indigo aus Caracas, der 1794 einen Wert von mehr als sechs Millionen Franken hatte, auf nur vier bis fünf Quadratmeilen angebaut wird“. Man kann das mit einem „gut gebrüllt, physiokratischer Löwe“ abtun. Das wäre aber falsch. Humboldt hat diese Methode sowohl in Bezug auf Zucker in der Cuba grande (siehe: die „100 Quadratleguas“ unter Cuba grande I oben) wie auch, neben Indigo, in Bezug auf Kakao in Venezuela angewandt.282 Und all das, wie oben gesagt, im Vergleich. Dazu kamen noch eigene Beobachtungen (sowie Gehörtes) on the spot und - wenn möglich – die Nutzung lokaler Archive. Die andere Dimension des humboldtschen Werkes, man kann schon fast nicht mehr nur Methode sagen, heute noch viel wichtiger, ist die nicht ganz unkomplizierte Einheit von „Naturwissenschaften“, „Sozialwissenschaften“ (einschließlich der historischen Vertiefung) und der literarischen „schönen“ Darstellung; etwas salopp gesagt, nach dem Motto „was machen Pflanzen mit Menschen und ihren Gesellschaften?“. Ein Blick auf die realen Räume auf einer guten Karte der Amerikas zeigt, dass die wirklichen Räume intensiver Plantagensklaverei eher klein und kompakt waren283; eine der größten und kompaktesten Sklaverei-Landschaften der Second Slavery entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts in der Ebene von Colón; mit der llanura de Colón und ihren dunkelroten Böden verfügte Kuba weltweit über die modernste Plattform der ZuckerPlantagenwirtschaft mit Massensklaverei und den besten Böden, man kann fast von Plantagen-terroir sprechen284 - allerdings erst „nach Humboldt“, als die erste Eisenbahn der Amerikas um 1840 die Ebenen des Interior der Insel der Modernisierungsgewalt der Second Slavery geöffnet hatte. Um auf Räumlichkeit (Spatialität) sowie Größe/ Kleine und Produktivität zurückzukommen – wer kennt heute die rote Ebene zwischen Matanzas und Cienfuegos, genauer um Jovellanos und Colón (wenn er oder sie nicht Humboldt gelesen hat)?
Humboldt, „Sechzehntes Kapitel“, Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, S. 629-701, hier S. 687ff und: Humboldt, „Sechundzwanzigstes Kapitel“, in: Ebd., S. 1461-1492, hier S. 283 Zeuske, „Europäischer Sklavenhandel global – Plantagen und Sklavereimoderne weltweit“, S. 270-295 und passim. 284 Marrero Cruz, Eduardo, „La llanura de Colón, emporio azucarero del mundo en el siglo XIX“, in: Boletín. Archivo Nacional de la República de Cuba. Sistema Nacional de Archivos, Núm. 15 (2007), S. 21-33; Marrero Cruz, “El emporio azucarero”, in: Marrero Cruz, Julián de Zulueta y Amondo. Promotor del capitalismo en Cuba, La Habana: Ediciones Unión, 2006, S. 95-120. 282
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Es besteht aber ein starker Zusammenhang zwischen Sklaven-Demografie, der Zahl der ruralen Sklaven und dem „Wert der Sklaverei“ an sich – die menschlichen Körper der Sklavinnen und Sklaven mit ihrer Arbeits-, Produktions- und Reproduktionskraft waren das wichtigste Kapital von Sklavereigesellschaften und Sklavenhändler/ Kaufleuten (die auch die Funktion von Bankiers hatten). Antonio del Valle Hernández, der erste Demograph Kubas, dessen „Sucinta Noticia“ Humboldt erst lange nach 1804 zugeschickt bekam, drückt es folgendermaßen aus: „la riqueza de los fondos rurales no es tanto la cantidad de la tierra, como el núm.o de sus brazos habiles [=Versklavte – MZ]“.285 Danach geht Valle Hernández, im Gegensatz zu allen Zeitgenossen und vor allem (fast) allen Soziologen, Historikern und anderen Wissenschaftler, die das Thema Sklaverei ohne Kenntnisse on the spot bearbeitet haben, auf die andere Form lebenden Kapitals ein: „Después de la dotación de hombres, requiere el ingenio una numerosa boyada [am besten übersetzt mit Ochsenbesatz – MZ], tanto para conducir la caña, como para el tiro de la leña y demás atenciones“.286 Erst danach kommt das fixe Kapital der Häuser, Installationen und Maschinen. Geführt werden müssen die komplizierten Operationen des Ingenio, der Basis-Betriebseinheit der Second Slavery, so Valle Hernández, schon nicht mehr durch einen „labrador“287 („Landmann“ – oft eine Selbstbezeichnung der Hacendados und Ingeniobesitzer), sondern durch einen „fabricante“288, da alle „manipulaciones, pertenecen á la mecanica y quimica“.289 In Bezug auf die Erhaltung des Kapitals menschlicher Körper – auch eines der scheinbaren Details in Humboldts „Tagebuch Havanna 1804“ – ist die Ernährung von Versklavten sehr wichtig und die allgemeinen Gesundheits- und Hygienebedingungen, die Humboldt im Wesentlichen in seinen vernichtetenden Aussagen zur „mauvaise Police de la Havane“ (n. 32)290 zusammenfasst. Zur Ernährung der Versklavten sagt Humboldt: „On donné à 1 Negre ½ arrobe de Tasajo [getrocknetes Rinderfleisch – MZ] de Buenos ayres, en outre[,] les Viandes [Yuca, Malanga, Bananen, Boniatos, siehe oben zu Nahrungspflanzen – MZ] c.ad. les Calabasses [von Spanisch calabasa – MZ] [,] Boniatos (Convolvul)[,] forme de Mays [Humboldt meint in Maisblätter gehülltes Maismehl, in Brühe gekocht (heute tamales) – MZ] … 1 ar[roba] de Tasajo de Buenos ayres = 10-12 r[eales][.] En fin, [s’il] manque [de Tasajo MZ][,] on leur donne du Bacalao (salé) que l’on regarde comme mal sein [nur wenn der Valle Hernández, “Sucinta noticia de la situación presente de esta colonia. 1800”, in: Valle Hernández, Sucinta noticia ..., S. 69-112, hier S. 78. 286 Ebd. 287 Ebd. 288 Ebd., S. 79. 289 Ebd. 290 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 23-25, hier S. 23. Siehe auch die Aussagen zu den Gelbfieber-Epidemien („Vomito“) und zum Gestank des Tasajo sowie zum Zusammenhang mit Massen von Mosquitos (Ebd., S. 23 und 24). 285
