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Zeichentrickfiguren Als Retter?

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Zeichentrickfiguren als Retter? Das Bienensterben in der populären Unterhaltung Michaela Fenske Die Biene Maja hatte 1912 in Waldemar Bonseis "Roman für Kinder" ihren ersten Auftritt (2012). Seitdem ist die Geschichte von der kleinen Biene, die sich kurz nach ihrer Geburt der Disziplin ihres Stocks entzieht und diverse Abenteuer erlebt, von Generation zu Generation Heranwachsender populärer geworden. Bücher, Comics, Filme, Hörspiele, Musicals und Theaterstücke handeln von den Erlebnissen der Biene Maja. Im Zuge ihres "Fluges durch die Welt der Medien" (Weiß 2012) sind Maja mit der gemütsvollen Drohne Willi und dem klugen. Grashüpfer Flip zwei Gefahrten beigesellt worden. Diese sind inzwischen nicht weniger bekannt als Maja selbst. Seit neuestem engagiert sich die bekannteste Biene Deutschlands für die Rettung der europäischen Honigbiene. Aber auchjüngere Protagonistinnen und Protagonisten der Populärkultur, wie die US-amerikanische Toon-Familie Simpson, beteiligen sich an solchen Rettungsinitiativen. Im Folgenden wird an den Beispielen von Maja und den Simpsons gezeigt, in welcher Form die Gefährdung der Honigbiene in der populären Unterhaltung aufgegriffen wird und inwieweit das Problem darin verarbeitet werden kann. Die Biene Maja als Retterin der Honigbiene Seit dem Sommer 2014 kämpft die Biene Maja auch für die Rettung der Honigbiene. Derneueste Kinofilm wird von einem Werbeprogramm begleitet, das unter anderem zur Rettung der gefährdeten europäischen Honigbiene aufruft. Unter der Überschrift "Lasst uns die Bienen retten. Die Bienen sind in Gefahr" informieren Maja und ihre tierliehen Freunde auf der Webseite des Filmes über die ökologische und ökonomische Bedeutung der Honigbiene, ihr aktuelles massenhaftes Sterben sowie dessen Ursachen (Studio 62 Michaela Fenske 100 2015). Auch darüber hinaus sind die neuesten Produkte aus der Welt der Biene Maja ausgesprochen aktuell: Der Film vertritt die Botschaft einer auf Diversität setzenden Gesellschaft, und das Merchandising sucht Bezüge zum Urban Gardening sowie zu den zu Beginn des 21. Jahrhunderts populären vegetarischen und veganen Lebensstilen. Ob selber Gärtnern mit der Biene Maja oder Veggie-Maja zum Vernaschen - eine große Bandbreite unterschiedlicher Angebote verbindet die Biene Maja mit derzeit geführten gesellschaftlichen Diskursen und Lebensstilen. Die Verwertungsinteressen der Populärkulturindustrie beschränken sich damit längst nicht mehr nur auf die Inhalte populärer Geschichten und die mit ihnen verbundenen Figuren. Sie assoziieren sich heutzutage zudem mit aktuellen gesellschaftlichen Bewegungen und Praktiken, im Fall der Biene Maja mit den Praktiken der im bürgerlichen Milieu wurzelnden sozialen Bewegungen. Bezugnahmen finden allerdings auch umgekehrt statt: Die Biene aus der Populärkultur dient Akteurinnen und Akteuren aus spätmodernen sozialen Bewegungen, darunter Imkerinnen und Imkern, zugleich als Symbol ihrer politischen Proteste. Dort, wo Imkerinnen und Imker gegen Gefährdungen der Bienen durch den Anbau von transgenem Mais oder den Einsatz von Pestiziden und Insektiziden protestieren, wird häufig auch auf die populäre Biene Bezug genommen (zum Beispiel Cine Rebelde 2015). Die Wirkmächtigkeit populärer Unterhaltung Das aktuelle Beispiel aus der Medien- und Merchandisingwelt der Biene Maja zeigt einmal mehr, wie sehr populäre Unterhaltung als Teil der populären Kultur in den aktuellen Debatten ihrer Zeit steht. 