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Dolor Und Memoria. Trauerriten, Gemalte Trauer Und Soziale Ordnung Im Späten Mittelalter

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D%r und Memoria. Trauerriten, gemalte Trauer und soziale Ordnungen im späten Mittelalter I. Einordnungen: Trauer als historisch-soziologischer Gegenstand, S. 207. - IL Trauerpraxis und soziale Ordnungen: Über den Sinn von Kleidern, Fristen und Verhaltensweisen am burgundischen Hof, S.209. - IH. Trauerauffassung und Bildidee: Über konträre exempla bei Giovanni Bellini und Andrea Mantegna, S. 230. - IV. Im Überblick: Trauer, exempla und soziale Ordnungen, S.247. Gefühlsäußerungen sind "von der Gruppe auferlegt" (Emile Durkheim), und eben deshalb Gegenstand der Soziologie und Geschichtswissenschaft. So gehört es seit den Tagen Durkheims und Simmels zum Basisbestand soziologischer Theoreme. Gefühle gelten zudem neben Moral und Recht, äußeren Zwängen oder funktionalen Orientierungen als "unentbehrlicher Kitt jeder Gruppe" (Georg Simmel).! Mithin geraten die kulturspezifischen Deutungen und Ausdrucksweisen der Gefühle zu einem zentralen Gegenstand, wenn man Ordnungsformen historischer Gruppen oder Gesellschaften erklären will. Eine Standardsituation sozialer wie individueller Destabilisierung, der Um-Ordnung von Gruppen und Neuorientierung von Individuen war der Tod. Wenn durch einen Tod die Verteilung der sozialen Rollen in Bewegung geriet, bedeutete das zugleich eine gemeinschaftliche Anstrengung zur Arbeit am ,unentbehrlichen Kitt' der Gruppen, an den Gefühlen. So trifft es die I EMILEDURKHEIM, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt a. M. 1981, S.532; GEORGSIMMEL,Fragment über die Liebe, in: Logos 10.1 (1921) S.1-52, S.31; mein Dank für die Diskussion der hier vorgetragenen Deutungen gilt Stefanie Heraeus, Diane Owen Hughes, Alexander Nagel und Otto Gerhard Oexle. Situation genau, wenn Historiker in der Provence bis ins 17. Jahrhundert für das Totenmahl die Bezeichnung renouvellement de parente gefunden haben.2 Und natürlich bedurfte nicht nur die Verwandtschaft eines renouvellement, sondern auch alle anderen sozialen Ordnungen, in denen der Tote einen Platz frei gemacht hatte. Was hier und da in einem Zeugnis als "Erneuerung" bezeichnet werden mag, das fällt bei Sozialhistorikern unter die Stichworte ,Reproduktion' oder ,Strategien der Reproduktion'. Solche Erneuerung ist notwendigerweise zunächst Erinnerung. Die regelmäßige und kalkulierbare Erneuerung der Ordnungen bei jedem Todesfall erforderte eine geregelte Memorierung dieser Ordnungen. Zentraler Ort dieser Memorierung, darum soll es hier gehen, war das Trauerverhalten. Eine Geschichte der Trauervorstellungen und Trauerpraktiken wäre zugleich (oder: zunächst) eine Geschichte gesellschaftlicher Ordnungen. Als Testfälle für eine solche Sichtweise geht es in diesem Beitrag zunächst um Trauernde, näherhin um den sozialen Sinn ihrer Praktiken. Sodann geht es um Maler, um ihre Auffassung von Trauer und um die künstlerische Arbeit an den exemplarischen, historisch-mythischen Trauerfiguren. Die historischen Ausschnitte der beiden Teile werden so unterschiedlich sein wie die Zeugnisse und die Fragestellungen. Der erste Teil zeigt an Beispielen aus dem spätmittelalterlichen Burgund, wie im Trauerverhalten die offiziellen Ordnupgen jener sozialen Felder gegenwärtig wurden, die stabilisiert werden mußten: vom individuellen über das verwandtschaftliche oder innerfamiliale bis zum gesellschaftlichen Feld, von den Bedürfnissen der Toten über die der Witwen und Witwer, der beiden Verwandtschaften bis zu denen des ganzen Sozialgebildes. Anders gesagt: Im Trauerverhalten ein und derselben Person waren sehr unterschiedliche Belange untergebracht. Sehr unterschiedliche Bedürfnisse, Interessen, Machtverhältnisse und soziale Ordnungen wurden in einem einzigen, sehr dicht besetzten Verhalten rituell memoriert. Präzisen Einblick gewährt zunächst eine burgundische Schrift des 15. Jahrhunderts über die ,Ehren des Hofes', die der Ausstattung der Trauer einen Sinn gibt - den Trauerzeiten, den Trauerorten und den Kleidern. Eine burgundische Hofchronik aus derselben Zeit hält ausführlich einige Trauerfälle fest und gibt sozusagen offiziell dem unterschiedlichen Verhalten der Trauernden einen Sinn - den Tränen und Schreien, der Ohnmacht und der Beherrschung. Zuweilen läßt sich beobachten, daß nicht nur die ,Erneuerung' der Ordnungen, sondern au~h die Normierung der Trauer eine standardisierte Erinnerung war, eine Ennnerung an jene exempla einer historischen oder mythischen Vergangen- heit, deren Trauerverhalten anscheinend zum Schatz sozialen Wissens gehörte: die Trauer der Romanhelden etwa oder die der biblischen Könige. Auf die historischen und mythischen exempla hat man die aktuellen Auffassungen von richtiger Trauer projiziert. Im zweiten Teil geht es um besonders prominente und allgegenwärtige exempla richtiger Trauer. In den Kirchen war allenthalben die Trauer der Grablegungen und Beweinungen, der Kreuzabnahmen und Pieta-Darstellungen zu sehen. Diese gemalte Trauer ist ein gutes Beispiel, um die Frage nach Rückprojektion zeitgenössischer Trauerauffassungen in historisch-mythische Figuren zu diskutieren. Die Haltungen von Giovanni Bellini und Andrea Mantegna waren in diesem Punkt exemplarisch konträr. Daß die Vorstellung von ,richtiger' Trauer ein entscheidendes Kriterium der Bildgestaltung sein konnten, läßt sich besonders bei Giovanni Bellini zeigen. 11.Trauerpraxis und soziale Ordnungen: Über den Sinn von Kleidern, Fristen und Verhaltensweisen am burgundischen Hof Wie präzis sind die Aussagen der Trauer? Was sagen sie? Wie sind in einem einzigen Verhalten die Ordnungen ganz verschiedener Felder memorierend ,erneuert' worden - die Ordnungen der Familie, der Ständegesellschaft, der Geschlechter, der Generationen, die Ordnungen der Kleriker und die der Laien? Wie machte ein einzelner Trauernder all diese Ordnungen gegenwärtig? Es gibt neben vielen verstreuten, unwillkürlichen Hinweisen mittelalterlicher Autoren einige spätmittelalterliche Zeugnisse, die zusammenhängend beschreiben, daß Trauerverhalten einen sehr deutlich erkennbaren ordnenden, Sinn' hatte. 1. Ein Indikator des sozialen Wissens: Die Ratschläge der Christine de Pizan Um das Erkenntnisinteresse genau zu erläutern, sei zunächst ein Text der Christine de Pizan zitiert, der Trauerverhalten als hochverschlüsseltes Medium sozialen Ordnens anschaulich macht. Ihr ,Buch von den drei Tugenden', ein Verhaltenshandbuch für Frauen aus dem Jahr 1405, enthält ein Kapitel mit "Regeln für die weise Herrscherin, die Witwe geblieben ist". Der Text liefert Stichworte richtigen Trauerverhaltens, ohne sie auch nur im geringsten zu explizieren und ohne den sozialen Sinn auch nur anzudeuten. Christine gab hinterbliebenen Königinnen folgende Empfehlungen: "Wenn die weise Herrscherin Witwe bleibt, gibt es keinen Zweifel, daß sie ihren Teil klagen und weinen wird, so wie es richtiger Treue (/Oy) entspricht. Eine Zeit lang nach dem Gottesdienst und der Beisetzung soll sie sich abschließen, und zwar mit wenig Tageslicht, mit Trauerkleidung und Aufmachung, wie es üblich ist. Nicht vergessen soll sie die Seele des Gatten, für die sie selbst beten soll und sehr fromm mit großer Sorgfalt durch Messen beten lassen soll [... ]. Diese Erinnerung soll nicht nur eine kurze Zeit dauern, sondern ihr ganzes Leben lang. Dennoch wird die Klugheit ihr sagen, daß es trotz ihres sehr großen Verlusts und des großen Schmerzes und Leids über den Tod des Gatten und die gute, loyale Liebe, die sie für ihn hegt, gut ist, duldsam zu sein bei allen Geschehnissen, die Gottes Wille sind [... ]. Leicht kann sie sündigen und Gott verärgern, wenn sie sehr heftig und zu lange trauert. Es ist gut, wenn sie die Lebensweise (maniere de vie) ändert, denn sonst kann sie ihre Seele und Gesundheit gefährden, und das ist nicht gut für ihre adligen Kinder, die sie noch brauchen."3 Wie nicht anders zu erwarten, mahnte Christine in Stichworten zur liturgischen Memoria der Toten. Diese Form mittelalterlicher Memoria, umfassend genug erforscht in den letzten Jahrzehnten, soll hier nicht Thema sein.4 Hier geht es um Trauerverhalten als rituelle Erinnerung der sozialen Ordnungen. Christine wies auf diese Form des Memorierens mit jenen Äußerungen hin, die das Trauerverhalten einer Witwe reglementieren sollten. Sie machte nicht den Versuch, Trauerverhalten als Ausdruck des Schmerzes zu beschreiben. Sie behandelte nacheinander zunächst Trauergefühle und dann Trauerverhalten, stellte aber kaum einen Bezug her. Die Trauergefühle (deuil, estre adoulee, regraiz) erklärte sie - kaum erstaunlich - zu einer Sache der Liebe (bonne loiale amour), und den Grund der Trauer sah sie in der 3 Christine de Pizan, Le Livre des Trois Vertus 1,22, hg. v. CHARI1YCANNONWILLIARD u. ERlc HICKS(Bibliotheque du XV" siede 50) Paris 1989, S. 82 f: CI DEVISE DU GOUVERNEMENT DE LA SAGE PRINCEPCE DEMOUREE VEUVE. {. . .; se il avient que la sageprincepse demeure veuve, n'est pas doubte qu'elle plaindra et pleurera sa partie si que bonne fOy le donne; se tendra closement meismement un temps apres le service et obseques, a petite clarte de jour, a piteux et adoule habit et attour selon l'onneste usage. Si n 'obliera pas l'ame de son seigneur, ains en priera et fira priel' tres devotement par grant soing en messes [... ]. Et ne durera pas pou de temps ceste memoire ne ses biensjais, mais tant qu'elle vivra. Neantmoins, a ceste dame qui sera de grant savoil~ Prudence dira, et aussi lui amonnesteront souvent son beau pere et ceulx a qui il apertendra, que nonobstant sa tres grant perte et son grant dueil et regraiz de la mort de son seigneur et de la bonne loiale amour qu'elle lui portoit, il convient estre pacient de tout ce qu'il plaist a Nostre Seigneur estre/ait [... ]. Si pourroit bien pechier et courroucier Nostre Seigneur de tant estre adoulee, et par si long espace. Si convient que elle prengne autre maniere de vie, ou grever pourroit san ame et sa sante, si n'en seroit pas de mieulx a ses nobles en/ans, qui encores ont taut mestier d'elle. • Vgl. dazu im Kontext einer Reihe weiterer Gegenstände und Traditionen der mediävistischen Memorialforschung im Überblick den Sammelband: Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters, hg. v. DIETERGEUENICHu. Orro GERHARDOEXLE(Veröffentlichungen des MaxPlanck-Instituts für Geschichte 111) Göttingen 1994. Hinterbliebenen selbst und in ihrem Verlust (grant perte). Demgegenüber erklärte sie Trauerverhalten nicht zu einem Zeichen des Schmerzes oder der Liebe, sondern zu einem Zeichen der Treue (bonne foy), also zu einem Verhalten, das man, anders als den Schmerz, steuern konnte, das dem Gatten zustand und das sozial kontrollierbar und sanktionierbar war. Trauerverhalten war nicht Ausdruck von Gefühlen, sondern ausdrücklich: Ausdruck einer Rolle. Die Witwe sollte "ihren Teil" (sa partie) zum Ereignis beitragen. Christine verwies, was diese partie der Witwe angeht, auf den Brauch (l'honneste usage) und begnügte sich entsprechend mit wenigen Stichworten: Die herrscherliche Witwe sollte "klagen", Tränen vergießen, Trauerkleidung tragen, sich in einen dunklen Raum zurückziehen. Dies alles sollte sie aber nur "eine Zeit lang" machen, danach "die Lebensweise ändern" und "duldsam sein" statt "heftig zu trauern". Mit dem Gefühl, so machte Christine deutlich, hatte diese Abfolge nichts zu tun. Es ging allein darum, auf das Gefühl nacheinander mit verschiedenen "Lebensweisen" zu reagieren. Anders als in Christines Gedichten ging es in diesem Buch weniger um die Gefühle als um das Verhalten der Witwe.5 So ist es nicht überraschend, daß Christine sich deutlich für die soziale Seite der Trauer interessierte: für den "Teil" der Witwe, für "richtige Treue" und den "Brauch", für die Memorialleistungen und die Kinder. All das führte Christine in ihrem Handbuch nicht weiter aus. Wir müssen also annehmen, daß die Leserin wissen sollte, wovon Christine redete, daß die Leserin ihre partie im großen und ganzen kannte und die Stichworte verstand. Dem heutigen Leser indes bleibt der konkrete Inhalt der Anweisungen zunächst verborgen, ganz zu schweigen von ihrem sozialen Sinn. Einen Weg zum Verständnis der Anweisungen und der Trauerpraktiken öffnen besonders zwei burgundische Autoren des 15. Jahrhunderts, die ausführlich erklärt haben, was bei Christine Andeutung bleibt. Diese Autoren zeigen exemplarisch, wie die parties der Beteiligten in ihren Ausstattungen (2.2) und in ihrem Verhalten (2.3) lesbar waren. Relativ mühelos lassen sich Christines Hinweise auf Trauerzeit (un temps), Trauerkleidung (piteux et adouLe habit) und Trauerraum (a petite clarte de jour) deuten. Diese drei Stichworte Christines für die partie der Herrscherin 5 Die Trauergedichte sind zusammengestellt in: Christine de Pisan's Ballades, Rondeaux, and Virelais. An Anthology, hg. v. KENNETHVARTY,Leicester 1965, S. 4-10 u. 43-47; sie stellen in Christines dichterischem Werk nur eine vergleichsweise kleine Gruppe dar. deuten ein Trauerprotokoll an, das in höfischer Manier differenziert war. Eine detaillierte Vorstellung von den Formen des Trauerverhaltens und vor allem von den Bedeutungen der Einzelheiten hat sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts die Hofdame Alienor de Poitiers gemacht. Sie lebte am burgundischen Hof und hat dort Les honneurs de la cour beschrieben, einen Augen- und Ohrenzeugen bericht über die honneurs der nobles gens im Frankreich des 15. Jahrhunderts. 6 Alienors Interesse war sehr begrenzt. Sie interessierte sich nicht für das Verhalten der Betroffenen, etwa für den Umgang mit Schmerz, auch nicht für Formen des Kondolenzverhaltens oder ähnliches. Ihr Blick galt der Ausstattung, die hohe Frauen und manchmal Männer zum korrekten Trauern benötigten. Sie erklärte ausführlich, wie die Accessoires jenen sozialen Ordnungen zuzuordnen waren, die durch den Tod gestört waren. Glaubt man dem Bericht Alienors, so gab es drei Medien, die man je nach Todesfall variierte. Zunächst hat man besonders die Kleidung mit präziser Bedeutung versehen. Alienor verwandte einige Mühe darauf, den Sinn von Schleifen oder Umhängen, Rocklängen oder Handschuhen zu erläutern. Es ging dabei nicht einfach darum, ,Trauer' zu tragen. Man mußte vielmehr zur rechten Zeit die rechte Trauer tragen. Sodann waren verschiedene Zeiten ein Medium, das Alienor als Träger von sozialen Aussagen, von honneurs, behandelte. Schließlich erklärte Alienor den Ort, an dem eine trauernde Frau sich aufhielt, zum Bedeutungsträger. In bestimmten Fällen war ein Trauerzimmer aufzusuchen, in dem wiederum zwei weitere Elemente Bedeutung trugen, nämlich das Bett und der Wandschmuck. Die Trauernde mußte im Bett einmal länger, ein anderes Mal kürzer verweilen. Und mit schwarzen Tüchern kleidete die Noblesse manchmal den ganzen Raum aus, zuweilen sogar den Vorraum, und überdeckte in anderen Fällen nur den Teppich. Soweit ist Alienors Bericht nicht überraschend. Kleiderordnungen hat es bekanntlich zuhauf gegeben, und nicht selten haben sie auch Bestimmungen zur Trauerkleidung enthalten.? Auch Trauerzeiten waren alles andere als 6 Alienor de Poitiers, Les honneurs de la cour, in: Memoires v. ]EAN-BAPTISTE DE LA CURNE DE SAINTE-PALAYE,Paris S. 175; der Text Burgundy, fran~aise ist jeweils London a la cour kurz erwähnt in den Übersichten 1975, und in dem alten Überblick des ducs de Bourgogne, Paris sur l'ancienne 1759, S.171-282; chevalerie zur Datierung von GEORGES DouTREPoNT, ebd. La litterature 1970]. Nach NEITHARD BULST hat es in Deutschland vom 13. bis zum 15. Jahrhundert solcher Ordnungen gegeben, deren Anweisungen zu 10-15 Prozent Trauer betrafen; 7 "Die Frau eines Barons darf nur neun Tage im Bett sein für Vater und Mutter, und den Rest der sechs Wochen soll sie vor dem Bett auf einem großen schwarzen Tuch sitzen"(10).8 Mit einer je eigenen Kombination verschiedener Trauerzeiten, Trauerorte und Trauerkleider nahm eine Person im Moment sozialer und persönlicher Instabilität ihre Position in mehreren, ganz unterschiedlichen sozialen Ordnungen rituell ein. Alienors Text läßt zumindest drei Ordnungs funktionen der Trauergestaltung