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2016_theune Unsichtbarkeiten

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DANIELA ALLMEIER, lNGE MANKA, PETER MöRTENBÖCK, RuneLF ScH EUY E NS (HG . ) Erinnerungsorte in Bewegung Zur Neugestaltung des Gedenkans an Orten nationalsozialistischer Verbrechen [ transcript] Wir danken dem mauthausen memorialjBundesministerium für Inneres, Ab lung IV/7 für die Projektzusammenarbeit und die Unterstützung der Vortra reihe >>Erinnerungsorte in Bewegung« im Winterhalbjahr 2013/14 an TU Wien. ~-i f:.. mauthausen memorial 171. ~::;''·?:c KZ- Gedenkstätte Mauthausen BM.I~ REPUBLIK ÖS TER REI CH BUNDE SMINISTERIUM FÜ R INNERE Drucklegung mit freundlicher Unterstützung von: l!III KULTUR-. LAND OBERÖSTERREICH Zukunftsfonds der Repub lik Österreich DEKANAT DER FAKULTÄT FÜR ARCHITEKTUR UND RAUMPLANUNG UND REKTORAT DER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT WIEN Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der De schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Inter über http:/ jdnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcrlpt Verlag, Bleiefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages heberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfaltigungen, Übers zungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen S temen. Umschlagkonzept Kordula Röckenhaus , Bielefeld Satz: Arnold Oskars Printed in Gerrnany Print-ISBN 978-3-8376-3059-6 PDF-ISBN 978-3-8394-3059-o Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellsto Besuchen Sie uns im Internet: http:jjwww.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unt info@ transcript-verlag.de Inhalt Daniela Al/meier, lnge Manko, Peter Mörtenböck, Rudolf Scheuvens Erinnerungsorte in Bewegung 7 VERBINDUNGEN lrit Ragoff Eine kurze Geschichte über Infrastruktur 31 Bertrand Perz »Selbst die Sonne schien damals ganz anders ... « Der Stellenwert der Überreste des Lagers für die Gestaltung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im historischen Rückblick 37 A.W. Faust Schwierige Orte Erinnerungslandschaften von sinai 55 Nora Sternfeld Errungene Erinnerungen Gedenkstätten als Kontaktzonen 77 ZUGÄNGE Jörg Skriebeleit Relikte, Sinnstiftungen und memoriale Blueprints 101 Ulrich Schwarz Der Zugang zur Erkenntnis über den Raum Versuche abstrakter Veranschaulichung von inhaltlich-räumlichen Beziehungen 127 Christion Dürr Von Mauthausen nach Gusen und zurück Verlassene Konzentrationslager- Gedenkstätten- traumatische Orte 145 Struber_ Gruber Ein Weg, den Toten ihre Namen zu geben Entwurf für eine Gedenkstätte zur Erinnerung an die aus Österreich deportierten und in Maly Trostinec ermordeten Menschen 167 (U N-)51 CHTBARKEITEN Brigitta Busch Oberschreibungen und Einschreibungen Die Gedenkstätte als Palimpsest 1 Cloudia Theune Unsichtbarkeiten Aufgedeckte Spuren und Relikte. Archäologie im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen 1 Eiko Grimberg!Ciemens von Wedemeyer Rückblick auf einen Drehort 2 GRENZEN Suzana Milevska Gedächtnisverlust, Trauma und das Erhabene Die unsichtbaren Grenzbereiche des Rassismus in der visuellen Kultur 2 Das Kollektiv Vorrede zu Vierzig Morgen, gehalten im Frühjahr 2014 im Hörsaal6, TU Wien 2 Cornelia Siebeck »The universal is an empty place« Nachdenken über die (Un-)Möglichkeit demokratischer KZ-Gedenkstätten 2 BEWEGUNGEN Brigitte Halbmayr »Bewusstseinsregion Mauthausen- Gusen- St. Georgen« - memory goes regional 3 Dmitry Vilensky Die Geschichte des Paper Soldiervon Chto Delat 3 Wolfgang Schmutz Wo die Republik beginnt und endet Zum erinnerungspolitischen Rahmen für Vermittlung und Gestaltung an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen 3 Autorl -innen 3 Index 3 Claudia Theune Unsichtbarkeiten Aufgedeckte Spuren und Relikte. Archäologie im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen An Standorten ehemaliger Konzentrationslager, die heute als Gedenkstätten dienen, steht in der Regel noch eine gewisse Anzahl von Gebäuden und Einrichtungen, die gezielt bewahrt wurden, um an diesen historischen Plätzen Originale zu erhalten und sie als Dokument des nationalsozialistischen Terrors sichtbar zu präsentieren. Die Lager waren aber weitaus größer und viel dichter bebaut, als es heute den Anschein hat. Zum Lagerkomplex Mauthausen gehörten bei Kriegsende knapp 100 Gebäude. Schon während der Betriebszeit durch die SS gab es zahlreiche Veränderungen im Baubestand, meist Erweiterungen, um immer mehr Häftlinge in Baracken oder gegen Kriegsende in Zelten unterzubringen. Bei Kriegsende versuchten die Nationalsozialisten durch Entfernung von Tötungsanlagen ihre Gewaltverbrechen zu vertuschen. Nach dem Krieg sind aus unterschiedlichen Gründen diverse Abtragungen vorgenommen worden. In Mauthausen beispielsweise brannten die amerikanischen Soldaten, die das Lager befreit hatten, aus Angst vor Seuchengefahr einige Baracken ab, die Zelte wurden abgebaut. Manche Baracke ist als noch intaktes Gebäude an einem neuen Ort einer neuen Verwendung zugeführt worden . Schließlich wurde im Zuge der Einrichtung der Gedenkstätte das Areal weiter reduziert und lediglich das Hauptlager bzw. Teile des Hauptlagers als Ort der Erinnerung bewahrt. Heute ist man sich bewusst, dass auch die nun unsichtbaren Teile der ehemaligen Konzentrationslager für das Erinnern, für die Geschichte der Lager und der nationalsozialistischen Gewaltstrukturen von wesentlicher Bedeutung