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Die Anwendungspotenziale Der Strukturierten Konfliktanalyse In Den Internationalen Beziehungen

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Bitte zitieren als: Plank, Friedrich/ Henneberg, Ingo (2014): Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den Internationalen Beziehungen. In: Bock, Andreas M./ Henneberg, Ingo (Hrsg.): Iran, die Bombe und das Streben nach Sicherheit. Strukturierte Konfliktanalysen. Baden-Baden: Nomos Verlag. S. 33-44. DOI: 10.5771/9783845249957_33. Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den Internationalen Beziehungen Friedrich Plank/Ingo Henneberg International Relations (IR) cover a wide spectrum ranging from conflicts between states to transnational actors. We argue that a structured analysis of these conflicts thus strongly benefits from a theoretical foundation. Based not only on IR theories but also abstract views of the researcher, a structured study of a conflict identifies the conflict parties, conflict issues and the institutions of conflict management. Illustrating how to work with theories, this article develops a basis for analyzing IR conflicts in a structured manner. Keywords: International Relations (IR), Conflict Analysis, IR-Theory, Theory Friedrich Plank, M.A. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. E-Mail: [email protected] Ingo Henneberg, M.A. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Governance in Mehrebenensystemen an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. E-Mail: [email protected] 1. Einleitung Nachdem im vorherigen Kapitel in die allgemeinen Bedingungen für die wissenschaftliche Analyse von Konflikten eingeführt wurde, wollen wir in diesem Beitrag1 auf die Analyse von Konflikten aus dem Bereich der Internationalen Beziehungen (IB), verstanden als Teildisziplin der Politikwissenschaft, fokussieren. Wir stellen uns die Frage, welche Faktoren bei einer Konfliktanalyse im IB-Bereich besonders relevant sein können und geben Beispiele. Ausdrücklich fassen wir unter den Fokus der IB nicht nur internationale (also zwischenstaatliche) Konflikte, sondern auch alle Formen, insbesondere bewaffneter Konflikte, die zum Gegenstandsbereich ____________________ 1 Beide Autoren haben diesen Text zu gleichen Teilen verfasst. Wir danken Andreas Bock, Axel Heck und Christoph Weller für hilfreiche Anmerkungen. 33 Friedrich Plank/Ingo Henneberg der IB beziehungsweise der (politikwissenschaftlichen) Friedens- und Konfliktforschung zählen. Wichtigster Punkt einer strukturierten Konfliktanalyse – gerade in den IB – ist deren theoretische Grundlage: Die Analyse eines Konflikts mit unterschiedlichen theoretischen „Brillen“ ermöglicht es vielfältige Aspekte eines Konflikts zu sehen und ein möglichst umfassendes Bild zu erstellen. Ein theoretischer Bezug hilft, die einzelnen Konfliktdimensionen zu konkretisieren und zu strukturieren. Auch wenn wir in diesem Artikel häufig Beispiele aus den sogenannten IB-Großtheorien verwenden, sollen Theorien hier ganz allgemein als vom Einzelfall abstrahierende Aussagen über Regelmäßigkeiten der sozialen Welt verstanden werden. Theorie kann vieles sein und daher sind wir der Ansicht, dass es kaum eine Konfliktanalyse ohne theoretische Vorannahmen, gleich welcher Art, geben kann. Denn, auch wenn eine Analyse ihre theoretische Grundlage nicht transparent macht, so geht doch jede/r Analytiker/in mit bestimmten impliziten Vorannahmen an den Forschungsgegenstand, hier den zu untersuchenden Konflikt, heran. Diese Annahmen haben insbesondere bei strukturierten Konfliktanalysen, bezogen auf Internationale Politik, immensen Einfluss, müssen doch im Rahmen der