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Auri Sanies: Nero, Gold Und Chrysocolla, In: Von Der Reproduktion Zur Rekonstruktion – Umgang Mit Antike(n) Ii. Beiträge Der Tübinger Summerschool Vom 16.–19. Juni 2014, Hrsg. Von Kathrin B. Zimmer, Rahden/westf. 2016, 115–133.

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auri sanies: Nero, Gold und chrysocolla* Denise Reitzenstein Die 37-bändige Naturgeschichte des älteren Plinius hält als erste überlieferte enzyklopädische Schrift umfangreiche Informationen zu natürlich vorkommenden und künstlichen Farbstoffen in der Antike bereit. Aufschlussreich für (anorganische) Farbstoffe sind hier im Grundsätzlichen die letzten fünf Bücher des Werkes sowie im Besonderen das 35. Buch über die Malerei und die Farben. Im 33. Buch, das Plinius der Metallurgie von Gold und Silber widmet, fällt gleich zu Beginn eine Formulierung ins Auge, die sich auf den Abbau von Gold bezieht: In unmittelbarer Nähe von Goldvorkommen finde sich nämlich eine Substanz namens chrysocolla, welche nach dem Gold benannt worden sei.1 Die chrysocolla – wörtlich etwa „Goldkleber“ – solle durch den Namen wertvoller erscheinen, bemerkt Plinius geringschätzig.2 Nach Meinung der Goldschmiede stamme der Name von der Verwendung zum Goldlöten, wie er später erklärt.3 Das Gold stellt Plinius als Krankheit für die Menschheit dar: Mit dem Gold habe man eine Seuche (pestis vitae) entdeckt und sogar der Eiter des Goldes (auri sanies) – gemeint ist hier die chrysocolla – sei wertvoll. Bevor Plinius noch einmal auf die chrysocolla zurückkommt, vertieft er die negativen Folgen der Verwendung von Gold, die Plinius auf zweimalige Untat (scelus) zurückführt: Die schlimmste sieht er im erstmaligen Gebrauch goldener Ringe, die nächste in der Prägung von Goldmünzen mit dem Geld als Ursprung der Habsucht.4 Gleich zweimal gipfelten im Prinzipat Neros die negativen Folgen, so die Verminderung des Edelmetallgehalts im Aureus, vor allem aber die Verwendung in der Architektur: Nero habe nicht nur das Theater des Pompeius für einen einzigen Tag mit Gold überziehen lassen, als er es Tiridates von Armenien zeigen wollte. Natürlich stehe Nero auch für die domus aurea, die eine ganze Stadt einschließe.5 Auch in anderen Abschnitten sieht * Für wertvolle Anregungen danke ich Ulrike Koch-Brinkmann (Frankfurt) und Christian Reitzenstein-Ronning (München). 1 Plin. n.h. 33,4. 2 Vgl. Plin. 37,50: quoniam nullis vitiis desunt pretiosa nomina. 3 Plin. n.h. 33,93. 4 Plin. n.h. 33,8; 42; 48. 5 Plin. n.h. 33,47; 54; vgl. dazu Mart. spec. 2,4; Apul. met. 7,8,3. Cass. Dio 63,6,1f. berichtet, das Volk habe von dem Ereignis als „goldenem Tag“ gesprochen. Zu Tiridates in Rom Heil 1997, 122–135. Zur goldenen Zeit unter Nero Champlin 2003, 126–132; Shotter 2008, 100. Zur domus aurea und zum Konstrukt der Dekadenz Elsner 1994; zu den moralischen Folgen der Verwendung von Gold als klassischer Topos insbesondere zum Prinzipat Neros: Bradley 2002; ders. 2009, 106–108. Zum Gold bei Plinius Healy 1999, 274–299. 1 Plinius ihn als Verschwender des Goldes, etwa wenn er über Nero berichtet, er habe Gold und Silber in reichlichen Mengen für ein kolossales Standbild seiner Person gegeben.6 In Rom habe man dagegen lange Zeit nur sehr wenig Gold besessen: Bei der Einnahme der Stadt durch die Gallier habe man nicht mehr als 1000 Pfund aufbringen können. Doch durch den Sieg über die Gallier, die mit Gold geschmückt gekämpft und Tempel eroberter Städte geplündert hätten, habe sich die Menge an Gold glatt verdoppelt. Auch die Expansion Roms und die Triumphe, die man feierte, habe sie schnell vergrößert.7   Zufällig habe man dann unter Nero in Dalmatien die Goldgewinnung im Tagebau entdeckt.8 Rund 50 Pfund Gold habe man täglich ausgebeutet. Daraus folgt, in nur 20 Tagen hätte man allein mit dem Gold aus Dalmatien den Gesamtbesitz des archaischen Rom zusammenbringen können. Im Anschluss an weitere Beispiele für die Verwendung des Goldes geht Plinius auf die Vorkommen, Verhüttung und die Gefahren des Bergbaus ein. Er beschließt seine Ausführungen zum Gold mit der pharmakologischen Wirkung des Edelmetalls und kommt auf die chrysocolla zurück. In diesem Zusammenhang berichtet Plinius, Nero habe diese Substanz in den Circus streuen lassen, während er selbst in einem gleichfarbigen Trikot als Wagenlenker aufgetreten sei: visumque iam est Neronis principis spectaculis harenam circi chrysocolla sterni, cum ipse 9 concolori panno aurigaturus esset. Da eine Reihe antiker Autoren – allerdings mit Ausnahme von Plinius und Tacitus – über Neros Zuneigung zur Circusfaktion der Prasinati schreiben, deren Wagenlenker in einem grünen Trikot aufgetreten waren, sahen eine Reihe von Forschern in dieser Szene eine Verbindung zwischen der von Nero verwendeten chrysocolla, einem gleichfarbigen pannus und der Parteinahme Neros für die Faktion der „Grünen“.10 Einfluss auf dieses Bild mag insbesondere Cassius Dio haben, dessen Bericht möglicherweise über einen ähnlichen Analogieschluss entstanden ist, wenn er oder seine Quelle für die Darstellung auf Plinius oder 6 Plin. n.h. 34,45f. Plin. n.h. 33,14–16. 8 Plin. n.h. 33,67. Eine weitere Entdeckung unter Nero war die des sogenannten phengites in Kappadokien, härter als Marmor, verwendet in der domus aurea: Plin. n.h. 36,163. 9 Plin. n.h. 33,90. 10 Nur allgemein zur Leidenschaft Neros für das Wagenlenken: Tac. ann. 14,14,1f.; 15,44,5. Nero im Zusammenhang mit den „Grünen“: Mart. 11,33; Suet. Nero 22,1 (vgl. dazu Abschnitt 5); Cass. Dio 63,6,2f.; Ioh. Mal. 10,39 führt ihn irrtümlich als Anhänger der „Blauen“. Vgl. auch die Anspielungen bei Petron. 28,8; 64,6; 70,8–13. Die Verbindung von chrysocolla als grünem Farbstoff zu den „Grünen“ als Circusfaktion im Kommentar bei Zehnacker 1983, 186; Projektgruppe Plinius 2000, 302 Anm. 108 (Wiedergabe von pannus mit „Stirnband“); so auch Cameron 1976, 54; Krüger 2012, 113. Von einem grünen pannus geht auch aus Goldman 2013, 156 Anm. 76. Dagegen von einem goldenen pannus Bradley 2009, 91 Anm. 13. Zur Opposition der „Blauen“ und „Grünen“ gegen Maßnahmen des neronischen Praetors Aulus Fabricius Cass. Dio 61,6. 7 2 eine ähnliche Tradition zurückging: Im Kontext der Ereignisse um Tiridates’ Einsetzungsfeier in Rom als armenischer König heißt es, Nero sei als Wagenlenker mit Wagenlenkerhelm gekleidet wie ein „Grüner“ aufgetreten. Laut Cassius Dio habe dieses Auftreten selbst Tiridates mit Abscheu erfüllt.11 Plinius’ kurzer Hinweis ähnelt einer Szene bei Sueton in der Vita Caligulas, der ebenfalls chrysocolla und noch eine zweite Substanz im Circus habe ausbringen lassen:12 edidit et circenses plurimos a mane ad uesperam interiecta modo Africanarum uenatione modo Troiae decursione, et quosdam praecipuos, minio et chrysocolla constrato circo nec ullis nisi ex senatorio ordine aurigantibus. Traten als Wagenlenker ausschließlich Angehörige aus dem Senatorenstand im Circus auf, habe Caligula veranlasst, dass der Circus mit minium et chrysocolla bestreut würde. Anders als Nero fuhr Caligula dieser Episode zufolge weder selbst als Wagenlenker auf, noch besteht eine Verbindung zu den üblichen Circusfaktionen, auch wenn wir für Caligula aus anderen Quellen erfahren, dass er ebenfalls der grünen Mannschaft unter den Wagenlenkern zugetan gewesen sein soll.13 Minium ist in der Antike neben anderen Anwendungsbereichen als roter Farbstoff bekannt.14 Wenn also die Verwendung von chrysocolla tatsächlich über die grüne Farbe mit der Anhängerschaft zu den Prasinati erklärt werden könnte, warum verwendete Caligula dann gleichzeitig noch einen roten Farbstoff? Im folgenden sollen Plinius’ Bericht über die chrysocolla sowie weitere antike Belege des Stoffes auf Eigenschaften und Farbzuweisungen geprüft werden. Bisher interpretierte die Forschung die an entsprechender Stelle genannte chrysocolla mehrheitlich als Symbol für Neros Zuneigung zu den Prasinati und somit vor allem wegen seiner potentiell visuellen Qualitäten. Andere Eigenschaften und damit verbundene Bedeutungsebenen erscheinen jedoch naheliegender. Im Mittelpunkt dieses Beitrages steht deshalb auch die Frage, wie eine Substanz wie die chrysocolla in literarische Diskurse eingebunden ist. 1. Plinius’ Bericht über die chrysocolla Plinius macht keine Angabe darüber, welche konkreten Eigenschaften und welche Farbe genau die chrysocolla hat, die der Kaiser in den Circus habe streuen lassen. Aber schon die Einbettung dieses Verweises bei Plinius, der irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen 11 Cass. Dio 63,6,3f. S. dazu unten Abschnitt 5. Schulz 2014, 410 Anm. 29 zur negativeren Bewertung Neros als Wagenlenker bei Cassius Dio im Vergleich zu Tacitus und Sueton. Allgemein zum Ruf der Wagenlenker in der literarischen Überlieferung Horsmann 1998, 78–90. 12 Suet. Cal. 18,3. Laut Zehnacker 1983, 186, sei Caligula Neros Vorbild gewesen. 13 Caligula als Anhänger der „Grünen“: Suet. Cal. 55,2f.; Cass. Dio 59,14,5–7; Ioh. Mal. 10,20. 14 S. unten Abschnitt 3.3. 3 wirkt, ist auffällig: Der Satz ist eingefügt zwischen zwei Passagen, die eine über die unterschiedlichen Arten der chrysocolla in der Malerei, die andere über die Verwendung durch die unwissende Menge der Handwerker (indocta opificum turba). So ergibt sich ein literarisches Spiel mit der Frage, ob der Künstlerkaiser Nero durch seinen Gebrauch der chrysocolla zu den Connaisseuren der Künste oder nicht doch zu den indocti zu rechnen ist. Plinius beginnt seine Ausführungen zur chrysocolla jedoch nicht mit ihrer Verwendung, sondern mit dem Vorkommen des Stoffes: Er sei eine Flüssigkeit, die aus der Goldader komme und in der winterlichen Kälte so hart wie Bimsstein werde.15 Der Leser mag sich hier an Plinius’ Worte zu Beginn des Buches erinnern, mit denen er Gold als Pest und chrysocolla als Eiter des Goldes bezeichnete. Tatsächlich komme die bevorzugte chrysocolla aber aus dem Kupferbergbau, die zweitbeste aus dem Silberabbau. Weniger wert als die chrysocolla aus den Goldgruben sei nur diejenige aus dem Bleiabbau. Unter Einsatz von Wasser lasse sich chrysocolla zudem künstlich gewinnen, die aber hinter der natürlichen zurückstehe.16 Alle Abbauprodukte gehörten der echten chrysocolla an, woran auch die im Weiterverarbeitungsprozess offenbar übliche Zugabe des lutum zur Gelbfärbung der chrysocolla nichts ändert.17 Wenn die Maler die Färbung selbst vornehmen, werde die chrysocolla als orobitis bezeichnet; davon wiederum gebe es eine ausgewaschene (eluta) und eine flüssige Form (liquida).18 Das lateinische Wort orobitis leitet sich über das griechische ὄροβος her und meint in diesem Zusammenhang vermutlich «nach Art der Kichererbse».19 Dass dieses Epitheton sowohl auf die Form als auch auf die Farbe anspielt, geht aus den nächsten beiden Sätzen bei Plinius hervor: Zunächst behandelt er die orobitis als liquida, bei der sich die Kügelchen (globuli) in der Flüssigkeit gelöst haben. Schließlich genieße die chrysocolla orobitis besonderes Ansehen in der Malerei, wenn sie der Farbe eines herrlich sprießenden Saatfeldes ähnle (ut colorem in herba segetis laete virentis quam simillime reddat).20 Handwerker hingegen unterschieden drei Arten der chrysocolla. Nur eine ist hier als chrysocolla herbacea charakterisiert,21 wobei das Attribut wahrscheinlich auf einen Farbeindruck verweist. Damit ist zugleich angedeutet, dass chrysocolla – aber eben nicht 15 Plin. n.h. 33,86. Dazu Rosumek 1982, 50. 