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Die Pferde und Hof-Gestüte des Erzmarschalks: Bleesern, Seyda und Allstedt 1500-1545 & die Rekonstruktion der Bleeserner Gestütsanlage von 1686/1765 (Thomas Lang, Torsten Zimmermann) Der Erzmarschalk und seine Pferde um 1500 (TL) „…ich hab wahrlich kain pferd, ich welld eß ßunst ßeyner libe von herczen gerne geben“, gestand Kurfürst Friedrich III. von Sachsen seinem Bruder Herzog Johann in einem Brief vom 31. Mai 1521. Johann Friedrich, der 17jährige Neffe des Kurfürsten, wollte hochgerüstet zu einem Turnier reiten und hatte seinen Onkel um ein geeignetes Turnierpferd gebeten. Kurfürst Friedrich musste diese Verlegenheit um ein geeignetes Pferd grämen, trug er doch den Titel des Erzmarschalks des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Der zeremonielle Ehrentitel leitet sich von „Mar“ für Mähre/Pferd und „Schalk“ für Knecht ab. Abbildung aus der Handschrift des Freydal um 1515: Kurfürst Friedrich III. von Sachsen, genannt der Weise, im Turnier gegen Freydal, das Alterego Kaiser Maximilians I. (Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr. KK_5073) Schedelsche Weltchronik 1493: Reichsstände mit Wappen und ihren Symbolen hierarchisch gegliedert; rechts oben die weltlichen Kurfürsten mit den Symbolen ihrer Erzämter: der Herzog von Sachsen („dux saxoniae“) trägt das Schwert als Zeichen des Erzmarschalkamtes (Hartmann Schedel, Liber chronicarum-, Nürnberg 1493, Bl. 183v-184r; BayerischeStaatsbibliothek München, Sig. Rar. 287.) An den Höfen hatte sich der Marschalk vom Pferdeknecht zum obersten Feldherrn einer im Mittelalter noch auf schwerer Reiterei beruhenden Kriegsführung entwickelt. Das Zeichen des Marschalks war daher das Schwert oder auch die gekreuzten Schwerter. Das Wappen des Kurfürstentums Sachsen, mit dem das Erzmarschalksamt verbunden war, zeigt diese Schwerter. Um 1500 wehten Fahnen mit diesem Wappen nicht nur über den Städten des Kurkreises um Wittenberg sondern auch über dem ernestinisch-wettinischen Herrschaftsbereich von Coburg bis nach Storkow südlich von Berlin. Spielkarten aus dem Ambraser Hofämterspiel um 1455: der Marschalk mit dem Wappen des Heiligen Römischen Reiches auf einem Schimmel (o. li.); der Marstaller bei der Pflege eines ausschimmelnden Pferdes (o. re.); Hofmeister auf einem Grauschimmel (u. li.); Falkner mit königlich-böhmischen Wappen auf einem Dunkelfuchs mit einem Brandzeichen (u. re.) (Nachweis: Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr.: KK_5077 bis KK_5124). Karte der wettinischen Lande um 1500 mit Kennzeichnung einiger Hauptorte: kurfürstlich-ernestinische Linie in Rot; herzoglich-albertinische Linie in gelb; (Kartengrundlage: von Hoyer/Kwonda 1989; Umzeichnung Thomas Lang) Der Großteil des kurfürstlichen Hofes verlegte zwei bis drei Mal im Jahr das Haupthoflager zwischen den Zentralorten. Der Kurfürst selbst mit seinem Gefolge zog unabhängig davon durch seine Ländereien oft in die Jagdschlösser oder ‚in das Reich‘. Für diese Reisen wie auch für die alltägliche Verwaltung waren Pferde als schnelle Transport- und Zugtiere unverzichtbar. Die fronpflichtigen Städte, Dörfer und Klöster sowie die Verwalter von Ämtern und Schlössern stellten für repräsentative Reisen, für Versorgung und die Verlegung des Haupthoflagers Zugtiere zur Verfügung. Außerdem hatte der Hof große Stallungen, in denen Pferde auf Abruf bereit standen. Am Hof war genau geregelt, welcher Beamte oder Adelige mit wie vielen Tieren am Hof Versorgung fand. Pferde