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Weiblichkeit Un Feministische Motive In Der Dialektik Der Aufklärung

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Weiblichkeit und feministische Motive in der Dialektik der Aufklärung

Westfälische Wilhelms-Universität Münster Germanistisches Institut Abteilung Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Seminar Dozentin Name Matrikelnummer Studiengang Fachsemester Kritische Kulturtheorie Sommersemester 2007 Dr. Jens Birkmeyer Sven Lüders 332750 Magister Philosophie (Hf), Religionswissenschaften (Nf), Deutsche Philologie (Nf) 04

Inhalt 1. Einleitung...............................................................................................................2 2. Die Interpretation der Figur Kirke als Beispiel einer feministischen Interpretation .............................................................................................................3 2.1. Adornos Interpretation der Geschlechterverhältnisse um die Figur Kirke.............5 2.1.1. Die romantische Liebe als bürgerliches Konstrukt zur Unterdrückung des Weiblichen...................................................................................................................6 2.1.2. Die Ehe als Institutionalisierung der Unterdrückung des Weiblichen.................7 2.1.3. Die Prostitution als Verdinglichung des Weiblichen...........................................9 3. Die Sirenen als weitere Möglichkeit zur feministischen Interpretation ..........10 3.1. Die Sirenen und Kirke im Vergleich....................................................................11 3.2. Hegemoniale Männlichkeit als Vorrausetzung zur Kunst ...................................13 4. Kritik am Frauenbild des Textes ........................................................................15 4.1. Die Ableitung des Frauenbildes aus einer Ursprungsfiktion und deren Probleme ..................................................................................................................................17 5. Abschluss ............................................................................................................17 6. Verwendete Literatur...........................................................................................18

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1. Einleitung Als die Dialektik der Ausklärung1 1947 zum ersten Mal erschien, hatte es zwar bereits eine Frauenbewegung gegeben, eine umfassende Theoretisierung, wie sie mit Simone de Beauvoirs Buch Das andere Geschlecht 1949 in Gang gesetzt wurde, stand aber noch aus. Es ist dennoch nicht verwunderlich, dass sich zahlreiche FeministInnen, wie etwa Seyla Benhabib2 auf die Kritische Theorie beziehen, da Kulturkritik auch Patriarchatskritik3 bedeuten kann. Es fällt aber schon bei der Lektüre der Dialektik der Aufklärung auf, dass auch in dem Buch selbst an einigen Stellen von der Kategorie Geschlecht gesprochen wird und diese dazu genutzt wird, die Lage der Frauen kritisch zu untersuchen4. Vor dem Hintergrund der vielfältigen Verbindungen des Buches mit der feministischen Theorie, stellt sich die Frage, wie diese Verbindungen bereits im Text angelegt sind. Um diese Frage zu beantworten, soll vor allem der Exkurs Odysseus oder der Mythos der Aufklärung5 auf seine expliziten und denkbaren Bezugnahmen zur Weiblichkeit und auf expliziten (politischen) Motive, die auch im Kontext der feministischen Bewegung auftauchen, untersucht werden. Dieser Teil des Textes wird deshalb herausgestellt, da er nach eigener Einschätzung der Autoren „Zeugnis [...] von der Dialektik der Aufklärung“6 ablegt. So soll dargelegt werden, dass die Kategorie Geschlecht explizit im Text vorkommt und dass die Kulturkritik des Buches eine Reihe Anknüpfungspunkte für feministische Theorie bietet. Dazu soll zunächst die Interpretation der Figur Kirke innerhalb der Besprechung der Odyssee im Text untersucht werden, da bei dieser viele feministische Motive auftauchen und sich gleichzeitig auch ein besonderes Verständnis von Weiblichkeit zeigt. Dies soll vor allem gesehen, da Kirke von den Autoren „als erster weiblicher Charak-

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Horkheimer, Max u. Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 16 Frankfurt 2001. 2 Vgl.: Politische Möglichkeiten feministischer Theorie. Ein Gespräch mit Andrea Maihofer, S. 94-95, in: Deuber-Mankowsky, Astrid u. Konnert, Ursula: Die Philosophin, Heft 11, Tübingen 1995, S. 94-105. 3 Der Begriff Patriarchat wird im Verlaufe dieser Arbeit immer in seiner Bedeutung der feministischen Theorie gebraucht. Er soll zum einen die konkrete Herrschaft der Männer über die Frauen und damit die Benachteilung weiblicher Menschen kennzeichnen, zum anderen steht er auch für eine Allgemeine Dominanz des Männlichen über das Weibliche, bzw. dessen, was in dem Patriarchat als weiblich gekennzeichnet wird. 4 Vgl.: Stephan, Inge: Gender, Geschlecht und Theorie, S. 80, in: von Braun, Christina u. Stephan, Inge (hrsg.): Gender Studien. Eine Einführung, Stuttgart 2000, S. 58-96. 5 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, S. 50-87. 6 Ebd. S. 50.

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ter“7 bestimmt wird und somit exemplarischen Charakter für weibliche Individuen innehat. Anschließend soll in dem darauf folgenden Abschnitt die Bedeutung, die Adorno und Horkheimer der Episode mit den Sirenen zukommen lassen, untersucht werden, dazu werde ich Gemeinsamkeiten und Unterschiede von den Sirenen und der zuvor untersuchten Figur Kirke herausarbeiten, um zu zeigen, wo sich Unterschiede im Hinblick auf die Bedeutung für die Entstehung des Patriarchats finden lassen. Gesondert sollen hier außerdem Adornos Aussagen zur Kunst und ihrem Platz in der patriarchalen Gesellschaft analysiert werden, da diese ebenfalls unter geschlechtersensiblen Bedingungen getätigt werden. Darauf folgend soll untersucht werden, was die Vorstellung von Weiblichkeit und das Frauenbild im Text an Problemen für feministische Theorie mit sich bringen.