17 Zur Farbe des lutum auch Verg. ecl. 4,44 (mit Serv. aen. 4,44). Jüngst 1981, 26–31; Schweppe 1993, 346f.; Projektgruppe Plinius 2000, 300 Anm. 96. 18 Plin. n.h. 33,89. Dazu Projektgruppe Plinius 2000, 301f. Anm. 103f. 19 Projektgruppe Plinius 2000, 301 Anm. 102. 20 Plin. n.h. 33,89. 21 Plin. n.h. 33,90. 16 4 ausschließlich – mit den Farben der Vegetation vergleichbar ist und besonders hochwertige chrysocolla sicherlich auch für entsprechende pflanzliche Darstellungen oder der Vegetation angepasste Gestaltung von Wänden Verwendung fand. Eine chrysocolla acesis, die, wie schon das aus dem Griechischen kommende Epitheton verrät, in der Heilkunde zum Einsatz kam, habe man grünen Pflastern zur Schmerzlinderung beigemischt (miscetur ... viridibus emplastris ad dolores mitigandos).22 Ob die Färbung hierbei von der chrysocolla acesis oder auch von anderen Substanzen ausging, ist nicht zu klären, könnte aber nahe liegen. Die chrysocolla der Goldschmiede sei namengebend für alle gleich oder ähnlich „grünen“ Substanzen (omnes appellatas similiter virentes dicunt).23 Ein Begriff wie viridis bzw. Ableitungen von virere konnten sich, wie Jacques André gezeigt hat, über ein weites Feld zwischen beinahe „gelb“ (galbinus) und „(dunkel)blau“ (caeruleus bzw. glaucus) erstrecken.24Die Frage nach der Farbe der chrysocolla ist insofern relevant, weil Neros Wagenlenkerkleid, der pannus, im Verhältnis zur chrysocolla als concolor gekennzeichnet ist. Welche Farbpalette sich über den Vergleich mit der Kichererbse und den jungen Halmen oder Blättern eines Saatfeldes ergibt, hängt davon ab, was Plinius und seine antike Leserschaft typischerweise mit diesen Referenzen verbanden. Zudem berichtet Plinius noch von einer anderen Art, der chrysocolla lutea, deren Name nach allgemeinem Verständnis vom Färbekraut lutum stamme. Dieses Kraut stand, wie bereits angesprochen, mit dem Verarbeitungsprozess der echten chrysocolla in Zusammenhang.25 Das Adjektiv luteus wird in der römischen Literatur allerdings auch für den Farbeindruck „gelb“ verwendet.26 Dafür spricht nicht zuletzt Plinius’ Beschreibung zweier vermengter Farbstoffe: Das Gemisch von chrysocolla lutea und caeruleum gebe man als chrysocolla aus. Von der bei Plinius als grundsätzliches Übel wahrgenommenen chrysocolla galt die gestreckte Version als schlechteste Qualität und schlimmster Betrug. Es scheint zumindest aber noch einen Anteil an chrysocolla enthalten zu haben, anders als Vitruv dies für die Mischung von caeruleum und 22 Plin. n.h. 33,92. Plin. n.h. 33,93. 24 André 1949, 186. Vgl. auch Heijn 1951, 58f. 25 Plin. n.h. 33,91. 26 André 1945, 152f. (luteus als Farbbegriff, der auch „orange“ einschließt, vgl. ebd. 151f., ist hier nicht gemeint); Heijn 1951, 45–47. 23 5 lutum als falsche chrysocolla angibt.27 An anderer Stelle verweist auch Plinius auf Nachahmungen, die chrysocolla vortäuschen sollten.28 Nach Lektüre des 33. Buches bleibt festzuhalten, dass chrysocolla je nach Art, Verarbeitung und Anwendungsgebiet in unserer heutigen Terminologie Hellgrün bis Grün erschien, aber auch als gelbliche Nuance existierte. Die Etymologie des Begriffes und griechischstämmige Epitheta wie chrysocolla orobitis oder acesis zeigen an, dass das Wissen um die Verwendung der Substanz als Goldlot, in der Malerei und Heilkunde aus dem griechischsprachigen Raum stammte. Die Herleitung der Sorte chrysocolla luteus über das Färbekraut lutum mag indes möglicherweise darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Sorte der chrysocolla um eine Art römischen Ursprungs handelte. Es bleibt zu bedenken, dass diese Ausführungen im Zusammenhang mit dem Gold stehen. Im letzten Buch der Naturgeschichte über die Edelsteine wiederum spricht Plinius von einem Stein namens Amphidanes, der mit anderem Namen – und das ist hier von besonderem Interesse – als chrysocolla bezeichnet werde.29 Dieser komme in einem Teil Indiens vor, wo der Legende nach Ameisen Gold ausscharrten,30 und auch der Amphidanes werde dort gefunden. Er sei dem Gold ähnlich und von viereckigem Aussehen, reagiere aber auch magnetisch und solle Gold vermehren.31 2. Was aber ist chrysocolla? Das griechische Wort χρυσοκόλλα ist spätestens in klassischer Zeit mit Produkten der Goldarbeit verbunden und meint hier das Goldlot.32 Doch schon bei dem archaischen Lyriker Alkman erscheint eine Speise namens χρυσοκόλλα,33 und diese übertragene Bedeutung des Begriffes deutet an, dass man χρυσοκόλλα schon in archaischer Zeit verwendete. Der spätantike Lexikograph Hesychius liefert unter χρυσοκόλλα nur den kurzen Eintrag, es handele sich um eine Mischung aus Leinsamen und Honig, und fügt hinzu, die Farbe sei 27 Vitr. 7,14,2, wonach caeruleum ausschließlich mit lutum gefärbt wird und gar keine Chrysocolla enthält: Item qui non possunt chrysocolla proper caritatem uti, herba, quae lutum appellatur, caeruleum inficiunt, et utuntur viridissimo colore: haec autem infectiva appellatur. 28 Plin. n.h. 35,48: viride, quod Appianum vocatur et chrysocollam mentitur, ceu parum multa dicta sint mendacia eius; fit e crete viridi, aestimatum sestertiis in libras. 29 Plin. n.h. 37,147. 30 Die Legende der goldgrabenden Ameisen im Sand erstmals bei Hdt. 3,102, die in Herodots Erzählung (3,98– 105) über Indien eingebettet ist: Demnach bauten die Inder am meisten Gold ab; andere Lagerschätze würden deutlich seltener gewonnen. 31 Vgl. auch Isid. orig. 16,15,7. 32 In Soph. Frg. 378 ist von goldgelöteten, aber gänzlich silbernen Bechern die Rede (κοῖλα χρυσόκολλα καὶ πανάργυρα ἐκπώματα), vgl. auch Antiph. 106,2; Eur. Frg. 587 spricht von einem goldgelöteten (Schwert)Griff (κώπην χρυσόκολλον). Die Technik der Vergoldung ist dagegen schon deutlich älter: Projektgruppe Plinius 1993, 56–61. 33 Alkm. Frg. 74B. 6 χλωρόν.34 Ob sich diese Farbe nur auf die Speise oder auf eine zweite Bedeutung, nämlich den Farbstoff bezieht, ist nicht ganz klar. Bei Homer ist χλωρόν auch ein Epitheton des Honigs,35 was für Ersteres sprechen könnte. Die Etymologie des Wortes legt nahe, dass die Speise aus Leinsamen und Honig nach der Technik des Goldlötens benannt ist und nicht umgekehrt. Die frühesten Belege für χρυσοκόλλα unabhängig von dem vergoldeten Objekt oder der süßen Speise beziehen sich auf ein gemeinsames Vorkommen mit einem Stein namens κύανος. So berichtet die aristotelische Schrift über Wundererscheinungen, auf der Insel Demonesos36 habe man diese beiden Substanzen aus einer Mine gewonnen, wobei der Preis der hier abgebauten χρυσοκόλλα dem Wert von Gold nahe komme. Diese χρυσοκόλλα sei auch ein Augenheilmittel.37 Der griechische Naturforscher Theophrast, auch geführt unter den Quellen des Plinius für dessen 33. Buch,38 schreibt in seinem Werk über die Steine an zwei Stellen über die χρυσοκόλλα. Zum einen behandelt der Autor einen Stein namens κύανος, der mit χρυσοκόλλα vergesellschaftet vorkomme; zum anderen grenzt Theophrast einen Bereich der Erden ab, zu denen kupferhaltige gehörten, die wegen ihrer Farben auffielen. χρυσοκόλλα und κύανος seien jeweils eine Art von Sand, die im Allgemeinen wie andere Erden aus Silber- und Goldminen stammten, im Speziellen aber auch aus Kupferminen.39 Im Lateinischen findet sich die Transkription des griechischen χρυσοκόλλα erstmals bei Vitruv. Er äußert sich zur Herkunft der chrysocolla, die aus Makedonien stamme, gewonnen werde sie in der Nähe von Erz- bzw. Kupferminen.40 Der knappe Hinweis bei Vitruv findet sich nach einem langen Abschnitt über minium, in dem es einerseits um Zubereitung und Verwendung des minium, andererseits um die Überprüfung des Pigments auf 34 Hesychius, s.v. χρυσοκόλλα. Il. 11,630f.; Od. 10,234. Gladstone 1858, 468: „If regarded as an epithet of colour, it involves at once an hopeless contradiction between the colour of honey on the one side, and greeness on the other.“ Gegen χλῶρος als Farbattribut in archaischer Zeit sprechen alle bei Gladstone 1858, 467f. zusammengestellten Belege, die alle über die Abwesenheit von Farbe («bleich») oder die Frische/Jugend erklärt werden können. Vgl. Grand-Clément 2011, 91–100. Wie Gladstone zum Honig vermerkt, könnte dieser entweder «bleich» (kristallisierter, unbehandelter bereits älterer Honig) oder «frisch» (frisch gewonnener, noch flüssiger Honig) charakterisiert sein. Plin. n.h. 37,47 vergleicht die Farbe des gekochten Honigs mit Bernstein. 36 Zu Demonesos s. den Kommentar von Gabriella Vanotti, Aristotele. Racconti Meravigliosi, Mailand 2007, 158: Die Bemerkung Vitruvs, Chrysocolla werde in Makedonien gewonnen, spricht für Vanottis Überlegung, die Insel im Bosporus nicht weit von Byzanz zu lokalisieren, da sich die Provinz Makedonien zu Lebzeiten Vitruvs noch weit Richtung Osten bis zum Nordufer der Meerenge erstreckte. 37 Aristot. mir. 58. 38 Plin. n.h. 1,33. Healy 1999, 189, verweist darauf, der chrysocolla-Begriff bei Theophrast („any material used in soldering gold“) und Plinius („any bright-green copper mineral“) sei unterschiedlich zu verstehen. 39 Theophr. lap. 7,39; 8,49–51. 40 Vitr. 7,9,6. 