am kurfürstlichen Hof (TL) Am Haupthoflager waren meist zwischen 150 und 300 Pferde vorzufinden. Der Kurfürst selbst, aber auch sein Bruder und dessen Söhne besaßen eigene Stallungen mit zusammengenommen etwa 30 bis 45 Hengsten. Friedrich der Weise ließ zudem von Christoph Rennmeister in Torgau einen gesonderten ‚Rennstall‘ mit gut ausgebildeten Turnierpferden betreiben. Die am Hof erzogenen Edelknaben ritten auf Pferdchen. Die oft ins Ausland reisenden gelehrten Räte, Richter, Gesandten und Kanzler erhielten Zehr- und Futtergeld sowie Dienstpferde oder Entschädigung für die eigenen Pferde gestellt. Neben den laufenden waren auch drei bis vier berittene Boten am Hof angestellt, die vornehmlich eilige Nachrichten in das Ausland übermittelten. Jagdszene mit Schimmel aus der Hirschjagd von Lucas Cranach d. Ä., 1540 (Chicago) Jahr Art/ Beschreibung Anzahl Preis pro Pferd Jahr Art/ Beschreibung Anzahl Preis pro Pferd 1545 Hengst 2 142 Gulden 1492 „blasser“ 1 80 Gulden 1545 Brauner Hengst 2 114 Gulden 1492 Grauer Hengst 1 70 Gulden 1545 Gaul 1 114 Gulden 1506 Pferd für den Kurfürsten 1 36 Gulden 1545 „swartz schimmel“ 1 97 Gulden 1492 „fal pferdt“/ „schimlot pferd“ 3 32 Gulden 1545 Rappe (schwarzes Pferd) 1 41 Gulden 1506 Schwarzes Pferd 1 29 Gulden 1545 Rotschimmel 1 36 Gulden 1506 Grauer Hengst 1 22 Gulden 1545 Füchse 3 34-68 Gulden 1492 „ein clein swartz laufend pferdt“ 1 21 Gulden 1545 Schimmel 1 32 Gulden 1506 „feyn raet schimmel“ 1 20 Gulden 1545 Brauner Klepper 1 27 Gulden 1506 „graw wetlauffer“ 1 13 Gulden 1545 „Clopper“/ Klepper 9 12 – 34 Gulden 1492 „ein rot loufend pferdt“ 1 12 Gulden 1545 Pferde (ohne Details) 13 10 – 45 Gulden 1501 Apfelgraues Pferd 1 12 Gulden 1545 Ersatz von verdorbenen Pferde 28 Ersatzzahlung 20 – 68 Gulden 1501 „rot cleyn pferdlin“ 1 10 Gulden 1545 Schäden an Pferden 2 Ersatzzahlung 5 – 28 Gulden 1506 Kleines Pferd 1 9 Gulden Auch die berittenen Trompeter setzte der Kurfürst als Boten, leichte Plänkler und Signalgeber ein. Hinzu kamen Jäger und Falkner, die mit kleinen, wendigen Jagdpferden Wild zu suchen und zu stellen hatten. Bau-, Zeug- und Geschützmeister, die mit ausdauernden Kleppern zwischen den Baustellen bzw. Festungen im Land hin und her reisten und dabei in einem Jahr durchaus ein bis zwei Pferde verschlissen. Auch Köche und Kellner waren beritten, zogen dem Hof oft voraus. Selbst die Hofnarren ritten nicht nur auf Eseln sondern auch auf kleinen Pferdchen. Holzschnitt Turnier mit Lanzen vmtl. Marktplatz Wittenberg; Lucas Cranach d. Ä. 1506 (Sächs. Kunstsammlungen Dresden) Etwa 50 starke Kaltblüter zogen Rüst- und Harnischwagen, die kleinere Geschütze und Kriegsausrüstung enthielten, sowie die Versorgungs-, Sänger und Küchenwagen. Jeweils fünf bis sechs prunkvoll geschmückte Pferde spannten Wagenknechte vor die zwei verdeckten Kammerwagen. Der größte Teil der Hofpferde gehörte jedoch Adeligen mit ihrem Gefolge. Sie verfügten über gut ausgebildete Schießpferde, die unerschrocken blieben, wenn ihr Reiter eine Handbüchse abfeuerte, wie auch über gut lenkbare, starke Schlachtrösser, die neben der eigenen Rüstung einen gerüsteten Reiter tragen konnten. Um 1505 gehörten 80 – 110 Pferde Grafen, Herren und Adeligen und niederadeligen Einrössern, die am Hof dienten und dafür Beschiedgeld erhielten. Häufig waren diese Adeligen zugleich bedeutende Räte und Funktionsträger. Fürstlicher Kammerwagen mit Geleit in der Spalatinchronik (Spalatin Chronik Bd. 1, LB Coburg MsCas 09, 98v). Zu den Pferden am Zentralhof kamen die ‚Klepper und Gäule‘ der Dienstleute, Förster, Jäger, Landknechte usw. in den Schlössern und Ämtern, sowie die Zug- und Ackerpferde auf den kurfürstlichen Wirtschaftsbetrieben, den so genannten Vorwerken. Der Bedarf an Pferden war entsprechend groß. Neben der Zucht von Pferden war man daher auf den Zukauf angewiesen. 