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Das Fremde Im Selbst – Das Andere Im Selben. Transformationen Der Phänomenologie. Hg. V. Matthias Flatscher Und Sophie Loidolt.würzburg: Königshausen & Neumann 2010.

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INHALT 7 Vorwort Teil I: Inter-Subjektivität DAN ZAHAVI Selbst und Anderer. Die Grenzen des narrativen Verständnisses 17 JAMES DODD Zur Ursprungsfrage der Fremdheit 36 WOLFGANG FASCHING Fremde und eigene Gegenwart. Über Anderheit, Selbst und Zeit 50 SONJA RINOFNER-KREIDL Phänomenologie und Psychoanalyse. Annäherungen und Abgrenzungen 64 MATTHIAS FLATSCHER Sich je schon entzogen. Bemerkungen zu Merleau-Pontys Verständnis von Inter-Subjektivität 83 BRANKO KLUN Der Exzess des Anderen. Zur Phänomenologie der Gebung bei Jean-Luc Marion 113 Teil II: Alterität GERHARD UNTERTHURNER Logiken des Innen und Außen nach Waldenfels. Normalismustheoretische und politische Perspektiven 129 ALFRED DUNSHIRN Sokrates in der Alterität des Logos 146 THOMAS KHURANA Das Gedächtnis des Anderen. Zum Ethos des Gedächtnisses bei Derrida 160 6 KATHRIN BUSCH Enklaven im Selbst. Die Figur der Ent-Aneignung bei Derrida 176 MICHAEL STAUDIGL Das gewalttätige Subjekt. Beitrag zu einer Phänomenologie der Gewalt 189 PASCAL DELHOM Gastlichkeit und Verletzlichkeit 209 PETER ZEILLINGER »eins, zwei, viele …« – oder: Ohne Selbst, aber in Gemeinschaft. Der Einbruch des Anderen-im-Plural bei Levinas 225 Teil III: Politik PETER TRAWNY Die Fremdheit der Philosophie nach Sokrates 251 TOBIAS NIKOLAUS KLASS Der Fremde als meine eigene Frage in Gestalt. Überlegungen zum Fremden als »Feind« im Anschluss an Carl Schmitt 264 SOPHIE LOIDOLT Meine intime Fremdheit für meine intime Politik. Versatzstücke für ein Gespräch 282 SANDRA LEHMANN Der Anachronismus der Entfremdung. Assoziation zu Sophie Loidolt 297 PETER ZEILLINGER Politik der Alterität? – Versuch einer Antwort 305 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 311 Vorwort Der Titel Das Fremde im Selbst – Das Andere im Selben. Transformationen der Phänomenologie markiert mit den Schlagworten Inter-Subjektivität, Alterität und Politik ein komplexes Spannungsfeld, das die Phänomenologie vielfältig herausfordert und zu neuen Anläufen nötigt. Bereits Edmund Husserl ist darum bemüht, das unauflösliche Moment des Alteritären im Blick zu behalten, indem er in den Cartesianischen Meditationen auf die paradoxalen Bedingtheiten einer Erfahrung des Fremden aufmerksam macht und dabei eine stets beschränkte „Zugänglichkeit des original Unzugänglichen“ (Hua I, 144) herausstreicht. Husserl ringt damit, die Uneinholbarkeit des Anderen nicht als bloßes Analogon oder als Spiegelbild des Eigenen zu interpretieren. Ego und alter ego sind niemals einfachhin kongruent, denn um überhaupt von einem Fremden sprechen zu können, darf die Differenz zwischen dem Eigenen und dem Anderen nicht verwischt werden. Das Auftauchen des Anderen ist daher nicht als eine symmetrische Reduplikation des eigenen Selbst zu interpretieren; vielmehr wird das ego mit einer Andersartigkeit konfrontiert, die nicht von ihm ausgeht und die es auch nicht gänzlich einzuholen vermag. Das Andere kann in seiner Andersartigkeit gerade nicht vom Eigenen her verstanden werden, wenn es in seiner Fremdheit berücksichtigt wird: „Wäre das der Fall, wäre das Eigenwesentliche des Anderen in direkter Weise zugänglich, so wäre es bloß Moment meines Eigenwesens, und schließlich er selbst und ich selbst einerlei.