35 7 seine Echtheit geht. Denn auch diese Substanz habe man gefälscht.41 Das Thema Fälschung spielt, wie bereits gezeigt, auch bei der chrysocolla eine Rolle, wird aber bei Vitruv an anderer Stelle verhandelt: Dort geht es um den Ersatz teurer Farbstoffe, neben chrysocolla auch um Nachahmungen von Purpur (purpura) und Indigo (Indicum) sowie attischem Ocker (sil Atticum).42 Eine Erklärung für die knappe Bemerkung am Ende der ansonsten kohärenten Passage zum minium könnte in der Überlieferung des Textes liegen. Denn nach dem Satz zur Herkunft der chrysocolla berichtet Vitruv davon, Armenium und Indicum zeigten durch ihre Namen bereits, in welchen Gegenden sie gewonnen würden.43 Es gibt in den Handschriften unterschiedliche Überlieferungsvarianten für Armenium, unter anderem argentum oder auch minium. Da in dem Kapitel im Zusammenhang mit minium von argentum vivum („Quecksilber“) die Rede ist, ist nicht auszuschließen, dass die Informationen zu chrysocolla, Armenium (auch gelesen als argentum bzw. minium) und Indicum in dieses Kapitel umgruppiert wurden. Tatsächlich würde der Passus zu chrysocolla bei Vitruv besser in das Kapitel über natürliche Farben passen, in dem unterschiedliche Substanzen nur knapp angesprochen werden und zugleich ihr Name und ihre Herkunft in Zusammenhang gebracht werden: So heißt es dort über das Paraetonium, ein weißes Pigment, es werde nur an dem Ort gewonnen, von dem sein Name stamme, dasselbe gelte für Melinum, ebenfalls ein weißes Pigment, weil man sagt, es stamme von der Kykladeninsel Melos.44 Wie bereits erwähnt, kennt neben Aristoteles auch Plinius chrysocolla als pharmakologische Substanz. Plinius’ etwas jüngerer Zeitgenosse Dioskurides, Verfasser eines fünfbändigen Werkes über Heilmittel, schreibt der χρυσοκόλλα die Fähigkeit zu, Narben zu glätten, Wucherungen zu begrenzen, zu reinigen, zusammenzuziehen, zu erwärmen, bei absterbenden Gewebe zu unterstützen und aufzunehmen. Gleichzeitig könne es Erbrechen verursachen und sogar tödlich sein. Auch bei Dioskurides gibt es einen Verweis auf die Farbe, die χρυσοκόλλα sei nämlich „lauchgrün“ (τῇ χρόᾳ καταχόρως πρασίζουσα). Doch bezieht sich diese Bemerkung auf eine Hierarchisierung nach der Reinheit der χρυσοκόλλα und scheint sich nur auf die beste Sorte, nämlich diejenige aus Armenien zu beziehen. Nach 41 Vitr. 7,8,1–9,5. Vitr. 7,14,1f. 43 Vitr. 7,9,6: Quae succerre poterunt mihi de minio dixi. Chrysocolla adportatur a Macedonia; foditur autem ex his locis, qui sund proximi aerariis metallis. Armenium et Indicum nominibus ipsis indicatur quibus in locis procreantur. Vgl. Plin. n.h. 35,47; Diosk. mat. med. 5,90. 44 Vitr. 7,7,1f.: Paraetonium vero ex ipsis locis unde foditur habet nomen. Eadem ratione melinum, quod eius metallum insula cycladi Melo dicitur esse. (...) Vgl. Isid. orig. 19,17,21. Zu den auf Melos gewonnenen Mineralien Pittinger 1975. 42 8 der armenischen chrysocolla rangiere die makedonische und die kyprische.45 Ähnlich äußert sich Plinius zu den Abbaugebieten: Chrysocolla orobitis stelle man auf Zypern her, am meisten geschätzt sei die chrysocolla aus Armenien, dann die aus Makedonien, die Hauptvorkommen lägen aber in Spanien.46 Gute Handelsverbindungen nach Armenien, das bereits zu Beginn durch die Einsetzung seines Herrschers Tiridates unter Nero begegnet ist, sind also für die genannten Substanzen unentbehrlich gewesen. Interessant ist die Wendung τῇ χρόᾳ καταχόρως πρασίζουσα bei Dioskurides. Während der lateinische Begriff prasinus in der frühen Kaiserzeit vorrangig in Zusammenhang mit der entsprechenden Circusfaktionen auftaucht,47 zumindest aber auf Textilien beschränkt ist,48 scheint sich im Laufe der Zeit diese Verbindung zu lösen und prasinus eine allgemeine Bezeichnung für „grün“ zu werden. Der Impuls dazu – nicht allein die Etymologie des Wortes – könnte ebenfalls aus dem Griechischen zu kommen: Bei χρυσοκόλλα spricht Dioskurides von der Farbe als πρασίζουσα, die früheste belegte Verbindung zwischen πράσινος/prasinus und chrysocolla. Interessanterweise beschreibt Cassius Dio den farblichen Eindruck der „grünen“ Circusfaktion allerdings eher als βατραχίτης, wonach sie aber πράσινος genannt würden. Bei Isidor von Sevilla wird schließlich „grüne“ Kreide als prasina beschrieben, auch von chrysocolla spricht man nun als colore prasino.49 Unterschiedliche Disziplinen haben χρυσοκόλλα/chrysocolla mit verschiedenen Substanzen identifiziert. In der jüngsten deutschsprachigen Übersetzung der Naturgeschichte des älteren Plinius von Roderich König ist der Begriff chrysocolla konsequenterweise nicht übersetzt. Im Kommentar bestimmen sie chrysocolla unter Berücksichtigung der Berichte bei Theophrast und Vitruv wie folgt: Die Substanz „besteht aus wasserhaltigem Kupfersilikat, CuSiO3·nH2O (heute auch Chrysocoll genannt), und Malachit, CuCO3·Cu(OH)2 und wird auch als Berggrün oder Kupfergrün bezeichnet.“50 Der italienische Chemiker Selim Augusti identifizierte nach Durchsicht der antiken Quellen chrysocolla schon früher entweder mit dem 45 Diosk. mat. med. 5,89. Plin. n.h. 33,89. Unterschiede zwischen Dioskurides und Plinius bei der Angabe der Herkunft der chrysocolla erklärt die Projektgruppe Plinius 2000, 300 Anm. 93, mit „der ausschließlich medizinischen Beurteilung durch Dioscurides“. 47 Gegen eine Benennung der factiones nach Farben, die auf griechische Vorbilder zurückgeht, Thuillier 2012, 184–188. 48 André 1949, 192; Heijn 1951, 59f. Umgekehrt findet sich bei Iuv. 11,193–198 ein Beleg für viridis pannus. 49 Isid. orig. 16,1,6; 19,17,9; 10: Chrysocolla colore prasino est dicta. 50 König/Winkler 2007, 155. Nicht übersetzt auch bei Christian F.L. Strack in seiner deutschsprachigen Übersetzung (Cajus Plinius Secundus, Naturgeschichte, Bremen 1853–1855 [Nachdruck Darmstadt 1968]) der entsprechenden Passage. 46 9 Mineral Malachit bzw. basischem Kupfercarbonat.51 Diese Übertragung findet sich auch in dem griechischen Wörterbuch Liddell/Scott/Jones.52 Dass χρυσοκόλλα bei Theophrast und Aristoteles für Malachit steht, machen die Informationen über das Vorkommen wahrscheinlich, denn die Verbindung mit einer Substanz namens κύανος erinnert an die Vergesellschaftung der chemisch eng verwandeten Mineralien Malachit und Azurit. Die in den 1970er Jahren gegründete „Projektgruppe Plinius“, der in der Hauptsache Naturwissenschaftler, aber auch Vertreter der klassischen Philologie und Archäologie angehören, nahm sich auch der Themen Gold, Vergoldung und chrysocolla bei Plinius dem Älteren an und bestätigte im Wesentlichen die Übersetzung nach Liddell/Scott/Jones.53 Darüber hinaus verweisen die Forscher darauf, Plinius bezeichne mit chrysocolla alle natürlichen blau-grünen Kupferverbindungen, während seit dem 18. Jahrhundert chrysocolla nur noch für Kupfersilikate stehe. Unbeachtet durch die Projektgruppe blieb die Arbeit des belgischen Physikers Guy Demortier, der für die chrysocolla der Goldarbeiter die Frage stellte, ob es sich nicht eigentlich um eine gelbe Substanz handele, und diese nicht mit Malachit, sondern mit Greenockit, einem Cadmiumsulfid, identifizierte.54 Später räumte Demortier allerdings ein, Cadmiumsulfide seien nur in Syrien und im Iran im 1. Jh. v. bis 9. Jh. n. Chr. als Goldlot zum Einsatz gekommen, Kupfermineralien allerdings schon früher.55 Entgegen dem modernen Verständnis der antiken chrysocolla als ein kupferhaltiges Molekül und obwohl aus den antiken Kupferminen die beste chrysocolla stamme, behandelt Plinius die chrysocolla gerade nicht im Zusammenhang mit Kupfer,56 sondern mit dem Gold. Eine Verbindung zum Gold erkennt daher der Altertumswissenschaftler Mark Bradley, spricht von chrysocolla aber etwas irreführend als „gold dust“ oder „gold-sprinkled sand“.57 Die Philologin Rachael Goldman, die jüngst eine Studie zu Farbbezeichnungen in ihrem sozialen und kulturellen Kontext vorgelegt hat, vermeidet jedwede Identifikation der 51 Augusti 1959, 7: „Da quanto emerge dall’esame dei testi antichi, risulta che il termine ,chrysocolla‘ è da riferirsi sia ad un colore verde naturale, che possiamo identificare con la malachite, e che indubbiamente costituiva il prodotto più puro e pregiato e sia ad un sale basico di rame e ferro, di colore giallo-verde, di produzione naturale od artificiale: ad ogni modo ritengo fuor di dubbio che la chrysocolla fosse costituita da un minerale di rame, e principalmente da un carbonato basico di rame.“ Vgl. Schweppe 1993, 550. 52 Henry Georges Liddell/Robert Scott/Henry Stuart Jones, A Greek-English Lexicon, Oxford 1996, 2011, s.v. χρυσοκόλλα. 53 Projektgruppe Plinius 1993, 46 Anm. 108; dies. 2000, 299 Anm. 91. Ebenso Healy 1999, 215 (s.v. chrysocolla). Zur Arbeit der Projektgruppe s. die Beiträge von A. Locher und R.C.A. Rottländer und in Science in the Early Roman Empire: Pliny the Elder, his Sources and Influence, hgg. v. Roger French/Frank Greenaway, Totowa 1986, 11–19 bzw. 20–29. 54 Demortier 1987. Vgl. Goldman 2013, 96: „yellow, with its feminine overtones, would not be suitable for the masculine chariot racers of the day.“ 55 Demortier 2004. 56 Plin. n.h. 34,1–5; dazu Healy 1999, 301–305. 57 Bradley 2009, 91 Anm. 13; 107 Anm. 37. 10 neronischen chrysocolla mit einer modernen Substanz, geht aber von einem natürlichen Material aus Stein aus, das zu grünem Pulver vermahlen wurde.58 In der neuesten NeroBiographie spricht der Althistoriker Julian Krüger bei chrysocolla missverständlich von oxydiertem Kupfer.59 Möglicherweise kommt er nach dem Kommentar der Übersetzung von G. C. Wittstein zu diesem Eindruck, der zur chrysocolla der Goldschmiede bemerkt: „der Bereitung nach also wesentlich basisch-kohlensaueres Kupferoxid. (...) Von Borax allein, wie man geglaubt hat, kann mithin hier keine Rede sein. Nichtsdestoweniger kannten die Alten (ob auch Plinius?) den Gebrauch des Borax zum Löthen; Landerer (...) fand nämlich an einer silberplattirten Kupfermünze aus einem althellenischen Grabe etwas geschmolzenen Borax hängen. Und hier drängt sich wohl mit Recht die Frage auf, ob denn das zur Bereitung der Löthe-Chrysocolla angewandete Nitrum (Natrum) nicht boraxsaures Natron (Borax) gewesen sei? Wenigstens liesse sich dann ihre löthende Eigenschaft unschwer erklären, während begreiflicher Weise mit kohlensaurem Kupferoxyde allein nicht gelöthet werden kann. Dass manches Nitrum aus Borax bestand oder wenigstens von diesem Salze enthielt, ist gar nicht unwahrscheinlich.“60 Auch wenn die genannten Beispiele davon entfernt sind, ein systematisches Bild zu liefern, mit welchen Substanzen der Begriff der chrysocolla bei Plinius und anderen antiken Autoren in den vergangenen Jahrhunderten identifiziert wurde, so zeigen sie doch, wie schwierig eine Antwort auf die Frage ist, was denn chrysocolla sei. Plinius’ Darstellung der unterschiedlichen Sorten und Fälschungen wie auch die Bemerkung in Bezug auf die Goldschmiede, alle ähnlich „grünen“ Substanzen bezeichnete man als chrysocolla, und seine Ausdehnung des Begriffs auf den goldenen Stein Amphidanes deuten darauf hin, dass es die eine chrysocolla ohnehin nicht gibt, mithin auch die Identifikation der von Nero (und Caligula) verwendeten Substanz ein – auf den ersten Blick – auswegloses Unterfangen darstellt. Die chrysocolla ist mithin ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine dingliche Bezeichnung durch die Geschichte hindurch verändert. Hans Jüngst, der 1981 eine Doktorarbeit im Fachbereich Physik vorlegte und sich darin mit der „Geschichte und Technologie antiker und mittelalterlicher Reaktionslote“ beschäftigte, legte den Schwerpunkt 58 Goldman 2013, 87; 156 mit Anm. 76. Krüger 2012, 113: „Seine Parteinahme für die ,Grünen‘ gab er häufig dadurch zum Ausdruck, daß er die Rennbahn des Circus mit oxydiertem Kupfer (Chrysocolla) grün färben ließ.