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Lucio Santin 7.2.2015 Antonio Gramsci als Kulturtheoretiker Hegemonie auf Lampedusa Das Konzept der Hegemonie ist vielleicht das am meisten umstrittenen Konzept Gramscis Gefängnishefte (Cospito OJ, Crehan 2002). Gramsci hat nie – wie von den Comaroffs notiert – das Konzept explizit definiert (Comaroff 1991:19, in Crehan 2002:173) und seine Auffassung desselben hat sich während seinen Jahren im Gefängnis auch deutlich verändert (Cospito OJ). In diesem letzten Aufsatz will ich nicht die analytische Idee der Hegemonie nochmal definieren – was auch ohne eine tiefe Lektüre der ganzen Gefängnishefte unmöglich wäre; ganz im Gegenteil will ich einige Aspekte desselben Konzeptes anhand eines praktischen Beispiels aus dem Feld erklären und wiedergeben. Damit will ich veranschaulichen, wie das Konzept unglaublich nützlich für eine anthropologische Analyse sein kann, die die Verhältnisse zwischen Kultur und Macht hervorheben will. Der Kontext: Lampedusa Lampedusa ist die südlichste Insel Italiens. Sie liegt ungefähr 200 Kilometer südlich von Sizilien und circa 120 Kilometer nördlich der afrikanischen Küste. Knapp zehn Kilometer lang und, auf der östlichen Seite, drei Kilometer breit, ist sie mit etwa 20 km² und ungefähr 5700 Einwohner die größte der Pelagischen Inseln, zu denen auch Linosa und Lampione gehören. Anscheinend seit der Prähistorie bewohnt (Ratti 2015), Lampedusa wurde allerdings nur im Jahr 1843 von dem Borbonischen Staat dauerhaft besiedelt und ist offiziell seit 1861 Teil des italienischen Staates. Lampedusas Geschichte ist deutlich von ihrer speziellen Lage geprägt. Die ökonomische Tätigkeiten der Lampedusani wandelten sich in der ersten Jahren nach der Siedlung von Holz- zu Ackerbau und später, als die Insel schnell allzu steril geworden war, von Schafhaltung zur Fischfang. Im Jahr 1986 schoss Gaddafis Libyen zwei SS1-Scud Raketen auf die Insel, in einem Versuch die dortige US-Coast Guard Radio-Basis zu treffen: die Rakete erreichten Lampedusa aber nicht und wurden auch nicht mehr auf dem Meeresgrund gefunden; allerdings verursachte das Ereignis eine diplomatische Krise zwischen Italien und Libyen, welche Lampedusa und ihre weisse Strände zur Kenntnis der italienischen und europäischen Publikum brachte. Seitdem leben die Lampedusani prinzipiell von Tourismus-abhängig Tätigkeiten, welche einen gewissen ökonomischen Wohlstand – im vergleich zur armen Vergangenheit – auf die Insel gebracht haben. Im Gegenteil zur schnellen ökonomische Evolution der Insel ist Lampedusa, aus einer äußeren, staatlichen Perspektive, seit ihrer Besiedlung „unverändert“ geblieben: Sie ist seit dem Anfang ihrer Geschichte ein militärischer Stützpunkt im Mittelmeer. Sie wurde wegen ihrer militärischstrategischen Lage kolonisiert, und wurde im Jahr 1872 dank ihrer Isolation eine Strafkolonie des vereinigten Italiens; sie spielte eine große Rolle im zweiten Weltkrieg, wann – im Juni 1943 – ca. 4400 Menschen da aufgestellt waren, um die Anlandung der Alliierte zu vermeiden (Taranto 2013:40); im Jahr 1972 wurde die schon erwähnte US Radio-Station auf der Insel gebaut und, als Reaktion zu Gaddafis Raketenabschuß wurde diese zu einer NATO Basis gemacht. Damit fing eine noch stärkere Militarisierung der Insel an (ibid.:42). In den neunziger Jahren sah Lampedusa einen neuen Wandel ihrer schnell entwickelnden Geschichte, als die erste MigrantInnen aus dem Afrikanischen Kontinent anfingen, auf die