erkennen. Die familiale Ordnung: Das erste Feld visualisierter Ordnung waren die offiziellen Beziehungen der Verwandtschaft. Die Ausstattung des trauernden Verwandten machte seine offizielle Beziehung zum Verstorbenen sichtbar und damit zugleich die innerfamiliale Position des Verstorbenen. Der Kleideraufwand war in Alienors Vorstellung am größten bei Trauer um den Gatten (14), nahm dann sukzessive ab bei Trauer um verstorbene Eltern und den ältesten Bruder, andere Geschwister, Onkel, Tante, Cousine, Cousin bis zur Trauer über Verwandte zweiten Grades (12,13). Auch mit der Dauer der Trauer differenzierte man die Beziehungen innerhalb der Verwandtschaft. "Mir scheint", schrieb Alienor, "daß man für den Gatten zwei Jahre [Trauer] tragen muß, wenn man nicht wieder heiratet. Für Vater und Mutter ein Jahr, für den älteren Bruder, sagt man, ein Jahr. Aber wenige nur tragen diese lange Trauer für die anderen Brüder, Schwestern und anderen Verwandten. Ein halbes Jahr, drei Monate, je danach, was der Fall verlangt"(14,15). Mit dem Trauerzimmer schließlich differenzierte man zufolge Alienor im engsten Familienkreis das Verhältnis der Frauen zum Toten. Ob eine Frau den Gatten, den Vater, den ältesten Bruder oder einen jüngeren Bruder 2, hg. von RrCHARD VAUGHAN, Valois 1901 [ND Genf eine Erfindung der höfischen Gesellschaft, sie lassen sich besonders für Witwen bereits im frühen Mittelalter oder in der Antike als üblich finden. Alienor erklärte aber entscheidend mehr. Sie gab den Kombinationen dieser Medien jeweils Bedeutung. Alienor beschrieb den Raum und die Raumgestaltung, die Zeiten und die Kleider in ihrer je spezifschen Verbindung als ein bis zur Verwirrung unerschöpfliches Medium sozialer Unterscheidung und ritueller Wiederholung der fundamentalen sozialen Ordnungen. Feste und Feiern in Deutschland ]ÖRG ]ARNUT 8 über 500 vgl. DENS., Alienor unter Auflagen. und Frankreich, U. Mittelalterliche HANS-HUGO STEINHOFF, Sigmaringen de Poitiers, Honneurs Hochzeits- und Begräbnisordnungen von 1759 hier als Anhang wendeten verweisen auf die Nummern unten hg. v. DETLEF ALTENBURG, 1991, S. 39-51, (wie Anm. 6); Alienors nach der Edition Ziffern Tauf-, in: Feste und Feiern im Mittelalter, Kapitel S. 251 f. abgedruckt; dieses Anhangs. Zahlen auf S.40. über die richtige Trauer ist die hier im Text ver- verloren hatte, wurde durch die Aufenthaltsdauer im Bett und im Trauerzimmer gezeigt. Eine princesse zum Beispiel mußte beim Tod des Vaters sechs Wochen im Bett verbringen (10). Beim Tod des ältesten Bruders kam sie damit aus, für sechs Wochen das Trauerzimmer zu hüten (12). Starb ein jüngerer Bruder oder eine Schwester, so mußte sie anscheinend nicht einmal ins Trauerzimmer, kam vielmehr, "je danach, was der Fall verlangt", mit entsprechender Kleidung für eine relativ kurze Zeit aus (13,15). Auf diese Zeit im Trauerzimmer oder sogar im Bett dürfte Christine de Pizan hingewiesen haben, als sie die Zeit der Abgeschlossenheit "mit wenig Tageslicht"9 erwähnte. Denn diese Trauerzimmer waren mehr oder weniger in Dunkel getaucht, indem man die Wände, den Fußboden, zuweilen anscheinend sogar den Vorraum vollkommen schwarz verkleidete (2,5,16). Dies war eine äußerst teure Angelegenheit, und damit kommt das nächste Feld visueller Differenzierung in den Blick. Die stiindische Ordnung: Mit Hilfe des Trauerzimmers und seiner Gestaltung differenzierte man nicht nur innerhalb der Familie. Zugleich inszenierte man damit die Position der Trauernden in der ständischen Hierarchie. So zum Beispiel bei der Witwentrauer: Alienor wußte "vom Hörensagen, daß die Königin von Frankreich ein ganzes Jahr verharren muß, ohne jenes Zimmer zu verlassen, in dem sie die Nachricht vom Tod des königlichen Gatten erfahren hat"(l). Und: ,Jeder soll wissen, daß das Zimmer der Königin ganz schwarz bespannt sein muß, und die Wände der Gemächer mit schwarzem Tuch behängt, wie es angemessen ist"(2). Für die Witwe eines Barons (banneresse) angemessen war hingegen ein erheblich bescheidenerer Aufwand. Nur sechs Wochen sollte sie beim Tod des Gatten im Trauerzimmer bleiben (10). Daß man für die Trauer der banneresse auch am schwarzen Tuch sparte, erklärte Alienor ebenfalls. Nur in einem Ausnahmefall hielt es Alienor für "angemessen", daß auch die banneresse "das ganze Zimmer schwarz bespannen und den ganzen Boden mit schwarzem Tuch auslegen läßt": bei der Geburt eines Kindes nach dem Tod des Mannes (16). Ansonsten, so deutet das folgende Beispiel an, begnügte sich die banneresse mit einem Tuch auf dem Boden. Eine Trennung nach Ständen nahm Alienor auch für den Fall vor, daß eine Tochter ihren Vater verliert. Sie unterschied zwischen "allen princesses", ob königlich oder herzoglich, und den banneresses. Sehr gen au wußte Alienor von der Trauer der Isabelle de Bourbon (4-9) um ihren Vater Charles zu berichten. "Das Zimmer war ganz mit schwarzem Tuch bespannt und auf dem Boden lag ein großes schwarzes Tuch anstelle des samtigen Tep- pichs. Und vor diesem Zimmer, in dem Madame sich aufhielt, war ein weiteres Zimmer oder ein Saal ebenfalls mit schwarzem Tuch bespannt"(5). Neben einigen Details über Kleidung und Begräbnis erklärte Alienor, daß Isabelle "sechs Wochen in ihrem Zimmer blieb, dabei immer auf einem weiß bezogenen Bett lag"( 4). "So", meinte Alienor, "müssen es auch alle anderen princesses machen"(10), aber nur diese. "Die banneresses dürfen nur neun Tage im Bett sein für Vater und Mutter, und den Rest der sechs Wochen sollen sie vor dem Bett auf einem großen schwarzen Tuch sitzen"(10). Der Rest des Raumes, so muß man das wohl verstehen, war nicht schwarz bespannt. Zuweilen also sollten die Raumgestaltungen identisch sein, so etwa bei einer verwitweten Königin und einer verwaisten princesse. Die Statusdifferenzen waren in diesen Fällen anders erkennbar, etwa in der Zeitregelung. Eine Königswitwe sollte ein Jahr im Trauerzimmer bleiben (1), eine verwaiste princesse nur sechs Wochen (4,10). Man braucht wohl nicht darüber nachzudenken, ob Alienor in ihrem Text mehr Ordnung geschaffen hat als jemals bestand. Das war sicher so. Aber dennoch war Alienors Text weniger ein Verhaltenshandbuch im Sinne Christines als eine Beschreibung, die eine deutliche Orientierung an tatsächlichen Praktiken erkennen läßt. Kaum ist zu bezweifeln, daß man in verschiedenen Trauerfällen verschieden verfuhr und daß es Leute gegeben haben muß, die wußten, wie man es richtig machte. Zuweilen erfahren wir von Schwierigkeiten. Karl VI. von Frankreich etwa hatte nach langer Regierungszeit fast jeden überlebt, der noch das letzte Königsbegräbnis hat beobachten können. So gab es bei seinem Tod Unklarheit über die richtige Form des Begräbnisses. "Denn zu dieser Zeit", so erzählt ein anonymer zeitgenössischer Bericht, "gab es wenige Leute, die sich erinnerten, wie man gewöhnlich in der Vergangenenheit die französischen Könige zu Grabe trug."IO Alienor hat versucht, eine augenscheinlich sehr fließende Ansammlung verschiedener Praktiken zu beschreiben und ihr einen zusammenhängenden Sinn zu geben. Dies gelang ihr nur, weil sie bei weitem nicht alle möglichen Trauersituationen beschrieben hat. Immerhin aber läßt sich im groben erkennen, daß in der Ausstattung der Trauer - gleichzeitig und unabhängig voneinander - zwei Felder sozialer Ordnung memoriert wurden, das familiale und das ständische. Für das familiale war der Tote der Referenzpunkt, für das ständische nicht. 10 Ceremonial Funeral Ceremony de l'inhumation in Renaissance peu de gens a qui il souvenist en sepulture. de Charles VI., als Appendix 11. in: RALPH GIESEY, The Royal France, Genf 1960, S. 197-201, comment on avoit accoustume S. 198: Car en ce temps y avoit au temps passe porter les rois de France Alienor hat manche Praktiken selbst gesehen (17), von anderen hat sie gehört (1,3). Sie wies darauf hin, wenn man in Frankreich anders verfuhr als in Burgund (1). Sie erwähnte, wenn sich Sitten geändert haben (14,17) und verschwieg auch nicht, wenn sie etwas vergessen hat (9). Man kann also getrost ihrer Annahme folgen, daß die Kombination der Medien ,Raum', ,Zeit' und ,Kleidung' verschiedene soziale Felder in einem einzigen Ritual visualisiert hat. Mögen die Kombinationen auch unscharf und von einem ,System' weit entfernt gewesen sein, mögen sie sich nicht zuletzt ständig verändert haben - sie waren gedacht zur Darstellung sozialer Ordnungen. Zwar ist diese ausführliche Schilderung der Alienor eine Ausnahme, aber Hinweise auf solche Wahrnehmungen finden wir öfter. Christine etwa hielt die unbestimmte Angabe "eine Zeit lang" (un temps) und den Hinweis auf das verdunkelte Trauerzimmer für verständlich.11 Weitere Beispiele lassen sich leicht anführen. Georges Chastellain, der burgundische Hofchronist, erwähnte zum Tod Johanns Ohnefurcht ebenfalls ein Trauerzimmer. Die trauernde Schwiegertochter wurde zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verlauf eines deutlich ritualisierten Trauergebarens "in ihr Zimmer gebracht" (/ur ramenee en sa chambre). 12 Auch Herzog Amadeus VIII. von Savoien liefert in seinen Trauervorschriften von 1430 ein Beispiel für die Beobachtungen Alienors. Eine herrschaftlich durchgesetzte Abstufung der Trauerzeiten verwitweter Männer sollte die soziale Hierarchie definieren und visualisieren. Dem Herzog sollten beim Tod der Gattin 50 Tage zustehen, einem Vasallen (valvassor) 30, einem Bürger (bourgeois) 20, Handwerkern und Bauern nur die Zeit zwischen Tod und Begräbnis.13 Zwar ist diese Bestimmung in den Aufwandsordnungen ein Unikum, aber sie paßt gut zu der Denkweise, die Alienor zeigt. Sie läßt überdies erkennen, um wieviel kürzer die Zeiten für Männer angesetzt wurden als für Frauen. Die Trauerphase: Neben der familialen und der ständischen Ordnung wurde in der Trauer, glauben wir Alienor, ein drittes soziales Regulativ sichtbar gemacht. Es waren die Accessoires der Kleidung, an denen Alienor erkennen wollte, wie lange eine Witwe bereits trauerte. Alienors Text ist nicht ganz eindeutig, aber deutlich ist, was sie sagen wollte. Während einer Trauerzeit von einem Jahr änderten sich zu bestimmten Terminen jeweils ein paar Details der Kleidung. Manches trug man während der ganzen Zeit, anderes legte man nach einem halben Jahr ab, wieder anderes ersetzte man in einem Turnus von drei Monaten: "Für den Gatten trägt man ein halbes Jahr den Mantel und Kapuze, drei Monate die barbette und darunter den couvreche]; drei Monate den mantelet, drei Monate den touret und drei Monate le noi~ dabei immer gedeckte Kleidung."14 Wenn eine Witwe nicht (sogleich) wieder heiratete, so glaubte Alienor (il me semble), daß sie jene Röcke zwei Jahre tragen solle (14). Es ist hier nicht wichtig, wie und wann genau welches Kleidungsstück gewechselt wurde. Auch daß kaum zu sagen ist, wie die einzelnen Teile aussahen, stört das systematische Interesse am sozialen Sinn der Trauerpraktiken nicht. Die Abgeschlossenheit der Witwe im Trauerzimmer mag an Van Genneps "Übergangsriten" erinnern. Van Gennep hat erklärt, daß eine Zeit des Ausschlusses aus der Gemeinschaft zumeist Bestandteil dieser Riten war.15 Alienor hat ihren Lesern gezeigt, daß die Dauer des relativen Ausschlusses, das Verstreichen der Zeit, eine rituelle Form hatte. Die langsame, schrittweise Reintegration der Witwe in die ,normale', geordnete Gesellschaft war ein ritueller Akt. Die Kleidung visualisierte die Prozedur. Es mag bei der Lektüre von Alienors Text auffallen, daß das Verhältnis von Trauerkleidung und sozialer Hierarchie kein Thema ist. Alienor hat zwar erklärt, wie in der Art und den Accessoires der Trauerkleidung die familiale Position codiert war, nicht aber, ob und wie Trauerkleider die soziale Hierarchie spiegeln. Daß es hier natürlich ebenfalls Gleichungen gab, ist kaum der Rede wert, so daß als Beispiel ein Detail aus der Chronik Chastellains ausreichen mag. Zum Begräbnis des Johann Ohne furcht teilt Chastellain mit, die hohen Herren hätten "Trauer getragen .... mit langen Mänteln ihrem Stand entsprechend". Den weniger hohen Herren, den Offizieren "als Leuten von niederem Stand" (comme gens de bas estat) standen nur halblange Kleider zu (robes demi-jambes ).16 Für Alienor war diese Differenzierung anscheinend kein dominierender Eindruck, wohl aber die Veränderung der Kleidersitten. "In der Vergangenheit", erklärte sie, hätten die Princes und die hohen Adligen zur Trauer "die Zipfel (cornettes) ihrer a Barbette 14 und Witwen s.v. guimpe); 5.2347 ist eine kurze 11 Vgl. Anm.3. 12 Georges Brüssel 1J Chastellain, talement Oeuvres I. Chronique 1419-1422, 1863, 5.51; vgl. dazu ausführlich den folgenden Nach NEITHARD BULsT, La legislation somptuaire V. Premier duc de 5avoie et pape PARAVICINIBAGLIANI,5.191-200, (1383-1451), 5. 196f. hg. v. KERVYNDE LE1TENHovE, Abschnitt. d'Amedee 15 VIII, in: Amedee VIII - Felix couvrechejist Mantelform sur les front das den Hals und die Brust bedeckt Larousse 16 a leur 1986 (franz. Chastellain, (ebd. 4, 5.3221); par les femmes, Philipps Originalausgabe Oeuvres au XV" und bei Religiösen 1, 1971 ff., 5.375 touret ist ein "bandeau und ebd. 3, (ebd. 2, 5.1039); de lingerie mantelet porte horizon- s." (ebd. 7, 5.6142). (Les rites de passage) 1909), zur Trauer 1 (wie Anm. 12) 5.78: jaisoient estat; und zu den Offizieren des Guten. de la langue fran~aise eine Form der Kopfbedeckung ARNOLD VANGENNEP, Übergangsriten - Paris hg. v. BERNARDANDENMATTENU. AGOSTINO ist ein Kleidungsstück, üblich war (Grand Chastellain, Frankfurt a. M. - New York bes. 5.142-159. le deuil [... ] en longs manteaux propres Oeuvres 4 (wie Anm.12) 5.232, zum Tod Kapuzen lang" getragen. ,Jetzt aber trägt man ganz kurze Zipfel (cornettes), die princesses ebenso wie die anderen"(17)Y Mit diesen Ausführungen über Trauerzeiten, Kleider, Trauerzimmer und Bett war für Alienor das Problem des Trauerverhaltens erledigt. Sie wandte ihr Interesse nun dem Problem zu, "wie man die fürstliche Tafel deckt".18 Mit Schweigen hat sie eine besonders komplizierte Praxis übergangen, eine Praxis, die Christine zur "selbstverständlichen" (n'est pas doute) erklärte und wiederum nur mit einem Stichwort erwähnt: die Klage.19 3. Verhalten: Wie Philipp der Gute "Gott und die Welt zufriedenstellte"20 Christine de Pizan hat geschrieben, daß die Klage der Witwe "richtiger Treue entspricht".21 Mithin war die Klage ein für jedermann sichbares Zeichen der Treue. Sie war "unzweifelhaft" (n'est pas doute) Teil jenes iljäut, das Christine in ihrem Handbuch versammeln wollte. Allerdings ist der Hinweis auf Treue die denkbar weiteste Formulierung einer Pflicht. Treue war eine Standardforderung an jeden und in jeder Situation. Wiederum also wurde von den Leserinnen erwartet, daß sie wußten, wie sie ihre Treue in der Klage zu beweisen hatten. Wie der heutige Leser Christines die Hinweise auf Kleidung, Ort und Zeit durch den Text Alienors verstehen kann, so erschließt sich die Forderung nach Klage durch ein weiteres Zeugnis aus Burgund, nämlich die Chronik des Georges Chastellain (t 1475). Der Hofhistoriograph Philipps des Guten (t 1467) und Karls des Kühnen (t 1477) hat über den Tod des Herzogs Johann Ohnefurcht (t 1419) und über den Tod Philipps ausführliche, offizielle Berichte hinterlassen. Sie geben eine gute Vorstellung davon, wie das Klageverhalten verlaufen sollte. Hier, wo die Verhaltensweisen des Herzogs und der Herzogin, zum Teil auch des Hofs und des Volkes beschrieben sind, ist Berichterstattung kaum von Beschreibung der Norm zu unterscheiden. Über die Trauer Philipps des Guten um seinen Vater Johann Ohnefurcht hat Chastellain gut vierzig Jahre nach dem Ereignis geschrieben. Daß es sich bei den beschriebenen Reaktionen der Trauernden um Muster richtigen Verhaltens handelte, wird beim Vergleich dieser Passage mit der Trauer Karls des Kühnen um Philipp schnell deutlich. Gerade weil die Berichte 17 Mit dem Hinweis auf die zunächst langen und dann kurzen cornettes der Kapuzen kann auch gemeint sein, wie tief die Kapuzen ins Gesicht reichten; vgl. Grand Larousse de la Langue Franr;;aise 2 (1972) 5.990: u. a. "devant du chaperon de femme". 18 Alienor, Honneurs (wie Anm.6) 5.259. 19 Vgl. Anm.3. 20 Das Zitat unten in Anm. 63. 