“ Kupferoxide (Cu2O, CuO) sind allerdings keine grünen Substanzen; vermutlich meint Krüger hier die Patina kupferner Oberflächen, die irreführend als Grünspan (eigentlich Kupferacetat) bezeichnet wird. Zum Grünspan Jüngst 1981, 35–51. 60 Die Naturgeschichte des Caius Plinius Secundus, übers. und komm. v. G.C. Wittstein, Wiesbaden 2007 (Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1881), 429 Anm. 5. 59 11 genau auf die Frage nach „Wesen und Wandlungen des ,Chrysocolla‘-Begriffs“.61 Welche Stoffgruppen zu bestimmten Zeiten mit einem dinglichen, auch Farben evozierenden Begriff bezeichnet werden, unterliegt also einem ähnlichen Wandlungsprozess wie die Frage, ob und wie sich bestimmte Epitheta in den jeweiligen Kulturen auf Farbeindrücke beziehen. Antike Eindrücke der Farbe von chrysocolla, die mal mit herbaceus, mal mit virens oder viridis, mal mit luteus beschrieben werden, sagen nichts darüber aus, welche Farbe sich antike Zeitgenossen typischerweise unter chrysocolla vorstellten. Im Umkehrschluss könnte man eher über concolor pannus versuchen zu erschließen, welche chrysocolla in der Nero-Episode gemeint ist. Doch nur weil Nero als Fan der „Grünen“ dargestellt und diese Leidenschaft auch in der Literatur der Zeit lebhaft rezipiert wird, heißt dies automatisch, dass Nero auch tatsächlich als prasinatus auftrat? In der sehr ähnlichen Szene zu Caligula bei Sueton sind es schließlich gerade nicht die Faktionen, die im Wagenrennen gegeneinander antreten, sondern Angehörige des Senatorenstandes. Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Senatoren auf die einzelnen Faktionen verteilten und in der Tracht professioneller Wagenlenker auftraten. Vielmehr wird man annehmen dürfen, dass sie, wenn sie als Angehörige des Senatorenstandes identifiziert werden und als Wagenlenker im Circus erschienen, in standesgemäßen Farben auftraten – und dazu wird sicherlich auch der Purpur mit dem latus clavus als Standesmerkmal gehört haben. 3. Nicht nur ein Farbstoff: Goldlot und Pharmazeutikum Es scheint geboten zu sein, sich zunächst von dem visuellen Bild zu verabschieden, das die Stelle zu Nero und chrysocolla im Circus erzeugen mag. Schon aus den zahlreichen Hinweisen bei Vitruv und Plinius zu unterschiedlichen Sorten und Nachahmungen geht hervor, dass ein zeitgenössischer Zuschauer im Circus das genaue Pigment wahrscheinlich nicht einmal hätte zweifelsfrei identifizieren können, das der Kaiser angeblich auf die Rennbahn habe aufbringen lassen. Denn es stellt sich bereits die Frage, ob ein durchschnittlicher Circusbesucher überhaupt ein differenziertes Wissen um kostbare Pigmente hatte und ob nicht das Wissen darum eher ein Phänomen der Elite war. Allein die Farbe selbst, nicht aber der Farbstoff wäre zweifelsfrei identifizierbar gewesen, doch von einem Farbeindruck ist in dem Passus zu Nero (und auch Caligula) eben nicht die Rede, sondern von einer Substanz, die unter anderem auch über die Farbe charakterisiert werden kann. Was Christian-Heinrich Wunderlich am Beispiel der Farbe Eisenoxidrot gezeigt hat, welches „je nach dem Anteil der Beimischungen, aber auch nach Herkunft des Materials und sogar dem 61 Jüngst 1981, v.a. 1–54. 12 kulturellen Kontext des Sprechers“ mit unterschiedlichen Namen angesprochen wird – für Mineralogen, Geologen und Chemiker handelt es sich bei Eisenoxidrot um Hämatit, Esoteriker ebenso wie Hersteller von Stuckmarmor bezeichneten ihn als Blutstein, eine veraltete Bezeichnung von Künstlern ist Persischrot62 – kann auch umgekehrt gelten: Im konkreten, soziokulturellen und im vorliegenden Falle textlichen Zusammenhang hat dieselbe Substanz jeweils eine eigene Bedeutung. Eisenoxid ist eben nicht einfach nur ein anderes Wort für Hämatit oder Blutstein, chrysocolla steht nicht allein für den goldenen Amphidanes, den grünen Malachit, eine Kupferverbindung oder ein Goldlot. 3.1 Nero und das Gold So wie die antike Historiographie zwischen „guten“ und „schlechten“ Kaisern unterscheidet,63 unterscheidet der senatorische Naturforscher Plinius zwischen „guten“ und „schlechten“ Farben. In seinem Buch über die Malerei spricht er von colores austeri aut floridi. Zu den colores floridi zählt Plinius hierbei minium, Armenium, cinnabaris, chrysocolla, Indicum und Purpurissum, zu den austeri colores gehörten alle übrigen, davon einige natürlich vorkommende, andere erst künstlich erzeugte Farbstoffe.64 Floridus, das auf flos („Blume“) zurückgeht, taucht aufgrund seiner Etymologie in der lateinischen Literatur häufig in Zusammenhang mit der Vegetation, im übertragenen Sinne mit der Jugend, aber auch mit der Malerei auf.65 Catull benutzt es auch als Attribut für junge Frauen.66 Apuleius bezieht floridus auf die Farbe der Kleider von Frauen, und der Erzähler seines Textes bemerkt zudem, um ihre Schönheit unter Beweis zu stellen, zeigten sich Frauen lieber nackt mit ihrer rosigen Haut anstatt durch goldene Kleider zu gefallen.67 Es ist bei ihm auch ein Epitheton der Sonne.68 Austerus dagegen begegnet im Kontext mit Strenge und Nüchternheit, beschreibt häufig auch 62 Wunderlich 2013, 14. Die Forschung zu Principes wie Caligula und Nero, die von der Überlieferung als problematisch eingestuft werden, zusammengefasst bei Ronning 2011; allgemein zum Bild nonkonformer Kaiser in der Überlieferung Witschel 2006. Das Bekenntnis zu einer Circusfactio, zumeist zu den Grünen wie bei Caligula und Nero, scheint vor allem in die Überlieferung zu den „schlechten“ Kaisern eingegangen zu sein. 64 Plin. n.h. 35,30; vgl. 33,117. Als Gemeinsamkeit der floridi colores sieht Brecoulaki 2006, 37f. die Instabilität und Unvereinbarkeit mit der Freskotechnik. 65 TLL s.v. floridus. flos übrigens als Bezeichnung bei Plin. n.h. 33, 104 für ein Produkt der Weiterverarbeitung des sogenannten stimi, stibi, alabastrum oder larbasis (33,101), die sich oben auf einer Flüssigkeit absetzt. 66 Catull 61,57. 67 Apul. met. 2,8,3f.: nudam pulchritudinem suam praebere se gestiunt magis de cutis roseo rubore quam de vestis aureo colore placiturae (in Bezug auf Kleidung); 7,8,1. 68 Apul. met. 8,15,8. 63 13 Weine und Sinneseindrücke im Bereich des Geschmacks, Geruchs und der Farbe.69 Cicero setzt austerus insbesondere dem Weichlichen und Üppigen entgegen.70 Es ist schwierig, das Gegensatzpaar austerus und floridus richtig zu fassen. „Dunkel“ und „hell“ scheint es nicht richtig zu umschreiben, da auch weiße Pigmente wie Paraetonium zu den austeri colores gezählt werden, eher „gedeckt“ und „lebhaft“:71 Selbst ein Maler wie der von Plinius immer wieder herausgestellte Apelles schien allerdings mit florides colores zu arbeiten, wobei die Arbeit mit atramentum offenbar als Bestandteil des Firnis einerseits die Klarheit der Farben erhöht habe (claritatis colorum omnium excitaret), andererseits „lebhafte“ Farben abgeschwächt habe (nimis floridis coloribus austeritatem occulte daret).72 Dabei steht dieser Passus im Widerspruch zu Plinius’ an anderer Stelle geäußertem Lob der sogenannten Vierfarbenpalette, die Künstler wie Apelles verwendet hätten und nur austeri colores enthalten habe: Sie hätten nämlich nur mit vier Farbstoffen gearbeitet, darunter unter den weißen Pigmenten Melinum, unter den Ockerpigmenten sil Atticum, unter den roten Pigmenten Sinopide Pontica und atramentum unter den schwarzen Pigmenten.73 Plinius folgert aus der geringen Zahl an Farbstoffen in der glorifizierten Vergangenheit, nicht mehr der Geist, sondern die Sache, also die Kostbarkeit des Materials, diktiere zu seiner Zeit den Wert der Kunst (omnia ergo meliora tunc fuere, cum minor copia. ita est, quoniam, ut supra diximus, rerum, non animi pretiis excubatur).74 Diese Feststellung erinnert an Plinius’ Bemerkungen zum Gold und seiner Verklärung der geringen Goldmenge im archaischen Rom. Diese Verbindung findet sich auch in der Kritik, die Petronius einer Figur seiner Satyrica in den Mund legt: Ein Klumpen Gold (massa auri) gelte in seiner Zeit als formvollendeter als das, was die Graeculi Apelles und Phidias geschaffen hätten.75 Einen vergleichbaren Verfall konstatiert auch der gleichnamige Neffe des älteren Plinius für das 69 TLL, s.v. austerus. Insbesondere Plin. n.h. 34,66; 35,134 spricht von dem Maler Athenion von Maroneia im Vergleich zu dem Künstler Nikias, sein Stil sei austerior colore et in austeritate iucundior. 70 Cic. de orat. 3,98. 71 Plin. n.h. 35,30. Bradley 2009, 96 („sombre“ und „florid“). 72 Plin. n.h. 35,97. 73 Plin. n.h. 35,50. Vgl. Cic. Brutus 18,70; Plut. mor. 436b–d. Die Historizität der Palette mit einer Tetrade bestimmter Pigmente (bei Cicero nicht benannt, Abweichung bei Plutarch μέλας und Plinius atramentum), die Plinius zugleich einer Vierzahl von Malern zuschreibt, ist zu Recht umstritten, ebenso problematisch sind die Widersprüche, in die sich Plinius verstrickt: zuletzt dazu Ierodiakonou 2004, 91f.; dies. 2005, 14–16 (zur fraglichen Verbindung zwischen der Vierfarbenpalette und der Lehre von den vier Elementen des Empedokles); Brecoulaki 2006 (bezweifelt durch die Polemik und Rhetorik des Abschnittes grundsätzlich den Quellenwert für die griechische Kunst); Rouveret 2007, 624–629 (warnt davor, die Ebene des Farbeindruckes mit der des Farbpigmentes zu vermischen); Bradley 2009, 71f. Zur begrenzten Auswahl grüner Farbpigmente in der antiken Malerei Brecoulaki/Perdikatsis 2006. 74 Vgl. Plin. n.h. 34,5: quondam aes confusum auro argentoque miscebatur, et tamen ars pretiosior erat; nunc incertum est, peior haec sit an materia, mirumque, cum ad infinitum operum pretia creverint, auctoritas artis extincta est. 75 Petron. 