Insel anzulanden. Der erste, kleine, Aufnahmezentrum wurde im Jahr 2005 gebaut; jetzt beherbergt Lampedusa eins der elf CIE (centro di identificazione ed espulsione, Identifizierungs- und Abschiebungslager) Italiens und ist dank ihrer Verbindung zur Migration von der Öffentlichkeit gekannt. In den nächsten Paragraphen werde ich versuchen zu erklären, wie der Diskurs um Lampedusa als terre des migrations und ihrer Militarisierung eigentlich zwei Aspekte desselben Problem sind. Der Diskurs um Lampedusa Was hat nun Lampedusa mit Gramsci zu tun? Die neuste Evolution der Insel als „isola degli sbarchi“ („Insel der Landungen“, ibid.:46) ist nicht eine isolierte Tatsache, womit Lampedusa passiv umgehet, sondern ein Knotenpunkt eines größeren Gefüges, in dem verschiedenen Interessen unterschiedlicher Art sich verbinden. Der Begriff „Lampedusa“ wird seit einigen Jahren (nicht nur) in den Medien als Sammelbegriff benutzt und bietet damit verschiedenen Möglichkeiten, den Diskurs, der daraus entsteht zu verwenden, um Macht auszuüben. Genau dieser Diskurs und seine Wirkungen, werde ich argumentieren, können als teil einer Hegemonie im Gramscianischen Sinne betrachtet werden. Die Anzahl der MigrantInnen, die nach Lampedusa kommen, ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, von 9.669 im Jahr 2002 zu etwa 30.000 im Jahr 2008 (Kitagawa 2011:201). Im Jahr 2012 kamen auf die Inseln mehr MigrantInnen als je zuvor. Dies alles, zusammen mit dem Bootsunglück vom 3. Oktober 2013, in dem 368 MigrantInnen wenige hundert Meter von der lampedusanischen Küste ertrunken, trug – und trägt immer noch – bei, einen Diskurs über die Insel zu konstruieren, in dem Lampedusa nicht mehr ein Ort, sondern ein Symbol geworden ist, das unterschiedliche soziokulturelle und politische Bedeutungen, (wirtschaftliche) Interessen artikuliert, widerstreitende Diskurse und Konflikte organisiert und medial verbreitet. In diesem Geflecht steht 'Lampedusa' zunächst für 'illegale' Mobilität, Wirtschaftsmigranten, Flüchtlinge, Asylsuchende […], nationale und europäische Governance und die Politiken der sogenannten Grenzmanagements [aber auch] für die Furcht vor den schwarzen Massen, Invasionen, Unkontrollierbarkeit, vor dem Verlust nationalkultureller Identität und zugleich auch für humanitäre Anteilnahme, Mitgefühl, Philanthropie, Verletzlichkeit, Hilfe für die Opfer, Solidarität (Friese 2014:29-31). Lampedusa ist allerdings ein Symbol für Migration, auch wenn sie mittlerweile mit der Migration weniger zu tun hat, als andere Orte Italiens und Europas. Im Jahr 2014 zum Beispiel – als Konsequenz des Schiffbruches vom 3. Oktober 2013 – blieb Lampedusas Aufnahmezentrum komplett geschlossen; im lauf des Jahres sind die Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet wurden, am meisten direkt nach Sizilien gefahren worden. In den italienischen Medien passiert aber jede Rettung von MigrantInnen, jeder Unglück der Migrationen im Mittelmeer „vor der Küste Lampedusa“, unabhängig davon, ob die Boote 10 oder 100 Meilen von Lampedusa gefunden worden waren (vgl. z.B. IFQ 2014, ANSA 2014). Auch die europäische Medien begehen oft den selben Fehler: ein sehr aktuelles Interview an der Bürgermeisterin von Lampedusa Giusi Nicolini fängt zum Beispiel so an: Etwas mehr als 200.000 Flüchtlinge kamen im vergangenen Jahr über das Mittelmeer, und allein 150.000 davon landeten an den italienischen Küsten. Viele Migranten aber überleben diese von Schlepperbanden und Menschenhändlern