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Wien-jerusalem Und Zurück. Das Militärische Engagement österreich-ungarns Im Osmanischen Reich 1914-1918

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II.5 Wien-Jerusalem und zurück. Das militärische Engagement Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich 1914–1918 R L I. Einleitung „Na, ich glaube doch die sehen wir nicht mehr wieder“.1 Mit diesen Worten soll Kaiser Franz Joseph I. im April 1916 die im Jänner selben Jahres erfolgte Verlegung von zwei Artillerieformationen in das Osmanische Reich kommentiert haben, die für den Einsatz an der Palästina-Front bestimmt waren. Auch wenn diese Aussage nicht zweifelsfrei belegt werden kann, drückt sie dennoch den zu dem Zeitpunkt allgemein vorherrschenden Pessimismus der militärischen Befehlsstellen der Habsburgermonarchie hinsichtlich eines militärischen Engagements im Nahen Osten aus. So erschien es vor dem Hintergrund des unwirtlichen Wüstenklimas sowie der verlustreichen Kämpfe, die an den verschiedenen Fronten des Osmanischen Reiches seit Frühjahr 1915 tobten, tatsächlich als eher unwahrscheinlich, dass die zur Unterstützung des zu diesem Zeitpunkt aus militärischer Sicht schwächsten Bündnispartners Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches ausgesendeten k.u.k. Offiziere und Soldaten je wieder in die Heimat zurückkehren würden. Als umso erstaunlicher ist es zu bewerten, dass es bis zum Frühjahr 1919 gelang, den Großteil des während des Krieges in die Türkei entsendeten militärischen Personals Österreich-Ungarns – die Kämpfe an den verschiedenen Fronten des Nahen Ostens hatten bei den einzelnen Formationen zu teils empfindlichen Verlusten geführt2 – in die Heimat zurückzuführen.3 Der Staat, der die Männer einst an den wohl entlegensten und exotischsten Frontabschnitt der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg entsandt hatte, existierte zu diesem Zeitpunkt freilich schon mehrere Monate nicht mehr. 1 Peter Jung, Der k.u.k. Wüstenkrieg. Österreich-Ungarn im Vorderen Orient 1915–1918 (Graz/Wien/Köln 1992), S. 55; Joseph Pomiankowski, Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches. Erinnerung an die Türkei aus der Zeit des Weltkrieges (Zürich/Leipzig/Wien 1928), S. 250. 2 Robert-Tarek Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land. Kaiserliche Palästinapolitik im Ersten Weltkrieg (Frankfurt am Main 2004), S. 156. 3 Peter Jung, Die österreichisch-ungarischen militärischen Formationen in der Türkei 1915–1918, in: Heide Stöhr (Hg.), Österreichische Militärgeschichte – Die k.u.k. Streitkräfte im Ersten Weltkrieg 1914–1918 (Wien 1995), S. 5–54, hier S. 6. 286 RICHARD LEIN Wiewohl das in der Fremde Erlebte die Beteiligten oft auf Jahrzehnte prägte, nahm die Öffentlichkeit von dem Einsatz der österreichisch-ungarischen Offiziere und Soldaten im Nahen Osten in späteren Jahren kaum noch Notiz. Sieht man von einigen Publikationen an den Operationen beteiligter ehemaliger österreichisch-ungarischer und deutscher Offiziere ab,4 wurden die Ereignisse von der Historiographie der Nachfolgestaaten, allen voran Österreich, generell ignoriert oder stiegen zur Fußnote in offiziellen Publikationen wie etwa dem vom Wiener Kriegsarchiv publizierten Generalstabswerk Österreich-Ungarns letzter Krieg5 ab. Dieses scheinbare Desinteresse hatte mehrere Ursachen. Zum einen hatte sich das militärische Engagement der Habsburgermonarchie im Nahen Osten den gesamten Ersten Weltkrieg über, vor allem was die Stärke des eingesetzten militärischen Personals betraf, in recht überschaubaren Grenzen gehalten. Auch wenn das zunächst nur aus zwei Geschützbatterien bestehende Expeditionskorps ab dem Jahr 1916 sukzessive um weitere Artillerie-, Pionier-, Sanitäts-, Transport- und Ausbildungsformationen verstärkt wurde,6 standen diese Bemühungen stets im Schatten des militärischen Engagements des Deutschen Reiches in der Türkei, das bereits seit den 1880er Jahren mit einem militärischen Beraterstab im Land präsent war und ab März 1916 mit dem Asien- oder Levante-Korps ein zahlenmäßig starkes Truppenkontingent im Nahen Osten unterhielt.7 Zum anderen ist festzustellen, dass das Osmanische Reich vor Beginn des Ersten Weltkriegs in den außenpolitischen Strategien Österreich-Ungarns nur eine untergeordnete Rolle spielte, was ein generelles Desinteresse seitens der politischen und militärischen Entscheidungsträger am Nahen Osten zur Folge hatte. Erst während des Krieges wurden verschiedene Strategien erarbeitet, die vor allem auf eine größere wirtschaftliche Durchdringung des Osmanischen Reiches sowie eine Stärkung des Einflusses der Habsburgermonarchie im gesamten Nahen Osten abzielten;8 diese Pläne standen allerdings wiederum im Schatten der langfristigen Strategien des Deutschen Reiches, das bereits lange vor 1914 weitreichende Maßnahmen zur Ausdehnung seines politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einflusses in der Levante gesetzt hatte. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Engagement der österreichisch-ungarischen Militärs und Diplomaten im Osmanischen Reich wie im gesamten Nahen Osten nach dem 4 Vgl. u. a. Pomiankowski, Zusammenbruch (1928); Friedrich Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (Berlin 1938); Otto Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei (Berlin 1919). 5 Österreichisches Bundesministerium für Heerwesen – Kriegsarchiv WIen (BMHW-KA) (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918, 7 Bde. (Wien 1930–1938). 6 Jung, Formationen (1995), S. 5–6; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 249–262. 7 Hans Werner Neulen, Feldgrau in Jerusalem. Das Levantekorps des kaiserlichen Deutschland (München 1991), S. 15–21; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 58. 8 Ebd., S. 18–22. Wien–Jerusalem und zurück 287 Ende des Ersten Weltkriegs nur in bescheidenem Maße rezipiert wurde. Erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Thematik der Beziehungen der Habsburgermonarchie mit dem Osmanischen Reich vor und während des Ersten Weltkriegs in wissenschaftlichen Publikationen sowie Qualifikationsarbeiten aufgegriffen, wobei zunächst vor allem die diplomatischen Beziehungen der beiden Staaten im Zeitraum 1914 bis 1918 im Vordergrund standen.9 Erst im Jahr 1992 erschien mit dem vom Wiener Staatsarchivar Peter Jung publizierten Werk Der k.u.k. Wüstenkrieg eine Darstellung, die explizit den militärischen Aspekt des Verhältnisses der beiden Bündnispartner berücksichtigte und in der deutschsprachigen Historiografie zum Ersten Weltkrieg vielfach rezipiert wurde. Eine weitere, von Robert-Tarek Fischer verfasste Arbeit, die neben dem militärischen Themenkomplex auch religiös-politische Aspekte des Engagements Österreich-Ungarns in Palästina im Zeitraum 1914–1918 behandelt, wurde im Jahr 2004 veröffentlicht.10 Seit diesem Zeitpunkt erschienen noch einige weitere Werke in deutscher Sprache zum politischen, militärischen und wirtschaftlichen Engagement des Deutschen Reiches im Osmanischen Reich bis zum Jahr 1918, in diesen wird jedoch auf die Aktivitäten der Habsburgermonarchie im Nahen Osten nur eher kursorisch eingegangen bzw. der Fokus hauptsächlich auf die Konkurrenz Berlins und Wiens um politischen und wirtschaftlichen Einfluss in der Region gerichtet.11 Auch wenn die Strategien der Habsburgermonarchie zur Schaffung einer Einflusssphäre in der Levante nach dem Ende des Krieges oder der Wirtschaftsbeziehungen Österreich-Ungarns mit dem Osmanischen Reich bis zum Jahr 9 Vgl. etwa: Wilhelm Schramek, Die Bündnisverträge Deutschlands und Österreich-Ungarns mit der Türkei während des Ersten Weltkriegs (Dissertation Wien 1964); Harald Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei im Kriegsjahr 1915 (Dissertation Wien 1968); Frank G. Weber, Eagles on the Crescent. Germany, Austria and the Diplomacy of the Turkish Alliance 1914–1918 (Ithaca/London 1970); Harald Gardos, Die „Balkanstraße“ im Kriegsjahr 1915, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs (MÖStA) 22 (1970), S. 279–310; Harald Gardos, Ballhausplatz und Hohe Pforte im Kriegsjahr 1915, in: MÖStA 23 (1971), S. 250–296; Francis R. Bridge, Austria-Hungary and the Ottoman Empire in the Twentieth Century, in: MÖStA 34 (1981), S. 234–271; Wolfdieter Bihl, Die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich im Ersten Weltkrieg, in: Österreichische Osthefte 24 (1982), S. 33–52. 10 Jung, Wüstenkrieg (1992); Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004). Siehe auch: Robert-Tarek Fischer, Österreich im Nahen Osten. Die Großmachtpolitik der Habsburgermonarchie im Arabischen Orient 1633–1918 (Wien/Köln/Weimar 2006); ders., Ballhausplatz und Davidstern. Die k. u. k. Diplomatie und die österreichisch-ungarischen Juden Palästinas in der Krisenzeit des Ersten Weltkrieges 1914–1918, in: MÖStA 51 (2004), S. 301–336. 11 Vgl. u. a. Alexander Will, Kein Griff nach Weltmacht. Geheime Dienste und Propaganda im deutschösterreichisch-türkischen Bündnis 1914–1918 (Wien/Köln/Weimar 2012); Wilfried Loth/Marc Hanisch (Hg.), Erster Weltkrieg und Dschihad. Die Deutschen und die Revolutionierung des Orients (München 2014); Stefan M. Kreutzer, Dschihad für den Deutschen Kaiser. Max von Oppenheim und die Neuordnung des Orients 1914–1918 (Graz 2012); Klaus Wolf, Gallipoli 1915. Das deutschtürkische Militärbündnis im Ersten Weltkrieg (Bonn 2008); Matthias Römer, Die deutsche und englische Militärhilfe für das Osmanische Reich 1908–1914 (Frankfurt am Main 2007). 290 RICHARD LEIN 191812 weiterhin Forschungsdesiderate darstellen, sind in den vergangenen 20 Jahren doch etliche Beiträge zu den Beziehungen zwischen Österreich(-Ungarn) und dem Heiligen Land erschienen.13 In der internationalen Historiografie zum Ersten Weltkrieg hat das Engagement der Habsburgermonarchie im Nahen Osten insgesamt bisher aber kaum Niederschlag gefunden. Dies betrifft vor allem den militärischen Aspekt der Beziehungen zwischen Wien und Konstantinopel während des Krieges, wurde die Thematik doch insbesondere in den im letzten Dezzenium erschienenen historiografischen Werken trotz der Fülle des im Wiener Kriegsarchiv zur Verfügung stehenden, zum Teil noch unbearbeiteten Quellenmaterials allenfalls am Rande behandelt.14 Ziel des hier vorgelegten Beitrags ist es vor diesem Hintergrund, den Forschungsstand zum militärischen Engagement Österreich-Ungarns im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs zu rekapitulieren und unter Einbeziehung bislang zum Teil unbearbeiteten Quellenmaterials darzulegen, ob und vor allem in welchem Ausmaß sich der Einsatz der k.u.k. Truppen im Nahen Osten auf die Kriegführung der Mittelmächte ausgewirkt hat. 12 Bekannt sind lediglich einige Daten zu den Bestellungen bzw. den Lieferungen von Kriegsmaterial, wobei nicht festzustellen ist, ob diese vollständig sind. Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 43. Vgl. dazu etwa auch „Von der türkischen Sondermission vorgebrachte Wünsche“, Militärkanzlei Seiner Majestät (MKSM) 69/5/12 ex 1916, 26. Oktober 1916, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA)/KriegsarchivKA/MKSM, Karton (Kt.) 1252; „Pro Domo zum a.u. Einsichtsakt des KM Abt. 7 Nr 4241, 4242 res betreffend die Überlassung von 7cm M99 Geb. Art.Material an die Türkei“, MKSM 69/5/4 ex 1916, 5. Februar 1916, ebendort. 13 Marian Wrba (Hg.), Austrian Presence in the Holy Land in the 19th and early 20th Century. Proceedings of the Symposium in the Austrian Hospice in Jerusalem on March 1–2, 1995 (Tel Aviv 1996); Bernhard A. Böhler (Hg.), Mit Szepter und Pilgerstab. Österreichische Präsenz im Heiligen Land seit den Tagen Kaiser Franz Josephs (Katalogbuch, Wien 2000); Mordechai Eliav unter Mitarbeit von Barbara Haider (Hg.), Österreich und das Heilige Land. Ausgewählte Konsulatsdokumente aus Jerusalem 1849–1917 (= Fontes rerum Austriacarum 2. Abt. 91) (Wien 2000). 14 In einigen Werken wird zwar gelegentlich auf die militärische Präsenz des Deutschen Reichs in Palästina Bezug genommen, Österreich-Ungarn dabei jedoch zumeist ausgeklammert. Vgl. etwa David Stevenson, 1914–1918. The History of the First World War (London 2005); Hew Strachan, The First World War. A New Illustrated History (London/Sydney/New York/Toronto 2006); Norman Stone, World War One: A Short History (London 2008); Adam Hochschild, Der Große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg 1914–1918 (Stuttgart 2013); Lawrence Sondhaus, World War I. The global revolution (Cambridge 2011). Die oben zitierten Werke von Hans Werner Neulen und Alexander Willl stellen diesbezüglich einige der wenigen Ausnahmen dar. Wien–Jerusalem und zurück II. 291 Der Weg zum Kriegseintritt des Osmanischen Reiches Grundsätzlich waren die Beziehungen Österreich-Ungarns zum Osmanischen Reich im Jahr 1914 weder als besonders eng noch als besonders herzlich zu bezeichnen. Spätestens seit der Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahr 1908, das der k.u.k. Monarchie auf dem Berliner Kongress 1878 für 30 Jahre zur Verwaltung übertragen worden war, waren die wechselseitigen Beziehungen der beiden Staaten von Abneigung und Misstrauen geprägt. Diese diplomatische Eiszeit zu überwinden stellte für die Habsburgermonarchie lange Zeit kein dringendes Ziel dar, maßen doch sowohl der österreichisch-ungarische Außenminister Alois Lexa von Aehrenthal (1906–1912) als auch sein Nachfolger Leopold Graf Berchtold (1912–1915) den Beziehungen zum Osmanischen Reich aufgrund der für sie offensichtlichen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Schwäche der einstigen Großmacht kaum Bedeutung bei. So lehnte es Wien unter anderem trotz mehrfacher Bitte der Hohen Pforte sowohl im italienisch-türkischen Krieg (1911/12) als auch im Ersten Balkankrieg (1912)15 ab, zu Gunsten des Osmanischen Reiches selbst nur mit diplomatischen Mitteln zu intervenieren.16 Die Idee, ein Bündnis mit dem in Kontinentaleuropa gemeinhin als „kranker Mann am Bosporus“ bezeichneten Staat abzuschließen, erschien den verantwortlichen österreichisch-ungarischen Politikern überhaupt als abwegig, betrachteten sie das osmanische Staatswesen doch als weitgehend bankrott und nicht reformierbar;17insgeheim rechneten sie mit dessen baldigem Zusammenbruch. Tatsächlich galt die vom osmanischen Sultan und seinem Großwesir geleitete Regierung in Konstantinopel lange Zeit als autoritätsschwach und korrupt, spätestens mit der jungtürkischen Revolution von 190818 trat jedoch 15 Kristian Coates Ulrichsen, The First World War in the Middle East (London 2014), S. 15–18; Hew Strachan, The First World War, Bd. I: To Arms (Oxford/New York 2001), S. 656–657. Zu den Balkankriegen vgl. u. a. Richard C. Hall, The Balkan Wars 1912–1913: Prelude to the First World War (London 2000); Katrin Boeck, Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan (München 1996); Edward J. Erickson, Defeat in Detail. The Ottoman army in the Balkans 1912–1913 (Westport 2003); Alan Palmer, Verfall und Untergang des Osmanischen Reiches (München/Leipzig 1992), S. 307–316. Zur Beilegung der Annexionskrise vgl. u. a. Roman Kodet, Austria-Hungary and the Ottoman Empire during the Bosnian Crisis of 1908/1909, in: Prague Papers on the History of International Relations 1/2013 (2013), S. 120–143. 16 Josef Matuz, Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte (Darmstadt 1996), S. 254–261; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 10–11; Timothy W. Childs, ItaloTurkish Diplomacy and the War Over Libya, 1911–1912 (Leiden 1990). Ein solcher Schritt hätte freilich auch die Beziehungen Wiens zu den Balkanstaaten gefährdet. Vgl. Francis R. Bridge, The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire, in: Marian Kent (Ed.), The Great Powers and the End of the Ottoman Empire (Boston/Sydney 1984), S. 31–51, hier: S. 32, 41–43. 17 Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 240; Fischer, Österreich im Nahen Osten (2006), S. 249–250. 18 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 289–297; Matuz, Das Osmanische Reich (1996), 292 RICHARD LEIN ein merklicher Wandel in der osmanischen Innenpolitik ein, der ein Wiedererstarken der ehemaligen Großmacht greifbar zu machen schien. Nach einer kurzen Phase politischer Instabilität, die von einem Machtkampf zwischen Jungtürken und Liberalen geprägt war, rissen im Jahr 1913 die jungtürkischen Politiker Talaat Bey, Djemal Bey und Enver Bey in einem Militärputsch die Macht im Staat an sich,19 wobei jedoch das traditionelle, auf das Sultanat aufbauende Herrschaftssystem nicht angetastet wurde. Gestützt auf kleinere, jedoch prestigeträchtige militärische Erfolge im Zweiten Balkankrieg (1913), darunter vor allem die Rückeroberung der auf dem europäischen Kontinent gelegenen, im Ersten Balkankrieg an Bulgarien verloren gegangenen Festungsstadt Edirne,20 konnte die in der Historiographie oft als „Triumvirat“ bezeichnete Gruppe ihre Macht im Staat schon bald zementieren. Die allgemein gehegte Hoffnung, dass es unter der neuen Regierung zu einer tiefgreifenden Reform des Staatswesens kommen würde, erfüllte sich jedoch nicht. So entfernten sich die neuen Machthaber in ihrer diktatorischen Herrschaftsausübung schon bald von den politischen Zielen der an sich liberalen jungtürkischen Bewegung, was zu Unmut und passiver Resistenz von Teilen der Bevölkerung führte. Vor allem die ab 1913 massiv vorangetriebene Nationalisierungspolitik stieß all jene Volksgruppen des Großreiches vor den Kopf, die ihre eigene nationale Identität nicht zu Gunsten der türkischen ablegen wollten, so etwa auch Araber und Armenier.21 Auch die dringend notwendige Reform des osmanischen Staatswesens wurde eher halbherzig betrieben, lediglich auf militärischem Gebiet waren ernste Bemühungen zu erkennen, die in den Balkankriegen personell wie materiell stark geschwächten und demoralisierten Streitkräfte durch Verbesserungen in den Bereichen der Bewaffnung, Ausbildung und Taktik schlagkräftiger zu machen. An diesem Vorhaben waren auch ausländische Militärberater maßgeblich beteiligt, die zugleich bemüht waren, die aus dem Reformprozess resultierenden Rüstungsaufträge für die Industrien ihrer jeweiligen Heimatländer zu sichern. Österreich-Ungarn stand der jungtürkischen Bewegung sowie dem späteren Militärputsch des Triumvirats von Anfang an reserviert gegenüber, nicht zuletzt da man ein „Abfärben“ der Ideen der von politisch-nationalen Zielen getragenen Revolution auf den eigenen Staat fürchtete.22 So setzte sich die Habsburgermonarchie etwa nach dem Zweiten Balkankrieg massiv dafür ein, dass Bulgarien trotz sei- Wien–Jerusalem und zurück ner militärischen Niederlage nur kleinere Gebiete an das Osmanische Reich abtreten musste, ein Vorgehen, das nicht geeignet war, die Beziehungen zwischen Wien und Konstantinopel zu verbessern. Auch die übrigen Großmächte verhielten sich zunächst reserviert, da die Befürchtung im Raum stand, die neue osmanische Regierung unter Großwesir Said Halim Pascha, in der Talaat Bey, Djemal Bey und Enver Bey Ministerposten bekleideten,23 könnte versucht sein, den bedeutenden Einfluss der europäischen Staaten im Nahen Osten abzuschütteln. Dieser manifestierte sich vor allem in den als „Kapitulationen“ bezeichneten Sonderrechtstiteln, die den europäischen Mächten religiöse Schutz- sowie weitgehende diplomatische und wirtschaftliche Sonderrechte einräumten, was wiederum die Souveränität Konstantinopels zum Teil stark einschränkte.24 Die Habsburgermonarchie unterhielt auf Basis dieser Sonderrechtstitel unter anderem einen florierenden Postdienst in der Levante,25 räumte jedoch ansonsten, wie bereits erwähnt, ihren politischen Beziehungen zum Osmanischen Reich nur relativ geringe Bedeutung ein.26 Größeres Interesse an der Aufnahme bzw. dem Ausbau von Handelsbeziehungen mit dem Osmanischen Reich zeigte dagegen die österreichisch-ungarische Industrie, die in dem Land einen potentiellen Rohstofflieferanten sowie einen ausbaufähigen Absatzmarkt für ihre Produkte erblickte. Trotz der harten Konkurrenz waren die Bemühungen zur Erlangung lukrativer Aufträge der osmanischen Staatsverwaltung zum Teil von Erfolg gekrönt, so konnte sich etwa der Pilsener Rüstungskonzern Škoda zu Beginn des letzten Vorkriegsjahrzehnts einen Lieferauftrag über zwölf Batterien 10cm Haubitzen M10 für das osmanische Heer sichern.27 Auch andere österreichisch-ungarische Betriebe waren bei der Anknüpfung von Handelsbezie23 Enver Pascha als Kriegsminister, Talaat Pascha als Innenminister und Djemal Pascha als Marineminister. Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 12. 24 Vgl. dazu Strachan, First World War (2001), S. 652–653; Barbara Haider-Wilson, Das Kultusprotektorat der Habsburgermonarchie im Osmanischen Reich. Zu seinen Rechtsgrundlagen und seiner Instrumentalisierung im 19. Jahrhundert (unter besonderer Berücksichtigung Jerusalems), in: Marlene Kurz/Martin Scheutz/Karl Vocelka/Thomas Winkelbauer (Hg.), Das Osmanische Reich und die Habsburgermonarchie. Akten des internationalen Kongresses zum 150-jährigen Bestehen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Wien, 22.–25. September 2004 (MIÖG Erg. Bd. 48) (Wien 2005), S. 121–147. 25 Franz Hochleutner, Posthorn und Halbmond. Die k. k. Post in der Levante (Stockerau 1988); Andreas Patera, Die österreichischen Postämter im Heiligen Land, in: Bernhard A. Böhler (Hg.), Mit Szepter und Pilgerstab. Österreichische Präsenz im Heiligen Land seit den Tagen Kaiser Franz Josephs (Katalogbuch, Wien 2000), S. 245–266; Ders., The Austrian Post in Palestine, in: Marian Wrba (Hg.), Austrian Presence in the Holy Land in the 19th and early 20th Century. Proceedings of the Symposium in the Austrian Hospice in Jerusalem on March 1–2, 1995 (Tel Aviv 1996), S. 122–135. S. 251–254. 19 293 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 12; Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 256; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 23–24. 20 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 314–315. 26 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 10–11. 21 Strachan, First World War (2001), S. 653–659. 27 22 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 10–13; Bridge, The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire (1984), S. 33–34, 37–40. Franz Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (Bonn 2004), Teil 1, S. 207; Mario Christian Ortner, Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867 bis 1918. Technik, Organisation und Kampfverfahren (Wien 2007), S. 368. 294 RICHARD LEIN hungen in den vorderen Orient zum Teil sehr erfolgreich, sodass der Gesamtwert der Exporte der Habsburgermonarchie in das Osmanische Reich bereits im Jahr 1911 den Wert von 100 Millionen Kronen überstieg.28 Ungeachtet dessen stand das handelspolitische Engagement Österreich-Ungarns vor Beginn des Ersten Weltkriegs jedoch eindeutig im Schatten der Aktivitäten des Deutschen Reiches, das vor allem seine wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Osmanischen Reich seit Beginn des Jahrzehnts immer weiter ausgebaut und so seinen Einfluss in der Region vergrößert hatte.29 Besonders erfolgreich war die Zusammenarbeit der beiden Staaten auf militärischem Gebiet, wobei hier vor allem die Tätigkeit der Deutschen Militärmission, die zunächst von General Wilhelm Colmar von der Goltz und ab 1913 von General Otto Liman von Sanders geleitet wurde,30 hervorzuheben ist, die sich große Verdienste bei der Reorganisation des osmanischen Heeres erwarb.31 Ungeachtet dessen schreckte das Deutsche Reich jedoch trotz entsprechender Angebote der Hohen Pforte lange Zeit davor zurück, mit dem Osmanischen Reich, das sich vor allem von Russland und den Balkanstaaten bedroht sah und dringend einen starken Verbündeten suchte, eine Allianz zu schließen.32 Auch Großbritannien, das gleichfalls ein wichtiger Handelspartner Konstantinopels war und ebenso 28 Gerald E. Silberstein, The Troubled Alliance. German-Austrian Relations 1914 to 1917 (Lexington 1970), S. 5. Die wirtschaftspolitischen Aktivitäten der Habsburgermonarchie im Nahen Osten standen dabei jedoch stets im Schatten jener der anderen europäischen Großmächte. Vgl. Bridge, The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire (1984), S. 32–33. 29 Strachan, First World War (2001), S. 33–64; Weber, Eagles (1970), S. 1–4. Besonders bedeutend war das Engagement des Deutschen Reiches bei der Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur des Osmanischen Reiches, so etwa beim Bau der Hedschas- und Bagdadbahn. Vgl. Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 275–277; Jürgen Franzke (Hg.), Bagdadbahn und Hedjazbahn. Deutsche Eisenbahngeschichte im Vorderen Orient (Nürnberg 2003); Jonathan S. McMurray, Distant Ties. Germany, the Ottoman Empire, and the Construction of the Baghdad Railway (Westport 2001); Immo Sievers, Der europäische Einfluss auf die türkischen Bahnbauten bis 1914 (Pfaffenweiler 1991); Hans Werner Neulen, Adler und Halbmond. Das deutsch-türkische Bündnis 1914–1918 (Frankfurt am Main 1994), S. 15–27. 30 Strachan, First World War (2001), S. 60–61; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 317; Weber, Eagles (1970), S. 10–11. Zu den Deutschen Militärberatern im Osmanischen Reich vgl. Römer, Die deutsche und englische Militärhilfe (2007), S. 39–105. Die Entsendung Limans nach Konstantinopel zog heftige Proteste insbesondere Russlands nach sich, da man in St. Petersburg eine Vergrößerung des Einflusses Berlins im Osmanischen Reich fürchtete. Vgl. Weber, Eagles (1970), S. 34–39. 31 Strachan, First World War (2001), S. 664–666 u. S. 685–686; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 24–25; Bernd F. Schulte, Vor dem Kriegsausbruch 1914. Deutschland, die Türkei und der Balkan (Düsseldorf 1980), S. 17–38. Zur Stärke, zum Aufbau sowie zu den Verlusten der osmanischen Armee im Zeitraum 1914–1918 vgl. John Ellis/Michael Cox (Hg.), The World War I Databook. The Essential Facts and Figures for All the Combatants (London 2001), S. 97–99, 142–144, 245, 247, 260, 270–275, 302–303; Edward J. Erickson, Ordered to Die. A History of the Ottoman Army in the First World War (Westport/ London 2001), S. 4–11; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 68–69. 32 Strachan, First World War (2001), S. 660–661, 668–671. Zur Beurteilung der politischen und militärischen Lage im Osmanischen Reich vor Kriegsbeginn siehe u. a. die pointierten, mitunter zynischen Berichte des k.u.k. Militärattachés (später Militärbevollmächtigter) in Konstantinopel, Josef Pomiankowski. Vgl. k.u.k. Kriegsministerium-Präsidiale (KM-Präs) 47/1 ex 1914, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1641. Wien–Jerusalem und zurück 295 einen zahlenmäßig großen militärischen Beraterstab bei der Hohen Pforte unterhielt, zeigte sich zunächst nicht daran interessiert, das Osmanische Reich in sein Bündnissystem zu integrieren.33 Der Umstand, dass Konstantinopel fast zur gleichen Zeit diplomatische Fühler in Richtung der beiden großen europäischen Allianzen ausstreckte, mag vom heutigen Standpunkt aus opportunistisch erscheinen, spiegelt jedoch deutlich die Gegensätzlichkeit innerhalb der osmanischen Regierung sowie die spezifischen außenpolitischen Interessen des Landes wieder. Zum einen war die Regierung in Konstantinopel zwischen jenen Kräften, die eine Annäherung an das Deutsche Reich befürworteten, und einer zweiten Gruppe, die für eine Anlehnung an Frankreich und Großbritannien plädierte, tief gespalten.34 Nachdem viele der zum Teil informellen Gespräche mit den diplomatischen Vertretern der Großmächte von einzelnen Kabinettsmitgliedern in Eigeninitiative geführt wurden, konnte es mitunter vorkommen, dass mit beiden europäischen Machtblöcken gleichzeitig verhandelt wurde, ohne dass der Sultan oder die übrigen Mitglieder der osmanischen Regierung davon zeitgerecht Kenntnis erlangten. Zum anderen verfolgte die Hohe Pforte spezifische, primär auf die Absicherung des eigenen Hoheitsgebiets abzielende diplomatische Ziele, die sich nur bedingt mit den globalen machtpolitischen Strategien der europäischen Allianzen in Einklang bringen ließen. So erwartete sich Konstantinopel vom Abschluss eines Bündnisses mit einer der Großmächte vor allem eine Rückversicherung gegen territoriale Expansionspläne Russlands und der Balkanstaaten. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessen in Südosteuropa bzw. aus Rücksicht auf ihre Beziehungen zu Russland waren jedoch weder die Ententestaaten noch die dem Dreibund angehörenden Mächte bereit, derartige Garantien zu geben, ein Umstand, der die Bemühungen des Osmanischen Reiches, einen Bündnispartner zu finden, lange Zeit effektiv untergrub.35 33 Der britische Beraterstab übte vor allem auf die osmanische Marine großen Einfluss aus. Dies manifestierte sich unter anderem in der Erteilung des Auftrags für den Bau von zwei Schlachtschiffen sowie den Aufbau von modernen Werftanlagen im Osmanischen Reich an ein britisches Firmenkonsortium. Ausschlaggebend dafür, dass das Deutsche Reich bei der Modernisierung der osmanischen Flotte nicht zum Zug kam, dürfte die erfolgreiche Werbetätigkeit des Leiters der Britischen Militärmission, Admiral Arthur Limpus, gewesen sein, der zugleich Oberbefehlshaber der osmanischen Flotte war. Vgl. Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 318–321; Römer, Die deutsche und englische Militärhilfe (2007), S. 131–145, 217–310; „Vertrag betreffend Marineetablissements bei Konstantinopel und Ismidt“, KM-Präs 47/1/4 ex 1914, 17. Dezember 1913, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1641. 34 Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 14–15; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 3–7. Während Sultan Mehmed V. traditionell als Freund der Entente eingeschätzt wurde, galt Kriegsminister Enver Pascha, der im Deutschen Reich als Militärattaché gedient hatte, als stärkster Befürworter einer Allianz mit Berlin. Zur Beziehung Envers zum Deutschen Reich vgl. Charles D. Haley, The Desperate Ottoman. Enver Paşa and the German Empire, in: Middle Eastern Studies, 30 (1994) 1, S. 1–51; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 55–56. 35 Vgl. Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 4–8. 296 RICHARD LEIN Mit dem Attentat von Sarajevo und dem Beginn des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914 änderte sich die Sachlage jedoch schlagartig, da nunmehr sowohl die Mittelmächte als auch die Ententestaaten begannen, verstärkt um die Gunst Konstantinopels zu werben. Während die Entente vor allem daran interessiert war, den Zugang ins Schwarze Meer offen zu halten, um auf diesem Weg das wirtschaftlich schwache Russland mit Militärmaterial und anderen Gütern versorgen zu können, gingen die Überlegungen der Mittelmächte einen wesentlichen Schritt weiter. Hier war es vor allem das Deutsche Reich, das Interesse an einem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches auf der eigenen Seite zeigte, ging man doch zumindest seitens der politischen Entscheidungsträger davon aus, dass sich sowohl Russland als auch Großbritannien in der Folge gezwungen sehen würden, größere Truppenverbände zum Schutz ihrer Besitzungen im Kaukasus bzw. in Ägypten zusammenzuziehen; die in Konsequenz nicht auf dem europäischen Kriegsschauplatz zum Einsatz gebracht werden könnten.36 Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der osmanischen Armee gingen die Meinungen Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches dabei zunächst auseinander. Während Berlin angesichts der unter maßgeblichem Einfluss des deutschen Beraterstabes durchgeführten militärischen Reformen sowie der Tatsache, dass deutsche Offiziere Schlüsselstellungen im Befehlsapparat des osmanischen Heeres innehatten,37 vorsichtig optimistisch war, zeigte sich der österreichisch-ungarische Botschafter in Konstantinopel, János Graf von Pallavicini,38 vergleichsweise skeptisch. So wies er Berchtold in einem Schreiben auf die sei36 37 38 Weber, Eagles (1970), S. 59; Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 12–13; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S.  76. Die militärischen und diplomatischen Vertreter des Deutschen Reiches und der Habsburgermonarchie in Konstantinopel wiesen hingegen spätestens im September 1914 darauf hin, dass die von osmanischer Seite geplanten Angriffe im Kaukasus und auf den Suezkanal kaum eine größere Zahl an gegnerischen Truppen binden würden. Vgl. ebd., S. 94–95. Diesem Urteil wird in der Historiografie zum Teil widersprochen. Vgl. Wolfdieter Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte, Teil I: Ihre Basis in der Orient-Politik und ihre Aktionen 1914–1917 (Wien/Köln/Graz 1975), S. 230; Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 28–29. Carl Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis im Weltkriege (Leipzig 1940), S. 19–20. Noch im Frühjahr 1914 hatte sich dagegen der deutsche Generalstabschef, Helmuth von Moltke, überaus kritisch über die Leistungsfähigkeit der osmanischen Armee geäußert. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 8–9. Der k.u.k. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf zitiert eine entsprechende Aussage Moltkes bei einer Unterredung am 12. Mai 1914 in seinen Memoiren wie folgt: „Die türkische Armee ist absolut wertlos. Sie hat keine Waffen, keine Munition, keine Kleider. Die Offiziersfrauen gehen betteln auf der Straße. Jetzt will die Türkei ein Seestaat werden und schreibt uns um Geld.“ Franz Conrad von Hötzendorf, Aus meiner Dienstzeit 1906–1918, Dritter Band: 1913 und das erste Halbjahr 1914 (Wien/ Leipzig/München 1922), S. 672. Pomiankowski führt die nach Kriegsbeginn in großer Zahl erfolgende Eingliederung deutscher Offiziere und Unteroffiziere in das osmanische Heer nicht zuletzt auf dessen Mangel an ausgebildeten technischen Spezialisten, wie etwa Artilleristen, zurück. Vgl. Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 53. Zu Pallavicini vgl. Zoltan Szász, Pallavicini, János Markgraf von (1848–1941), Diplomat, in: Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL) 1815–1950, Bd. 7 (Lfg. 34, 1977), S. 303; Erich Würl, Die Tätigkeit des Markgrafen Pallavicini in Konstantinopel 1906–1914, Dissertation Wien 1951. Wien–Jerusalem und zurück 297 ner Meinung nach weiterhin bestehende Schwäche des Osmanischen Reiches hin und äußerte die Befürchtung, dass das Land weder einem russischen noch einem britischen Angriff lange widerstehen würde können. Letztere Sorge wurde auch von einigen Verantwortlichen im Deutschen Reich geteilt, dieser Umstand hatte jedoch aufgrund des nunmehr von osmanischer Seite ausgeübten Drucks, in den Dreibund aufgenommen zu werden, keinen Einfluss auf das weitere Vorgehen der Wilhelmstraße oder des Ballhausplatzes.39 Das geheime Bündnis selbst, das das Deutsche Reich schließlich am 2. August 1914 auf ein entsprechendes Angebot der osmanischen Regierung hin mit der Hohen Pforte abschloss, war rein defensiver Natur und primär gegen Russland gerichtet,40 ein Umstand, der noch zu Problemen führen sollte. Sowohl für Berlin als auch für Konstantinopel war es alleine aus geografischen Gründen von Bedeutung, dass sich auch die Habsburgermonarchie dem Bündnis anschloss. Schließlich konnte eine Landverbindung zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei nur über österreichisch-ungarisches Territorium hergestellt werden. Trotz der zuvor von Botschafter Pallavicini geäußerten Bedenken stimmte die kaiserlich-königliche Regierung nach kurzem Zögern einem Beitritt zu dem von deutscher Seite eingefädelten Bündnis zu, wobei man jedoch demonstrativ auf die Ausarbeitung und Unterzeichnung eines eigenen Vertragswerks verzichtete, sondern sich dem deutschosmanischen Übereinkommen lediglich durch einen Notenwechsel anschloss.41 Zur Überraschung Österreich-Ungarns und des Deutschen Reiches trat das Osmanische Reich jedoch nicht sofort in den Krieg ein, vielmehr verkündete die Regierung in Konstantinopel am 4. August lediglich die „strenge Neutralität“ ihres 39 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 14; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 17–18; Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 12–13; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 8–14; Bridge, The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire (1984), S. 45; Weber, Eagles (1970), S. 62; Franz Conrad von Hötzendorf, Aus meiner Dienstzeit 1906–1918, Vierter Band: 24. Juni 1914 bis 30. September 1914 (Wien/Leipzig/München 1923), S. 143–144. Die Warnungen kamen vor allem aus dem diplomatischen Dienst der Habsburgermonarchie und des Deutschen Reiches. So äußerte auch der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Hans von Wangenheim, im September 1914 die Vermutung, dass das Osmanische Reich vor allem aufgrund seiner begrenzten Vorräte an Nachschubgütern maximal sechs Wochen Krieg durchhalten würde. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 86–87. 40 Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 262; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 322; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 25–26; Weber, Eagles (1970), S. 62–66; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 25–26. Konkret versicherten sich beide Parteien ihrer Neutralität im Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien. Ein Kriegseintritt des Osmanischen Reiches sollte nur dann erfolgen, wenn Russland in den Konflikt eingreifen und dadurch ein Bündnisfall für das Deutsche Reich entstehen würde. Gleichzeitig verpflichtete sich das Deutsche Reich, die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches notfalls mit Waffengewalt zu verteidigen. Vgl. Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 136–137. 41 Strachan, First World War (2001), S. 670; Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 14–31. Der Bündnisvertrag wurde jeweils 1915, 1916 und 1917 ergänzt und erneut abgeschlossen. Siehe ebd., S. 20–47 und S. 102–128. 