1492 kaufte der Hof 40 Pferde für im Schnitt 34 Gulden ein, hinzu kamen ersetzte Verluste von 14 Pferden, 1545 waren es 68 Pferde für 42 Gulden. Die Gestüte des Erzmarschalks: Bleesern, Seyda und Allstedt (TL) Der Bedarf an Pferden am Hof, wie auch die repräsentative Ausfüllung des Erzmarschalkamtes verlangten von den sächsischen Kurfürsten den Aufbau einer eigenen Pferdezucht. Schon in den 1440er Jahren wurden um die 50 Stuten, Fohlen und scheln (= Zuchthengste) zu Bleesern und Pratau versorgt. In den 1450er Jahren waren in diesen zwei Vorwerken der Kurhauptstadt Wittenberg Stutenhirten tätig. 1453 wird ein Fohlenhirte zu Bleesern genannt. Einige Fohlen standen zudem in Klitzschena. 1460 ließ der Kurfürst die Gabelsheide bei Bleesern ankaufen, zum ersten Mal die Fohlen in Bleesern von einem Schmied aus Wittenberg mit Brandzeichen versehen. 1465 errichteten Zimmerleute einen Fohlenstall im Bleeserner Vorwerk. Portrait des gealterten Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen (1463–1525): Kupferstich Albrecht Dürer 1524 (Sächsische Kunstsammlungen Dresden) Kurfürst Friedrich III. von Sachsen (1463–1525), genannt der Weise, erweiterte das übernommene, etwa 100 Pferde umfassende Gestüt. 1488 besuchte er Bleesern, bedachte den dortigen Fohlenknecht mit einem Hofgewand und Sonderzahlungen. 1489 ordnete der Kurfürst an, einen neuen Fohlenstall zu bauen. In den 1490er Jahren ließ er Zuchthengste und Stuten aus Bleesern und Wörlitz nach Thüringen und zur Lichtenburg verschicken und einige Fohlen in Wittenberg aufstallen. 1506 schloss er das Gestüt mit den kleineren Gestüten in Winkel bei Allstedt und Seyda (nö. Wittenbergs) zusammen und stellte sie unter die Verwaltung des neuen Gestütsmeisters Hans vom Berge. Karte der wettinischen Lande um 1500 mit Kennzeichnung der kurfürstlichen Hauptgestüte: Bleesern, Allstedt, Seyda und Herzog Johanns Gestüt um die Leuchtenburg (Kartengrundlage: von Hoyer/Kwonda 1989; Umzeichnung Thomas Lang). Kollage von Skizzen des Kurkreises nach 1711: mit Kennzeichnung der Gestüte und Weiden in Bleesern, Wörlitz, Schönitz, Pratau und Seyda; Zürner, Adam Friedrich: Exemplar der Kurkreiskarte, Handzeichnung in sechs Teilen, nach 1711; je Bl. 38 x 31 cm (Deutsche Fotothek: dd_hstad_0000076) Die jeweils etwa 30 Stuten („wilde“), 10 Jungstuten („junge wilde“, in Seyda „muttelein“) und 10 Hengstfohlen („folen“) zu Allstedt und Seyda waren zur Zulieferung der Wiesen um Bleesern mit Fohlen und Stuten gedacht. Jedes Jahr ließ der Gestütsverwalter aus den beiden Gestüten etwa 20 bis 30 Jungstuten und ebenso viele Fohlen auf die Wiesen von Schönitz und in die Nachthennigen bei Bleesern schicken. Darstellung des Vorwerks Bleesern auf einer Wittenberger Amtskarte (Stadtarchiv Wittenberg) Einige Wallache („junge hengst“, d.h. damals nur: nicht für die Zucht vorgesehene Tiere) und zehn Zuchthengste („schelen“) hielt man bisweilen im Wittenberger Schloss, häufig aber auch in Seyda unter der Aufsicht eines Beschäler- und eines Unterknechts. Wie die Stuten setzte man auch sie für die Arbeiten am Weinberg in Jessen oder am Ausbau der Befestigung Wittenbergs ein. Die Farben der Pferde (TL) Die Namen der