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getrocknete Kabeljau teurer als tasajo war – MZ]“.291 Dann verweist Humboldt auf seine exzellenten Erfahrungen, Berechnungen und Analysen in Bezug auf das Trockenfleisch von Barcelona in Venezuela.292 Er schließt ab mit einer Kostenberechnung „Habillement du Negre par an 15 p[esos]“.293 Humboldt beweist seine sehr gute Beobachtungsgabe – Sklavenernährung und Ernährung breiterer Bevölkerungen ist in den letzten Jahren zu einem sehr dynamischen Feld der Globalgeschichte geworden.294 Der Vergleich, auch und besonders mit Saint-Domingue vor der „revolution“, ist, ausgesprochen (und niedergeschrieben) oder nicht, im „Tagebuch Havanna 1804“ allgegenwärtig. Besonders deutlich wird diese Dimension sozialwissenschaftlichen und historischen Arbeitens auf kameralistischer Basis in den Bevölkerungsstatistiken und Vergleichen sowie ganz besonders in der Analyse von Sklavenpopulationen und Sklaveneinfuhrzahlen; Zensus (n. 13, n. 36 „Isle de Cube“295, n. 37 und n. 38). Übrigens war Humboldt 1804 nicht sehr optimistisch in Bezug auf die Abolition – ich meine des Sklavenhandels (realhistorisch 1808-1840) und nicht gleich der Sklavereien, die realhistorisch nach der Selbstbefreiung auf Saint-Domingue/ Haiti und der Proklamierung durch die Jakobiner 1794, erst 1838-1888 in den Amerikas Realität wurde. Humboldt hält am Ende des langen Unterabschnitts mit dem Titel „Esclaves“ (n. 15b) fest, nachdem er über das britische „Loix d‘Abolition Abolition“ des Sklavenhandels (1807296) und mögliche Wandlungen der Sklaverei ((n. 34), etwa Umwandlung in „glebae adscripti“ oder Ansiedlung in Sierra Leone) reflektiert hat: „loix d’infamie attachee a la traite. abol[ition] entiere Hollande et volontaire Dannemarcq? Suede? Portugal[,] difficulte, a promis ne pas porter d’autres negres que de ces [sic] colonies d’Afrique au Bresil[.] Portugais et Esp. ont fait
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 11; zur Ernährung der Versklavten auf Kuba siehe: Zeuske, “Funche, Bacalao oder Tasajo: Sklavendiäten”, in: Zeuske, Cuba grande. Geschichte der Sklaven und Sklavinnen auf Kuba, 15.-20. Jahrhundert (forthcoming 2017). 292 Humboldt, „Kapitel 11. Rückblick auf die Reise von San Carlos del Río Negro bis Esmeralda. Von Esmeralda auf dem Orinoco über Angostura und Nueva Barcelona nach Cumaná (7.5.-26.8.1800)“, S. 311- 389, hier vor allem S. 355 und 373. 293 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 11. 294 Mintz, Sydney W., Tasting food, tasting freedom: excursions into eating, power, and the past, Boston: Beacon Press, 1996; Sarmiento Ramírez, Ismael, “Del ‘funche’ al ‘ajiaco’: la dieta que los amos imponen a los esclavos africanos en Cuba y la asimilación que éstos hacen de la cocina criolla”, in: Anales del Museo de América 16 (2008), S. 127-154; Maeseneer, Rita de, “Celebrar, tragar, amamantar lo cubano: los contextos culinarios en Cecilia Valdés de Cirilo Villaverde”, in: Iberoamericana IX, 36 (2009), S. 27-46; Zeuske, „Mobilität, Diäten, Terror und translokale Infrastrukturen der Gewalt“, S. 430-450. 295 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 28f; siehe auch: Zeuske, „Census Data and Labor in Cuba, 1774-1919: From Colonial to Slave Society and Back” (forthcoming). 296 “An Act for the Abolition of the Slave Trade 47o Georgii III, Session 1, Cap. XXXVI”, in: Linden (ed.), Humanitarian Intervention and Changing Labor Relations. The Long-Term Consequences of the Abolition of the Slave Trade, Leiden/ Boston: Brill, 2011 (Studies in Global History, Vol. 7), S. 46-54.
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enorme commerce de negres 70-80000 […] derniers tems“.297 Keiner hat wohl die Bedeutung der „Portugiesen“ im Sklavenhandel des 19. Jahrhunderts besser erkannt als Arango – nachdem er u.a. nach Portugal gereist war.298 1809 schrieb er: „In diesen letzten Jahren hat es eine totale Transformation im kommerziellen System gegeben“.299 Im gleichen Jahr schrieb Arango auch: „Solos los Portugueses son los extrangeros que quedan en aptitud de hacer algo“.300 Beide, Humboldt und Arango, waren, wie fast immer, auf gleicher Wissenhöhe. Aber sie zogen daraus unterschiedliche Schlüsse (zumindest 1808-1817).301 Oft liegen neue Erkenntnisse oder Informationen im Text des “Tagebuchs Havanna 1804” in den Details – so notiert Humboldt im Unterabschnitt zu Abolitionen eine neue Entwicklung nach 1808: “Lorsqu’on prend des vaisseaux negres[,] on ramene les negres à la cote d’Afrique”.302 Großbritanniens Kriegsschiffe begannen Sklavenschiffe zu verfolgen, die Verschleppten zu “befreien” (das ist umstritten) und an den Kolonisations-frontiers (Freetown/ Sierra Leone, Australien, Belize, Trinidad and Tobago) anzusiedeln, sie als Soldaten in Regimenter zu stecken, die in den Tropen eingesetzt wurden oder sie auf britische Plantagen zu verbringen – unter Bedingungen, die denen der Sklaverei entsprachen. Damit entstand die Kategorie der emancipated slaves (Span.: emacipados), im Grunde eine koloniale Staatssklaverei des 19. Jahrhunderts, die auch auf Kuba eine wichtige Rolle spielte.303