sind. Durch archäologische Methoden können diese verdeckten Spuren wieder sichtbar gemacht werden . Sowohl die aufgedeckten baulichen Überreste als auch die zahlreichen ausgegrabenen Funde aus der Lagerzeit geben einen tiefen 200 Claudia Theune Einblick in die Strukturen der Lager. So können durch die Materialitä der Objekte Zusammenhänge oft einprägsamer (und haptischer) vermit telt werden als durch eine Beschreibung oder ein Bild. Zudem werfen die nachkriegszeitliehen Veränderungen ein Licht auf den Umgang mit den nationalsozialistischen Relikten durch die Gesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In Mauthausen stehen im Hauptlager noch ganz unterschied liche Bauwerke. Um den Appellplatz gruppieren sich auf der einen Seite drei Häftlingsbaracken, auf der anderen Seite befinden sich die steiner nen Funktionsgebäude, also das Arrestgebäude, das Krankenrevier, die Wäscherei und die Küche. Außerdem sind noch die Ummauerung bzw Umzäunung des Hauptlagers, Wachtürme sowie die Kommandantur und der Garagenhof erhalten. Die drei Funktionsgebäude sind zwar im Ver lauf der letzten 70 Jahre nach Kriegsende mehrfach verändert und auch restauriert worden, sie sind aber in ihrer Grundstruktur unverändert Das Gleiche gilt für die Kommandantur, das Ensemble des Garagenhofe und die Ummauerung bzw. Umzäunung. Jedoch gab es bei Weitem nicht nur drei Häftlingsbaracken im Haupt lager bzw. in den Erweiterungen innerhalb der noch stehenden Lagermau ern, sondern rund 25 Baracken, in denen Zigtausende Häftlinge untergebracht waren. Und es stand noch eine Vielzahl von Gebäuden der SS im näheren Umfeld. Vor dem Haupttor etwa, wo sich heute der Denkmalpark befindet, waren ursprünglich die Gebäude der SS-Verwaltung, das Lazarett und auch die Effektenkammer positioniert. Südwestlich des Lagers wo nun das Besucherf-innenzentrum situiert ist, waren Werkstätten ebenso im Norden und im Nordosten des Lagers. Hinzu kommen etliche Erweiterungen, bei denen weitere Häftlingsbaracken gebaut wurden, etwa in Lager 3 südöstlich des Hauptlagers oder auch im nordwestlich gelegenen Sanitätslager, in dem zunächst sowjetische Kriegsgefangene unterge bracht waren. Im Frühjahr 1943 wurden dorthin kranke Häftlinge verleg und es wurde fortan als Sanitätslager bezeichnet. Zu den Häftlingsunterkünften mit ganz katastrophalen Verhältnissen zählte das Zeltlager im Norden. Auf diesen Arealen sind alle Gebäude abgetragen worden, heute prägen landwirtschaftliche Flächen, Felder oder Wiesen das Bild dieses Orts. Auch der Steinbruch, jener Ort, an dem die Häftlinge zu schwerster Zwangsarbeit genötigt wurden, 1 ist stark verändert: Der Boden wurde für 1 Vgl. dazu allgemein Freund, Florian/Perz, Bertrand: »Mauthausen - Stammla ger«, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.) , Der Ort des Terrors. Geschichte de Unsichtbarkeiten ein Konzert im Jahr 2000 eingeebnet. Während des KZ-Betriebs waren hier etliche Gebäude vorhanden, darunter auch massiv ausgeführte sowie diverse Betriebsmittel, wie z.B. Feldbahnen. Einige wenige Bauteile sind zwischen den Bäumen und im Unterholz als Ruinen erhalten; vieles ist auch dort abgetragen worden. Weitere Beispiele ließen sich ergänzen. Trotz der vielen Veränderungen ist der Erhaltungszustand in Mauthausen verglichen mit anderen Standorten ehemaliger Konzentrationslager oder anderer Internierungslager in Europa, an denen mehr oder weniger alle Gebäude abgetragen wurden, recht gut. Dies liegt sicherlich auch an der Lage des Konzentrationslagers abseits der Ortschaft Mauthausen und an der frühen Entscheidung, hier eine Gedenkstätte einzurichten. An anderen Orten, etwa im benachbarten Gusen, ist viel weniger erhalten, dort wurde das Konzentrationslager fast vollständig abgetragen und auf dem Gelände wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Wohnhäuser errichtet. Eine Betrachtung der sichtbaren und unsichtbaren Überreste muss auch die Spuren und Relikte einbeziehen, die sich innerhalb der Gebäude befunden haben, z.B. die Tötungseinrichtungen, wie die Erschießungsanlagen, die technischen Installationen der Gaskammer, die Krankenrevierausstattung, die einfachen Stockbetten in den Häftlingsbaracken - all dies ist ebenfalls nicht mehr vorhanden. Lediglich fest installierte, große runde Waschbecken wurden nicht abmontiert. Die Veränderung bzw. die Entfernung des ehemals Vorhandenen und des ehemals Sichtbaren ging in der Nachkriegszeit so weit, dass auch die Wände der Innenräume übertüncht wurden und somit der optische Eindruck der nationalsozialistischen Funktionszeit als Konzentrationslager völlig verändert wurde. Aus dem Beschriebenen geht hervor, dass diese Umgestaltungen, dass dieses Abtragen des ehemals Sichtbaren ein bewusster Vorgang gewesen ist. Das Areal des Konzentrationslagers Mauthausen wurde schon 1947 an die Republik Österreich, mit der Auflage, dort eine Gedenkstätte zu errichten, zurückgegeben. Die maßgeblich an der Konzeption beteiligten Opferverbände bzw. das Mauthausen-Komitee stellten den Appellplatz als zentralen Platz in das Zentrum der Gedenkstätte, ein Bereich mit hoher symbolischer Geltung für die Leiden der Häftlinge und den Terror der Nationalsozialisten. Um das Gedenken an die Opfer zu betonen, wurde auf dem Appellplatz nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 293-346. 