“ (Hua I, 139) Die Momente der Irritation, die das Andere und Fremde mit sich bringen, wirken jedoch weit nachhaltiger. Die Erfahrung der Fremd- und Andersheit bleibt nämlich nicht beiläufig, sondern kann verstörende Rückwirkungen auf das eigene Selbstverständnis tätigen. Es geht dabei nicht nur um ein äußerliches Wahrnehmen von Fremdund Andersartigem, das sich in die Reihe diverser Erfahrungen nahtlos einreihen lassen würde, sondern vielmehr um ein Anders- und Fremdwerden der eigenen Erfahrung, welche die Souveränität des Subjekts in einer fundamentalen Weise in Frage stellt. Ein von der Ver-Anderung gezeichnetes und sich selbst fremd werdendes Subjekt kann nicht mehr ungebrochen als maßgebliche Bezugsmitte alles Seienden agieren. Ihm wird das Fundament entzogen, um von einer gesicherten Warte aus die Welt zu überblicken, wodurch alles – und damit auch das Fremde – aus einer schützenden Distanz betrachtet und restlos in seinen Verstehenshorizont eingeordnet wird. Der Verlust der souveränen Verfügungsgewalt greift so tief in das Selbstverständnis des Subjekts ein, dass es sich nun nicht mehr als alleiniger Herr im vermeintlich eigenen Haus wiederfindet. Wenn das Eigene immer schon von Fremdem durchzogen und durchfurcht ist, kann nicht mehr von einer rundum gesicherten und überschaubaren Heimstätte ausgegangen 8 werden. Durch ein Ernstnehmen der Alterität wird es nicht nur zu einer anderen Auffassung des Anderen kommen müssen, sondern auch zu einer fragilen und prekären Konzeption des Selbst und in weiterer Folge zu einer Neu-Artikulation des Um- und Mitweltverhältnisses. Der Anspruch des Anderen lässt sich dabei nicht mehr nur in epistemologische Fragestellungen einordnen, sondern wird weitreichende ethische und politische Konsequenzen nach sich ziehen, die das Verständnis von Intersubjektivität, Mitsein oder Gemeinschaft entscheidend verändern. Von einer philosophiehistorischen Warte aus betrachtet, bricht die Phänomenologie mit der Frage nach dem Anderssein des Anderen mit den Themen der Tradition in einer radikaleren Art, denn hierfür lassen sich – von einzelnen Ausnahmen abgesehen1 – keine expliziten Vorläufer innerhalb der Geistesgeschichte ausmachen. So kann man behaupten, dass das Problemfeld der Alterität erst durch die Phänomenologie dezidiert in den Blick philosophischer Aufmerksamkeit gerückt wurde und die phänomenologische Bewegung auch maßgeblich veränderte. Die Frage nach dem Anderen und dem Fremden wurde innerhalb dieser philosophischen Ausrichtung zwar seit jeher gestellt – erinnert sei, neben den zuvor angeführten Überlegungen Husserls in der V. Cartesianischen Meditation, an die drei umfangreichen Bände zur Intersubjektivität, die eindringlich sein Ringen mit dieser Thematik von 1905 bis 1935 dokumentieren (vgl. Hua XIII-XV) –, schwelte aber zunächst unter der Oberfläche und wurde insbesondere in einer ersten Rezeptionsphase zugunsten gegenstandskonstitutiver Analysen oftmals vernachlässigt; doch die Alteritätsproblematik entpuppte sich immer mehr – und tut dies immer noch – als eine der dringlichsten Herausforderungen des klassischen und nachklassischen phänomenologischen Denkens. Neben Edith Stein, die 1916 ihre Dissertation bei Husserl dem Phänomen der Einfühlung widmete (vgl. Stein 2008), haben sich auch Max Scheler, etwa in seinen Ausführungen zur Sympathie (vgl. Scheler 1973; 1923 publiziert), und Martin Heidegger, in der Herausarbeitung des Mitseins als Existenzial (vgl. Heidegger 1986, 113 ff.; 1927 publiziert), oder Eugen Fink mit seinen Überlegungen zur Koexistenz (vgl. Fink 1987; 1952/53 erstmals als Vorlesung gehalten) in unterschiedlicher Intensität an diesem Themenkomplex abgearbeitet. Mit der Rezeption der