Analyse stetig Entscheidungen über Konfliktparteien, -gegenstand etc. getroffen werden. Eine theoretische Vorentscheidung hilft, die Komplexität einer Konfliktkonstellation zu ordnen und ermöglicht es beispielsweise auch, Hypothesen oder forschungsleitende Fragen zu formulieren. Bei einer Konfliktanalyse steht zunächst die Auswahl einer Betrachtungsperspektive im Vordergrund. Es gibt eben nicht „den einen Konflikt“, sondern verschiedene Interaktionen auf unterschiedlichen analytischen Ebenen. Welcher dieser Konflikte analysiert wird hängt einerseits mit dem Forschungsinteresse, andererseits mit der Quellenlage und der theoretischen Fundierung der Analyse zusammen. Mit welchem Fokus an die zu untersuchende Thematik herangegangen wird ist zunächst völlig offen, beeinflusst aber alle weiteren Schritte. Je nach Vorgehensweise kann eine solche Festlegung an verschiedenen Punkten der Konfliktanalyse erfolgen und daher eine breite Herangehensweise beinhalten. 2. Vorbemerkung: Theorie als Grundbestandteil der strukturierten Konfliktanalyse Der Bezug zu Theorien hat eine entscheidende Wirkung auf das Verstehen eines Konfliktes. Eine Konfliktanalyse profitiert in hohem Maße von der 34 Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den IB Betrachtung aus verschiedenen Blickrichtungen und den damit einhergehenden Bezugspunkten, die ein Gerüst für die strukturierte Untersuchung zu bilden helfen. Neue, innovative und unkonventionelle Sichtweisen werden dann auch im Spiel mit unterschiedlichen Theorien erbracht. Aspekte eines Konfliktes können so offengelegt werden, gerade auch wenn eine Theorie für eine vollständige Klärung zunächst wenig geeignet zu sein scheint. Hier können vernachlässigte Aspekte eines Konfliktes aufgespürt werden. Es gibt keine die Welt vollständig erklärende Theorie, aber durch ein Zusammenspiel verschiedener theoretischer Brillen nähert man sich dem Phänomen an. Während einige theoretische Vorannahmen einen komplexen Konflikt strukturell und analytisch vereinfachen, bieten andere eine sehr detaillierte Sichtweise und behandeln so potentiell viele Dimensionen. Eine Konfliktanalyse kann dabei auch aus mehreren Teilanalysen mit jeweils anderen theoretischen Rahmen bestehen, diese prüfen und somit eine Vielzahl von Betrachtungen anführen. Eine reine Theorieolympiade sollte jedoch nicht das Ziel sein. Wichtiger ist der Beitrag eines theoretischen Bezugs der Analyse zur klaren Operationalisierung und Definition wesentlicher Begriffe wie Konfliktpartei, Gewalt oder Institution. Dies gilt insbesondere für den empirischen Teil der Analyse und die Strukturierung des Datenmaterials. Insbesondere ein Vergleich von Konfliktanalysen mit unterschiedlichen Brillen kann sehr fruchtbar für das Verstehen eines Konfliktes sein. Dieser Vergleich muss dabei nicht zwingend in einer Analyse erfolgen, sondern kann sich aus weiteren Untersuchungen speisen. Inwieweit eine Analyse mit mehreren Brillen aufwarten sollte, ist dabei dem Forschenden überlassen. Nach diesen Vorbemerkungen wollen wir nun anhand der eingeführten Konfliktmerkmale (oder conflictitems) wichtige weitere Fragen und Probleme für die Analyse von Konflikten im Bereich der IB diskutieren und Anregungen geben.2 Wir fokussieren dabei auf dezidierte IB-Frage-stellungen und Beispiele und zeigen besondere Herausforderungen in diesem Bereich auf. ____________________ 2 Häufig umstritten ist die Frage, inwieweit die „Konfliktgeschichte“ in die Konfliktanalyse miteinbezogen werden soll. Während teils für einen Einbezug plädiert wird (Wehr 1979, 18–22; Ramsbotham, Woodhouse und Miall 2011, 90), kann eine zu weite und detaillierte Rückschau auf vorangegangene Konfliktinteraktionen jedoch auch den Blick auf das Wesentliche trüben. Hier gilt es also stets abzuwägen. Eine kurze Darstellung des Konflikts scheint uns im Sinne der wissenschaftlichen Nachvollziehbarkeit jedoch notwendig. 