2. Die Interpretation der Figur Kirke als Beispiel einer feministischen Interpretation Explizit zeigt sich die Sensibilität für die Unterdrückung des Weiblichen vor allem am Beispiel der Interpretation der Figur Kirke8. Sie wird von Adorno und Horkheimer als eine Herausforderung an Odysseus gedeutet. Sein Umgang mit ihr ist für Adorno exemplarisch für den Umgang der bürgerlichen Gesellschaft mit der Weiblichkeit und den ihr zugeordneten Individuen, sowie für das Verhältnis vom Mythos (bzw. der „Sage“9) zur Aufklärung (und damit zur Geschichtsschreibung):
[Kirke] bewährt sich als erster weiblicher Charakter. Beim Übergang von der Sage 10 zur Geschichte leistet sie einen entscheidenden Beitrag zur bürgerlichen Kälte.

Bedeutsam an der Interpretation der Figur Kirke ist, dass zum ersten Mal innerhalb des Buches die Opposition Natur/Kultur unter Einbeziehung der Kategorie Geschlecht mit der Opposition Mann/Frau bzw. männlich/weiblich verbunden wird, wie es auch in der Geschlechterforschung üblich ist11: So wird die Frau im Kontext der Kirke-Interpretation als „Repräsentantin der Natur [...] in der bürgerlichen Gesellschaft“12 bezeichnet, womit die Verknüpfung des Weiblichen mit der Natur in der bür-

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Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 80. Vgl.: ebd. S. 76-83. 9 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, S. 80. 10 Ebd.. 11 Vgl.: Stephan: Gender, Geschlecht und Theorie, S. 80-82. 12 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 79.

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gerlichen Gesellschaft von den Autoren erkannt wird13. Des Weiteren wird Kirke als Symbol des durch die Aufklärung aufzuhebenden mythischen Lebens verstanden: „[Kirke] hält eine ältere Form von Leben fest.“14 Zunächst einmal wird Kirke als Verführerin vorgestellt, womit ihr eine Eigenschaft zugeschrieben wird, die innerhalb des patriarchalen Diskurses traditionell mit dem Weiblichen verknüpft wird:
Magie desintegriert das Selbst, das ihr wieder verfällt und damit in eine ältere biologische Gattung zurückgestoßen wird. [...] Sie ergreift [...] den festen Willen des 15 Subjekts [...]. Kirke verführt die Männer, dem Trieb sich zu überlassen [...].

Die Rolle der Verführerin ist innerhalb der Kirke-Interpretation ausgestaltet zu einem Verführen, dass dafür sorgen soll, dass das männliche Subjekt, das dabei ist, sich von der Natur zu emanzipieren, in diese zurückfällt. Vor dem Hintergrund der Kritik, welche das Buch an der Entstehung des bewussten Subjekts äußert, nämlich, dass hierbei die innere Natur verdrängt und domestiziert wird16, gewinnt die Thematik eine patriarchatskritische Dimension. Diese zeigt, dass auch Männer im Patriarchat unterdrückt werden, wenn sie das in sich unterdrücken, was im Patriarchat als weiblich gekennzeichnet wird.17 Aus der Nähe der Frau zur Natur konstruiert sich dem Text nach auch eine weitere Eigenschaft, die ihr in der patriarchalen Gesellschaft zugeschrieben wird, die der Rätselhaftigkeit. Diese kommt dadurch zustande, dass die Frau einerseits Anziehung auf den Mann ausübt, die immer auch daraus resultiert, dass der Mann versucht ist, seiner inneren Natur/Weiblichkeit nachzugeben. Andererseits ist ihm die Frau in der patriarchalen Gesellschaft hilflos ausgeliefert. Aus dieser Spannung zwischen Macht und Ohnmacht erwächst nach dem Text die der Frau bzw. dem Weiblichen zugeschriebene Rätselhaftigkeit.18 Auch innerhalb der Kirke-Interpretation wird deutlich, dass die Opposition von Mythos und Aufklärung, ebenso wie die anderen Binäroppositionen niemals klar trennbar ist; im Gegenteil: Nach Adorno schlägt die Aufklärung auch in der Odyssee, ihrem fiktiven Beginn, wieder in den Mythos um:
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Im Folgenden werden Natur und Weiblichkeit im Allgemeinen gleichgesetzt behandelt, da der Text diese Interpretation an den meisten Stellen zulässt. Eine gesonderte Diskussion über das Frauenbild des Textes erfolgt unter Punkt 4. 14 Ebd., S. 77. 15 Ebd., S. 76/77. 16 Vgl.: Ebd., S. 36. 17 Vgl. hierzu auch Abschnitt 3.2. zur hegemonialen Männlichkeit. 18 Vgl.: „Als Repräsentantin der Natur ist die Frau in der bürgerlichen Gesellschaft zum Rätselbild von Unwiderstehlichkeit und Ohnmacht geworden.“ Ebd., 79.

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Das mythische Gebot, dem sie verfallen, entbindet zugleich die Freiheit eben der unterdrückten Natur in ihnen. Was in ihrem Rückfall auf den Mythos wiederrufen wird, ist selber Mythos. Die Unterdrückung des Triebs, die sie zum Selbst macht und vom Tier trennt, war die Introversion der Unterdrückung im hoffnungslos ge19 schlossenen Kreislauf der Natur [...].

Wie an vielen anderen Stellen innerhalb des Buches wird hier auch vorgeführt, dass die Subjektbildung gegen die Natur ein Unterdrückungsakt ist, der sich näher an der Natur als am aufgeklärten Geist selbst verortet. Dass diese Disziplinierung auch innerhalb der Kirke-Interpretation auftaucht, könnte zeigen, dass sie ebenfalls auf die Binäropposition männlich/weiblich anzuwenden ist, da diese an vielen Stellen innerund außerhalb des Textes mit der von Bewusstsein/Natur gleichgesetzt wird. Dies würde bedeuten, dass der Unterdrückungsakt des Weiblichen weniger zu dem aufgeklärten Selbstbild des männlichen Subjektes passt, sondern viel eher in seiner Vorstellung des Weiblichen verankert wäre. Auch wenn es im Text nicht explizit zu finden ist, kann man davon ausgehen, dass das entstehende männliche Subjekt seine innere Weiblichkeit unterdrücken muss, so dass nur ein Teil des Individuums wirklich Subjekt wird. Diese interne Unterdrückung findet ihre Parallele dann in der Unterdrückung der Frau in der patriarchalen Gesellschaft. Die Frau muss als menschliche Verkörperung der Natur/Weiblichkeit dienen; neben der Abgrenzungsfunktion für das männliche Subjekt wird sie zum Repressionsobjekt. Aber auch männliche Individuen zahlen in dem entstehenden Patriarchat einen (hohen) Preis, um die herrschende Rolle wahrzunehmen. Das dies so ist, wird auch deutlich, wenn Adorno die Befreiung von Odysseus’ Gefährten kommentiert:
Aber die also Bestätigten und in ihrer Männlichkeit Bestärkten sind nicht glücklich: „Alle durchdrang Wehmut, süßschmerzende, daß die Behausung / Rings von Kla20 gen erscholl.“

2.1. Adornos Interpretation der Geschlechterverhältnisse um die Figur Kirke Innerhalb der Kirke-Interpretation wird ihre Beispielhaftigkeit auch auf die Geschlechterverhältnisse in der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft übertragen. So werden romantische Liebe, Ehe und Prostitution behandelt und erklärt.