organisierten Fahrten auf oft kaum mehr seetauglichen Booten nicht. Menschenrechtsorganisationen und Migrationsforscher machen die Flüchtlingspolitik der EU mitverantwortlich für die katastrophalen Geschehnisse. Der Zivilisationsgrad eines Landes lasse sich daran ablesen, wie es mit den Flüchtlingen umgehe, sagt Giusi Nicolini. Im Mai 2012 wurde sie zur Bürgermeisterin der Inseln Lampedusa und Linosa gewählt […] („Lampedusa muss man selbst erfahren“, Zeit 2015) Hier sind beispielsweise – auch wenn nicht explizit – enorme Zahlen von Flüchtlinge mit Lampedusa assoziiert: nicht mal Tausend von denen landeten aber im Jahr 2014 and der Küste Lampedusa. Auch Menschenhandlung (ein erschaffenes und dann bekämpftes Verbrechen, vgl. de Haas 2007) und die „Flüchtlingspolitik der EU“ sind hier direkt mit Lampedusa verbunden. Insbesondere das Konzept des „Umgehens mit den Flüchtlinge“ allerdings, das Konzept von Empfang (accoglienza) – d.h. der moralische Bedürfnis, Leben zu retten, der sich auch in den Worten Nicolinis widerspiegelt –, welches seit kurzem in der öffentlichen Diskurs sich entwickelt hat, braucht meiner Meinung nach eine achtsame Analyse. „Lampedusa“ und „accoglienza“ sind mittlerweile untrennbare Begriffe geworden und, als „herrschende Gedanke der herrschenden Klasse“ können diese meiner Meinung nach als Aspekte einer Hegemonie im Sinne von Gramsci gesehen werden. Doch warum und wie sind Empfang und Lampedusa teil einer Hegemonie? Der 3. Oktober 2013 und die hegemoniale Funktion von Lampedusa Zwischen August und Oktober 2014 habe ich für meine Masterforschung auf Lampedusa gelebt. Meine Aufenthalt auf der Insel startete als eine sinnliche, auditive Forschung: Einen Versuch, Lampedusa mit Klänge zu beschreiben. Inspiriert vom Werk des Anthropologes Ernst Karel, ließ ich meine ursprüngliche Forschungsfrage – wie wird Gastfreundlichkeit auf Lampedusa durch die Umwelt, im weitesten Sinne, beeinflusst? – stehen, und fing an, mit einem tragbaren Aufnahmegerät, die Sounds der Insel aufzuzeichnen (vgl. Santin 2015). Nicht desto trotzt blieb mein Interesse für die Wichtigkeit von Gastfreundlichkeit auf der Insel – die mir komplett unerwartet kam, als ich die Insel im Jahr 2011 zum ersten Mal besuchte – sehr groß. Als ich einen der ersten Tagen auf der Insel mit Gianpiero, aktiver Mitglieder des Linkskolletives Akavusa, redete und ihm mein Weg ins Feld erklärte, sagte er mir, dass jetzt auf Lampedusa und in den Medien nicht mehr die Rede von Gastfreundlichkeit (ospitalità) sei, sondern vielmehr von Empfang, Aufnahme (accoglienza). Seit meiner ersten Aufenthalt im Jahr 2011 hatte sich viel verändert: Lampedusa war jetzt noch zentraler im medialen Diskurs. Der Papst hatte die Insel Juli 2013 besucht – als erste Etappe seiner ersten Reise – und sich bei der Bevölkerung für die erwiesene Solidarität gegenüber die MigrantInnen bedankt (vgl. Radio Vatikan 2013), damit aus Lampedusa ein weltweites Symbol machend. Der Unglück vom 3. Oktober 2013 verursachte aber die größte mediale Aufmerksamkeit, die die Insel jemals erfahren hatte. Ein Boot mit mehr als 500 Flüchtlinge sank gegen 6 Uhr weniger als eine Meile von der Cala Tabaccara entfernt: 155 Menschen wurden gerettet und 368 ertrunken. Die Dynamik des Unglücks ist sehr kontrovers1; auf alle Fälle wurde es von der italienischen und europäischen Politik eingehend ausgenutzt. Der italienische Ministerpräsident Enrico Letta schenkte den Toten (aber nicht den Überlebende) die