21 Wie Anm.3. Muster zeigen, sind sie hier besonders nützlich. Chastellain hat zum Tod Johanns Ohnefurcht Klagereden in den Mund des Herzogs, der Herzogin und einiger Hofleute gelegt. Diese, wie immer sie gehalten worden sein mögen, zeigen überdeutlich, wie solche Klagen sein sollten. Der soziale und politische Sinn der Klage war eine relativ stark formalisierte Erinnerung, eine Erinnerung an historische exempla vorbildlichen Verhaltens und, auch hier, an die durch den Tod gestörten Ordnungen des politischen und sozialen Lebens. Chastellain hat seinen Bericht vom Tod des Johann Ohne furcht begonnen mit einer Art Fürstenspiegel. Jean de Toisy, der Bischof von Tournai, hatte die Aufgabe, Philipp dem Guten die Nachricht vom Tod des Vaters zu überbringen. Er hat dies, glauben wir Chastellain, mit einer sehr langen Rede geleistet, die nichts als ein Fürstenspiegel war - zum Teil gekleidet in ein Lob des Vaters. "Die besondere courage, " sagte der Bischof, "zumal die eines prince, erfordert es, stets gemäßigt zu sein in Freude und in Trauer, ein ruhiges Gemüt zu haben bei noch so unterschiedlichen Vorkommnissen." Oder: "Das edle Herz des Mannes darf nicht dem Schmerz verfallen, weil der Schmerz den Grimm nicht heilt".23 Weiter: "Auch ihr müßt Euch unbezwingbar zeigen, sollt stark und beseelt die Last der Widrigkeiten ertragen." Philipp müsse sich, erklärte der Bote, "durch verschiedene Widrigkeiten testen lassen".24 Dann erinnerte der Bischof daran, daß "viel zu erleiden ~u dieser Welt gehört, und daß die Tugend der Duldsamkeit großen Ruhm einbringt." Und noch einmal, bevor er zur Sache kam: "Monsieur, wir kommen, um euch zu bitten, daß ihr euer Herz bei keiner unserer Neuigkeiten aufweicht, sondern es streng im Griff der Tugend haltet."25 Der Unglücksbote nennt auch Vorbilder, nämlich "Euren Herrn Vater, ebenso wie seine Vorfahren". Weiter sagt er: "Spiegel und klares Beispiel waren ihnen mehrere große und berühmte Könige, von denen die Bibel und Zitate unten in Anm.25 und 34. Chastellain, Oeuvres 1 (wie Anm.12) 5.45: nature d'un haut courage, souverainement d'un prince, requiert a estre tousjours amodere en joye et en deuil et de porter en tranquillite de sens toute diversite d'aventures; 5.46: que haut coeur d'homme ne doit prendre douLeur en ce qu'iL ne peut remedier par couroux; die ganze Rede 5.44-49. 24 Ebd. 5.47: vous devez vous monstrer aussi invincibLe, c'est-a-dire /ort et animeux en soustenant Lepoix des adversites [... ] iLvous convient estre examine par diverses manieres de contrarietes. 2' Ebd. S. 48: Et ainsi, monseigneur, vous advertys que souffiir beaucoup convient en cestuy monde, et que de Lavertu de patience se tire un titre de haute gLoire [... ] nous vous venons prier que ne veullez amollir vostre coeur en aucune de nos nouvelles, ains Le tenir vigoureusement en l'arrest de sa vertu. 22 23 die römischen Geschichten erzählen."26 Wer im einzelnen gemeint war, wurde nicht gesagt. Diese vorbildlichen Könige der Antike wie der Bibel gehörten zum Schatz des Bekannten, so daß eine kurze Erinnerung genügte. Der Satz zeigt exemplarisch und kaum überraschend einen geläufigen Weg, wie man das Verhalten normierte, nämlich durch Verweise auf Identität stiftende historische und biblisch-mythische exempla. Dann folgte die Todesnachricht. Diese Rede, zumal von einem Bischof, enthält nichts Erstaunliches. Daß Trauerklage und herrschaftlicher Stand nicht vereinbar seien, war keine seltene Idee. Ein Fürstenspiegel, der zur selben Zeit in Bayern kompiliert worden ist, empfahl unter der Überschrift Des fursten gepiird folgendes: Er soll auch nit trawren, wann edler mut beweist sich frälich und kein laid mag im beherrschen.27Abgeschrieben hatte der Kompilator dies aus einem Wiener Fürstenspiegel des ausgehenden 14. Jahrhunderts. 28 Auch Thomasin von Zerclaere (+ ca. 1259) erhebt die Forderung im ,Welschen Gast'.29 Als allgemeine Regel dürfte es nicht schwierig sein, die Unterdrückung der Trauer als Forderung durch die Jahrhunderte lückenlos bis Augustin und in die Stoa zurück zu verfolgen. 30 Coluccio Salutati hat im Jahr 1400 einem Freund gegenüber ausdrücklich in einem Brief betont, daß er beim Tod und bei der Bestattung seines Sohnes "ohne Tränen", "unbewegt von Gefühlen" und "ohne Klage" geblieben sei.31 Er machte deutlich, daß er dies trotz des maßlosen Schmerzes für das richtige Verhalten hielt. Die Zeugnisse gleichen sich also, woher sie auch kommen: Thomasin in Aquileia, ein Fürstenspiegel 2. Ebd. S.45: Monseigneur, vous savez aussi comment monseigneur vostre pere, ensemble ses tres-nobles progeniteurs, en tous leurs temps ont este princes de singulier los [... ]. Miroir certes et eier exemple leur eust esteplusieurs haux et glorieux rois recites en la Bible et es romaines histoires. 27 Eine bayerische Fürstenspiegelkompilation: hg. v. GERD BRINKHUS (Münchener Mittelalters 66) München 28 Eine Fürstenlehre 29 Thomasin Texte Untersuchungen und Untersuchungen und Textausgabe zur deutschen Nr. 1,25, Literatur des 1978, S.94. aus dem Kreis Albrechts von Zerclaere, Der Welsche IH. in Wien, verf. um 1390 (vgl. ebd. S. 45). Gast 2391 f. 6191-9194 5558), Bd. 1, hg. v. F. W. VON KRIES, Göppingen (= Rückert 1789 f. 5555- e 30 In dem von PETER VON Moos Problem Studien der christlichen Trauer gesammelten Material zur mittellateinischen 1-4 (Münstersche findet Trostliteratur sich eine Fülle von Belegen; über Coluccio Dieser letzte Apell verdeutlich denkbar klar die Spannung zwischen zwei Werten, die gleichermaßen im Trauerverhalten zu erscheinen hatten. Gefaßtheit ist eine notwendige Eigenschaft des guten Herrschers, maßlose Trauer "bis zum Verlust der Sinne" ist die notwendige Eigenschaft des guten Sohnes. Die eine bezeichnete der Bischof als Tugend (vertu), die andere als Aufrichtigkeit, Liebe und Ehre (droiture, amour, dilection, honneur). Man könnte auf den ersten Blick denken, Chastellain habe den Bischof Ehre gegen Tugend ausspielen lassen, habe ihn etwa im Sinne der Bettelordensfrömmigkeit einen Verzicht auf honneur zugunsten von vertu fordern lassen. Aber so war es nicht gemeint. Ganz selbstverständlich erklärte Chastellain an anderer Stelle die Klage des Sohnes zur Tugend (vertu), die Tränen zur Würde (digne), Verdruß (annuy) als juste. 35 Mittelalter-Schriften 32 Geste, H Beispiele bei Orro Selbst in den Romanen und zum höfischen Umgang 3.1-3.4) München München 1991, (Nachdenklichkeit, Salutati, Ep. 17 Magistro Ugolino de Montecatini, in: Epistolario 3, hg. v. sibi patemam benedictionem humiliter postulanti sine lacrimis benedixi; eum orans et Deo commendans immotis affictibus aspexi dulcem animam expirantem; eumque funerandum sinefletu et sine gemitu sociavi [... ] insultantibus camis motibus restiteram ratione. FRANCESCONOVATI (Fonti per Ja storia d'Italia 17) Rom 1896, S.392-396, S.393-395: ZIMMERMANN, Die Totenklage in den altfranzösischen Chansons de Berlin 1899, S.10. den Tod 1971 f. 31 "Besiegt die Natur, gehorcht nicht der Liebe (amour), brecht die Sohnesliebe (dilection). Verdrängt und bezwingt gegen den Lauf der Aufrichtigkeit und Ehre die Tränen und die Schreie, die in Euch bis zum Verlust der Sinne und zur Verschmelzung mit dem Nichts aufkommen müssen."34 1984, S. 161 u. 243: er sol sin gantz an stetecheit, daz in niht wandel lieb noch leit; man sul durch vriunde leit han, doch sol daz leit sin so getan, daz wir im erlouben denne ez uns. vgl. DENS., Consolatio. aus Bayern, ein anderer aus Wien, ein Florentiner Kanzler, ein burgundischer Bischof - alle fordern sie dasselbe moderate Verhalten. Die Norm zumindest, so könnte man auf den ersten Blick denken, sei klar und eindeutig gewesen. Den ,Luxus' maßloser Trauer mindestens bis zur mehrfachen Ohnmacht32 mochten sich die Könige in den Heldenromanen erlauben können, nicht jedoch die Könige im ,wirklichen' Leben. Dieser erste Eindruck aber täuschtY Tatsächlich scheint das Ideal der Selbstbeherrschung nur ein kleiner Teil dessen gewesen zu sein, was man von einem Herrscher forderte. Es gab andere, nicht minder wichtige Forderungen, die kaum mit dem Ideal der Selbstbeherrschung zu vereinen waren. Chastellain brachte den Konflikt zwischen den verschiedenen Erfordernissen wiederum durch den Mund des Unglücks boten ins Spiel. Kaum hatte Jean de Toisy die Todesnachricht vorgebracht, schloß er die Rede mit einer letzten Erinnerung an die Tugenden der Affektbeherrschung: ist dieser mit der Trauer, S. 9-75; Eindruck gebrochen, in: An den Grenzen KÜSTERS beobachtet Ruhe, das Modell folgt man URBAN KÜSTERS, Vom höfischer bei den Königen König Davids) als maßlose Kultur, hg. v. GERT KAISER, insgesamt eher Melancholie Trauer. 34 Chastellain, Oeuvres 1 (wie Anm. 12) S. 48: icy vaincquez nature, desobeissez cl amour, rompez filiale dilection, et contre le cours de droiture et d'honneur, reboutez, maistriez les larmes et les cris qui naistre vous doivent jusques mesmes cl vous perdre et fondre cl neant. 3S Ebd. 4, S. 21 0: 0 dignes larmes, 0 saintes veritables clameursfiliales; ebd. 1, S.62: vostre present annuy, qui estjuste. Forscher im 19. Jahrhundert haben sich - mit Wirkung bis heute - vorgestellt, hier treffe eine christliche Tradition auf eine resistente Volkspraxis.36 Einen vergleichbaren Antagonismus konstruiert man mit der Vorstellung, diese extremen Gefühlsäußerungen seien "archaisch" gewesen und im Zuge des Spätmittelalters "kultiviert" worden. 37 Demgegenüber läßt sich leicht erkennen, daß die heftige Klage weder archaische Resistenz war noch später kultiviert wurde. Es ist hier nicht wichtig, genau zu wissen, seit wann in der christlichen Lehre die Klageschelte eines Hieronymus überstimmt wurde von Autoren, denen das Klagen selbstverständlich war.38 Für frühmittelalterliche Autoren im Westen ist die Totenklage jedenfalls selbstverständlich und keineswegs ein Übel. Der Autor des ,Heliand' erweiterte im 9. Jahrhundert die biblischen Klageszenen um die Muster, die er aus seiner Umwelt kannte. Die Witwe von Nain "schlug in die Hände" und die klagenden Frauen unter dem Kreuz "schlugen an ihre Brüste".39 Auch Otfrid von Weißenburg ,verbesserte' in seinem ,Evangelienbuch' die biblischen Trauerszenen. Beim Kindermord "tönte weithin das Geschrei [der Mütter] ... Sie machten sich die Brüste bloß, sie rauften sich die Haare aus." Und auf dem Weg zum Kreuz weinten die Frauen "mit lautem Ruf" und "zerschlugen sich die Brüste".4o Nebeneinander findet man 36 Georg Zappert hat im Jahr 1854 das fortan dominante Entwicklungsschema formuliert: "Die Hand der Kirchenlehrer legt Beschlag auf das gesammte Thränengut" und erlaubte "einzig den Thränen-Erguß im Dienste Gottes" (77). In den folgenden Jahrhunderten aber "hat die Schmerzbekämpfungs-Kraft der ersten christlichen Jahrhunderte sich so weit abgeschwächt"(119), daß es "gelang, ... wieder den Schmerz um Hingeschiedene in weitestem Umfange zur Äußerung zu bringen" (116); zur Zeit der Kreuzzüge und der Ritterdichtung erreichte "der Strom dieser Zähren" dann seinen "Hochstand" (119); vgl. GEORG ZAPPERT,Über den Ausdruck des geistigen Schmerzes im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte der Förderungs-Momente des Rührenden der Wissenschaften. Zapperts S.138. 37 Haltung diskutiert Eine Art Fortsetzung Kreuzzügen im Romantischen, Philosophisch historische VON Moos, ,Kultivierung', schränkt "den ,Ausnahmen' 38 des Zappert'schen Rechnung Dies behandelt 39 Heliand 40 der kaiserlichen 1854, S.73-136, (wie Anm.30) Entwicklungsschemas Norbert trägt" für die Zeit nach den (wie der zunehmenden Deutung nicht e pianto rituale di studi etnologici nel mondo antico. e religiosi 31) Turin Dal 1958. 2184 (endi handun slag), 5688 (Slagun an iro briostfilo uuapiandero uuibo); vgl. und Genesis, hg. v. Orro Otfrid von Weißenburg, BEHAGHELu. WALTHERMITZKA, Tübingen Evangelienbuch Philipps unmittelbare Reaktion auf die Mahnungen des Unglücksboten war eindeutig: Er ignorierte sie vollständig. Kaum hatte der Bischof ausgeredet, da brach Philipp in eine heftige, besinnungslose Trauer aus. Ihm "fehlten die Worte", er "schrie" und "warf sich aufs Bett". Weiter: "Die Augen begannen sich zu verdrehen ... sein Blick richtete sich nur ins Innere", und ohne Gottes Hilfe "wäre der arme prince nicht dem Tod entgangen".43 Es wäre nicht schwierig zu zeigen, daß das Verhalten Philipps sich aus Standardeinheiten des Trauerverhaltens zusammensetzte, die sich in vielen anderen Zeugnissen finden lassen. Um dies zu verdeutlichen, sei für einen Moment die Erzählung von Philipps Trauer um Johann Ohnefurcht im Jahr 1418 verlassen und ein Seitenblick auf Philipps eigenen Tod 49 Jahre später geworfen. Getrauert hat diesmal Philipps Sohn Karl der Kühne (+1477). Auch Karl hat auf die Nachricht vom Tod Philipps reagiert wie die Helden im Roman: "Seine Sprache versagte. Der größte Schmerz der Welt befiel ihn ... Er schrie, weinte, wand die Hände, ließ sich aufs Bett fallen und hielt weder Regel noch Maß, so daß sich jeder wunderte über seinen unmäßigen Schmerz. "44 wie Anm. 30, A 140, S.37). ERNESTO DE MARTINO, Morte (Biblioteca S.77; Elias'; so etwa KÜSTERS,Umgang neigt zwar auch zu dieser Vorstellung (Consolatio, Akademie Zitat A 140, S.36 und A 570, aber ein, daß eine solche entwicklungsgeschichtliche lamento pagano al pianto di Maria Heliand 196. Consolatio im Sinne der Zivilisationstheorie Anm. 33) etwa S.20 u. 25; VONMoos in: Denkschriften Classe 5, Wien die Mahnungen zur moderatio wie die kritiklosen Erwähnungen der Klage. Die Normierung des Trauerverhaltens hatte stets diese beiden Gesichter. Es wäre irrig, sie auf unterschiedliche Haltungen zurückzuführen, etwa eine archaische Gefühlsäußerung hier und eine christliche Doktrin dort. Um den sozialen Sinn dieser gegensätzlichen, aber oft gemeinsam auftauchenden Aspekte des Trauerns zu erklären, ist es nützlich, zunächst in der ,Chronique' des Chastellain weiterzulesen und zu sehen, was nach der mahnenden Rede des Unglücksboten geschah. Wie also, um die Rede des Unglücksboten in Erinnerung zu rufen, mußte Philipp auf die Mahnung reagieren, die Natur zu besiegen, die Sohnesliebe (dilection) zu brechen und gegen die Regeln der Aufrichtigkeit und Ehre die Tränen und Schreie zu be herrschen?41 71958, S.77 u. 1,20.9-12 und IV,26.5-1 0, hg. v. JOHANNKELLE, ND Aalen 1963 (Orig. 1856) S. 61 u. 291; hier nach der Übersetzung von DEMS., Christi Leben und Lehre besungen von Otfrid, ND Osnabrück 1966 (Orig. 1870) S.57 u. 349. 41 Vgl. Anm.34. 43 Chastellain, 42 Oeuvres Zitate Anm.48 und 51. 