201 Claudia Theune 202 ein Sarkophag mit der lateinischen Inschrift »Mortuorum sorte discan viventes<< (Aus der Toten Geschick mögen die Lebenden lernen) errichtet Für das Gedenken der Überlebenden an ihre Mitopfer wurden lediglich die an den Appellplatz angrenzenden Gebäude für notwendig befunden, also die Funktionsgebäude und die erste Reihe der Häftlingsbaracken. Man hielt einerseits die übrigen Baracken für explizit historisch nicht erhaltenswert, andererseits wurde durch die gezielte Reduzierung des Baubestandes das noch Vorhandene in seiner symbolischen Bedeutung zu erhöhen versucht. 2 Ein neuer Anstrich veränderte die noch stehenden Gebäude optisch, der frühe Einbau einer christlichen Kapelle griff auch massiv in die ehemalige Funktion der Wäscherei ein und gab der Gedenkstätte eine christliche Konnotation, obwohl die Häftlinge des Konzentrationslagers unterschiedlichen Religionen und Konfessionen angehörten. Es ist zudem zu bedenken, dass die zahlreichen Holzbaracken in der Nachkriegszeit ein wertvolles Gut waren, daher ist es nachvollziehbar, dass sie abgetragen und anderweitig verwendet wurden. Das ehemals dicht bebaute Areal hat heute also sehr viele Freiflächen, die Größe und Dichte des nationalsozialistischen Konzentrationslagers sind nicht mehr sichtbar. Ohne spezifische und detaillierte Informationen wird leicht der Anschein erweckt, dass das Lager deutlich kleiner gewesen ist. Im Prinzip sind nur die abgetragenen Baracken im Hauptlager durch Fundamentstreifen und eine Schotterung kenntlich gemacht, alles andere ist zumindest oberflächlich unsichtbar. Wenn man jedoch mit offenen Augen durch die Außenbereiche der Gedenkstätte geht, werden andere Teile des Lagers wieder sichtbar. An zwei Beispielen sei dies erläutert: Das Sanitätslager bzw. Russenlager, welches 1941 und 1942 gebaut wurde, umfasste ursprünglich zehn Häftlingsbaracken, eine Küchenbaracke und eine Sanitätsbaracke. Nicht zuletzt wegen drohender Seuchengefahr gehörte es zu den Bereichen, die nach der Befreiung frühzeitig abgebrannt bzw. abgetragen wurden. Allerdings verblieben die steinernen Fundamente im Boden, an etlichen Stellen erkennt man zwischen dem Rasen auch Betonfundamente und man kann recht gut mit geübtem Blick die Barackengrundrisse ausmachen. Zusätzliche Hinweise geben auch Bewuchsmerkmale, gewisse Pflanzen wachsen 2 Vgl. ebd. sowie Perz, Bertrand: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart, Wien 2006, S. 61-118. Unsichtbarkeilen mehrheitlich auf den Fundamenten und weniger in den Innenflächen der Baracken. Die Überreste der Baracken sind also noch direkt unter der Oberfläche erhalten. Blick auf das Sanitäts Iager, durch Bewuchsmerkmale kann man links die Lage der Küchenbaracke und rechts eine Ringstraße im Eingangsbereich erkennen. Foto: Claudia Theune Das zweite Beispiel betrifft das ehemalige Zeltlager. Für die Errichtung der Zelte auf einer einigermaßen ebenen Fläche mussten die Häftlinge zunächst das Gelände terrassieren . Diese Terrassierung prägt bis heute das Areal, wodurch die einzelnen Standorte der großen Zelte schnell erfassbar sind. Auch auf dem landwirtschaftlich genutzten Feld, wo sich die Erweiterung des Lagers 3 befand, werden immer wieder Relikte hochgepflügt, die bezeugen, dass dieses Feld ehemals zum Konzentrationslager gehörte . Wer sich also die Mühe macht und nach Spuren und Relikten sucht, die erst auf den zweiten oder dritten Blick sichtbar werden, wird diese Spuren auch finden. Während, wie oben geschildert, bei der ersten Konzeption des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen als Gedenkstätte sich das 203 204 Claudia Theune Erinnern der Überlebenden vornehmlich auf den zentralen Bereich de Appellplatzes konzentrierte, versucht man bei heutigen Gedenkstät tenplanungen generell das gesamte Ausmaß der ehemaligen Lager ein zubeziehen, um den Besucherl-innen das komplexe Konzentrationsla gersystem umfassend erläutern zu können. Dies steht sicherlich auc mit veränderten Besucherf-innengruppen in Zusammenhang; nicht di Überlebenden, die die Größe der Lager noch aus eigenem Erleben kann ten und ihre Angehörigen machen den Großteil der Besucherl-innen aus sondern Schulklassen, junge Erwachsene, historisch Interessierte sowi Tourist/-innen. Diese Gruppen benötigen andere Informationen, als di Besucherl-innen in den 1950er- bis 1980er-Jahren - dazu gehören auc Erläuterungen zu den heute unsichtbaren Teilen der ehemaligen Konzen trationslager. So sind vorrangige Ziele, zu denen die Archäologie einge setzt wird, die weitgehende Erfassung und die Sichtbarmachung etliche Aspekte der Lager selbst.3 In der Archäologie gibt es ein vielfältiges Methodenspektrum um anhand der materiellen Hinterlassenschaften Erkenntnisse zu Geschichte der Menschen zu erlangen. Grundsätzlich zu unterscheide sind sogenannte nichtinvasive und invasive Maßnahmen. Im ersten Fal erlauben verschiedene Prospektionsmethoden einen Einblick unter di Erdoberfläche ohne einen direkten Bodeneingriff. Im zweiten Fall wer den durch Ausgrabungen die verborgenen Spuren freigelegt, detaillier dokumentiert und zudem die Funde in ihrem ehemaligen Kontext erfasst Aufgrund der Größe der Lager kann man zwar großflächig prospektieren jedoch in der Regel nur kleinere Areale archäologisch ausgraben. 