88,9f. 14 Publikum im Circus: Nicht die Schnelligkeit der Pferde oder die Kunstfertigkeit der Wagenlenker (velocitas equorum aut hominum ars) stünden im Fokus, sondern allein der pannus, und wechselte mitten im Rennen der pannus favorisierter Wagenlenker die Farbe (color), so würde mit der Farbe auch der Beifall wechseln.76 Besonders passend ist die Einbettung von floridi colores wie chrysocolla und minium in den zeitgenössischen literarischen Diskurs: Sie stehen sinnbildlich für Eigenschaften, die in der Überlieferung in die Topik negativ bewerteter Kaiser wie Caligula und Nero eingegangen sind (etwa effeminatio und luxuria). Interessant ist noch eine weitere Stelle in dem Buch über die Malerei, die für die Bemerkung über Neros Verwendung der chrysocolla bedeutsam ist. Plinius lässt sich hier über bemalte Wände aus, aus seiner Perspektive eine Unsitte, und – natürlich – habe sich an den Wänden des Hauses des Apelles keine Malerei befunden, denn Künstler seiner Zeit hätten ihre Kunst noch der Stadt, also dem „öffentlichen“ Raum, gewidmet und der ganzen Welt gehört, also nicht einem einzelnen.77 Bei einem zeitlichen Sprung in die eigene Gegenwart erwähnt Plinius den römischen Maler mit dem sprechenden Namen Famulus. Offenbar berühmt für sein Bildnis der Minerva sei Famulus, den Plinius durch seine gravitas und die Tatsache, dass er stets die Toga trug, beschreibt, bekannt als Künstler der domus aurea.78 Wie schon eingangs erwähnt, taucht Nero in dem Buch über Metallurgie, das mit dem Gold beginnt, im Zusammenhang mit der domus aurea auf. Famulus als ihr Künstler gestaltet im Gegensatz zu Apelles die domus aurea für den einzelnen, nämlich Nero. Wegen der verschiedenen Verbindungen Neros zum Thema „Gold“ mag man auch bei der Episode im Circus nicht an einen „grünen“ Farbstoff denken, wie er in der Malerei verwendet wird, sondern an eine Substanz namens chrysocolla in der Funktion des wortwörtlichen Goldleims. Platziert in der Beschreibung des Nutzens der chrysocolla für Malerei und Handwerk ist die Episode ihrer Verwendung im Circus anspielungsreich. So dürften auch Maler wie Famulus eine Art der chrysocolla sicherlich für die Innenausstattung der domus aurea verwendet haben. Concolor pannus kann sich also einerseits auf eine grünliche Substanz beziehen, als die chrysocolla als Goldlot charakterisiert ist, was für eine Verbindung zu den prasinati sprechen würde, andererseits kann aber auch der in chrysocolla enthaltene Begriff χρυσός, 76 Plin. ep. 9,6,2f. Plin. n.h. 35,118: omnium eorum ars urbibus excubabat, pictorque res communis terrarum erat. 78 Plin. n.h. 35,120. 77 15 also das Gold im Sinne eines Farbbegriffs, gemeint sei.79 Gerade bei einem Kaiser wie Nero, dessen Hinwendung zum griechischen Osten des Reiches so prägend in die Überlieferung eingegangen ist, kann sich hinter der Etymologie ein zusätzliches Spiel verbergen. Dass „golden“ (aureus) als color aufgefasst werden konnte, zeigt ein fiktiver Dialog bei Aulus Gellius in den „Attischen Nächten“ aus dem 2. Jh. n. Chr.: Der griechische Philosoph Favorinus und der Konsular Fronto debattieren darin, ob das Griechische oder Lateinische reicher an Farbworten sei.80 „Golden“ (aureus) zählt in diesem Gespräch ebenso zu den Rottönen wie „flammenfarben“ (flammeus), „blutfarben“ (sanguineus), „safranfarben“ (croceus) oder „purpurn“ (ostrinum).81 Wenn sich also der concolor pannus in diesem Zusammenhang eher als „golden“82 oder im ursprünglichen Sinne chrysocolla als Goldlot versteht, wird eine Verbindung zwischen dem Textil und dem Edelmetall hergestellt, so dass noch eine andere Passage bei Plinius relevant erscheint: Gold lasse sich nämlich spinnen wie Wolle, aber ohne Wolle dafür zu benötigen. Laut Verrius habe Tarquinius Priscus in einer goldenen Tunika triumphiert, die asiatischen Könige gelten als Erfinder der sogenannten attalischen Gewänder ganz aus Gold, und man habe erlebt, wie Claudius’ Ehefrau Agrippina – also keine geringere als Neros Mutter – in einen goldenen Mantel gekleidet gewesen sei. Sie habe diesen Mantel ebenfalls bei einem Schauspiel getragen, nämlich anlässlich des Spektakels auf dem Fuciner See, auf dem Verurteilte in einer Seeschlacht gegeneinander kämpfen mussten.83 3.2 Nero und die vanitates magicae84 Eine weitere mögliche Anspielung mag in der pharmakologischen Wirkung liegen, die man der Substanz im 1. Jh. n. Chr. zuschrieb. Den Berichten bei Aristoteles, Plinius und 79 Vgl. Plin. n.h. 33,4: Eruitur aurum et chrysocolla iuxta, ut pretiosior videatur, nomen ex auro custodiens. Für die Verwendung des griechischen χρυσός transkribiert ins Lateinische: Plaut. Bacch. 240. Auch andere Stoffe wie auripigmentum (ein gelblich-oranges Arsen-Schwefel-Mineral) und χρυσοσάπφειρος (lapis lazuli) rekurrieren wegen ihrer Kostbarkeit auch etymologisch auf das Gold: Brecoulaki 2014, 32. 80 Gell. 2,26. Eco 2006, 420–432 verdeutlicht anhand dieses Dialogs die Schwierigkeit der Übersetzung von Farbwörtern; Bradley 2009, 229–233, sieht in Gell. 2,26 das Spannungsfeld zwischen den Möglichkeiten visueller (Farb)Wahrnehmung einerseits und den Fähigkeiten oder Notwendigkeiten sprachlichen Ausdrucks verdeutlicht (ebd., 230 Anm. 6 mit einer Zusammenfassung der bisherigen Literatur zu dem Dialog). 81 Gell. 2,26,5: Atque eam vocum inopiam in lingua magis Latina video, quam in Graeca. Quippe qui ‚rufus‘ color, a rubore quidem appellatus est, sed cum aliter rubeat ignis, aliter sanguis, aliter ostrum, aliter crocum, aliter aurum, has singulas rufi varietates Latina oratio singulis propriisque vocabulis non demonstrat omniaque ista significat una ,ruboris‘ appellatione, cum ex ipsis rebus vocabula colorum mutuatur et ,igneum‘ aliquid dicit et ,flammeum‘ et ,sanguineum‘ et ,croceum‘ et ,ostrinum‘ et ,aureum‘. Vgl. Isid. orig. 19,17,14. 82 So Bradley 2009, 91 Anm. 13. 83 Plin. n.h. 33,62f. (zu Agrippina: nos vidimus Agrippinam, Claudii principis, edente eo navalis proelii spectaculum, adsidentem et indutam paludamento aureo textili sine alia materia). Vgl. zu Agrippina Tac. ann. 12,56,3 (chlamys aurata); Cass. Dio 61,33,3 (χλαμύς διάχρυσος); s. im Kontrast das Lob der dezenten Kleidung von Phokions Ehefrau als Ausdruck der Sophrosyne bei Ael. VH 7,9. 84 Plin. n.h. 30,1. 16 Dioskurides entnehmen wir im Wesentlichen zwei Anwendungsbereiche der chrysocolla: zum einen als Mittel in der Augenheilkunde, zum anderen in der Behandlung und Nachsorge von Wunden und Wucherungen. Plinius schreibt an anderer Stelle Nero die Neigung zur Heilkunde in gerade diesen beiden Bereichen zu, und man mag nicht völlig fehlgehen, den Einsatz von chrysocolla im Circus auch als präventive Maßnahme bei potentiellen Rennunfällen zu lesen. Denn genau deshalb habe der Princeps auch die pharmakologische Wirkung von Schweinemist geschätzt: Vor einem Wagenrennen habe Nero die Asche des Mistes in Wasser gelöst zu sich genommen. Schweinemist sollte äußerlich anwenden, wer beim Wagenlenken geschleift oder mit dem Rad überfahren wurde. Sogar bei Brüchen, schweren Verwundungen und verdrehten Gliedern habe nach Ansicht einzelner, so Plinius, der Schweinemist eine lindernde Wirkung.85 In dem Buch über Arzneimittel, das mit der Trennung der Medizin von der Magie beginnt,86 schreibt Plinius, der hier als Magier (magus) beschriebene Tiridates habe Nero in magische Praktiken eingeweiht. So sei er durch Nero zwar wieder in den Besitz seines Reiches gekommen. Doch habe der Princeps nicht den Umgang mit Tiridates’ Künsten gelernt, eine Kunst, die eher Giftmischereien lehre.87 Eine Verbindung zwischen Nero und der Augenheilkunde mag ein Abschnitt über die Edelsteine im letzten Buch des Plinius implizieren. Dort erstellt Plinius zunächst eine Rangfolge von Steinen (oder Luxusgütern) gemessen an ihrem Ansehen und ihrem Wert. So stehe an erster Stelle der Diamant, an zweiter Stelle Perlen aus Indien und Arabien, an dritter Stelle die Smaragde. Keine Farbe falle angenehmer in die Augen, so Plinius, als die der Smaragde, denn die Römer sähen schon das „Grün“ der Kräuter und Blätter mit Wohlgefallen an, aber das „Grün“ der Smaragde sei am schönsten. Es habe darüber hinaus den Effekt, die Augen durch Anschauen der Smaragde zu stärken. Selbst für die Steinschneider gebe es keine bessere Erholung für die Augen, denn das „Grün“ lindere die Müdigkeit. Außerdem würfen sehr breite und flache Smaragde Bilder wie ein Spiegel zurück. Als Beispiel dient Nero, der sich die Gladiatorenspiele durch einen Smaragd angesehen habe.88 Auch hier mag man eine Anspielung auf Neros Neigung zu den prasinati sehen, wenngleich es keinen Zusammenhang zwischen den Gladiatorenkämpfen und den Circusfaktionen gibt: Wie im Falle der Episode mit der chrysocolla im Circus gibt es auch hier die Verbindung zwischen Nero, einem Spektakel und einer offenbar prototypisch 85 Plin. n.h. 28,237f. Plin. n.h. 30,2. 87 Plin. n.h. 5,17. 88 Plin. n.h. 37,62–64: (...) Nero princeps gladiatorum pugnas spectabat in smaragdo. 86 17 „grünen“ Substanz. Jean Trinquier hat in seiner Studie zum Grün in der Antike darauf hingewiesen, dass σμάραγδος/smaragdus eine große Bandbreite von Edelsteinen meinen kann: neben dem, was wir heute als Smaragd verstehen, auch Malachit, Peridot, Serpentin, Amazonit, Prasiolith, grüner Jaspis oder sogar grüner Porphyr.89 Auch Plinius fährt in seinen Ausführungen über Smaragde mit einer Auflistung zwölf verschiedener Arten von Smaragden fort, deren inhärente Qualitäten sich zum Teil erheblich voneinander unterscheiden – nicht nur hinsichtlich der Farbe.90 Wie bei der chrysocolla divergieren also die antike und moderne Definition der Stoffgruppe „Smaragd“, und auch im Falle der Smaragde gibt es einen antiken Diskurs über Nachahmungen und Fälschungen.91 3.3 Caligula, chrysocolla und minium Da der Bericht des Plinius über Nero eine starke Ähnlichkeit zu der Anekdote über Caligula bei Sueton aufweist, stellt sich die Frage, wie die bisherigen Überlegungen mit jener Szene in Einklang zu bringen sind. Im Unterschied zu Nero habe Caligula noch eine zweite Substanz verwendet, nämlich minium. Alan Cameron sieht in der Stelle bei Sueton einen Hinweis, dass Faktionsbindungen zwischen Prasinati und Russati sowie Veneti und Albati, wie sie in der Spätantike belegt sind,92 schon im frühen Prinzipat existierten. Damit geht er aber selbstverständlich davon aus, die in dem Text genannten Substanzen repräsentierten allein jeweils einen grünen und roten Farbstoff.93 Ohnehin bewegt sich seine Argumentation auf dünnem Eis, denn Fluchtafeln sprechen eher für eine Verbindung zwischen den „Grünen“ und „Weißen“ sowie den „Blauen“ und „Roten“.94 Nicht zu vernachlässigen ist darüber hinaus die Information, Caligula habe die Substanzen verwendet, wenn Angehörige des Senatorenstandes auftraten.95 Wie schon im Falle der chrysocolla würde der antike Circusbesucher hier wohl aufgrund des Farbeindruckes nicht erkannt haben, um welchen der (im Vergleich zu den grünen Pigmenten) noch zahlreicheren roten Farbstoffe es sich handelte. 