italienische Staatsangehörigkeit; Angelino Alfano, der italienische Innenminister, schlug nach dem Unglück Lampedusa als Friedensnobelpreisträgerkandidat vor (IlSole24ore 2013); am Tag danach veröffentlichte die Zeitung La Repubblica sehr mitleidige Bilder der ersten Helfer (vgl. La Repubblica 2013) und die Wochenzeitung L'Espresso wählte sogar als „Mann des Jahres“ einer von denen (2013). Die Medien fokussierten sich auf die Solidarität des lampedusanischen Volkes, auf die „humanitäre Krise“ im Mittelmeer, und der Gedanke der accoglienza, zusammen mit dem Bedürfnis, etwas für die Katastrophe zu tun, verbreitete sich ganz schnell. Der Ereignis hatte sofort seine legale und militärische Wirkungen: am 22. Oktober verstärkte das europäische Parlament Eurosur (EUR-Lex 2013) – das europäische Grenzkontrollsystem – und am 18. Oktober 2013 startete die italienische Regierung die Operazione Mare Nostrum, von derselben Regierung mit monatlich 9 Millionen Euro finanziert: eine „militärisch-humanitäre Operation“ mit dem Ziel, „die Kontrolle des Meers zu verstärken und die Fähigkeit, Migranten in Schwierigkeiten zu retten, zu verbessern“ (PS 2014, Hervorhebung LS). In der Operation wurden „nicht nur Kriegsschiffe und Aufklärungsflugzeuge“ eingesetzt „sondern auch eine Drohne mit dem schönen Namen Predator (Raubvögel), ein Typ, der auch in Afghanistan eigesetzt wird und deutlich macht, dass Krieg, Polizeieinsatz und ´humanitärer Einsatz´ ununterscheidbar geworden sind und mittlerweile auch Mobilität bestimmen“ (Friese 1 Vgl. z.B. de Haas 2013. Es hat 2 Stunden gedauert, bis die italienische Küstenwache – in Lampedusa stationiert – rausfand, dass ein Boot in Not vor der Küste der Insel sich befand und mehr als eine Stunde (!) bis sie vom Hafen von Lampedusa den Ort des Unglücks (vom ersten weniger als 5 km entfernt) erreichten. Viele auf Lampedusa sind davon überzeugt, dass das Unglück – auch wenn vielleicht nicht seine Konsequenzen – gewissermaßen programmiert wurde. 2014:196). Mare Nostrum endete Oktober des folgenden Jahres und wurde aber von der Operation Triton ersetzt, die mit 2.9 Millionen Euro von der Europäischen Kommission finanziert wird (EC 2014). Zum Zweck der Grenzkontrolle werden in den nächsten Monaten beispielsweise auch zwei neue Radar-Systeme auf Lampedusa installiert – die ziemlich schädlich für die Bevölkerung sein könnten (L'Espresso 2014) – davon einer, um die Zweifel zu zerstreuen, FADR (Fixed Air Defence Radar) heisst. Der 3. Oktober wurde anders gesagt als casus belli verwendet: mit der Ausrede der humanitäre Not wurde im Mittelmeer eine militärische Mission gestartet: Deshalb kann meiner Meinung nach der Diskurs über Empfang, accoglienza, und generell über Lampedusa, als Übung einer „hegemonische Funktion“ (H5 §127) gedacht werden, die bestimmte ökonomische und militärische Interesse rechtfertigt. Dieser Diskurs – der Bedürfnis, Leben zu retten – wird von verschiedenen Akteuren (u.a. die italienische Regierung, die Europäische Kommission, und sogar die USA, siehe unten) als Vorwand verwendet, um das Mittelmeer stärker zu militarisieren. Militarisierung und accoglienza werden auf diese Weise teil einer Hegemonie: die humanitäre Not und der folgende Bedürfnis nach Militarisierung werden „die herrschenden Gedanken“ der ganzen Gesellschaft und so von derselben, mit einer Mischung aus Konsens und Zwang, akzeptiert. Doch wie entfaltet sich diese hegemoniale Funktion auf Lampedusa im Detail? Abb 1: Die Porta d'Europa (Europas Tor), ein 2008 eingerichtetes Denkmal für die im Meer gestorbenen MigrantInnen. Dieses Bild verdeutlicht allerdings sehr schön die lampedusanische Hegemonie. Rechts vom Denkmal ist ein Zweiter Weltkrieg Bunker: auch bildlich wird die Militarisierung der Insel und des Mittelmeers von der accoglienza verbergt. Die Entfaltung der Hegemonie auf Lampedusa und das Festival Sabir Eric Wolf definiert in seinem letzten Buch Envisioning Power das Gramscianischen Konzept der Hegemonie mit Terry Eageltons Wörter. Eine Hegemonie zu erlangen heißt laut Wolf to establish moral, political and intellectual leadership in social life by diffusing one's own 'worldview' throughout the fabric of society as a whole, thus equating one's own interests with the interests of society at large' (Eagelton 1991, 116 in Wolf 1999:44). Keineswegs will ich diese als die endgültige Definition von Hegemonie vorschlagen; sie ist allerdings meiner Meinung nach sehr zutreffend, prägnant, und beinhaltet mehrere Aspekte, die nützlich sein können, um die Situation auf Lampedusa durch die Gramscianische Brille eingehend zu analysieren. Von diesen Aspekte werde ich mich insbesondere auf drei, für den lampedusanischen Fall, konzentrieren: (1) Hegemonie beinhaltet nicht nur eine politische, sondern auch eine moralische und intellektuelle Leadership, die auch vor dem politischen Moment sich entwickeln muss. Sie impliziert, dass die Weltanschauung einer bestimmten Klasse (2) von bestimmten Akteuren – die Intellektuelle – ausgebreitet werden soll (3) um die Interesse dieser Klasse mit den Interessen der ganzen Gesellschaft gleichzustellen. In diesem Paragraph werde ich diese drei Punkte anhand eines Beispiels erklären: das Festival Sabir, das (1) die moralische Macht der (2) moderaten Linke als (3) Interesse der ganzen Gesellschaft fördert. Im Paragraph 44 des ersten Heftes (Direzione politica di classe prima e dopo l'andata al governo) fragt sich Gramsci, warum die Moderaten im italienischen Risorgimento eine Hegemonie gewinnen könnten, im vergleich zu der Partito d'Azione von Mazzini, die nie an die parlamentarische Macht gekommen ist. Seine Antwort ist, dass die Moderaten eine „relativ homogene Klasse“ repräsentierten, weil sie auch vor dem politischen Moment einen Einfluss auf die Gesellschaft gewinnen könnten,. Il criterio storico-politico su cui bisogna fondare le proprie ricerche è questo: che una classe è dominante in due modi, è cioè „dirigente“ e „dominante“. È dirigente delle classi alleate, è dominante delle classi avversarie. Perciò una classe già prima di andare al potere può essere „dirigente“ (e deve esserlo): quando è al potere diventa dominante ma continua a essere anche dirigente. […] Ci può e ci deve essere un'egemonia politica anche prima della andata al Governo e non bisogna contare solo sul potere e sulla forza materiale che esso dà per esercitare la direzione o egemonia politica. (Q1§44). Auch auf Lampedusa beherrscht dieses Prinzip: Die herrschende (dominante) Klasse ist, in dem Diskurs über die Insel und über accoglienza, vor allem, auch die führende (dirigente) Klasse. Vor der materielle Macht – dem Einsatz von militärischen Mitteln im Mittelmeer – ist hier die moralische und intellektuelle Macht eingesetzt worden (1), um die andere Klassen – die, die gegen einen Militäreinsatz in Mittelmeer wären – zu dirigieren. Die Hegemonie ist, anders gesagt, eine Mischung als Richtung und Kontrolle, ein „historischer Block“ in dem „die