1 (wie Anm. 12) S.49: le jeusne descon/orte prince vaincu et paroultre de douleurs, gectant un haut effiayeux cry avec toutes manieres lamentables, se rua sur un lit; et IJ. gisant, subitement devint difzgure de visage, prive de parole et tout amorty d'esprit. Les yeux luy commencerent J. tourner, les levres J. noircir, les dents J. estreindre, les bras et lesjambes J. tirer J. la mort; seulement en l'estomac vers le coeur se retrahy la vye [... ] et tellement que si n'eust este plus provision divine que sens d'homme le povre prince ne lust eschappe de mort. 44 Chastellain, Oeuvres 5 (wie Anm. 12) S.228: car la parole luy estoitfaillie [... ]; crioit, Die Umstehenden am Hof hat Chastellain nicht als Zuschauer einer theatralischen Szenerie beschrieben, sondern als Mitakteure. Rituale haben bekanntlich keine Zuschauer. Die Hofgesellschaft war sozusagen der Chor, der ebenfalls "ohne Regel und Maß" durch "Tränen, Klagen, und Schlagen der Hände"49 teilnahm. Eigens erwähnt werden die Frauen, die "schreien, weinen und auf einen Haufen zu Boden stürzen, die einen auf die anderen".50 Zunächst also trauerten alle relativ gleich - Mann und Frau, Sohn und Schwiegertochter, Fürst und Hof. Keine Differenzierung der Rollen ist zu erkennen. Die einzelnen Elemente sind nicht verschieden von denen, die ein Dichter in sein Heldenepos einbaute. Kaum drastischer hätte der Chronist den Kontrast zeichnen können zwischen dem Verhalten Philipps und dem Fürstenspiegel, den der Unglücksbote ihm vorgetragen hatte. Dieser Kontrast aber zwischen dem Fürstenspiegel und dem Verhalten des Fürstensohnes war eine begrenzte und bemessene Angelegenheit. Er dauerte "gut eine Stunde" (plus d'une grande heure).51 Der Bericht ist besonders aufschlußreich, weil die heftige Reaktion einem Greis galt, der seit Jahren debil war, einem Greis zudem, dem Kar! seit Jahren die Herrschaft zu entreißen suchte.45 So teilte Chastellain eigens mit, daß Karls Trauer nicht zu erwarten war. "Niemand hätte jemals gedacht, daß er ein Viertel oder Fünftel [!] dessen hätte machen müssen (dust avoir jäit), was er gezeigt hat. "46 Kar!s Verhalten war also alles andere als "ohne Maß und Ziel". Es war meßbar an einem devoir jäire, einer Erwartung darüber, wie heftig man sich bestürzt zeigen mußte (il monstra). Daß Kar! um Philipp mit denselben Handlungsmustern getrauert hat wie schon Philipp um Johann Ohnefurcht, ist noch einmal ein Hinweis darauf, daß zumindest das "Maß" relativ leicht kommunikabel war. Und daß Kar! keineswegs "ohne Ziel" die Erwartungen der Höflinge um das Vier- bis Fünffache übertroffen hat, sei hier nur erwähnt. Chastellain berichtete gleich im Anschluß an die Klage Kar!s, daß viele der Güter Philipps des Guten nirgends verzeichnet waren, so daß Kar! vollständig auf die Loyalität seiner Umgebung angewiesen war, die dann auch tatsächlich "offen und vollständig alles zeigte und so umfassend und in großer Menge offenlegte, daß sich alle wunderten."47 Allerdings braucht man in Chastellains Chronik nicht bis zu Philipps eigenem Tod weiterzublättern, um eine Person zu finden, die genauso heftig und mit denselben Mustern getrauert hat wie Philipp. Als zweite Akteurin neben Philipp trat seine Frau auf, Michelle de France. Sie reagierte auf den Tod des Schwiegervaters nicht anders als Philipp: "Das Herz, der Mund, die Augen und alle Glieder waren jenseits der Kontrolle und des normalen Empfindens". Auch hier Weinen, Klagen (complaindre), der Sturz zu Boden, wiederum "mehr tot als lebend", schließlich als Höhepunkt die Ohnmacht. Auch diese ist wohlbekannt aus der Literatur und nicht minder aus den Werken der bildenden Künstler.48 Nach der Frist von "gut einer Stunde" änderten sich die Dinge. Michelle, die Schwiegertochter des Toten, wachte wieder auf und man brachte sie in ihr Zimmer. Sicher wird man sich ein schwarz bespanntes Trauerzimmer vorzustellen haben jenem Brauch gemäß, den Alienor de Poitiers wenig später am burgundischen Hof vorfand. In ihrem Zimmer klagte und weinte Michelle weiter, zusammen mit ihren dames.52 Ganz anders aber verhielt sich nun Philipp. "Seine Augen begannen sich zu öffnen, Lippen und Sprache sich wieder zu beleben", "vertu und Sprache" kehrten wieder. "Er fand den Weg zum Erdulden und kehrte zur Vollkraft seines Körpers zurück."53 Während der Chronist also die Gattin weiter klagen ließ, erklärte er bei ploroit, tordoit ses mains, se laissa cheoir sur sa couche, et ne tenoit regle, ne mesure, et tellement qu'il fit chacun s'esmerveiller de sa demesuree douleur. 4' Ebd. S. 227: en l'eage de soixante et onze ans ou environ [... ] jört debilite depuis deux ans ou trois avant sa mort; über die Auseinandersetzung ausführlich RICHARD VAUGHAN, Philip the Good. The Apogee of Burgundy, London 1970. 46 Chastellain, Oeuvres 5 (wie Anm. 12) S. 228: Et n'eust-on d peine jamais crupar avant qu'il en dust avoir fait le quart ou le quint du deuil qu'il en monstra. 47 Ebd. S. 251: Mais ledit Jacot [Brezille] fit claire et paifaite ostension de tout, et en fit teile et si ample descouverte, et en teile multitude, que tout le monde s'en esmerveilloit du tant. 48 Ebd. 1, S.50: Et celle povre descon/ortee dame, madame Michelle [... ] chut d terre toute espasmee, toute ignorante de soy-mesmes, plus morte que vive; et ne pouvoit descouvrir son amour par complaindre, ny vuyder sa douleur par plourer, car angoisse luy destraingnoit si le coeur que la bouche et les yeux et tous les membres luy estoient hors de vertu et d'ordinaire sentement. 49 Ebd. 1, S. 49: Sy jU la pitie si grande par leans que les coeurs/ondoient en larmes, en clameurs et en battures des mains [... ] Dont ils./Urioient et desesperoient en angoisse sans regle et sans mesure. '0 Ebd.: sespovres dames et sespovres femmes de toutes pars, toutes desmanierees, cryans,plorans et chancelans d terrepar monceaux l'lune sur l'autre; ähnlich S. 55 in der zweiten Phase: Sy vit-on ces dames et ces filles par compassion plorer avec elle d tous lez et donner paroies con/ortatives plusieurs, l'une d genoux, l'autre d jointes mains, l'autre en larmes et en humbles prieres. " Ebd. S.50. 52 Ebd. S. 51: et la povrette dame, madame Michelle, aussi revenue de pamoison et /ort plainte de son leal mary,jUt ramenee en sa chambre, en laquelle allafaire lesplus ameres complaintes; S.55: Ces paroies et autres semblables disoit madame Michelle toute dljiguree et pleurs, et mise en si extreme pitie que toute sembloit d soy-mesmes dessemblable. Ebd. S. 50: les yeux commencerent d ouvrir, et levres et langue a remouvoir; S. 51: Toutesvoies et par autruy conseil et par propre vertu, se remist d patience et revint d vigueur corporelle, comme devant; ebd. S. 57: apres avoir recouvert en luy vertu et parole. 5) Philipp "den ersten Ansturm des Schmerzes nunmehr für besiegt". Der zweite Schmerz sei "Iange bittere Melancholie". Zwar gab es für Philipp immer noch "seine engsten Ritter, bei denen er häufig klagte"Y Aber diese Klage war bereits eine sehr gefaßte. Sie war deutlich verschieden von der Klage Michelles. Chastellain legte beiden, Philipp und Michelle, lange Klagen in den Mund und konnte so die unterschiedlichen Trauerrollen in aller Deutlichkeit ausarbeiten. Die Klage der Michelle de France war eine einzige trostlose Reflexion über die Nichtigkeit des Daseins. "Erbärmliche, armselige Frau": die Eingangsworte bestimmen den Tenor der ganzen Rede. "Unselige Königstochter, traurige schmerzensreiche Kreatur, Gefangene des Kummers und Sklavin des Schicksals, geboren zu einem Leben in Wirrnis, lebend, um zu sterben unter Vorwürfen," und so weiter. Selbstverfluchung und Todeswunsch, Standard solcher Rede, gehören auch zur Klage der Herzogin: "Verflucht sei die Stunde meiner Geburt, wäre ich doch nie gezeugt worden, nie empfangen im Bauch einer Königin, denn ich selbst verabscheue mein Dasein." Gott solle ihr den Tod schenken. Über Seiten läßt Chastellain die Herzogin in dieser Manier fortfahren, ehe die Klage in eine Reihe bloßer my! las! my! my!55 Laute gipfelt: Während die Herzogin in ihrem Zimmer saß und derart klagte, war der Herzog bereits zum "zweiten Schmerz", zur "bitteren Melancholie" übergegangen. Seine Klage war ebenso lang wie die der Herzogin, aber vollkommen anderen Inhalts: Philipp interessierte sich nicht für die Kreatur, sondern für das burgundische Reich und begann seine Klage nüchtern und moderat. Durch den Tod des Vaters habe er "Stütze und Rat" verloren. Deshalb He He He ,. Ebd. S.57: Car pose que le premier assaut de son deuil./Üst ores vaincu et passe sur le coup d'un hasart, toutes-voies le second deuil qui gisoit en longue amere merancolieet occupoit les vives racines du coeur [... ] esgorgeoit ses prochains chevaliers, auxquels il se lamentoit souvent et ramenoit en devise de la grande perte. " Ebd. S. 52 f.: malheuree fille de roy, triste creature adolee, chartriere d'annuy et esclave de fortune, nee pour vivre en con./Üsion,et vivant po ur mourir en reproche [... ] que maudite soit {'heure de ma naissance, ny que engendree./Üsse,ny confue en ventre de royne, quand moy-mesmes abomine mon estre, despite mon vivre, et de moy propre je recueille horreur, et desire, contre conseil de nature, extreme malediction d'infortune; S. 53: pour fin de mon mal me donnast mort pour repos; die Klagelaute S.55 (auch S. 50); die Vermutung wäre naheliegend, diese Klage sei nicht die normalerweise erwartete, habe vielmehr damit zu tun, daß Michelies Vater in den Mord an ]ohann Ohnefurcht verstrickt war. Daß dies aber nicht der Fall ist, kann ein Blick in die Dichtung zeigen, in der die Frauen genau dieses Klageregister der existenziellen Klage zu ziehen hatten; so jedenfalls KÜSTERS,Umgang (wie Anm. 33); vgl. das Muster des Todeswunsches auch bei Christine de Pizan, Ballade 8, in: Christine de Pizan, Oeuvres pm:tiques 2, hg. v. MAURICERoy, Paris, 1886: qu'il me faut desirer/mourir briefinent; ähnlich in den Balladen 5, a 6, 9, 17. wandte er sich an die politische Führung am Hof. "Nun ist es nötig, daß ich, der jung Verwaiste, mich euren Händen anvertraue und auf eurer loyalen Tugend und Liebe meine Sache gründe und aufbaue."56 Seine lamentation57 war eine politische Rede über "das Durcheinander im Königreich", über die Fortsetzung der väterlichen Gewohnheiten, und besonders über Rache an den Mördern des Vaters. Schon war er, der eben noch maßlos Bestürzte, wieder fähig zum "Mitleid für das arme unschuldige Volk".58 Als wollte Chastellain sicher gehen, daß die Botschaft auch richtig verstanden werde, entschlüsselte er sie selbst: Die Hofleute, schrieb er, "waren alle verwundert über seine reife Zurückhaltung und über seinen Geist, sogar in einer so schweren Situation, die ihm eigentlich den Verstand stören und den Geist verwirren müßte .... Und sie waren verwundert, daß in einem so jungen Körper eine solche Würde und Duldsamkeit wachsen kann."59 Besonders scharf konturierte Chastellain die Arbeitsteilung zwischen Philipp und Michelle schließlich durch das, was er die Hofleute sagen ließ, "die einen im Denken, die anderen durch die Zähne". Diese Rede hat Chastellain im offensichtlichen Kontrast zur Klage der princesse aufgebaut. Während die princesse am liebsten "nie empfangen worden wäre im Bauch einer Königin", sagten die Hofleute mit biblischen Worten über den Herzog: "Gesegnet sei der Bauch, der dich getragen hat!" Wo sich die princesse als "erbärmliche, armselige Frau" sah, als "unselige Königstochter, traurige Kreatur," da lobte man den prince: "Kind des Glücks, nichts kann uns mit dir schwer sein." Während die princesse sich als "Sklavin des Schicksals" erkannte, lobte man den prince: "Du versprichst uns ein glückliches SchickUnd während die princesse das Dasein verabscheute, sal (joyeusesfortunes)". pries man den prince: "Du bist der Mann Gottes. "60 In einer abschließenden 56 Chastellain, Oeuvres 1 (wie Anm. 12) S. 57 f.: j'ay perdu tout mon recuevre et conseil, desormais faut-i! que je, jeune orphelin, me retraye en vos mains et qu'en vos leales vertus et amours je fonde et edifie mon fait. 57 So nennt Chastellain die Rede in der Überschrift (S. 57) und ebd. im Text (se lamentoit). 58 Ebd. S. 58: piteuse con./Üsionde ce royaume; Et moi son fils, heritier non pas bastard de ses moeurs .. (hier auch der Rachewunsch); ebd. 60: je repose un peu, et alTeste en compassion aussi sur le povre innocent peuple; mit der Sorge um das Volk entsprach Philippe einem bekannten Muster; vgl. zu literarischen Zeugnissen KÜSTERS,Umgang (wie Anm. 33) S.26. 59 Chastellain, Oeuvres 1 (wie Anm.12) S.61: tous esmerveilles de la mure discrhion de luy et de son sens, encores en cas si pesant qui luy devoit empescher la raison et troubler l'esprit [... ] et s'ammiroient comme pouvoit naistre en un si jeune corps une telle gravite et tolerance, encores apres l'avoir vu fteschement si attaint de peril que la mort sy jugeoit. 60 Ebd. S. 61: Renolt soit le ventre qui te porta et la mammelle qui te alaita! Avec toi voulons vivre et mourir; tu es homme de Dieu, enfant de [S. 62] bonne heure, ne rien avec toi ne nous peut estre dur [... ] tu nous prometsjoyeusesfortunes [. .,]. Va, homme de Dieu, va tost et emprens. Rede des von nun an mächtigsten Mannes am Hof, Atis de Brimeu,61 werden noch einmal die Forderungen nach Sohnes liebe und Herrschertugend, hier heftige Trauer (qui est juste )62 und dort Selbstbeherrschung, gegeneinander abgewogen, um schließlich die von Philipp gezeigte rituelle mehrteilige Trauer zu approbieren: "Heute habt Ihr Gott und die Welt zufriedengestellt".63 Man könnte nun darauf verweisen, daß diese beiden Möglichkeiten der Trauer auf zwei jeweils alte Traditionen zurückgehen, einerseits auf stoische Lehre wie frühchristliche Trauerkritik und andererseits auf eine sehr bald von christlichen Autoren aufgegriffene griechisch-römisch-semitische Tradition der gesten- und symbolreichen Klage oder lamentatio. Aber solche Hinweise auf uralte Traditionen haben für eine Deutung des sozialen Sinns dieser Praktiken keinen großen Wert. Fragt man nach der Funktion der Klage Philipps, so verweist zunächst einmal die Art der Öffentlichkeit auf den Diskurszusammenhang. Die Öffentlichkeit oder monde, vor der Philipp sich beweisen mußte, die er "zufriedengestellt hat" mit seiner Klage, war die Öffentlichkeit des Hofes. Die Forderungen, denen Philipp sich also stellte und die er erfüllte, waren die Forderungen jener Gruppe von Leuten, die in besonderer Weise von Philipp abhängig waren und von denen Philipp in besonderer Weise abhängig war. Kurzum, Philipps richtiges Verhalten steht im Zusammenhang mit den Gehorsamsmodalitäten des Hofes. Philipp hat sich, so hat man es ihm ausdrücklich bescheinigt, korrekt verhalten. Hätte er die Forderung des Unglücksboten erfüllt, wäre er moderat geblieben - es wäre ein klares Fehlverhalten gewesen. Daß das Trauerverhalten in dieser komplizierten Weise institutionalisiert war, zeigt (wieder einmal), wie wenig man über Institutionen aus den normativen Texten erfährt. Fürstenspiegel sind keine Söhnespiegel, und deshalb muß sich der Fürst in diesen Spiegeln beherrschen. Daß man den klagenden prince also nicht in den Fürstenspiegeln findet, ist keine Frage von ,Norm-und-Praxis' oder , Ideal-und-Wirklichkeit' sondern allein eine Frage der Textgattung ,Fürstenspiegel'. Da Philipps Legitimität als Herrschaftsnachfolger gerade 61 Er wurde nach der Ermordung Johann Ohnefurchts erster Kammerherr des neuen Herzogs Philipp; vgl. genauer WERNERPARAVICINI, Guy de Brimeu. Der burgundische Staat und seine adlige Führungsschicht unter Kar! dem Kühnen (Pariser Historische Studien 121) Bonn 1975, S.60-62. 62 Chastellain, Oeuvres 1 (wie Anm. 12) S.62. 6' Ebd. S. 62 f: Vous aujourd'huy avez satis/ait aDieu et au monde. durch die Sohnschaft konstituiert war, durfte er sich nicht wie ein Fürst verhalten, sondern mußte zunächst ein guter Sohn sein. Die beiden gegensätzlichen Erwartungen sind nicht Produkt unterschiedlicher ,Kulturen', etwa hier einer ,archaischen' (wie man zuweilen liest) und dort einer christlichen oder kultiviert höfischen. Sie sind komplementäre Funktionen der sozialen Reorganisation, Produkt der unterschiedlichen Felder, die durch rituelle Wiederholung memoriert und wiederhergestellt wurden. Philipps demonstrative Trauer um den toten Vater gen au wie seine spätere Besonnenheit standen im Dienst der notwendigen Um-Organisation des sozialen und politischen Netzes, der Übertragung der lcal amour und vertu des herzoglichen Stabs vom Vater auf den Sohn. Philipps Klage vor der Öffentlichkeit des Hofes war Teil jener Arbeit der Umformung der Loyalitäten, der unmittelbar nach dem Tod beginnenden Arbeit an jenem für Gruppen notwendigen emotionalen "Kitt" (Simmel). Rückblickend zeigt dieses Ereignis, das sich an allerlei Einzelheiten leicht als exemplarisch erweisen läßt, nicht zuletzt eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung kulturellen Memorierens. Philipps Verhalten machte zum einen für jeden offensichtlich zwei verschiedene soziale Ordnungen gegenwärtig und re-etablierte sie damit. Zum anderen wurde etwa über die Rede des Unglücksboten das Verhalten Philipps objektiviert durch Erinnerung an historische und biblische exempla. Die Klage der Frau hingegen memorierte nichts als den Bestand kultureller Ordnungen. Sie vergegenwärtigte im Gegenteil die Grenzen kulturellen Ordnungsvermögens. Michelle klagte ohne spezifischen Bezug zum Toten, nahm das Ereignis zum Anlaß für eine Form trostlosen Philosophierens über die creature. Chastellains Bericht aus dem ,wirklichen' Leben gleicht auch in diesem Punkt den höfischen Romanen. In den Romanen haben die klagenden Frauen stets "den Part der stellvertretenden Besinnung und Kontemplation". Diese Kontemplation hat aber gerade nicht primär "kulturdeutende Funktion", ist gerade keine "Analyse ... der sozialen Bedingungen".64 Die Frau dachte nicht über die Kultur, sondern über die Kreatur nach, über die Unwägbarkeiten des Daseins - und zwar, ohne einen Aspekt aus der breiten Palette und der langen Geschichte der Trostargumente aufzugreifen. Ihre Klage - wenn man Michelies Verhalten verallgemeinern darf - ist ein memento eigener Art: Sie ist der gesellschaftliche Ort, an dem die ständige Gegenwart und Unüberwindbarkeit jener Unordnung des Daseins zum Thema wird, die sich jeder kulturellen Regelung entzieht. 