Phänomenologie in Frankreich wurden Aspekte der Alteritätserfahrung schließlich radikalisiert. Während Maurice Merleau-Ponty sich noch in einer gewissen Nähe zu Husserl befand (vgl. Merleau-Ponty 1966, 397 ff.; 1945 publiziert), unterstrich Jean-Paul Sartre nachhaltig das Irritationspotential des fremden Blicks und das den Anderen schutzlose Ausgesetztsein (vgl. Sartre 2002, 405 ff.; 1943 publiziert). Die Akzentuierung lag bei der ersten und zweiten Generation von Phänomenologinnen und Phänomenologen einerseits stark auf der Herausforderung, die eine Erfahrung des Fremden an diese philosophische Ausrichtung stellte (Husserl, Stein, Sartre), andererseits auf Überlegungen zu einem neuen Verständnis von Mitsein, mit denen sie dezidiert die Möglichkeiten einer immer schon gemeinschaftlichen Koexistenz auszuloten gedachten (Heidegger, Merleau-Ponty, Fink). 1 László Tengelyi sei für den Hinweis gedankt, dass sich in Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre von 1796 – im Gegensatz etwa zu Hegels Überlegungen zur Anerkennung – die Problematik der Alterität bereits ankündigt (vgl. Honneth 2001). 9 Eine weitere Verschärfung der Thematik erfuhr die Inblicknahme der Alterität bei Emmanuel Levinas und Jacques Derrida, die die Phänomenologie an die Grenzen ihres Selbstverständnisses gebracht haben.2 In Frage gestellt werden im Laufe dieser Radikalisierung die bewährte Herangehensweise und tradierte Terminologie der Phänomenologie, mit der die Alterität beschrieben werden soll, da diese sich als Phänomen gerade zeigt, indem sie sich entzieht. Wäre das Fremde als solches einfachhin phänomenal verortbar, wäre es bereits identifiziert und längst in den Bereich des Eigenen integriert. Doch das Andere meldet sich gerade dadurch, dass es sich gegen Aneignungen verwehrt und jeden Versuch einer Eingemeindung konterkariert. Die „Nicht-Phänomenalität“ des radikal Anderen kann damit nicht mehr als ein Etwas in den Blick genommen werden, da es jede Zuschreibung unterwandert und sich – zumindest im Sinne der klassischen Phänomenologie – als nicht bewältigbar erweist. Das „Erscheinen von Etwas“ befindet sich nicht mehr im Einklang mit dem „Erscheinen für ein erfahrendes Bewusstsein“ und findet sich nicht mehr in einer harmonischen Einheit wieder. So findet hier eine Identität des Vollzuges, welche die intentionale Struktur auszeichnet, nicht mehr zu ihrer angestrebten Versöhnung. Das epistemologische Paradigma der Phänomenologie, das sich vornehmlich auf die intentionalen Akte des Bewusstseins konzentrierte, wird dadurch vor unlösbare Aufgaben gestellt und sukzessive mit ethischen (und in weiterer Folge politischen) Fragestellungen konfrontiert, die nicht mehr mit der klassischen Methodik in den Griff zu bekommen sind. Diese unvorhersehbaren Anforderungen des Alteritären bringen die Phänomenologie an ihre selbst abgesteckten Umgrenzungen und an den Rand ihres Selbstverständnisses. Falls die Phänomenologie dieser Herausforderung nachkommen möchte, wird sie sich tiefgreifenden Revisionen unterziehen müssen. Eine solche findet etwa bei Levinas statt: Dem intentionalen Bewusstsein wird die anvisierte Priorität abgesprochen, und es wird als eigenmächtiger Ausgangspunkt weiterer Überlegungen in Frage gestellt: „Das absolut Andere spiegelt sich nicht im Bewußtsein. Es widersteht dem Bewußtsein so sehr, daß nicht einmal sein Widerstand sich in Bewußtseinsinhalt verwandelt. Die Heimsuchung besteht darin, sogar die Ichbezogenheit des Ich umzustürzen, das Antlitz entwaffnet die Intentionaliät, die es anzielt. Es handelt sich um die Infragestellung des Bewußtseins und nicht um ein Bewußtsein der Infragestellung.