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Wahlalternative, Wahlalternative? Zur Ersten Bundeskonferenz Der 'wahlalternative' [electoral Alternative Or Alternative To Elections? On The First National Convention Of The Wahlalternative In Berlin]

Wahlalternative, Wahlalternative? Zur Ersten Bundeskonferenz der 'Wahlalternative' [Electoral Alternative or Alternative to Elections? On the First National Convention of the "Wahlalternative" in Berlin]

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  0 Z - Nr. 59 September 2004 Ingar Solty Wahl  alternative, Wahl  alternative ? Bericht über die Erste Bundeskonferenz der „WahlalternativeArbeit und Soziale Gerechtigkeit“ (WASG) in Berlin (20. Juni2004) Der Vorstoß, die erste Bundeskonferenz der Initiative "Wahlalternative 2006"vom 6. Juni auf den 20. Juni 2004 zu verschieben und damit dieWahlergebnisse der Europaparlamentswahlen abzuwarten, erhöhte die Brisanzdieser Zusammenkunft in der Berliner Humboldt-Universität.Die Alles in Allem fünfstündige Konferenz im vollbesetzten Audimaxeröffnete Sabine Lösing , Mitglied des Arbeitsausschusses Wahlalternative.Lösing betonte zunächst das breite Interesse an einer politischen Vertretungder außerparlamentarischen Opposition. Die Demonstrationen vom 1.November 2003 und 3. April 2004 und die knapp 10.000 Registrierungen auf der Internet-Seite der Wahlalternative (www.wahlalternative.de) sowie derAufbau von regionalen Basisgruppen bestätigten das gesellschaftlicheBedürfnis nach einer (Wahl-)Alternative, die sich im politischen Spektrum alsInteressenvertretung der ArbeitnehmerInnen verstünde. Die PDS sei imWesten nicht angekommen und trage dort, wo sie mitregiere auch dieneoliberalen Maßnahmen mit. Da die SPD ihre Funktion als der politischeArm der ArbeitnehmerInnen und der Vertretung der außerparlamentarischenOpposition verloren habe, eröffne sich ein politisches Vakuum, das dieWahlalternative bestrebt sei zu füllen. Gegen die Tendenz derMarginalisierten und von der Marginalisierung Bedrohten zurWahlenthaltung, zur CDU oder gar zum Rechtspopulismus gelte es, „diePolitisierung der Gesellschaft durch die Wahlalternative zu fördern.“ DasBündnis der Gewerkschaften mit der SPD als dem „kleineren Übel“ müssegelöst, die „politische Lücke“ gefüllt werden. Beifall erhielt Lösing für dieForderung nach einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer und andererumverteilender Gesetzeswerke und ihre Absage an Regierungsbeteiligungen.Es könne nicht um die „Gründung einer neuen Partei alten Typs“ gehen,stattdessen müsse die enge Verknüpfung mit der außerparlamentarischenOpposition gewährleistet sein, wobei eine Sammlungsbewegung denkbarwäre, deren Spitze ein Wahlbündnis bilde.Im folgenden Redebeitrag rechnete der frühere Vorsitzende der IG Medien,  Detlef Hensche , mit besonderer Schärfe mit der SPD und der Regierung ab.Die herrschende Politik sei sozial unverantwortlich, volkswirtschaftlichirrsinnig, zukunftsblind und zynisch. Die SPD sei Teil einessozialdarwinistischen „Allparteienregimes“. In der SPD existierten heutekeine Kräfte für eine Erneuerung der Partei. Die häufig mit Bezug auf die   Berichte 1 „Demokratischen Sozialisten“ in den 80er Jahren vertretene These von derUnmöglichkeit von Parteigründungen links von der SPD sei Unsinn. Seineeigenen Bedenken richteten sich eher auf die Gefahr einer zu „engen als einerzu schnellen Parteigründung“. Parteien ohne gesellschaftliche Gegenmachtseien heute „zur Ohnmacht verdammt.“ Eine neue Partei müsse in densozialen Bewegungen verankert sein und zu einer Verbreiterung desgesellschaftlichen Protests führen. Sie sei die „Fortsetzung der sozialenBewegungen im parlamentarischen Raum.“ An eine Regierungsbeteiligungsei jedoch unter den heutigen Bedingungen nicht zu denken: „Solange man inder Gesellschaft in der Opposition ist, solange kann es im Parlament nichtanders sein! Alles andere wäre ein Widerspruch in sich.