64 Nach KÜSTERS, Umgang (wie Anm. 33) S. 73 f. richtet sich die stellvertretende Kontemplation der Frau auf die Kultur und die sozialen Bedingungen; dafür bietet sein Aufsatz indes ebensowenig einen Anhaltspunkt wie der hier untersuchte Text. III. Trauerauffassung und Bildidee: Über konträre exempla bei Giovanni Bellini und Andrea Mantegna Chastellain, der offizielle Chronist, hat über viele Seiten in einer kunstvoll geordneten Beschreibung die verschiedenen Trauerrollen Philipps 11. miteinander verbunden. Wie Philipp so brauchte auch der Chronist sich nicht zwischen Klage und Beherrschung zu entscheiden, konnte vielmehr das eine nach dem anderen zeigen. Anders aber als Chronisten oder Dichter konnten die Maler nicht so leicht beide Erwartungen zugleich darstellen. Entweder beherrschte eine Figur ihre Trauer oder aber sie klagte mehr oder weniger heftig. Viel deutlicher als die Chronisten oder Dichter mußten die Maler sich bei jeder Figur für eine Aussage entscheiden. Und vor dieser Situation standen die Maler nicht seiten, denn einige Standard aufträge erforderten zu jener Zeit Trauerszenen, Kreuzigungen etwa und Kreuzabnahmen, Beweinungen oder Grablegungen. Wenn Trauerverhalten so zeichenhaft war wie es Georges Chastellain und Alienor de Poitiers darstellten, dann dürfte es nicht beliebig gewesen sein, wie ein Maler die Gottesmutter trauern ließ und die anderen Marien, wie Johannes sich benahm und die übrigen Trauernden. Wie also wollten Betrachter, Auftraggeber und Künstler diese Figuren sehen? Welche Entscheidungsräume hatten Maler zu jener Zeit, als ein Chastellain in Burgund und ein Salutati in Florenz schrieben? Hatte die Vorstellung von richtiger Trauer Einfluß auf die Bildideen der Maler? Hat man aktuelles, ideales Trauerverhalten in die biblischen Figuren projiziert, und wenn ja, wie? Oder wurde die Trauer Mariens nach anderen Kriterien erarbeitet? Diese Fragen sind im Rahmen eines Aufsatzes kaum zu beantworten. Um immerhin die Problematik offensichtlich zu machen, bieten sich als exemplarische Antagonisten der Trauerdarstellung Andrea Mantegna (14311506) und Giovanni Bellini (ca. 1430-1516) an. Die beiden Oberitaliener arbeiteten zur selben Zeit in derselben Gegend, unter zumindest teilweise ähnlichen gedanklichen Einflüssen (Humanismus, Kunsttheorie Albertis) und im Blickfeld derselben Auftraggeber und Patrone. Sie arbeiteten inmitten umfassender Diskussionen über die richtige Trauer, inmitten ständig modifizierter Trauervorschriften der Städte.65 Beide haben sich mehrfach im Rahmen der üblichen Themen in verschiedenen bildlichen Medien mit der 65 Diese Felder seien hier ausgeklammert mit einem vorläufigen Verweis auf die Arbeit von DIANEOWENHUGHES,Mouming Rites, Memory, and Civilization in Premodern Italy, in: Riti e rituali nelle societa medievali, hg. v. ]acques Chiffoleau, Lauro Martines u. Agostino Paravicini Bagliani, Spoleto 1994, S. 23-38; eine ausführlichere Version dieses gekürzten Textes, die später publiziert wird, stand mir bereits zur Verfügung. Darstellung von Trauer befaßt. Sie haben dabei motivische Entscheidungen gefällt und zu Bildlösungen gefunden, die sich schon beim ersten Blick als sehr verschieden erweisen. Wie ist diese Verschiedenheit systematisch zu erfassen? Hans Belting hat den zeitgenössischen kunsttheoretischen Diskurs zum entscheidenden Kriterium eines überzeugenden Vergleichs gemacht und am Maßstab dieses Diskurses grundsätzliche Differenzen zwischen Bellinis und Mantegnas Umgang mit Trauer- oder Passionsdarstellungen konturiert.66 Es geht Beltings systematischem Blick weniger darum, was zu sehen ist, als vielmehr darum, wie es dargestellt ist. Er diskutiert die malerische "Rhetorik".67 Dabei gerät gerade das an den Rand des Blickfeldes, was hier interessant ist, nämlich die systematische Untersuchung der Trauerauffassung. Die Trauerauffassung der Künstler ist aber nicht einfach ein anderes Thema. Sie wird sich vielmehr als ein zentrales Kriterium auch für die Deutung der "Rhetorik" erweisen lassen. Um dies zu zeigen, soll Beltings Argumentation hier zunächst ausführlich referiert werden. Sodann wird ein Vergleich der Arbeiten Mantegnas und Bellinis zeigen, wie die Trauerauffassungen der beiden Künstler sich systematisch unterschieden. Dabei geht es um den Nachweis, daß man die konträren Bildlösungen Bellinis und Mantegnas besser erklären kann, wenn man neben dem kunsttheoretischen Diskurs auch die Trauerauffassungen zum Kriterium der Bildreihen macht. Für Mantegna war bei der Suche nach Bildprinzipien und motivischen Lösungen jener kunsttheoretische Diskurs ein zentrales Kriterium, der ebenso repräsentativ wie einflußreich in Albertis Theorie ,Über die Malerei' von 1435 formuliert worden ist.68 Eine Arbeit Mantegnas zum Thema Trauer, ein Kupferstich der Grablegung Christi, kann als Beispiel für den "neu ge66 Vgl. zum folgenden HANSBELTING, Giovanni Bellini. Pieta: Ikone und Bilderzählung in der venetianischen Malerei, Frankfurt a. M. 1985; weitere gewichtige Beobachtungen zur eigenständigen kunsttheoretischen Auffassung Bellinis liefert Belting nach in DERS.,Vom Altarbild zum autonomen Tafelbild, in: Funk Kolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, hg. v. WERNERBUSCH,München - Zürich 1987, S. 155-181, hier zu Bellini und Mantegna bes. S.173-180; BELTINGgreift für seinen Vergleich jene Arbeiten Mantegnas und Bellinis heraus, welche die Passion zum Thema haben (vgl. ebd. S.21 u. 38). 67 Vgl. ebd. S.14 und zur malerischen »Rhetorik" etwa ebd. S.42, 43 u. 45. 68 Leone Battista Alberti, Drei Bücher über die Malerei. Della pittura libri tre, in: Leone Battista Alberti's kleinere kunsttheoretische Schriften, hg. u. übersetzt v. HUBERT]ANITSCHEK (Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance 11) Wien 1877, S.45-163. bildeten Kanon antikisierender Kunst" gelten (Abb. l). 69 Alberti hatte erklärt, daß "eine Bilderzählung dann das Gemüt bewegen wird, wenn die darin gemalten Personen ihre Gemütsbewegung selbst heftig ausdrücken", da man "die Gemütsbewegungen an den Bewegungen des Körpers erkennt." Und: "Wir Maler wollen Gemütsbewegungen durch die Körperbewegungen ausdrücken. "70 Mantegna hat auf dieser Grablegung zehn Personen zu einer heftig bewegten Szene aufgebaut. Bis auf jene beiden Männer, die Christus ins Grab tragen, sind alle Personen mit der Klage beschäftigt. Bei den fünf Frauen der Szene wird dies zunächst durch stark verzerrte Gesichtszüge ausgedrückt, durch Furchen auf Stirn und Wangen. Einigen hat Mantegna den Mund weit geöffnet, so als habe er das laute Ausschreien der Klage festhalten wollen. Eine der schreienden Frauen71 reißt die Hände empor, ihr gelöstes, flatterndes Haar und ein ebenso flatterndes Gewand signalisieren eine äußerste Heftigkeit der Bewegung. Die Gottesmutter ist ohnmächtig zu Boden gesunken in die Arme einer Frau, die sie stützt und mit jammervollem Gesicht betrachtet. Eine weitere Frau sieht, händeringend und den Mund zur Klage geöffnet, die Ohnmächtige an. Die Trauer der Männer ist statischer, aber nicht minder klagend. Auch Johannes ringt die Hände,72 hat den Mund weit zum lauten Klageschrei geöffnet. Die Kraft seines Schreis läßt ihn die Augen zusammenkneifen, die Stirn herunterziehen, die Halsmuskeln in äußerster Spannung halten (vgl. Detail Abb. lO). Ein weiterer Mann im Hintergrund verhüllt gesenkten Hauptes mit dem Gewand sein Gesicht (vgl. Abb.l). In der Art der Dramatik setzt das Blatt Albertis Konzept von der Darstellung seelischer Erregung durch körperliche Heftigkeit ideal um. Auch die von Alberti geforderte Nachahmung der Antike und der Wettstreit mit der antiken Kunst, insbesondere der Skulptur, gilt in diesem Blatt als buchstäblich umgesetzt.73 69 Mit BELTING, Bellini (wie Anm. 66) S. 40; BELTING (ebd. S. 36) entlehnt DALL, Giotto genossen and the Orators, als "Musterblatt" keinen brauchbaren Oxford 1971, S. 121 H., die Annahme, für Albertis Theorie verbreitet worden; MICHAEL BAXAN- das Blatt sei unter ZeitBAXANDALLhat dafür aber Beleg. 70 Alberti, Della Pittura 2 (wie Anm. 68) S. 121: Poi movera l'istoria l'animo quando !i huomini ivi dipinti malta porgeranno suo propria movimento d'animo .... Ma questi movimenti d'animo si conoscono dai movimenti deI corpo; und S. 125: Ma noi dipintori i qua!i volliamo coi movimenti delle membra mostrare i movimenti dell'nimo. 71 Die Texte spechen regelmäßig vom "Schreien" der Leute, vgl. Chastellain (oben Anm. 34): reboutez fes cris; italienische n Die zum Gebet Mantegna, 73 Belege bei HUGHES, Mourning Rites (wie Anm. 65). gefalteten Hände sehen deutlich anders aus; vgl. etwa Ausst.kat hg. v. JANE MARTINEAU, London-New Vgl. die Beschreibung und Deutung York 1992, Nr.8, 9,44-47 von BELTING, Bellini (wie Anm.66) u. 70. S.36-41. Andrea Abb. 5: Donatello, Kalksteinrelief der Grablegung. Padua, Hochaltar von Sant' Antonio Abb. 6: Andrea Mantegna, Grablegung mit vier Vögeln. Wien, Graphische Sammlung Albertina Abb. 7: Planctus Mariae. Cividale, Museo Archeologico Nazionale, ms. CI fol.74r Abb. 12: Giovanni Bellini, Salbung Christi, Oberer Teil vom Pesaroaltar. Rom, Vatikanische Museen Abb. 14: (Stil von) Andrea Mantegna, Grablegung, an der Fassade von Sant'Andrea in Mantua Fresko Hans Belting hat dieses Blatt Mantegnas als Kontrast gewählt, um seine "überraschende Entdeckung" in den Arbeiten von Giovanni Bellini zu erläutern: Auch Giovanni Bellini hat die Theorie Albertis "befolgt" und hat dabei einen "Gegenentwurf" zu den Lösungen Mantegnas entwickelt.74 Bellinis Arbeit an diesem Gegenentwurf ist über etliche Jahre in einer Reihe seiner Werke zu beobachten. In vielerlei Versuchen hat er Bildlösungen zur Darstellung der Passion erprobt. Die erste Lösung, eine Pieta in Bergamo (1450-1460), folgte noch ganz der Bildformel der zeit- und raumlosen Pieta (Abb. 8).75 Bei seinen letzten Lösungen (Abb. 11-13) war die Bildformel der Pieta verschiedenen Kompositionen der szenischen Beweinung gewichen. Nach der Deutung Beltings ging es Bellini schon in einer seiner ersten Modifikationen der klassischen Bildformel (Abb. 2, um 1470) weniger um den Gegenstand als um eine "ästhetische Demonstration". Er hat seine Pieta explizit, nämlich durch einen Bildtext, als Anwendung der damals modernen Kunsttheorie Albertis kenntlich gemacht. Die Pieta der Brera wird nach dieser Deutung zum Exempel für eine "kopernikanische Wende ... in der Geschichte des gemalten Bildes": War das Werk "bisher auf seinen Gegenstand bezogen, .,. so wird es nun zum Anwendungsfall von ,Kunst'."76 Mantegna hat sich, so zeigt es Hans Belting, von Alberti die Orientierung an der antiken Skulptur angeeignet, hat Gefühle durch heftigen Gestus und dramatische Szenerie eingefangen. Bellini dagegen griff zu Albertis Rat, das Bild an der antiken Dichtkunst zu messen. Er suchte Alberti nicht wie Mantegna durch "Reichtum des Sprechstils", sondern durch "Lyrik der Ausdruckswechsel" , "Poesie des Leidens", durch "lyrische Tiefe" zu befolgen.77 Bellinis Arbeit an und mit der klassischen Bildformel der Ikone war demnach primär die Entwicklung eines eigenen Verständnisses der Theorie AIbertis. 74 Ebd. bes. S.28-48, Zitat S.36; schon RINGBOMhat geschrieben, Bellinis Pieta sei "a concise answer" auf Albertis Theorie; er hat aber nicht erläutert, was für eine Antwort Bellini gegeben hat; SIXTENRINGBOM,lcon to Narrative. The Rise of the Dramatic Close-up in Fifteenth Century Devotional Painting, 1965 (1984, aktualisiert durch ein Nachwort) S.108. 75 Die Arbeit, ein Frühwerk, wird entweder um 1450-1455 datiert oder 1455-1460; vgl. ANCHISETEMPESTINI,Giovanni Bellini. Catalogo completo dei dipinti, Florenz 1992, Nr. 2 S. 20 f. mit AufZählung der Datierungsvorschläge; BELTINGspricht nicht über dieses Bild, es läßt sich aber in seine ,Reihe' integrieren. 76 BELTING, Bellini (wie Anm. 66) S. 28; zu der Bildunterschrift ebd. S. 28-31; BELTINGdeutet diesen Text, einen Rückgriff auf ein Gedicht von Properz, als ein Bekenntnis zur Theorie Albertis; eine andere Deutung bei RONAGOFFEN,Giovanni Bellini, New Haven - London 1989, S. 71 f.; das Bild wird im allgemeinen um 1470 datiert; vgl. Übersicht über die Lit. bei TEMPESTINI,Bellini (wie Anm. 75) Nr. 10, S. 50 f.; abweichend (um 1460) GOFFEN,Bellini; S.72. 77 Mit BELTING, Bellini (wie Anm. 66) S. 13, 40 u. 45. Gegenstand dieser Deutung Beltings ist die Suche eines Malers nach einer spezifischen Rhetorik in einer Zeit langsamer Autonomisierung der Kunst, eines Funktionswandels der Bilder, eines Rollenwandels der Künstler.78 Es geht um die Modi, mit denen ein ehemaliger "Ikonenmaler" wie Bellini sich von seiner "alten Bildformel" befreite, indem er nach "einer neuen Sprechlage", nach "dramatisierten und reicher orchestrierten" Bearbeitungen des alten Sujets suchte, der tradierten Bildformel zunehmend "Handlungsqualitäten" abrang, bis schließlich - ohne daß man eine gerade Entwicklung nachzeichnen könnte - eine dem Zeitgeschmack entsprechende szenische Erzählung ins Bild gesetzt war, Bellini also zu einer anderen Bildkategorie gefunden hat.79 Kriterium dieser wissenschaftlichen Deutungen und Bildreihen ist somit das Ziel, Bellinis Anstrengungen als eine eigenwillige Bewältigung der Theoreme Albertis zu deuten. Im Raster dieser wissenschaftlichen Perspektive läßt sich augenscheinlich eine Vielzahl zentraler bildstrategischer Entscheidungen plausibel erklären. Sie zeigt Such- und Lösungsprozesse etwa für das Verhältnis der Personen zur Landschaft, für den Aufbau der Gruppen, die Integration der Personen in die Gruppen, für eine Dramatisierung jenseits der wenig subtilen Dramatisierungen im Stile Mantegnas, ebenso für den von Alberti (und vom Publikum) geforderten Vergleich mit der Antike. Kurz, die Logik der kunsthistorischen Bildreihen Beltings folgt den "Prinzipien jener neuen Asthetik [... ], die Bellini anwenden wollte".80 Nur unsystematisch kommt bei dieser Forschungsperspektive zuweilen auch die Auffassung der Künstler oder Betrachter vom Gegenstand - Trauer, Passion zur Sprache. Diese Studie hat das gemalte Bild systematisch als "Anwendungsfall von ,Kunst'" betrachtet. Sie hat die Auffassung des Künstlers vom Gegenstand nicht als eine mögliche zweite Kategorie für die Aufstellung und Deutung der Bildreihen diskutiert. Der Bildgegenstand erscheint eher als jene Fessel, Kondition oder Vorgabe, die sozusagen die Ränder des Spielfeldes künstlerischer Inventionen definierte. 78 Zu diesen generellen Stichworten kann hier ein Verweis ausreichen auf die Darstellungen von MICHAELBAXANDALL, Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1984, von PETERBURKE,Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung, Berlin 1984, sowie auf HANS BELTINGS Kurzfassung seiner Forschungen in: Altarbild (wie Anm. 66). 79 BELTING, Bellini (wie Anm.66), Zitate 5.21,45,47 u. 66. 