3 Die folgenden Beispiele beziehen sich auf archäologische Projekte, die von de Autorin selbst geleitet und durchgeführt worden sind, die bauarchäologische Untersuchungen unternahm Paul Mitchell. Ich nenne daher hier Fachliteratur in der weiterführende oder auch detailliertere Informationen zu finden sind Theune, Claudia: Archäologie an Tatorten des 20. Jahrhunderts. Archäologie i Deutschland, Stuttgart 2014; Theune, Claudia: >>Archaeological research in forme concentration camps<< , in: Natascha Mehler (Hg.), Historical Archaeology in Cen tral Europe. Society of Historical Archaeology Special Publications, Rockville 2013 S. 241-260; Theune, Claudia: >>Archäologische Relikte und Spuren von Tätern un Opfern im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen<<, in: Mauthausen Memo rial neu gestalten. Tagungsbericht zum 1. Dialogforum Mauthausen 18 .-19. Jun 2009, Wien 2010, S. 33-38; Theune, Claudia: >>Zeitschichten. Archäologische Unter suchungen in der Gedenkstätte Mauthausen<<, in: KZ-Gedenkstätte Mauthausen Mauthausen Memorial Forschung - Dokumentation - Information, Wien 2009 S. 25 - 30; Mitchell, Paul: >>Bauarchäologie in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen<< in: Bulletin Mauthausen 1, Mai 2013, S. 47-50. Unsichtbarkeilen Die Auswahl der Grabungsbereiche orientiert sich stets an zuvor formulierten Fragestellungen, wie beispielsweise der Suche nach einem spezifisehen Komplex innerhalb des Lagers, der Analyse von Überlebensstrategien der Häftlinge, einer exakten zeitlichen Bestimmung und Abfolge von bestimmten Bereichen oder auch der bewussten Freilegung von Strukturen, die wieder sichtbar gemacht werden sollen. Die Ergebnisse können in Ausstellungen präsentiert werden, wieder offenliegende Grundrisse zeigen den Besuchenden die Lage, die Größe, den Aufbau oder auch die Innengliederung der Gebäude. Hier ist jedoch zu bedenken, dass freiliegende historische Mauern einer steten Pflege bedürfen, damit diese nicht durch wechselnde Witterung Schaden nehmen. Hilfreich für die Recherchen sind zunächst zeitgenössische Luftbilder, auf denen das gesamte Ausmaß der ehemaligen Lager abgebildet ist. In seltenen Fällen sind Zeichnungen oder Skizzen ehemaliger Häftlinge erhalten, auf denen die Lage der Gebäude verzeichnet ist. Mit diversen Prospektionsmethoden lässt sich Weiteres erkennen. Neben von Satelliten aufgenommenen Luftbildern wurden in den letzten Jahren flächendeckend moderne digitale Geländemodelle erstellt; dabei werden durch eine laserbasierte Fernerkundung feinste Oberflächenstrukturen sichtbar gemacht. Auf diese Weise können kleine regelmäßige Geländeunebenheiten erkannt werden, die z.B. auf ehemalige Gebäude hinweisen. Hinzu kommen geophysikalische Methoden. Hierbei ist es möglich, Mauerstrukturen, Gruben oder andere Einbauten zu sehen, die sich unter der Erdoberfläche befinden. Man unterscheidet zwischen geomagnetischen Verfahren, bei denen durch menschliche Eingriffe verursachte Anomalien des natürlichen Erdmagnetfeldes gemessen werden, und Georadarmessungen, wo die Laufzeit elektromagnetischer Impulse nach einer Reflexion an Schichtgrenzen oder z.B. Gebäudestrukturen ermittelt wird. Erfahrungsgemäß sind Gruben besser durch geomagnetische Messungen und steinerne Einbauten besser durch das Georadar zu erkennen. In Mauthausen wurden beide Methoden angewandt. Als weitere Methode der Prospektion muss noch die Begehung angeführt werden. Bei einem systematischen Kontrollgang über das Areal findet man in der Regel immer Anzeichen der ehemaligen Bebauung, der ehemaligen Nutzung. Erwähnt seien schließlich noch flächendeckende Bohrungen. Die Bohrkerne lassen sich im Hinblick auf die Nutzung des Geländes analysieren. 205 206 Claudia Theune All diese Verfahren können eingesetzt werden, wenn es um die Erfas sung der Dimension und die funktionale Gliederung der Lager geht. E ist allerdings zu berücksichtigen, dass die genannten Methoden nur ei Abbild des letzten Ausbauzustandes widerspiegeln und nicht einzeln Entwicklungsphasen aufzeigen. Erst nach Ausschöpfung der Prospektionsmethoden ist es sinnvol Ausgrabungen durchzuführen. Aufgrund der Größe und Ausdehnun aller nationalsozialistischen Lager, insbesondere gegen Ende des Zweite Weltkrieges, ist es selten möglich, große Flächen zu öffnen. Grundsätz lich sollten nur solche Bereiche für die FreUegungen ausgewählt werden die eine möglichst hohe Informationsdichte zu zuvor formulierten Frage stellungen versprechen. Bei der Ausgrabung von im Boden noch existie renden Befunden ehemaliger Strukturen können etwa durch Überschnei dungen oder Überlagerungen verschiedene Phasen erkannt werden Die Bergung von zahlreichen Objekten und Funden in diesen histori schen Kontexten ermöglicht weitere detaillierte Aussagen über den Ort Archäologische bzw. bauarchäologische Methoden werden auch bei noch aufrechterhaltenen Gebäuden angewandt. Neben der Dokumentation von verschiedenen Bauphasen, etwa durch Baunähte und dem Zumauern ode Aufbrechen von Fenster- oder Türöffnungen, besteht die Möglichkeit, di übereinanderliegenden Anstriche und Putze an den Wänden zu analysie ren und so die verschiedenen Bemalungen und Fassungen wieder sicht bar zu machen. Es besteht also ein breites Repertoire an unterschiedli chen Methoden, um verschiedenste Spuren und Relikte aufzudecken und Unsichtbares in den ehemaligen Konzentrationslagern wieder sichtbar zu machen . All die genannten Prospektionsmethoden sind in Mauthausen ange wandt worden. Auf dem Gelände des Sanitätslagers, des Zeltlagers und der Werkstattbaracken östlich des Hauptlagers wurde der Untergrund geophysikalisch untersucht. Zusätzlich wurden noch Georadarmessungen im Bereich der Gaskammer durchgeführt. Die noch stehenden Gebäude sind systematisch bauarchäologisch erforscht worden. 