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Ebd., S. 78. Ebd. S. 81.

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2.1.1. Die romantische Liebe als bürgerliches Konstrukt zur Unterdrückung des Weiblichen Zunächst wird innerhalb der Interpretation der Figur Kirke die romantische Liebe kritisch untersucht:
Ihr Verhalten praktiziert das Liebesverbot, das späthin um so mächtiger sich durchgesetzt hat, je mehr Liebe als Ideologie über den Haß der Konkurrenten betrügen musste. In der Welt des Tausches hat der Unrecht, der mehr gibt; der Liebende aber ist allemal der mehr Liebende. Während das Opfer, das er bringt, glorifiziert wird, wacht man einfersüchtig darüber, daß dem Liebenden das Opfer 21 nicht erspart bleibe.

Dabei wird die romantische Liebe als etwas charakterisiert, was Konkurrenzverhältnisse überdeckt. Diese Form der Liebe steht dem real existierenden „Haß der Konkurrenten“21 gegenüber, wobei sie angesichts der realen Verhältnisse dem Text nach nicht mehr als „Ideologie“21 sein kann. Zudem ist in der kapitalistischen Welt der Liebende, der nach dem Ideal verfährt, mehr zu geben als zu nehmen, jemand, welcher der ökonomischen Vernunft zuwider handelt. Damit wäre er in einer Rolle, die im Patriarchat der Weiblichkeit zugeschrieben wird. Das irrationale „Opfer“21 wird von der bürgerlichen Gesellschaft idealisiert und vom Individuum eingefordert, damit die männliche, „bürgerliche Kälte“21 der Wirklichkeit ihr weibliches Gegenüber im Ideal bekommt. Vor allem im zweiten Exkurs wird diese Sicht auf das bürgerliche Ideal der Liebe bekräftigt, so wird die gegenseitige Anbetung als Verklärung der „tatsächliche[n] Knechtschaft der Frau“22 bezeichnet, womit auch an dieser Stelle deutlich wird, dass die Autoren die romantische Liebe allein zu einem Schutz für die patriarchalen Verhältnisse erklären. Ob die romantische Liebe allerdings zu verurteilen ist oder nicht, dazu macht der Text (ebenfalls im zweiten Exkurs) zwiespältige Aussagen:
Nicht bloß die romantische Geschlechtsliebe verfiel der Wissenschaft und Industrie als Metaphysik, sondern jede Liebe überhaupt, denn vor der Vernunft vermag kei23 ne standzuhalten [...]

Klingt es in den anderen Textstellen zuvor so, als wäre die romantische Liebe nur dazu da, das Weibliche zu unterdrücken, so wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die romantische Liebe vor der Rationalität nicht standhält. Während die Vernunft innerhalb des Textes mehrfach als männliches Prinzip beschrieben wird, so scheint es an dieser Stelle so, als würde gerade sie ein Repressionsverhältnis ge21 22

Ebd., S. 80. Ebd., S. 114. 23 Ebd., S. 124.

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genüber dem Weiblichen beenden. Allerdings müsste man mit dem Vernunftbegriff der beiden Autoren einwenden, dass sich so der Zugriff der männlichen Rationalität auf die Frauen nur direkter gestaltet – das, was in dem Text als Weiblichkeit benannt ist, kommt dadurch lediglich in ein noch repressiveres Verhältnis. Der Text geht an beiden Stellen den Weg der einseitigen Demaskierung der romantischen Liebe, ohne zu erwähnen, dass dieser idealisierten Form der Beziehung zwischen den Geschlechtern möglicherweise subversives Potenzial zukommt, dass die patriarchal-kapitalistischen Verhältnisse fortlaufend delegitimieren kann.

2.1.2. Die Ehe als Institutionalisierung der Unterdrückung des Weiblichen Im Zusammenhang der innerhalb der Kirke-Interpretation vorgenommen kritischen Untersuchung der Kategorie Geschlecht, wird auch die Ehe in der kapitalistischen Gesellschaft analysiert. Diese konzentrierte Analyse der Ehe wird in dem Text damit begründet, dass sie „zum Urgestein des Mythos auf dem Grunde von Zivilisation [gehört]“24, wobei klargestellt wird, dass mit dem für Adorno fiktiven Ende des Mythos und dem Beginn der Zivilisation auch die Rolleneinteilung und damit die Diskriminierung der Frau beginnt: So heißt es in der Kirke-Interpretation: „[D]er Rauch des Opferaltars [...] verwandelt [sich] in den heilsamen des Herds.“24 Mit dem offiziellen Ende des Mythos beginnt also der Mythos der Rollenzuschreibung, wobei das Weibliche klar auf die häusliche, nicht-öffentliche Sphäre reduziert wird und somit einem Ausschluss aus der Öffentlichkeit ausgesetzt ist. Dabei wird die Ehe fortlaufend als eine Institution charakterisiert, welche dazu dient, die Unterdrückung des Weiblichen und damit der Frau zu festigen:
Die Ehe ist der mittlere Weg der Gesellschaft, damit sich abzufinden: die Frau bleibt die Ohnmächtige, indem ihr die Macht nur vermittelt durch den Mann zu25 fällt.

So wird die Frau hier als „Ohnmächtige“ bezeichnet, der jeglicher gesellschaftlicher Einfluss, nur durch den Mann zukommt – dieses Problem wird gerade durch die Ehe institutionalisiert.