Zuchthengste, die in Wittenberg und Seyda gehalten wurden, verraten etwas über ihre Fellfarben und zum Teil auch über ihren Charakter: „der blaß“, „der weiß“, „der fuchs“, „der rothschimel“, „der weiß beisser“, „der Elbinger“, „der brawne blaß“, „der schwarczschimel, welchen der forster geritten“. Die Pferderassen können nur erahnt werden. Sicher ist, dass König Maximilian I. dem Herzog Johann von Sachsen im Burgunderfeldzug 1498 ein türkisches Pferd („turcken pferdt“) schenkte. Die Pferde tragen in den Quellen als Rassebezeichnungen die Namen ihrer Zuchtorte, heißen somit: „Allstedter“, „Bleeser“ und „Seider“. Pferde Alter und Geschlecht Allstedt (1509/ 1510) Seyda (1509/ 1510) Bleesern mit Pratau und Nachthennigen (1509/ 1510) Wörlitz und Schönitz (1509/ 1510) Wittenberg Schlossstallung (1509/ 1510) Stuten („wilden“) über 4 Jahre 30/ 26 30/ 34 32/ 41 10/ 9 0/0 Stuten („junge wilden/ muttchen“) unter 4 Jahre 10/ 10 10/ 12 16/ 0 40/ 31 0/0 Zuchthengste („schelen“) 0/ 3 0/ 8 0/ 0 0/ 0 13/ 10 Wallache („hengst“) 1/ 0 0/ 0 0/ 0 0/ 0 10/ 3 Hengstfohlen („fohlen“) 2/ 18 0/15 90/ 75 0/ 0 0/ 0 Pferde im Gestüt 43/ 57 40/ 69 138/ 116 50/ 40 23/ 13 Pferde insgesamt 294/ 295 Verteilung der Zuchthengste, Fohlen und Stuten auf die verschiedenen Zuchtorte. Auf den Wiesen um Bleesern trennte man die Pferde nach Alter und Geschlecht, um eine ungewollte Trächtigkeit zu vermeiden. Auf den Weiden um das Vorwerk in Wörlitz standen 10 und um Bleesern 30 bis 40 Stuten, die älter als vier Jahre waren und die auch „im pflug gingen“. Auf den Wiesen von Schönitz weideten 30 bis 40 ein- bis vierjährige Stutenfohlen aus allen drei Gestüten unter Aufsicht eines Stutenhirten. Spalatin-Chronik 1515–1517: Fürstlicher Reisetross mit Braunen, Füchsen, Schimmeln und Rappen; Werkstatt Lucas Cranach d. Ä. (Landesbibliothek Coburg, Ms. Cas. 9, fol. 93v). In den Nachthennigen bei Bleesern (südlich des heutigen Gestüts) standen etwa 50 bis 70 zwei- bis vierjährige Hengstfohlen unter Aufsicht eines Fohlenknechts und eines Fohlenhirten. Nach 1525 nutzte man auch den mit einem Zaun versehenen Burgstall, der sich zuvor im Besitz der Familie Prambalg befand, als Wiese zur Pferdezucht. Auch die fünf- bis sechsjährigen jungen Hengste bezeichnete man um 1500 als Fohlen. 20 bis 30 von ihnen waren unter der Aufsicht von zwei Fohlenknechten und zwei Gehilfen in Pratau aufgestallt, offensichtlich um die Ausbildung der Pferde fortzusetzen. Detailliert werden ihre Fellfarben und ihre Abzeichen notiert und an den Hof gemeldet. Anzahl der Fohlen Art/Beschreibung der Fohlen in Bleesern Alter Herkunft 1 "appel grawer" 6jährig Allstedter 1 "appffelgrawer" 5jährig Bleeser 1 "dunckel grawer mit glaß augenn" 5jährig Bleeser 2 "fuchs mit blassenn" 5jährig Allstedter 1 "fuchs" 5jährig Bleeser 1 "fuchs" 5jährig Seyder 1 "fuchs" 6jährig Bleeser 1 "mauß fahler" 5jährig Seyder 1 "fhalenn mit einer blassen" 5jährig Bleeser 1 "rappenn" 5jährig Bleeser 3 "rothschimel" 5jährig Bleeser 2 "rothschimel" 5jährig Allstedter 1 "rothschimel" 6jährig Allstedter 1 "scheckigtenn der weiß und roth ist" 5jährig Bleeser 1 "scheckigter ist weiß und graw" 5jährig Seyder 5 "schwarczschimel" 5jährig Bleeser 2 "wirczbrawne" 5jährig Bleeser 1 "wirczbrawne" 5jährig Allstedter Färbung, Herkunft und Alter der zu Pratau stehenden älteren Fohlen 1509. Die Pferde aus Bleesern, Seyda und Allstedt bildeten das Rückgrat des Pferdebestandes am Hof. Jedoch konnten die Gestüte niemals den fürstlichen Bedarf an Pferden vollends abdecken. Denn zu