298 RICHARD LEIN Landes.42 Damit blieb die von Seiten der Mittelmächte erhoffte Entlastung der europäischen Kriegsschauplätze aus, was für die militärische Führung beider Staaten angesichts der heftigen Kämpfe an der französischen sowie der russischen Front eine höchst unwillkommene Überraschung darstellte. Gegenüber Berlin und Wien rechtfertigte sich die Hohe Pforte damit, einerseits mehr Zeit für die Mobilisierung der eigenen Streitkräfte zu benötigen, andererseits jedoch aufgrund der Statuten des Bündnisvertrags nicht zu einer sofortigen Kriegserklärung an Russland oder gar die anderen Ententestaaten verpflichtet zu sein.43 Beides entsprach durchaus den Fakten, gleichzeitig zeigte sich die hohe Pforte jedoch auch über den Umstand besorgt, dass Russland, Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatten, während Italien, Rumänien und Bulgarien, die vor 1914 als wahrscheinlichste Bündnispartner Berlins und Wiens gegolten hatten, neutral geblieben waren. Vor diesem Hintergrund erschien es für Konstantinopel ratsamer abzuwarten, welches Vorgehen dem Osmanischen Reich den größeren Vorteil bringen würde. Hinzu kam, dass innerhalb des Kabinetts in der Bündnisfrage weiterhin kein Konsens herrschte. Dies war nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass der Allianzvertrag mit dem Deutschen Reich im Wesentlichen von Talaat Bey, Enver Bey und Großwesir Said Halim ausgehandelt worden war, während man den Sultan und den Rest des Kabinetts erst im Nachhinein über den Abschluss des Bündnisses informiert hatte. Abgesehen von den aus diesem Manöver resultierenden Spannungen innerhalb der osmanischen Regierung zementierte sich damit das bereits zuvor bestehende Patt zwischen den Befürwortern eines Kriegseintritts auf Seiten des Deutschen Reiches, die sich vor allem um Kriegsminister Enver Bey scharten, und den Anhängern einer Beibehaltung der Neutralität bzw. einer Anlehnung an die Entente, zu denen unter anderem Sultan Mehmed V. zählte.44 Als Reaktion auf die Neutralitätserklärung setzte ein neuerliches Werben um die Gunst der Hohen Pforte ein, wobei die Mittelmächte weiterhin an einem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches auf ihrer Seite, die Ententestaaten hingegen an einer Beibehaltung von dessen Neutralität in Verbindung mit einer Offenhaltung der Meerengen interessiert waren. Diese Phase der allseitigen Gunstbezeugungen nutzte die osmanische Regierung für ihre eigenen Interessen und erklärte am 9. Sep- 42 Ebd., S. 17–18; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 18. 43 Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 262–263. Die Hohe Pforte argumentierte korrekterweise, dass nicht das Zarenreich in den Krieg eingetreten war, sondern das Deutsche Reich Russland zuerst den Krieg erklärt hatte, weshalb kein Bündnisfall vorliegen würde. Vgl. Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 17. 44 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 10–15; Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 14–15; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 73–74; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 35–36. Wien–Jerusalem und zurück 299 tember 1914 die Kapitulationen für aufgehoben.45 Für die meisten europäischen Großmächte, darunter auch Österreich-Ungarn, war diese Entscheidung überaus nachteilig, da man auf einen Schlag sämtliche (religions)politischen und wirtschaftlichen Vorrechte im Nahen Osten einbüßte. Auch die k.u.k. Levantepost musste aufgrund der Entscheidung der Hohen Pforte ihren Betrieb einstellen, was unter anderem auch den Nachrichtenverkehr der österreichisch-ungarischen Botschaft sehr behinderte.46 Aufgrund der Tatsache, dass alle Parteien weiterhin hofften, das Osmanische Reich auf ihre jeweilige Seite ziehen zu können, wurde der Schritt jedoch von allen Großmächten mehr oder weniger widerspruchslos zur Kenntnis genommen. Die Entscheidung im Rennen um die Gunst der Hohen Pforte fiel schließlich wenig später aufgrund eines Offerts des Deutschen Reiches, das der osmanischen Regierung im Fall eines Kriegseintritts auf Seiten der Mittelmächte nicht nur großzügige finanzielle und materielle Hilfe in Aussicht stellte, sondern auch die seit dem 10. August 1914 in Konstantinopel vor Anker liegenden deutschen Kriegsschiffe „Goeben“ und „Breslau“ zum Kauf anbot. Die beiden Kreuzer hatten im Sommer 1914 unter dem Kommando von Admiral Wilhelm Souchon die deutsche Mittelmeerdivision gebildet und waren bei Kriegsbeginn vor überlegenen britischen und französischen Seestreitkräften nach Konstantinopel geflüchtet, wo sie aufgrund einer Intervention des deutschen Außenamtes einlaufen hatten dürfen. Prinzipiell handelte es sich bei dem Verkaufsangebot um eine reine Pro-forma-Aktion, da die Ententestaaten gegen den Aufenthalt der beiden Schiffe in dem neutralen Hafen Protest einlegten und deren unverzügliches Auslaufen ins Mittelmeer bzw. deren Demilitarisierung forderten.47 Ungeachtet der Begleitumstände war die Perspektive, zwei kampfkräftige Einheiten in den eigenen Flottenverband integrieren zu können, für die osmanische Militärführung überaus verlockend, war doch ihre Flotte den russischen Seestreitkräften im Schwarzen Meer, ihrem voraus45 Strachan, First World War (2001), S. 676; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 15; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 324. Zumindest das Deutsche Reich dürfte vorab über die bevorstehende Aufhebung informiert worden sein. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 80. Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich schlossen als Ersatz für die Kapitulationen während des Krieges mit dem Osmanischen Reich Rechtsverträge ab. Vgl. Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 66–101; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 197–198. Am 2. November 1916 kündigte das Osmanische Reich darüber hinaus den Pariser Vertrag von 1856 sowie den Berliner Vertrag von 1878 einseitig auf. Vgl. Schramek, Bündnisverträge (1964), S. 48–65. 46 Zur Tätigkeit der österreichischen Post in Konstantinopel vgl. Andreas Patera, Die örtliche, bauliche und räumliche Situation der österreichischen Postämter in Konstantinopel, in: Rudolf Agstner/Elmar Samsinger (Hg.), Österreich in Istanbul. K. (u.) K. Präsenz im Osmanischen Reich (Wien 2010), S. 229–258. 47 Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 77–79; Strachan, First World War (2001), S. 644–651, 678; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 28–39; Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 263–264; Römer, Die deutsche und englische Militärhilfe (2007), S. 319–320; Siegfried Breyer, Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer 1905–1970. Mit 922 Seitenrissen, Decksplänen, Querschnitten und Detailskizzen sowie einer Einführung: Die geschichtliche Entwicklung des Großkampfschiffs (München 1970), 290–292. 300 RICHARD LEIN sichtlichen Hauptgegner im Fall eines Kriegseintritts auf Seiten der Mittelmächte, deutlich unterlegen. Zwar hätten im Jahr 1914 zwei auf englischen Werften gebaute, moderne Schlachtschiffe an die osmanische Flotte ausgeliefert werden sollen, die bereits fertiggestellten und bezahlten Einheiten waren jedoch nach Kriegsbeginn von der britischen Regierung beschlagnahmt worden.48 Der Ankauf der „Goeben“ und der „Breslau“, die gemäß einer Vereinbarung mit der deutschen Kriegsmarine auch weiterhin von ihren deutschen Offizieren und Matrosen bemannt werden sollten, bot dem Osmanischen Reich nun die Möglichkeit, nicht nur den durch die Beschlagnahmung der beiden Einheiten entstandenen Prestigeverlust wettzumachen, sondern auch das maritime Kräftegleichgewicht im Schwarzen Meer zu seinen eigenen Gunsten zu verschieben. Folglich wurden die beiden Schiffe noch am 16. August 1914 offiziell von der osmanischen Regierung angekauft und unter den neuen Namen „Yavuz Sultan Selim“ (ex Goeben) und „Midilli“ (ex Breslau) wieder in Dienst gestellt. Zugleich wurde auf das Drängen des Deutschen Reiches hin der Leiter der britischen Marinemission, Admiral Arthur Limpus, von seinem Posten als Oberbefehlshaber der osmanischen Marine abberufen und durch den Kommandanten der deutschen Mittelmeerdivision, Admiral Souchon, ersetzt.49 Seitens der Ententestaaten wurde dieser Schritt als eindeutiger Kurswechsel Konstantinopels in das Fahrwasser der Außenpolitik des Deutschen Reiches gewertet, was eine zunehmende Abkühlung der Beziehungen Großbritanniens und Frankreichs zur Hohen Pforte zur Folge hatte. Gleichzeitig unternahmen britische und französische Marineeinheiten ab diesem Zeitpunkt mehrfach Demonstrationsfahrten am Eingang zu den Dardanellen und behinderten den militärischen wie zivilen Schiffsverkehr, was schließlich zu der von osmanischer Seite verfügten Schließung der Meerengen am 1. Oktober 1914 führte.50 Seitens der Hohen Pforte wurden die Marinemanöver der Ententestaaten als unfreundlicher Akt gewertet, was letztlich einige noch schwankende Kabinettsmitglieder bewogen haben dürfte, dem Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte zuzustimmen. Nachdem die osmanische 48 Bei den Schiffen handelte es sich um die „Sultan Osman I“ sowie die „Reshad V“, die von der Royal Navy als „Agincourt“ bzw. als „Erin“ in Dienst gestellt wurden. Ein Angebot Großbritanniens, die beiden Einheiten für 1.000 Pfund Sterling täglich anzumieten, schlug die Hohe Pforte aus Prestigegründen aus. Vgl. Breyer, Schlachtschiffe (1970), S. 156–159, Strachan, First World War (2001), S. 673; Römer, Die deutsche und englische Militärhilfe (2007), S. 217–310, 319–331. 49 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 12; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 323; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 28–35; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 78–79; Weber, Eagles (1970), S. 74–75. 50 Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 29; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 79. Großbritannien argumentierte damit, dass die osmanische Flotte aufgrund des Umstandes, dass sie von einem weiterhin im Dienste des Deutschen Reiches stehenden Admiral kommandiert wurde, als potentiell feindlich zu betrachten wäre. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 90–92; Weber, Eagles (1970), S. 79. Wien–Jerusalem und zurück 301 Regierung schließlich ihre im August 1914 begonnenen, langwierigen Kriegsvorbereitungen abgeschlossen und dem Deutschen Reich umfangreiche Zusagen hinsichtlich finanzieller und materieller Unterstützung abgerungen hatte,51 unternahmen die „Yavuz Sultan Selim“ und die „Midilli“ am 29. Oktober 1914 gemeinsam mit weiteren Einheiten der osmanischen Flotte einen Überraschungsangriff auf die russischen Schwarzmeerhäfen von Sewastopol und Odessa.52 Damit war die Entscheidung in der Bündnisfrage endgültig gefallen, die Ententestaaten zogen ihre diplomatischen Vertreter aus Konstantinopel ab und erklärten dem Osmanischen Reich am 1. November 1914 den Krieg, das seinerseits am 11. November offiziell den Kriegszustand mit der Entente ausrief.53 III. Abenteuer Orient – Österreich-Ungarn und der Nahe Osten 1914–1915 Wiewohl sich das Osmanische Reich auf den bevorstehenden Waffengang lange vorbereitet hatte, musste es schon bald an allen Fronten empfindliche Rückschläge einstecken. Zunächst einmal stieß der Aufruf des Sultans vom 14. November 1914, der alle Muslime der Welt aufforderte, sich zum Dschihad gegen die Ententestaaten zu erheben,54 selbst im eigenen Land nur auf eher bescheidenen Widerhall, ein Umstand, der die gerade in den entlegenen Provinzen geringe Autorität der osma51 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 10–17; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 20–23; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 85–86. Hinzu kamen während des Krieges weitere Zahlungen in erheblicher Höhe sowie Materiallieferungen in nicht näher bekanntem Ausmaß. Vgl. ebd., S. 126–127. Wesentlichstes Zugeständnis Berlins bildete eine Anleihe für das Osmanische Reich im Wert von fünf Millionen Pfund, von der gemäß der wechselseitigen Vereinbarungen zwei Millionen vor dem Kriegseintritt Konstantinopels zu transferieren waren. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 79–82, 92–95. 52 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 17–18; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 37–39. Admiral Souchon war angeblich zuvor von Enver Bey ermächtigt worden, im Fall einer Ablehnung der Operation durch die osmanische Regierung einen Zwischenfall mit der russischen Flotte herbeizuführen, um so einen Kriegsgrund zu schaffen. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 96–97. 53 Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 97; Winston Churchill, The World in Crisis 1911–1918 (London 2007), S. 282–283; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 88. 54 Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg (Graz 1993), S. 183–188; Strachan, The First World War. A New Illustrated History (2006), S. 97. Vgl. dazu außerdem Tilman Lüdke, Jihad made in Germany. Ottoman and German propaganda and intelligence operations in the First World War (Münster 2005); Peter Hopkirk, Östlich von Konstantinopel. Kaiser Wilhelms Heiliger Krieg um die Macht im Orient (Wien/München 1996), S. 76–88; Gardos, ÖsterreichUngarn und die Türkei (1968), S. 80–85. Als Begründung wurde ein angeblicher, unprovozierter russischer Angriff auf ein Manöver der osmanischen Flotte genannt. Vgl. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 44–45. 302 RICHARD LEIN nischen Staatsführung deutlich machte.55 Auch die Umsetzung der als überaus optimistisch zu bezeichnenden Kriegsziele des Osmanischen Reiches, das unter anderem eine Wiedereroberung Ägyptens sowie Gebietsgewinne im Kaukasus anstrebte, erwies sich trotz der Tatsache, dass die Hohe Pforte bis Oktober 1914 rund 800.000 Soldaten und 1.000 Geschütze aufbieten konnte, von Anfang an als schwierig.56 So geriet die Hohe Pforte gleich von Beginn an militärisch unter Druck, drangen doch bereits im Spätherbst 1914 britische Einheiten vom Persischen Golf aus nach Mesopotamien vor und begannen nach der Einnahme von Basra am 23. November entlang des Tigris in Richtung Bagdad vorzustoßen.57 Zugleich scheiterte im Winter 1914/1915 eine Großoffensive der osmanischen 3. Armee im Kaukasus, auf die man große Hoffnungen gesetzt hatte, aufgrund schlechter Vorbereitung, ungünstiger klimatischer Bedingungen sowie heftigen gegnerischen Widerstands unter großen eigenen Verlusten. In Folge waren von den ehemals 90.000 an der Kaukasusfront eingesetzten osmanischen Soldaten im Frühjahr 1915 nur noch etwa 12.000 kampffähig, was weitere Operationen in dem Abschnitt vorerst verhinderte.58 Auch 55 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 18; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 325–326. Die Erklärung eines „Heiligen Kriegs“ stellte keineswegs ein Novum in der Außenpolitik des Osmanischen Reiches dar, vielmehr war bereits im 19. Jahrhundert seitens der Hohen Pforte mehrfach zu einem solchen gegen die Feinde des Reiches aufgerufen worden, ebenso mit geringem Erfolg. Auch die europäischen Mächte hatten sich im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach der Möglichkeit einer religiös motivierten Mobilisierung der islamischen Bevölkerung ihrer Kolonien bedient. Von Seiten österreichisch-ungarischer und deutscher Orientfachmänner war der Mobilisierungsgrad der Erklärung bereits vor ihrer Veröffentlichung als eher gering eingeschätzt worden, weshalb sich die Habsburgermonarchie im Gegensatz zum Deutschen Reich nur halbherzig an ihrer Verbreitung beteiligte. Vgl. Kreutzer, Dschihad für den Deutschen Kaiser (2012), S. 61–64; Alexander Will, Der Gegenspieler im Hintergrund. Josef Pomiankowski und die antideutsche Orientpolitik Österreich-Ungarns 1914–1918, in: Wilfried Loth/Marc Hanisch (Hg.), Erster Weltkrieg und Dschihad. Die Deutschen und die Revolutionierung des Orients (München 2014), S. 193–214, hier 206–207; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 119–120; Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 204–214. 56 Strachan, First World War (2001), S. 700–701. Die Zahlenangaben schwanken je nach Quelle mitunter stark. Vgl. Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 191–194. Zur osmanischen Mobilisierung und den Kriegsplänen vgl. Erickson, Ordered to Die (2001), S. 37–47. Für die Struktur der osmanischen Militärbehörden vgl. den detaillierten Bericht „Organisation des ott. Gr. Hauptquartiers und Kriegsministeriums“, KM-Präs 47/1/6 ex 1917, 23. Jänner 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2166. 57 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 40; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 215; Fischer, Österreich im Nahen Osten (2006), S. 253; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 122–124; „Stand der türkischen Operationen“, KM-Präs 47/1/6 ex 1915, 31. Dezember 1914, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1777. Zu den von beiden Seiten an diesem Frontabschnitt eingesetzten Truppenverbänden vgl. Ellis/Cox (Hg.), The World War I Databook (2001), S. 209–210. 58 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 27–28; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 187–191, 215– 224; Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 96–100; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 111–113; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 52–65; „Die türkische Niederlage im Kaukasus. Bericht des k.u.k. Mil.Bevollmächtigten in Konstantinopel“, KM-Präs 47/1/9 ex 1915, 14. Jänner 1915, ÖStA/ KA/KM-Präs, Kt. 1777. Zu den Kämpfen im Kaukasus 1915–1918 vgl. Nik Cornish, The Russian Army and the First World War (Gloucestershire 2006), S. 75–98; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 57–73. Zu den eingesetzten Truppen beider Seiten vgl. Ellis/Cox (Hg.), The World War I Wien–Jerusalem und zurück 303 ein Vorstoß von Teilen der in Palästina operierenden osmanischen 4.  Armee in Richtung Suezkanal, der im Jänner 1915 begonnen wurde und als „Startschuss“ für die geplante Rückeroberung Ägyptens gedacht war, drang aufgrund des Widerstand der dort eingesetzten gegnerischen Truppen sowie des Ausbleibens der von osmanischer Seite erwarteten Erhebung der ägyptischen Bevölkerung gegen die britische Herrschaft nicht durch und musste schließlich abgebrochen werden.59 Generell zeigte sich in diesem ersten Kräftemessen, dass das osmanische Heer im Vergleich zu den Balkankriegen vor allem aufgrund der nach 1913 eingeleiteten Reformen zwar deutlich an Schlagkraft gewonnen hatte, die unzureichende Ausrüstung und Versorgung vieler erst im Zuge der Mobilisierung neu aufgestellter Truppenteile sowie die Inkompetenz zahlreicher höherer osmanischer Kommandanten verhinderten jedoch in vielen Fällen mögliche militärische Erfolge. Hinzu kam, dass aufgrund der Nationalisierungspolitik der jungtürkischen Regierung die Kampfmoral bei zahlreichen aus nicht-türkischer Mannschaft bestehenden Truppenkörpern eher gering war. So kam es bereits in der Frühphase des Krieges an manchen Frontabschnitten zu einer großen Zahl von Desertionen, ein Phänomen, das laut Angaben der osmanischen Behörden überdurchschnittlich häufig bei jenen Einheiten anzutreffen war, die sich aus Soldaten arabischer oder armenischer Nationalität zusammensetzten.60 Diese Behauptung ist jedoch nur zum Teil zutreffend, da sich viele der aus nicht-türkischer Mannschaft bestehenden Truppenteile später bei den Kämpfen an den Dardanellen sowie in Palästina wiederholt auszeichneten. Hauptgrund für die Desertionen war in vielen Fällen eher die schlechte Versorgungslage vieler Truppenteile, funktionierte doch der Nachschub gerade in den entlegenen Frontabschnitten im Kaukasus sowie in Palästina aufgrund der in diesen Gebieten völlig unterentwickelten Verkehrsinfrastruktur oft nur schlecht.61 Angesichts der immer ungünstiger werdenden militärischen Lage wandte sich die Hohe Pforte bereits Ende 1914 mit der Bitte um Unterstützung an Berlin und Databook (2001), S. 210–212. 59 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 16–18; Weber, Eagles (1970), S. 86–105; Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 101–105; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 63–70; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 112–114; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 66–72; Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 51–56. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 58-61. Zu den an diesem Frontabschnitt von beiden Seiten eingesetzten Truppenverbänden vgl. Ellis/Cox (Hg.), The World War I Databook (2001), S. 208–209. 60 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 20–21; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 29. 61 Strachan, First World War (2001), S. 689–693; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 37–42. Als besonders hinderlich bei der Versorgung der Palästinafront erwies sich der Umstand, dass die über das Taurusgebirge führenden Streckenabschnitte der Bagdadbahn noch nicht fertiggestellt waren, was ein Umladen der Truppen und des Materials auf Fuhrwerke bzw. Feldbahnen erforderlich machte. Vgl. Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 125–137; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 31–33, 112–116. 304 RICHARD LEIN Wien, wobei vor allem um die baldmöglichste Übersendung von schwerem Kriegsmaterial, allen voran Artillerie, sowie von Munition ersucht wurde. Erstere Bitte richtete sich nicht zuletzt an Österreich-Ungarn, das bei Kriegsausbruch zur Auslieferung bereitstehende 10cm Feldhaubitzen, die vom Osmanischen Reich bei Škoda bestellt und auch bezahlt worden waren, beschlagnahmt und als „Türkei-Batterien“ in die eigenen Streitkräfte eingegliedert hatte.62 Obwohl sowohl die Habsburgermonarchie als auch das Deutsche Reich durchaus geneigt waren, dem Hilfeansuchen ihres Verbündeten nachzukommen, war der Transport einer größeren Menge von Soldaten oder Rüstungsgütern in den Nahen Osten zu diesem Zeitpunkt praktisch unmöglich. So wurde das Mittelmeer von starken Seestreitkräften der Entente kontrolliert, was eine Einschiffung von Truppen und Material nach Konstantinopel verhinderte. Auch ein Transport über den Landweg war ausgeschlossen, da Österreich-Ungarn bei seinem Feldzug gegen Serbien im Herbst 1914 eine überraschende Niederlage erlitten hatte63 und sich die übrigen Balkanstaaten, allen voran Rumänien und Bulgarien, für neutral erklärt hatten. Zwar konnten bis Jahresende 1914 noch geringe Mengen an falsch deklariertem Kriegsmaterial durch Rumänien nach Konstantinopel geschleust werden, die zunehmend feindselige Haltung der Regierung in Bukarest machte derartige Transporte jedoch schon bald unmöglich.64 Das Osmanische Reich musste daher zunächst mit dem vorhandenen Kriegsmaterial sowie dem zur Verfügung stehenden militärischen Personal seiner Verbündeten das Auslangen finden. Letzteres bestand im Fall des Deutschen Reiches aus den ca. 2.000 Offizieren und Soldaten der Militärmission, die zum Teil an hohen Positionen innerhalb des osmanischen Militärapparats tätig waren.65 Die militärische Präsenz der Habsburgermonarchie in der Region war dagegen deutlich bescheidener, sie bestand Ende 1914 nur aus dem k.u.k. Militärbevollmächtigten Generalmajor (GM) Josef Pomiankowski66 sowie einigen weiteren österreichisch-ungarischen Offizieren und Soldaten. 62 Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 1, S. 207; Ortner, Artillerie (2007), S. 368. 63 Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 183–188; BMHW-KA (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg, Bd. 1 (1930), S. 91–152, 603–762. 64 Strachan, The First World War. A New Illustrated History (2006), S. 35; Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 20–32; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 115–119; Franz Conrad von Hötzendorf, Aus meiner Dienstzeit 1906–1918. Fünfter Band, Oktober – November – Dezember 1914 (Wien/Leipzig/München 1925), S. 463–464; Weber, Eagles (1970), S. 115–136. 65 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 58; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 18–20. In der genannten Zahl dürften die Matrosen der „Goeben“ und „Breslau“ enthalten sein. Für eine genaue Auflistung der deutschen Offiziere und ihrer Funktionen im osmanischen Militärapparat vgl. Wolf, Gallipoli 1915 (2008), S. 233–274. 66 Zu Pomiankowski vgl. Peter Broucek, Pomiankowski, Josef (1866–1929), Feldmarschalleutnant, in: ÖBL 1815–1950, Bd. 8 (Lfg. 37, 1980), S. 190; Will, Der Gegenspieler im Hintergrund (2014), S. 193–214. Abbildung 10 Generalmajor Josef Pomiankowski, österreichisch-ungarischer Militärbevollmächtigter im Osmanischen Reich Wien–Jerusalem und zurück 307 Vor diesem Hintergrund war klar, dass sich das militärische Engagement der Habsburgermonarchie im Nahen Osten zumindest bis zum Freikämpfen einer Landverbindung mit dem Osmanischen Reich in recht engen Grenzen halten würde. Dennoch wurde versucht, aktiv in das Kriegsgeschehen einzugreifen, wobei die zum Teil respektable Erfolge erzielenden Aktionen in der Regel auf die Initiative von Einzelpersonen zurückgingen. So gelang es dem im Oktober 1914 mit der Billigung Kaiser Franz Josephs in das Osmanische Reich aufgebrochenen Arabienforscher Prälat Alois Musil, der über weitreichende Kontakte im Nahen Osten verfügte, im Zuge einer mehrere Monate dauernden Reise, einige der dem Sultan ablehnend gegenüberstehenden und untereinander zum Teil völlig zerstrittenen arabischen Stämme im Hedschas, einer heute zu Saudi-Arabien gehörenden Region, vorläufig zu befrieden und sie dazu zu bewegen, auf Seiten der osmanischen Staatsmacht in den Krieg einzugreifen.67 Auch wenn der von Musil ausgehandelte Friede nicht von Dauer war und die Stämme später nicht zuletzt aufgrund britischer Propaganda wieder von der osmanischen Staatsmacht abfielen, hatte er damit der militärisch unter Druck stehenden Regierung in Konstantinopel zumindest in diesem Frontabschnitt eine Atempause verschafft. Die spektakulärste Aktion eines k.u.k. Militärangehörigen stellte jedoch das Kommandounternehmen einer kleinen Gruppe rund um den Einjährig-Freiwilligen Artilleristen Georg Gondos dar, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die von Großbritannien kontrollierten Ölquellen im ägyptischen Gemsa, ca. 60 Kilometer nördlich von Hurghada, zu zerstören. Wiewohl dem Unternehmen der Gruppe bei ihrem Abmarsch aus Konstantinopel im November 1914 nur geringe Erfolgsaussichten eingeräumt wurden, gelang es Gondos, der im Zivilberuf Erdölingenieur war, bis Februar 1915 offenbar tatsächlich, sich mit seinen Männern bis nach Gemsa am Westufer des Golf von Suez durchzuschlagen, einige Ölquellen zumindest auf Zeit unbrauchbar zu machen und anschließend unversehrt wieder nach Konstantinopel zurückzukehren.68 Trotz Abbildung 11 Prälat Alois Musil (Heliogravüre, 1918) 67 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 21–23; Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 91–103. Vgl. kritisch Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 171–172. Zur Mission Musils vgl. auch Udo Worschech, Alois Musil. Ein Orientalist und Priester in geheimer Mission in Arabien 1914–1915 (Kamen 2009); Sean McMeekin, The Berlin-Baghdad Express. The Ottoman Empire and Germany’s Bid for World Power 1898–1918 (London 2010), S. 153–165; Erich Feigl, Musil von Arabien. Vorkämpfer der islamischen Welt (Wien/München 1985), S. 289–321. Vgl. dazu kritisch Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 242–246. Zur Person Musils vgl. Ernst Bernleithner, Musil, Alois (1868–1944), Theologe, Orientalist und Geograph, in: ÖBL 1815–1950, Bd. 7 (Lfg. 31, 1976), S. 1–2. 68 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 49–52; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 23–26; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 83–84; Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 111. Vgl. dazu kritisch Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 51–56. Will stellt in Hinblick auf den angeblich in eher reißerischem Stil gehaltenen, von Gondos vorgelegten Bericht (KM-Präs 47/1/17 ex 1915, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1777, derzeit im Archiv jedoch nicht auffindbar) die Durchführung der Operation generell in Frage. Der von Jung zitierte Beleg für den Erfolg der Mission – ein Artikel in der ägyptischen Tageszeitung „The Egyptian Gazette“ vom 20. Juli 1916 – kann in Ermangelung 308 RICHARD LEIN dieses Erfolgs wurden in späteren Jahren keine weiteren Kommandounternehmen mehr durchgeführt, auch wenn seitens der österreichisch-ungarischen Militärführung immer wieder Pläne für ähnlich spektakuläre, zum Teil wesentlich umfangreichere Operationen diskutiert wurden. Wesentlich weitgehender waren demgegenüber die Aktivitäten der deutschen Militärmission in Konstantinopel, die zur Aufwiegelung lokaler Stämme gegen die Briten mehrere Expeditionen nach Indien und Afghanistan entsendete, denen jedoch ebenfalls kein bleibender Erfolg beschieden war.69 Die militärische Lage im Nahen Osten verschlechterte sich unterdessen für die Mittelmächte noch weiter, als am 19. Februar 1915 starke Seestreitkräfte der Entente die an den Dardanellen gelegenen osmanischen Festungen unter Beschuss nahmen und nach mehrfacher Wiederholung der Angriffe in den folgenden Wochen schließlich am 25. April 1917 Landungstruppen auf der Halbinsel Gallipoli abzusetzen begannen.70 Ziel der Entente war es dabei, über die Halbinsel in Richtung Konstantinopel vorzustoßen, die Öffnung der Meerengen zu erzwingen und auf diese Weise eventuell das Osmanische Reich zum Ausscheiden aus dem Krieg zu bewegen. Wiewohl es den Verteidigern, der unter dem Kommando von General von Sanders stehenden osmanischen 5. Armee, aufgrund rechtzeitiger Vorbereitung sowie taktischer Fehler des Gegners wider Erwarten gelang, eine stabile der Verfügbarkeit des Mediums nicht nachgeprüft werden. Pomiankowski äußerte sich zwar vorab kritisch über die Erfolgsaussichten der Expedition von Gondos, befürwortete diese aber ausdrücklich. Vgl. „Bericht des Herrn Wienecke aus Jerusalem“, KM-Präs 47/1/7 ex 1915, 4. Februar, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1777. Kreß erwähnt Gondos in seinen Erinnerungen noch einmal im Zusammenhang mit einem erfolgreichen Kommandounternehmen gegen Schiffe auf dem Großen Bittersee. Vgl. Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 120. Gondos wurde am 1. Oktober 1915 unter Verweis auf das erfolgreiche Unternehmen gegen das Ölfeld von Kaiser Franz Josef außer der Rangtour zum Leutnant in der Reserve ernannt. Vgl. „Vortrag des Kriegsministers“, MKSM 71/1/3/48 ex 1915, 30. September 1915, ÖStA/KA/ MKSM, Kt. 1192. 69 70 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 329; Will, Kein Griff nach Weltmacht (2012), S. 232–240, 246–294; Fischer, Österreich im Nahen Osten (2006), S. 254–255. Zu nennen sei dabei etwa der Vorschlag von GM Pomiankowski, ein unter falscher Flagge laufendes, mit Zement beladenes Schiff im Suezkanal zu versenken und diesen dadurch zu sperren. Vgl. Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 80–81. Der ehemalige k.u.k. Generalstabschef Franz Conrad von Hötzendorf behauptete später in seinen Memoiren, dass die Idee zu dem letztlich nicht ausgeführten Vorhaben auf ihn zurückgegangen wäre. Vgl. Conrad von Hötzendorf, Aus meiner Dienstzeit 1906–1918, Bd. 4 (1923), S. 374. Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 327–328; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 75–96. Zur Gallipoli-Operation vgl. unter anderem Victor Rudenno, Gallipoli. Attack from the Sea (Hew Haven, Conn. 2008); Robin Prior, Gallipoli. The End of the Myth (New Haven/London 2009); Churchill, The World in Crisis (2007), S. 432–534. Zum Einsatz insbesondere der osmanischen Armee in den Kämpfen vgl. Edward J. Erickson, Gallipoli. The Ottoman Campaign (Barnsley 2010). Zum Anteil des Deutschen Reiches an den Kämpfen vgl. Wolf, Gallipoli 1915 (2008). Zu den von beiden Seiten eingesetzten Truppenverbänden vgl. Ellis/Cox (Hg.), The World War I Databook (2001), S. 208. Wien–Jerusalem und zurück 309 Abwehrfront aufzubauen,71 machte sich insbesondere der Mangel an modernem Geschützmaterial, mit dem die Landungszonen der Ententetruppen effektiv bekämpft werden konnten, schon bald schmerzlich bemerkbar. Vor diesem Hintergrund erneuerte die Hohe Pforte ihre Bitte an Wien und Berlin, zur Verteidigung der Meerengen baldmöglichst moderne Geschütze zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeit dazu ergab sich für die Habsburgermonarchie und das Deutsche Reich freilich erst im Oktober 1915, als es nach dem Kriegseintritt Bulgariens auf Seiten der Mittelmächte gelang, Serbien und Montenegro militärisch niederzuwerfen, wodurch eine Landverbindung mit dem Osmanischen Reich hergestellt war.72 Dass es tatsächlich zur Entsendung stärkerer Truppenverbände der k.u.k. Armee in den Nahen Osten kam, war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es inzwischen zu einem Wechsel im Außenamt der Habsburgermonarchie gekommen war. Stephan Graf Burián hatte im Jänner 1915 Berchtold im Amt des Außenministers abgelöst. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die an einem Ausbau der Beziehungen zur Hohen Pforte wenig Interesse gezeigt hatten (ein Umstand, der vom österreichisch-ungarisch Botschafter in Konstantinopel Graf Pallavicini mehrfach kritisiert worden war), zeigte sich Burián davon überzeugt, dass eine engere Zusammenarbeit mit dem Osmanischen Reich für die Habsburgermonarchie zahlreiche Vorteile bieten würde.73 Der Vorstellung des österreichisch-ungarischen Außenministers zufolge sollte die Donaumonarchie ihre historische Rolle als Brücke zwischen Orient und Okzident wiederherstellen, um auf diese Weise den verloren gegangenen Einfluss in der Region zurückzugewinnen.74 Das Interesse Wiens lag dabei nicht zuletzt auf dem wirtschaftlichen Potential des Osmanischen Reiches, das sowohl als Rohstofflieferant als auch als Absatzmarkt für die österreichisch-ungarische Industrie in Frage kam. Zur Steigerung des Ansehens der Habsburgermonarchie in der Levante bot sich in Hinblick auf die kritische militärische Lage der Hohen Pforte vor allem die Entsendung von Truppen in die Region an, stellten diese doch erfahrungsgemäß das effektivste Mittel dar, die Stärke eines Staates im Ausland zu demonstrieren. Um den positiven Effekt des bevorstehenden Einsatzes 71 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 31–40; McMeekin, The Berlin-Baghdad Express (2010), S. 180–190. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 77–136. 72 Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 298–301; BMHW-KA (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg, Bd. 3 (1932), S. 187–342; Strachan, The First World War. A New Illustrated History (2006), S. 151– 156; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 334; Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 32–61. Dem Kriegseintritt Bulgariens waren längere Verhandlungen sowie eine Verständigung zwischen Sofia und Konstantinopel in Grenzziehungsfragen vorausgegangen. Vgl. Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 119–125, S. 129–178, S. 290–301. 73 Gardos, Österreich-Ungarn und die Türkei (1968), S. 15–16; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 18–21. 74 Ebd., S. 18–24. 310 RICHARD LEIN unmittelbar nutzen zu können, wurde parallel zu den bereits im Frühjahr 1915 begonnenen Vorbereitungen zur Entsendung von Militärpersonal in die Region eine Wirtschaftssektion in der Kanzlei des Militärbevollmächtigten in Konstantinopel eingerichtet. Diese unterstand direkt dem k.u.k. Kriegsministerium in Wien und sollte den Ankauf von Rohstoffen für die österreichisch-ungarische Industrie organisieren (wobei zur Vermeidung von Konkurrenz ein gemeinsames Vorgehen mit dem Deutschen Reich angestrebt wurde) sowie die osmanischen Behörden bei der Auffindung und Ausbeutung der auf ihrem Territorium verfügbaren Rohstoffreserven unterstützen.75 Hinsichtlich der Frage, welche und vor allem wie viele Truppen man nun an den Bosporus zu entsenden gedachte, bestand hingegen innerhalb der österreichisch-ungarischen Militäradministration einiger Diskussionsbedarf. Die grundsätzliche Überlegung war dabei, dass der Einsatz von k.u.k. Truppen im Nahen Osten nicht nur dazu dienen sollte, dem unter Druck stehenden Bündnispartner Unterstützung zu bringen, sondern, wie zuvor dargelegt, auch dazu beitragen sollte, das Ansehen Österreich-Ungarns in der Region zu stärken. Aufgrund der Tatsache, dass auch das Deutsche Reich plante, seine militärische Präsenz in der Region durch die Entsendung von Kampftruppen weiter auszubauen,76 riet GM Pomiankowski bereits im September 1915 davon ab, eine zu große Zahl von k.u.k. Offizieren und Soldaten an die Dardanellen zu entsenden, da es ungeachtet aller Anstrengungen kaum gelingen würde, in der nummerischen Truppenpräsenz mit dem deutschen Heer gleichzuziehen. Stattdessen schlug der Militärbevollmächtigte vor, der osmanischen Führung eine kleine Anzahl kampfkräftiger Eliteeinheiten, wie etwa Artillerieformationen, zur Verfügung zu stellen. Mit diesen könnte dem Bündnis75 76 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 128–132; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 122–123, 201–205. Auf die wirtschaftliche Rückständigkeit der Gebiete wurde auch in Truppenberichten mehrfach hingewiesen. Vgl. „Bericht über die Wahrnehmungen auf wirtschaftlichem, sozialem und politischen Gebiete in der Türkei 1916/1917 und die sich erschließenden Perspektiven für Österreich-Ungarn“, MKSM 69/18/6 ex 1917, 2. Juni 1917, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1321. Gleichzeitig wurde in Denkschriften wiederholt auf die mögliche Bedeutung des Osmanischen Reiches für die österreichisch-ungarische Wirtschaft hingewiesen. Vgl. „Memorandum über den Ausbau unserer wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei“, MKSM 69/18/7 ex 1917, April 1917, ebendort; „Einvernehmen mit Deutschland in Lieferungs- u. Konzessionsfragen“, KM-Präs 47/1/15 ex 1917, 23. Jänner 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. Die Notwendigkeit, in wirtschaftlichen Fragen rasche Entscheidungen zu treffen, sowie die zunehmende Überlastung des Büros des Militärbevollmächtigten führten im Juni 1917 zur Reorganisation der Wirtschaftsabteilung in Konstantinopel sowie zur Einrichtung einer eigenen „Orientabteilung“ im k.u.k. Kriegsministerium. Vgl. Will, Der Gegenspieler im Hintergrund (2014), S. 209–212; „Bericht über die Neuorganisation der wirtschaftl. Vertretung des k.u.k. KM in Konstantinopel“, KM-Präs 47/1/43 ex 1917, 6. Oktober 1917, ÖStA/KA/KMPräs, Kt. 2167; „Errichtung einer ‚türkischen Abteilung• im KM in Wien“, KM-Präs 47/1/37 ex 1917, 25. Mai 1917, ebendort. In die Einrichtung der Abteilung war offenbar auch GM Pomiankowski als Berater eingebunden. Vgl. „Pomiankowski GM., k.u.k. Militärbevollm. in Konstantinopel. – Berufung nach Wien zwecks Besprechung“, KM-Präs 47/1/1–3 ex 1917, 2. Juni 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2166. Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 58. Wien–Jerusalem und zurück 311 genossen geholfen und gleichzeitig ein positives Bild der militärischen Macht der Habsburgermonarchie in der Region vermittelt werden, ohne dabei die auf dem europäischen Kriegsschauplatz in schwere Kämpfe verwickelte k.u.k. Armee substantiell zu schwächen.77 Dieser Argumentation schlossen sich letztlich auch die k.u.k. Militärbehörden an, die nach weiteren Beratungen entschieden, dem Osmanischen Reich einige Batterien schwere Artillerie zum Einsatz an der Gallipolifront zukommen zu lassen. Zunächst plante man die Entsendung von einer oder zwei Batterien 30,5cm Mörser M11, eine Waffe, die durch die Zerstörung belgischer Festungswerke im Sommer 1914 über die Grenzen Zentraleuropas hinaus bekannt geworden war.78 Von diesem Plan musste man jedoch wieder Abstand nehmen, da sich der Mörser als zu schwer erwies, um ihn in dem unwegsamen Gelände der Halbinsel transportieren zu können. Stattdessen fiel schließlich die Entscheidung, zunächst die mit vier deutlich leichteren 24cm Mörsern M99 ausgerüstete Mörserbatterie Nr. 9 an den Bosporus zu entsenden. Die Batterie, die Ende November 1915 auf den Dardanellen eintraf und wenig später noch durch die mit vier 15cm Haubitzen M14 ausgerüstete Haubitzbatterie Nr. 36 verstärkt wurde, beteiligte sich in weiterer Folge erfolgreich an den Kämpfen gegen die gegnerischen Landungstruppen, wobei man sich seitens der deutschen und osmanischen Führung große Anerkennung erwarb.79 Mit dem Rückzug der Ententetruppen, welche die Landungszonen bis zum 9. Jänner 1916 räumten, endete der Einsatz der beiden Batterien an der Dardanellenfront jedoch bereits nach nur einem Monat wieder.80 77 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 44–45; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 187. 78 Ortner, Artillerie (2007), S. 360–378; Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 98; BMHW-KA (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Kampf, Bd. 1 (1930), S. 31; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 138. 79 Ortner, Artillerie (2007), S. 252–259, S. 306–331; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 37–39; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 57; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 145– 146; Erickson, Gallipoli (2010), S.  178–179; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 91; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 138–143. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 125. Das Gewicht eines 24cm Mörsers in Feuerstellung (d. h. ohne Transportwagen) betrug 8.700 kg, jenes eines 30,5cm Mörsers dagegen 21.000 kg. Vgl. Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 3, S. 229–230. 80 Prior, Gallipoli (2009), S. 221–235. Die Verluste beider Seiten werden in der Historiografie wie folgt angegeben: Osmanische Armee: 83.793 Tote, 97.132 Verwundete, 11.178 Vermisste. Armeen der EntenteMächte: 44.000 Tote, 97.000 Verwundete. Deutsche Truppenverbände: 530 Tote, etwa 1.000 Verwundete. Vgl. Erickson, Gallipoli (2010), S. 198–199; Wolf, Gallipoli 1915 (2008), S. 195. Der Abwehrerfolg steigerte nicht nur die Moral der osmanischen Soldaten, sondern wurde auch von Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich entsprechend propagandistisch verwertet. Vgl. dazu u. a.: Ernst Wiesener, Adler, Doppelaar und Halbmond. Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und Türkei. Der Verbündeten Siegeszug durch Balkan und Orient in kriegerischer, wirtschaftlicher und politischer Bedeutung (Nachdruck des Originals aus dem Jahr 1916, Wolfenbüttel 2013), S. 194–209. 312 RICHARD LEIN IV. Auf nach Ägypten! – Das Kriegsjahr 1916 Als sich zu Beginn des Jahres 1916 das Ende der Kämpfe auf der Halbinsel Gallipoli abzuzeichnen begann, nahm die osmanische Führung ihre früheren Planungen wieder auf, an den Frontabschnitten im Kaukasus und in Palästina erneut in die Offensive zu gehen. In diesen Plänen wurden auch die beiden österreichisch-ungarischen Artillerieeinheiten berücksichtigt, die nach dem Ende der Kämpfe um die Dardanellen zum Schutz vor neuerlichen amphibischen Angriffen des Gegners vorerst in ihrem ehemaligen Einsatzraum belassen worden waren.81 Gegen eine von osmanischer Seite ursprünglich angedachte Verwendung der beiden Batterien an der Kaukasusfront erhob GM Pomiankowski jedoch Einspruch, wobei er darauf hinwies, dass Österreich-Ungarn in diesem Gebiet keine wirtschaftlichen oder politischen Interessen verfolgen würde, weshalb ein Einsatz von k.u.k. Truppen der Habsburgermonarchie nicht zweckdienlich wäre. Dieser Argumentation schloss sich das österreichisch-ungarische Armeeoberkommando (AOK) an, wobei man die Entscheidung gegenüber der osmanischen Führung offenbar auf Anraten des Militärbevollmächtigten mit versorgungstechnischen Problemen sowie mit dem zu großen Gewicht der Geschütze begründete, das eine Verwendung der Batterien in dem unwegsamen Gelände unmöglich machen würde. Der von Pomiankowski gemachte Vorschlag, ersatzweise die Geschütze der 15cm Haubitzbatterie dem Osmanischen Reich zum Kauf anzubieten, wurde hingegen von der Militärkanzlei Kaiser Franz Josephs unter Verweis auf den propagandistischen Wert des Einsatzes der beiden k.u.k. Artillerieformationen im Nahen Osten abgelehnt.82 Um den Bündnispartner nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, bot man der osmanischen Führung jedoch an, ihren Streitkräften eine größere Zahl gebrauchter 7cm Gebirgskanonen M9983 zu überlassen. Die Ausbildung der osmanischen Offiziere und Mannschaften an den Geschützen sollte durch Instruktionsabteilungen der k.u.k. Armee erfolgen, die zu diesem Zweck an den Bosporus entsendet wurden.84 Gleichzeitig sagte man dem Verbündeten trotz des großen Bedarfs der eigenen Streitkräfte auch Wien–Jerusalem und zurück 313 die Lieferung einer größeren Menge an Geschützmaterial zu, die das Osmanische Reich im November 1915 bei den Škoda-Werken bestellt hatte.85 Wenig später trat Enver Pascha jedoch erneut mit der Bitte an Österreich-Ungarn heran, die beiden weiterhin im Raum Gallipoli stehenden Batterien zur Unterstützung eines in Planung befindlichen, neuerlichen Vorstoßes auf den Suezkanal nach Palästina zu entsenden. Aufgrund der Tatsache, dass die mangelnde Verkehrsinfrastruktur einen Einsatz der schweren Geschütze auf dem weit abgelegenen Kriegsschauplatz unmöglich machte, lehnte die k.u.k. Militäradministration die Bitte zwar ab, bot dem osmanischen Kriegsminister jedoch an, statt dessen eine mit Gebirgsgeschützen ausgerüstete und damit für den Wüstenkrieg besser geeignete Artillerieabteilung nach Palästina zu entsenden. Trotz der seitens der österreichisch-ungarischen Botschaft geäußerten Bedenken hinsichtlich des unwirtlichen Klimas sowie der zu erwartenden logistischen Probleme genehmigte Kaiser Franz Joseph im Jänner 1916 persönlich die Mission,86 womit das Unternehmen in Gang gesetzt werden konnte. Die Bereitschaft der k.u.k. Militäradministration, Truppen in einen so entlegenen Teil des osmanischen Hoheitsgebiets zu entsenden, lag vor allem darin begründet, dass die Habsburgermonarchie in Palästina im Gegensatz zum Kaukasus tatsächlich politische und religiöse Interessen verfolgte, weshalb man einem Einsatz von k.u.k. Soldaten an dieser Front von Anfang an positiv gegenüberstand. Um ein Gelingen der prestigeträchtigen Mission zu gewährleisten, wurde das Unternehmen möglichst gründlich vorbereitet, wobei sich zunächst die mangelnde Erfahrung der k.u.k. Armee bei Operationen in Wüstengebieten als hinderlich erwies. Auf den Einsatz vorbereitet wurden zwei mit je vier 10cm Gebirgshaubitzen M1087 ausgerüstete Batterien der k.u.k. Gebirgsartillerieregimenter (GAR) Nr. 4 85 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 23; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 43. Die Bestellung umfasste insgesamt 72 7,5cm Gebirgskanonen M15 sowie 48 10cm Gebirgshaubitzen M16, 1916 wurde die Bestellung noch um weitere 72 7,5cm Gebirgskanonen gleichen Typs erweitert. In Folge der Auslastung der Produktionskapazitäten in Pilsen wurde aber nur ein Teil der Geschütze tatsächlich geliefert. Der Gesamtwert der Bestellungen des osmanischen Heeres alleine bei Škoda betrug bis zum Jahr 1917 etwa 240 Millionen Kronen, die Bezahlung des Rüstungsmaterials sollte durch Vorschussdarlehen der österreichisch-ungarischen Staatsverwaltung erfolgen. Vgl. Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 120–122; „Türkische Geschützbestellung 2. Serie“, KM-Präs 47/1/8-3 ex 1917, 3. November 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167; „Wirtschaftspolitische Fragen in der Türkei“, KM-Präs 47/1/8 ex 1917, 28. Jänner 1917, ebendort; „Stellungnahmen des KMs zu den Wünschen der türk. Sondermission“, MKSM 69/5/12/2 ex 1916, 4. Dezember 1916, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1252; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 315–316. 81 Vgl. den Sammelbericht des Militärbevollmächtigten im Osmanischen Reich zur Situation der im Land eingesetzten k.u.k. Formationen, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 145 ex 1916, 19. Juni 1916, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. 82 Vgl. Sammelakt, enthaltend den Schriftverkehr zwischen der Militärkanzlei Seiner Majestät und dem k.u.k. Armeeoberkommando (AOK) in der Frage des weiteren Einsatzes der Haubitzbatterie Nr. 36, MKSM 69/5/3 ex 1916, 14.–27. Jänner 1916, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1252. 86 Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 250. 83 Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 1, S. 210; Ortner, Artillerie (2007), S. 206–213. 87 84 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 44–45; „Auszug aus den p.e. Einsichtsakten des KM Abt. 7 Nr 7469 res 1916 betreffend Formierung von Instruktionsdetachements für die Türkei“, MKSM 69/5/4/2 ex 1916, 8. März, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1252. Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 1, S. 216; Ortner, Artillerie (2007), S. 306–331. Die Zahl der Geschütze pro Batterie wurde bei der k.u.k. Haubitzdivision von Marno später auf fünf erhöht. Vgl. „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 166 ex 1917, 23. März 1917, S. 7, ÖStA/ KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. Die Berichte des Artilleriekommandos in der Türkei Wien–Jerusalem und zurück 315 und Nr. 6, die bereits im Winter 1915/16 für einen eventuellen Einsatz im Nahen Osten ausgewählt worden waren und nun zur „Gebirgshaubitzdivision von Marno“ – der Name ging auf den Kommandanten der Einheit, Major Adolf Marno von Eichenhorst, zurück – zusammengefasst wurden. Für ihren Einsatz wurden die zuvor einzeln ausgesuchten Soldaten der Einheit gründlich untersucht, geimpft und mit wüstentauglicher Ausrüstung ausgestattet.88 Der Personalstand der beiden Batterien überstieg bei ihrer Entsendung in den Einsatzraum das von der k.u.k. Armee prinzipiell vorgesehene Höchstmaß, rechnete man doch mit Ausfällen durch das ungünstige Klima sowie durch Tropenkrankheiten, die vor Ort aufgrund der langen Anmarschwege nur schwer zu ersetzen waren.89 Um im Einsatzgebiet möglichst unabhängig agieren zu können, wurden neben der Haubitzdivision auch vier k.u.k. Kraftwagenkolonnen in den Nahen Osten entsendet,90 die den Nachschub zwischen den Endpunkten der Bahnstrecken und dem jeweiligen Einsatzort der Batterien sicherstellen sollten. Darüber hinaus wurde auch mit dem Aufbau einer Garnison in Konstantinopel sowie eines Versorgungs- und Sanitätsnetzes in jenen Teilen des Landes begonnen, in denen k.u.k. Truppen, sei es Instruktionsabteilungen, Transportkolonnen oder Artillerieformationen, eingesetzt waren.91 Ziel dieser hinsichtlich der Lage der k.u.k. Truppen im Jahr 1917 liegen in vollständiger Form (inkl. Beilagen) auch im Österreichischen Staatsarchiv/Kriegsarchiv im Bestand Kriegsministerium-Präsidiale unter der Zahlengruppe 47/1/11 ex 1917 auf. Vgl. ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. 88 Jung, Formationen (1995), S. 5–6, 8–10, 21–32. Die den in den Nahen Osten entsendeten Formationen mitgegebene Ausrüstung und Versorgungsgüter wurden während des Einsatzes auf ichre Tauglichkeit hin geprüft und gegebenenfalls ausgetauscht. Vgl. dazu etwa die umfangreichen Darstellungen: „Bericht über die mit der k.u.k. Ers. Abt. der k.u.k. Geb.Haub.Dion. von Marno gegebenen Spezialausrüstung für die Türkei gemachten Erfahrungen und sonstiger Erfahrungen im Kolonialkriege der Türkei“, MKSM 69/18/6 ex 1917, 12. März 1917, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1321; „Verpackung der Verpflegsvorräte“, Artilleriekommando in der Türkei Exh. Nr. 2068 ex 1917, 19. Juli 1917, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66; „Bericht Oblt.i.d.Res. Karl Jg. Hoffer als gew. Komdt. d. Ers. Abt u. Bat. 2/6.“, KM-Präs 47/1/117 ex 1917, 10. Mai 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167; „Vorlage eines Berichts über Verwendung von Artillerieformationen im Oriente“, AOK Op. 71592, 16. Juli 1917, ÖStA/KA/AOK, Kt. 210. In Hinblick auf die erwünschte Propagandawirkung wurde seitens der k.u.k. Militärbehörden großer Wert auf die möglichst tadellose Adjustierung der Offiziere und Mannschaften sowie deren mustergültige Haltung gelegt. Vgl. „Adjustierung - Merkblatt“, KM-Präs 47/1/45 ex 1917, 2. November 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. In den letzten beiden Kriegsjahren dürfte es in Folge von Materialmangel und organisatorischen Schwierigkeiten jedoch immer größere Probleme bei der vorschriftsgemäßen Ausrüstung und Einweisung der in den Nahen Osten entsendeten k.u.k. Militärpersonen gegeben haben. Vgl. „Reisen von Offizieren in die Türkei“, KM-Präs 47/1/19 ex 1918, 29. Juni 1918, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2420. 89 „Auszug aus den Akten des KM über Beistellung von 2 Geb.Batterien für die Expedition gegen den SuezKanal“, MKSM 69/5/2 ex 1916, ohne Datum, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1252; Jung, Formationen (1995), S. 9. 90 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 61–64. Jede Kolonne bestand aus einem PKW, einem Rüstfahrzeug und zehn 3-Tonnen-Lastwagen. Zur Tätigkeit der Kraftfahrabteilungen vgl. u. a. Jung, Formationen (1995), S. 46–48; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 52–53; Ivo Ingram Beikircher, Tiroler Autopioniere im Ersten Weltkrieg. Galizien, Alttirol und der Vordere Orient in Fotografien und Briefen des k.u.k. Feuerwerkers Gustav Beikircher (Innsbruck/Wien 2012), S. 212–359. 91 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 48–68; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), Abbildung 12 Österreichisch-ungarische Kraftwagenkolonne bei einer Rast am Mittelmeer 316 RICHARD LEIN Maßnahmen war es, sich vor allem von den ebenfalls in der Region präsenten militärischen Versorgungseinrichtungen des Deutschen Heeres unabhängig zu machen, wollte man es doch tunlichst vermeiden, als „Anhängsel“ des großen Bündnispartners wahrgenommen zu werden. Nach ihrem Eintreffen in Konstantinopel im März 1916 wurde die Haubitzdivision umgehend an die Palästinafront weiterdirigiert, wo sie etwa einen Monat später in der Stärke von 22 Offizieren und 813 Mann eintraf.92 Am 17. Juli desselben Jahres begann schließlich der Vormarsch des unter dem Kommando des deutschen Oberst Friedrich Kreß von Kressenstein stehenden Expeditionskorps der osmanischen 5. Armee in Richtung Suezkanal, an dem auch die österreichisch-ungarische Haubitzabteilung teilnahm. Obwohl der Vorstoß zunächst plangemäß ablief, traf das Expeditionskorps an der Kanalküste jedoch wiederum auf überlegene gegnerische Kräfte und musste nach schweren Kämpfen ab dem 4. August den allgemeinen Rückzug antreten, wobei erst bei El-Arisch südlich von Gaza eine neue Verteidigungsstellung hergestellt werden konnte.93 Wiewohl der Einsatz der k.u.k. Haubitzdivision allgemeine Anerkennung fand und die Vorgesetzten das große Improvisationstalent der Soldaten beim Vormarsch sowie bei den Kämpfen unter widrigen Bedingungen lobten, war der Misserfolg des Unternehmens, der die Initiative an dem Frontabschnitt für den Rest des Krieges in die Hände der Briten übergehen ließ, dennoch nicht zu übersehen. Auch an den anderen Fronten stand die Lage für das Osmanische Reich im Sommer 1916 alles andere als günstig. So war es im Frühjahr russischen Truppen im Rahmen einer missglückten Offensive der 2. und 3. osmanischen Armee im Kaukasus gelungen, die Angreifer nicht nur zurückzudrängen, sondern auch weit auf osmanisches Territorium vorzudringen, wobei auch die wichtige Festungsstadt Erzurum, der einzige S. 70–77; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 249–262. Vgl. auch den Bericht des k.u.k. Kriegsministeriums an die Militärkanzlei seiner Majestät zum Vorschlag GM Pomiankowskis, in der Türkei ein eigenes Sanitätsnetz aufzubauen, bzw. den Befehl zur Aufstellung der Kraftwagenkolonnen: „Extraktbogen für die Militärkanzlei Seiner Majestät“, MKSM 69/5/3/4 ex 1916, 2. April 1916, ÖStA/KA/ MKSM, Kt. 1252; „Extraktbogen für die Militärkanzlei Seiner Majestät des Kaisers und Königs zu Erlaß Abt. 5/M No. 11640 res. ex 1916“, MKSM 69/5/10 ex 1916, 8. August 1916, ebendort. 92 Jung, Formationen (1995), S. 33. Die Personalstärke der vier Kraftwagenkolonnen betrug demgegenüber 47 Offiziere und 918 Mann. Zur militärischen Lage des Osmanischen Reiches zu diesem Zeitpunkt vgl. „Allgemeine Situation der ottom. Armee Mitte Mai 1916“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 64 ex 1916, 26. Mai 1916, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. 93 Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 61–191, Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 55–57; Weber, Eagles (1970), S. 187; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 71–75, 146; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 153–155; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S.106–108. Zur Vormarschroute bzw. zum Einsatzort der an der Operation beteiligten k.u.k. Batterien vgl. „Skizze No. 1 zum Gefechtsbericht der Geb.-Hbtz.-Div. von Marno für die Zeit vom 17.7.–22.8.1916“, Artilleriekommando in der Türkei Res. ohne Zahl ex 1916, 6. Oktober 1916, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. Zur Gefechtstätigkeit der k.u.k. Haubitzdivision vgl. „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 359 ex 1916, 8. November 1916, Beilage 1 und 2, ebendort; „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 301 ex 1916, 6. Oktober 1916, S. 5–8, ebendort. Wien–Jerusalem und zurück 317 Verkehrsknotenpunkt in der Region, verloren ging.94 Nur der Umstand, dass die nach dem Völkermord an der armenischen Bevölkerung95 weitgehend menschenleere Gegend eine Versorgung der gegnerischen Kräfte aus dem Land nicht zuließ und auch die russische Armee mit Nachschubproblemen kämpfte, hatte letztlich ein noch weiteres Vordringen des Gegners verhindert. Zugleich sah sich die osmanische Staatsführung auch mit zunehmender Unruhe in den entlegenen Provinzen des Reiches konfrontiert, begannen doch die arabischen Stämme im Hedschas, allen voran der Emir von Mekka, sich der Kontrolle Konstantinopels zu entziehen und offen Sympathien für die Entente zu bekunden. Dies war nicht zuletzt auf die subversive Tätigkeit Großbritanniens in der Region zurückzuführen, das mit politischen Versprechungen – namentlich der in Aussicht gestellten Errichtung eines souveränen arabischen Staates96 – sowie mit Geld- und Sachspenden zunehmenden Einfluss unter den Arabern erlangte. Diese Vorgänge waren der Hohen Pforte zwar durchaus bekannt, man besaß jedoch weder die militärischen Mittel noch die finanziellen Ressourcen, um gegen sie vorzugehen.97 Lediglich in Mesopotamien hatte die osmanische Armee im April 1916 einen bedeutenden Abwehrsieg erringen können, als die unter dem Kommando des deutschen Feldmarschalls Wilhelm von der Glotz stehende 45.  