35 Friedrich Plank/Ingo Henneberg 3. Konfliktparteien Wie im Beitrag von Christoph Weller ausgeführt, ist die Bestimmung der relevanten Konfliktparteien, gerade auch aufgrund ihrer Wandelbarkeit, nicht einfach. Theorien können durch ihren besonderen Blickwinkel dabei helfen, die Konfliktparteien analytisch zu strukturieren. Zwar sind Theorien grundsätzlich wandel- und auf unterschiedliche Analyseebenen übertragbar, hierbei müssen jedoch stets die Grundannahmen der jeweiligen Theorie eingehalten werden. Soll zum Beispiel eine Konfliktanalyse mit sicherheitspolitischem Fokus aus theoretischer Basis des Neo-Realismus erfolgen, so sind die zu analysierenden Konfliktparteien theoretisch vorgegeben, theorie-immanent können dies nur Staaten bzw. staatsgleiche Akteure (hier ist die Staatsdefinition wichtig) sein, da der Neorealismus a) auf Staaten als Akteure der IB fokussiert und b) die Akteursqualität von Internationalen Organisationen (IOs) und auch internationaler Nichtregierungsorganisationen (INGOs) verneint. Eine Übertragung neorealistischer Theorieannahmen auf die substaatliche Ebene ist zwar grundsätzlich möglich, wenn z.B.in einem Bürgerkrieg für die units Staaten kollektive Akteure wie Regierung und Rebellengruppe eingesetzt werden, dies ist aber nur dann zulässig, wenn die Grundannahme der Anarchie nachvollziehbar übertragbar scheint. Daher wäre eine Übertragung auf ein Bürgerkriegsgeschehen in einem zerfallenen Staat zulässig, auf ein „funktionierendes“ staatliches System unzulässig. Häufig kann es zudem hilfreich sein, mit Idealtypen (Weber 1968, 190) zu arbeiten um so die Analyse zu vereinfachen. Im Falle des iranischen Atomprogramms können beispielsweise Staaten, die weitestgehend ähnliche Einschätzungen der iranischen Atompolitik sowie grundsätzliche Werte und Interessen teilen, zu Staatengruppen/Konfliktparteien zusammengefasst werden, man würde hier vielleicht von den NATOStaaten oder auch vom „Westen“ sprechen. Doch Vorsicht, während die erste Beschreibung analytisch unproblematisch wäre, benötigte Letztere zwingend eine Eingrenzung und nähere Definition. Weiterhin gilt es kritisch zu reflektieren, welcher Verlust an Trennschärfe mit solchen Vereinfachungen einhergeht. 36 Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den IB 4. Konfliktgegenstand/typ/typologie Im vorherigen Beitrag wurden die Konflikttypologie, bestehend aus Herrschafts-, Interessen-, Identitätsund Wertekonflikte, eingeführt.3 Wozu ist eine solche Typologiesierung sinnvoll? Typologiesierungen sind Teil der Theoriebildung, denn sie abstrahieren vom Einzelfall und ermöglichen es so, Konflikte miteinander vergleichbar zu machen. Theorien stellen aufgrund des Kontextes ihrer Entstehung und dem Zweck für den sie maßgeblich geschaffen wurden, nicht nur bestimmte Arten von Konfliktgegenständen in den Vordergrund, sondern prägen die gesamte Beobachtung des Konflikts. So könnte man mit einigem Recht behaupten, dass neorealistisch geprägte Analysen aufgrund ihrer theoretischen Prämissen Interessenkonflikte in den Vordergrund rücken und Konflikte allgemein aus einer Machtperspektive untersuchen. Auf der anderen Seite wäre diese Perspektive blind für bestimmte unter der Oberfläche liegende Konfliktaspekte, die sich beispielsweise aus fehlender Anerkennung, Wahrnehmung oder bestimmten Identitätsmustern ergeben würden. Im Kontrast dazu neigen konstruktivistische Analysen vielleicht dazu, verstärkt auf diese Faktoren zu fokussieren und Verständigungsprobleme