repräsentativen Anlässen und im Kriegsfall rückte der Hof mit beachtlicher Stärke und zahlreichen gerüsteten und geschmückten Pferden aus. 1476, als die Schwester Friedrich des Weisen, Christina, den späteren dänischen König heiraten sollte, reiste sie mit zwei vergoldeten Wagen und einem Gefolge von 800 Reitern in den Norden. Auch 1502 zogen die beiden wettinischen Linien, Ernestiner und Albertiner, gemeinsam zur brandenburgischen Fürstenhochzeit in Stendal. Mehr als 550 Pferde, Sänger, Musiker, hochgerüstete Adelige und prunkvolle Frauenwagen kündeten dort von der Macht der Wettiner. Zur Erbhuldigung 1525 reiste der neue Kurfürst Johann in Wittenberg mit über 700 Pferden und 42 Wagen an. In seinem Gefolge waren zahlreiche Adelige und Krieger, die aus den Bauernkriegen heimkehrten, darunter auch 200 Reiter des Lüneburgisch-Braunschweigischen Schwagers. Im Schmalkaldischen Krieg zog die Kurfürstin Sibylle 1547 mit ihrem Gefolge zum letzten Mal von Weimar kommend in Wittenberg ein. 110 adelige Reiter und 149 Wagenpferde begleiteten sie. Gestütsleiter und Stallmeister: Hans vom Berge (TL) Besiegelte Quittung des Hans vom Berge für den Amtmann von Seyda 1529 (ThHStAW, EGA, Reg. Rr S1-316 Nr. 110, Bl. 1) Drei sächsischen Kurfürsten diente Hans vom Berge als Gestütsleiter. Über 50 Jahre hinweg lässt sich sein Lebensweg verfolgen. Beim Aufbau der Gestüte in Bleesern, Allstedt und Seyda kommt ihm eine enorme Bedeutung zu. Seit Ende der 1490er Jahren war vom Berge am kurfürstlich-sächsischen Hof tätig. Er begleitete den Kurfürsten als Stallknecht von Hoflager zu Hoflager, aber auch auf dessen Reisen nach Burgund, in die Niederlande und in das Reich. Um 1501 stieg vom Berge neben dem Schmied Hans Hess zum bedeutendsten Mann in den persönlichen Stallungen des Kurfürsten auf. Im Hoflager und auf Reisen hatte er die Aufsicht über fünf Stall- und Wagenknechte und vier Stalljungen, die 20 bis 30 kurfürstliche Hengste versorgten. Außerdem war vom Berge für die Beschaffung von Pferden und Zaum- und Sattelzeug zuständig. Vor 1505 heiratete er. Seine Frau befand sich auch am Hof, sie nähte u. a. Seidenhemden für den Kurfürsten. Vom Berge war so hoch angesehen, dass ihm der Kurfürst einen 1505 in Köln verlorenen silbernen Hutschmuck im Wert von 8 Gulden ohne Zögern ersetzte. Ab 1505 reiste vom Berge vom Hoflager häufiger nach Allstedt und Bleesern, um die dortige Fohlenzucht zu beaufsichtigen. 1507 wurde er nach Wittenberg versetzt. In der Elbestadt kaufte vom Berge ein Haus auf dem Grundstück der heutigen Coswiger Straße 24. Dort bezog der neue Gestütsmeister 20 Gulden Lohn, genügend Korn, um 3.000 kleine Brote zu backen, zusätzlich eine Versorgung für sich und seine Knechte aus der Schlossküche und ein Sommerhofgewand. Für den Rat kümmerte sich der neue brauberechtigte Mitbürger um die städtischen Hunde. Natürlich konnte der Gestütsmeister damit beeindrucken, dass seine Privatpferde regelmäßig unter den Gewinnern der Pferdewettläufe waren, die die Wittenberger anlässlich der Heiltumsweisung zwischen dem Appollensberg und Wittenberg veranstalteten. Rechnungsbeleg für die Anschaffung eines Brenneisens mit dem Buchstaben B für die Bleeserner Fohlen (ThHStAW, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. Bb 2749 Bl. 93v) Seinen Dienst verrichtete vom Berge im Mar-, Fohlen- und Rennstall auf dem Schloss, wo er mit bis zu drei Knechten die Zuchthengste und einige aufgestallte Fohlen versorgte. Zugleich sollte er die „studt pferd unnd was allenthalben darauff