80 Ebd. 5.31 (Kursive BJ.). Es liegt in der Natur wissenschaftlicher Fragestellungen, daß der Blick auf die Ränder des beleuchteten historischen Feldes unschärfer wird. Beltings Studie ist da keine Ausnahme. Wer sich für die Darstellung der Trauer interessiert, der wird etwa die Haltung des ]ohannes auf der Brera-Pieta (Abb. 2) sicher als klagend deuten und auch eine gewisse Bewegung des Körpers konstatieren. Aber Attribute wie "laute Klage" und "brüske Drehung" wird man eher für Gestalten auf Mantegnas Arbeiten (Abb. 1 u. 6) reservieren. Auch ist es natürlich möglich, die Beweinung im Dogenpalast in Venedig als eine "Hektik der Gefühlsäußerungen" zu deuten (Abb. 9).81 Aber wenn man die Beweinung im Dogenpalast mit den beiden Grablegungen Mantegnas vergleicht (Abb. 1 u. 6), so wird man vielleicht das Attribut ,hektisch' eher für manche Figuren auf Mantegnas Arbeiten verwenden wollen. Im Bereich des Gegenstandes ,Trauer' war den Malern weniger vorgegeben, als es zunächst erscheinen mag. Besonders bei Giovanni Bellini werden einige Bildlösungen als systematische Entscheidungen deutlich, die sich weder mit dem kunsttheoretischen Diskurs erklären lassen noch etwa mit besonders strengen Traditionen an Bellinis Wirkstätte Venedig. Diese Entscheidungen haben mit der Auffassung von Trauer zu tun. Bellinis Entwicklung von Darstellungsformen und Bildprinzipien läßt sich als ein Versuch verstehen, zwei Kriterien der Bildgestaltung zum Ausgleich zu bringen: die Anforderungen des kunsttheoretischen Diskurses und seine Auffassung vom Gegenstand ,Trauer'. Um dies zu zeigen, bedarf es neben dem Blick auf den kunsttheoretischen Diskurs einer ebenso systematischen Deutung der Auffassung Bellinis vom Gegenstand. Eine erste Betrachtung zweier Skizzen von Giovannis Vater ]acopo Bellini kann zeigen, wo der Blick auf die Kunsttheorie der Ergänzung bedarf. ]acopo hat in seinen Skizzenbüchern mehrere Beweinungen entworfen. Auf zweien davon (Abb. 15 und 16) hat Belting eine Rhetorik ausgemacht, welche die Figuren "eher hektisch auf die geforderte Affektlage gezwungen" hat.82 Wem es um die gesellschaftliche Regelung von Gefühlen geht, der wüßte nun gerne, welcher Art diese "geforderte Affektlage" war und wer sie gefordert hat. Folgt man dem, was die Schriftzeugnisse sagen, so gab es nicht die geforderte Affektäußerung, sondern es gab zumindest zwei geradezu gegensätzliche Forderungen. Somit wäre besonders interessant, was 81 82 Zitate ebd. 5.13 u. 56. Ebd. 5.51. zu fern" erscheinen lassen. Aber die narrative Differenz, die auf anderen Arbeiten überdeutlich zutage tritt, ist auch im Vergleich dieser beiden Andachtsbilder schon sichtbar. Und dies, so sei schon hier vermerkt, läßt sich nicht einfach damit erklären, daß Bellini anders als Mantegna an einer tradierten Bildformel festgehalten hat (vgl. Abb.2 und 3). Bei Mantegna trauert die Gottesmutter mit einer weiteren klagenden Frau und Johannes. Zwar verleiht die Dominanz des toten Christus auf dem mächtigen Stein der gesamten Szene Ruhe. Aber ganz im Gegensatz dazu und an den äußersten linken Rand gedrängt - sind die Trauernden schmerzverzerrt, weinend und klagend dargestellt. Von Johannes ist nur der zur Klage weit geöffnete Mund zu sehen, die dritte Klagefigur windet die Hände, hat den Mund zur Klage geöffnet und aus dem beinahe geschlossenen Auge rollt eine Träne. Der Mund der Gottesmutter trägt den Ausdruck des nicht kontrollierten Weinens, auch sie verliert Tränen. Mantegna brauchte nicht viel Platz, um mit wenigen Standards das ganze Register der Totenklage abzurufen - ein weit geöffneter Mund für die Klage, die Mundhaltung unkontrollierten Weinens, als solle man den Unterkiefer zittern sehen, ferner das Ringen der Hände als ein Handlungsmuster, das andere Vorstellungen wachruft, etwa das Raufen der Haare oder das Küssen des Leichnams.86 genau die Maler dargestellt haben. Bei Giovanni Bellinis Pieta in der Brera (Abb. 2) hat Belting besonders die Wahl der Nahsicht, aber auch den Umgang mit Licht und Farbe als eine Rhetorik gedeutet, die "für seelischen Ausdruck ein anderes Register zur Verfügung" stellte als die "dramatische Bühnenhandlung" Mantegnas.83 Wiederum wüßte man gerne: für welchen "seelischen Ausdruck"? Hatten Bellini und Mantegna nur verschiedene Auffassungen von der Theorie Albertis, von der malerischen Rhetorik, oder hatten sie auch verschiedene Auffassungen vom geforderten Gegenstand, vom korrekten "seelischen Ausdruck" der Beweinungen und Grablegungen? Diese Beispiele mögen ausreichen, um das Interesse zu präzisieren. Ein Künstler, der Trauer darstellen sollte, hatte keinen eindeutigen gesellschaftlichen Code zur Verfügung, den er ins Bild setzen konnte. Und so wird man damit rechnen müssen, daß Bellini und Mantegna nicht nur eine verschiedene Rhetorik hatten, sondern auch verschiedene Auffassungen vom Gegenstand ins Bild setzten. Ein genauer Blick auf die Trauer im Werk der beiden Künstler wird zeigen, daß Bellinis Verweigerung der gängigen Bühnenrhetorik nicht zuletzt im Dienst einer streng durchgehaltenen Deutung des Gegenstandes stand. Die Auffassung vom Gegenstand zwang ihn zur Suche nach geeigneten bildlichen Mitteln und einer eigenwilligen Deutung des kunsttheoretischen Diskurses. Um den Beweis anhand der einschlägigen Werke anzutreten, empfiehlt sich zunächst der Griff nach einem eindeutigen Beispiel. Dazu bietet sich der Vergleich von Arbeiten an, die derselben Gattung angehören und außer den hier interessanten Differenzen eher durch Ähnlichkeit auffallen. Wenn man mit Belting die Auffassung teilt, daß Mantegnas Andachtsbilder "im Sentiment Bellinis Pieta gar nicht zu fern" sind,84 dann bietet sich ein Vergleich zweier Andachtsbilder an, um zu zeigen, daß sie in der Trauerauffassung einander keineswegs nah, vielmehr programmatisch voneinander verschieden sind. Deutlich wird dies, wenn man etwa Bellinis Pieta in der Brera (Abb. 2) vergleicht mit Mantegnas Beweinung des toten Christus (Abb. 3).85 Die Ruhe, das milde Licht und die gedämpfte Farbigkeit mögen die Stimmung oder das "Sentiment" der bei den Kompositionen als "nicht Ganz anders Bellini. Man hat an dieser Maria Bellinis den "in Trauer erblindeten Blick" hervorgehoben und insgesamt an seinen Pieta-Darstellungen beobachtet, daß "die menschliche Qual in einen läuternden Schmerz vergeistigt zu sein scheint" oder daß Bellini "Trauer als einen kontrollierten Akt der Verehrung" dargestellt hat, als "eine von historischen Gestalten vorgelebte Andacht".87 Wo Mantegna allbekannte Klagemotive zitiert, greift Bellini für seine regungslose Maria, Wange an Wange mit dem toten Christus, ein Liebesmotiv auf. Während Mantegna sogar in einer weitgehend beruhigten Szene noch am Bildrand die Bewegung der klagenden Trauer signalisiert, besteht Bellini auf äußerer Bewegungslosigkeit trotz offensichtlichen Schmerzes. Man wird sich an die zitierte Forderung Salutatis erinnert fühlen, "unbewegt von den Gefühlen" Tod und Begräbnis des geliebten Sohnes zu überstehen. Oder an jenen Unglücksboten, der von Philipp dem 83 Ebd. S.40 u. 36 sowie zu Licht und Farbe ergänzend BELTING,Altarbild (wie Anm.69) S.178f. 84 Ebd. S.42 über die Pieü in der Brera. 85 Die Datierungsvorschläge für dieses Werk schwanken von ,vor 1480' über ,1480-1490' bis in die letzten]ahre Mantegnas; vgl. die Übersicht bei RONALDLIGHTBOWN, Mantegna. With a Complete Catalogue of the Paintings, Drawings and Prints, Oxford 1986, S. 422 f., Nr. 23; LIGHTBOWN selbst plädiert für 1480-1490; keinen Grund scheint es, folgt man LIGHTBOWN, für die zuweilen geäußerte Annahme zu geben, daß die Trauernden nachträglich ergänzt worden sind. 86 ANDREAS PRATER,Mantegnas Cristo in Scurto, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 48 (1985) S.279-299, macht plausibel, daß der eigentliche Bildgegenstand der Salbstein ist, auf dem Christus liegt und auf dem nach der Legende die Spuren von Marias Tränen sichtbar sind. Demnach wäre die heftige Marientrauer für die Bildaussage geradezu konstitutiv. 87 BELTING, Bellini (wie Anm. 66) S. 12; LUISAVERTOVA,Art. Bellini Giovanni, in: Kindlers Malerei Lexikon I, S.287-296, S.289; GOFFEN,Bellini (wie Anm.76) S.128: "Grief as a controlled act of veneration" (über den obersten Teil des Pesaro Altars; vgl. Abb. 12); PRATER, Cristo (wie Anm. 86) S.289 (zu demselben Bild). 88 Guten forderte, die Gefühle "im Griff der Tugend" zu halten. Die Eri~nerung an diese eingangs referierten Texte mag vermuten. I~ss.en, ?aß die Gesichter auf diesen beiden Bildern Mantegnas und Belhms Jeweils Programm sind, daß sich hier die beiden Standardregister d~s Trau~r:erhalte~s gegenüber stehen. Dazu paßt, daß Bellini allen Fig~ren einen He~hgenscheIn gab, Mantegna aber nur dem toten Christus. ~s ging u~ verschiedene Botschaften. Mantegnas Maria ist eine herzzerreißend weinende Mutter (und vielleicht Witwe89). Bellinis Maria ist eine Heilige mit dem entsprechenden Attribut. Sie ist historisches Exemplum heiligmäßigen Verhaltens (vgl. Abb.4). Nun könnte man einwenden, diese unterschiedliche Darstellung der Gefühle hinge weniger mit den Auffassungen als vielme?r mit ~en Bil?formeln zusammen. Bellini hat sich anders als Mantegna an eine tradierte BIldformel gehalten, die ihn möglicherweise zu dieser Trauerdarstellun.g ~w~ng. Dem aber ist nicht so. Zunächst verlangte die Bildformel der pzeta mcht nach stummer Trauer. Man betrachte nur die Pieta im venetianischen Dogenpalast (Abb. 9), die, wer immer sie gemalt hat, nicht die Handschrif~ Giovan~i Bellinis trägt.90 Anders als in Giovannis Pi~~a in ~er Brera s~lI.dl.ese Mana des Dogenpalasts augenscheinlich klagen. Uberdles hat Bel~InIdl~ stumme Trauer nicht an die Bildformel der Pieta gebunden. Er hat bel der BIldformel der Pieta lediglich seinen Ausgangspunkt genommen. Die stummen und unbewegten Körper der Trauernden aber hat er auch dann beibehalten, als er zur Erzählung, zur Bildform der Beweinung, Grablegung oder Salbung gefunden hatte (vgl. bes. Abb. 13). Wir wissen nicht was die Auftraggeber vorgegeben haben. So kann man nur nach Indizien fur die Frage suchen, ob die Auftraggeber das Thema bis in den Ausdruck der Trauernden vorgegeben haben oder aber Bellini hier Freiraum hatte. Ein solches Indiz ergibt sich aus der Betrachtung der übrigen einschlägigen Arbeiten Mantegnas und Bellinis. Es wird sich zeigen, daß •• Vgl. oben S. 219 f.; Salutati ist ein Beispiel für jene klagefeindlic~e Haltung der italienischen Humanisten, die HUGHEs, Mourning Rites (wie Anm. 65) beschneben hat. . . .9 Zu prüfen bleibt an anderer Stelle, ob und inwiefern die Vor.stel~ung vo.n Mana als ~Itwe die Bildinhalte beeinflußt hat, derart, daß Maria als exemplum nchtlger Witwenschaft .dlenen konnte so wie es im Mittelalter gelegentlich gepredigt wurde; vgl. etwa Aelred von Rievaulx Sermo ~9,5, hg. v. GAETANO RACITI(Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis .za) ~urnhout 1954, S.313: Si autem uis considerare ftuctum uiduitatis eius, coglta dias lacnmas luxta crucem filii sui, illas orationes et suspiria post ascensionem filii sui; Sermo 4.5,2?, eb~. S.358: Possumus sine dubio uocare eam uiduam, quae post ascensionem filii sui et sponsl SUl spreult omnem gloriam mundi, nisi tantum 90 omnes delicias, omnes uoluptates, omnes ~onores, et in nulla alia re delectabatul; in lacrimis suis et desiderio quod habebat uenzendl ad eum. Vgl. zu den Problemen mit dieser Arbeit unten Anm.l00. Bellinis stumme Figuren Programm waren. Und schon ein rascher Blick auf andere zeitgenössische Behandlungen des Themas - etwa auf Donatellos berühmte Grablegung in Padua (Abb. 5) oder in die Skizzenbücher des ] acopo Bellini (Abb. 15 u. 6) - läßt vermuten, daß Mantegna die geläufige und Bellini die eigenwillige Darstellung der Trauer zeigt. Mantegna hat zwei Grablegungen hinterlassen. Neben der bislang diskutierten Version (Abb. 1) wird ihm zumeist eine sogenannte Grablegung mit vier Vögeln zugesprochen (Abb. 6).91 Auf beiden Blättern läßt Mantegna seine Maria ohnmächtig werden, auf beiden auch bringt er eine händeringende Figur unter sowie einen männlichen Pleuranten. In der einen Version mit vier Vögeln gibt er ]ohannes die Pleurantenhaltung, in der anderen ist der Pleurant eine Hintergrundfigur, während ]ohannes eine eigenständige, statische Klagehaltung bekommen hat. Von den vielen Aspekten, die den augenfälligen Unterschied in der Dynamik der beiden Blätter ausmachen, sind hier besonders zwei zu bemerken: Gegenüber der Version mit vier Vögeln ist in das zweite Blatt eine heftig klagende Frau mit emporgerissenen Armen aufgenommen, und der Schmerz in den Gesichtern der Frauengruppe mit der ohnmächtigen Maria ist viel ausdrücklicher formuliert. In dieser Version schuf sich Mantegna die Möglichkeit, das Klageverhalten in einer exemplarischen Vergangenheit als geschlechtsspezifisches Verhalten deutlich zu machen: Besinnungslose Trauer in den Formen der Ohnmacht und der heftigen Unbeherrschtheit bei den Frauen, eine statische Klage im Besitz der Sinne bei den trauernden Männern (vgl. Abb. 1). Mantegna hat diesen thematischen Standard in verschiedenen Weisen erzählt. Die Kreuzigung für den Altar von San Zeno in Verona (heute im Louvre) zeigt ]ohannes in ähnlicher Haltung wie auf dem Musterblatt, Maria sinkt wiederum ohne Kontrolle über ihren Körper in die Arme zweier Frauen, die hinter ihr stehen und sie auffangen. Eine vierte Frau in dieser Gruppe ähnelt im ,Sprechstil' den drei anderen. Mit einer fünften Figur hat Mantegna dann allerdings, anders als auf den Stichen, auch eine andere Form der Trauer ins Bild gesetzt. Die Figur steht unbewegt, die Arme vor dem Körper verschränkt, etwas abseits der Gruppe, wendet das Gesicht vom 91 Diese gängige Auffassung etwa bei DAVID LANDAU,in: Kat. Mantegna (wie Anm. 72) S. 183 Nr. 29 f.; zuweilen wird dieser Stich auch als Kopie einer Zeichnung Mantegnas betrachtet (so LIGHTBOWN, Mantegna (wie Anm. 85) S. 491 f. Nr. 215); er wird um 1465 datiert (LANDAU,Kat. Mantegna Nr.29 S. 183); der von BELTINGals Paradebeispiel herangezogene Stich wird in die frühen 1470er Jahre datiert (LANDAU S.202). Gekreuzigten ab und sieht ohne jeden Ausdruck der Klage ins Leere. Dieses Aufgreifen eines alternativen Trauerverhaltens ist auf keiner anderen Trauerd ars teilung Mantegnas zu finden. Wo das Thema auftaucht, hat Mantegna seine rhetorischen Fähigkeiten auf die Inszenierung des Klagegestus verwandt.92 Aus der Vielzahl von Künstlern, die Mantegnas Sicht der Trauer teilen, sei allein Donatello genannt, dessen Rhetorik nicht minder eindrücklich ist als die Mantegnas. Donatello hat in seinem berühmten Relief in Padua (Abb. 5) über Mantegnas Formelschatz hinaus auch jener Figur gedacht, die sich die Haare rauft.93 Sucht man den Diskurs zu skizzieren, in dem diese Bilder ,argumentierten', so ist natürlich der Hinweis richtig, daß die Klagende mit den emporgerissenen Armen von den antiken Meleagersarkophagen bekannt war. Und sicher war es wichtig, daß Alberti gerade diesen Typus von Sarkophagen zur Nachahmung empfohlen hat. Auch ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die Antiken-Versessenheit der Zeitgenossen richtig, auf die Lust an verschlüsselten Bildern, an der "Entzifferung, die nur der Elite offensteht".94 Man kann die kontroversen Positionen dieser Bilder im Diskurs einer Elite fixieren, die mit Vorliebe antike Stoffe entzifferte und alte Sarkophage studierte. Aber dieser Diskurs war nicht der einzige, in dem die Arbeiten kontroverse Positionen einnahmen. Sie stellten Trauer dar, und so waren die theatralischen Muster, die Mantegna ins Bild setzte und Donatello skulptierte, auch Teil jener sozialen Arbeit an der permanenten Definition der richtigen Trauer und ihrer Bedeutung. Ein Gutteil des ,Sinns' in '2 Abb. der Kreuzigung für San Zeno in Verona (wie Anm. 85) S. 406 f. Nr.9 Mantegna Maria, mit Abb. 3; eine unsicher S. 479 Nr. 171 mit Abb. 201) beschränkt die, den Stichen ähnlich, klagender Frauen; ist weinend ]ohannes mit zum Gebet erhobenen mit zerfurchter Händen Stirn still trauernd umsorgt wird; (LIGHTBOWN, am Boden liegende zwei süditalienische mit Abb. l72a/b) Beweinungs-Motiv dargestellt, stellt an anderen und ]ohannes Maria Grable- zeigen Varianten stellen drei dar; Maria händeringend Magdalena und weinend, (ebd. S.483 Nr. 184 mit Abb. 214 und Kat. Man- S.223 Nr. 50); eine geschlechts Trauernden Magdalena Kreuzigung von den Fünf Zeichnungen für ein Kreuz im Städel/Frankfurt tegna (wie Anm.12) Maria zugeschriebene (ebd. S.465 Nr.91 mit jeweils einer Figur das zergliederte der um Christus Louvre) bei LIGHTBOWN, Mantegna sich auf die ohnmächtig von drei Frauen gungen nach einer Arbeit von Mantegna Medaillons (Paris, spezifische Differenzierung des Verhaltens Bildern CORDULABISCHOFFfest; vgl. DIES., Maria, - Trauerarbeit mit verteilten Rollen, in: Maria in der Welt, hg. v. CLAUDIAOPITZ, HEDWIG RÖCKELEIN, GABRIELASIGNORI u. GUY MARCHAL, Zürich S. 139-151; im ganzen lassen sich die Beobachtungen, nicht leicht auf die hier untersuchten '3 Vgl. CHARLES AVERY, Donatello. Nr. 63; vgl. auch ebd. Nr.69 heftiger Trauer Italien, München '4 Bildreihen Catalogo die Bischoff an ihrer Bildauswahl completo vgl. etwa die Abbildungen Dann Maria: ,,(Schlägt die Hände) oh Schmerz, oh Schmerz, wofür also? ... " ... und in diesem Stil weiter. Man schlägt sich immer und immer wieder, einmal auf die Brust, einmal in die Hände, hebt die Arme, läßt sie sinken (laxatis manibus), wirft sich nieder, "zeigt die Tränen", umarmt sich. In dem erhaltenen Text wird Maria nicht ausdrücklich ohnmächtig, aber der Text und die Anweisungen sind nicht vollständig erhalten.95 Kurz, Maler wie Mantegna haben die historisch-mythischen exempla der Trauer nicht anders reproduziert als die Schauspieler. Dies indes war, wenn man die Diskussionen der Humanisten betrachtet, keineswegs selbstverständlich. Die populären Trauerpraktiken waren dem nicht fern, was auf den antiken Meleagersarkophagen zu sehen war. Während aber die populäre heftige Klage zum Ziel gebildeter Kritik und städtischer Verbote wurde, 96 waren den Künstlern gerade jene Sarkophage zur Nachahmung empfohlen, auf denen die Figuren heftig klagtenY Dabei hatten die Kunstkenner keineswegs aus dem Blick verloren, daß die gemalten Figuren dem Betrachter als Vorbilder dienten. Die Figur im Bild sollte so beschaffen sein, schrieb 95 Tbe drama of the medieval '6 Vgl. HUGHEs, Mourning delle opere, und weitere Florenz bei BELTING, Bellini (wie Anm. 66) S.76. 