osmanische Division ein britisches Korps südöstlich von Bagdad bei Kut el Amara eingekesselt und zur Kapitulation gezwungen hatte. Der Tod Feldmarschalls von der Goltz, der kurz vor der britischen Waffenstreckung an Flecktyphus gestorben war, sowie die Untätigkeit der ihm in seiner Funktion nachfolgenden osmanischen Offiziere verhinderte jedoch die Ausnutzung des unerwarteten Erfolgs.98 Eine weitere Schwächung erfuhr das osmanische Heer zudem 94 Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 189–191; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 64–67; Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 228–236; Mühlmann, Das DeutschTürkische Waffenbündnis (1940), S. 63–68; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 226–229; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 120–137. 95 Vgl. dazu Taner Akçam, The Young Turks’ Crime Against Humanity: The Armenian Genocide and Ethnic Cleansing in the Ottoman Empire (Princeton 2012); Raymond H. Kévorkian, The Armenian Genocide. A complete history (London 2011); Sibylle Thelen, Die Armenierfrage in der Türkei (Berlin 2010); Weber, Eagles (1970), S. 144–158. Zur Haltung Österreich-Ungarns zu dieser Thematik vgl. Inanc Atilgan, Österreichs Dilemma 1915. Türken oder Armenier? (Klagenfurt/Wien/Ljubljana/Sarajevo 2008); Bridge, The Habsburg Monarchy and the Ottoman Empire (1984), S. 33–35, 47; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 154–165. 96 Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 266–267; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 337–341; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 215–220; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 166–181. Zu den außenpolitischen Aktivitäten und Zielsetzungen Großbritanniens im Nahen Osten vgl. Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 149–171. 97 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 70–74; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 275–276. 98 Stevenson, 1914–1918 (2005), S. 121–122; McMeekin, The Berlin-Baghdad Express (2010), S. 284–285; Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 247–252, Erickson, Ordered to Die (2001), S. 132–137, 149–153. Vgl. auch „Englische Kriegsgefangene in der Türkei“, KM-Präs 47/1/25 ex 1916, 27. Juni 1916, Wien–Jerusalem und zurück 319 im August 1916, als Enver Pascha, einer Bitte Wiens und Berlins folgend, drei osmanische Divisionen auf den rumänischen sowie im November zwei weitere auf den russischen Kriegsschauplatz entsandte. Letztlich verlief der Einsatz in Rumänien für die Mittelmächte jedoch überaus erfolgreich,99 sodass die drei osmanischen Divisionen in Rumänien, in deren Verband auch die Mörserbatterie Nr. 9 sowie die Haubitzbatterie Nr.  36 zum Einsatz gekommen waren, bereits im Frühjahr 1917 an ihren früheren Einsatzort zurückgeführt werden konnten.100 Die beiden nach Galizien entsendeten Großverbände blieben hingegen bis August 1917 an der russischen Front im Einsatz, wo sie sich unter anderem bei der Abwehr der Kerenskij-Offensive auszeichneten.101 V. In der Defensive – Das Kriegsjahr 1917 Zu Beginn des Kriegsjahres 1917 war deutlich, dass das Osmanische Reich an allen Fronten hoffnungslos in die Defensive geraten war. Dies war nicht zuletzt eine Folge der großen Verluste an Menschen und Material, die man in den zurückliegenden beiden Kriegsjahren erlitten hatte und die das wirtschaftlich schwache Land kaum noch ersetzten konnte. Die zunehmend schlechter werdende Versorgungslage hatte zudem eine immer größer werdende Zahl von Desertionen bei den an der Front stehenden Einheiten zur Folge, was ihre Kampfkraft weiter herabsetzte.102 Hinzu kam, dass sich der Abfall des Emirs von Mekka vom osmanischen Sultan zwischenzeitlich zu einem flächendeckenden Aufstand der arabischen Stämme im Hedschas ausgeweitet hatte, der vom britischen Offizier Thomas Lawrence („Lawrence von Arabien“) geleitet wurde.103 Lediglich an der Kaukasusfront flauten die Kämpfe ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1941. 99 Abbildung 13 Erzherzog Hubert Salvator (3.v.l.) bei der Inspektion der 24cm Mörserbatterie Nr.9 im Zuge der Orientmission, 10. November 1917 Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 414–416; Silberstein, The Troubled Alliance (1970), S. 324–333; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 233–235. 100 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 74–75; „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 396 ex 1916, 2. Dezember 1916, S. 1–2, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66; „ArtillerieSituation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 26 ex 1917, 19. Jänner 1917, ebendort. 101 Erickson, Ordered to Die (2001), S. 137–142; Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 473–493. 102 Zu den Ursachen der Desertionswelle und deren Anwachsen bis Kriegsende vgl. u. a. Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 250–251; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 184; Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 195–197. Anfang März 1917 bestanden die Fronttruppen des osmanischen Heeres nur noch aus etwa 400.000 Mann. Vgl. ebd., S. 193–194. 103 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 84–85; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 337–340; McMeekin, The Berlin-Baghdad Express (2010), S. 288–300; „Der Aufstand im Hedschas und die arabische 320 RICHARD LEIN ab März 1917 weitgehend ab, da die russische Februarrevolution die zaristische Armee weitgehend handlungsunfähig gemacht hatte.104 Diesen Umstand konnten die osmanischen Streitkräfte jedoch nicht ausnutzen, da sie im Winter 1916/17 aufgrund der mangelhaften Versorgung sowie ungünstiger Wetterbedingungen im Kaukasus erneut erhebliche Verluste erlitten hatten und nun selbst kaum mehr handlungsfähig waren.105 Zugleich wurde aufgrund des Aufmarsches großer gegnerischer Truppenverbände im Bereich östlich des Suezkanals deutlich, dass die Briten in diesem Abschnitt in die Offensive zu gehen gedachten. Bereits im Winter hatten britische Truppen die osmanischen Einheiten aus ihren Stellungen auf der Halbinsel Sinai vertrieben und nach Palästina zurückgedrängt,106 wo diese auf einer Linie, die annähernd in West-Ost-Richtung zwischen Gaza und Be’er Sheva verlief, erneut zur Verteidigung übergegangen waren. Den in dem Abschnitt aufmarschierenden britischen Truppen, mehrere Infanteriedivisionen und starke Kavalleriekräfte, standen auf der anderen Seite der Front lediglich 11.000 Mann und 150 Geschütze gegenüber, die unter dem Kommando von Oberst Kreß von Kressenstein standen. Zu den zur Sicherung der ca. 50 Kilometer langen Verteidigungslinie positionierten Einheiten gehörte auch die Gebirgshaubitzdivision von Marno, die den Winter in einer Dauerstellung südlich von Gaza verbracht hatte und die nach der Rückberufung ihres Kommandanten auf den europäischen Kriegsschauplatz in „Gebirgshaubitzdivision in der Türkei“ umbenannt worden war. Die übrigen k.u.k. Artillerieformationen, namentlich die Mörserbatterie Nr. 9 und die Haubitzbatterie Nr. 36, standen weiterhin an der Küste im Einsatz, wo Frage“, KM-Präs 47/1/31 ex 1916, 15. Juli 1916, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 1941; „Allgemeine Situation in Syrien“, KM-Präs 47/1/7 ex 1917, 6. Jänner 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. Zu Lawrence vgl. Jeremy Wilson, Lawrence von Arabien. Die Biographie (Berlin 2004); Harold Orlans, T. E. Lawrence: Biography of a Broken Hero (London 2002). Zu den militärischen Aktionen der arabischen Verbände unter dem Kommando von Lawrence während des Krieges vgl. David Murphy, Lawrence of Arabia. Leadership – Strategy – Conflict (Oxford 2011). 104 Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 289–294. Zur russischen Revolution vgl. u.  a. Helmut Altrichter, Russland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst (Paderborn/München/Wien/Zürich 1997); Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates (München 1998). 105 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 133–134; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 132– 133. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 158–168. 106 GM Pomiankowski zeigte sich in seinen Berichten an das Kriegsministerium in Wien dennoch zuversichtlich, dass es gelingen würde, die zu erwartenden gegnerischen Angriffe zu stoppen. Vgl. „Militärische Lage in der Türkei mit Beziehung auf die zu erwartenden Operationen der Entente“, KM-Präs 47/1/22 ex 1917, 17. Februar 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167; „Ungünstige Wendung der Ereignisse in Mesopotamien und Syrien. Aussichten für die Zukunft“, KM-Präs 47/1/23 ex 1917, 3. März 1917, ebendort. Zum britischen Palästinafeldzug vgl. Anthony Bruce, The Last Crusade. The Palestine Campaign in the First World War (London 2002); David R. Woodward, Hell in the Holy Land. World War I in the Middle East (Lexington 2006). Wien–Jerusalem und zurück 321 sie sich gelegentlich Feuergefechte mit britischen Marineeinheiten lieferten.107 Der Besuch von Erzherzog Hubert Salvator, der das Osmanische Reich im Herbst 1917 im Zuge der österreichisch-ungarischen Orientmission bereiste und die Batterie am 10. November inspizierte,108 stellte eine der wenigen Abwechslung im sonst eher eintönigen Alltag der hier Dienst tuenden k.u.k. Offiziere und Soldaten dar. Die vom britischen General Archibald Murray befehligte, als „Erste Gazaschlacht“ in die Geschichte eingegangene Offensive der Ententetruppen begann schließlich am 23. März 1917 mit einem frontalen Angriff zweier britischer Divisionen auf die Stellungen der osmanischen Truppen südlich von Gaza, wo auch die österreichisch-ungarische Haubitzdivision eingesetzt war. Obwohl den britischen Truppen an mehreren Stellen der Durchbruch gelang, wobei auch die Stellungen der k.u.k. Batterien an mehreren Punkten überrannt wurden, gelang es den Verteidigern durch den Einsatz eilig herangeführter Reserven bis zum Abend des 27. März, den Gegner wieder hinter die ursprüngliche Frontlinie zurückzudrängen. Die britischen Verluste bei dem Angriff betrugen 3.500 Mann an Toten und Verwundeten, jene der Verteidiger 2.400 Mann, wobei sich unter den Toten auch der Kommandant der k.u.k. Haubitzdivision sowie mehrere weitere österreichisch-ungarische Offiziere und Soldaten befanden.109 107 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 90–93. Vgl. exemplarisch auch „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 102 ex 1916, 17. Juni 1916, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. Zur Dislokation, Organisation und zum Einsatz der k.u.k. Truppen, Instruktionsabteilungen und militärischen Dienststellen im Osmanischen Reich im Jahr 1917 vgl. den ausführlichen Bericht „Regelung des Dienstes beim k.u.k. Militärbevollmächtigten in Konstantinopel (Erlass des A.O.K.)“, KM-Präs 47/1/35 ex 1917, 4. Juli 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. Besonders aufschlussreich sind die dem Akt beigeschlossenen Karten und Tabellen. 108 „Telegramm von FML Pomiankowski an die Militärkanzlei seiner Majestät betreffend die Besichtigung der Haubitzbatterie Nr. 36 durch Erzherzog Hubert Salvator“, MKSM 69/18/8/13 ex 1917, 8. November 1917, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1321. Zur Orientmission vgl. u. a. den Sammelakt „Orientmission“, MKSM 69/18/8 ex 1917, ohne Datum, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1321; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 125–127; Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 121–132; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 303–309. Die Orientmission diente keineswegs ausschließlich repräsentativen Zwecken, vielmehr wurde seitens der Delegation, zu der neben Erzherzog Hubert Salvator auch Prälat Alois Musil gehörte, versucht, umfangreiche Informationen über die wirtschaftlichen, politischen und geographischen Verhältnisse in den Territorien des Osmanischen Reiches zu erlangen, um so vor allem mögliche Anknüpfungspunkte für eine Ausweitung der österreichisch-ungarischen Wirtschaftstätigkeit im Nahen Osten zu schaffen. Vgl. den umfangreichen Bericht „Bericht über die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Türkei unter besonderer Berücksichtigung der Kriegswirtschaft, beziehungsweise der der Heeresverwaltung zufallenden, die Tätigkeit der Zivilstellen unterstützenden Agenden“, MKSM 69/18/2 ex 1918, Dezember 1917, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1384. 109 Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 220–231; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 93–97; Telegramm von ObstLt Hervay an GM Pomiankowski, KM-Präs 47/1/11–15 ex 1917, 28. März 1917, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2167. Zum Verlauf der Ersten Gazaschlacht vgl. auch „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 299 ex 1917, 30. April 1917, S. 1–8, ÖStA/KA/Generalstab/ Archive der Militärattachés, Kt. 66. Die Gesamtverluste der k.u.k. Haubitzdivision werden in dem Bericht wie folgt beziffert: 1 Offizier und 4 Mann tot, 2 Offiziere und 7 Mann verwundet, 4 Offiziere und 32 Mann vermisst. Der Munitionsverbrauch wird mit 1.811 Schuss angegeben. 322 RICHARD LEIN Für die Briten stellte die Niederlage eine höchst unwillkommene Überraschung dar, war man doch davon ausgegangen, nur schwachen und desorganisierten osmanischen Kräften gegenüberzustehen. Um die Ziele der Operation, namentlich die Fortsetzung des Vorstoßes in Richtung Jerusalem sowie die Herstellung einer Verbindung mit den aufständischen Arabern im Hedschas, doch noch erreichen zu können, wiederholten die Briten am 17.  April ihren Angriff, wobei sie diesmal zur Unterstützung sogar Gasgranaten und acht vom europäischen Kriegsschauplatz herangebrachte Panzer des Typs Mark I. einsetzten. Auch wenn die Verteidiger im Raum Gaza, gegen den wiederum der Hauptstoß der britischen Truppen gerichtet war, erneut in schwere Bedrängnis gerieten, gelang es ihnen auch in diesem Fall, die Angreifer bis zum 20. April zum allgemeinen Rückzug zu zwingen. Der Erfolg war dabei nicht zuletzt den in der Verteidigung eingesetzten österreichisch-ungarischen und deutschen Artilleriebatterien zuzuschreiben, die unter anderem den Panzerangriff wirksam abgewehrt hatten. Die Verluste der Briten in der Zweiten Gazaschlacht betrugen fast 6.500 Mann, während die Mittelmächte mit etwa 2.000 Toten, Verwundeten und Vermissten vergleichsweise glimpflich davongekommen waren.110 Die Verluste der k.u.k. Truppen beschränkten sich diesmal auf vier Verwundeten sowie drei Geschütze, die während der Schlacht durch technische Defekte ausgefallen waren. Letztlich erwiesen sich die beiden Abwehrerfolge, wiewohl sie die Moral der osmanischen Truppen deutlich steigerten, jedoch als Pyrrhussiege, da die Briten ihre Verluste relativ leicht ersetzen konnten, während die Verteidiger langsam personell wie materiell ausgeblutet wurden. Auch die k.u.k. Haubitzdivision, die im Juni 1917 durch die mit zwei 10,4cm Kanonen M15 ausgerüstete Kanonenbatterie Nr. 20 verstärkt wurde,111 musste feststellen, dass der Nachschub an Munition und Ersatzteilen nur noch schleppend funktionierte, sodass die in den beiden Gazaschlachten erlittenen Verluste an Menschen und Material112 nur noch teilweise kompensiert werden konnten. 110 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 97–101; Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 232–245; Daniel Mark Segesser, Der Erste Weltkrieg in globaler Perspektive (Wiesbaden 32013), S. 100. Zum Verlauf der Zweiten Gazaschlacht vgl. auch „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 389 ex 1917, 8. Juni 1917, S. 1–7, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. Der Munitionsverbrauch wird mit 2.911 Schuss angegeben. Wien–Jerusalem und zurück 323 Hinzu kam, dass gerade in dieser kritischen Situation die Mittelmächte ihre Kräfte im Nahen Osten durch die Umsetzung eines von vornherein als wenig aussichtsreich zu bezeichnenden Operationsplans weiter zersplitterten. Nachdem Bagdad im März 1917 durch britische Truppen erobert worden war,113 entstand in der osmanischen militärischen Führung, allen voran bei Kriegsminister Enver Pascha, die Idee, die Stadt durch eine großangelegte Gegenoffensive zurückerobern. Maßgebliche Unterstützung erhielt Enver dabei vom Deutschen Reich, das seit längerer Zeit plante, Mesopotamien als Sprungbrett für einen Vorstoß nach Indien zu nutzen.114 Obwohl klar war, dass die dafür benötigten Kräfte aufgrund der schweren Kämpfe auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Augenblick nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, wollte man sich dennoch die Option offen halten, das Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt doch noch durchzuführen. Dies wiederum bedeutete, dass Bagdad unbedingt zurückerobert werden musste, weshalb man gemeinsam mit der osmanischen Armeeführung begann, einen entsprechenden Operationsplan auszuarbeiten. Als Kommandant des Unternehmens, das den Decknamen „Jildirim“ erhielt, wurde der deutsche General Erich von Falkenhayn bestimmt, der im August 1916 nach Unstimmigkeiten hinsichtlich der Kriegsführung an der deutsch-französischen Westfront von seinem Posten als Chef des deutschen Generalstabs abberufen worden war, sich jedoch als Kommandant der deutschen 9. Armee im Feldzug gegen Rumänien im selben Jahr ausgezeichnet hatte.115 Der Angriff auf Bagdad sollte dabei von den fünf aus Europa zurückzuführenden osmanischen Divisionen sowie dem deutschen „Asienkorps“ vorgetragen werden, wobei sich letzteres im Frühjahr 1917 noch in Aufstellung befand.116 Die Operationsplanung, die unter Leitung Falkenhayns im Mai 1917 begann, machte es zudem erforderlich, dass alle noch zur Verfügung stehenden Material- und Truppenreserven von den anderen Fronten des Osmanischen Reiches abgezogen wurden, was nicht zuletzt auch die Verteidigung im Raum Gaza nachhaltig schwächte. Auch die k.u.k. Militäradministration konnte sich nur mit Mühe der seitens des 113 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 342; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 141–142. 114 McMeekin, The Berlin-Baghdad Express (2010), S. 209–229; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 201–212. Zu den Revolutionierungs- und Expansionsplänen des Deutschen Reiches im Fernen Osten vgl. Kreutzer, Dschihad für den Deutschen Kaiser (2012), 119–166; Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 109–227. 111 Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 2, S. 193; Ortner, Artillerie (2007), S. 306–331. Die Batterie ging aus der Teilung der 24cm Haubitzbatterie Nr. 9 hervor, die auf Befehl des AOK zwei ihrer Geschütze an den europäischen Kriegsschauplatz abzugeben hatte. Als Ersatz wurde die an der Palästinafront leichter einsetzbare 10cm Kanonenbatterie Nr. 20 in den Nahen Osten entsendet, wobei man bei einem erfolgreichen Einsatz der Geschütze auf Bestellungen seitens der osmanischen Armee hoffte. Vgl. Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 102–103; „Umbewaffnung der halben 24cm Mörserbatt. in der Türkei“, MKSM 69/18/1 ex 1917, 27. Februar 1917, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1321; „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 166 ex 1917, 23. März 1917, S. 3–7, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. 