“ (Levinas 1983, 223) Während Derrida darauf insistiert, dass das „Rätsel der Einfühlung […] stets die eigentliche Pein der Phänomenologie bleiben wird“ (Derrida 2007, 251) und darin die Selbstaufgabe der Phänomenologie verortet, haben Denker wie Paul Ricœur (vgl. Ricœur 1996; 2006) und Jean-Luc Nancy für eine Rekonzeption der Phänomenologie plädiert, da die Thematik des Mitseins zeigt, „wie die Phänomenologie von sich selbst an ihre Grenze stößt und sie überschreitet“ (Nancy 2004, 99, Anm. 48). Im deutschen Sprachraum war und ist es vor allem Bernhard Waldenfels vorbehalten, sich intensiv einer Phänomenologie des Fremden zu widmen und auf ein Antwortenmüssen auf den 2 Vgl. Das Gesamtwerk von Levinas und Derrida dreht sich um die Thematik der Alterität; stellvertretend können folgende Texte einen Zugang zur Problematik liefern: Levinas 1993 (fr. 1963); 1998 (fr. 1974) und Derrida 1976 (fr. 1967); 2007 (fr. 2000). 10 Anspruch des Anderen einzugehen.3 Für ihn tritt die Frage nach dem Anderen nicht nach der abgeschlossenen Konstitution des Bewusstseins und nicht innerhalb des eigenen Wahrnehmungshorizontes auf, sondern durchzieht das Selbstverständnis des Eigenen, indem es dieses nachhaltig verstört und beunruhigt. Auf diese Usurpation alteritärer Momente im Eignen, die das Selbst immer schon durchfurchen und mitbestimmen, gilt es nachhaltig aufmerksam zu machen, um zu einem anderen Verständnis des Eigenen und Fremden, des Selbst und der Alterität zu kommen. Von dieser Warte aus stellen sich auch die Fragen nach der Intersubjektivität in einer anderen Weise, wenn sich die Rede vom Einbruch des Fremden in diesem Rahmen als missverständlich erweist, da diese Formulierung einen nachträglichen Akt suggeriert, der auch ausbleiben könnte; vielmehr wird dem Problem nachzugehen sein, ob und inwiefern Anderes sich bereits als konstitutiv für die Subjektivität erwiesen haben wird. Das Subjekt fängt somit nicht mehr bei sich an, sondern versteht sich als Antwortendes auf einen je schon ergangenen Anspruch. Dieser kommt jeder Eigeninitiative zuvor und nötigt zu einem Antworten. Das Bewusstsein fungiert in diesem Zusammenhang nicht mehr als Bezugsmitte für alles Erscheinen, sondern wird durch den Anspruch, der nicht auf es selbst zurückgeführt werden kann, in Frage gestellt. Wenn das Andere die Subjektivität in ihrer Grundstruktur betrifft und nicht nachträglich zu einem bereits vollständig konstituierten ego hinzutritt, wird es nicht unwesentlich sein zu untersuchen, wie diesen Einsichten terminologisch nachzukommen versucht wird. Levinas hat diesem Umstand insofern Rechnung getragen, indem er nicht auf ein Ich (Moi) im traditionellen Sinne eines selbstbehauptenden Subjekts zurückgreifen konnte, sondern von einem sich je schon im Anklagefall des Akkusativ befindenden und dem Anderen ausgesetzten Sich (Soi) ausgehen musste. Ein Ausgangspunkt freilich, der nicht als ein Erstes oder als fundamentum inconcussum verstanden werden darf, sondern der einem vor-ursprünglichen Anspruch zu antworten hat, ohne ihn dadurch einholen zu können. Folgerichtig spricht Levinas hier auch nicht mehr von einem Ich oder Selbst, sondern von einer Konzeption der Subjektivität als „intrigue de l’Autre dans le Même“– einer „Verstickung des Anderen im Selben“ (Levinas 1998, 69) – und verzichtet bewusst darauf, noch ein Ich oder ein Selbst im starken Sinne in Anspruch zu nehmen. Terminologische Differenzen gibt es aber auch in der Beschreibung des Alteritären, das nicht mehr als etwas – ganz im Sinne des hermeneutischen