1 Populäre Unterhaltung eröffuet der Gesellschaft besondere Handlungs-, Erlebnis- und Diskussionsräume. Sie ermöglicht den Rezipientinnen und Rezipienten Entspannung, Zerstreuung und- nicht erst in der spätmodernen Wissensgesellschaft 1 Da im Folgenden auch populäre Erzählungen aus der Vormodeme in den Blick geraten, wird der im Fach Europäische Ethnologie (Empirische Kulturwissenschaft, Volkskunde, Kulturanthropologie} übliche Begriff ,populäre Unterhaltung' fiir alljene Erzählungen, Filme und andere Medien verwendet, die in verschiedenen sozialen Schichten massenhaft verbreitet sind. ,Populärkultur' definiert demgegenüber ein massenhaft rezipiertes, industriell-technisch produziertes und kommerzielles ästhetisches Artefakt seit dem 19. Jahrhundert. j Zeichentrickfiguren als Retter? 63 -auch Wissensaneignung. Zugleich geht es um Teilhabe an gesellschaftlich relevanten Diskursen. In den Medien der populären Unterhaltung werden ethische Werte und Normen diskutiert. Die Rezipientinnen und Rezipienten positionieren sich in Auseinandersetzung mit dem jeweils Angebotenen in den Diskursen und Befindlichkeiten ihrer eigenen Zeit. Auch im konkreten Fall der Biene Maja werden verschiedene aktuelle Themen der Jetztzeit verhandelt. Dazu gehören die Auseinandersetzung mit dem Bienensterben sowie die damit verbundenen Verhandlungen innerhalb spätmoderner Gesellschaften über die ,richtige' Art und Weise zu leben, zu wirtschaften, sich zu ernähren. Die Inhalte der Medien werden in unterschiedlichen sozialen Milieus verhandelt, und sie entwickeln dabei unter Umständen eine Wirlanacht, die den ursprünglichen Intentionen ihrer Produzenten zuwiderläuft. Das Wissen um die Möglichkeit einer kreativen, eigensinnigen und mitunter auch widerständigen Aneignung von Angeboten der populären Unterhaltung durch die Rezipientinnen und Rezipienten verdanken wir den britischen Cultural Studies. Populäre Unterhaltung nimmt nicht nur gesellschaftliche Wirklichkeiten auf, sondern gestaltet diese auch aktiv mit. Letztlich beeinflussen die fiktiven Bienen auch die Gestalt und das Wesen der in Stadt und Land fliegenden westlichen Honigbiene - so lassen sich zumindest die Ansätze der Literary Anima! Studies (Borgards & Pethes 2013) deuten. Sanftmut, Sammelfreudigkeit beziehungsweise Fleiß und geringer Schwarmtrieb der Biene werden demnach nicht nur über Jahrhunderte hinweg in den Geschichten über Bienen als vorbildhaft gelobt, sie erweisen sich auch als Ideal und wichtige Zuchtziele eines großen Teils der Imkerschaft. Der Erfolg der Biene Maja und das Entsetzen der westlichen Öffentlichkeit über das massenhafte Sterben der europäischen Honigbienen an der ·Wende zum dritten Jahrtausend haben einen gemeinsamen Ursprung: Sie beruhen auf der tiefen V erwurzelung der Biene in der europäischen Kultur. Kaum ein Insekt hat über Jahrhunderte menschliche Imaginationskraft so sehr beschäftigt wie die Honigbiene. Viele Geschichten, Texte von Gelehrten ebenso wie Erzählungen der weniger gebildeten Bevölkerung, handeln von Honigbienen. Dieses vielfältige und langlebige Erzählen in verschiedenen Medien und Genres der populären Unterhaltung tradiert Vorstellungen bezüglich des Wesens und der Gestalt der Biene. Der Kulturwissenschaftler Rudolf Schenda hat in seinem Buch Das ABC der Tiere. Märchen, Mythen und Geschichten (1995) angemerkt, dass die in Erzählungen tradierten Vor- I 64 Michaela Fenske stellungenvon Tieren zugleich deren Festschreibung gleichkommen. Indem sie äußerst langlebig und beharrlich sind, behindern derartige Traditionen eine