zu sehen, wo vielleicht rein interessengeleitete Machtpolitik am Werk ist. Eine wesentliche Frage stellt die Teilbarkeit des Konfliktgegenstands dar, diese kann je nach Interessenlage der Konfliktparteien höchst unterschiedlich ausfallen. Bei den meisten Konflikten handelte es sich um teilbare Güter im Sinne eines „Mehr-oder-Weniger“ und weniger im Sinne eines „Entweder-Oder“. Unteilbare Konflikte werden häufig rigoroser geführt und sind daher oftmals schwerer zu bearbeiten. Denken Sie an ein Fahrrad: Dessen physischer Besitz ist unteilbar, da es anders als ein Kuchen durch Zerteilung unbrauchbar wird; leicht teilbar ist hingegen die Nutzung des Fahrrads. Ein Konflikt um die Nutzung ist daher anders als der Streit um den Besitz leichter zu bearbeiten. Eine besondere Herausforderung kann sich schließlich daraus ergeben, dass Konfliktgegenstände oftmals mehrdimensional und amorph sind und sich nur schwer in eine klare Typologisierung pressen lassen. Letztlich stehen WissenschaftlerInnen hier wieder vor der Frage, wie grob oder fein die theoretische Karte sein soll. Beides, eine zu feine wie eine zu grobe Karte, lässt uns das Ziel nur schwer finden. Es kommt auf eine abgewogene und am Fall orientierte Lösung an. ____________________ 3 Andere Typologien ergänzen den „Mittelkonflikt“ oder sprechen von ethnischen, territorialen oder religiösen Konflikten. 37 Friedrich Plank/Ingo Henneberg 5. Konfliktaustragungsform(en) Eine wichtige Frage, insbesondere auf internationaler Ebene, ist jeweils, ob der untersuchte Konflikt mit Gewalt ausgetragen4 wird oder nicht. Dies ist keineswegs banal, denken wir daran, dass es unterschiedliche Formen von Gewalt gibt – Gewalt also in jeder Analyse klar definiert werden sollte und höchst unterschiedlich gemessen werden kann. Die Spannweite reicht hierbei von Galtungs „struktureller Gewalt“ (1969) zu quantitativen Kriegs- und Konfliktdefinitionen von UCDP, AKUF oder anderen. Die Gewaltschwelle ist sicher in jedem Konflikt hoch relevant, in den Internationalen Beziehungen hat sie seit Gründung der Vereinten Nationen in Form des allgemeinen Gewaltverbots aus Art. 2 der UN-Charta aber besondere völkerrechtliche Relevanz. Möchte man sich nicht einer Sichtweise anschließen, bei der das Völkerrecht nur rein instrumentellen Wert hat, so wird jede Konfliktanalyse im Bereich der zwischenstaatlichen Konflikte nicht umhin kommen, neben der eigenen wissenschaftlichen Definition von Gewalt, auch jeweils die völkerrechtliche Dimension und Definition mitzudenken. Neben der einfachen Dichotomisierung gewaltsame- nicht-gewaltsame Konfliktaustragung gibt es selbstverständlich eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Konfliktaustragungsformen die es möglichst klar zu benennen gilt. Wichtig ist dabei, die Konfliktaustragungsform nicht von vornherein als negativ zu definieren. Der Grundhaltung, dass Konflikte nicht prinzipiell schlecht sind, folgend können zum Beispiel auch Verhandlungsangebote oder Zugeständnisse Formen der Konfliktaustragung sein. Weitere sind beispielsweise: diplomatische Mittel wie das Einbestellen eines Botschafters, politische Maßnahmen wie Dialogangebote, die Suche nach Verbündeten, wirtschaftliche Anreize oder Sanktionen sowie militärische Drohgebärden unterhalb der Gewaltschwelle wie militärische Übungen; Stationierung von Truppen oder Kriegsschiffen und schließlich (para-)militärische Zwangsmaßnahmen gleich welcher Art. Die gründliche Beschreibung der Konfliktaustragungsform(en) ist die Basis für die Analyse der (nicht-)genutzten Institutionen der Konfliktbearbeitung und ermöglicht, normativ gesprochen, die Auswahl der „richtigen“ Institution zur Bearbeitung des jeweiligen Konflikts. Wird ein internationaler Konflikt beispielsweise überwiegend auf wirtschaftlicher Ebene durch unterschiedliche Arten der Handelsbeschränkungen ausgetragen, so ____________________ 4 38 „Konfliktaustragungsform“ bezeichnet die Art der konfliktiven Interaktionen zwischen den Konfliktparteien. Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den IB ist es naheliegend, nach der Basis des Handelsaustausches zwischen den fraglichen Staaten zu fragen (z.B. bilateraler Handelsvertrag, regionaler Wirtschaftskooperation, WTO). So kann im nächsten Schritt geprüft werden, ob diese Grundlage bereits potentiell wirksame Institutionen der Konfliktbearbeitung bereithalten würde. 6. (Institutionen der) Konfliktbearbeitung Als eine Institution wird im Falle der Konfliktbearbeitung eine Einrichtung oder ganz allgemein ein Handlungsoption bezeichnet, welche von den Parteien zur Konfliktbearbeitung genutzt werden kann. Konfliktbearbeitung meint Verfahren und Prozesse welche dabei helfen sollen, den Konflikt normativ in eine „positive“, also in erster Linie nicht-gewaltsame Richtung zu verändern. Der Begriff „Institution“ ist aus unserer Sicht sehr weit zu verstehen, dies können formale wie informelle Abmachungen aber auch feste Strukturen wie Gerichte, Schiedsinstanzen oder internationale Organisation sein. Sie sind dabei immer Formen beidseitiger Zustimmung. Auf Institutionen einigt man sich, auch wenn etwa die Drittpartei nur den Auftrag erhält die beiden Konfliktparteien so weit wie möglich voneinander zu trennen und Kooperation so gut wie ausgeschlossen wird. Wie im vorherigen Beitrag angedeutet, kann die Untersuchung, welche Institutionen der Konfliktbearbeitung im zu analysierenden Konflikt potentiell zur Verfügung stehen und warum in manchen Fällen offensichtliche Institutionen nicht genutzt werden, sehr aufschlussreich sein. Auch ist eine Fragestellung hilfreich, welche die Wirksamkeit der Institutionen für einen verregelten Konfliktaustrag in den Blick nimmt. Für den normativen Wunsch nach einer konstruktiven Bearbeitung des Konflikts ist es weiterhin sinnvoll, die volle Bandbreite an möglichen, zum Konflikt und den Parteien passenden Institutionen zu untersuchen. 5 Institutionen können aber auch neu geschaffen werden, gerade wenn vorhandene Foren nicht greifen oder als politisch problematisch einzuschätzen sind. Während der Begriff „Konfliktbearbeitung“ im Deutschen verschiedenste Arten umfassen kann, existieren gerade in der angelsächsischen Konfliktforschungstradition vielfältige Strömungen. Die Ansätze gehen dabei auf unterschiedliche Grundannahmen zurück. „Different authors and practitioners use basic concepts and terms in inconsistent ways” (Miall ____________________ 5 Zu einem solchen Test möglicher Institutionen der Konfliktbearbeitung im Rahmen der Analyse eines Politischen Systems siehe Henneberg und Plank (2014). 39 Friedrich Plank/Ingo Henneberg 2004, 2–3). Eine klare Reflektion der eigenen Herangehensweise an Konfliktbearbeitung sollte daher Bestandteil einer strukturierten Konfliktanalyse in den IB, aber auch in anderen Feldern, sein. Es lassen sich drei große Strömungen einer Konfliktbearbeitung identifizieren: Conflict Management, Conflict Resolution und Conflict Transformation. Die Konzepte gehen dabei stark von gewaltvollen Konflikten aus. Dies liegt auch an unterschiedlichen Wortsemantiken. Der englische Begriff conflict hat – anders als der deutsche Konflikt – keine generelle Bedeutung für menschliche Auseinandersetzungen, sondern beinhaltet in der Regel den gewaltsamen Streit. Nicht-gewaltsame Konflikte werden oftmals durch das englische Wort dispute bezeichnet. Dementsprechend beziehen sich die Ansätze stark