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Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 13-18, hier S. 18. Zur extrem späten Abolition in den Niederlanden und ihren Kolonien, siehe: Kuitenbrouwer, Maarten, „The Dutch Case of Antislavery. Late and Élitist Abolitionism”, in: Oostindie, Gert (ed.), Fifty Years Later. Antislavery, Capitalism and Modernity in the Dutch Orbit, Leiden/Pittsburgh: KITLV Press/University of Pittsburgh Press, 1995, S. 6788; Engerman, Stanley L., „Emancipations in Comparative Perspective. A Long and Wide View“, in: Ebd., S. 223-241; zu Dänemark: Røge, Pernille, “Why the Danes got there first – a trans-imperial study of the abolition of the Danish slave trade in 1792”, in: Slavery and Abolition Vol. 35:4 (2014), 576-592. 298 Siehe den Bericht Arangos über diese Reise an den Real Consulado: ANC, Real Consulado y Junta de Fomento (RC), leg. 92, no. 3923: “Expediente sobre las noticias comunicadas por el Sindico Don Francisco de Arango y Parreño, adquiridas en el viaje por encargo de S.M. ha hecho a Inglaterra, Portugal, Barbada y Jamayca”, 30 de Septiembre de 1795; sowie: ANC, RC, leg. 93, no. 3924: “Expediente relativo a las noticias adquiridas por el Sindico de este cuerpo en Inglaterra y Jamayca, sobre refinerias de azucar”, 28 de Octubre de 1795; siehe auch: ANC, Junta de Fomento, libro 161 (1795-1796), f. 83r-f. 88r. 299 Arango an Generalkapitän Someruelos, La Habana, 17. Oktober 1809, in: ANC, GSC, leg. 1021, 95998, f. 2r2v, siehe auch: Childs, “The Present Time Is Very Delicate. Cuban Slavery and the Changing Atlantic World, 1750-1850”, in: Childs, The 1812 Aponte Rebellion in Cuba and Struggle against Atlantic Slavery, Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2006, S. 21-45; zur “Rolle vorwärts” Arangos vom Sklavenhandelsbefürworter zum Sklavenhandelsgegner zwischen 1812 und 1817 (und verschärft nach 1825), siehe die Zusammenfassung Gradens zu den Arbeiten von Manuel Barcia und Matt Childs: Graden, Dale T., „Slave Resistance and Debates over the Slave Trade to Cuba, 1790s-1840s“, in: Graden, Disease, Resistance, and Lies. The Demise of the Transatlantic Slave Trade to Brazil and Cuba, Baton Rouge: Louisiana State University Press, 2014, S. 81-119, hier vor allem S. 102-103. 300 „Informe del S.or Oidor Sindico de f.ha 17. de Oct. 1809“, in: ANC, Real Consulado, leg. 74, no. 2836, f. 11r-14r. 301 Zeuske, „Versklavte, Sklavereien und Menschenhandel auf dem afrikanisch-iberischen Atlantik“, S. 296-364. 302 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 18. 303 Roldán de Montaud, Inés, “Origen, evolución y supresión del grupo de negros 'emancipados' en Cuba 18171870”, in: Revista de Indias Vol. XLII, nos. 169-170 (1982), S. 559-641; Roldán de Montaúd, „On the Blurred
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Humboldt glaubte wohl 1804 eher an weitere Sklavenaufstände: „Cette Culture des Isles cessera par les emeutes des Negres et par la Culture du Continent“304 – welchen Kontinent Humboldt meint, ist unklar, vielleicht Europa, weil es formal keine Sklaverei dort gab (free soil)? Die meisten kruden Informationen, die Humboldt im „Tagebuch Havanna 1804“ gesammelt hat, lassen sich leichter und eleganter in literarischer Verarbeitung im Essai politique („Cuba-Werk“) genießen. Humboldt hat aus der Distanz aber auch einiges abgeschwächt. Wichtig sind die Zusammenhänge der Entwicklung der Demographie als Wissenschaft (in Deutschland und in der Ausbildung Humboldts: Kameralistik) und auf Kuba sowie einige Details (die nur in den Tagebüchern deutlich werden). Humboldt ist im Zusammenhang der Entwicklung der Sklaven- und Bevölkerungsdemographie nur ein Teil der durch die Revolution von Saint-Domingue und den Zwang, menschliche Körper im Sklavenhandel und in den Sklavereien zu kontrollieren, ausgelösten Wissens- und Wissenschaftsrevolution der kubanischen ciencia criolla.305 Auf Kuba jedenfalls begann ein „goldenes Zeitalter“ dieser kolonialen Sozialwissenschaft, die von Humboldt beeinflusst, aber nicht geführt oder gar eingeführt worden war (siehe Arango und Valle Hernández).306 Was auch begann, war die Zeit der Vollendung der Second Slavery, deren Ansätze Humboldt und Bonpland zuerst in Venezuela analysiert und beschrieben hatten. Die globalhistorischen Umstände änderten sich, vor allem nachdem ab 1808/1810 die Unabhängigkeitsrevolution in den Kontinentalkolonien Spaniens ausgebrochen (mit Zentren in Mexiko und Venezuelas/ Neu-Granada) war und nachdem seit 1814/1815 die Zeit des Boundaries of Freedom: Liberated Africans in Cuba, 1817–1870“, in: Tomich (ed. and introd.), New Frontiers of Slavery …, S. 127-155; Zeuske, “Emancipados oder “befreite” Verschleppte als Staatssklaven der Atlantisierung”, in: Zeuske, Die Monte Christos des verborgenen Atlantik. Sklavenhandel und Atlantisierung Afrikas und Amerikas (forthcoming 2017). 304 Humboldt, Manuskript (kritisch), Isle de Cuba. Antilles en général, S. 10. 305 Zeuske, „Doktoren und Sklaven. Sklavereiboom und Medizin als “kreolische Wissenschaft” auf Kuba“, in: Saeculum Vol 65:1 (2015), S. 177-205. 306 Venegas Fornias, “Los instrumentos modernos de la Ilustración: censos, estimados, encuestas y mapas topográficas (1763-1817), in: Venegas Fornias, Cuba y sus pueblos. Censos y mapas de los siglos XVIII y XIX, La Habana: Centro de Investigaciones y Desarrollo de la Cultura Cubana Juan Marinello, 2002, S. 37-78; Venegas Fornias, “La época dorada de la estadística y la cartografía en Cuba (1820-1868)”, in: Ebd., S. 79-125. Das die Zensus der kubanischen Sklavereigeschichte eher Kontroll- als Informationscharakter hatten und oft – durchaus im Sinne Arangos – manipulativ einegesetzt wurden, zeigt (anhand eines spätern Zensus für den einfach die Original-Quellen benutzt werden konnten) José Antonio Piqueras, siehe: Piqueras, „Censos lato sensu. La abolición de la esclavitud y el número de esclavos en Cuba”, in: Revista de Indias Vol. LXXI, no. 251 (2011), S. 193-230. Die spanische Regierung ließ aus Angst vor der Masse von Versklavten zur Zeit der Bürgerkrieges in den USA den Zensus nicht proklamieren. Der Hauptgrund aber war, dass die Anzahl der eingeschmuggelt Versklavten aus Afrika um 1861 (nach dem formellen Verbot 1820) extrem hoch war. Es gab viel mehr eingeschmuggelte Sklaven als die vorherigen, nicht „ganz so richtigen“, Zensus verkündet hatten, nämlich 402 167 (Ebd., S. 198) – eine weder vorher noch nachher jemals wieder erreichte noch durch einen Zensus anerkannte Zahl von Versklavten auf Kuba.