4 Ausgrabungen fanden im Sanitätslager, im Zeltlager, im Bereich der Werkstätten und auf dem Weg zum Steinbruch statt, zusätzlich werden alle anfallenden Bau- und Restaurierungsmaßnahmen in der Gedenkstätte archäologisch begleitet, dadurch ergeben sich zusätzliche Informationen. Im Folgenden 4 Lediglich die Kommandantur muss noch bau archäologisch erfasst werden. Unsichtbarkeiten werden die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen in Mauthausen vorgestellt. Das Sanitätslager wurde 1941/42 geplant. Nach einem zeichnerischen Entwurf wollte man in zwei Reihen neun große sowie zwei kleine Baracken errichten. Ein großes Küchengebäude sollte im vorderen Bereich und Trockenaborte an den Schmalseiten gebaut werden. Luftbilder und die geophysikalische Prospektion haben gezeigt, dass man von diesen Plänen abgewichen ist. Von den beiden kleinen Baracken wurde nur eine ausgeführt, als san itäre Anlage diente eine längs ausgerichtete Baracke zwischen den beiden Reihen . Die Luftbilder belegen noch Veränderungen kurz vor Kriegsende, im Eingangsbereich erscheint ein kleiner Bau und ein Bereich ist zusätzlich mit einem Zaun abgegrenzt worden, hier waren bei Kriegsende weibliche Häftlinge untergebracht. Die Georadarmessungen erbrachten einen sehr klaren Plan des ehemaligen Sanitätslagers in seinem letzten Ausbaustadium. Die Georadarmessungen lass en sehr klar einen Grundrissplan des Sanitätslagers mit der Inn engliederung der Baracken erkennen. Quelle: ArcheoProspections Eine erste archäologische Ausgrabung fand 2009 im Sanitätslager statt. Ziel der Ausgrabung war es, die Erhaltungsbedingungen der Barackenreste 207 208 Claudia Theune unterhalb der Grasnarbe zu ergründen. Dies war von besonderer Bedeu tung, da nach schriftlichen Dokumenten der Alliierten das Sanitätslage aufgrundvon Seuchengefahr abgebrannt werden sollte. Es galt, dazu Hin weise zu finden. Da die Baracken eine Breite von rund 9,60 m und ein Länge rund 40 m hatten, wurde nur der Kopf einer Baracke mit dem Ein gangshereich geöffnet. Die Holzbaracke stand auf einem Streifenfunda ment aus Bruchsteinen und gemauerten Ziegeln. Der Innenraum selbst war dreigeteilt, wie regelmäßig ausgeführte Stützen belegen. Zusätzlich konnte noch ein Ofenfundament dokumen tiert werden. Besondere Sorgfalt hat der Eingangsbereich erfahren. De Platz vor der Tür war mit Steinplatten gepflastert, die seitlichen Bereiche mit einer Schotterung befestigt. Eine Bohle im Innenbereich kann noch von dem ehemaligen Fußboden stammen. Die hier geborgenen Funde gehören in erster Linie zur Baracke selbst: es sind zahllose Nägel, Scherben von zerbrochenen Glasfenstern Scharniere der Fenster und Türen sowie Schlösser und Riegel. Weitere Funde können den Opfern oder den Täterl-innen zugewiesen werden Zu erwähnen sind persönliche Objekte der Gefangenen, so ein kleines Blech mit einer kyrillischen Inschrift, welches möglicherweise auf einen sowjetischen Soldaten hinweist, der in der Schwarzmeerflotte diente Ebenfalls auf Gefangene aus der sowjetischen und polnischen Armee deuten Knöpfe mit entsprechenden Emblemen und Inschriften hin, weitere Herkunftsländer der Opfer werden durch Feldgeschirre mit korrespondierenden Inschriften sichtbar. Etliche Gürtelschnallen können eventu ell den Gefangenen gehört haben. Des Weiteren seien einige Besteckteile vornehmlich Löffel, genannt. Zahlreiche Schuheisen und wohl auch eine Zigarettenspitze bzw. eine Pfeifenmundstück aus Kunststoff sind woh den Bewacher/-innen zuzuordnen. Interessant ist der Fund eines Taschenmessers und anderer Messerfragmente. Der Besitz eines Taschenmessers war den Häftlingen strengstens verboten, es mag aber auch zur Ausrüstung des Sanitätslagers selbst gehör haben, ebenso ein Schneideaufsatz für eine Haarschneidemaschine. Weitere Funde stammen aus einer größeren Grube dicht neben der Baracke Sie ist scheinbar erst nach dem Krieg angelegt worden, um verschiedene Dinge zu entsorgen. Neben einer Schubkarre fand sich eine große Milchkanne. Auf der Kanne findet sich eine Herstellermarke, die auf die Metallwerke in Laa verweist, wo die Kanne produziert wurde; sie diente im Sanitätslager wahrscheinlich für den Transport der Suppe für die Häftlinge. Unsichtbarkeilen Etliche der Funde waren verschmolzen, insbesondere war dies am Glas zu beobachten. Auch Bereiche der Erdschichten zeigten einen Brandhorizont. Das kann in Zusammenhang mit den oben genannten Berichten gebracht werden. Es mag sein, dass Baracken angezündet worden sind, jedoch waren die Brandspuren insgesamt zu gering, sodass man nicht von einem massiven, das gesamte Sanitätslager betreffenden Feuer sprechen könnte. Bestätigt wird diese Hypothese durch Fotografien vom Sanitätslager kurz nach der Befreiung. Auf den Bildern fehlen zwar einige Baracken, andere stehen aber noch aufrecht, die Einebnung wird nicht in einem Zuge erfolgt sein. Die relativ kleine Ausgrabung im Sanitätslager erbrachte somit etliche Einblicke in die Strukturen dieses Bereiches, sowohl in Bezug auf die Baracken selbst als auch durch die Objekte, die dort von Häftlingen und Bewacher/-innen genutzt wurden. Ein anderer Gefangenenbereich war das Zeltlager. Es wurde erst im Herbst 1944 für ungarische Gefangene errichtet. Ursprünglich war ein großes Zelt für ca. 800 Häftlinge vorgesehen, durch Zeitzeugl-innen ist bekannt, dass sich dort allerdings