“ Es gelte, einenlangen Atem zu haben und den Protest um ein politisches Projekt mit dem„Mut zur konkreten Utopie“ zu erweitern. Jenseits der „unerotischenVerbissenheit der Defensive“ gebe es zahlreiche Anknüpfungspunkte imKampf um die „Wiederaneignung des Gemeinwesens“. Über die Verteidigungdes Sozialstaates hinaus ginge es heute vor allem aber auch um ein adäquatesReagieren auf die neuen Arbeitsformen und die Durchsetzung einer„geschlechterdemokratischen Arbeitsteilung“.Der Redebeitrag der Studierendenvertreterin  Nele Hirsch setzte sich mit denErwartungen der Studierenden an die Wahlalternative auseinander. Die(Berliner) Studierendenstreiks hätten sich vorderst gegen die Einführung vonStudiengebühren und die Kürzung universitärer Mittel gewandt. Es ginge aberletztendlich um mehr: Die Studierenden sollten sich als Teil einer breitenBewegung verstehen. Gegen die Desillusionierung der Studierenden sollte dieWahlalternative als Forum für konstruktive Diskussionen dienen. Im Kampf für die zweifelsohne möglichen Alternativen zur Heteronomie der Profitlogikforme der Bildungsbereich einen Teil des größeren Rahmens. Von derWahlalternative erwarte man eine „Offenheit der Bewegung“. Peter Wahl (attac) erinnerte in seinem Redebeitrag daran, daß attac derzentrale Akteur der Kritik am Neoliberalismus sei. Wenn es darum gehe, einneues Projekt im Sinne einer „gesamtemanzipatorischen Perspektive“aufzubauen, sei attac „zentral betroffen“. Allerdings sei die erst kürzlich mitBlick auf die Wahlalternative entwickelte formale Beschlußlage attacsdahingehend, daß man erstens in der außerparlamentarischen Oppositionbleibe,  zweitens sich weder an Wahlen noch an Wahlbündnissen beteilige, unddaß man sich drittens gegenüber allen Parteien auf eine grundsätzlicheNeutralität verpflichte, wobei den individuellen Mitgliedern parteipolitischeAktivitäten freilich nicht verboten seien. Es gelte aus den Erfahrungen derParteiassimilationen (der Grünen und der PDS), die zu einem „tiefenMißtrauen gegenüber der Parteipolitik“ geführt haben, zu lernen: dieAnpassungsentwicklung der SPD z.B. habe bereits in Weimar ihren Anfanggenommen. Man habe habe es im Kern mit systemischenAnpassungszwängen zu tun. Der Erfolg einer Partei hinge von ihrerAnpassung an die parlamentarischen Mechanismen und die Rituale derMedien ab. Den anvisierten „innovativen Parteitypus“ könne man nur  2 Z - Nr. 59 September 2004 verwirklichen, wenn erstens seine Repräsentanten in den sozialenBewegungen verankert seien,  zweitens man (die Grünen-Entwicklungreflektierend) nichthierarchische Strukturen aufbaue und das Entstehen vonBerufspolitikern verhindere und es drittens einen Verzicht auf Entscheidungsmodi wie das Prinzip der absoluten Mehrheit gebe. Bei attacverfahre man deshalb nach dem Prinzip der Konsensbildung. Die sozialenBewegungen dürften für die Wahlalternative „nicht als Durchlauferhitzerfunktionieren.“Schließlich begründete  Anny Heike („Initiative Arbeit und sozialeGerechtigkeit“) die Geburt der IASG als eine unmittelbare Reaktion auf diePolitik der Regierung. Die SPD habe mit der Agenda 2010 ihrer eigentlichenKlientel die Angst um den eigenen Arbeitsplatz und den Druck auf Arbeitslose beschert. Daß die sich immens auf das Leben der Bevölkerungauswirkende EU-Verfassung (Institutionalisierung der neoliberalenWirtschaftslehre) von – angesichts der Größe der Partei der Nichtwähler –wenig legitimierten Regierungen beschlossen werde, zeige die Tiefe derDemokratiekrise. Heute bedürfe es „früher oder später eines politischenArmes“, allerdings sei es geboten, einen „neuen Typus von Partei“ zuschaffen, der in einem großen, breiten Bündnis wurzele. Hierzu bedürfe es derGenerierung der Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaft in derBevölkerung. Die IASG werde zur Verwirklichung der politischen Visiondeshalb im Juli 2004 ein demokratisches Programm entwickeln und imDezember eine Entscheidung für oder gegen eine Parteigründung fällen.Der anschließende Block setzte sich aus mehreren Arbeitsgruppen zu einembreiten Spektrum von Themengebieten zusammen (Steuerpolitik –  AxelTroost  ; Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik –  Heiko Glawe ; Niedriglohnund prekäre Beschäftigung/Mindestlohn und Existenzgeld – Gerd Pohl ;Arbeitspolitik –  Alexandra Wagner  ; Sozialpolitik/PerspektiveBürgerversicherung –  Johannes Steffen ; Bildung und Ausbildung –  Berit Schröder/Nele Hirsch ).  