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Wiener Kongresses, der Heiligen Allianz und des konsumgelenkten BiedermeierKapitalismus angebrochen waren. Alle Europäer, nicht mehr nur die adligen Schichten wie vor 1789 und 1791, wollten nun Kleidung aus Baumwolle (auch als Unterwäsche!) tragen, sie wollten Zucker (und Zuckerprodukte – „Zuckerbäckerei“), Kaffee, Schokolade/ Kakao konsumieren und viele wollten Kolonialtabak und die guten Habanos rauchen. Und all dies natürlich zu Hause, aber auch in den neuen kleinen Palästen der Biedermeier-Zeit, den Kaffeehäusern, wo auch „europäische“ Kunst, Literatur und Philosophie entstand. Das hatte 1804 noch niemand ahnen können – auch Alexander von Humboldt nicht.307 Statt einer Konklusion: Humboldt, Arango und die neue Sklaverei des 19. Jahrhunderts (Second Slavery)
Humboldt und Bonpland haben auf ihrer Amerikareise 1799-1804 Sklaverei in verschiedenen Dimensionen (Sklaverei von Menschen aus Afrika, Sklaverei von Indigenen), unterschiedlichen Sektoren (urbane Sklaverei, d.h., vor allem Haus-, Dienstleistungs-, Infrastruktursklaverei sowie Staatssklaverei) und rurale Sklaverei (agrikulturelle Sklaverei (im Zucker, Kakao, Kaffee, Tabak, Baumwolle, Indigo, Bergbausklaverei; Sklaverei in der Vieh- und Hütewirtschaft), lokale Sklavereien in verschiedenen politischen Einheiten (Verwaltungsterritorien des spanischen Imperiums) und geographischen Räumen (Küsten, Flussgebieten, Städten/ Häfen, Landwirtschafts-Landschaften, Missionen, Hinterländern, Savannen, Meeren, Grenzgebieten) sowie Sklavereien in verschiedenen, sagen wir, Aggregatzuständen organisatorischer Verdichtung (in den Extremen: Razzien- und Menschenjagd-Sklavereien in Grenz- und „Sklavenproduktions“-Gebieten einerseits und Plantagen-Sklaverei als Teil der Atlantic slavery andererseits) kennengelernt. Das gilt auch für unterschiedliche Dimensionen von Sklavenhandelssystemen oder, wie Humboldt es literarisch audrückt: „Der Sklavenhandel mi den kupferfarbigen Eingeborenen führte zu denselben Unmenschlichkeiten wie der Negerhandel; er hatte auch dieselben Folgen, Sieger und Unterworfene verwilderten dadurch“.308 Direkte Sklaverei als privates Eigentumsverhältnis und massiver Sklavenhandel und Menschenschmuggel waren für die beiden Europäer etwas ziemlich Neues; im Grunde sprangen sie gleich in Cumaná in tiefes Wasser - auch und grade in Bezug auf Sklavenhandel und -schmuggel. Deshalb arbeitete 307
Zum Biedermeier-Kapitalismus und zur neuen Rolle von Sklaverei und Versklavten in der Entwicklung des globalen Kapitalismus ab 1815 siehe: Zeuske, „Karl Marx, Sklaverei, Formationstheorie, ursprüngliche Akkumulation und Global South“, in: Wemheuer, Felix (ed.), Marx und der globale Süden, Köln: PapyRossa Verlag, 2016, S. 96-144. 308 Humboldt, „Sechstes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, Bd. I, S. 291-345, hier S. 292.