gewant inn den dreyen ampt Wittb[er]g, Alstedt unnd Seyda“ beaufsichtigen, verwaltete also die dortigen Gestüte. Er stellte Knechte ein, organisierte Futter und Stroh, ließ Gebäude errichten, Weiden einzäunen, kaufte Medizin, Zaumzeug, Turniersättel oder gar geschnitzte Altäre für kranke Fohlen. Über alle seine Ausgaben führte er genau Buch. Seine detaillierten Rechnungen sind eine herausragende Quelle für die Geschichte der frühen Pferdezucht in Deutschland! So nennt er auch die Fellfarben und Zeichnungen der Pferde, die an den Hof gehen. Abgegebene Pferde 1510: Art/ Beschreibung Herkunft Zielort Empfänger Abgegebene Pferde 1511: Art/ Beschreibung Herkunft Zielort Empfänger „ringaülen“ Mgf. Kasimir von Brandenburg Lochau in den Wagen, den die Rennpferde ziehen Apfelgrauer Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Apfelgrauer Seyder Altenburg Heinz Förster Apfelgrauer; 6jährig Allstedter Hof Kft. Friedrich von Sachsen Apfelgrauer; junges Fohlen Seyder Hof Caspar Speth, Rat Apfelgrauer; „hat vhier weiß fueß unnd ein blassenn“ Bleeser Torgau Holzförster; geht wieder zurück am Donnerstag nach Martini Brauner Allstedter Torgau Christoffel (im Rennstall) Apfelgrauer; „apfel graw, hat czwei glass augenn“ Bleeser Lindische Heide Förster Brauner Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Apfelgrauer; 4jährig Bleeser Hof (Paul Hogenest), Jägermeister Brauner Seyder Torgau Kammerwagen des Kurfürsten Brauner Bleeser k.A. Wolf von „Schonnbergk“ (Schönburg/ Schönberg?) Brauner; mit einer Blässe; junges Fohlen Allstedter Hof Böhme, Jäger Brauner; „Wirczbrawn und hat ein glas auge“ Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) brauner Wolffiger Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Brauner; „Wirzbrawn“ Allstedter Torgau Christoffel (im Rennstall) Brauner; junges Fohlen Bleeser Grimma Hauptmann zu Grimma Fohlen Barby Hof Degenhart Pfeffinger Fohlen Seyder Lochau Christoffel (im Rennstall) Fohlen; 5jährig Bleeser Seyda ins Geschirr Fohlen, kleines Allstedter Torgau Reitpferd des Hirschfelds Fuchs; „hat ein blaß unnd drey weiß fueß“ Allstedter Freiberg Hzg. Heinrich von Sachsen Füchslein Seyder Altenburg Heinz Förster Fuchs; „hat ein blassen, hat czwen weiß fueß“ Seyder Lochau Thomas Heinichen, Förster Füchslein; „mit einer plassen“ Bleeser Lochau Herzog Johann Fuchs; „hat vhir weiß fues unnd ein blassen“ Allstedter Altenburg Förster grauer Zelter Geschenk Torgau Stall des Kurfürsten Fuchs; „mit eyner blassenn“ Bleeser Seida Förster Grauschimmel/ Mausfahler Seyder Torgau Christoffel (im Rennstall) Grauschimmel?/ „ist graw und weiß“ Seyder Torgau Christoffel (im Rennstall) Grauschimmel/ Mausfahler Seyder [stand zu Bleesern] ? Grauschimmel?/ „Mausfhaler“ Bleeser Altenburg Förster kleiner Reuße Reuße Weimar Paul Forster zu Weimar Rappe Bleeser Schweinitz Holzförster Räppchen Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Rappe; „schwarcz mit eyner blassenn, hat drey weiß fuß“ Bleeser Torgau Amtsschosser Räppchen Bleeser Lochau Jägermeister „schwarcz schymel“ Bleeser k.A. Hans Wolfsteller Rappe Allstedter Torgau Christoffel (im Rennstall) "schwarcz schymmel"; 4jährig Bleeser Seyda Holzförster Rappe Allstedter Freiberg? Hzg. Heinrich von Sachsen „roth unnd weis“ Bleeser Altenburg Förster Rappe Allstedter Freiberg? Hzg. Heinrich von Sachsen Rotschimmel Bleeser Herzberg Geleitsmann Rappe Bleeser Torgau? Preußen, Ritter Rotschimmel Allstedter Seida für das Amtsgeschirr Rappe Seyder Torgau Christoffel (im