Jörg Huffschmid  referierte in der AG „Alternative Wirtschafts- undFinanzpolitik“ über die grundsätzliche Durchführbarkeit einerkeynesianischen Wirtschaftspolitik. Das Haupthindernis für eine linkeWirtschafts- und Finanzpolitik sei das Thatchersche TINA-Prinzip („There isno Alternative“). Das wesentliche soziale Problem bestehe in der steigendenArbeitslosigkeit. Eine politische Forderung müsse die nach einer„postfordistischen Vollbeschäftigung“ sein, und zwar nicht im Sinne einesfordistischen „Ran-ans-Fließband“, sondern im Sinne eines „Rechts auf Erwerbsarbeit und ein selbstbestimmtes Leben.“ Man befinde sich heute ineinem zur Depression drängenden wirtschaftspolitischen Teufelskreis ausabnehmendem Wachstum, steigender Arbeitslosigkeit, einer sinkendenLohnquote und einem folgerichtig sinkenden Konsum. Dies sei ein politischesProblem! Heute setze die Politik im Wesentlichen an der Wachstums- statt anden anderen beiden Schrauben an. Die Verteilungsfrage und die   Berichte 3 Arbeitslosenproblematik seien am effektivsten über eine öffentlicheBeschäftigungspolitik und Umverteilungsmaßnahmen zur Stärkung derNachfrage zu lösen. Die Wahlalternative müsse sich für ein öffentlichesInvestitionsprogramm und eine (vielen Zielen dienende)Arbeitszeitverkürzung stark machen. Die Reallohnspielräume seien nichtausgeschöpft (an die Produktivitätssprünge und die Inflationsrate angekoppeltlägen die Reallöhne heute um 18% höher), Deutschland weise im Vergleichzu Japan und den USA das niedrigste Konsumniveau auf. EineRückverteilung vor dem Hintergrund seit Ende der 1970er Jahre steigenderProfitraten sei dringend geboten. Man habe aus dem „Teufelskreis“ einen„Tugend- oder Engelskreis“ zu machen, zumal Deutschland auch vor dengegebenen internationalen Kräfteverhältnissen eine solche Option offenstehe,denn Deutschland sei als großer Wirtschaftsraum nicht nur ein bloßerSpielball des Weltmarktes. Die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit sei einSkandal: Sie sei menschenunwürdig, richte durch den Ausschluß derArbeitslosen vom Arbeitsmarkt einen immensen Schaden an, stelle durchSteuerausfälle eine enorme fiskalische Belastung dar und wirke darüberhinaus politisch destabilisierend. Die staatliche weitgehende Beseitigungdieses Problems bilde den Schlüssel zur Lösung eines Großteils der anderenProbleme.Die anschließende Diskussion drehte sich vor dem Hintergrund derReorganisation der Nationalstaaten zu „nationalen Wettbewerbsstaaten“ imKern um die Realisierungschancen einer keynesianischen,nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, wobei die breitenwirksameÖkonomisierung der Gesellschaft sich auch in der in mancherlei Hinsichtmitschwingenden Unsicherheit oder den vielfach verhaltenen Redebeiträgenzur „demographischen Entwicklung“, zur (Nicht-)Wirksamkeit vonArbeitszeitverkürzungen usw. usf.Auf dem Abschlußpodium stimmte schließlich  Irina Neszery vomArbeitsausschuß Wahlalternative die Teilnehmenden auf die weitere Planungein. Das breite Interesse an der Wahlalternative zeuge von der Notwendigkeitund der Sympathie des gemeinsamen Projekts „Wahlalternative Arbeit undsoziale Gerechtigkeit“. Allerdings ginge es zunächst um den steten Aufbauvon Orts- und Regionalgruppen, üblicherweise baue man „zuerst das Boot undschnitze dann die Galeonsfigur.