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Ebd., S. 83. Ebd., S. 79.

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Die Autoren zeichnen die Entstehung der Institution Ehe an der Odyssee nach: Odysseus widersteht Kirkes Zauber und damit ihrer Weiblichkeit und der Natur. Adorno interpretiert diese Widerstandskraft so, dass er gerade durch sie Kirke gefügig gemacht hat – sie wird dadurch zum passiven Objekt und findet sich bald darauf in der Ehe wieder. An dieser Stelle bleibt unklar, warum Kirke bzw. die Weiblichkeit Odysseus bzw. dem Männlichen verfällt und sich dann auch noch in die nachteilige Form des Verhältnisses der Ehe begibt. Eine mögliche Erklärung ist, dass das Ausschlagen eines rationalisierten Abwägungsaktes bedurft hätte, welcher aber nur dem Männlichen eigen ist. Anzumerken ist an dieser Stelle auch, dass Odysseus’ Widerstand gegen die Verführung nicht nur ein notwendiger Akt zum Überleben des männlichen Bewusstseins ist, sondern auch der Selbstprojektion des Mannes gerecht wird, was im Text allerdings unerwähnt bleibt: So zeigt sich in seiner Widersetzung auch eine Form des männlichen Autonomiestrebens, dass ein Teil der männlichen Selbstprojektion im Patriarchat darstellt. Die Ehe wird von den Autoren auch als ein Schutz für die patriarchalen Verhältnisse gedeutet:
Der Eid soll den Mann vor der Verstümmelung schützen, der Rache fürs Verbot der Promiskuität und für die männliche Herrschaft, die ihrerseits als permanenter 26 Triebverzicht die Selbstverstümmmelung des Mannes symbolisch noch vollzieht.

Sie soll vor der „Rache“26 der Frauen und des Weiblichen und „Verstümmelung“26 der männlichen Subjektes schützen, obwohl dieses auch unter den Verhältnissen leidet: Neben der Tatsache, dass ökonomisches Denken Kontrolle und damit „Treibverzicht“26 bedeutet, bezeichnet Adorno die daraus resultierende Unterdrückung der Weiblichkeit im Mann metaphorisch als „Selbstverstümmelung“26. Die Institution Ehe trägt damit indirekt zum Leid beider Geschlechter bei. Zum Abschluss der Kirke-Interpretation wird das bürgerliche Ideal der Ehe nochmals angegriffen:
Ehe heißt nicht bloß die vergeltende Ordnung des Lebendigen, sondern auch: solidarisch, gemeinsam dem Tod standhalten. Versöhnung wächst in ihr um Unterwer27 fung, [...]

Aus der propagierten wechselseitigen Verantwortung der Ehepartner füreinander wird „Unterwerfung“27, welche in patriarchalen Verhältnissen vom Mann ausgeht. Das

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Ebd., S. 80. Ebd., S. 83.

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Begriffspaar lebendig/tot kann man an dieser Stelle auf die bewussten Subjekte, den Mann und die Ehefrau, welche „nicht [ruht], bis sie sich dem männlichen Charakter selber gleich gemacht hat“28 übertragen werden. Dies würde bedeuten, dass das Bewusstsein im Sinne der Aufklärung nur mit der Institution der bürgerlichen Ehe überleben kann, weil nur sie das nötige Gegenüber, das Weibliche/die Natur/das Andere, kontrollierbar macht. An anderer Stelle wird das Begriffspaar lebendig/tot in einem anderen Sinn benutzt, nämlich wenn Adorno gerade die Rationalisierung der Aufklärung (besonders ihre formalisierte Sprache) als tot bezeichnet29 – in diesem Sinne wäre dann die Natur/das Weibliche das Lebendige. Im zweiten Exkurs des Buches werden die Geschlechterverhältnisse erneut thematisiert, wobei auch hier die Ehe im Vordergrund steht. Dabei wird unter anderem aufgezeigt, welche Rolle die Religion bei der Unterdrückung der Frau in der Ehe spielt:
Durch das Christentum ward die Hierarchie der Geschlechter, das Joch, das die männliche Eigentumsordnung dem weiblichen Charakter auferlegt, zur Vereinigung in der Ehe verklärt, die Erinnerung an die vorpatriarchale bessere Vergangenheit 30 des Geschlechts beschwichtigt.

Hier wird deutlich, dass die Autoren dem Christentum eine große Mitverantwortung geben: Sie sehen die christliche Religion in einer Überdeckungsfunktion, welche dadurch zustande kommt, dass das Christentum die Ehe als heilig erklärt, trotz der Repression, welcher die Frau in ihr ausgesetzt ist. Dieser Satz kann als ein Beleg für einen marxistischen Umgang mit der Religion gelesen werden: der Religion wird nur eine Überdeckungsfunktion für negative Verhältnisse zugeschrieben; außerdem besteht die Repression gegenüber dem Weiblichen in diesem Teil vor allem in einer Diskriminierung der Frauen bezüglich der „Eigentumsordnung“30.

2.1.3. Die Prostitution als Verdinglichung des Weiblichen Adorno geht auch auf eine andere Form des Geschlechterverhältnisses neben der Ehe ein, der Prostitution. Hierbei wird unterschieden zwischen zwei Formen der Prostitution in der Antike: der ungebildeten Prostituierten, der „Dirne“31 und der gebil-

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Ebd., S. 82. Vgl.: Ebd., S. 68: „Solche Anpassung ans Tote durch die Sprache enthält das Schema der modernen Mathematik.“ 30 Ebd., S. 114. 31 Ebd., S. 81.

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deten „Hetäre“32, die neben der sexuellen Dienstleistung auch eine Gefährtin für den Mann darstellt.33 Die Figur Kirke wird im Text als „Prototyp der Hetäre“34 bezeichnet. Zunächst wendet sich der Text der weniger angesehenen Form der Prostitution zu:
Dirne und Ehefrau sind die Komplemente der weiblichen Selbstentfremdung in der patriarcharlen Welt: die Ehefrau verrät Lust an die feste Ordnung von Leben und Besitz, während die Dirne, was die Besitzrechte der Gattin unbesetzt lassen, als deren geheime Bundesgenossin nochmals dem Besitzverhältnis unterstellt und 35 Lust verkauft.