offene, voraussetzungsfreie Begegnung von Menschen und Tieren (ebd., S. 13f.). Die Überlieferung des bereits Bekannten hat nicht zuletzt mit den Regeln der populären Kultur zu tun. Populär werden kann den Studien des amerikanischen Medienwissenschaftlers John Fiske nach nämlich vor allem das, was an Erwartungen und Vorstellungen potentieller Rezipientinnen und Rezipienten anknüpft (Fiske 2003). Das erklärt die von Schenda beklagte, auf bestimmte Charakteristiken beschränkte Perspektive des menschlichen Erzählens auf Tiere im Allgemeinen und die Honigbiene im Besonderen. Andererseits verändert sich mit den Lebenswelten der Menschen auch ihre populäre Unterhaltung stetig. So wird sich im Folgenden zeigen, wie in der zeitgenössischen populären Unterhaltung unter Umständen auch ganz neue Sichtweisen auf die Biene ausprobiert werden. Trotz der Möglichkeit solcher Perspektivenwechsel soll hier die Frage aufgeworfen werden, ob das in den westlichen Kulturen tief verwurzelte populäre Erzählen über Bienen womöglich menschliche Handlungsspielräume und konkret das Finden von Lösungsansätzen für die Rettung der durch verschiedene Umweltveränderungen gefährdeten Bienen erschwert. Womöglich sind es auch eingeschliffene Sichtweisen, bestätigt und bestärkt durch die allgegenwärtigen Entwürfe aus der populären Unterhaltung, die ein Umund Neudenken der Beziehung von Mensch und Biene behindern. Die Privilegierung der Honigbiene gegenüber anderen Bienenarten und Insekten ist jedenfalls ein wesentliches Faktum auch der populären Unterhaltung. Geschichten über andere Bienenarten, über Hummeln oder Schwebfliegen sucht man hier zumeist vergebens, und über die Wespe liest, sieht oder hört man eher wenig Positives (Schenda 1995, Ranke et. al 1977). Geschichten über Honigbienen fmden sich dagegen zu Rauf; Bienen bevölkern viele verschiedene Genres und Medien und fast immer wissen Menschen Gutes über sie zu berichten. Dies mag daran liegen, dass man früh entdeckte, wie nützlich Bienen für den Menschen sind. Lange Zeit galt das Interesse vornehmlich dem Honig, vor der industriellen Herstellung des raffinierten Zuckers im 19. Jahrhundert das wichtigste Süßungsmittel. Die Leistungsfähigkeit der kleinen Tiere beschäftigte auch die Imagination des Menschen und wird in der populären Überlieferung thematisiert. Hinzu kam, dass die Biene diese Leistungen bei vergleichsweise geringem Einsatz auf Seiten ihrer Halterinnen und Halter erbrachte. Auch dies wurde in der Zeichentrickfiguren als Retter? 65 populären Kultur, etwa in Gestalt von Sprichwörtern, bedacht. So überliefert das Sprichwort "Bienen und Schafe ernähren den Mann im Schlafe" (Wander 1987, Sp. 372) die Vorzüge der Biene als Nutztier äußerst treffend. Typisch für die Behandlung der Biene in der populären Unterhaltung ist bislang ihre weitgehende Anthropomorphisierung. Ähnlich wie auch andere Tiere wird die Biene damit zum Objekt menschlicher Betrachtung. Vertreterinnen und Vertreter der neuen Forschungsrichtung der Human Anima! Studies kritisieren, dass eine solche Perspektive die Handlungsmacht von Tieren verkennt und schlagen daher eine neue, die Tiere in ihren Eigenheiten ernst nehmende Haltung vor (zum Beispiel Fenske 2013). Damit, was eine solche Haltung mit Blick auf die Biene bedeutet, beschäftigt sich erst die jüngere Forschung (zum Beispiel Moore & Kosut 2013). Bislang findet sich der Mensch in den Bienen fasziniert selbst wieder - anhand der Biene lässt sich offenbar besonders gut über menschliches Zusammenleben und die Bedingungen eines gelingenden Lebens nachdenken. Erzählen