Als – identifiziert werden kann, da es nicht nachträglich hereinbricht, sondern stets schon die Subjektivität durchzieht und somit von jeher konstitutiv in die Genese des Subjekts eingegriffen haben wird. Während Levinas dezidiert an den Begriffen l’Autre und l’Autrui festhält, um nachhaltiger das Moment der Alterität zu markieren, insisitiert 3 Neben seiner Tetralogie Studien zur einer Phänomenologie des Fremden (Waldenfels 1997-1999) sind noch seine Studien Der Stachel des Fremden (Waldenfels 1990) und Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden (Waldenfels 2006) hervorzuheben. Waldenfels bestimmt nicht nur maßgeblich den deutschsprachigen Diskurs der Phänomenologie in der Gegenwart mit, sondern seine Überlegungen haben auch innerhalb seiner Schülerschaft eine Reihe von weiteren, durchaus eigenständigen Arbeiten nach sich gezogen. Stellvertretend für viele Veröffentlichungen in diesem Bereich seien hier folgende Sammelbände angeführt: Waldenfels / Därmann (1998), Liebsch (1999), Fischer / Gondek / Liebsch (2001), Därmann / Jamme (2002), Delhom / Hirsch (2005), Busch / Därmann (2007), Busch / Därmann / Kapust (2008). 11 Waldenfels mit Nachdruck auf den Termini „fremd“ – respektive „das Fremde“ – insofern sich dieses nicht mehr als ein Anderes innerhalb der selben Ordnung eingliedern lässt: „Fremdes ist nicht einfach ein Anderes (heteron; aliud), das – wie in Platons Sophistes – durch Abgrenzung vom Selben (tauton; idem) entsteht.“ (Waldenfels 1997, 20 f.) Dieses Fremdartige begegnet nicht mehr als ein (noch) nicht Bekanntes, sondern als Unverständliches, bei dem einem Hören und Sehen vergeht, da kein Halt zur Orientierung mehr gefunden werden kann, da es sich den eigenen Einteilungs- und Zuordnungskategorien entzieht. Welche Konsequenzen aus diesen nicht nur terminologisch zu differenzierenden Ansätzen gezogen werden können, spiegelt sich in der Titelgebung dieses Sammelbandes und auch im Spannungsverhältnis der einzelnen Beiträge wider. Die unterschiedlichen Beiträge beschränken sich aber nicht nur auf Auseinandersetzungen innerhalb der Philosophie, sondern versuchen, vielfache Anschlussstellen an andere Diskurse – mittels psychoanalytischer, ethnologischer, theologischer, kunsttheoretischer, soziologischer oder politikwissenschaftlicher Querverweise – aufzuzeigen. Mit den ständig wachsenden Herausforderungen erweitern sich auch die Themenfelder und die Bezugsautoren. Neben den unterschiedlichen Vertretern der klassischen und nachklassichen Phänomenologie – Husserl, Merleau-Ponty, Levinas, Derrida, Marion, Rancière oder Waldenfels – werden Gesprächspartner aus der Tradition – etwa Platon und Aristoteles –, aber auch aus anderen Kontexten – Freud, Schmitt oder Link – in die Diskussion miteinbezogen. Der vorliegende Band kreist um die Thematiken Inter-Subjektivität (I.), Alterität (II.) und Politik (III.). Die Autorinnen und Autoren des ersten Teils widmen sich dabei vornehmlich der Konstitution der Subjektivität bzw. des Selbstbewusstseins vor dem Hintergrund der Alteritätserfahrung. Dan Zahavi (Kopenhagen) arbeitet in seinem Beitrag die Grenzen von narrativen Konstruktionen für einen grundlegenden Begriff des Selbst heraus und versucht dabei mit Hilfe der Phänomenologie, rezente Fragestellungen der philosophy of mind und der Neurowissenschaften zu diskutieren. Dem Ursprungsproblem der Fremdheit hinsichtlich der je eigenen Sinnleistungen geht James Dodd (New York) nach, indem er das Verhältnis zwischen Husserl und Levinas hinsichtlich der differenten Zugangsweisen auslotet. Wolfgang Fasching (Wien) fragt in seinen