115 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 104–105; Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 261–273; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 342–343; BMHW-KA (Hg.), ÖsterreichUngarns letzter Krieg, Bd. 5 (1934), S. 223–358, 449–628. Zu Falkenhayn vgl. v. a. Holger Afflerbach, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich (München 21996). 112 Zu den Verlusten beider Seiten in den Gazaschlachten vgl. Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 235– 241; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 97–101 sowie die beiden oben zitierten Berichte des Artilleriekommandos in der Türkei (Res. 17 und 18 ex 1917). 116 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 106–107; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 166–172; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 276–282. Zur Zusammensetzung des Asienkorps vgl. Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 229–231. 324 RICHARD LEIN deutschen Verbündeten vorgebrachten Wünsche erwehren, weitere Artillerieabteilungen in den Nahen Osten zu entsenden oder Teile der bei Gaza eingesetzten Haubitzdivision für das Unternehmen Jildirim zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus entstanden zwischen den deutschen und osmanischen Offizieren schon bald heftige Auseinandersetzungen, da insbesondere letztere sich nicht unter das Kommando Falkenhayns stellen lassen wollten, der aufgrund seiner schroffen Art nicht sonderlich beliebt war.117 Auf britischer Seite konzentrierte man sich dagegen bereits seit dem Frühjahr auf die Vorbereitung eines neuerlichen Angriffs an der Palästina-Front. Um ein neuerliches Scheitern der Operation zu verhindern, zog General Edmund Allenby, der General Murray nach der Zweiten Gazaschlacht als Kommandant des britischen Expeditionskorps abgelöst hatte, bis August 1917 fast 96.000 Mann südlich der osmanischen Verteidigungslinie zusammen, was die Zahl der Truppen der Verteidiger bei weitem überstieg. Dieser Aufmarsch wurde von den Truppen der Mittelmächte in dem Abschnitt zwar durchaus registriert, aufgrund der Tatsache, dass General Falkenhayn ausschließlich den Vorbereitungen für das Unternehmen Jildirim, das im Oktober 1917 beginnen sollte, Priorität einräumte, kam es jedoch nicht zur Heranführung von Verstärkungen in den bedrohten Abschnitt. Erst nach einem Frontbesuch im August entschied Falkenhayn schließlich doch, den geplanten Angriff auf Bagdad zurückzustellen und stattdessen zusätzliche Kräfte zur Abwehr des drohenden gegnerischen Angriffs an der Gaza-Front bereitzustellen.118 Die Umsetzung dieser Entscheidung erwies sich jedoch als schwierig, da die Verlegung der bereits teilweise in Mesopotamien zusammengezogenen Truppen nach Palästina aufgrund der unzureichenden Verkehrswege viel Zeit in Anspruch nahm und das deutsche Asienkorps, von dem man sich eine merkliche Verstärkung der Verteidigung im Raum Gaza erhoffte, überhaupt noch nicht im Nahen Osten eingetroffen war. Zudem waren die aus Europa bzw. aus dem Kaukasus abgezogenen osmanischen Divisionen durch die im Kampf erlittenen Verluste sowie Desertionen stark geschwächt, sodass sie zum Teil nicht einmal die Hälfte ihrer friedensmäßigen Mannschaftsstärke aufwiesen. Erschwerend kam hinzu, dass der Oberbefehl über die in Palästina stehenden Kräfte nicht in den Händen von Oberst Kreß belassen wurde, sondern der nunmehr in 8. Armee umbenannte Großverband gemeinsam mit der für den Vorstoß auf Bagdad vorgesehenen osmanischen 7. Armee und dem 117 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 107–108; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 225–234; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 141–150. 118 Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 261–273; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 106–109; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 342; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 228–229, 240; Weber, Eagles (1970), S. 239–240; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 110–111. Wien–Jerusalem und zurück 325 Asienkorps zur Heeresgruppe Jildirim zusammengefasst wurden, die unter Falkenhayns Kommando stand.119 Der lang erwartete britische Angriff begann schließlich am 30. Oktober, wobei sich der erste Vorstoß diesmal nicht gegen die Stellungen bei Gaza, sondern den nur relativ schwach besetzten linken Flügel der osmanischen Verteidigungslinie richtete, in dessen Bereich der Widerstand rasch zusammenbrach.120 Zugleich begannen britische Einheiten ab dem 1. November auch mit einem Großangriff auf die Stellungen im Raum Gaza, wo ihnen einen Tag später der Einbruch in die Stellungen der Verteidiger gelang. Da die Lage auch auf dem linken Flügel weiterhin kritisch war, ordnete Falkenhayn schließlich am 4. November den allgemeinen Rückzug an, dem sich auch die k.u.k. Gebirgshaubitzdivision sowie die Kanonenbatterie Nr.  20 anschlossen. Im Zuge der Kämpfe sowie des chaotischen Rückzugs erlitten beide Einheiten schwere personelle und materielle Verluste, sodass sie Mitte November 1917 als nur noch beschränkt einsatzfähig galten.121 Trotzdem wurden die noch kampffähigen Teile der Haubitzdivision in einer Batterie zusammengefasst und nahmen an dem durch die noch kampffähigen Teile der osmanischen 7. und 8. Armee vorgetragenen, von Falkenhayn geleiteten Gegenangriff teil, der am 27. November begann. Der zur Entlastung der zwischenzeitlich südlich von Jerusalem bezogenen Abwehrstellung gedachte Vorstoß scheiterte jedoch unter hohen Verlusten, sodass die Verteidiger auf breiter Front den Rückzug antreten mussten, wodurch die Heilige Stadt am 11. Dezember in die Hand des Gegners fiel.122 Die k.u.k. Gebirgshaubitzabteilung wurde nun endgültig aus der Front gezogen und in Richtung Damaskus in Marsch gesetzt, wo sie, in Folge der Umorganisation der österreichisch-ungarischen Armee zwischenzeitlich in „k.u.k. Feldhaubitzabteilung 119 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 107; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 153–154, 170– 171; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 282–291. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 219–233. 120 Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 240–245; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 342–343; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 111–112. 121 Zu den Operationen im Zeitraum Oktober/November 1917 vgl. auch „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 909 ex 1917, 26. November 1917, S. 1–12, ÖStA/KA/ Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. Laut dem Bericht verfügte die k.u.k. Haubitzdivision nach dem Rückzug nur noch über fünf einsatzfähige Geschütze und 1.500 Schuss Munition. Die Verluste an Offizieren und Mannschaften werden als noch nicht bekannt angegeben. Vgl. zu den Kämpfen auch den Bericht „Gefechtsbericht über die letzten Kämpfe in Palästina“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 1001 ex 1917, 17. Dezember 1917, ebendort. 122 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 343; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 292–294; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 116–117. Eine militärische Verteidigung der Stadt hatten die osmanischen Befehlshaber letztlich nicht in Erwägung gezogen. Dieser Entscheidung waren nachdrückliche Interventionen Wiens und Berlins bei der Hohen Pforte vorausgegangen, eine Zerstörung der Heiligen Stätten möglichst zu verhindern. Vgl. „Schonung der heiligen Stätten Palästinas“, AOK Op. Geh. 540, 19. Dezember 1917, ÖStA/KA/AOK, Kt. 462; Helmut Wohnout, Das österreichische Hospiz in Jerusalem. Geschichte des Pilgerhauses an der Via Dolorosa (Wien/Köln/Weimar 2000), S. 120. 326 RICHARD LEIN in der Türkei“ umbenannt, gemeinsam mit der Feldkanonenbatterie Nr.  20 die Ankunft neuer Geschütze aus der Heimat abwarten sollte.123 VI. Rückzug durch die Wüste – Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches 1918 Zwischenzeitlich hatten sich die österreichisch-ungarischen Behörden angesichts der immer kritischer werdenden Lage im Osmanischen Reich doch noch entschlossen, einen größeren geschlossenen Kampfverband in den Nahen Osten zu entsenden, der in Anlehnung an das bereits in der Region operierende Truppenkontingent des Deutschen Reiches als „k.u.k. Orientkorps“ bezeichnet wurde. Der Verband selbst bestand aus vier Infanteriebataillonen, von denen drei aus den bosnisch-herzegowinischen Infanterieregimentern der k.u.k. Armee ausgereiht worden waren. Dies stellte insofern ein Novum dar, als man bis zu diesem Zeitpunkt penibel darauf geachtet hatte, keine Offiziere und Soldaten muslimischen Glaubens in das Osmanische Reich zu entsenden, um so bei dem Verbündeten keine negativen Erinnerungen an die Annexion Bosniens im Jahr 1908 aufkommen zu lassen. Darüber hinaus bestand das Orientkorps aus einer aus zwei Batterien zusammengesetzten Gebirgskanonenabteilung, einer Sappeurkompanie, einer Telegrafenkompanie sowie drei weiteren Kraftfahrkolonnen, die den Nachschub des Verbands im Operationsgebiet sicherstellen sollten.124 Ab Dezember 1917 wurde damit begonnen, die für den Einsatz bestimmten Truppen im Raum Belgrad zusammenzuziehen, 123 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 110–117; Kress von Kressenstein, Mit den Türken zum Suezkanal (1938), S. 272–293; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 148; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 313–315. Zur Lage der im Osmanischen Reich eingesetzten k.u.k. Artillerie- und Instruktions-Formationen zu Jahresende 1917 vgl. „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 10 ex 1918, 4. Jänner 1918, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. 124 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 135–137; Jung, Formationen (1995), S. 8–10; Ders., Wüstenkrieg (1992), S. 132–133; Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 148–149. Bei den vier Bataillonen handelte es sich um das VI. Bataillon des bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments Nr. 1 [VI/bh.IR 1], das VI/bh.IR 2, das VIII/bh.IR 3 sowie das IV/IR 103. Vgl. „Das österreichischungarische Orientkorps 1917/1918“, S. 2–11, ÖStA/KA/Nachlässe, B/77 (Nachlass Otto Wiesinger), Faszikel 12. Bei der Aufstellung des Orientkorps bemühte sich die k.u.k. Heeresverwaltung intensiv, die bis zu diesem Zeitpunkt auf dem Kriegsschauplatz im Nahen Osten gemachten Erfahrungen nach Möglichkeit zu berücksichtigen. Vgl. etwa den detaillierten, auf Weisung des k.u.k. Armeeoberkommandos erstellten Bericht „Ratschläge für das k.u.k. Orientkorps auf Grund der im Laufe meiner [Hptm. Alexander Kodar von Thurnwerth, Anm. d. Verf.] Kriegsverwendung als Batteriekommandant und Artillerieberater d. kais. Osman. 8. Armee in der Türkei, speziell in Syrien und Palästina gemachten Erfahrungen“, MKSM 69/18/7 ex 1918, Februar 1918, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1384. Wien–Jerusalem und zurück 327 wo sie, wie die bereits vor ihnen in Palästina im Einsatz stehenden Artillerieabteilungen, gemustert, untersucht und für den Einsatz ausgerüstet wurden. Ungeachtet der Tatsache, dass der Verband bereits im Frühjahr 1918 marschbereit war, verzögerte das österreichisch-ungarische AOK jedoch mehrfach dessen Verlegung in den Nahen Osten und entschied letztlich im Juni selben Jahres, nur die Gebirgskanonenabteilung nach Palästina zu entsenden, während die restlichen Truppen an anderen Fronten zum Einsatz kommen sollten. Grund für die Entscheidung war einerseits der Truppenbedarf der k.u.k. Armee für die geplante Offensive gegen Italien, andererseits jedoch auch die Einschätzung des AOK, dass der Transport der Truppen an die Palästinafront mehrere Monate in Anspruch nehmen würde und diese bei ihrem Eintreffen die immer hoffnungsloser werdende militärische Lage des osmanischen Verbündeten nicht mehr wenden würden können.125 Tatsächlich hatte sich die militärische Situation der Hohen Pforte bis zum Frühjahr 1918 kaum gebessert, befanden sich doch die britischen und arabischen Truppen an fast allen Fronten auf dem Vormarsch, dem die bereits Auflösungserscheinungen zeigende osmanische Armee nur noch wenig entgegenzusetzen hatte. Auch an der Palästinafront stand die Lage nicht zum Besten, hatte doch eine kurzzeitig angesetzte, erfolglose Gegenoffensive Falkenhayns nördlich von Jerusalem Ende Dezember 1917 die ohnehin bereits stark geschwächten Verteidiger endgültig über Gebühr beansprucht. Nach weiteren Vorstößen der Briten, die am 22. Februar 1918 Jericho eroberten, wurde Falkenhayn schließlich seines Postens enthoben und durch General von Sanders ersetzt, der die Verteidigung in dem Abschnitt neu organisierte.126 Kopfzerbrechen bereitete den Mittelmächten darüber hinaus der Kaukasus, der mit dem Friedensvertrag von Brest-Litovsk, den Russland im März 1918 unterzeichnen musste, zum Spielball der divergierenden Interessen der drei verbündeten Staaten geworden war.127 Wiewohl der 125 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 133; „Kriegsgliederung des k.u.k. Orientkorps, Übersendung an die deutsche OHL“, AOK Op. Geh. 610, 15. Dezember 1917, ÖStA/KA/AOK, Kt. 462. In dem Akt findet sich die Bemerkung des AOK, dass der Transport des Orientkorps in das Osmanische Reich aufgrund von Materialbeschaffungsproblemen erst im Frühjahr 1918 erfolgen könne. Die Truppen des k.u.k. Orientkorps wurden in weiterer Folge für Streifaktionen in Serbien verwendet und kamen später unter der Bezeichnung „Kombiniertes Infanterieregiment (Orientkorps)“ als geschlossener Verband an der Italien- sowie der Albanienfront zum Einsatz. Zur Aufstellung, Zusammensetzung sowie zum Einsatz des Orientkorps vgl. die oben zitierte Studie von General a.D. Otto Wiesinger „Das österreichisch-ungarische Orientkorps 1917/1918“, ÖStA/KA/Nachlässe, B/77 (Nachlass Otto Wiesinger), Faszikel 12; Kriegsgliederungen des Orientkorps für das Jahr 1918, ÖStA/KA/AOK/Kriegsgliederungen/Orientkorps, Kt. 62; Sammelakt „Orientkorps“, AOK Op. Geh. 680, 1917–1918, ÖStA/KA/AOK, Kt. 463. 126 Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 346; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 211; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 112; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 295–296. 127 McMeekin, The Berlin-Baghdad Express (2010), S. 318–339; Herfried Münkler, Der große Krieg. Die Welt 1914–1918 (Berlin 42014), S. 661–674. Vgl. dazu ausführlich Wolfdieter Bihl, Die Kaukasus- 328 RICHARD LEIN Friedensvertrag in jenen Gebieten des Kaukasus, die das Osmanische Reich 1878 an Russland hatte abtreten müssen, einen Volksentscheid der Bevölkerung über ihre künftige staatliche Zugehörigkeit vorsah, beanspruchte die Regierung in Konstantinopel das Gebiet für sich und mobilisierte Truppen zu dessen Besetzung. Abgesehen davon, dass die in diesem Abschnitt zum Einsatz kommenden Kräfte an anderen Fronten dringender benötigt worden wären, geriet man damit jedoch in einen handfesten Interessenskonflikt mit dem Deutschen Reich, das die von Russland unabhängig gewordenen kaukasischen Staaten, allen voran Armenien und Georgien, lieber territorial unversehrt lassen und in seine eigene Einflusssphäre bringen wollte. Hinzu kam, dass Berlin vor dem Hintergrund der kritischen Lage insbesondere an der Palästinafront der Verlegung von weiteren osmanischen Truppenverbänden in den Kaukasus kritisch gegenüberstand.128 Ungeachtet dessen setzte das Osmanische Reich die militärische Unterwerfung des Gebiets fort, wobei es zu weiteren Massakern an der armenischen Bevölkerung kam, so etwa auch bei der Eroberung von Baku.129 Die Habsburgermonarchie war in die Auseinandersetzung nur insofern involviert, als im Sommer 1918 Vertreter mehrerer kaukasischer Staaten bei der österreichisch-ungarischen Botschaft in Konstantinopel vorstellig wurden und ersuchten, ihre Staaten unter das Protektorat der Donaumonarchie zu stellen. Obwohl das Vorhaben ernsthaft diskutiert wurde, gelangte es in Ermangelung militärischer Präsenz Österreich-Ungarns in der Region sowie aus Rücksichtnahme auf den deutschen Bündnispartner nicht zur Umsetzung.130 Letztlich entspannte sich die Situation, da die Hohe Pforte den Großteil ihrer Forderungen im Alleingang umsetzen konnte; das deutsch-habsburgisch-osmanische Bündnis war im Streit um den Kaukasus jedoch stark belastet worden, was die Zusammenarbeit der drei Staaten fortan erschwerte. Politik der Mittelmächte, Teil II: Die Zeit der versuchten kaukasischen Staatlichkeit 1917–1918 (Wien/ Köln/Weimar 1992). Das Osmanische Reich war ebenfalls mit einer Delegation bei den Verhandlungen in Brest-Litovsk vertreten, hatte auf diese jedoch keinerlei Einfluss. Vgl. Gary W. Shanafelt, The Secret Enemy. Austria-Hungary and the German Alliance 1914–1918 (New York 1985), S. 164. 128 Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 218–219. Zu diesem Zeitpunkt verfügte das osmanische Heer nur noch über etwa 200.000 Mann an Fronttruppen. Vgl. Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 194. 129 Hopkirk, Östlich von Konstantinopel (1996), S. 379–416; Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 267; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 346; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 59–62; Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 171–213; Erickson, Ordered to Die (2001), S.  180–190; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 329–337, 359–375. Zur Lage im Kaukasus im Sommer 1918 vgl. u. a.: „Auszug aus dem Bericht der Ausbildungsgruppe Oblt Keil, Kaukasus“, KM-Präs 47/1/2/6 ex 1918, Beilage 3, 3. September 1918, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2419; „Bericht über Armenien und Kaukasus“, KM-Präs 47/1/26 ex 1918, 21. August 1918, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2420. 130 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 136–142. Zur österreichisch-ungarischen Kaukasuspolitik 1917–1918 vgl. Bihl, Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte (1992), S. 131–205. Wien–Jerusalem und zurück 329 Parallel zu den Ereignissen im Kaukasus begann auch die Lage in Palästina Anfang März 1918 kritisch zu werden, wenn auch aus völlig anderen Gründen. So hatte zwar die Kommandoübernahme in dem Abschnitt durch General von Sanders die Moral der Verteidiger etwas gestärkt, diese sahen sich jedoch in ihrer neuen Abwehrstellung nördlich von Jericho ab Anfang März heftigen Angriffen britischer Truppen ausgesetzt. Die k.u.k. Feldhaubitzabteilung, die zwischenzeitlich mit acht 10cm M14 Feldhaubitzen131 neu bewaffnet worden war, konnte in die Kämpfe jedoch zunächst nicht eingreifen, da sie in Ermangelung von Transportmitteln weiterhin in Damaskus festsaß.132 Letztlich gelang es unter Aufbietung aller noch verfügbarer Ressourcen, zumindest eine Batterie an die Front in Marsch zu setzen, wo sie jedoch nicht mehr rechtzeitig zum Beginn der gegnerischen Offensive, die als „1. Jordanschlacht“ bezeichnet wird, eintraf. Ab dem 22. März griffen die Briten unter dem Kommando General Allenbys auf breiter Front in Palästina an, wobei sie im Bereich der osmanischen 7. Armee den Jordan in östlicher Richtung überschritten und in Richtung Amman vorzustoßen begannen. Trotz anfänglicher Rückschläge gelang es den Verteidigern jedoch, rasch Reserven heranzuführen und am 30. März zum Gegenangriff überzugehen, der die Briten schließlich zwang, sich auf die von ihnen am östlichen Jordanufer errichteten Brückenköpfe zurückzuziehen.133 Die aus Damaskus kommende Batterie der k.u.k. Feldhaubitzabteilung traf erst kurz vor Ende der Kämpfe im Bereich der im Westen Palästinas eingesetzten osmanischen 8. Armee ein, wo sie im Abschnitt der 7. Division im Raum Tel Aviv in Stellung ging. Neben fortdauernden britischen Luftangriffen, die Ausfälle bei Truppen und Material verursachten, wurden die Stellungen der Batterie Anfang April wiederholt von britischen Truppen angegriffen, die in Richtung des Bahnknotenpunktes Qalqilya vorstießen, jedoch zurückgeschlagen werden konnten.134 Fast zeitgleich wurde in Hinblick auf die kritische Lage östlich des Jordan endlich auch die 2. Batterie der k.u.k. Feldhaubitzabteilung notdürftig marschbereit gemacht und von Damaskus aus in den Einsatzraum der osmanischen 7. Armee in Marsch gesetzt, wo sie am 11. April eintraf und südlich von Amman in Stellung ging. Nach einigen kleineren Vorstößen brach in dem Abschnitt schließlich ein erneuter britischer Großangriff los, der sich wiederum vor allem gegen die am Ostufer des Jordan gelegenen Stellungen der osmanischen Truppen richtete. Trotz einiger lokaler Erfolge gelang es den Verteidigern jedoch wiederum, die britischen 131 Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 1, S. 209; Ortner, Artillerie (2007), S. 306–331. 