über die Honigbiene als Erzählen über den Menschen Die kulturwissenschaftliche Insektenforschung hat anschaulich gezeigt, dass es auch die sozialen Eigenschaften von Bienen und anderen sozialen Insekten sind, die das anhaltende Interesse des Menschen an ihnen mitbegründen (zum Beispiel Johach 2007, Kmse 2013, Werber 2013). Aufgrund ihrer kollektiven Lebensweise stimulieren soziale Insekten das menschliche Nachdenken darüber, was ,das Soziale' ist, was Gesellschaft, ihre Organisation und Leitung ausmacht, was Zusammenleben einerseits ermöglicht oder fördert, andererseits aber auch potentiell behindert. Geschichten von Bienen ermöglichen damit die Diskussion der Grundlagen menschlicher Gesellschaften. An ihnen und über sie werden Alterität ebenso wie Gemeinsamkeiten mit Menschen verhandelt. Seit der Antike dient die Honigbiene den Gelehrten als ein Vorbild menschlicher Gesellschaften, nahezu als Gradmesser menschlicher Zivilisation (zum Beispiel Becker 1991). Die weniger gebildete Bevölkerung nahm diese wertschätzende Einstellung vielfach in ihren bis in das 19. Jahrhundert vornehmlich mündlich tradierten Erzählungen auf. Die der Biene zugeschriebenen Tugenden, wie Fleiß und Sauberkeit, erschienen auch vielen 66 Michaela Fenske Hausvätern und Hausmüttern erstrebenswert. Einzig die Fähigkeit der Biene zu stechen sowie die ,Faulheit' der Drohne wurden negativ bewertet. Beides, sowohl die Verteidigungsbereitschaft des Insekts als auch das massenhafte Vorhandensein weniger produktiver Mitglieder im Volk, lief den Interessen der Menschen zuwider. Im Falle des Stechens erfand der Mensch daher auch früh erzählerisch eine ,Bestrafung' für zu kämpferische Bienen. So wird in den bis in die Modeme hinein äußerst populären antiken Fabeln des Äsop beispielsweise berichtet, dass die Biene für ihre Möglichkeit, den Honigraub des Menschen mit einem Stich bestrafen zu dürfen, mit ihrem Leben büßen muss (Holbek 1961/62, Ranke & Klima 1979). Davon abgesehen wurde die Biene in populären Erzählungen jedoch bevorzugt als Tier mit edlen Charaktereigenschaften gezeichnet: Anders als andere Geschöpfe zeichnet sich die Honigbiene in europäischen Märchen beispielsweise durch ihre Dankbarkeit aus und erweist ihren Retterinnen und Rettern ihre Gunst in der Stunde der Not (ebd.). Populäre Erzählungen kolportieren auch, dass die Biene viel tugendhafter ist als beispielsweise die Wespe: Wo die Biene sich engagiert und zuhört, ist die Wespe unaufmerksam, wo die Biene freundlich und hilfsbereit ist, kümmert sich die Wespe ausschließlich ums eigene Fortkommen (ebd., Schenda 1995). Die Lebensgemeinschaft der Biene ließ sich, je nach Standpunkt der Erzählenden, als perfektes Modell eines jeden Staatensystems- ob Monarchie, faschistischer Führerstaat, Sozialismus oder Demokratie - deuten. Wesentlich bei dieser Argumentation ist, dass die Bienen das jeweilige System als natürlich und damit richtig zu legitimieren scheinen. Angesichts der jahrhundertealten Tradition des Lobliedes von Tugendhaftigkeit sowie Ein- beziehungsweise Unterordnungsbereitschaft der Biene stellte Bonseis Figur der Biene Maja mit ihrer Entdeckungslust zunächst eine provokante Neuerung dar. Die Biene, die sich nicht einordnete, die vorwitzig ihre eigenen Erfahrungen suchte, schien mit den bisherigen Sichtweisen zu brechen. Doch am Ende folgt auch die Biene Maja den Erwartungen ihrer Gesellschaft. Im Moment höchster Bedrohung des Bienenstocks rettet Maja das Bienenvolk vor dem Angriff seiner Todfeinde, der Hornissen. Sie ist bereit, ihr Leben für das Kollektiv und die geliebte Königin zu opfern. Damit symbolisierte sie exakt das Verhalten, das der damalige deutsche Kaiser Wilhelm II. und spätere Machthaber von ihren Untertanen erwarteten. Die Begeisterung des wilhelminischen Hofstaates über die für die eigenen Zwecke willkommene politische Botschafterirr Maja sollte Zeichentrickfiguren als Retter? 