bis zu 2000 Menschen zusammendrängen mussten. Planen bedeckten nur das Dach und die Seitenwände der Zelte. Nach Auskunft von Überlebenden war der Zeltboden in keiner Weise befestigt. Hier wurde ebenfalls bei der Ausgrabung auf einer der Terrassen nur ein Teil eines Zeltareals untersucht. Zunächst konnte festgestellt werden, dass die Stufen der Terrassen ehemals deutlich steiler waren als heute . Folglich bestand stets die Gefahr, dass von oben Regenwasser in die Zelte hineinlief. Dass dies passierte, konnte durch die Ausgrabung nachgewiesen werden . Am Rande der Zelte waren kleine Drainagegräbchen ausgehoben worden, die das Eindringen des Wassers verhindern sollten. Es konnte dokumentiert werden, dass die Gräbchen mehrfach ausgebessert bzw. gereinigt wurden. Aufgrund der Tatsache, dass die Zelte keinen festen Boden besaßen, war zu erwarten, dass im Erdreich etliche Gegenstände der Häftlinge eingetreten worden waren . Solche persönlichen Objekte fanden sich dann auch; ein Spiegel und eine Schuhsohle lagen dicht beieinander. Andere persönliche Gegenstände der Häftlinge sind Zahnbürsten und Zahnpasta, Kämme, Rasierzeug, fragmentierte Brillen, Lederreste von Schuhen, eine aus fragilen Hohlkugeln bestehende Kette und Medizinröhrchen. Viele der Objekte tragen ungarische Aufschriften bzw. wurden sie von ungarischen Firmen produziert. Die ungarischen Gefangenen haben diese 209 210 Claudia Theune wenigen Habseligkeiten wohl auf ihrem Leidensweg nach Mauthausen mit sich getragen. Wiederum können Schuheisen und eventuell eine Taschenlampe den Bewacher/-innen zugewiesen werden . Die beiden Ausgrabungsareale, in denen Häftlinge gefangen gehalten wurden, haben Einsichten in die Struktur der Gebäude bzw. des Zeltes, und durch die Funde in die Überlebensbedingungen, gegeben. Während im Sanitätslager eine Sanitätsbaracke gebaut wurde und in der festen Holzbaracke noch ein Ofen vorhanden war, der zumindest - wenn die Heizmittel vorhanden waren - eine gewisse Wärme ausstrahlen konnte, gab es im Zeltlager keinerlei Einrichtungen, die in irgendeiner Weise auch nur die Grundbedürfnisse der Gefangenen zum Überleben gestillt hätten . Die Funde von beiden Grabungen sind vergleichbar, es gibt Gegenstände wie die Schuheisen, die die SS-Wachen trugen. Die angeführten persönlichen Objekte können als der wenige Besitz der Opfer angesehen werden . Die unterschiedlichen Inschriften geben Hinweise auf die Herkunftsländer der Häftlinge, im Sanitätslager stammten sie vornehmlich aus Polen und der Sowjetunion, im Zeltlager aus Ungarn. Die Ausgrabungen am Weg zum Steinbruch im Jahr 2010 hatten eine andere Intention. Es sollte eruiert werden, ob dieser Weg aus der NS-Zeit stammt oder jünger ist. Der heutige Weg ist an den Rändern von Gras überwachsen, sodass seine ursprüngliche Breite nicht mehr wahrnehmbar ist. Zudem sind die verlegten Feldsteine sehr unregelmäßig und uneben. Die Grabung hat die tatsächliche Breite des Weges von rund 6 m offensichtlich werden lassen, zusätzlich waren an beiden Seiten Abflussrinnen und Bordsteine. Die langrechteckigen Bruchsteine der Wegpflasterung wurden senkrecht verlegt, darunter befindet sich eine Lage von flachen Steinplatten als Sicherung bzw. Fundamentierung, sodass die Bruchsteine nicht weiter in den Grund einsinken konnten . Eine ähnliche Konstruktion konnte am Appellplatz und vor den Funktionsgebäuden dokumentiert werden. Damit kann der Weg zum Steinbruch direkt mit der Konzentrationslagerzeit in Verbindung gebracht werden. Er ist stabil und breit gebaut, schließlich mussten täglich zahlreiche Häftlinge den Weg vom Lager zum Steinbruch mehrfach bewältigen. Die heutigen Unebenheiten sind auf die lange Zeit, die seit der Anlage des Weges verstrichen ist, zurückzuführen; vor mehr als 70 Jahren war er relativ eben. Inzwischen sind viele Sommer und Winter vergangen und damit war der Weg einer Vielzahl von Witterungseinflüssen ausgesetzt. Zudem sind in dieser Zeit die Wegränder überwachsen. Eine gewisse Pflege sowie die Unsichtbarkeilen Menge der Gedenkstättenbesucherl-innen lassen in der Mitte keinen Grasbewuchs hochkommen. Zum Schluss sei noch auf Beispiele aus der Bauarchäologie hingewiesen, die im Hauptlager an allen noch vorhandenen Gebäuden durchgeführt wurde . Neben Untersuchungen zum Bauablauf der einzelnen Gebäude während der NS-Zeit werden auch Veränderungen der Nachkriegszeit dokumentiert. Wie oben angedeutet, wurde zwar der Grundplan bei den noch erhaltenen Gebäuden nicht oder kaum verändert, jedoch gab es zahlreiche Umgestaltungen, die deutlich das Erscheinungsbild der Bauten beeinflussten. Zunächst ist festzuhalten , dass bis Kriegsende die Häftlingsbaracken mit eng gestellten Bettgestellen, einigen Spinden, Tischen und Stühlen möbliert waren. Die steinernen Bauten auf der anderen Seite des Appellplatzes waren nach Maßgabe ihrer Funktion ausgestattet. Die Nationalsozialisten hatten lediglich kurz vor der Befreiung versucht, die eindeutigen Beweise der Ermordungen in der Gaskammer bzw. den zugehörigen Vorräumen zu vertuschen und haben z.B. die Installationen zur Einführung des Gases in die Gaskammer abmontiert. Nach der Befreiung haben einerseits ehemalige Häftlinge etliches Inventar aus Mauthausen entfernt und in andere geplante Gedenkstätten verbracht, 5 andererseits wurden in der Phase der Einrichtung der Gedenkstätte entsprechend den oben genannten Prämissen auch die verbliebenen Gebäude verändert. In der