auf die Beendigung von Gewalt, zusätzlich musste ein positiver Konfliktbegriff – auch in Rückbezug auf Simmels Ansatz des gesellschaftlichen Wandels durch Streit (1908) – erst entwickelt werden. Eine Reflektion dieser Konzepte auch zur eigenen Untersuchung ist ein wichtiger Teil einer strukturierten Konfliktanalyse. Für die theoretischen Annahmen von Conflict Management ist Gewalt dann zunächst auch das Produkt unterschiedlicher Wertvorstellungen und Interessen zwischen Gesellschaften. Sie erwächst dabei aus historischen Beziehungen, bestehenden Institutionen und Machtverhältnissen. Eine Verregelung dieser gewaltsamen Konflikte erscheint unrealistisch, sie sollten vielmehr aktiv eingedämmt, eingehegt und potentiell beherrscht werden (Bercovitch 1995, 1; Miall 2004, 3). Damit einher geht ein konstruktiver Blick auf die Bearbeitung von Konflikten. Das Konzept unterscheidet dabei zwischen Position und Interessen der Akteure. Erstere ist schwierig zu verhandeln, Letztere können durchaus Gegenstand von Verhandlungen und Kompromissen sein. Das Ziel des Konzeptes ist es, outcome-orientierte Strategien zu entwickeln, die kooperative Situationen schaffen, in denen eine Beendigung des (gewaltsamen) Konfliktes für die Parteien sinnvoll erscheint (Bloomfield und Reilly 1998, 18). Die gelingt in erster Linie durch win-win Situationen im Sinne der Spieltheorie. Die rationalen Akteure überwinden die Perzeption eines Nullsummenspiels durch Conflict Management. Eine Integration in die Konfliktbearbeitungsmechanismen erfolgt daher durch Institutionen die durch ein positives Summenresultat integrativ wirken. Dementsprechend fungieren Spiel-theorie und rational choice Ansätze als theoretisches Fundament der Schule (Riemann 2004, 8–9). Potentielle Konfliktbearbeitungsmechanismen sind Verhandlungen, Vermittlungen oder Sanktionen, die oftmals Drittparteien involvieren. Kurzfristig erscheinen vor allem Zwangshandlungen angebracht, langfristig sieht das Konzept auch integrativere For- 40 Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den IB men als sinnvoll an. Das Konzept weist folglich einen negativen Konfliktbegriff auf: Sie sind potentiell problematisch. Vertreter des Ansatzes von Conflict Resolution argumentieren im Gegensatz dazu, dass der machtpolitische Ansatz von Conflict Management die Unteilbarkeit von einigen Konfliktgegenständen vernachlässigt (Miall 2004, 3). Ziel des Konzeptes ist eine Vergegenwärtigung der eigenen Bedürfnisse durch die Konfliktparteien und eine dementsprechende Neuausrichtung der eigenen Positionen und Interessen. Hierbei plädiert das Konzept für eine Unterstützung durch Drittparteien, die kompetent aber auch ohne Zwangsmittel vermitteln. Conflict Resolution beinhaltet alle prozessorientierten Strategien, die darauf abzielen, den Konflikten zugrundeliegende Faktoren zu adressieren. Hiermit sind die strukturellen, ökonomischen und politischen Begleitumstände von Konflikten gemeint, auf einer anderen Ebene adressiert das Konzept auch Formen kultureller Gewalt (Riemann 2004, 9). Langwierige Konflikte werden dementsprechend als Resultate von Prozessen gedeutet, die Basisbedürfnisse wie Sicherheit, Identität oder Teilhabe nicht sicherstellen (etwa Burton 1993). Konflikte gelten als Katalysatoren für sozialen Wandel, wenn sie gewaltlos ausgetragen werden. Dementsprechend zielt das Konzept darauf ab, Gewalt aus der Interaktion zu bannen. Dies erfolgt nicht nur durch Staaten oder mächtige Drittparteien, sondern auch unter Einbezug zivilgesellschaftlicher Akteure. Diese werden kurzfristig inkludiert, um durch informelle und nicht-zwanghafte Maßnahmen Kooperation und Dialog zwischen den Konfliktparteien herzustellen und