67 sich im NS-Faschismus fortsetzen. Anhand der Biene Maja lässt sich weiter verfolgen, dass noch die deutsche Nachkriegsgesellschaft Werte aus dem Kaiserreich und dem Faschismus weiter pflegte, wenn etwa die in den 1970er Jahren produzierte Trickfilmserie Majas brutales Vorgehen gegen Eindringlinge in den Bienenstock als beispielhaft darstellt (Studio 100 2013/1975). Erst die neueste Produktion aus dem Jahr 2014 propagiert mit Majas Einsatz eine friedlichere Form des Zusammenlebens und der Konfliktlösung. Auch die Geschichten von Maja nehmen im Wesentlichen die den Bienen in der populären Unterhaltung zugeschriebenen positiven Eigenschaften auf und verbinden sie mit neuen Eigenschaften ihrer Heidin. Wo solche Regeln populären Erzählens gebrochen werden, wie etwa im Falle des in den 1960er Jahren von Otto Binder und Bill Draud für Harvey Comics als ,Superheld' erdachten Figur des Bee-Man (1966/67), erweisen sich die Erzählungen als Flop. Mit einem übergroßen Stachel ausgestattet und als in der populären Unterhaltung negativ besetzte Drohne traf BeeMan auf mangelnde Nachfrage seitens potentieller Leserinnen und Leser. Wie die Zeitschrift dummy feststellte, wurde er mithin ein echter "Loser" (2014). Populärkultur vermag allerdings immer auch bislang vorherrschende Sichtweisen zu hinterfragen. Dies erweist sich insbesondere dann als nötig, wenn die aktuelle Gegenwart, wie im Falle des Bienensterbens, neue Lösungsansätze verlangt. Die erfolgreiche amerikanische Zeichentrickserie Die Szmpsons, die in Deutschland vom Privatsender Pro Sieben zur Unterhaltung unter anderem am frühen Abend ausgestrahlt wird, liefert dafür ein anschauliches Beispiel. Wie die Simpsons die Bienen retten In den Vereinigten Staaten ist das massenhafte Sterben der Honigbiene seit dem Winter 2006/2007 ein Thema in der Öffentlichkeit. Nach Zeitungen, Fernsehen und Internet wurde das Thema auch bald in der populären Unterhaltung verhandelt (Moore & Kosut 2013). Sehr früh thematisierte die seit Ende der 1980er Jahre ausgestrahlte Zeichentrickserie Die Simpsons sowohl das Bienensterben als auch die neue Lust des urbanen Amerika an Imkerei. Diese Reaktionsschnelligkeit auf aktuelles Tagesgeschehen gehört zu den Grundprinzipien der Serie (Gruteser et al. 2014). Derart gelingt den Sirup- 68 Michaela Fenske sons eine unmittelbare Allkoppelung an das Zeitgeschehen, das in der Serie parodistisch reflektiert wird. Dabei erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer eine unmittelbare Kommentierung ihres Alltags und nehmen an den Verhandlungen der politischen, sozialen und ökonomischen Gegebenheiten ihrer Gegenwart teil. Bienen und Bienensterben wurden in verschiedenen Produkten der ebenfalls multimedialen "Sirnpson-Marke" (Ernst & Werkmeister 2014) thematisiert. Erfolgreich setzt sich Homer Sirnpson, ungelernter Aufseher in einem Atomkraftwerk, typischer Antiheld und Repräsentant der unteren Mittelschicht, in der Folge Diese Biene, die ich meine, die heißt Monty (The Bums and the Bees, 2008/2009) für die Rettung der Honigbiene ein. Der deutsche Titel parodiert das Titellied des Zeichentrickfilms der Biene Maja und knüpft damit an die positive Besetzung der Biene in Deutschland an. Den Gesetzen der