89 Trinquier 2002, 102f. Plin. n.h. 37,65–75. 91 Plin. n.h. 37,75. 92 Cameron 1976, 45–56. 93 So auch die Übersetzung von Catharine Edwards (Suetonius, Lives of the Caesars, Oxford 2000, 145): „the arena was scattered with red and green“; ebenso Groot 2008, 81. Healy 1999, 216 Anm. 91 identifiziert das minium in dieser Szene mit „red lead“. Greenaway 1986, 154, wies bereits darauf hin, dass minium als Bezeichnung für eine Reihe von Substanzen, darunter „cinnabar (HgS) the best material for use as a pigment, or (...) the inferior red lead“ verwendet wurde. 94 Cameron 1976, 62. Dazu nun Thuillier 2012, 196–208. 95 Zu Senatoren in der späten römischen Republik, die als Wagenlenker auftraten (etwa des C. Antonius in Ciceros In Toga Candida) s. Rawson 1981, 9–13. 90 18 Dioskurides betont zudem die Gefahr, μίνιον mit κιννάβαρι zu verwechseln.96 Bei einer Auswahl zwischen den Begriffen minium und cinnabari(s) entscheidet sich Sueton in seinen Worten zu Caligula wahrscheinlich nicht ohne Grund für minium. Erstmals findet sich der Begriff κιννάβαρι bei griechischen Autoren der spätklassisch-frühhellenistischen Zeit, namentlich bei Aristoteles und Theophrast.97 Teilweise passt diese Beobachtung zum materiellen Befund, denn Zinnober ist als Pigment in der ägäischen Wandmalerei der archaischen Zeit praktisch nicht vertreten, lässt sich aber ab spätarchaischer Zeit nachweisen.98 Theophrast zufolge habe der Athener Kallias, ein Athener von den Silberminen, bei der Untersuchung des Sandes gedacht, er enthalte Gold. Nachdem sich diese Überlegung als falsch herausgestellt habe, habe er dennoch die Farbe bewundert und offenbar den Prozess entdeckt, die Farbe zu extrahieren. Dass diese Ereignisse kurz vor das Ende des Peloponnesischen Krieges gehören sollen,99 verwundert kaum: Denn die Idee einer zusätzlichen Gewinnung von Gold und mithin des Zugangs zu weiteren Finanzen passt zur desaströsen Lage der Polis Athen, der nach der verlustreichen Kämpfen, insbesondere mit Blick auf die Sizilienexpedition, die Kapitulation im Peloponnesischen Krieg bevorstand. Theophrast unterscheidet zwei Arten von κιννάβαρι, eine natürlich vorkommende, bei der er von der Gewinnung in Spanien spricht, zusätzlich käme eine aus Kolchis. Daneben werde unweit von Ephesos eine künstliche Art der κιννάβαρι hergestellt. Es fällt auf, dass Vitruv in seinem Werk ausschließlich den Begriff minium verwendet, nicht jedoch von cinnabari spricht. Das griechische μίνιον ist dagegen nicht vor Dioskurides belegt, was darauf hindeuten dürfte, dass der Begriff über das Lateinische ins Griechische übertragen wurde. Vitruv beschreibt minium als Stoff, der in der Sache und in der Wirkung durchaus erstaune. Dazu zählt er, dass bei Abbau anthrax, der erst zu minium verarbeitet werde, argentum vivum absondere, das ebenfalls sorgfältig gesammelt würde.100 Zudem äußert er sich über das Problem der Lichtechtheit von minium als Farbstoff, denn durch Sonneneinstrahlung oder Mondlicht verliere er seine Farbe, werde dunkel (denigratur) und 96 Diosk. mat. med. 5,94,1. S.a. André 1949, 117f. Zum Problem des Transfers von Farbworten (und offensichtlich auch farbgebenden Substanzen) zwischen dem Griechischen und Lateinischen s. Anm. # zu Gell. 2,26. 97 Aristot. meteor. 3,6 [378a]; Theophr. de. lap. 58f. 98 Brecoulaki 2014, 6f.; 15–17. 99 Dieselbe Episode auch bei Plin. n.h. 33,113. 100 Vitr. 7,8,1: res et ratio satis magnas habet admirationes. foditur enim glaeba quae dicitur, antequam tractationibus ad minium perveniant, vena uti ferrum, magis subrufo colore, habens circa se rubrum pulverem. cum id foditur, ex plagis ferramentorum crebras emittit lacrimas argenti vivi, quae a fossoribus statim colliguntur. 19 ohne Anmut (invenustus). Was zu tun war, damit dies nicht passierte, thematisiert Vitruv ebenfalls.101 In seinen einleitenden Worten zum Buch über die Metallurgie stellt Plinius fest, die Habsucht (avaritia) habe zur Suche des Silbers getrieben und mache selbst eine rote Erde wie das minium brauchbar.102 Auch Nachahmung und Fälschung von minium ist ein wichtiges Thema für Plinius.103 Während Theophrast noch von einer künstlichen Art der κιννάβαρι aus Ephesos berichtete, verweist Plinius darauf, die Verarbeitung des minium aus Ephesos sei zu aufwendig gewesen und so habe man das Malen mit ephesischem minium aufgegeben; nur die Alten hätten mit cinnabari gemalt.104 Rötel (rubrica) und Sinopische Erde (Sinopis) hätten das ephesische minium abgelöst. Vitruv berichtet von der Verlagerung von Zinnoberhütten von Ephesos nach Rom, nachdem man Adern des Metalls in Hispanien gefunden hätte.105 Plinius’ Bericht ist hier interessant und aufschlussreich:106 Obwohl es der Überlieferung zufolge auch in Carmania und Aethiopia vorkomme, gewinne man minium fast ausschließlich in Spanien in einem gut bewachten Bergwerk im baetischen Sisapo. Die Weiterverarbeitung des minium dürfe nur in Rom erfolgen, wo ein Gesetz den Höchstpreis auf 70 Sesterzen pro Pfund festlegte. Zwischen der Abfassung des vitruvianischen Werkes und dem Entstehen der Werke des Plinius und des Dioskurides scheint es bei den Autoren der Kaiserzeit plötzlich eine Notwendigkeit gegeben haben, zwischen minium einerseits und cinnabari(s) andererseits zu differenzieren. So schreibt Plinius, die Griechen bezeichneten minium als cinnabaris, wodurch ein Fehler durch unzureichende Kenntnis der Namen entstanden sei.107 Der Irrtum wirkte sich vielleicht sowohl im Bereich der Malerei – bedenkt man die Probleme der Lichtechtheit der unklaren Stoffgruppe minium bei Vitruv – als auch auf jeden Fall im Bereich der Heilkunde aus. Denn κιννάβαρι wirkte als Gegengift und Heilmittel,108 μίνιον dagegen war hochgiftig:109 Laut Dioskurides mussten sich die Bergarbeiter in Spanien davor schützen, die erstickenden Ausdünstungen des μίνιον bei der Gewinnung einzuatmen. κιννάβαρι dagegen stamme aus Libyen, sei allerdings so teuer, dass es den Malern kaum für 101 Vitr. 7,9,2–5. Vgl. Plin. n.h. 33,122. Plin. n.h. 33,4: quaerebat argentum avaritia; boni consuluit interim invenisse minium rubentisque terrae excogitavit usum. heu prodiga ingenia, quot modis auximus pretia rerum! 103 Plin. n.h. 33,119–121. 104 Plin. n.h. 33,117. 105 Vitr. 7,9,4; dazu Rosumek 1982, 161 106 Plin. n.h. 33,118. 107 Plin. n.h. 33,115; vgl. Plin. n.h. 29,25 (Problem der Beimengung von minium anstelle von cinnabari Indica zu Arzneien, obwohl ein Gift). 108 Vgl. Plin. n.h. 13,7; 13,9; 29,66. 109 Plin. n.h. 33,116. 102 20 die Linien reiche, als Heilmittel gelte es als intensives Augenmittel wie auch als blutstillend und werde zur Behandlung von Verbrennungen eingesetzt.110 Plinius’ Bewertung von minium und cinnabaris ist zumindest teilweise widersprüchlich. Einerseits zählt er sie, wie bereits angesprochen, zu den colores floridi,111 die er eher negativ bewertet. Anderseits genieße minium hohes Ansehen, habe einst bei den Römern nicht nur größte, sondern auch eine heilige Bedeutung gehabt. Gewährsmann des Plinius ist in diesem Falle Verrius, der berichte, minium sei an Festtagen auf das Gesicht der Jupiter-Statue aufgetragen worden, ebenso auf die Körper der Triumphierenden. Daher rühre der religiöse Brauch, den Salbölen beim Triumphmahl minium beizugeben, ebenso ließen die Zensoren deshalb das Jupiterstandbild mit minium anstreichen.112 In dieser Verwendung könnte eine Erklärung liegen, warum die minium-Produktion nur in Rom und unter strengsten Auflagen erfolgte. Diese Herleitung der Bedeutung des minium aus der altrömischen Tradition mag mitschwingen, wenn Sueton behauptet, Caligula habe wie Nero chrysocolla, aber auch minium verwendet.113 Da es um Spiele geht, bei denen Angehörige des Senatorenstandes miteinander wetteiferten, hat es einen üblen Beigeschmack, wenn minium ursprüngliches Symbol der Triumphatoren war. Darüber hinaus verhält sich minium zu argentum in ähnlicher Weise wie chrysocolla zu aurum:114 In beiden Fällen handelt es sich um Exponenten des avaritia- und luxuria-Diskurses. Gewinnung und Verwendung dieser Substanzen habe nur etwas mit Geld, Überfluss und Luxus zu tun.115 Interessant ist der Kontext, in den Sueton seine Szene setzt. Er berichtet im Folgenden nicht nur, Caligula habe einmal auch völlig unerwartet Spiele im Circus veranstalten lassen, nur weil dies die Nachbarn gefordert hätten, als er gerade von einem Balkon aus den Circus inspizierte. Die Szene geht der aufsehenerregenden Episode zu Caligula an der Bucht von Baiae voraus, die sowohl von antiken Zeitgenossen, wie Sueton vermerkt, als auch von heutigen Forschern unterschiedlich gedeutet wird.116 Sueton leitet sie ein mit den Worten: 110 Diosk. mat. med. 5,94,2f. Bentley 1971. Plin. n.h. 33,117; 35,30; s. oben Abschnitt 3.1. 112 Plin. n.h. 33,111f. Vgl. Cic. ad. fam. 9,16,8; dazu Heijn 1951, 44. 113 Die Bemerkung bei Goldman 2013, 87, mag in diese Richtung gehen, ohne dass sie näher darauf eingeht: „Since minium and chrysocolla were natural stone materials, it is assumed that Caligula had these materials ground up into a powder, an act that was viewed as a ritual to ensure the future success to those involved.“ 114 Plinius’ Ausführungen zu Silber sind im Umfang denen zu Gold nicht vergleichbar: Healy 1999, 299–301. 115 Zur luxuria bei Plinius Murphy 2004, 96–99. 