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Humboldt die literarische Verarbeitung seiner Tagebuchnotizen (im Essai historique) über Cumaná zu einem tief anrührenden Bericht über einen Sklavenmarkt und über Sklavenhandel allgemein sowie über „die Zahl der Sklaven“ aus (siehe oben).309 Von der atlantischen Sklaverei konnten beide Reisende mit Ausnahme des Sklavenschmuggels in der Karibik nur die amerikanisch-terrestrische Seite (Ankunft in den Häfen, Sklavenverkäufe und -märkte (sehr selten), Sklaven an ihren Einsatzorten (siehe ober unter Sektoren) selbst on the spot analysiert und beschreiben. Das heißt, in Bezug auf Sklavereien, Sklaven- und Menschenhandel sowie Verkauf/ Tausch und allgemeine Bedingungen für Versklavte in Afrika, an Küsten und Handelsplätzen Afrika (nur dort waren europäische und einige wenige amerikanische Sklavenhändler zu finden) und auf den Sklavenhandels-Schiffen der atlantischen Sklaverei waren sie auf Literatur, staatliche Untersuchungen (vor allem in Großbritannien) und Diskurse sowie mündliche Informationen angewiesen. Es erstaunt schon, dass Humboldt in seinen Schriften kaum erkennen lässt, ob er mit eigenen Augen die reale Ankunft eines Sklavenhandels-Schiffes gesehen hat.310 Fest steht, und das ist eine der wichtigen Konklusionen: Humboldt war ein Fachmann in Bezug auf Sklavereien. Der oft geäußerte Vorwurf, Humboldt sei da und dort „zu kurz“ (zu wenig Zeit) geblieben, greift angesichts des aufgehäuften, empirischen Wissens und der hochreflektierten Vergleiche auf sozialwissenschaftlicher Basis nicht. An den atlantischen Küsten der iberischen Amerikas (partiell auch an pazifischen Küsten) und auf den Inseln der Antillen entwickelten sich, mit globalhistorischen Wurzeln auf französischen Insel (vor allem Martinique, Guadeloupe und ganz besonders auf Saint-Domingue) und britischen Inseln (vor allem Barbados und Jamaika), Gebiete der Second Slavery. Sie zeichneten sich durch industrialisierte Massensklaverei von Verschleppten aus Afrika aus, Vieh- und Techniksowie Technologieeinsatz und hohen Organisationsgrad der Produktion sowie Exporte von Humboldt, „Fünftes Kapitel“, in: Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, Bd. I, S. 257-290, hier S. 260f. In der literarischen Verarbeitung schlägt die abolitionistische Ideologie, man könnte sie auch als den tiefen humanistischen Wunsch Humboldts bezeichnen, dass der Sklavenhandel wirklich enden möge und das er mehr Beispiele von Freilassungen „in so schönem Lichte“ zeigen könne (siehe: Humboldt, „Zwölftes Kapitel“, in: Ebd., S. 485-523, hier S. 505), deutlicher durch als in den trockenen Notizen der Tagebücher über die Beobachtungen on the spot und in real time; zu den wirklichen Zahlen des Sklavenschmuggels nach Venezuela siehe: Borucki, “Trans-imperial History in the Making of the Slave Trade to Venezuela, 1526-1811”, S. 29-54; Borucki; Eltis; Wheat, “Atlantic History and the Slave Trade to Spanish America”, S. 433-461; Zeuske, Sklavenhändler, Negreros und Atlantikkreolen …, passim. 310 Eventuell bilden zwei dänischen Schiffe und die hamburgische Fregatte Kranich, die 1804 insgesamt 308 Sklaven aus Afrika nach Venezuela über San Tomas und die Insel Tórtola brachten, die Ausnahme (in Bezug auf Sichtung durch Humboldt); siehe: Lucena Salmoral, Vísperas de la independencia americana, Caracas, Madrid: Ed. Alhambra, 1986, S. 57f.; Weber, Klaus, „Der Außenhandel deutscher Territorien im atlantischen Wirtschaftsraum (1650-1850)“, in: Weber, Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680-1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux, München: C.H.Beck 2004 (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte; Bd. 12), S. 37-86, siehe auch: Weber, „Zusammenfassung und Ausblick“, in: Ebd., S. 300-309. 309
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extrem nachgefragten commodities (Kolonialwaren) für den Weltmarkt aus. Es war moderne Sklaverei in jedem Sinne dieser Zeit, zum Teil oder flächendeckend (wie auf Kuba nach 1820) mit eigenständigen Formen der Industrialisierung.311 Eine Sklaverei-Moderne. Schon in Venezuela, „in den schönen Tälern von Aragua, wo die reichsten Pflanzer Pflanzungen besaßen“312 beschrieb Humboldt die Ansätze der Second Slavery als eigenständige Zivilisation und Moderne, denn dort, in der Sklavereiplattform der Valles de Aragua, sagt Humboldt „genossen wir … alle Vorzüge einer fortgeschrittenen Zivilisation“.313 Kubas Second Slavery profierte mehrfach, auch und besonders von den welthistorischen Entwicklungen. Nur Kuba (und in gewissem Sinnen Puerto Rico), weil es das Zentrum der spanischen Macht in der Independencia wurde, bekam die Segnungen der spanischen Restaurationsreform zu spüren (mehr Freihandel, Entmonopolisierung, Freigabe des Waldes der Insel (Holz, Flächen zur Anlage von Ingenios), volles „bürgerliches“ Privateigentum an Land und Recht auf Separierung der kolonialen Großgrundbesitze). 17911803 waren, wie wir gesehen haben, die Ansätze der Second Slavery in der Revolution auf Saint-Domingue zusammengebrochen; 1810-1830 kam es auch Venezuela zum Zusammenbruch der Ansätze der Second Slavery. Venezuela schied aus der rasanten SecondSlavery-Globalisierung aus. Die Auswirkungen der ersten Revolution hat Humboldt analysieren können – er hielt den Schock über die „blutige Revolution“ für wichtiger als die zunächst eher indirekten Folgen des Wirtschaftszusammenbruchs und der Umorientierung der Märkte. Die Auswirkungen der zweiten Revolution, der independencia (die Humboldt, wie wir wissen, bis um 1818 ablehnte) konnte er nur ahnen – mit seinen Aussagen zur „weißen Republik“ lag es im politischen, kulturellen und sozialen Sinne gar nicht so falsch. Humboldt konnte auch nicht ahnen, das Kuba durch die Flucht vieler Menschen aus den Revolutionsund Bürgerkriegsgebieten (und Gebieten, die 1810-1821 an die USA gingen, wie die beiden Floridas), vor allem auch die Flucht von Pflanzern, Kaufleuten und Plantagenspezialisten, einen extrem wichtigen Schub an Kapital (Geld), Wissen und überhaupt Menschen (Humankapital) bekam. Ich will das kurz im Zusammenhang darstellen um das gigantische Ausmaß der Migrationen zu verdeutlichen. Alain Yacou hat ausgezählt, dass allein zwischen Juni 1803 und dem 31. Januar 1804 18213 Personen aus Saint-Domingue nach Santiago de Cuba kamen (in einem Zensus 1808 sind für Santiago 7500 Franceses, „Franzosen“ ausgewiesen, 22% der Stadtbevölkerung, davon waren allerdings nur 28% wirklich in Rood, „Plantation Laboratories. Industrial Experiments in the Cuban Sugar Mill, 1830–1860“, S. 157-184. Humboldt, „Fünfzehntes Kapitel“, Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents …, S. 590-629, hier S. 612. 313 Ebd. 311 312