Rennstall) Rotschimmel Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Rotschimmel Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Rotschimmel Bleeser Freiberg Hzg. Heinrich von Sachsen Rotschimmel; mit einer Blässe Bleeser Torgau Christoffel (im Rennstall) Rotschimmel; „mit eym glas auge“ Allstedter Torgau Christoffel (im Rennstall) Schwarzschimmel; 4jährig Bleeser Hof Jörg Weidemann Jäger Rotschimmel; 5jährig Allstedter Hof Kft. Friedrich von Sachsen Schwarzschimmel Bleeser Altenburg Heinz Förster Schwarzschimmel Seyder Schönitz? Ditterich von Scheynicz, Adliger Weißer Seyder Torgau Christoffel (im Rennstall) Hans vom Berge: unterwegs im Dienste der Kurfürsten (TL) Auch über seine Dienstreisen hatte vom Berge dem Kurfürsten Rechenschaft zu legen. Er überführte Zuchthengste, junge Stuten und Fohlen zwischen Gestüten, brachte ausgebildete Pferde an den Hof, besuchte die großen Märkte in Leipzig und Naumburg. Am 23. Juni brachte ein Knecht die Zuchthengste von Allstedt nach Wittenberg. Einige Wochen danach brach Hans vom Berge mit einem Knecht und vier Pferden in Richtung Freiberg auf. Reiseweg des Hans vom Berges mit Geschenkpferden zum Hof Herzog Heinrichs von Sachsen in Freiberg 15. – 20. Juli 1510 auf Grund von Reiserechnungen; Ausschnitt aus den Hansischen Handelswegen (Kartengrundlage: Bruns/Weczerka 1962; Überarbeitung Thomas Lang). Am Montag dem 15. Juli 1510 erreichten sie zur Mittagszeit Dommitzsch, übernachteten aber in Torgau (50 km). Am Dienstag aßen sie in Strehla zu Mittag und übernachteten in Lommatzsch (105 km). Mittwochs am 17. Juli trafen sie in Freiberg am Hof Herzog Heinrichs von Sachsen ein (140 km). Auf dem Rückweg übernachteten sie nun nur noch mit zwei Pferden donnerstags in Chemnitz (175 km). Am Freitag dem 19. Juli aßen sie im Schönburgischen Glauchau zu Mittag und trafen zur Nacht in Borna (245 km) ein. Den Wallfahrtsort Eicha bei Albrechtshain erreichten sie am Sonnabend gegen Mittag und trafen abends in der Amtsstadt Düben (310 km) ein. Am Sonntag dem 21. Juli 1510 nahmen Hans vom Berge und sein Knecht wieder im Wittenberger Schloss (345 km) ihr Mittagsmahl ein. Spielkarte aus dem Ambraser Hofämterspiel um 1455: der Renner mit dem Wappen des Heiligen Römischen Reiches auf einem Schimmel (Nachweis: Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv. Nr.: KK_5077 bis KK_5124). Weitere Reisen führten Hans vom Berge 1510 von Wittenberg aus:  zum Schosser in Torgau und zurück (um den 4. Juli 1510: 100 km)  zum Förster in Torgau und zurück (um den 25. Juli 1510: 100 km)  über Halle und Bitterfeld nach Winkel bei Allstedt und zurück (14. – 19. August 1510: 240 km)  nach Zerbst und zurück nach Wittenberg (um den 24. August: 90 km)  über Brehna und Halle nach Winkel bei Allstedt nach Brehna und von dort nach Allstedt und zurück (4. – 7. Oktober: 400 km)  über Bitterfeld und Halle nach Winkel bei Allstedt und zurück (25. – 30. November 1510: 240 km) Braunes Jagdpferd mit einer Blässe: der Jäger Böhme erhielt 1545 ein solches Pferd; Ausschnitt aus der Hirschjagd von Lucas Cranach, 1540 (Chicago) Jederzeit stand der zwischen 1513 und 1516 im Schlossgesinde geführte Hans vom Berge dem Kurfürsten mit weiteren Diensten zur Verfügung. 1512 war er einer der ersten, die bei einer Studentenunruhe einschritten, 1520 kundschaftete er in Brandenburg nach Ansammlungen von Kriegsknechten, besorgte 1507 neben Pferden auch Reiher aus Baruth, überbrachte Briefe und mündliche Nachrichten an den Hof, geleitete hochadelige Gäste wie den Herzog von Pommern oder den Hochmeister des Deutschen Ordens durch Kursachsen. 