Materiellen Kräfte der Inhalt sind und die Ideologien die Form“ (H7§21). Um die intellektuelle Seite der Hegemonie auf Lampedusa durchzusetzen tragen beispielsweise die schon erwähnte mediale Berichte bei, aber auch „eine Mannigfaltigkeit anderen sogenannten privaten Initiativen“ (Q8§179) wie unter anderen das Festival Sabir, das auf Lampedusa in den Tagen um den 3 Oktober 2014 – um den Unglück des vorherigen Jahres zu bedenken – stattgefunden hat. Das Festival nimmt seinen Namen von der Sabir Sprache, ein Pidgin aus Arabisch, Venetianisch, Spanisch und vielen anderen Sprachen, die bis zum 19. Jahrhundert im Mittelmeer für kommerzielle Handlungen gesprochen wurde, und fördert damit explizit den „kulturellen Austausch“ und den Bedürfnis eines anderen Umgehen mit der Migrationen. Das Festival will „ein anderes Bild der Insel“ unterstützen, „mit einer neuen Idee der Bürgerschaft verbunden, Ergebnis einer Kombination von lokale Kultur und innovative Praktiken der accoglienza“ (Sabir 2014). In den Tagen vom 1. bis zum 5. Oktober 2014 bot es Workshops, Vorträge, Konzerte und Theaterstücke mit verschiedenen Personalitäten der des italienischen Showgeschäfts. Es wird aber deutlich, wie das Festival eine hegemoniale Funktion hatte und immer noch hat: Es wurde zum Großteil von der Open Society Foundation von George Soros finanziert, ein „Philanthrop“, der sein Vermögen durch die Währungsspekulation anhäufte, die Obama-Kampagne finanziert hat, und in der „ökonomischen und militärischen Politik der USA involviert“ ist (Askavusa 2014). Soros hat beispielsweise mit finanziellen Mitteln zum dem rezenten Militärputsch in der Ukraine beigetragen (IFQ 2014a) und ihre Open Society Foundation hat deutliche Ökonomische Interessen im Mittlelmeer. Eins der Ziele der International Migration Initiative, mit deren Gelder das Festival finanziert wurde, ist Enhancing regional policymaking and dialogue: The initiative advances policy reform and the promulgation of best practices by enabling dialogue among key stakeholders, including among actors who might not otherwise come together. We also aim to build the evidence base necessary to inform these conversations and to deepen networks among policymakers, as well as between the state and civil society. In the long term, we aim to promote more inclusive, tolerant communities and a better-informed public in order to combat xenophobia and discrimination. (OSF 2015b. Hervorhebung LS) Es wird so deutlich, wie, auch im lampedusanischen Kontext, Hegemonie nicht nur eine politische, sondern auch eine kulturelle, intellektuelle und moralische Kategorie ist, die nicht nur materielle (dominio) , sondern auch „intellektuelle“ Macht (direzione) beinhaltet. Soros' Open Society Foundation trägt bei, die „kulturelle“ Seite der lampedusanischen Hegemonie vorzubereiten: Sie handelt vor der materiellen Macht und verbergt mit accoglienza und dem „Kampf gegen Xenophobie“ viel größere ökonomische Interessen wie die Verbesserung regionaler policymaking im Mittelmeerraum. Was diese bedeutet, wird von Mark Lawrence, erklärt – US Navy’s Federal Executive Fellow am Center for Strategic and International Studies: Southern Europe’s mass migration problem is out of control. The U.S. government may be forced to address this fact sooner rather than later if it wants to keep its transatlantic allies focused on Russia and active alongside us in the Middle East. That doesn’t mean the United States needs to send more assets to the Mediterranean