Sirnpsons-Serie folgend ist es zunächst wieder einmal das mittlere Kind der Familie Sirnpson, Lisa, die sich für die Lösung eines drängenden Problems der Gegenwart einsetzt. Lisa, die Intellektuelle der amerikanischen Durchschnittsfamilie, erfährt in der Schule vom massenhaften Bienensterben. Getrieben von ihrem ausgeprägten Engagement setzt sich Lisa zum Ziel, die letzten Honigbienen zu retten. Dabei zeigt sie großen Einsatz, indem sie einer Bienenkönigin und ihrem Schwarm zeitweilig auf ihrem Gesicht Zuflucht gewährt. Die Bienen verhalten sich am Gesicht des Kindes ausgesprochen sanftmütig. Dank Mutter Marge findet sich dann ein altes Gewächshaus auf städtischem Grund. Hier finden die Bienen zunächst Schutz und Futter. Ein abruptes Ende findet das Bienenglück allerdings dadurch, dass der skrupellose Kapitalist Montgomery Bums ausgerechnet auf diesem Gelände den Bau eines Sportstadions plant. Im Kampf des Großkapitalisten gegen das kleine Mädchen obsiegt zunächst das Kapital. Der ungebremste menschliche Drang nach Profit scheint den freundlichen Bienen einmal mehr zum Verhängnis zu werden - bis der tölpelhafte, jedoch seine Tochter über alles liebende Homer Simpson eingreift und das Blatt wieder einmal wendet. Der hier inszenierte Konflikt zwischen hemmungslosem Kapitalisten und Bienenfreundin wird von Lisa selbst als ein Kampf nicht nur für Bienen, sondern für zukünftige Generationen, mehr noch für die Seele der amerikanischen Bevölkerung begriffen. Lisa geht es bei ihrem Einsatz für die Insekten also um Humanität und letztlich um das Überleben der Menschheit. Was die Episode zusätzlich interessant macht, ist nicht nur die konkrete Kommentierung des Bienensterbens. Es ist vor allem Homers Lösungs- Zeichentrickfiguren als Retter? 69 ansatz, denn als echtem Underdog stehen ihm Möglichkeiten zur Ver:fiigung, die dem intellektuellen Mittelschichtsmilieu, an das die Serie sich wendet, verschlossen bleiben. Homer kreuzt im Hinterzimmer einer Bar die bedrohten sanftmütigen Bienen seiner Tochter mit den ob ihrer vermeintlichen Aggressivität bekannten sogenannten afrikanischen Bienen. Damit wird von der amerikanischen Populärkultur ein Tabu gebrochen: Die afrikanisierten Bienen wurden hier bislang in verschiedenen Filmen vor allem als ,Killerbienen' im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert und damit eindeutig negativ konnotiert. Die neu gekreuzte Bienenrasse ist jetzt wehrhaft, kann damit :fiir sich selbst sorgen und übernimmt nach dem Ausschwärmen kurzerhand das Sportstadion :fiir eigene Zwecke. Der Konflikt zwischen skrupellosem Großkapital und Humanität wird zugunsten der Bienen gelöst. Der von Homer Simpson vollzogene Perspektivenwechsel geht jedoch noch weiter: Während Tiere in der populären Unterhaltung bevorzugt als Repräsentanten der Menschen agieren, spielt Anthropomorphisierung in diesem Fall keine Rolle. Der Protagonist der populären Unterhaltung macht sich hier nicht mehr nur :fiir die Rechte menschlicher Unterprivilegierter, sondern :fiir die einer anderen Spezies stark. Menschen und Bienen (neu) verbinden Erzählungen über die Honigbiene sind seit langem ein fester Bestandteil der populären Unterhaltung. Man könnte auch sagen: Die populäre Unterhaltung schafft enge Bindungen zwischen Menschen und Bienen. Dabei wird deutlich, wie die populärkulturelle Produktion wesentlich an jeweils vorhandene Vorstellungen anknüpft, diese aber unter Umständen auch verändert und den jeweiligen Wirklichkeiten anpasst. Über die Biene verbinden sich dabei Diskurse sehr verschiedener gesellschaftlicher