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Frankreich geboren). Seit 1795 emigrierten auch viele Menschen aus dem an Frankreich abgetretenen Santo Domingo nach Kuba. Oder sie gingen nach Puerto Rico. Viele Franzosen mussten zwar wegen des antifranzösischen Dekrets von 1809 die spanischen Inseln wieder verlassen, vor allem Kuba, etwa 20000 aus Baracoa, Santiago (8870314) und La Habana. Beim Verkauf von Luisiana an die USA kamen im Gegenzug 1803/04 viele Spanier und Kreolen aus Luisiana nach Kuba. Seit 1811 folgten ihnen wegen der Wirren der Unabhängigkeitskriege Menschen aus Venezuela und Neu-Granada, auch aus Mexiko; 1814/15 kehrte eine Reihe von franceses aus Louisiana nach Kuba zurück; 1817 und 1821 kamen Massen sogenannter floridanos (für Forida existierte bereits eine Tradition, die auf den Auszug bei Übergabe 1763 an Großbritannien zurückging315). 1821 und vor allem 1829 strömten spanische Kaufleute aus Mexiko und „Groß“-Kolumbien auf die Insel – sie sollen (nach Luciano Franco) etwa 30 Millionen Silberpesos Kapital mitgebracht haben. Das investierten sie oft in die Zuckerwirtschaft (wie schon Antonio del Valle Hernández 1800 gefordert hatte316). Dazu kamen per Zwangsmigration immer mehr Versklavte aus Afrika - selbst in den Krisenjahren 1805-1809 16519. Von Rückgang des Sklavenhandels konnte keine Rede sein: 1810-1814 wurden bereits 31308 Versklavte aus Afrika und 1815-1820 137988 Versklavte aus Afrika nach Kuba verschleppt.317 Kubas Bevölkerung explodierte; zumal schon seit den
Portuondo Zúniga, Santiago de Cuba …, S. 118; Cruz Ríos, “Primer gran flujo inmigratorio de franceses a Santiago de Cuba (1800-1809)”, S. 80-88; Portuondo Zúñiga, “Sin sombra donde apoyarse“, in: Del Caribe, Núm. 45, Santiago de Cuba (2004), S. 100-104. 315 Landers, “African Choices in the Revolutionary South”, in: Landers, Atlantic Creoles in the Age of Revolutions, Cambridge; London: Harvard University Press, 2010, S. 15-54. 316 Valle Hernández, „Necesidad de invertir en la agricultura nuevos fondos“, in: Valle Hernández, Sucinta noticia ..., S. 91-92. 317 ANC, Intendencia Real de Hacienda (IRH), leg. 1052, no 23 (1832). Negros: “Expediente formado para recoger y remitir al Sor. Capitan gen.l las noticias que S.E. pide de los esclavos que han entrado en toda la isla desde el año de 1811. hasta la extincion del tráfico de negros, y desde el año de 1764, hasta el de 1810, inclusive” (ohne Foliierung): “Relacion ... de los negros bozales entrados en este puerto [Santiago de Cuba] desde el año de 1764 hasta 1810, inclusive”, Cuba 16 de Febrero de 1835, die Gesamtzahl der Verschleppten nach Santiago allein ist laut dieser Liste 14 846 legal nach Kuba Verschleppter! Allein für 1811 sind in den neu (2012) aufgetauchten Listen des Zolls von Havanna („Entrada de Negros bozales“) 6349 Verschleppten ausgewiesen, siehe: “Entrada de Negros bozales” [1811], in: Miscelanéa de Libros, Aduana Maritima, no. 862 (1811) (enthält auch Informationen für 1812 und 1813; partiell ohne Foliierung), f. 10r-18r, speziell: „Resumen“, in: Ebd., f. 18r. Siehe, kontrastierend, die Liste von 1832 für den Generalkapitän, die für den Zeitraum 1811 bis 1821 von einer Zahl von 130 371 legal Importierter nur für Havanna ausgeht, in: IRH, leg. 1052, no 23 (1832). Negros: “Expediente formado para recoger y remitir al Sor. Capitan gen.l las noticias que S.E. pide de los esclavos que han entrado en toda la isla desde el año de 1811. hasta la extincion del tráfico de negros, y desde el año de 1764, hasta el de 1810, inclusive” (ohne Foliierung): “Estado demontrativo de la introduccion de negros bozales realizada en este puerto [La Habana] ...”. Für die ganze Insel (ohne Havanna) legal eingeführte Sklaven, nach dieser Liste, Cuba 16 de Febrero de 1835 (“Yntroducidos en este Puerto y demás de esta prov.a desde el año de 1811 hasta la extincion del trafico [wirklich bis 1823]”: 28 379 legal importierter Sklaven, in: Ebd. Siehe auch: AGI Sevilla, Cuba, 2169, 1832-1839, Documentación varia (ohne Folienzählung): “Relacion que se forma por la Administracion de rentas R.s de mi cargo, del número de esclavos de ambos sexos, importados en este Puerto desde 1811 á 1820, en q.e se estinguió este tráfico, la cual se saca p.a dirigir á la Superintend.a gral de R.l 314
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1770er Jahren eine massive Migration aus Spanien eingesetzt hatte. Bis um 1850 wurde die Masse der Migranten durch Verschleppte aus Afrika gebildet (dazu kamen 1847-1874 noch coolies aus China – rund 125000).318 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass nach Aufhebung der Sklaverei im Britischen Empire (1834-38) auch Sklavenbesitzer von den Bahamas und Jamaika mit ihren Sklaven nach Kuba kamen. Ihre Zahl war nicht sehr signifikant, aber immerhin so visibel, dass die Gegend zwischen Gibara und Holguín im Volksmund „Englisch-Kuba“ genannt wurde. Und schließlich beobachtete der irisch-britische Abolitionist Richard Robert Madden (1798-1886) bei seinen Reisen auf Kuba als Superintendent und Richter des gemischten britisch-spanischen Gerichtshofes (Tribunal Mixto de Justicia, kurz: Comisión Mixta)319 1836-1839 folgendes: Weil im spanischen Imperium keine Ausländer (extranjeros) vorgesehen waren, gab es auch kein Gesetz, dass sie den Steuern unterwarf, die Spanier (súbditos españoles) zahlen mussten. Madden schreibt weiter: „Esta inmunidad atrajo a Cuba un número de colonos de los Estados sureños [der USA – M.Z.], de tal manera que algunos distritos en la costa norte de la isla, especialmente en la vecindad de Cárdenas y Matanzas, tienen mas bien las características de colonias americanas que españolas”.320 Die Aussage zeigt, dass es auch eine nordamerikanische Immigration nach Kuba gab (vor allem nach dem Verbot des transatlantischen Sklavenhandels in den USA 1808), meist Sklavenhändler und besitzer, Kaufleute, Ingenieure und Eisenbahnmechaniker, die die lokalen Behörden bestachen und wie die lokale Elite behandelt wurden. Arango hat diese ganze Entwicklung Kubas zur Perle der Second Slavery angestrebt, begleitet und beeinflusst, natürlich ohne den Begriff zu benutzen. 