1991, S.103f. Beispiele der Darstellung bei ]OACHIM POESCHKE, Skulptur 1990. Diese Hinweise "Magdalena: (hier wendet sie sich mit ausgebreiteten Armen an die Männer) Oh, Brüder, (hier an die Frauen) oh, Schwestern, wo ist meine Hoffnung, (hier schlägt sie sich auf die Brust) wo ist mein Trost (hebt die Hände empor) wo das ganze Heil (wirft sich gesenkten Hauptes Christus zu Füßen) oh mein Herr ... " 1993, machte, übertragen. u. 78; für einen Querschnitt den Bildern gehörte also zum Alltagswissen, zum geläufigen Schatz jener historischen Exempla, in die man die Normen und Auffassungen der Gegenwart projizierte. Ohne ein Kenner der modemen elitären Beschäftigungen zu sein, stieß man etwa bei Donatello und Mantegna auf dieselben Muster wie zu Ostern bei den Passionsspielen. Seit dem 13. Jahrhundert waren sie üblich, und ein Beispiel aus dem Cividale des späten 14. Jahrhunderts mag einen ganz anderen Kontext zeigen, in dem diese Bilder einen Sinn bekamen. Im Manuskript dieses Passionsspiels sind zwischen dem Text und den Noten in kleiner Schrift Regieanweisungen notiert, die dasselbe Repertoire verwenden, wie es die Maler benutzten (Abb. 7): der Renaissance in church I, hg. v. KARL YOUNG, Oxford 1962, S.507-512. Rites (wie Anm.65) . • 7 Vgl. Alberti, Pittura (wie Anm. 68) S.l13: Lodasi una storia in Roma nella quale Meleagro morto portato adgrava quelli che portanto il peso et in se pare in ogni suo membro ben morto; freilich hat Alberti die Leblosigkeit dieser Sarkophage nicht die Heftigkeit des toten Körpers; als Vorbilder der Klage besonders gleichwohl dienten. betont, ist offensichtlich, sondern das Gewicht und daß auch die Klagefiguren Alberti, "daß sie dich einlädt, zusammen mit ihr zu weinen oder zu lachen."98 Die Bildfiguren also luden die Betrachter zu eben jenem Verhalten ein, das man den Trauernden in den Leichenzügen abgewöhnen wollte. In diesem Spannungsfeld der Erwartungen hat Bellini eine andere Position bezogen als etwa Mantegna. Er hat die Trauer der Friedhöfe und Passionsspiele - und eben auch der Meleagersarkophage und der Figuren Mantegnas - verweigert. Diese Verweigerung zwang ihn, auch das Spiel der gebildeten Eliten anders zu spielen als Mantegna. Die Auffassung vom Gegenstand führte zu einem anderen Umgang mit den kunsttheoretischen Anforderungen. Viel konstanter und konsequenter als Mantegna hat Giovanni Bellini an seiner Version der Trauer im Bild gearbeitet. Die Version in der Brera war nicht die erste Auseinandersetzung Bellinis mit dem Thema. Eine noch frühere Pieta Bellinis hängt heute in Bergamo (Abb. 8).99 Die Rhetorik, mit der Bellini hier Trauer darstellt, ist noch schlicht und altvertraut. Die Mundwinkel Mariens sind nach unten gezogen, und Johannes erscheint in der traditionellen Formel des Mittelalters mit der Hand an der Wange. Aber was Bellini darstellte, unterschied sich schon auf dieser Tafel von dem, was etwa im venezianischen Dogenpalast zu sehen ist (Abb. 9). Daß die Datierung der Arbeit im Dogenpalast ebenso unklar ist wie die malende Hand, ist hier nicht wichtig. Ob man das Bild für ein Werk J acopos hält (Belting) oder für ein Frühwerk Giovannis im Schatten des Vaters (Belting, Goffen), für ein Werk beider zusammen mit Gentile Bellini (Eisler) oder gar für eine Arbeit aus den siebziger Jahren von einem Assistenten Giovannis (Robertson), unumstritten fügt die Arbeit sich - nach stilistischen Kriterien - nicht gut ins eigenständige Werk Giovanni Bellinis ein.loo Und, so sei hier hinzugefügt, sie paßt ebensowenig ins Werk Bellinis, wenn man als Kriterium nicht Stil, sondern seine Auffassung vom Gegenstand wählt. Auf der Darstellung im Dogenpalast ist eine Maria ins Bild gesetzt, die den Mund zur Ebd. S. 123: 0 te inviti ad piagniere con 101'0 insieme 0 a ridere. Vgl. oben Anm. 75. 100 BELTING: Bellini (wie Anm. 66) S. 56: "Entweder stammt die Tafel aus ]acopos Werkstatt oder sie ist ein Frühwerk Giovannis, das noch ganz in]acopos Schatten steht"; GOFFEN,Bellini, (wie Anm. 76) S.72 f., weist sie dem frühen Giovanni zu und datiert vor 1460; den Hinweis von A. M. ZANETTI,Della pittura veneziana, Venedig 1771, S. 49, auf ein mittlerweile entferntes Datum 1472 hält GOFFENfür einen Lesefehler Zanettis; COLINEISLER,The Genius of ]acopo Bellini. The complete Paintings and Drawings, New York 1989, S.65 und catalogue raisonne S. 520 f.; GILESROBERTSON, Giovanni Bellini, Oxford 1968, S. 46 f., diskutiert ihn als glaubwür98 99 lauten Klage geöffnet hat. Eine solche Darstellung findet sich in den eigenständigen Arbeiten Bellinis nicht. Schon auf Giovannis frühester eigener Version der Pieta in Bergamo bleibt der Mund Mariens geschlossen. Maria klagt nicht. Diese Pieta aus Bergamo ist hier ein geeigneter Beginn, da sie eine der ersten Arbeiten Bellinis ist, die nicht mehr deutlich die Handschrift des Vaters trägt. 101 Daß Giovanni Bellini mit dieser Arbeit seine eigene Auffassung von der Trauer jener christlichen exempla darzustellen beginnt, wird nun auf zwei Weisen zu zeigen sein: zum einen durch seine späteren Arbeiten und zum anderen im Vergleich seiner Arbeiten mit der Trauerdarstellung des Vaters Jacopo. Giovanni Bellini hat sich bei der Pieta in Bergamo gegen die Darstellung einer klagenden Trauer entschieden. In den folgenden Werken kann man beobachten, daß diese Entscheidung eine konsequente Verweigerung der gängigen Darstellung von klagender Trauer war. Besonders aber ist zu erkennen, daß Bellini im Verlauf seines weiteren Arbeitens einen Weg gesucht hat von der negativen Aussage der Klageverweigerung zur positiven Formulierung einer anderen Trauerhaltung. Den heiligen Johannes hat Bellini sowohl in seiner ersten Pieta in Bergamo (Abb. 8) wie in der nächsten in der Brera (Abb. 2) noch klagen lassen, ehe er einen Johannes schuf, der nicht mehr klagend trauerte. Aber schon in der Version der Brera legte Bellini die Klage einem Johannes in den Mund, dem alle Heftigkeit der Bewegung, ja beinahe jede Bewegung fehlt. Der dem Geschehen ab gewandte Kopf verrät nicht mehr, wann er sich abgewandt hat, die Locken demonstrieren Bewegungslosigkeit der Figur (Abb. 10). Als hätte Bellini eine Gegenfigur zu Mantegnas Johannes der Grablegung (Abb. 10) schaffen wollen, klagt Bellinis Johannes in der Brera mit kraftlosem Gesicht, ohne Einsatz jener Muskelspannung, die das Gesicht von Mantegnas Johannes kennzeichnet. Auch die Maria der Brera (Abb. 2) sendet bereits eine deutlich andere Botschaft aus als die Maria in Bergamo (Abb. 8). Bellini verweigert nicht mehr nur die Darstellung eines common sense, sondern er erprobt eine Gegenaussage. Die "lyrische Tiefe" (Belting) dieser dig und vermutet einen "fähigen Assistenten" Giovanni Bellinis als Maler; wie auch immer, das Konzept der Arbeit geht nicht auf Giovanni zurück. 101 GOFFEN,Bellini (wie Anm. 76) S. 68, deutet die Arbeit als eng verwandt ("closely related") mit einer Grablegung aus ]acopos Skizzenbuch (Abb. 16), ohne dies näher zu spezifizieren; es spricht einiges gegen diese Deutung, dazu unten S. 245 f. Arbeit gilt der Darstellung eines Schmerzes, der innen bleibt, beherrscht von einer Maria, deren Körper äußerlich kaum bewegter ist als der des Toten. Bellini hat diese Darstellung der stummen Trauer natürlich nicht erfunden,102 aber er hat sie zum Programm gemacht und hat nach überzeugenden, ,modemen' Bildlösungen für seine Auffassung gesucht. Der kunsttheoretische Diskurs, der einen Mantegna als Meister feierte, war einerseits unumgängliches Kriterium für Bellinis Bildlösungen und andererseits das gedankliche Feld, in dem er die Darstellungsprinzipien für seine eigenwillige inhaltliche Auffassung entwickeln konnte. Die Beweinungen in Berlin und im Vatikan (Abb. 11 u. 2) zeigen Versuche Bellinis, seine Version des ruhigen, stummen, kontrollierten Schmerzes in den ,modemen' szenischen und dramatischen Bildformen zu bannen. Am deutlichsten wird dieser Versuch Bellinis, eine eigenwillige Trauerauffassung mit den modemen Mitteln darzustellen, in seiner späten Florentiner Beweinung (Abb. 13). Diese Arbeit hat auffallende Ähnlichkeit mit dem Fresko einer Grablegung, das die Fassade von Sant' Andrea in Mantua ziert (Abb. 14).103 Die sehr schlecht erhaltene Arbeit zeigt den Stil Mantegnas, wenn sie sich auch nicht als Arbeit Mantegnas erweisen läßt.l04 Trotz des schlechten Zustandes des Freskos ist die Ähnlichkeit im Bildaufbau mit Bellinis Beweinung gut zu erkennen. Beide Arbeiten zeigen eine zum Betrachter hin geöffnete Gruppe, die für den Betrachter posiert. Der Aufbau der Gruppe ist jeweils ähnlich: eine innere Gruppe aus drei Personen wird umgeben von einem Halbkreis weiterer Figuren.los Bellini hat, was die ästhetischen Prinzipien angeht, hier eine Bildlösung gewählt, die sehr ähnlich dem war, was von Mantegna oder in dessen Sinne entworfen wurde und gut genug für jene Kirche war, die Mantegnas Grabkapelle birgt. 102 Eine der möglichen Vorlagen für seine Komposition (zufolge BELTING,Bellini (wie Anm.66) S.22f.), ein Altarbild des Giusto da Menabuoi (ca. 1370) in Padua zeigt eine im Vergleich zur Brera-Lösung zwar bewegtere, aber ebenfalls stumme Maria. Das Altarbild von Bellinis Zeitgenossen Antonio Vivarini, das BELTINGals zweite mögliche Vorlage heranzieht, zeigt demgegenüber wieder eine klagende Maria, die eher an die Lösung im Dogenpalast (Abb. 9) denken läßt als an die in der Brera. 103 BELTING,Bellini (wie Anm. 66) S.46, zieht das Fresko aus Mantua nicht heran, sieht gleichwohl in der Beweinung der Uffizien eine Szene "im Sinne Mantegnas mit gesteigerter Dramatik". 104 VgJ. LIGHTBOWN, Mantegna (wie Anm.85) S.452f. Nr.58 und Abb. 164; im Ausst.Kat. Andrea Mantega, Mantua 1961, hg. v. GIOVANNIPACCAGNINI, Venedig 1961, S.57f. Nr.37f. mit Abb. 53 f. ist die Arbeit Correggio zugeschrieben. 105 Auffälligster formaler Unterschied ist die Gestaltung des Sarkophags. Das Fresko zeigt geden Sarkophag als Begrenzung des Bildes, so wie man es von vielen Pieta-Darstellungen wohnt war. Bellini deutet den Sarkophag nur noch unter den Figuren an, läßt sie ansonsten ohne Begrenzung vorne aus dem Bild heraustreten. Um so offensichtlicher aber bleibt Bellini in dieser Beweinung seiner Auffassung von der richtigen Trauer treu, perfektioniert sie geradezu. Bellini hat sich Mantegnas Stil der Bilderzählung angenähert und konnte mit dieser Rhetorik noch besser ins Bild setzen, was er erzählen wollte. Er hat nicht von der heftigen Trauer um den toten Christus erzählt, die Mantegna inszenierte wie die Schauspieler zu Ostern auf den Bühnen. Bellinis Bilder reden von compassio, vom duldsamen Mitleiden mit Christus. Gerade jene Arbeit, die nach den Kriterien der zeitgenössischen Kunsttheorie die weiteste Annäherung Bellinis an eine szenisch theatralische Durcharbeitung im Sinne Mantegnas war, ist zugleich die perfekteste Ablehnung der thematischen Auffassung Mantegnas, die von Bellini erhalten ist: ein beherrschtes Gesicht neben dem anderen. Auch Bellini beherzigte, wie Belting betont hat, Albertis Forderung nach varieta der Figuren. Aber Mantegna variierte vom leisen Weinen des Pleuranten über heftig bewegte Klage bis zur Ohnmacht Mariens und dem höchst angespannten, statischen und lauten Schrei eines Johannes. Bellini hingegen modellierte subtiler, variierte allein die Ausdrucksweise stiller Kontemplation. Giovanni Bellinis konsequente thematische Verweigerung der Konvention wird schließlich offensichtlich, wenn man die Arbeiten vergleicht mit den Skizzen seines Vaters Jacopo. Von den Skizzenbüchern Jacopos heißt es, daß sie für Giovanni sehr wichtig waren, und daß er häufig darauf zurückgegriffen habe.l06 So ist auch auf die Ähnlichkeit der Figuren Jacopos und Giovannis oft hingewiesen worden. In dem hier entscheidenden Punkt aber ist Giovanni weitgehend von den Auffassungen seines Vaters abgewichen. Jacopos Skizzen zeigen wie Mantegnas Stiche das Standardrepertoire des zeitgenössischen Klageverhaltens (Abb. 15 u. 6), freilich, wie Belting betont, zum Teil erheblich unbeholfener.l07 Wie bei Mantegna trauern die Männer statischer, die Frauen heftiger. Auf einer der Skizzen (Abb. 16) hat man geradezu den Eindruck, als habe Jacopo das Repertoire aufzählen wollen. Er ließ alle Marien Klagelaute ausstoßen und skizzierte dann einmal das Ringen der Hände, einmal das Emporreißen der Arme und einmal das Küssen des Leichnams. Nur am 106 Zum Beispiel für Christi Gebet am Ölberg; vgJ. GOFFEN,Bellini (wie Anm. 76) S. 106-111 mit Abb. der Arbeiten Giovannis und ]acopos; vgJ. BELTING,Bellini (wie Anm. 66) S.48. 107 VgJ. zu ]acopos Skizzenbüchern EISLER,Genius (wie Anm. 100) S. 77-104 sowie 480-506, die hier abgebildeten Arbeiten ebd. Abb. 218 und 220, ähnlich aus dem Londoner Skizzenbuch etwa ebd. Abb. 216 u. ö. Rand oder im Hintergrund von J acopos szenischen Entwürfen fand Giovanni Motive, an die er anknüpfen konnte. So steht auf fol. 54 (Abb. 16) am rechten Bildrand neben der bewegten Klageszene eine Männergestalt, deren Trauer durch Ruhe und einen kontemplativen Blick ausgedrückt wird. Auch auf fol. 53 (Abb. 15) findet man im Hintergrund der lebhaften Szene eine Männerfigur, die in sich versunken regungslos verharrt. Beide Aussagen tauchen in ähnlicher Weise bei zwei Hintergrundgestalten auch auf Giovannis Beweinung in den Uffizien auf, am rechten Bildrand und unmittelbar hinter dem toten Christus (Abb. 13). Bei Giovanni aber tragen die beiden Personen nicht mehr eine Randaussage gegenüber einem dominierenden Gesamteindruck der Szene. Sie sind vielmehr symptomatisch für die Haltung aller Personen des Geschehens. Mantegna oder Bellini? Trauer-Auffassung und die Zuweisung einer Pieta der Accademia in Venedig Akzeptiert man also, daß Mantegna und Bellini nicht nur zwei verschiedene Weisen hatten, Albertis Theorie umzusetzen, sondern auch zwei entgegengesetzte Auffassungen davon, welche Form von Trauer die richtige und für Maria angemessene war, so dürfte dies auch einen Diskussionsbeitrag zur Zuweisung einer umstrittenen Skizze leisten. In der Accademia in Venedig liegt die kleine Skizze einer Pieta, die - stets mit stilistischen Argumenten - einmal Mantegna, einmal Bellini zugewiesen wird (Abb. 17). Die Zeichnung war kein Musterblatt, sondern ein schneller Versuch, ein "visual thinking" (Goffen).108 Aber so schnell der Zeichner auch gearbeitet hat und so wenig Wert er etwa auf die Psyche in den Gesichtern gelegt hat - das gewünschte Trauer-Register ist überdeutlich und fraglos: der weit geöffnete Mund aller Trauernden war das Symbol der lauten Klage. Wenn stilistische Erwägungen bei diesem Blatt zu keiner unbestrittenen Zuweisung führen, so ist vielleicht eine Überlegung zur Behandlung des Gegenstands nicht fehl am Platz. Man überstrapaziert Giovanni Bellinis Arbeiten wohl nicht mit der Vermutung, daß er mit dem Trauermodell dieser Zeichnung nichts anfangen konnte. Wer diese Skizze für eine Arbeit Bellinis hält, der müßte einräumen, daß Bellini hier visuell über die bildliche Gestaltung einer Historia nachgedacht hat, die er nie erzählt hat. Schreibt man die Skizze Mantegna zu, so ergibt sich eine weit einfachere Annahme. Man108 Die Accademia in Venedig führt die Skizze als Werk Bellinis; stilistische