Während die Selbstentfremdung der Frau in der Ehe den Autoren nach bedeutet, dass sie die sexuelle Selbstverwirklichung für ein geordnetes Leben und materielles Eigentum aufgeben muss, bedeutet die Prostitution, Sexualität zum tauschbaren Eigentum zu machen. An dieser Stelle ist eine interessante Doppeldeutigkeit des Ausdrucks Lust zu bemerken: Meint sie im ersten Fall die sexuelle Selbstverwirklichung der Frau in emanzipierten Verhältnissen, so ist im zweiten Fall von den patriarchalen Verhältnissen die Rede, in denen Lust ein rationalisierter und ökonomisierter Begriff ist, der hauptsächlich für das sexuelle Begehren des Mannes steht. Der Unterschied zwischen Dirne und Hetäre liegt in dem Bewusstsein darüber, Sexualität (und damit die Weiblichkeit und sich selbst) zum Tauschgut zu machen. Erfolgt dieses bei der Hetäre bewusst, so macht sie „die patriarchale Wertordnung sich zu eigen“36, da sie die Sexualität rationalisiert.

3. Die Sirenen als weitere Möglichkeit zur feministischen Interpretation Verwunderlich ist, dass der Text erst bei der Figur Kirke umfassend auf die Kategorie Geschlecht eingeht. Bereits die Interpretation der Sirenen, die zuerst im ersten Kapitel, Der Begriff der Aufklärung37, behandelt werden, wenn die Odyssee thematisiert wird38 und denen ein Abschnitt des ersten Exkurses gewidmet ist39, haben das Potenzial, unter feministischer Motivation untersucht zu werden.

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Ebd., S. 77. Vgl.: Wikipedia: Hetäre, http://de.wikipedia.org/wiki/Hetäre vom 27. August 2007. 34 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 77. 35 Ebd., S. 81. 36 Ebd., S. 82. 37 Ebd., S. 9-49. 38 Ebd., S. 38-42. 39 Ebd., S. 66-67.

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3.1. Die Sirenen und Kirke im Vergleich Zunächst einmal gibt es einige Parallelen zu der Figur Kirke: So sind die Sirenen – wie Kirke – Wesen mit einem weiblichen Körper, die Vorbeiziehende verführen. Auch das Ziel ihrer Verführung ist auf einer symbolischen Ebene ähnlich: Kirke verwandelt die Verführten zu Naturwesen, die Sirenen bringen ihren Opfern den Tod im Meer; in beiden Fällen wird das bewusste, männliche Subjekt durch seine Hingabe an die Natur ausgelöscht und seine Reste gehören der Natur/dem Weiblichen. Letztlich widersteht Odysseus beiden Verführungsversuchen und rettet damit exemplarisch das männliche Bewusstsein und vertritt dessen Autonomiestreben.
Die Angst, das Selbst zu verlieren und mit dem Selbst die Grenze zwischen sich und anderem Leben aufzuheben, [...] ist einem Glücksversprechen verschwistert, 40 von dem in jedem Augenblick die Zivilisation bedroht war.

Hier wird abseits des Mythos die Bedrohung nachgezeichnet, die im Mythos von den beiden Figuren ausgeht: So ist es nach Horkheimer und Adorno so, dass das Begehren des männlichen Subjektes, seiner inneren Natur/Weiblichkeit nachzugeben und sich mit dem Umfeld zu vereinigen, das Projekt der Aufklärung und damit der Zivilisation von ihrem Anbeginn an gefährdet hat. Wenn das Subjekt dieser Gefahr nachgeht, wird es letztlich selbst zu einem passiven Objekt, einer Existenzweise, die es vorher der Frau und der Natur zugeschrieben hätte. An dieser Stelle bleibt die Frage offen, warum es so dargestellt wird, als sei eine Rückkehr zur Natur/Weiblichkeit bzw. eine Vereinigung mit ihr für das maskuline Subjekt überhaupt noch möglich. Diese Frage stellt sich vor allem deswegen, da in dieser Textstelle angenommen wird, dass die Vereinigung mit der Natur bzw. das Ausleben der inneren Weiblichkeit eine Gefahr für die Zivilisation sei. An anderen Stellen, zum Beispiel, wenn angemerkt wird, dass die Aufklärung totalitär sei41, klingt es dagegen so, als sei die exemplarische Odyssee des Subjekts aus der Natur nicht mehr rückgängig zu machen. Auch wird innerhalb der Sirenen-Interpretation darauf verwiesen, dass die Männer auch Leidtragende des patriarchalen Systems sind:
Furchtbares hat sich die Menschheit antun müssen, bis das Selbst, der identische, zweckgerichtete, männliche Charakter des Menschen geschaffen war, und etwas 42 davon wird noch in jeder Kindheit wiederholt.

Hier wird auch klar gemacht, dass dieses entstandene Subjekt ein maskulines ist. Außerdem wird deutlich, dass dieser Prozess einer ist, der nur mit Entbehrungen des
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Ebd., S. 40. Vgl. ebd., S. 31. 42 Ebd., S. 40.