Kommandantur waren Teile der Verwaltung der neuen Gedenkstätte untergebracht, in dem Krankenreviergebäude wurde eine Ausstellung eingerichtet. Die Häftlingsbaracken waren bis auf wenige symbolisch verbliebene Möbel geleert. Diese Maßnahmen wurden in den Funktionsgebäuden von neuen Anstrichen der Wände begleitet. Weiß oder Gelb waren von nun an die vorherrschenden Farben. Bis zu den bauarchäologischen Maßnahmen war vergessen bzw. nicht bekannt, dass die nationalsozialistischen Farbfassungen noch unter den nachkriegszeitliehen Neuanstrichen erhalten waren. Besonders deutlich ist dies im Bereich der Bordellbaracke (Baracke 1), im Speziellen in den Sexkabinen, in denen die Häftlinge aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück zwangsprostituiert wurden. Bei genauem Hinsehen sind unter der gelben Farbe noch die bunten Bemalungen und streifenartigen Fassungen an den Wänden und an der Decke der Sexkabinen zu erkennen. 5 Vgl. B. Perz: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart, S. 39-42 . 211 212 Claudia Theune t: .. Freigelegte Farbschichten im Lagerbordell (Barack e 1). Foto: Claudia Theune Wenn man die gelbe Farbe abnimmt, treten mehrere alte Bemalunge zutage. Dies bedeutet, dass während der Zeit des Konzentrationslagers d Räumlichkeiten mehrfach ausgemalt und auf diese Weise ansprechen gehalten wurden . Überraschungen haben auch entsprechende Freilegungen im Kra kenreviergebäude ergeben . Während der Umwandlung des Gebäudes ein Museum in den 1960er-Jahren wurden die Wände weiß gestriche und die Fußböden erhielten einen schwarzen Gussasphaltboden. Zusät lich wurden einige Wände entfernt, um Raum für die damalige Ausste lung zu schaffen. Die gegenwärtige Neukonzeption der Gedenkstät definiert den Tag der Befreiung am 5. Mai 1945 als Referenzzustand d Lagers für den behutsamen Rückbau von Baulichkeiten, um auch kon zentrationslagerzeitliche Spuren wieder zu zeigen. Abgetragene Wänd werden durch dunkle Fassungen und Markierungen gekennzeichne Die Entfernung der nachkriegszeitliehen Farben und Putze zeigte, da sich noch die farbigen Fassungen der Krankenzimmer erhalten habe Sie waren in Pastelltönen gehalten und in mehrfarbigen parallelen Linie oder anderen Mustern ausgeführt. Auch der alte Fußboden war in vi len Bereichen noch erhalten, der bräunlich-rote Ton, den man vom Bode Unsichtbarkeiten im Tötungsbereich kennt, findet sich in zahlreichen anderen Räumen. In einem Krankenzimmer wurde die ehemalige Farbgebung wieder hergestellt, sodass die Besucherl-innen heute einen Eindruck von dem ehemaligen Krankenzimmer erhalten können . Ein Band vor dem Zimmer macht allerdings deutlich, dass man sich in einem Museum befindet. Wichtige Erkenntnisse konnten im Tötungsbereich gewonnen werden . Neben der Aufzeichnung der baulichen Relikte und deren Veränderungen sollten auch die noch vorhandenen Spuren der Tötungseinrichtungen dokumentiert werden. Durch die bauarchäologischen Untersuchungen waren zunächst die Standorte der Krematorien und die Spuren einer der Erschießungsstandorte erfasst worden. Zusätzlich erbrachte eine genaue Analyse der Wandfliesen in der Gaskammer, dass die Fliesen hinsichtlich ihrer Farbgebung (unterschiedliches Weiß) und Kantengestaltung (scharfkantig, abgerundet) verschieden sind. Auch die rückseitigen Firmenstempel enthalten Hinweise auf das Alter der Veränderungen. In dem Vorraum, in dem der Apparat zum Einfüllen des Gases installiert war, konnte mithilfe alter Fotografien das Geschehen bzw. die zeitliche Abfolge der Veränderungen belegt werden. Zunächst fiel auf, dass ein Quadrat von vier mal vier Fliesen von den übrigen Fliesen im Raum abwich . Auf einer alten Fotografie, die kurz nach der Befreiung angefertigt wurde, ist zu sehen, dass lediglich drei mal drei Fliesen differieren und in deren Mitte eine runde größere Beschädigung ist. Es ist daraus zu schließen, dass die Nationalsozialisten die Apparatur zum Einfüllen des Gases kurz vor der Befreiung entfernten und dann das Loch mit insgesamt neun Fliesen verschlossen. Den amerikanischen Soldaten, die das Lager befreiten, wurde die Stelle gezeigt und die Fliesen wurden wieder aufgeschlagen. Da die Ränder des Fliesenquadrats beschädigt waren, hat man anschließend nicht nur neun Fliesen erneuert, sondern sechzehn. In der Gaskammer selbst wurden im Lauf der Zeit die vermeintlichen Duschköpfe zum Teil entfernt. Ein weiteres wichtiges Element ist die Ventilation für die Luftreinigung. Da das eingefüllte Gas schwerer als Luft ist, musste es aktiv aus der Gaskammer abgesaugt werden, bevor die SS die Gaskammer nach der Ermordung der Eingeschlossenen wieder betreten konnte; ein Vorgang, der zwei bis drei Stunden dauerte . Der Deckel der Lüftung wurde angehoben und das Gas mittels einer elektrischen Absaugvorrichtung abgesaugt. Heute ist noch erkennbar, dass diese Stelle mit zwei elektrischen Leitungen verbunden ist. In einer Ecke in der Decke der Gaskammer ist die Klappe zu sehen, jedoch waren keinerlei Spuren mehr 213 214 Claudia Theune im Bereich oberhalb bzw. auf der darüberliegenden Gaskammerdecke zu sehen. Bei den Ausgrabungen dort fanden sich über der originalen Decke der Gaskammer drei massive Betonschichten sowie dazwischen einige Schichten Teerpappe, den oberen Abschluss bildeten Waschbetonplatten. In der Gaskammerdecke wurden die Reste des Abluftrohres dokumentiert. Es handelt sich um ein rundes Rohr, welches zu drei Vierteln abgeschnitten wurde, der