Überlegungen nach den temporalen Implikationen im Auftreten des Fremden, um die Differenz zwischen Fremdem und Eigenem nicht allzu voreilig zu verwischen und Einsichten aus fernöstlichen Meditationspraktiken zu berücksichtigen. Eine Engführung der Phänomenologie Husserls mit der Psychoanalyse Freuds verfolgt Sonja RinofnerKreidl (Graz), die dem unterschiedlichen Verständnis von Bewusstsein und Unbewusstem in den beiden Diskursen nachgeht. Matthias Flatscher (Wien) erörtert in seinen Ausführungen Merleau-Pontys Konzeption von leiblicher Subjektivität und intersubjektiver Zwischenleiblichkeit, um sie vor dem Hintergrund der Frage nach dem radikal Anderen kritisch zu durchleuchten. Dem exzessiven Moment der Gebung bei Jean-Luc Marion spürt Branko Klun (Ljubljana) nach, indem er die verschiedenen Wegstationen und Zusammenhänge seines Denkens aufzeigt. Im zweiten Part des Bandes werden Alteritätserfahrungen, deren Überschuss nicht mehr vom Subjekt zu bewältigen ist, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. So zeichnet Gerhard Unterthurner (Wien) nicht nur Waldenfels’ Überlegungen zu Logiken 12 des Innen und Außen nach, sondern versucht darüber hinaus, die Phänomenologie auch mit Fragestellungen aus den Sozial- und Politikwissenschaften zu konfrontieren. Der Beitrag von Alfred Dunshirn (Wien) bespricht das platonische Verständnis des logos als dia-logos und spannt damit den Bogen bis zu aktuellen Überlegungen einer Phänomenologie der Responsivität. Thomas Khurana (Berlin) fragt in seinen Ausführungen nach der zeitlichen Struktur des Gedächtnisses und der Irreversibilität des Vergangenen in seinem Vergangensein. Der komplexen Figur der Ent-An-Eignung bei Derrida geht Kathrin Busch (Stuttgart) – insbesondere unter Berücksichtigung des Phänomens der Trauer – nach. Michael Staudigl (Wien) thematisiert hingegen Aspekte der Gewalt im Zusammenhang mit Fragen der Sinnwerdung und des Sinnverlustes. Ausgehend von Levinas setzt sich Pascal Delhom (Flensburg) mit dem Phänomen des Gastes auseinander, das in seiner Ambiguität lesbar gemacht wird. Fragen nach dem Anderen im Plural, wie sie Levinas in der Figur des Dritten erörterte, geht Peter Zeillinger (Wien) nach und eröffnet damit Möglichkeiten, dieses Denken der Alterität auch für institutionenpolitische Konzeptionen fruchtbar zu machen. Die Texte des dritten Teiles diskutieren dezidiert die Dimension des Politischen, indem sie zwar von der Phänomenologie ausgehen, sich aber auch über vorgezeichnete Grenzen hinaus neuen Herausforderungen stellen. Peter Trawny (Wuppertal) widmet sich in seinen Ausführungen der politischen Philosophie und deren Wurzeln bei den Griechen, indem er Konsequenzen aus der Sokratischen Lebensform für rezente Fragestellungen zieht. Überlegungen, wie das politische Freund-Feind-Schema im Sinne Schmitts unterwandert werden kann, geht Tobias Klass (Wuppertal) in seinem Beitrag nach. Der experimentelle Abschluss des Bandes ist einer Diskussion geschuldet, die seit einigen Jahren in Wien verfolgt wird und das stets freundschaftliche, aber auch lebendige und diskussionsfreudige Klima sowie das offene Ende des Bandes widerspiegelt. Einer kritischen Betrachtung unterzieht Sophie Loidolt (Wien) den Alteritätsdiskurs, indem sie den politischen Implikationen für ein phänomenologisches Denken nachgeht. Darauf antwortend äußert Sandra Lehmann (Jersualem / Wien) ihre Vorbehalte gegen die politische Wirkmächtigkeit. In einer abschließenden Response geht Peter Zeillinger (Wien) auf die Doppelconférence ein und versucht die Stärken der politischen Betrachtungsweise, wie sie