1791, als die Ereignisse auf Saint-Domingue (1790-1803) bekannt wurden, hatte er sofort festgehalten: „als die Vorsehung über Frankreich die Geißel brachte, die sie heute peinigt [Arango meint die Sklaven-Revolution von Saint-Domingue] ... Die Konfusion und die Unordnung, die in ihren Kolonien herrschte, verringerte ihre Produktion und gab unserer Wert“.321 Dies gesagt, hacienda en virtud de oficio de 22 de Marzo prox. pasado, á saber”. 318 Johnson, The social transformation of eighteenth century Cuba …, passim; Gonzalez-Ripoll Navarro, “El espacio de azúcar: equilibrio racial y blanqueamiento de la población”, in: González-Ripoll Navarro, Cuba, la isla de los ensayos ..., S. 99-121; Curry-Machado, “Engeneering Migration”, in: Curry-Machado, Cuban Sugar Industry …, S. 47-71. 319 The National Archives (TNA), Foreign Office (FO), 313, Archives of Havana Slave Trade Commission: “Expo.te formado por el nombramiento de arbitro del D.r D.n Ricardo Roberto Madden para este Tral. Mixto de Just.a”, Havanna, 24. August 1836. 320 Madden, “Influencia norteamericana en Cuba y política tejana”, in: Madden, La Isla de Cuba …, S. 105-117, hier S. 106. 321 Arango y Parreño, “Discurso sobre la Agricultura de la Habana y medios de fomentarla” (1792), Arango, Obras, Bd. I, S. 114-162, hier S. 122; siehe auch: Arango y Parreño, “Discurso sobre la agricultura de La Habana
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verlangte Arango, kühl kalkulierend, die Ausweitung des Freihandels mit Sklaven, vorangetrieben vom Staat, die Rücknahme des Código Negro Español, Steuererleichterungen, freien Export sowie wissenschaftliche und technologische Verbesserungen der Zuckerproduktion auf Kuba. Wichtig war, dass der große Pancho, die Ergebnisse der neuen Wissenschaften der politischen Ökonomie, der Demographie und Naturwissenschaften sowie der Steuerung der Wirtschaft durch den Staat (Institutionenökonomik) auf Kuba anwandte. Das Allerwichtigste aber - expressis verbis formuliert erst 1795 nach der „Spionagereise“, die Arango sowie Ignacio Pedro Montalvo y Ambulodi, Conde de Casa Montalvo nach Portugal, England, Barbados und Jamaika unternommen hatten - kann in der Forderung zusammengefasst werden: „es soll nicht erlaubt werden, dass von Kuba unraffinierter Zucker abgehe“.322 Das ist das Motto einer industriellen Revolution im Plantagensektor. 1796 kam die Bestätigung aus Madrid, eine Real Orden, die quasi anerkannte, das Spanien in Bezug auf industrielle Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte hinter seiner „Kolonie“ Kuba zurück lag: „man kann auf dem ganzen Distrikt dieser Insel [Kuba] Zuckerraffinerien errichten, um ihn nach diesen Königreichen [Spanien] oder an die weiteren Herrschaften Seiner Majestät in Amerika zu bringen“.323 Ein Eintrittsbillet zur industriellen Revolution unter dem Stichwort industria nacional [Nationalindustrie]. Arango war ein konservativer Revolutionär.324 Kuba, besser gesagt, die Cuba grande, Puerto Ricos Küstenzonen325, Suriname, aber vor allem der South der USA und der Kaffeesüden Brasiliens wurden zu den neuen Plattformen der second Slavery, die mit den neuen Möglichkeiten des Transports (Eisenbahn, Dampfer) in die Kontinente hinein expandierten. Kuba war kein Kontinent, aber eine sehr große Insel im Vergleich zu Jamaika oder Saint-Domingue mit seinen vielen Bergen. Kuba wurde zur Perle der Second Slavery, entwickelter als die USA oder Brasilien.326
y medios de fomentarla” (1792), in: Pichardo (ed.), Documentos, Bd. I, S. 162-197, hier S. 169; sowie: Gonzalez-Ripoll Navarro, María Dolores; Naranjo, Consuelo; Ferrer; Garcia, Gloria; Opartný, Josef (eds.), El rumor de Haiti en Cuba. Temor, raza y rebeldia, 1789-1844, Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Cientificas (CSIC), 2005. 322 Arango y Parreño, “Resultan grandes perjuicios de que en Europa se haga la fabricación del refino”, in: Arango, Obras, I, S. 225-239; Gonzalez-Ripoll Navarro, “El proyecto de Arango y Parreño”, in: González-Ripoll Navarro, Cuba, la isla de los ensayos ..., S. 198-205, hier S. 201. 323 Die Real Orden von 1796 ist als Anhang abgedruckt in: Arango y Parreño, “Resultan grandes perjuicios de que en Europa se haga la fabricación del refino”, in: Arango, Obras 1952, I, S. 225-239, hier S. 238f. 324 Arango y Parreño, “Representación hecha a su S.M. con motivo de la sublevación de esclavos en los dominios franceses de la isla de Santo Domingo” (20. November 1791), S. 109-113; zur technologischen Entwicklung siehe: Zogbaum, Heidi, „The steam engine in Cuba’s sugar industry, 1794-1860“, in: Journal of Iberian and Latin American Studies Vol. 8:2 (December 2002), S. 37-60; Curry-Machado, “Steam and Sugarocracy”, in: Curry-Machado, Cuban Sugar Industry …, S. 23-47. 325 Cabrera Salcedo, Lizette, De los bueyes al vapor. Caminos de la tecnología del azúcar en Puerto Rico y el Caribe, San Juan: La Editorial, Universidad de Puerto Rico, 2010. 326 Zeuske, “The Second Slavery: Modernity, mobility, and identity of captives in Nineteenth-Century Cuba and the Atlantic World”, in: Laviña; Zeuske (eds.), The Second Slavery …, S. 113-142.