1518 versah der Kurfürst Hans vom Berge mit weiteren Aufgaben. Er sollte das Vorwerk in Bleesern an Stelle des Vogtes verwalten. Die Wiesen und Äcker (Spitze, Kapaunmühle, Pechheinig, Krebshain, Heidelache, Trögenitz, Scheibelichte, Bartholomeus Wiese, große Wiese, Schliebeners Hufe) wurden für die Pferdezucht genutzt oder an Pächter ausgegeben. Dabei sicherte sich vom Berge den Biberkolck im Katzenhain für seine eigene Fischzucht. Dienstsiegel des Hans vom Berges: HvB über einem Berg mit Pflanzentrieb (ThHStAW, EGA, Reg. Rr S1-316 Nr. 110 Bl. 1). Nach dem Tod Friedrichs des Weisen übernahm dessen Nachfolger Kurfürst Johann den Gestütsmeister bei gleicher Bestallung. Und auch dessen Sohn, Kurfürst Johann Friedrich, nahm vom Berge in seine Dienste auf. Die letzte mit Berges Siegel versehene Gehaltsquittung stammt aus dem Jahr 1545. Schlacht bei Mühlberg 1547: Holzschnitt von Virgil Solis 39,4 × 75,6 cm (erzogliches Museum Gotha) Seinem Nachfolger im Amt des Gestütsmeisters war eine solch lange Dienstzeit nicht vergönnt. Paul Gotzen war aus dem Amt des Stutenschreibers in Pratau im Mai 1545 zum Stallmeister befördert worden. Im Winter 1546 fiel Herzog Moritz von Sachsen in die Kurlande ein. Am 4. Dezember plünderten seine „schwarzen Reiter“ das Vorwerk Bleesern, nahmen Korn, Vieh und die Fohlen mit nach Gräfenhainichen in das herzogliche Lager. Gotzen schloss sich dem Heerlager des Kurfürsten Johann Friedrich an, wo er kurz nach Ostern 1547 erkrankte und starb. Gotzen hinterließ eine Frau und mehrere Kinder. Herzog Moritz erhielt nach der Wittenberger Kapitulation am 4. Juni 1547 auf der großen Wiese von Bleesern an der Elbe durch den abziehenden Kaiser Karl V. die Sächsische Kurwürde zugesichert. Spottlieder meinten schon zuvor, er sei „zu Brathen kuhefürst worden“. Eine Bleeserner Wiese wird noch im Inventar von 1696 als „Herzog Maurity oder große Wiese“ bezeichnet; dabei ist notiert: „auff dieser Wissen soll von der Weymarischen Linie die Chur an Herzog Mauritium übergeben worden seyn“. Kaiser Karl V. zu Pferd nach der Schlacht bei Mühlberg; Tizian, 1548; Öl auf Leinwand, 332 cm × 279 cm (Madrid, Museo del Prado). Rekonstruktion der Gestütanlage im Zustand um 1765 (TZ) Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Gestütsanlage war einst ein geschlossener Vierseitenhof von 135m x 120 m Kantenlänge und entsprach somit nahezu den Dimensionen des Graditzer Gestütshofes, der nach dem Bleeserner Vorbild 1723 fertiggestellt wurde. Sie war wohl durchgängig mit Gespannen durchfahrbar und ist somit ein frühes Beispiel für das moderne landwirtschaftliche Bauwesen, welches auf die Nutzung von „Großtechnik“ ausgerichtet ist. Rekonstruktion der Gestütsanlage im Zustand von nach 1765 (Torsten Zimmermann) und Luftbild um 1998 Grundriss der Gestütsanlage mit erneuertem Nordflügel (SHStAD, Finanzkollegium, ehem. Magdeburger Rep. A 25a I,I Nr. 587: Wohn- und Wirtschaftsgebäude beim Vorwerk Bleesern; 1764) und Google Luftbild Entwurf für das neue Zentralgebäude (Pächterhaus im Nordflügel der Gestütsanlage, um 1764 (SHStAD, Finanzkollegium, ehem. Magdeburger Rep. A 25a I,I Nr. 587: Wohn- und Wirtschaftsgebäude beim Vorwerk Bleesern; 1764) Bleeserner Gemarkungsplan von 1723 vom Landfeldmesser George Gottlieb von Cölln (SHStAD, Plansammlung, Schrank I, Fach 27, Plan 3). Ausschnitt aus der Landesaufnahme 1904 Bleesern: Meßtischblatt 2316 Wittenberg Prov. Sachsen, 1904 (SLUB-KS 2006 1 001832)