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Menschen möglich war. Dadurch, dass dieser Prozess nach Adorno und Horkheimer in der Erziehung von Kindern nachvollzogen wird, ist klar, dass jeder Mensch, also auch männliche Kinder, unter dem Patriarchat leiden. Die Sirenen haben genauso wie Kirke einen privilegierten Zugang zur Natur: Während Kirke als Magierin Menschen in Naturwesen verwandelt, sind die Sirenen Mischwesen von Natur und Mensch und passen damit in eine patriarchale Vorstellung der Weiblichkeit, in welcher die Frau als Vermittlerin zwischen Natur und Mensch auftaucht43. Die Sirenen haben auch die ihnen von den Autoren beigemessene Bedeutung mit Kirke gemein: Kirke steht exemplarisch „als erster weiblicher Charakter“44, die Episode mit den Sirenen wird als „ahnungsvolle Allegorie der Dialektik der Aufklärung“45 bezeichnet. Wie Kirke auch, werden die Sirenen dazu genutzt, um Patriarchatskritik zu betreiben, da sie als Wesen beschrieben werden, die „mit dem unwiderstehlichen Versprechen von Lust, als welches ihr Gesang vernommen wird, die patriarchale Ordnung [bedrohen]“46. Allerdings ist die Rolle der Sirenen in der Odyssee eine andere: Während Kirke als Prototyp der neuen Weiblichkeit im Patriarchat fortexistiert, finden die Sirenen in der entstandenen aufgeklärten, patriarchalen Welt keine Erwähnung mehr: „Das Epos schweigt darüber, was den Sängerinnen widerfährt, nachdem das Schiff entschwunden ist.“47 Beim Vergleich der beiden Episoden ist außerdem zu beachten, dass die Textstelle mit den Sirenen in der Odyssee im Handlungsverlauf nach der Episode mit Kirke erscheint. In Zusammenhang mit der Warnung Kirkes vor den Sirenen48, ergibt sich daraus eine besondere Symbolik, welche im Text nicht weiter untersucht wird. Kirke als Prototyp der Frau im Patriarchat stattet Odysseus mit dem Wissen aus, wie er die verbliebene Natur/Weiblichkeit (scheinbar) endgültig überwinden kann, nachdem sie
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So ist Simone de Beauvoir der Auffassung, dass die Frau eine Rolle zwischen der Natur und dem männlichen Bewusstsein einnimmt, da die Natur zu wenig Widerstand leisten kann, um ein Bewusstsein aus ihr entstehen zu lassen und ein anderes (männliches) Bewusstsein zu viel Widerstand erhebt und selbst als Wesen anerkannt werden will. Die Frau wird deshalb als Mischform vorgestellt, die zwar Bewusstsein hat, aber nicht genügend, um ausreichend Widerstand zu leisten. Diese Vorstellung wird vom Männlichen dann im Patriarchat in die Wirklichkeit umgesetzt (Vgl. Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie, Stuttgart 2003). 44 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 80. 45 Ebd., S. 41. 46 Ebd., S. 39. 47 Ebd., S. 67. 48 Vgl. ebd., S. 39-40.

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sich selbst von ihrer Natur/Weiblichkeit entfernt hat und bereits eine Mittlerfunktion zwischen dem entstandenen männlichen Bewusstsein und dem Anderen einnimmt.

3.2. Hegemoniale Männlichkeit als Vorrausetzung zur Kunst Innerhalb der Sirenen-Interpretation zeigt sich, dass das bürgerliche Kunstverständnis eine hegemoniale Männlichkeit zur Vorrausetzung hat. Die hegemoniale Männlichkeit49 als Merkmal der patriarchalen Gesellschaft wird von den Autoren aufgezeigt, ohne ihre Brisanz weiter zu analysieren:
Er kennt nur zwei Möglichkeiten des Entrinnens. Die eine schreibt er seinen Gefährten vor. Er verstopft ihnen die Ohren mit Wachs, und sie müssen nach Leibeskräften rudern. [...] Frisch und konzentriert müssen die Arbeitenden nach vorwärts blicken und liegen lassen, was zur Seite liegt. [...] Die andere Möglichkeit wählt 50 Odysseus selber, der Grundherr, der die anderen für sich arbeiten lässt.

So zeigt sich an dieser Stelle, wie innerhalb der Männer eine Hierarchie entsteht: Auf der einen Seite die Mannschaft des Schiffes als Prototyp des befehlempfangenden Arbeiters, die von der Kunst (dem Gesang der Sirenen) nichts mitbekommen dürfen, da sie sonst der Natur/Weiblichkeit verfallen würden, was vor allem ihrem Auftrag, Odysseus zu transportieren, widersprechen würde. An keiner Stelle im Text wird auf dieses Repressionsverhältnis unter Männern weiter eingegangen, wobei es eindrucksvoll dokumentiert, dass die Unterdrückung auf Grund des Geschlechts im Patriarchat keineswegs auf Frauen reduziert ist. Odysseus, auf der anderen Seite kann dank der Leistung seiner Besatzung die Sirenen überlisten. Indem er sich festbinden lässt, kann er die Kunst genießen, ohne ihr zu verfallen:
Er hört, aber ohnmächtig an den Mast gebunden, und je größer die Lockung wird, um so stärker läßt er sich fesseln, so wie nachmals die Bürger auch sich selber das Glück um so hartnäckiger verweigern, je näher es ihnen mit dem Anwachsen 50 der eignen Macht rückte.

Zusätzlich wird an dieser Stelle auf einen Charakterzug des Bürgerlichen bzw. des männlichen, aufgeklärten Subjekts verwiesen, nämlich die Forderung an das Individuum, sich niemals dem Verlangen nach einem Glückszustand vollständig hinzugeben. So wird hier der Prototyp der Bourgeoisie und des Proletariats, sowie beider
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Der Begriff hegemoniale Männlichkeit stammt von Bob Connell. Der Begriff unterstellt die Existenz unterschiedlicher Männlichkeiten, unter denen eine die dominante bzw. hegemoniale Form darstellt. Aus der Abwertung anderer Männlichkeiten durch die hegemoniale Form resultiert – neben der Herrschaft über Frauen – auch eine Hierarchie unter Männern (Vgl. Döge, Peter: Abschied vom mächtigen Mann. Geschlechterdemokratie. Widersprüche der Männlichkeit oder warum Hänschen heimlich weinen muss, es aber öffentlich tun dürfen sollte, aus: Freitag 39, Berlin 1999 http://www.freitag.de/1999/49/99491801.htm). 50 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 40.