“ Es müsse gelingen, die große Spannbreite anMeinungen und Vorstellungen zu übergreifen. Hierfür vonnöten seienToleranz, gegenseitige Akzeptanz und wechselseitiges Zuhören. Die neuePartei solle keiner traditionellen Partei entsprechen, sondern zu einer, denanderen europäischen Linksparteien ähnelnden Organisation, einer (wirklich)sozialdemokratischen Partei heranreifen. Geeint sei man in der sachlichenGrundlage, die in der Bekämpfung des Neoliberalismus bestehe. JederTeilnehmende habe hierzu seine eigene Biographie mit im Gepäck, jetzt gehees um die konkrete Organisierung, die darin bestehe, die (provisorische)Struktur schnellstmöglich in die Fläche auszudehnen. Hierbei seien einigeBundesländer (Schleswig-Holstein und Hamburg) bereits sehr weit, in NRW  4 Z - Nr. 59 September 2004 existierten bereits Koordinierungskreise, in anderen Bundesländern hinke manein wenig hinterher.  Bernd Riexinger  betonte in seiner Abschlussrede, es sei jetzt gestattet, mit einem „gewissen Optimismus nach Hause (zu) fahren.“Dieser Einschätzung der ersten Bundeskonferenz der Wahlalternative magmancher sich im Großen und Ganzen anschließen. Legt man die erstenUmfrageergebnisse im Anschluß an die Bundeskonferenz (von Infratest und„Panorama“) zugrunde, denen zufolge es sich mittlerweile 38% derBundesbevölkerung (gegenüber 24% im Vorfeld von Europawahlen undKonferenz) vorstellen können, einer Partei „Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ihre Stimme zu geben, kann die Berliner Veranstaltung vom 20. Juni 2004 alswirklicher Erfolg gewertet werden. Auch der „Spiegel“ widmete derWahlalternative im Anschluß an die Bundeskonferenz eine größereBeachtung, nachdem das Medienecho auf die Bundeskonferenz doch ehermarginal ausgefallen war, und titelte „Neue Partei könnte SPD gefährlichwerden“ (Spiegel, Online-Ausgabe vom 24. Juni 2004). Seither ist dieMedienpräsenz der Wahlalternative stetig angestiegen. Alles in Allem stellensich aber hinsichtlich der Wahlalternative einige wichtige, bisher ungeklärteFragen, die für den Erfolg dieses Projektes gegen den Neoliberalismus vonentscheidender Bedeutung sein werden und die im – zugegebenermaßenengen zeitlichen Rahmen – wenig bis gar nicht thematisiert wurden.Bezüglich des Verhältnisses zur SPD brachten die Teilnehmenden ihretiefsitzende Wut zum Ausdruck, das ausschlaggebende Verhältnis zur PDS(vgl. hierzu den Beitrag von Florian Weis in „Z“ Nr. 58) kam aber – voneinigen polemischen Bemerkungen über die Regierungsbeteiligungen der PDSeinmal abgesehen – nicht zur Sprache. Ähnlich steht es um die unerläßlicheIntegration bereits marginalisierter gesellschaftlicher Schichten jenseits dervon ihrer Marginalisierung bedrohten Gewerkschaftsklientel in dieWahlalternative. Diesbezüglich muß die Abwesenheit vonErwerbslosenvertreterInnen als ein Versäumnis und/oder Manko gewertetwerden. In diesem Zusammenhang stehen auch ihrem Wesen nachhegemonietheoretische Überlegungen, ob ohne eine weitreichende(re)zivilgesellschaftliche Gegenhegemonie der Eintritt in die politischeGesellschaft ratsam ist bzw. historisch auf der Tagesordnung steht.Tatsächlich ist Joachim Bischoff zuzustimmen, wenn er vor dem Hintergrunddes zahlenmäßigen Anstiegs an Wechselwählern in der Aprilausgabe desSozialismus das dogmatische Festhalten an Gramscis Drei-Phasenmodell als„Strukturkonservatismus“ geißelt. De facto besteht die Hoffnung, daß – wie esauch Mario Candeias in einem Kommentar („Wahlalternative 2006 – Einstark subjektiver Eindruck, www.linksnet.de, 09.03.2004) in Aussicht gestellthat – die Wahlalternative sich zum Katalysator der sozialen Bewegungenmachen könnte. Andererseits muß die Konferenz zumindest hinsichtlich ihrerbisherigen Anziehungskraft auf Arbeitslose, Teilzeitarbeitnehmer etc. alsDämpfer gewertet werden. Ebenso beruhte eine Schwäche der Konferenz inihrer Altersstruktur, denn der Großteil der Teilnehmenden war 40 Jahre oderälter. Die Generation der 25-40jährigen war stark unterrepräsentiert.