116 Suet. Cal. 18,3–19. Vgl. Cass. Dio 59,17,1–. Die modernen Perspektiven hierzu zusammengefasst bei Ronning 2011, 261f.; nicht mehr berücksichtigt Woods 2007 (entgegen Malloch 2001), Caligula habe mit der Schiffsbrücke nicht Alexander den Großen imitiert, wie der Bericht bei Cassius Dio nahe legt, sondern Pompeius den Großen anlässlich des 100. Jahrestages von Pompeius’ Triumph 61 v. Chr. 111 21 Novum praeterea atque inauditum genus spectaculi excogitavit. Caligula habe eine Schiffsbrücke zwischen Baiae und Puteoli bauen lassen, auf ihr eine Schicht Erde, und wie die Via Appia befestigt. Einen goldenen Mantel (aurea chlamys) habe er getragen, als er die Brücke am ersten Tag zu Pferd überquerte, nach Cassius Dio über dem angeblichen Brustpanzer Alexanders des Großen dagegen eine χλαμύς ἁλουργής (ein «purpurner» Mantel) aus Seide, die mit viel Gold durchwirkt und durch zahlreiche kostbare Steine aus Indien verziert gewesen sei.117 Am nächsten Tag sei Caligula, so Sueton, wie ein Wagenlenker eines Vierspänners auf einem Zweispänner die Brücke entlanggefahren. Vorgespannt habe man berühmte Pferde (postridie quadrigario habitu curriculoque biiugi famosorum equorum), vor ihm sei der junge Dareius, einer der Geiseln der Parther, gelaufen. Cassius Dio beschreibt Caligula hier als bekleidet mit einer goldbestickten Tunika (χιτών χρυσόπαστος). Das Epitheton χρυσόπαστος ist auffällig, denn es ist nicht häufig belegt: Herodot verwendet es zur Charakterisierung eines Gastgeschenkes, χρυσόπαστος τιήρης, das Xerxes den Abderiten gemacht habe. Dabei zieht Herodot die Behauptung der Bewohner von Abdera in Zweifel, Xerxes habe hier zum ersten Mal seit seiner Flucht aus Athen seinen Gürtel gelöst als Zeichen, nun in Sicherheit zu sein.118 Dies wird kaum ein Zufall sein, denn sowohl Sueton als auch Cassius Dio vergleichen Caligulas Brücke bei Baiae mit der Schiffsbrücke des Xerxes über den Hellespont. Die Themen Triumph und Spektakel bzw. Circus sind bei der Überschreitung der Bucht von Baiae durch Caligula an aufeinanderfolgenden Tagen miteinander verknüpft. Was Sueton für den zweiten Tag nur andeutet, formuliert Cassius Dio klarer: Rennpferde, die üblicherweise die höchsten Preise errangen, hätten Caligula auf einem Wagen zurückgefahren. Die Erwähnung berühmter Pferde lässt an Incitatus denken, das Sueton an anderer Stelle einerseits als Beispiel dient, wie sehr Caligula der Faktion der „Grünen“ ergeben sei (addictus et deditus), das andererseits durch die Schilderung von überbordender luxuria hervorsticht. Zusätzlich zu einem marmornen Stall, einer elfenbeinernen Krippe, einer purpurnen Decke und mit Edelsteinen besetztem Zaumzeug habe das Pferd eine domus, eine familia und eine Ausstattung erhalten, mit der es Gäste habe empfangen können. Zu dem 117 Ob es sich dabei tatsächlich um den Mantel handelt, den Pompeius während seines Triumphes von 61 v. Chr. getragen haben soll, so Woods 2007, 126f., muss wegen der geringen Ausführlichkeit Suetons und der in den Berichten Suetons und Cassius Dios zumindest latent unterschiedlichen Qualitäten der chlamys offen bleiben. Zu ἁλουργός in griechischer Zeit Blum 1998, 25–28, das sich hier fast immer auf die Farbe von Textilien bezieht. 118 Hdt. 8,120. 22 unterstellten Lebensstandard des Pferdes passt denn auch das bei Sueton überlieferte Gerücht, er habe es zum Konsul machen wollen.119 4. Die farbige Gestaltung des Circus Dass farbige Materialien zur Ausstattung des Circus verwendet und benötigt wurden, machen die antiken Textean verschiedenen Stellen deutlich.120 Sueton berichtet Sueton, Claudius habe den Circus Maximus mit marmornen Schranken und goldenen Zielsäulen verschönern lassen. Beides sei bis dahin aus Tuffstein und Holz gewesen. Auch habe Claudius eigene Sitzreihen für Senatoren eingeführt, obwohl man zuvor die Spiele ohne Unterscheidung des gesellschaftlichen Ranges verfolgt habe.121 Laut Plinius benutzte man Abfallprodukte des lapis specularis („Spiegelstein“), die man bei circensischen Spielen in den Circus Maximus streute.122 Der weiße Glanz (candor) empfahl den Stein, ebenso seine leichte Verarbeitbarkeit.123 Der Akt an sich, Partikel eines Steines oder kostbareren Materials im Circus zu verteilen, ist also hier nicht die Eigenart schwieriger Herrscherpersönlichkeiten, sondern kann auch zu anderen Zeiten eine Form der Wertstoffnutzung gewesen sein. Bemerkenswert ist eine Stelle in Petronius’ Satyrica, die im Übrigen direkte und indirekte Anspielungen auf die Faktion der „Grünen“ enthält.124 In der bekannten cena Trimalchionis lässt der reiche Freigelassene für den Nachtisch die bisherigen Tische von Sklaven aufräumen und durch andere ersetzen. Sie bestreuten dabei den Boden mit Sägemehl und einer Tinktur von crocum („Safran“) und minium sowie mit pulverisiertem lapis specularis. Petronius’ IchErzähler vermerkt dazu, er habe so etwas noch nie zuvor gesehen.125 Rachael Goldman bringt den gelblichen Farbton des Safran und das Rot des minium mit einer Anspielung auf das Theater in Verbindung. Dass Petrons Bühne aber auch mit minium ausstaffiert wird, kann in dieser Szene ebenso auf den römischen Circus verweisen. Seneca berichtet davon, in älterer Zeit sei Kalk (calx) für die Ziellinie verwendet worden, in neuerer Zeit allerdings Kreide (creta).126 Ob der lapis specularis für denselben Zweck eingesetzt wurde, ist zwar nicht bezeugt, aufgrund seines weißen Glanzes aber 119 Dazu nun Woods 2014. Zu den Farben des römischen Circus jetzt Goldman 2013, 85–97. 121 Suet. Claud. 21,3. 122 Plin. n.h. 36,162. 123 Plin. n.h. 36,160: Ursprünglich gewann man den Spiegelstein in Spanien, wie Plinius berichtet. Spanien ist auch wichtiger Herkunftsort für minium und chrysocolla, was die Bedeutung Spaniens für den römischen Bergbau zeigt. Zur Verbindung des Plinius zu den Goldminen im Nordwesten Spaniens s. Bird 1984. Zur Ablösung des Spiegelsteins durch den phengites, der unter Nero entdeckt wurde: Plin. n.h. 36, 163. 124 Petron. 28,8; 64,6; 70,8–13. 125 Petron. 68,1. 126 Sen. epist. 108,32. 120 23 durchaus wahrscheinlich. Wenn die Stellen bei Sueton und Plinius zu Caligula und Nero historisch sind, ist am ehesten daran zu denken, dass Linienmarkierungen auf dem Sand anders als sonst gefärbt wurden. Plinius berichtet auch von grüner Kreide (creta viridis), die zur Nachahmung von chrysocolla diente.127 Wenn mit chrysocolla tatsächlich auf einen grünen Farbeindruck verwiesen ist, könnte bei Plinius eine – vielleicht sogar bewusste? – Verwechslung mit creta viridis vorliegen. Materielle Belege für die farbige Gestalt des Circusgeschehens liefern Mosaiken mit Circusdarstellungen.128 Das Mosaik aus Lyon aus der Zeit des frühen Prinzipats etwa, heute im Musée gallo-romain de Fourvière, zeigt die farbige Szene eines Circusrennens. Vier Gruppen von je zwei Wagenlenkern mit ihren Quadrigen befinden sich unmittelbar im Wettkampf. Die Tuniken (pannus) unterscheiden sie farblich voneinander: zwei rot gekleidete Wagenlenker mit ihrem Viergespann (oben rechts im Sturz aus der Kurve kommend und unten links der Mitte), zwei weiß gekleidete Rennfahrer (links unmittelbar bei der Einfahrt in die Kurve, hinter den Pferden kaum zu erkennen, und in der Mitte unten beim Überfahren der Ziellinie), zwei grün gekleidete Agitatoren (oben in der Mitte, unten links an der Startlinie im Sturz befindlich) und ein blauer Wagenlenker oben rechts der Mitte (ein zweiter dürfte sich an der nicht erhaltenen Stelle unten rechts als Lenker des Viergespanns befunden haben). Über die Farben sind die Gruppen ohne Probleme mit den vier Faktionen zu identifizieren. Es gibt noch weitere farbig gekleidete Personen auf dem Bild, unter anderem das Personal, das für die Rundenzählung verantwortlich ist und den Ablauf des Rennens überwacht. Daneben heben sich Rennmarkierungen wie die weiße Ziellinie deutlich vom Untergrund ab. Zwar nicht im Zusammenhang mit der farbigen Ausgestaltung des Circus, sondern des Amphitheaters fällt noch eine Notiz bei Plinius über Nero ins Auge: Segel von der Farbe des Himmels und mit Sternen habe er auf Seile aufziehen lassen (vela nuper et colore caeli, stellata, per rudentes iere etiam in amphitheatris principis Neronis).129 Auffällig ist der Kontext dieser Stelle in dem langem Kapitel über Flachs (linum) im Buch über die Kultur der Gartengewächse. Denn nicht nur der Farbeindruck an sich scheint eine Rolle zu spielen, sondern überhaupt das Färben des linum. Versucht habe man, den Flachs zu färben, was zuerst bei der Flotte Alexanders des Großen geschah, dessen Schiffe mit verschiedenfarbigen Segeln den Indus entlang gefahren seien. Auch Kleopatra sei zusammen mit M. Antonius bei Actium unter einem purpurnen Segel gefahren. Im Theater und sogar bei der Überschattung 127 Plin. n.h. 35,49. Humphrey 1986, 208–246. 129 Plin. n.h. 19,24. 128 24 des Forum Romanum sei Leinen zum Einsatz gekommen.130 Zuvor hebt Plinius die feuerfesten Eigenschaften des Stoffes hervor: Es werde vom Feuer nicht verbrannt, heiße im Griechischen daher ἀσβέστινον, und das natürliche Rot des linum bekäme Glanz im Feuer (rufus de cetero splendescit igni).131 So erscheint die im Buch zur Malerei enthaltene Anekdote, Nero habe sich in kolossaler Größe auf einer 120 Fuß hohen Leinwand (linteum) malen lassen, doch sei nach Aufstellung des Bildes in den Maianischen Gärten ein Blitz eingeschlagen und habe die Leinwand verbrannt, nicht nur wegen der unglaublichen Größe der Leinwand, sondern gerade aufgrund der andernorts beschworenen Feuerfestigkeit des Leinen besonders spektakulär.132 Bei Cassius Dio ist es nicht das Amphitheater, sondern das Theater, das Nero mit Sonnensegeln habe überspannen lassen: Der bei Plinius beschriebene color caeli wird bei Dio mit ἁλουργός („purpurn“) wiedergegeben, goldene Sterne hätten eine in der Mitte der Vorhänge befindliche Nero-Darstellung als Wagenlenker umstrahlt.133 Die Ikonographie entspricht einer Darstellung Neros als Sol/Helios.134 Die Geschichte ist eingebettet in Dios Bericht über die Krönung des Tiridates in Rom, der sich selbst von den Auftritten Neros als Kitharöde und Wagenlenker abgestoßen gefühlt habe.135 Aber auch Tiridates’ Ankunft in Rom wird als Inszenierung dargestellt:136 Cassius Dio vergleicht Tiridates’ Reise vom Euphrat nach Rom mit einem Triumphzug.137 Die Frau des Tiridates habe dabei einen goldenen Helm anstelle eines Schleiers getragen, um ihr Gesicht zu verbergen – ein Verletzung geltenden Rechts (κράνος χρυσοῦν ἀντὶ καλύπτρας ἔχουσα, ὤστε μὴ ὁρᾶσθαι παρὰ τὰ πάτρια). Da Cassius Dio wenig später auf Neros Auftritt als grüner Wagenlenker mit einem Helm zu sprechen kommt, mag hier auch implizit eine Anspielung auf Tiridates’ Ehefrau und das Motiv der effeminatio mitschwingen. Die Unangemessenheit der Kleidung des Princeps thematisiert Cassius Dio jedenfalls auch bei anderen Gelegenheiten.138 Die Beschreibung des Vorhanges bei Dio ähnelt der bildhaften Beschreibung vom Einzug Neros als Triumphator in Rom bei Sueton, bei dem ein Stück der Mauer eingerissen 130 Plin. n.h. 19,22f. Plin. n.h. 19,19–21. 132 Plin. n.h. 35,51. 133 Cass. Dio 63,6,2. 134 Suet. Nero 53. Dazu Champlin 2003, 117–121. 135 Cass. Dio 63,6,4. Vgl. Tac. ann. 14,14,1f. (Verweis auf Wagenlenken und Gesang zur Kithara als Leidenschaften des Nero). 136 Suet. Nero 13,1; Cass. Dio 63,4,3; dazu Heil 1997, 131f. 137 Cass. Dio 63,1,2f. 138 Cass. Dio 63,13,3 (καὶ γὰρ καὶ ἐν τούτοις ἤδη παρηνόμει, ὥστε καὶ ἀξώστους χιτῶνας ἐν τῷ δημοσίῳ ἐνδύεσθαι); s. etwa auch 17,5; 20,3; 22,4. Zur Kleidung der „schlechten“ Kaiser Starbatty 2010, 213–235. 