Levinas, Derrida oder Nancy forcieren, nachhaltig herauszustreichen. Ein Großteil der Beiträge geht auf die Tagung mit dem gleichnamigen Titel des Bandes zurück, die vom 13. – 15. September 2006 am Institut für Philosophie der Universität Wien stattgefunden hat. Die Aufsätze von Sandra Lehmann, Sophie Loidolt, Alfred Dunshirn und Matthias Flatscher wurden nachträglich in die Kompilation aufgenommen. Allen BeiträgerInnen sei nicht nur dafür gedankt, dass sie uns ihre Ausführungen für die Publikation überlassen haben, sondern auch für die Nachsicht und Geduld bei der verzögerten Herausgabe des Bandes. Der Dank der Herausgeber richtet sich zudem an all jene Institutionen und Personen, die durch ihre finanzielle und persönliche Unterstützung zum Zustandekommen der Tagung sowie zur Publikation des vorliegenden Sammelbandes maßgeblich beigetragen haben. Für die finanzielle Förderung der Tagung danken wir dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, der Kultur- und 13 Wissenschaftsförderung der Stadt Wien (MA 7) und dem Institut für Philosophie der Universität Wien. Darüber hinaus möchten wir uns herzlich bei Frau Gertrud Wachter für die umsichtige Hilfe rund um die Tagungsorganisation und bei Herrn Dr. Peter Zeillinger für die Erstellung des druckfertigen Manuskripts bedanken. Für die finanzielle Unterstützung bei der Drucklegung sind wir der Österreichischen Forschungsgemeinschaft sehr verbunden. Einen großen Dank möchten wir dem Verlag Königshausen & Neumann und den Reihenherausgebern Kyung Cho, Yoshihiro Nitta und Hans Rainer Sepp dafür aussprechen, dass unser Band im Orbis Phaenomenologicus erscheinen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Matthias Flatscher & Sophie Loidolt Literatur Busch, Kathrin / Därmann, Iris (2007) (Hg.): »pathos«. Konturen eines kulturwissenschaftlichen Grundbegriffs. Bielefeld: transcript. Busch, Kathrin / Därmann, Iris / Kapust, Antje (2007) (Hg.): Philosophie der Responsivität. Festschrift für Bernhard Waldenfels. München: Fink. Därmann, Iris / Jamme, Christoph (2002) (Hg.): Fremderfahrung und Repräsentation. Weilerswist: Velbrück. Delhom, Pascal / Hirsch, Alfred (2005) (Hg.): Im Angesicht der Anderen: Lévinas' Philosophie des Politischen. Zürich u. a.: Diaphanes. Derrida, Jacques (1976): „Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas“, in: Die Schrift und die Differenz. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 121-235. 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[Hua XIII] Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. 1921 – 1928. Den Haag: Nijhoff 1973. [Hua XIV] Husserl, Edmund: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. 1929 – 1935. Den Haag: Nijhoff 1973. [Hua XV] Levinas, Emmanuel (1983): Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie. Freiburg / München: Alber. 14 Levinas, Emmanuel (1998): Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. Freiburg / Br.: Alber. Levinas, Emmanuel (21993): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über Exteriorität. Freiburg / München: Alber. Liebsch, Burkhard (1999) (Hg.): Hermeneutik des Selbst – im Zeichen des Anderen. Zur Philosophie Paul Ricœurs. Freiburg / München: Alber. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung. Berlin: de Gruyter 1966. [PW] Nancy, Jean-Luc (2004): Singulär plural sein. Berlin: Diaphanes. Ricœur, Paul (1996): Das Selbst als ein Anderer. München: Fink. 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Waldenfels, Bernhard / Därmann, Iris (1998) (Hg.): Der Anspruch des Anderen. Perspektiven phänomenologischer Ethik. München: Fink 1998.