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Umgang mit der Kunst vorgezeichnet: Der Bürger kann sie genießen, darf ihr aber nicht verfallen; der Arbeiter kann sie nicht einmal genießen. Dass die Odyssee mit Odysseus eine bürgerlich handelnde Figur zum Helden macht, stützt die Behauptung der Autoren, dass die Odyssee exemplarischen Charakter für die Dialektik der Aufklärung hat. In der Odyssee entkommen Odysseus und seine Mannschaft mit dieser Aufteilung den Sirenen und lassen damit die Natur/Weiblichkeit hinter sich. Damit ist klar, dass Frauen in der gesellschaftlichen Hierarchie noch unter den Arbeitenden stehen. Es ist noch anzumerken, dass innerhalb der Interpretation nur Odysseus als Stellvertreter für den bürgerlichen Menschen als Subjekt gekennzeichnet wird. Offen bleibt damit die Frage, inwiefern der arbeitende Mann auch ein Subjekt darstellt, zumal er in der Geschichte auch ein scheinbarer Sieger über die Natur ist. Innerhalb der Sirenen-Interpretation wird auch der Kunstbegriff abgehandelt, so dass sich dieser auch eine geschlechtliche Dimension hat. Die Kunst ist kann man dem Text nach als die männliche Institutionalisierung der Weiblichkeit und der Natur bezeichnen. Wie oben schon angedeutet, genießt Odysseus den Gesang der Sirenen, ohne ihm zu verfallen oder ihm verfallen zu können, da er an den Mast des Schiffes gebunden ist. Dadurch wird der Gesang der Sirenen, welcher die Verführung der äußeren Natur/Weiblichkeit, der inneren Natur/Weiblichkeit nachzugeben, symbolisiert, „zum bloßen Gegenstand der Kontemplation neutralisiert, zur Kunst.“51 Da diese Neutralisation einen rationalen Akt des bewussten Subjektes darstellt, wird mit der Kunst nicht nur die Natur, sondern auch die Weiblichkeit in das Patriarchat integriert:
[Odysseus] realisiert, daß er, wie sehr auch bewußt von Natur distanziert, als Hörender ihr verfallen bleibt. [...] Odysseus erkennt die archaische Übermacht des 52 Liedes an, indem er technisch aufgeklärt, sich fesseln läßt.

Durch die Anerkennung der Macht der Weiblichkeit kann Odysseus Maßnahmen ergreifen, ihr nicht mehr vollständig zu verfallen, sondern nur als „Hörender“52. Die Weiblichkeit wird also in Form der Kunst im Patriarchat verankert. Dies wirkt sich nach Adorno und Horkheimer negativ auf die Qualität der Musik aus: „Seit der [...] Begegnung des Odysseus mit den Sirenen sind alle Lieder erkrankt“53. In der Sirenen-Interpretation wird außerdem klargemacht, dass Kunst der entstandenen hegemonialen Männlichkeit bedarf:
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Ebd., S. 41. Ebd., S. 67. 53 Ebd., S. 67.

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Das Kulturgut steht zur kommandierten Arbeit in genauer Korrelation, und beide gründen im unentrinnbaren Zwang zur gesellschaftlichen Herrschaft über die Na54 tur.

Nach dieser Textstelle wird erst durch die Wechselbeziehung zwischen den Arbeitenden und dem Kunstgenuss des Herrschenden die Natur und damit die Weiblichkeit dem männlichen Subjekt untertan. Dennoch stellt sich die Frage, wie diese Wechselbeziehung aussieht. Sie wird von Adorno und Horkheimer folgendermaßen definiert:
Odysseus wird in der Arbeit vertreten. Wie er der Lockung zur Selbstpreisgabe nicht nachgeben kann, so entbehrt er als Eigentümer zuletzt auch der Teilnahme an der Arbeit, [...] während freilich die Gefährten bei aller Nähe zu den Dingen die Arbeit nicht genießen können, weil sie unter Zwang, verzweifelt, bei gewaltsam 55 verschlossenen Sinnen vollzieht.

Nur dadurch, dass Odysseus „in der Arbeit vertreten“55 wird, kann er den Gesang als Kunst genießen. Umgekehrt hat die Besatzung außer ihrem Leben nichts von ihrer Arbeit, da ihnen die Partizipation an der Kunst versagt bleiben muss, da sie ansonsten der Natur/Weiblichkeit verfallen würden, womit auch Odysseus als bürgerliches Individuum dem Untergang geweiht wäre. Die Kunst ist damit nicht nur ein Produkt des Patriarchats, sondern bedarf dem Text nach einer hegemonialen Männlichkeit. Das bedeutet, dass nicht nur Frauen von der Kunst ausgeschlossen sind, sondern auch soziale Schichten außerhalb des Bürgertums. Der Text kommentiert diesen Aspekt, der einen Widerspruch zwischen den Maximen der Aufklärung und der von Adorno und Horkheimer in die Odyssee interpretierte Praxis der Aufklärung markiert, nicht.

4. Kritik am Frauenbild des Textes Sowohl aus dem Frauenbild als auch aus dem Begriff des Weiblichen im Text ergeben sich einige Probleme für die feministische Theoriebildung. So speist sich das Bild des Weiblichen und der Frau, wie oben gezeigt, aus der Analyse des Epos der Odyssee. Das dort gezeigte Rollenverhalten als exemplarisch zu deuten, ohne sich der Perspektive der realen Frau in der Gesellschaft zu nähern, ist androzentristisch.56 Schließlich handelt es sich bei der Odyssee, als auch bei denen

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Ebd., S. 41. Ebd., S. 41-42. 56 Vgl.: Schultz, Irmgard: Julie und Juliette und die Nachtseite der Geschichte Europas. Naturwissen, Aufklärung und pathetische Projektionen in der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer,