131 25 worden sei:139 Nero habe zuvor bei unterschiedlichen Wettkämpfen in Griechenland teilgenommen, an vielen Orten fuhr er Wagenrennen, in Olympia habe er sogar ein Zehnergespann gelenkt, wobei er dies einst an Mithridates getadelt habe. Auch wenn er das Rennen in Olympia nicht zu Ende fuhr, so sei er doch mit dem Siegerkranz belohnt worden.140 Auf weißen Pferden sei Nero in Neapel eingezogen, in Rom sogar auf dem Wagen, in dem Augustus triumphierte. Ein purpurnes Gewand mit einem Mantel verziert mit goldenen Sternen soll er dabei getragen haben, auf dem Kopf den Siegeskranz aus Olympia.141 Die Szene nimmt sich aus wie ein Theaterspiel: Wie bei einem richtigen Triumphzug seien Nero Claqueure gefolgt, als seien sie die Begleiter und Soldaten des Augustus, die Wege habe man mit Safran bestreut. Cassius Dio setzt anders als Sueton die Ereignisse noch fort, indem er von Pferderennen berichtet, die nach Abschluss der Feierlichkeiten durchgeführt worden sein sollen.142 Daraufhin habe man Neros Siegeskränze im Wagenrennen – 1808 sollen es gewesen sein –in den Circus bringen und um den ägyptischen Obelisken aufstellen lassen. 5. Schlussbetrachtung Wenn Caligula und Nero tatsächlich Substanzen um ihrer Farbigkeit willen ausbrachten, wäre zu klären, woher Plinius und Sueton das Wissen um die genaue Substanz hatten, denn auch andere Farbstoffe hätten eingesetzt werden können, um denselben Farbeindruck zu erzeugen. Als Farbstoffe sind die angegebenen Substanzen in einen zeitgenössischen Diskurs über den Verfall in der Malerei eingebettet und in die Kategorie negativ bewerteter Farben (florides colores) eingeordnet. Es ist aber damit zu rechnen, dass nicht primär die Farbgebung der Stoffe für das Verständnis entscheidend ist, sondern die mit den Substanzen verbundene Semantik, d.h. in erster Linie ihre Materialität und die damit verbundene Kostbarkeit wie auch Fragen der Gewinnung und Verwendung. Vielleicht ließ sich Sueton für seine Vita des Caligula zudem durch die Nero zugeschriebene Begebenheit bei Plinius oder ähnlichen, verlorenen Darstellungen inspirieren, so dass mit dieser Szene eine topische Darstellung nonkonformer Herrscherpersönlichkeiten verbunden wäre. Überbordender Luxus ist Teil dieses Topos. Besonders passend sind hierbei auch die Querverweise auf Gold und Silber, die sich bei chrysocolla insbesondere über die Etymologie, aber auch bei minium als Beiprodukt der Edelmetallgewinnung ergeben. 139 Suet. Nero 24f. Dazu auch Cass. Dio 63,14,1. 141 Ähnlich Cass. Dio 63,20. 142 Cass. Dio 63,21,1f. 140 26 Für die Szene bei Plinius mit der chrysocolla im Circus, die aus dem historischen Zusammenhang gerissen ist, bietet sich nun als alternative Interpretation die eines triumphierenden Nero an,143 nicht die eines Princeps, der seinen Neigungen zu den „Grünen“ Ausdruck verleiht. Nero ist wie kein anderer Kaiser vor ihm so sehr mit dem kostbaren Edelmetall Gold verbunden, und Plinius lässt keinen Zweifel an der Verbindung der chrysocolla mit dem Gold. Ob anstelle von Malachit oder ähnlich grünen Stoffen an den andernorts erwähnten Goldstein Amphidanes zu denken ist, muss offen bleiben; die bei Plinius verstreuten Informationen zum neronischen Goldabbau in Dalmatien im Tagebau, die Verwendung der chrysocolla auf dem Sand des Circus und die Legende von den im indischen Sand arbeitenden Goldameisen ergäben in der Zusammenschau ein interessantes Bild. Immanent scheint in der plinianischen Episode zu Nero und chrysocolla auf jeden Fall eher die Verbindung zum Gold zu sein. Gestützt wird dieses Ergebnis durch eine Bemerkung in der Historia Augusta in der Vita Elagabals. Dort heißt es, Elagabal habe seine Porticus mit Gold- und Silberstaub bestreut, wenn er zu Fuß zu seinem Pferd oder Wagen gegangen sei, wie wenn man sich zu seiner Zeit eines Goldsandes bediente.144 Plinius mag die Mehrdeutigkeit der Episode sicherlich intendiert haben, da die Erklärung, dass man nach den Goldarbeitern ähnlich „grüne“ Substanzen als chrysocolla bezeichnete, hier auch eine Anhängerschaft Neros zu den prasinati hervorruft. Anders als spätere Autoren wie etwa Cassius Dio spricht Plinius übrigens auch an keiner anderen Stelle in seinem Werk über die Verbindung zwischen einem Kaiser und einer factio.145 Unter den Historiographen ist selbst noch Sueton vorsichtig, Nero in derselben Weise als addictus et deditus gegenüber den Prasinati darzustellen wie er es für Caligula tut: Sueton schreibt lediglich, dass sich Nero schon in seiner frühesten Jugend für Pferde und Wagenrennen begeistert habe, von seinem Lehrer aber einmal getadelt worden sei, weil der junge Nero über den Unfall eines grünen Wagenlenkers geklagt habe.146 Die Stelle lässt offen, ob Nero tatsächlich leidenschaftlicher Fan der „Grünen“ oder eines speziellen Wagenlenkers war, der gerade für die „Grünen“ fuhr, oder ob sogar Art und Schwere des Unfalls besonders spektakulär waren. Jedenfalls habe Nero dem Lehrer gegenüber gelogen, er spreche über Hektor. In dieser Analogie wird die Diskrepanz deutlich, die mit dem Ansehen des Wagenlenkens einherging: Es ist einerseits seit archaischer Zeit mit der griechischen Elite 143 Zu Neros Triumphzug das Kapitel bei Champlin 2003, 210–234. HA Heliog. 31,8: ut fit hodie de aurosa arena. 145 Einzige Verweise auf die factiones: Plin. n.h. 7,186 (ein Anhänger des Wagenlenkers Felix habe sich in den Scheiterhaufen des roten auriga gestürzt); 10,71 (der Ritter und dominus quadrigarum Caecina Volaterranus habe Schwalben in der Farbe der siegreichen Partei als Boten nach Hause zurückgeschickt). 146 Suet. Nero 22,1. 144 27 verbunden und anerkannter Wettkampf bei panhellenischen Spielen, in Rom andererseits zur Unterhaltung des Volkes verkommen, ausgeübt durch professionelle Rennfahrer niederer sozialer Herkunft. Sueton schreibt weiter, die domini der Circusmannschaften hätten erfolgreich Druck auf Nero ausgeübt, die Rennen einen ganzen Tag dauern zu lassen, ohne eine factio besonders hervorzuheben.147 Nero habe schließlich selbst vor Publikum im Circus Maximus sein erstes Rennen bestritten: In welchem Aufzug er das tat und ob es eine Verbindung zu Plinius’ kurzer Erwähnung gibt, muss offen bleiben. Laut Cassius Dio sei Nero als Wagenlenker erschienen, als sein Lehrer Menekrates für ihn einen Triumph im Circus veranstaltet habe.148 Die Verbindung von Triumph und Circus begegnet auch an anderer Stelle bei Dio: die Inszenierung bei der Einsetzung des Tiridates in Rom, wobei Dio literarisch damit spielt, ob Nero über Tiridates oder nicht eher Tiridates über Nero triumphiert. Sollte die Episode bei Plinius diesem Kontext angehören, wofür gerade eine besonders prominente Art der chrysocolla wegen ihrer Herkunft aus Armenien gegenüber anderen, etymologisch auf Gold verweisenden Substanzen wie χρυσοσάπφειρος (lapis lazuli) oder auripigmentum149 sprechen könnte, könnte die Darstellung Neros als „grüner“ Wagenlenker eine Deutung Dios sein, falls er seine Informationen aus Plinius oder einer ähnlich mehrdeutigen Quelle bezog, die lediglich von chrysocolla und einem concolor pannus sprach. Wenn sowohl Plinius und Cassius Dio dasselbe Ereignis beschreiben, es also um denselben Auftritt Neros als Wagenlenker geht, dann wäre Tiridates’ bei Dio überlieferte Erregung nicht vorrangig auf Neros Rolle als Wagenlenker zu beziehen, sondern auf die mutmaßliche Begebenheit, der römische Princeps habe mit chrysocolla ein wertvolles Produkt seines Heimatlandes Armenien im Circus verschleudert.150 In der Lesart Neros als goldener Wagenlenker liegt ein Erklärungsansatz für den Bericht bei Sueton, Domitian habe den vier existierenden Faktionen zwei weitere hinzugefügt, die aurati purpureique panni trugen.151 Epigraphisch nachweisbar ist allerdings nur die Partei der Purpurnen.152 Alan Cameron hat die Darstellung Suetons als kurzlebigen 147 Ebd. 22,2. Cass. Dio 63,1,1. 149 Brecoulaki 2014, 32. 150 Laut HA Hadr. 17,12 habe Hadrian das Geschenk von golddurchwirkten Mänteln des Pharasmanes lächerlich gemacht, indem er 300 Verbrecher in diesen Gewändern in die Arena schickte. 151 Suet. Dom. 7,1. Vgl. Cass. Dio 67,5,4f. 152 ILS 5282. Vgl. Mart. 14,55. Wie an den abweichenden Beschreibungen Suetons und Cassius Dio von Caligulas Gewand an der Bucht von Baiae zu sehen, s. oben Abschnitt 3.3, muss nicht notwendigerweise zwischen einem goldenen und einem purpurnen Gewand getrennt werden, wenn ein golddurchwirktes Purpurgewand gemeint ist. Vielleicht stellt Sueton die Einführung eines gold-purpurnen pannus als zwei unterschiedliche, nicht als Gewand einer factio dar. 148 28 Sonderfall im Circuswesen betrachtet.153 Interessant ist an dieser Stelle die Assoziation zwischen dem Circus und dem Gold mit einer Persönlichkeit, welche die antike Überlieferung ebenfalls als problematischen Herrscher bewertet,154 wie schon im Falle von Caligula und Nero. In Plinius’ langem Abschnitt über das Gold ist das Edelmetall dezidiert ein Standessymbol der Ritter, in Form von Kränzen eine Auszeichnung, und das goldene Kaiserbild am Ring habe zumindest noch unter Claudius den freien Zutritt zum Princeps ermöglicht.155 Ebenso wie der Purpur ist Gold also mit einem Standesdenken verbunden, d.h. die kostbaren Substanzen waren traditionell Senatoren und Rittern vorbehalten, wurden in der Kaiserzeit – wie die Auseinandersetzung zu Nero zeigt – aber zunehmend durch den Princeps monopolisiert. Dass ausgerechnet Circusfaktionen unter diesen symbolträchtigen Farben fahren sollten, lässt Domitian in dem schlechten Licht erscheinen, in das er auch an anderen Stellen der Überlieferung gerückt wird. Ganz offen rechnet Plinius in seinem 7. Buch, das dem Menschen gewidmet ist, mit Nero ab. Er tut dies im Zusammenhang mit der Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt des Menschen: M. Agrippa, der wider die Natur mit den Füßen und nicht mit dem Kopf zuerst auf die Welt gekommen sei, habe als Stammvater die beiden Agrippinen, Caligula und Nero, faces generis humani, zu verantworten. Plinius beruft sich auf Neros Mutter Agrippina, auch der spätere Princeps sei mit den Füßen zuerst auf die Welt gekommen. In seiner Herrschaft sei er der Feind des menschlichen Geschlechtes gewesen (hostis generis humani).156 Über den Konnex zwischen Nero und dem Gold erscheint die eingangs zitierte Bewertung des Edelmetalls als pestis vitae vor diesem Hintergrund besonders passend. Auri sanies kann doppeldeutig sein: Es kann sich auf die chrysocolla beziehen und sogar Nero meinen. 153 Cameron 1976, 45. Witschel 2006, zu Domitian speziell 102f.; 114–117. 155 Plin. n.h. 33,38; 41. 156 Plin. n.h. 7,45f. Zum Nerobild des Plinius Champlin 2003, 40f. 154 29 Bibliographie André, Jacques, Étude sur les termes de couleur dans la langue latine, Paris 1949. 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