Milieus, und die Tradition des Erzählens wechselt mühelos zwischen den diversen Sparten kultureller Repräsentationen. Ein Verschwinden der Honigbiene ist vor dem Hintergrund dieses permanenten Erzählens, das Menschen unabdingbar mit den Bienen verbindet, :fiir Menschen in der westlichen Hemisphäre nicht vorstellbar. Populäre Unterhaltung erweist sich auch im Falle des Erzählens über Bienen als ein mächtiger Diskursraum. Mit und über die Biene werden die 70 Michaela Fenske Ordnungen und Wertigkeiten der Gesellschaft verhandelt. Indem populäre Unterhaltung die komplexen Realitäten des Lebens reduziert, hilft sie den Menschen, sich in der Welt zu orientieren. Die Funktion der Komplexitätsreduktion äußert sich auch in der Auswahl wichtiger Protagonisten von populären Geschichten: Populäre Unterhaltung handelt im Falle der Biene nur von der Honigbiene, andere bestäubende Insekten oder Bienenarten kommen nicht vor. Das entspricht bis heute weitgehend dem nur bedingt gültigen Bild, das Menschen von Bienen haben. Dass es etwa in Deutschland derzeit noch knapp 600 Wildbienenarten gibt und viele andere Insekten, wie etwa Schwebfliegen, ebenfalls wichtige ökologische Funktionen übernehmen, wird bislang öffentlich kaum wahrgenommen. Das populäre Erzählen über die Bienen zeigt mithin eine eingeschränkte menschliche Blickrichtung. Weitgehend reduziert ist meist auch die Beschaffenheit der in den populären Medien entworfenen Biene. Geschichten über Bienen reflektieren vor allem den vielfachen Nutzen dieses Insektes für die Menschen. Viel früher als es die Wissenschaften den Züchtern ermöglichen sollten, reduzierten Menschen die Biene in der populären Unterhaltung vornehmlich auf die Tugenden, die ihnen selbst entgegen kamen. In der Spätmodeme teilt nun auch die ,reale' Honigbiene das Schicksal der sogenannten ,Nutztiere', sie wurde weitgehend auf ihre Effektivität reduziert. Mit ihrer bewussten Reduktion auf wenige eingängige, oft stereotype Aspekte ist populäre Unterhaltung nicht das geeignete Feld, um die Komplexität der Welt abzubilden oder um die derzeit gefährdeten europäischen Honigbienen sowie andere gefährdete Insektenarten zu retten. Im Gegenteil trägt sie eher dazu bei, beschränkte menschliche Sichtweisen zu verstärken, indem sie komplexe Sachverhalte auf prägnante und oft provokante Weise reduziert. Gerade weil sie für die Bewältigung des Alltags so wesentlich und in der Gesellschaft so omnipräsent ist, kann populäre Unterhaltung allerdings durchaus auch für Perspektivenwechsel sorgen. Dass Bienen nicht nur sanft sein müssen, sondern im Sinne ihrer Überlebensfähigkeit aggressiv sein dürfen beziehungsweise sein müssen, das ist ein neues Argument der populären Unterhaltung, exemplarisch vorgeführt durch den amerikanischen Antihelden Homer Simpson. Letztlich verbirgt sich dahinter auch der durchaus ernst gemeinte Vorschlag, weniger im Sinne einer ökonomischen Optimierung der Bienen zu agieren und den Tieren mehr Eigenart zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie solche V arschläge die Zeichentrickfiguren als Retter? 71 menschliche Gesellschaft anregen, Menschen und Bienen auf neuer Grundlage zu verbinden. Dort wo sie subversiv ist, zeigt die populäre Unterhaltung damit auch radikal neue Möglichkeiten der Bindung von Mensch und Biene auf. Literatur Becker, S. (1991): Der Bienenvater. Zur kulturellen Stilisierung der Imkerei in der Industriegesellschaft. In: Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung. Heft 27. S. 163-194. Bonsels, W. 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