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im zweiten Exkurs benutzten Texten von Nietzsche und Sade um Texte aus einer männlichen Perspektive. Ein weiteres zentrales Problem ist der Umgang mit den Bipolaritäten, somit auch der Zweigeschlechtlichkeit. Zwar wird demonstriert, dass die Kategorie weiblich letztlich ein Produkt der männlichen Vernunft in ihrem Abgrenzungswunsch darstellt, an keiner Stelle werden aber Möglichkeiten erörtert, diese irrationale Setzung zu widerrufen. Die Gleichsetzung des Weiblichen mit der Natur erweist sich in dem Text als zwiespältig, zwar wird im zweiten Exkurs angemerkt, dass die Frau „als vorgebliches Naturwesen [ein] Produkt der Geschichte“57 ist, wenige Sätze darauf heißt es: „Ihre größere Affinität zur Natur [...] ist ihr Lebenselement.“58 Dies hat zwei Ursachen: Zum einen erscheinen Frauen auf Grund ihrer Benachteiligung in der Gesellschaft als schwach, zum anderen sorgt die „Übermacht männlicher Sexualität“59 dafür, dass Frauen in Abhängigkeit geraten.60 Trotz dieser offensichtlichen Kritik am Patriarchat, gibt es im Text „antifeministische Züge“60, die sich zum einen darin äußern, dass Frauen nicht als Subjekte auftauchen, aber auch gemäß des Subjektsbegriffes gar nicht auftauchen können. So ist ein Widerstand von Frauen gegen ihre Benachteiligung im Text nicht vorgesehen, auch die vergangenen Frauenbewegungen werden nicht beachtet.61 Für den praktischen Feminismus erweist sich die Feststellung, dass die Aufklärung ein totalitäres System ist62, als problematisch, zumal jegliche Emanzipation folglich nur in ihr stattfinden kann und gleichzeitig bedeuten muss, dass sich das entstehende Bewusstsein dem aufgeklärten Subjekt, das ein männliches ist, anpasst. Eine eigene weibliche Identität bleibt ein Widerspruch, der in dem patriarchalen System zwischen der als passiv gekennzeichneten Weiblichkeit und der Kategorie Identität besteht, die eigentlich nur Subjekten zukommt – ein vollwertiges Subjekt kann in dem Koordinatensystem des Textes aber nur männlich sein.
S. 35, aus: Kulke, Christine u. Scheich, Elvira (Hrsg.): Zwielicht der Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung aus der Sicht von Frauen, Pfaffenweiler 1992, S. 25-40. 57 Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 119. 58 Ebd., S.120. 59 Becker-Schmidt, Regina: Identitätslogik und Gewalt. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Feminismus, S. 71, aus: Müller-Warden, Joachim und Welzer, Harald: Fragmente Kritischer Theorie, Tübingen 1991, S. 59-77 60 Vgl. ebd.. 61 Vgl. ebd. S. 72. 62 Vgl. Horkheimer u. Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 31.

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4.1. Die Ableitung des Frauenbildes aus einer Ursprungsfiktion und deren Probleme Des Weiteren ist zu kritisieren, dass das in dem Text dargestellte Frauenbild sich ausschließlich aus einer Ursprungsfiktion speist. Die Odyssee, als auch die Texte im zweiten Exkurs werden zu exemplarischen Urbildern gemacht, ohne dass die Problematik, dass dem denkenden Wesen der Zugang zu solchen Ursprüngen prinzipiell verwehrt bleibt, berücksichtigt wird. Da Kontexte verloren gegangen sind, aber auch, weil ein Heraustreten aus den heutigen Kontexten nicht möglich ist, ist es dem denkenden Subjekt verwehrt, sich einen Zustand vorzustellen, in dem das Patriarchat noch nicht errichtet ist. Aber auch an anderen Stellen wird auf einen Ursprung referiert, in dem die Stellung der Frau und des Weiblichen eine Bessere war, so wird im zweiten Exkurs die Ehe als etwas bestimmt, das „die vorpatriarchale bessere Vergangenheit des Geschlechts beschwichtigt.“
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Wo und wann diese vorpatriarchale Vergangenheit ge-

herrscht haben soll, bleibt unklar. So scheint es, als wäre diese Vergangenheit lediglich eine Fiktion, mit deren Hilfe es möglich sein soll, die bestehenden Zustände zu kritisieren – dies wird allerdings an keiner Stelle deutlich.

5. Abschluss An einigen Stellen wurde bereits deutlich, dass sich die zur feministischen Theorie kompatiblen Textstellen sich nicht nur im ersten Exkurs finden lassen, sondern auch in anderen Teilen des Buches. So lassen sich im zweiten Exkurs Vorstellungen darüber finden, warum die Frauen noch in der heutigen Gesellschaft unterdrückt werden64. Die Untersuchung dieser sowie die feministische Lektüre anderer Passagen aus dem Text hätte den Rahmen dieser Arbeit allerdings mit Sicherheit überschritten, weshalb es bei der vorrangigen Untersuchung des ersten Exkurses bleiben musste. Innerhalb der Arbeit hat sich gezeigt, dass Dialektik der Aufklärung zahlreiche Anknüpfungspunkte für feministische Theorie bietet. Allerdings sind sowohl das Frauenbild als auch der Begriff des Weiblichen innerhalb des Textes problematisch, nicht nur für die Theoriebildung, sondern auch für eine geschlechtergerechte Praxis.

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Ebd., S. 114. Ebd., S. 114-122.

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6. Verwendete Literatur Becker-Schmidt, Regina: Identitätslogik und Gewalt. Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Feminismus, aus: Müller-Warden, Joachim und Welzer, Harald: Fragmente Kritischer Theorie, Tübingen 1991, S. 59-77 Döge, Peter: Abschied vom mächtigen Mann. Geschlechterdemokratie. Widersprüche der Männlichkeit oder warum Hänschen heimlich weinen muss, es aber öffentlich tun dürfen sollte, aus: Freitag 39, Berlin 1999 http://www.freitag.de/1999/49/99491801.htm Horkheimer, Max u. Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt 162001 Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie, Stuttgart 2003 Politische Möglichkeiten feministischer Theorie. Ein Gespräch mit Andrea Maihofer, in: Deuber-Mankowsky, Astrid u. Konnert, Ursula: Die Philosophin, Heft 11, Tübingen 1995, S. 94-105 Schultz, Irmgard: Julie und Juliette und die Nachtseite der Geschichte Europas. Naturwissen, Aufklärung und pathetische Projektionen in der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer, aus: Kulke, Christine u. Scheich, Elvira (Hrsg.): Zwielicht der Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung aus der Sicht von Frauen, Pfaffenweiler 1992, S. 25-40 Stephan, Inge: Gender, Geschlecht und Theorie, in: von Braun, Christina u. Stephan, Inge (hrsg.): Gender Studien. Eine Einführung, Stuttgart 2000, S. 5896 Wikipedia: Hetäre, http://de.wikipedia.org/wiki/Hetäre vom 27. August 2007

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Plagiatserklärung Hiermit versichere ich, dass die vorliegende Arbeit über Weiblichkeit und feministische Motive in der Dialektik der Aufklärung selbstständig verfasst worden ist, dass keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen benutzt worden sind und dass die Stellen der Arbeit, die anderen Werken – auch elektronischen Medien – dem Wortlaut oder Sinn nach entnommen wurden, auf jeden Fall unter Angabe der Quelle als Entlehnung kenntlich gemacht worden sind.

(Unterschrift)

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