restliche Teil wurde abgerissen. Anschließend wurden die Ränder nach innen gedrückt. Spuren von einem Stemmeisen und einem Hammer zeigen zudem, mit welchen Werkzeugen gearbeitet wurde. Da das Rohr auf einer Fotografie, die aus der Zeit kurz nach der Befreiung stammt, noch zu sehen ist, muss diese Veränderung in die Nachkriegszeit datiert werden. Es kann vermutet werden, dass das Rohr entfernt und möglicherweise von ehemaligen Häftlingen für andere Ausstellungen oder Sammlungen mitgenommen wurde . Der Fundort mit dem Abluftrohrrest auf der Plattform zwischen Krankenreviergebäude und Arrestgebäude ist heute ein Teil der nun wieder sichtbaren Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen, ebenso wie die darunter liegende Gaskammer, der Gaseinfüllraum und andere Stationen, wo Tötungen stattfanden. Die bisher dargestellten Freilegungen und Sichtbarmachungen betrafen in erster Linie Gebäude oder Installationen von Gebäuden. Es soll aber noch einmal deutlich gemacht werden, dass auch die Funde und Gegenstände in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung sind . Historikerl-innen und Archäologl-innen, die sich mit der jüngeren Geschichte befassen, müssen immer alle zur Verfügung stehenden Quel len für die Analyse heranziehen. Bei dem eben geschilderten Beispiel aus dem Tötungsbereich konnte mithilfe der Bildquellen und der archäologischen Befunde eine schlüssige Argumentationskette dargelegt werden; die Quellengattungen ergänzen sich also . Andere Objekte geben Hinweise auf die Dinge, die den Opfern oder den Täterl-innen im Konzentrationslager zur Verfügung standen. Deutlich ist ein Unterschied zwischen den jeweils verfügbaren Gegenständen erkennbar. Insbesondere Objekte, die die Häftlinge offensichtlich mit wenigen Hilfsmitteln aus einfachen Materialien selbst herstellten, um wenigstens Grundbedürfnisse des Alltags zu erfüllen, lassen den Überlebenswillen und Überlebensstrategien erkennbar werden. Gemeint sind z.B. Löffel, ohne die man keine Nahrung zu sich nehmen kann oder einfachste Schuhe, um die Füße ein wenig zu schützen. Unsichtbarkeilen Selbst gefertigter Schuh aus Lager 3 in Mauthausen. Foto: Judith Benedix Von anderen Fundorten kennen wir noch selbst gefertigte Kämme oder kleine Aufbewahrungsdöschen . Weiters anzuführen sind Markierungen von Objekten mit den Häftlingsnummern, Initialen oder Namen. Einerseits wurde so das wenige Hab und Gut als Eigentum gekennzeichnet, andererseits versuchten die Häftlinge mit der Nennung ihres Namens ihre Persönlichkeit, ihre Identität, zu bewahren und nicht nur als eine Nummer zu gelten. Solche Erkenntnisse sind aus insbesondere durch die Nationalsozialisten überlieferten schriftlichen Quellen kaum zu gewinnen, auch die Berichte von Zeitzeugl-innen erwähnen diese Aspekte nicht. Vor 70 Jahren haben die Alliierten Deutschland, Österreich, die besetzten Gebiete und die Häftlinge in den Konzentrationslagern von den Nationalsozialisten befreit. In den ersten Jahrzehnten danach war das Wissen um die Zeit der 1930er- und 1940er-Jahre noch lebendig, was sich auch in der Gestaltung der frühen Gedenkstätten ausdrückte, in die die Opferverbände eingebunden waren. Die Überlebenden der Konzentrationslager haben zudem in der Vergangenheit wesentlich zur politischen Bildung und der Vermittlung demokratischer Leitlinien und Prinzipien der Toleranz beigetragen, indem sie von ihren Erfahrungen in den Lagern berichteten. Leider gibt es heute kaum noch Überlebende. 215 216 Claudia Theune Inzwischen ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges schon in eine fernere Vergangenheit gerückt. Gedenken, Mahnen und Erinnern sind weiterhin zentrale Aufgaben der Gedenkstätten, jedoch müssen jüngeren Generationen, die keinen direkten Bezug zu dieser Zeit haben, die Hintergründe und Strukturen der nationalsozialistischen Herrschaft und das System der Konzentrations- und Vernichtungslager mit anderen Mitteln und Grundlagen vermittelt werden als noch vor 30 oder 50 Jahren . Archäologischen und materiellen Komplexen und Objekten kommt dabei, neben den anderen historischen Schrift- und Bildquellen, eine bedeutende Rolle zu. Größe und Dimension der Lager können visualisiert werden, das Begehen des gesamten Areals und die Sichtbarmachung der Relikte verdeutlichen die immensen Ausmaße. Die Fundobjekte bieten vielfältige Möglichkeiten, Konzentrationslager - auch haptisch - zu begreifen. Beispielsweise verweisen selbst gefertigte Objekte auf das Leid und den Überlebenswillen der Häftlinge, die Tötungseinrichtungen zeigen die menschenverachtende Gewalt der SS über die Häftlinge; weiteres ließe sich anschließen. Sowohl die Baustrukturen als auch die Funde sind also Spuren und Relikte der Lagerzeit, die ehemals Unsichtbares wieder sichtbar und fassbar machen und damit wesentlich für die Arbeit in den Gedenkstätten und Erinnerungsorten sind. Unsichtbarkeilen Literatur Freund, Florian/Perz, Bertrand: >> Mauthausen - Stammlager<<, in: Wolfgang Benz/ Barbara Distel (Hg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Band 4: Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück, München 2006, S. 293-346. Mitchell, Paul: >> Bauarchäologie in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen<<, in: Bulletin Mauthausen 1, Mai 2013, S. 47-50. Perz, Bertrand: Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen 1945 bis zur Gegenwart, Wien 2006. 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