to do what Europe would agree it should be able to do for itself. Our chief strategic interests in this part of the world are arresting the decline in European defense spending to ensure our allies are capable of policing their own region, and of working with us on our toughest common security challenges. But it does mean the United States must support a key partner’s call for assistance in handling the utterly tragic consequences of instability in the broader Middle East and North Africa now manifesting themselves at sea. Das Zusammenspiel zwischen politische und kulturelle Macht, oder Zwang und Konsens, das Gramscis Hegemonie prägt, wird so in diesem Fall eindeutig. Der Kampf gegen Xenophobie – in anderen Worten, die accoglienza – ist direkt mit dem Aufhalten des „decline in European defense spending“ verbunden. Militärische Interesse und accoglienza sind zwei Seiten derselben Medaille. Das Besondere an dem lampedusanischen Fall ist aber, dass die „Weltanschauung“ (2), die durch die Rede der accoglienza promoviert wird, um die Hegemonie zu gewinnen, nicht die, des Kapital schlechthin, sondern die der moderaten Linke, des „Linkskapitalismus“ ist. Ein Konzept wie accoglienza setzt eine Progressive, in vieler Hinsicht moralisch positive Ideologie durch, die unglaublich effizient ist, um die „Ideen der herrschenden Klasse“ zu verbreiten. Wer würde – in einer Zeit, in der rassistischen Protesten gegen Islamisierung sich verbreiten, in der MigrantInnen solche umstrittene Figuren geworden sind – gegen den Bedürfnis argumentieren, Leben auf hohem See zu retten? Accoglienza im Besonderen, und Lampedusa im Allgemeinen sind zwei unglaublich effizienten Dispositifs mit hegemonialer Funktion: Si rivela qui la verità di un criterio di ricerca storico-politico: non esiste una classe indipendente di intellettuali, ma ogni classe ha i suoi intellettuali; però gli intellettuali della classe storicamente progressiva esercitano un tale potere di attrazione, che finiscono, in ultima analisi, col subordinarsi gli intellettuali delle altre classi e col creare l'ambiente di una solidarietà di tutti gli intellettuali con legami di carattere psicologico (vanità ecc.) e spesso di casta. (Q1§44). Wie die Moderaten im italienischen Risorgimento eine große Attraktionsmacht wegen ihrer fortschreitende Einstellung hatten, haben die Intellektuelle der accoglienza wie die Förderer von Sabir (aber auch viele Andere) denselben Charme, und können ihre hegemoniale Weltanschauung leicht verbreiten. Das verdeutlicht der dritte und letzte Punkt, den ich hier anhand des Beispiels Lampedusa angehen will, nämlich was Gramsci coscienza contraddittoria (widersprüchliches Bewußtsein, H11§12) nennt, oder die Tatsache, dass wenn eine Hegemonie erfolgreich wird, die Gedanken der führenden Klasse die herrschenden Gedanken der ganzen Gesellschaft werden (3). In anderen Worten kann es sich ergeben, dass die Handlungen der Menschen ihres Bewusstsein kontrastieren, wenn eine Hegemonie gelungen ist: Der aktive Mensch der Masse wirkt praktisch, hat aber kein klares theoretisches Bewußtsein dieses seines Wirkens, das dennoch ein Erkennen der Welt ist, da er sie umgestaltet. Sein theoretisches Bewußtsein kann geschichtlich sogar im Gegensatz zu seinem Wirken stehen. Man kann beinahe sagen, daß er zwei theoretische Bewußtseine hat (oder ein widersprüchliches Bewußtsein), eines, das in seinem Wirken impliziert ist, das ihn auch wirklich mit all seinen Mitarbeitern bei der