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Genau in diesem Zusammenhang der Entwicklungen der Sklaverei bezeichnete Humboldt sich als “Geschichtsschreiber von Amerika”327 – in unserem Zusammenhang handelte es sich um eine Politisierung von Geschichte in einer extrem dynamischen Phase der Entwicklung der Sklaverei, des Kapitalismus und der atlantischen Welt. Humboldt hat die Sklaverei und den ab 1820 illegalen Sklaven- und Menschenhandel Kubas abgelehnt. In der Realgeschichte entwickelten sich beide aber so dynamisch und mächtig, dass die “Kolonie Kuba” quasi bis 1898 das spanisch Rest-Imperium finanzieren konnte und eine ganze Reihe von Spaniern und Katalanen auf Kuba zu reichen Männern wurden. Sie gründeten unter anderem Banken in Spanien, schufen Dampferflotten und modernisierten Barcelona, Valencia und Madrid (und andere Städte des europäischen Spaniens).328 Arango förderte die Entwicklung der Second Slavery auf Kuba mit allen Kräften bis um 1826. Bei allen den Konflikten und dem Lobbying hat er allerdings seine eigene Wirtschaft ruiniert; vor allem als er, wie Humboldt auch, bemerkt hatte (Arango am eigenen Leibe), dass die kreolischen Hacendados immer abhängiger von den Krediten (refacción) der (meist) spanischen Kaufleuten/ Sklavenhändlern wurden.329 Arangos Kreditgeber und Konsignatoren (die seinen Kaffee und Zucker in den USA und Europa verkauften), sowie seine Zulieferer und Kreditgeber, die Kaufleute/ Sklavenhändler Drake, Hernández & Chauviteau, Inglada & Echendia, Ferrer und Lombillo änderten während seiner häufigen Abwesenheit die Konditionen zu seinen Ungunsten. Dazu kamen Absatzschwierigkeiten in Zeuske, „'Geschichtsschreiber von Amerika': Alexander von Humboldt, Deutschland, Kuba und die Humboldteanisierung Lateinamerikas“, in: Humboldt in Amerika, ed. Zeuske, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2001 (=COMPARATIV. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und zur vergleichenden Gesellschaftsforschung, Vol. 11:2), S. 30-83. 328 Rodrigo y Alharilla, Martín, “Con un pie en Catalunya y otro en Cuba: la familia Samá, de Vilanova”, in: Estudis Històrics i Documents dels Arxius de Protocols, num. XVI (1998), S. 359-397; Rodrigo y Alharilla, Los Marqueses de Comillas 1817-1925. Antonio y Claudio López, Madrid: LID Editorial Empresarial, S.L., 2000; Rodrigo y Alharilla, “Los Goytisolo. De hacendados en Cienfuegos a inversores en Barcelona”, in: Revista de Historia Industrial, núm. 23 (2003), S. 11-37; Rodrigo y Alharilla, Indians a Catalunya: capitals cubans en l’economia catalana, Barcelona: Fundación Noguera, 2007; Rodrigo y Alharilla, “Navieras y navieros catalanes en los primeros tiempos del vapor 1830-1870”, in: Transportes, Servicios y Telecomunicaciones No. 13 (diciembre 2007), S. 62-92; Rodrigo y Alharilla, “Una saga de banqueros: la familia Vidal-Quadras”, in: Historia Social no. 64 (2009), S. 99-119; Rodrigo y Alharilla, „Trasvase de capitales antillanos: azúcar y tranformación urbana en Barcelona en el siglo XIX“, in: Santamaría García, Antonio; Naranjo Orovio (eds.), Más allá del azúcar. Política, diversificación y prácticas económicas en Cuba, 1878-1930, Aranjuez (Madrid): Ediciones Doce Calles, 2009, S. 127-158; Rodrigo y Alharilla, “De la esclavitud al cosmopolitismo: Tomás Terry Adán y su familia”, in: Laviña; Piqueras; Mondejar (eds.): Afroamérica, espacios e identidades, Barcelona: Icaria editorial, 2013, S. 93-119; Rodrigo y Alharilla, “Spanish Merchants and the Slave Trade. From Legality to Illegality, 1814-1870”, in: Fradera; Schmidt-Nowara (eds.), Slavery and Antislavery in Spain’s Atlantic Empire … S. 176-199. 329 Mit den extrem hohen Kreditzinsen (manchmal 30% pro Jahr) war seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine mächtige Kaufleute- und Wucherergruppe (refaccionistas) entstanden, vor allem von Spaniern, deren Kapital sich mit der Zins- und Zinseszinsalchemie der Refacción sehr schnell vermehrte; siehe: García Rodríguez, Mercedes, “Un poco de historia sobre un proteccionismo a medias: el Privilegio de Ingenios”, in: García Rodríguez, La aventura de fundar ingenios. La refacción azucarera en La Habana del siglo XVII, La Habana: Editorial de Ciencias Sociales, 2004, S. 80-104. 327
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den USA (Embargo 1814) für Kaffee und Zucker. 1819 war Arangos Vorzeige-Ingenio La Ninfa praktisch pleite.330 Aber die Second Slavery auf Kuba, für die Arango so viel getan hatte, gedieh extrem dynamisch; so dynamisch, dass Havanna und Kuba den Weltzuckermarkt dominierten und die Sklaverei auf Kuba als vorletzte in den Amerikas (1886; zwei Jahre vor Brasilien) aufgehoben wurde. Kuba war für 80 Jahre die „Perle“ des spanischen Restimperiums.331 Leipzig, 1.-30. August 2016
Quiroz, Alfonso W., „The Scientist and the Patrician: Reformism in Cuba“, in: Erickson, Raymond; Font, Mauricio A.; Schwartz, Brian (eds.), Alexander von Humboldt. From the Americas to the Cosmos, New York: Bildner Center for Western Hemispere Studies/ The Graduate Center/ The City University of New York, 2007 (http://web.gc.cuny.edu/dept/bildn/publications/humboldt.pdf (12. November 2010)), S. 111-122, hier S. 122f. 331 Sivers, Jegor von, Cuba, Die Perle der Antillen. Reisedenkwürdigkeiten und Forschungen, Leipzig: Verlag von Carl Fr. Fleischer, 1861; Gallenga, Antonio Carlo Napoleone, The Pearl of the Antilles, London: Chapman and Hall, 1873; Zeuske, „Mythos Kuba: Reichtum, Gesundheit und Sklaven“, in: Zeuske, Schwarze Karibik …, S. 337-347; Fradera, Josep María, Gobernar colonias, Barcelona: Ediciones Península, 1999; Fradera, La nación imperial (Ensayo Histórico) 1750-1918, 2 Bde., Madrid: edhasa, 2015. 330
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