132 „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 216 ex 1918, 4. März 1918, S. 1–2, ÖStA/ KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66. 133 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 145–147; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 339–341. 134 Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 115; Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 147–148. 330 RICHARD LEIN Einheiten durch den Einsatz der letzten Reserven zum Stehen zu bringen, woraufhin sich diese zurückzogen und bis zum 5. Mai 1918 das Ostufer des Jordan räumten.135 Nach dem Ende des als „2. Jordanschlacht“ bezeichneten Gefechts flauten die Kämpfe an der Palästinafront weitgehend ab, was freilich weniger auf die Erfolge der Verteidiger, sondern vielmehr darauf zurückzuführen war, dass die Briten zahlreiche Einheiten zur Abwehr der deutschen Frühjahrsoffensive auf den europäischen Kriegsschauplatz verlegen mussten, was General Allenby zwang, bis zur Heranführung von Truppenersatz seine Operationen einzustellen.136 Diese Atempause nutzte vor allem den Verteidigern, die ihre Stellungen ausbauen und die wenigen noch verfügbaren Reserven an Menschen und Material heranführen konnten. So wurden neben der k.u.k. Kanonenbatterie Nr. 20 sowie der Mörserbatterie Nr. 9 auch die beiden mit je vier 7,5cm Gebirgskanonen M15137 ausgerüsteten Batterien der „k.u.k. Gebirgskanonenabteilung in der Türkei“, die eigentlich Teil des k.u.k. Orientkorps gewesen waren, an die Palästinafront dirigiert.138 An der Front selbst kam es den gesamten Sommer über immer wieder zu Artillerieduellen der Einheiten beider Seiten, wobei die österreichisch-ungarischen Batterien vor allem durch technische Defekte weitere Ausfälle erlitten. Dies wog umso schwerer, als der Nachschub an Ersatzteilen und Munition nur noch eingeschränkt funktionierte, sodass die erlittenen Verluste nicht mehr ersetzt werden konnten.139 135 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 147–149. Zum Verlauf der beiden Ostjordanschlachten vgl. die Planskizze „2. Ostjordan-Schlacht“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr.  29 ex 1918, ohne Datum, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66; „ArtillerieSituation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 148 ex 1918, 17. Juni 1918, S. 1–13, ebendort. 136 Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 148–149, 247–249; Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 250-298. 137 Kosar, Artillerie im 20. Jahrhundert (2004), Teil 1, S. 214; Ortner, Artillerie (2007), S. 331–343. 138 Jung, Formationen (1995), S. 42. Zur Dislokation sowie zum Einsatz der k.u.k. Artillerieformationen sowie der Artillerie-Ausbildungsgruppen im Osmanischen Reich im Spätsommer/Herbst 1918 vgl. den Bericht „Situationsmeldung und Tätigkeitsbericht des k.u.k. Artilleriekommandos in der Türkei“, AOK Op. 168412, 30. September 1918, ÖStA/KA/AOK, Kt. 424. Zum Frontverlauf an der Palästinafront Anfang September 1918 sowie zum Einsatzort der k.u.k. Batterien vgl. Beilage 1 aus dem Bericht. Zu den Schwierigkeiten, die insbesondere der Transport der 24cm Mörser an die Palästinafront bereitete, vgl. „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 129 ex 1918, 31. Jänner 1918, S. 8–9, ÖStA/KA/Generalstab/ Archive der Militärattachés, Kt. 66. 139 Vgl. „Auszug aus dem Einsichtsakt des KM, Abt. 5, Nr. 32970 – Situation der k.u.k. Artillerie in der Türkei“, MKSM 69/6/24 ex 1918, 3. Oktober 1918, ÖStA/KA/MKSM, Kt. 1381. Zur Problematik der Sicherstellung des Nachschubs für die k.u.k. Formationen im Nahen Osten sowie zu Art und Umfang der im Land bezogenen bzw. der aus der Heimat angeforderten Güter vgl. die Akten der Intendanzgruppe des k.u.k. Artilleriekommandos in der Türkei für das Jahr 1917/1918, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 60; „Artillerie-Situation“, Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 129 ex 1918, 31. Jänner 1918, S. 1–7, ÖStA/KA/Generalstab/Archive der Militärattachés, Kt. 66; „Artillerie-Situation“ (Artilleriekommando in der Türkei Res. Nr. 399 ex 1918), KM-Präs 47/1/2/6 ex 1918, 3. September 1918, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2419.s Wien–Jerusalem und zurück 331 Die militärische Katastrophe für das Osmanische Reich nahm schließlich Mitte September 1918 ihren Lauf, als Bulgarien in Folge eines von starken Ententekräften aus dem Raum Saloniki geführten Großangriffes militärisch zusammenbrach.140 Damit war Konstantinopel erstmals seit Beginn des Krieges vom europäischen Festland aus gefährdet, ein Umstand der bei der osmanischen Führung zu panikartigen Reaktionen führte. Wenige Tage später, am 18. September, begann darüber hinaus die entscheidende Großoffensive General Allenbys in Palästina, in deren Zuge es den britischen Truppen nach Scheinangriffen im östlichen Landesteil gelang, die Stellungen der 8. osmanischen Armee westlich von Nablus zu durchbrechen und weiter in Richtung Norden bzw. Nordosten vorzustoßen. Die Verteidiger, die mit einem neuerlichen Angriff der Briten östlich des Jordan gerechnet und deshalb das Schwergewicht ihrer Kräfte in diesen Sektor verlegt hatten, konnten die Situation nicht mehr unter Kontrolle bringen, woraufhin aufgrund der drohenden Einkesselung der eigenen Verbände der allgemeine Rückzug angetreten werden musste.141 Dieser entwickelte sich schon bald zu einer planlosen Flucht, da britische Einheiten den zurückflutenden Kolonnen mit Kavallerie dicht auf den Fersen folgten und diese darüber hinaus auch durch Kampfflugzeuge aus der Luft angegriffen wurden. Der Rückzug erfasste auch alle im Rahmen bzw. im Rücken der 7. und 8. osmanischen Armee eingesetzten österreichisch-ungarischen Artillerieeinheiten, Transportformationen, Feldspitäler und Nachschubdepots, die gleichfalls, in vielen Fällen unter Zurücklassung ihres gesamten Materials, die Flucht nach Norden antreten mussten. Nur Teilen der östlich des Jordan eingesetzten k.u.k. Gebirgskanonenabteilung gelang ein halbwegs geordneter Rückzug, die übrigen österreichisch-ungarischen Formationen wurden zum Teil völlig zersprengt und kehrten erst Ende Oktober/Anfang November 1918 in kleinen Gruppen sowie zumeist ohne Ausrüstung nach Konstantinopel zurück.142 Mit der Absetzung der Regierung um Talat Bey, Djemal Bey und Enver Bey am 13. Oktober sowie der Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Moudros ging schließlich am 30. Oktober 1918 der Erste Weltkrieg für das Osmanische Reich zu Ende.143 Die kriegerischen Aus140 Rauchensteiner, Tod des Doppeladlers (1993), S. 598–600; BMHW-KA (Hg.), Österreich-Ungarns letzter Krieg, Bd. 7 (1938), S. 501–512; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 380–381. 141 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 153–157; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 348; Neulen, Adler und Halbmond (1994), S. 252–256; Erickson, Ordered to Die (2001), S. 198–203; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S.116–117. Sanders, Fünf Jahre Türkei (1919), S. 337-382. 142 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 161–168; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 392–401. Vgl. dazu auch den Bericht mit umfangreicher Kartenbeilage „Die Kämpfe in Syrien im September und Oktober 1918“, AOK Op. 149554, 25. Oktober 1918, ÖStA/KA/AOK, Kt. 381. 143 Neulen, Feldgrau in Jerusalem (1991), S. 260; Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 268; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 386–387. 332 RICHARD LEIN einandersetzungen in der Region sollten – wenn auch unter anderen Vorzeichen – mit kurzen Unterbrechungen jedoch noch bis 1923 andauern.144 Die Rückführung der k.u.k. Truppen in ihre Heimatgarnisonen hatte zum Zeitpunkt der Einstellung der Kampfhandlungen bereits begonnen, war doch schon am 27. Oktober 1918 ein erster Transport mit Offizieren, Mannschaftspersonen und Kriegsmaterial über den Seeweg in Richtung Odessa abgegangen, von wo aus diese ihre Heimreise per Bahn bzw. über den Landweg zu bewerkstelligen hatten. Mit dem Rückzug der österreichisch-ungarischen Truppen aus der Ukraine Anfang November stand dieser Transportweg jedoch nicht mehr zur Verfügung, womit nur noch die Möglichkeit einer Repatriierung der verbleibenden Offiziere und Soldaten über das Mittelmeer blieb. Wiewohl die österreichisch-ungarischen Truppen gemäß der Statuten des mit dem Osmanischen Reich geschlossenen Waffenstillstands von den Ententetruppen, die am 12. November 1918 in Konstantinopel einrückten, nicht als Kriegsgefangene behandelt wurden,145 räumten diese der Heimbeförderung der Reste des österreichisch-ungarischen Expeditionskorps nur geringe Priorität ein. Erst Anfang 1919 gelang es Pomiankowski, ein Schiff zu chartern, das die restlichen 200 Offiziere und 1.050 Soldaten der inzwischen aufgelösten k.u.k. Armee nach Triest zurückbrachte.146 Mit ihrem Eintreffen in der nunmehr zu Italien gehörenden Hafenstadt am 20. Jänner 1919 endete schließlich auch der letzte Akt des militärischen Engagements der Habsburgermonarchie im Nahen Osten. 144 Matuz, Das Osmanische Reich (1996), S. 269–278; Palmer, Untergang des Osmanischen Reiches (1992), S. 351–380; Ulrichsen, The First World War in the Middle East (2014), S. 173–201. 145 Fischer, Österreich-Ungarns Kampf um das Heilige Land (2004), S. 157; Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 390–391. Wohl aber beschlagnahmten die einrückenden Ententetruppen zahlreiches Eigentum des österreichisch-ungarischen Staates, darunter auch das Botschaftsgebäude. Vgl. Rudolf Agstner, Der Palazzo di Venezia in Konstantinopel als k.k. Internuntiatur und k.u.k. Botschaft bei der Hohen Pforte 1799–1918 und das Palais in Yeniköy als Sommersitz der k.u.k. Botschaft 1899–1918, in: Rudolf Agstner/ Elmar Samsinger (Hg.), Österreich in Istanbul. K. (u.) K. Präsenz im Osmanischen Reich (Wien 2010), S. 19–108, hier S. 77–80, 97–98. 146 Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 415–432; Fischer, Österreich im Nahen Osten (2006), S. 283– 285. Siehe hierzu auch den Beitrag von Klaus Koch in diesem Band. Eine letzte Gruppe von ehemaligen k.u.k. Heeresangehörigen (10 Offizieren und 56 Soldaten der fahrbaren Autowerkstätte Türkei 3) wurden im Februar/März 1919 repatriiert. Vgl. „Elf Personen der ehem. österr. ung. Armee aus der Türkei – Heimbeförderung“, KM-Präs 47/1/34 ex 1918, 14. März 1919, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2420. Wien–Jerusalem und zurück VII. 333 Fazit Welches Fazit lässt sich letztlich über den Einsatz der österreichisch-ungarischen Truppen im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs ziehen? Zunächst ist zu bemerken, dass die Strategie der Mittelmächte, durch einen Kriegseintritt der Hohen Pforte ihre Gegner, allen voran Russland und Großbritannien, dazu zu zwingen, Truppen zur Verteidigung ihrer Besitzungen in der Region zusammenzuziehen, grundsätzlich als erfolgreich zu bezeichnen ist. Aufgrund der Tatsache, dass an den verschiedenen Fronten des Osmanischen Reiches zum Teil kleinere Verbände zum Einsatz kamen als auf den europäischen Schlachtfeldern, brachte dies für Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich jedoch eine geringere Entlastung mit sich als man gehofft hatte.147 Prinzipiell günstig fällt auch das Urteil über den Einsatz der k.u.k. Truppen an den entsprechenden Frontabschnitten im Nahen Osten aus. Obwohl hier vergleichsweise bescheidene personelle wie materielle Mittel zum Einsatz kamen, gelang es doch, die gesteckten Ziele – dem Bündnispartner wirkungsvolle Unterstützung zu bringen und gleichzeitig die militärische Macht der Habsburgermonarchie in der Region zu demonstrieren – in vollem Umfang zu erreichen. Die genaue Zahl der während des Krieges im Osmanischen Reich eingesetzten k.u.k. Militärpersonen ist in Ermangelung von stichhaltigem Quellenmaterial dabei jedoch nur schwer zu beziffern. So gibt zwar ein Tagesrapport vom Jänner 1918 die personelle Stärke der k.u.k. Truppen im Osmanischen Reich mit ca. 300 Offizieren und 3.170 Mann an, in dieser Zahl dürften jedoch nur jene Militärpersonen enthalten sein, die in den k.u.k. Artillerieformationen Dienst taten, und nicht auch jene, die in Ausbildung, Krankenpflege und im Nachschub Verwendung fanden. Auch hinsichtlich der in den Kämpfen erlittenen Verluste an Menschen und Material stehen nur bruchstückhafte Angaben zur Verfügung. So liegt lediglich für die Zeit nach dem Zusammenbruch der Palästinafront im September 1918 ein entsprechender Bericht vor, der die Verluste im Zuge der letzten Kämpfe in Palästina sowie während des Rückzugs mit zehn Offizieren, 529 Soldaten und zwölf Geschützen beziffert,148 es ist jedoch unklar, ob diese Angaben korrekt und vollständig 147 Die Zahl der auf den Kriegsschauplätzen im Kaukasus und in Palästina gebundenen russischen und britischen Truppen wird in einem Bericht der deutschen Obersten Heeresleitung vom September 1916 mit ca. 500.000 angegeben, weitere ähnlich präzise Schätzungen für die späteren Kriegsjahre sind nicht bekannt. Vgl. Bihl, Die Kaukasuspolitik der Mittelmächte (1975), S. 230. 148 Jung, Wüstenkrieg (1992), S. 167–168; „Die Kämpfe in Syrien im September und Oktober 1918“, AOK Op. 149554, 25. Oktober 1918, ÖStA/KA/AOK, Kt. 381. Ein Bericht aus dem August 1918 nennt folgende im Osmanischen Reich im Einsatz befindliche Formationen und Kommandos: eine Feldhaubitzabteilung mit zwei Batterien, eine Kanonenbatterie, eine 15cm Haubitzbatterie, eine 24cm Mörserbatterie, eine Gebirgskanonenabteilung mit zwei Batterien, zwei Artillerie-Ersatzabteilungen, acht Ausbildungs- und 334 RICHARD LEIN sind. In der Historiografie wird die Zahl der österreichisch-ungarischen Offiziere und Soldaten, die während des Krieges an einer der Fronten des Osmanischen Reich Dienst taten, mit etwa 10.000 angegeben,149 dabei dürfte es sich jedoch um eine Schätzung basierend auf der durchschnittlichen personellen Fluktuation bei k.u.k. Truppenkörpern auf dem europäischen Kriegsschauplatz handeln. Im Vergleich zum Deutschen Reich, das bis Mitte 1917 eine ständige Militärpräsenz von fast 18.000 Mann in der Region aufbaute,150 mag der Beitrag der Donaumonarchie zur militärischen Unterstützung des Osmanischen Reiches insgesamt vergleichsweise gering erscheinen.151 Er erfüllte jedoch, wie von Seiten der k.u.k. Militäradministration geplant und erhofft, in vollem Umfang seinen Zweck, ohne dabei die auf dem europäischen Kriegsschauplatz im Einsatz stehende österreichisch-ungarische Armee substantiell zu schwächen. Als ausgeforscht ist die Thematik des Engagements der Habsburgermonarchie im Nahen Osten während des Ersten Weltkrieges dennoch nicht zu betrachten, bieten doch die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarns und dem Osmanischen Reich noch eine Vielzahl weiterer Anknüpfungspunkte, die weit über den gleichfalls noch nicht vollständig bearbeiteten militärisch-operationsgeschichtlichen Aspekt hinausgehen. So stellen vor allem die vom k.u.k. Kriegsministerium vorangetriebenen Bemühungen zur stärkeren wirtschaftlichen Durchdringung des Osmanischen Reiches152, in dem man nicht zuletzt einen potentiellen Rohstofflieferanten und AbInstruktionsdetachements, sieben Autokolonnen, ein Auto-Ersatzdepot, vier Etappengruppen, vier Autowerkstätten, vier Bahnhofskommandos, zwei Reservespitäler, zwei Feldspitäler, zwei Krankenzimmer, zwei Telegrafenkompanien, zwei Feldpostämter, ein Militär-Stationskommando und eine Stabsabteilung. Angaben zum Personalstand der Formationen werden nicht gemacht, nur die materielle Stärke der Artillerieformationen wird erwähnt (24 Geschütze in 7 Batterien). Vgl. den Bericht „Situationsmeldung und Tätigkeitsbericht des k.u.k. Artilleriekommandos in der Türkei“, AOK Op. 168412, Beilage 4, 30. September 1918, ÖStA/KA/AOK, Kt. 424. 149 Jung, Formationen (1995), S. 33; Will, Der Gegenspieler im Hintergrund (2014), S. 205. 150 Mühlmann, Das Deutsch-Türkische Waffenbündnis (1940), S. 125. Laut Pomiankowski gliederten sich die deutschen Truppen im Osmanischen Reich in sieben Infanteriebataillone, 15 Batterien Artillerie und eine größere Zahl von Unterstützungsverbänden. Vgl. Pomiankowski, Zusammenbruch (1928), S. 54. 151 Die personelle Stärke sowie die Gesamtverluste der osmanischen Armee während des Ersten Weltkriegs werden in der neueren Historiografie demgegenüber wie folgt angegeben: Mobilisierte Soldaten: 2.873.000, Gefallene 243.598, Vermisste: 61.487, an Krankheiten gestorben: 466.759, Verwundet: 763.753, Kriegsgefangen: 145.104, Desertiert: 500.000. Vgl. Erickson, Ordered to Die (2001), S. 208–211. Für leicht abweichende Zahlen vgl. Ellis/Cox (Hg.), The World War I Databook (2001), S. 270; Bihl, Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte (1992), S. 209. Die Zahl der Ziviltoten des Osmanischen Reiches inkl. der ermordeten Armenier wird in letzterem Werk mit ca. 2.000.000 angegeben. 152 Neben den ebenfalls nur rudimentär bekannten, offiziellen Planungen der k.u.k. Behörden dürfte es auch zahlreiche Initiativen von Zivil- und Militärpersonen zur Erschließung des Osmanischen Reiches für die österreichisch-ungarische Wirtschaft gegeben haben. Die Seriosität dieser Pläne war offenbar mitunter zweifelhaft. Vgl. „Hauptmann Fraunz Wimmer – Entsendung in die Türkei (Anullierung)“, KM-Präs 47/1/11 ex 1918, 27. April 1918, ÖStA/KA/KM-Präs, Kt. 2420. Wien–Jerusalem und zurück 335 satzmarkt erblickte, einen bislang gänzlich blinden Fleck in der Historiografie dar. Auch über die Nachkriegsplanungen des österreichisch-ungarischen Außenministeriums für die Neugestaltung der Beziehungen zum Osmanischen Reich sowie zur Ausdehnung des Einflusses der Habsburgermonarchie im Nahen Osten nach Kriegsende ist derzeit nur wenig bekannt. Gerade im Hinblick auf die genannten Forschungsdesiderate sowie das gesteigerte Interesse, das der Erste Weltkrieg in Folge des Gedenkjahres 2014 erfuhr, wäre eine grundlegende, umfassende Neubearbeitung des Themenkomplexes eine überaus wichtige wie lohnenswerte Aufgabe.