Zuschreibung zu Bellini ebenfalls bei GOFFEN,Bellini (wie Anm. 76) S.82, Zitat S.286; ferner implizit bei LIGHTBOWN, Mantegna (wie Anm. 85), insofern dieser das Blatt in sein Gesamtverzeichnis der Arbeiten Mantegnas nicht aufgenommen hat; stilistische Zuschreibung zu Mantegna in Kat. Mantegna (wie Anm.72) S.181 f. und ROBERTSON, Bellini (wie Anm.l00) S.24f. u. Tafel 6b. tegna hat zwar die weit verbreitete Bildform dieser Skizze ansonsten wohl nicht benutzt, wohl aber immer wieder die Historia der lauten Klage erzählt. Will man, um im Bild zu bleiben, Bellini nicht zum Sophisten erklären und statt dessen gelten lassen, daß Rhetorik zumeist im Dienst einer Auffassung steht, so wäre es weit einsichtiger, in dieser Skizze ein "visual thinking" Mantegnas zu sehen. Mantegna hat für eine Geschichte, die er immer wieder erzählte, einmal eine weit verbreitete Rhetorik skizziert. Eine weitere Überlegung: Wenn man akzeptiert, daß die oberitalienischen Künstler ihr Auge für Trauer und ihre Auffassung darüber nicht nur an antiken Sarkophagen bilden konnten, sondern ebenso am alltäglichen Verhalten ihrer Zeitgenossen, so wird man die Frage Beltings noch einmal aufzugreifen haben, wann eine Heftigkeit des bildlichen Ausdrucks überzogen war. Hans Belting hat in einigen oberitalienischen Trauerszenen des 15. Jahrhunderts einen "Überschuß an Bühnenrhetorik" gesehen, eine "überzogene Ausdrucks-Etüde" und "Entgleisungen", die er als Unvermögen im Umgang mit den neuen Theorien deutet.109 Dazu wäre zumindest zu bemerken, daß für unseren Geschmack sicher auch Philipp der Gute mit einem "Überschuß an Bühnenrhetorik" auf den Tod des Vaters reagiert hat (und reagieren mußte) und daß derartige "Entgleisungen" eine stattliche Tradition zurück in die Heldenepen hatten. Wenngleich die Beurteilung Beltings schlüssig und nachvollziehbar ist, so stellt sich die Frage doch anders, sobald man als Referenzpunkt nicht allein den kunsttheoretischen Diskurs einer hochgebildeten Elite von Kennern der Antike wählt, sondern auch das soziale Wissen und die Trauerpraktiken der Zeit. Vorstellungen davon, was als "überzogen", als "Überschuß" oder als "Entgleisung(en)" zu gelten hat, sind zweifellos auch abhängig von den jeweiligen Praktiken. Institutionen und die ihnen inhärenten Vorstellungen sind, mit einem Wort von Paul Veyne, nichts als "Korrelate von Praktiken".llo Sie geben sich für uns nur unzureichend in den Normtexten, den Traktaten, den Predigten zu erkennen. Die Fürstenspiegel führen uns ebenso in die Irre wie die Predigten und die Dichtung. Der Unglücksbote im Haus Philipps des Guten hatte mehrere Vorstellungen, die hier interessant sind: Er hatte eine Vorstellung von richtiger Trauer, und er hatte eine Vorstellung vom richtigen Inhalt BELTING,Bellini (wie Anm. 66) S.51-53. PAULVEYNE,Comment on ecrit I'histoire, Paris 1978, S.218; deutsch: Foucault. Die Revolutionierung der Geschichte, Frankfurt/Main 1992, S.35. 109 110 eines Fürstenspiegels. Es hat sich gezeigt, daß der Unglücksbote nur einen Teil dessen, das er für richtige Trauer hielt, zum Inhalt der Fürstenspiegel zählte. So wäre es falsch, den Inhalt des Fürstenspiegels als eine Meinung zu lesen und das Verhalten Philipps als eine andere. Es geht vielmehr um zwei Aspekte derselben ,Meinung' von Trauer. Trauerverhalten war weit mehr als eine ritualisierte Form schmerzvoller memoria des Toten. Es war auch mehr als ein rituell kontrollierter Übergang von schmerzvoller Erinnerung in schmerzfreie (das wäre ein weiterer Aspekt historischer Trauer-Forschung). Trauer als öffentliche Praxis war zugleich mit der memoria des Toten ein Memorieren der zentralen sozialen Ordnungen. Man übertrug die sozialen Ordnungen im Moment der Krise ins Ritual und verhalf ihnen so zur Reproduktion. Mit der Differenzierung von Kleidern, Räumen, Zeiten und Verhaltensweisen im Trauerritual waren auf dichtestem Raum repräsentiert: Geschlechterverhältnis, familiale Position, ständische Position, die Grenzen kulturellen Ordnungsvermögens, die Moralitäten der sozialen Positionen (Witwen-, Sohnes- und Fürstenmoral), und einiges - hier nicht ausgeführte - mehr wie zum Beispiel die Lebensphasen und religiösen Ordnungen. Wichtig ist dabei folgende Beobachtung: Der Trauerhabitus erscheint zwar einheitlich, aber er unterliegt keinem einheitlichen Erzeugungsprinzip. Er ist von sozialen Ordnungen geprägt, die untereinander nicht kohärent sind. Philipps Verbindung von Sohnes- und Herrscherethos in der Trauer ist ein relativ simples Beispiel für das Bündel aus nicht kohärent repräsentierbaren Ordnungen (mit ihren je eigenen Moralitäten), in denen eine trauernde Person stand. Dieser Inkohärenz der Ordnungen (die in einem Verhalten zusammentreffen) dürfte besonders dann das Interesse gelten, wenn man nicht kulturelle Reproduktion, sondern Veränderung beschreiben will. Richtige Trauer und richtige ,Kunst': Diskurse Maria als exemplum verschiedener Gemalte Trauer kann zunächst einmal, ebenso wie etwa die Rede des burgundischen Unglücks boten, als eine der Formen betrachtet werden, durch die Trauerverhalten "von der Gruppe auferlegt" wurde (Durkheim). Die biblischen oder mythischen Gestalten in den Bildern oder Reden trugen, so darf man zunächst einmal annehmen, zur Formung des Trauerverhaltens bei.111 In der Mahnrede des Unglücksboten wurden sie eigens zu diesem 111 Diese Verhaltensnormierung durch "Verähnlichung" mit dem gemalten exemplum ist das Thema von FRANKBOTINER,Imitatio pietatis. Motive der christlichen Ikonographie als Modelle zur Verähnlichung, Berlin 1983. Zweck zitiert. Allerdings hat die in den verschiedenen bildlichen Darstellungen sehr unterschiedliche Trauer der biblischen Figuren deutlich gemacht, daß die Konzeption dieser Figuren sehr unterschiedlichen Prinzipien folgte. Bellinis Bildideen, sein Umsetzen der zeitgenössischen Kunsttheorie, weisen auf die Unterschiedlichkeit der Erzeugungsprinzipien. Der kunsttheoretische Diskurs forderte eine Heftigkeit des Ausdrucks und empfahl den Künstlern die heftig bewegten Figuren als exempla richtiger Kunst. Als exempla richtiger Trauer hingegen sollten diese Figuren nach den Vorstellungen der gebildeten Städter gerade nicht mehr dienen. Zwar konnte man bei den österlichen Passionsspielen noch heftig klagende Marien sehen, aber die Städte und ihre Vordenker kämpften bereits seit dem 14. Jahrhundert gegen die Klagesitten der Bürger und propagierten zunehmend die Unbewegtheit des Ausdrucks.112 Auch die religiösen Strömungen schwankten zwischen heftigem Mitleiden in der Tradition der Flagellanten und der stillen compassio. Während ein Alberti den Künstlern die Antike zur Nachahmung empfahl, war ein Carlo Marsuppini entsetzt bei der Vorstellung, daß die Bürger sich verhielten "wie der homerische Agamemnon", nämlich "klagen, schreien, mit gebrochener weibischer Stimme alles füllen und das gelöste Haar ausreißen". Dieses Verhalten, so glaubte Marsuppini, sei "gegen Natur und Glauben und also verdammenswert".113 Künstler wie Bellini und Mantegna arbeiteten inmitten dieser widersprüchlichen Vorstellungen und orientierten sich darin verschieden. Während für Mantegna der kunsthistorische Diskurs als die dominante Kategorie der Bildfindung deutlich ist, suchte Bellini den verschiedenen Kategorien des moralischen wie des kunsttheoretischen Diskurses gleichermaßen gerecht zu werden. Bellinis Lösungen zeigen die Versöhnung der kunsttheoretischen Forderungen mit einer Trauerauffassung, die unter Humanisten verbreitet war. Die humanistischen Vorstellungen von richtiger Trauer bieten einen passenden gedanklichen Kontext für Bellinis konsequenten thematischen Gegenentwurf zur Trauerdarstellung eines Mantegna oder Donatello. "Denn in der Natur", hatte Alberti geschrieben, "Iiegt es begründet, daß Mit HUGHES,Mourning Rites (wie Anm. 65). DIANEHUGHES'Studie (Mourning Rites, wie Anm. 65) beginnt mit diesem Text, den sie als symptomatischen Text erweisen kann; vgl. CARLOMARSUPPINI,Epistola consolatoria (an Cosimo und Lorenzo dei Medici zum Tod der Mutter), hg. v. PIER GIORGIORICCI, in: La Rinascita 3 (1940) S.363-433, S.392: eiulare, veTO, vociferari, ftacta ac muliebri voce omnia complere, intonsam comam (ut Agamemnon ille homericus) vellere, praeter naturam atque opinionem; proptereaque a doctis summopere vituperandum. 114 Alberti, Pittura (wie Anm. 68) S.121: Interviene da natura, quale nulla piu ehe lei si truova capace di cose ad se simile, ehe piangniamo con chi piange et ridiamo chon chi ride et dolianci con chi si duole. Ma questi movimenti d'animo si conoscono dai movimenti deI corpo. 112 113 wir weinen mit den Weinenden, lachen mit den Lachenden und Trauern mit den Traurigen. Diese Gemütsbewegungen aber erkennt man an den Körperbewegungen."114 Bellinis Trauernde waren nicht nur ein exemplum für ,Kunst',115 sondern zugleich eine Stellungnahme in aktuellen normativen Fragen. Sie waren nachahmenswerte exempla richtiger Trauer. Mantegnas Figuren indes hatten mehr mit jenem "homerischen Agamemnon" zu tun, dessen Verhalten, folgen wir Marsuppini, den Gebildeten als das denkbar schlechteste Vorbild galt. Nun ist abschließend noch ein Wort nötig über den Sprung vom burgundischen Hof eines Philipps des Guten ins Oberitalien eines Bellini und Mantegna. Leicht könnte man Verflechtungen zwischen Frankreich und Oberitalien zeigen, man könnte auf die Reisen des Rogier van der Weyden hinweisen oder auf die Orientierung Christines de Piz an an italienischen Vorbildern, darauf, daß Bilder Bellinis an den französischen Hof geschafft worden sind und so weiter. Man könnte auch zeigen, daß einiges am Trauerverhalten für Oberitalien anders überliefert ist als für Burgund, wenngleich die Klagepraxis in der Forschung als "fast überall bekannt" gilt.116 Dies alles vorausgesetzt, gibt es für die Wahl dieser beiden Testfälle gute Gründe. Prinzipiell könnte man Trauerauffassungen auch an Tafeln aus dem burgundischen Bereich untersuchen, etwa - ein beliebiges Beispiel - bei Rogier van der Weyden. Aber es ging zunächst darum, an eindeutigen Beispielen die beiden Kategorien zu erläutern und die Relevanz des systematischen Blicks auf die Trauerauffassung zu demonstrieren. Auf vielen Bildern werden beide Trauerformen, lamentatio und moderatio, miteinander verbunden (wie auf den beiden Skizzen Jacopo Bellinis). Zuweilen werden sie mit anderen Darstellungsabsichten vermischt, so etwa, wenn das Gewicht von der Darstellung des Leidens auf das der Eucharistie verlagert ist. Kaum einmal ist der Zusammenhang von Denkform der Trauer und Kriterien der Bildidee so offensichtlich wie im Vergleich Bellinis mit Mantegna. Die Inkohärenz der beiden Diskurse über Trauer und über ,Kunst' zeichnet sich ab als Erklärungsrahmen des künstlerischen Wandels. Und kaum einmal werden wir so detailliert über den sozialen Sinn der Trauerrituale informiert wie in dem burgundischen Beispiel. In den burgundischen Zeugnissen ist ungewöhnlich deutlich zu sehen, wie die sozialen und politischen Ordnungen im Todesfall zu einer (relativ) stabilen Art des Verhaltens geworden sind - und wahrscheinlich auch des Fühlens und Denkens. 11S Um BELTINGS Gedanken zugreifen. 11& VOVELLE, Mort der Brera-Pieta (wie Anm.2) S.47. als "Anwendungsfall von ,Kunst'" wieder auf- Wiedergegeben ist das Kapitel über Trauer aus Alienor der Poitiers: Les honneurs de la cour, nach der Edition von ]ean- Baptiste de La Curne de Sainte-Palaye (Memoires sur l'ancienne chevalerie 2, Paris 1759, S.171-282, S.254-259). Die Kursiven sind aus dieser Ausgabe übernommen. Die Nummerierung der Absätze ist hinzugefügt. Le deuil que touttes les Princesses & autres doibvent porter pour leurs marits, peres & meres, & parens. 1. J'ay ouy dire que la Royne de France doibt demeurer un an entier, sans partir de sa chambre, la Oll on luy dit la mort du Roy, son marit: mais la fa<;:ondes robbes & manteaux, pour porter deuil, est aultre en France que par-de<;:a; car en France ils portent les longs draps, icy point. 2. Et chacun doibt s<;:avoirque la chambre de la Royne doit estre toute tendue de noir, & les salles tapissees de drap noir, comme il appartient. 3. Touttes fois un Roy de France ne porte jamais noir en deuil, quand seroit de son pere, mais son deuil est d'estre habille tout en rouge, & monteau & robbe & chapperon; mais la Royne porte deuil, comme j'ay ouy dire. 4. Madame de Charrolois, fille du Ducq de Bourbon son pere [255] estoit trespasse; incontinent qu'elle fceut sa mort, elle demeura en sa chambre six semaines, & estoit tousjours couchee sur un lict couvert de drap blancq de toille, & appuyee d'oreillers: mais elle avoit mis sa barbette & son manteau & chapperon, lesquels estoient fourrez de menu vair, & avoit ledit manteau une longue queue aux bords devant le chapperon, une paulme de large, le menu vair (c'est a s<;:avoirle gris) estoit crespe dehors. 5. La chambre estoit toutte tendue de drap noir, & en bas un grand drap noir, en lieu de tapis velu; & devant ladicte chambre, Oll Madame se tenoit, y avoit une autre grande chambre ou salle pareillement tendue de drap noir. 6. Quand Madame estoit en son particulier, elle n'estoit point toujours couchee, ni en une chambre. 7. Item, en grand deuil, comme de marit ou de pere, on ne souloit porter ny verge ny gants ez mains [256]. 8. Et si faut savoir que la robbe est aus si a queue fourree de menu vair, & le poil qui passe en hault & en bas, le gris est oste & ne voit oncque le blancq: & durant qu'on porte barbette & mantelet, il ne faut porter nulles ceintures ne ruban de soye, ne autre que ce soit. 9. Item, quand Madame de Charrolois s~ut la mort de son pere, on fit pour luy un beau service en l'Eglise de Cauberghe a Bruxelles, la Oll estoient le Ducq Phi lippe & Madame la Duchesse, & Madamy y alla aussy, qui marchoit devant Madame la Duchesse atout son manteau & chapperon; & l'addextroit Monsieur de Croy, & encor un aultre: mais j'ay oublie qui c'estoit; & quand le service fut faict, elle ne vuida plus sa chambre, jusques les fix semaines furent passees. 10. Et ainsy doibvent faire touttes aultres Princesses; mais les Banneresses ne doibvent estre que noeuf jours sur le lict pour pere ou mere, & le surplus des six sepmaines, assises devant leur lict, sur un grand drap noir: mais pour marit elles [257] doibvent coucher six sepmaines, & sy la Princesse du pays les vint veoir, elles se doibvent lever de leur lict; mais pour vuider leur chambre, & pour aultre point, sy elles n'estoient aus si grandes. 11. Les Dames ne doibvent point aller au service de leurs marits, s'il ne se fait apres les six sepmaines; aussy ne font les Princesses, mais pour pere ou mere, ouy. 12. Item, pour le frere aisne I'on porte tel deuil que pour pere & mere, & tient-on chambre six sepmaines; mais I'on ne couche point. 13. Item pour autres freres & soeures, on ne porte que la barbette & le couvrechef dessus. Generallement pour oneles & cousins - germains, le mantelet; pour issus de germain le touret & le noir. 14. Et est a s~avoir que pour marit on porterat demy an le manteau & chapperon, trois mois la barbette & le couvrechef dessus, trois mois le mantelet, trois mois le touret, & trois mois le noir, & tousjours robbes [258] fourrees de menu vair au temps passe, on ne le portoit qu'un an; mais il me semble que pour marits on le doit porter deux, si I'on ne se remarrie. 15. Item, pour pere & mere un an: pour aisne frere I'on dit un an; mais peu le portent si longuement pour aultres freres, soeurs & aultres amis, demy an, trois mois, selon que le cas le requiert. 16. Item, si une Dame Banneresse demeure veusve estant grosse, quand elle accouche, elle doit faire tendre sa chambre toutte de noir, & toutte la chambre en bas tapisee de drap noir, & sur son lict un drap blancq, & le dressoir couvert de nappes, comme il appartient, sans vaisselle; mais une petitte tablette aupres le dressoir, a un coing, la Oll le vin & les espices sont dessus. 17. J'ay veu du temps passe que Princes & Grands Nobles gens, quand on faisoit le service de leurs parents, ils avoient queue d'une aulne ou de trois quartiers, & les comettes de leurs chapperons aussy [259] longues: mais maintenant, I'on porte touttes courtes comettes, & aussy bien les Princesses que les aultres.