praktischen Umgestaltung der Realität verbindet, und ein oberflächlich explizites oder verbales, das er von der Vergangenheit ererbt und ohne Kritik übernommen hat (H11§12). Das widersprüchliches Bewusstsein als Merkmale der Hegemonie ist in dem Diskurs um Lampedusa deutlich sichtbar. Ein Beispiel ist nochmal das Festival Sabir. Unter anderen wurde dieses auch von der ARCI organisiert. Die Associazione Ricreativa Culturale Italiana (Italienische Erholsame und Kulturelle Assoziation) wurde im Jahr 1957 als Freizeitsverein der damaligen – von Gramsci gegründeten (!) – kommunistischen Partei gegründet. Jetzt organisiert sie ein Festival, das Gelder aus derselben Stiftung bekommt, die deutliche, US-verbundene ökonomisch-militärische Interessen im Mittelmeer hat. Paradoxerweise wurde zudem das Werbevideo von demselben Festival auf der Youtube Seite der „kommunistische Zeitung“ il Manifesto hochgeladen (vgl. ilmanifesto 2014). Mir scheint dies als das Beispiel eines widersprüchlichen Bewusstsein schlechthin: die hegemoniale Funktion von accoglienza ist dermaßen effektiv, dass nicht mal die „offiziellen Erben“ von Gramsci diese kämpfen können. Mit diesen Beispiele – die nur einige unter vielen anderen sind – wollte ich erklären, wie die Gramscianische Kategorie der Hegemonie ein wesentliches Konzept für eine anthropologische Analyse sein kann, die die Verhältnisse zwischen Kultur und Macht untersuchen will. “Anthropology […] has understood “cultures” as complexes of distinctive properties, including different visions of the world, but for long without attention to how these views formulated power and underwrote its effects” (Wolf 1999:21). Das Konzept der Hegemonie kann die Anthropologie aus dieser Sackgasse bringen, indem es die Trennung zwischen Ideen und Praxis ablehnt, und damit Kultur und Macht in enger Beziehung bringt. „Hegemony […] is an approach to the question of power that in its exploration of empirical realities – how power is lived in particular times and places – refuses to privilege either ideas or material realities, seeing these as always entangled, always interacting with each other. It is a concept, that is, that rejects any simple basesuperstructure hierarchy [and] it is precisely this rejection that makes hegemony such a potentially fruitful way of approaching issues of power“ (Crehan 2002:21). Ich hoffe, ich habe mit diesem Beispiel dieses Merkmal der Hegemonie verdeutlicht. Militarisierung und accoglienza gehören nicht zur Bereich der Praxis bzw. der Ideen, sondern sind – im Diskurs um Lampedusa – zwei Seiten derselben Medaille: um die eine zu verstehen, muss die andere auch im Betracht gezogen werden. Literatur ANSA. 2014. Immigrati, nuova tragedia in mare: 18 morti su gommone al largo di Lampedusa. Unter: http://www.ansa.it/sicilia/notizie/2014/12/05/immigrati-nuovatragedia-in-mare-a-largo-di-lampedusa_e833e7d1-5561-4325-ace9-4dec87369b92.html Askavusa Kollektiv. 2014. Pupi, Pupari e Pupiddi. Flugblatt anlässlich des Sabir Festivals verteilt. Cospito, Giuseppe. O.J. Egemonia. Materiali di lavoro per il seminario sul Lessico gramsciano. Unter: http://www.gramscitalia.it/html/egemonia.htm Crehan, Kate. 2002. Gramsci, culture and anthropology. Oakland: University of California Press, 2002. De Haas, Hein. 2007. The myth of invasion: Irregular migration from West Africa to the Maghreb and the European Union. IMI research report. University of Oxford. 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