spill-over-Effekte, also auch Kooperation in anderen Feldern, zu erreichen. Deren Akzeptanz ist dabei entscheidend (Azar und Burton 1986, 1). Werden die Basisbedürfnisse adressiert, können Konflikte erfolgreich bearbeitet werden (Riemann 2004, 10). Insbesondere zwischen den Konzepten Conflict Resolution und Conflict Transformation existiert eine breite wissenschaftliche Debatte. Conflict Transformation unterscheidet sich in erster Linie von den beiden anderen Ansätzen dadurch, dass Konflikte als normales Phänomen und Kernbestandteil gesellschaftlichen Wandels gesehen werden (Miall 2004, 4)). Die Beziehungen, Diskurse und das gesellschaftliche System stehen im Zentrum einer Transformation der Konflikte zu friedlichen Auseinandersetzungen. John Paul Lederach präzisiert das Konzept folgendermaßen: „Conflict transformation is to envision and respond to the ebb and flow of social conflict as life-giving opportunities for creating constructive change processes that reduce violence, increase justice in direct interaction and social structures, and respond to real-life problems in human relationships.” (2003, 14). 41 Friedrich Plank/Ingo Henneberg Das Konzept adressiert demnach auch die tiefer liegenden Konfliktstrukturen und zielt dabei auf eine langfristige Konfliktbearbeitung ab (Dudouet 2006, 4), die mit einem Wandel in den sozialen, politischen und ökonomischen Systemen einer Gesellschaft einhergehen soll (Mitchell 2002, 8). Im Gegensatz zu den beiden anderen Ansätzen, geht Conflict Transformation davon aus, dass alle Akteure gleich wichtig für die Bearbeitung eines Konfliktes sind. Diese stoßen einen Prozess an, der die strukturelle Gewalt der Konfliktumgebung adressiert. Dies erfolgt durch multidimensionale Prozesse, die auch eine weitgehende Analyse des Konfliktes einschließen. Im positiven Friedensbegriff, dem langfristigen Anspruch, dem normativen Grundgedanken und der Beteiligung gleichberechtigter Akteure aus den unteren Ebenen liegen die größten Unterschiede zu den anderen Konzepten. „Transformation both advocates and practices the conception that processes have to take place at all levels, including the very grass roots” (Mitchell 2002, 19). Im Sinne einer Konfliktbearbeitung, die auch die (strukturellen) Hintergründe des zu analysierenden Konfliktes betrachtet, ist Conflict Transformation daher am weitest gehenden. Für die Analyse von Konflikten in den Internationalen Beziehungen weisen die verschiedenen Konzepte natürlicherweise auch Nähe zu den Großtheorien des Feldes auf. Während Conflict Management ähnlich staats- und elitenzentriert wie neorealistische Ansätze ist, scheint Conflict Transformation stark mit konstruktivistischen Sichtweisen verwoben, interessiert sich aber auch für einen Blick in die gesellschaftlichen Prozesse eines Staates. Für eine strukturierte Konfliktanalyse ist es daher hilfreich, die Debatte um die Konzepte einer Konfliktbearbeitung, deren Ebenen und Konfliktbegriffe für die eigene Untersuchung miteinzubeziehen. Hierzu gehört auch die Verbindung der Ansätze mit den eigenen Theorien oder Brillen. Ein staatszentrierter Blick auf einen Konflikt kann kaum eine Konfliktbearbeitung im Sinne einer Conflict Transformation erwägen, umgekehrt sehen ganzheitliche Ansätze von Konfliktbearbeitungsmechanismen über die black box hinaus. 7. Fazit Die Untersuchung eines Konfliktes und dementsprechend die Identifikation wesentlicher Konfliktdimensionen ist also in hohem Maße abhängig von Vorannahmen und unseren abstrahierenden Aussagen über die Welt. Eine strukturierte Konfliktanalyse macht daher theoretische Vorannahmen transparent und involviert Theorien, die klärend hinsichtlich vieler Aspek- 42 Die Anwendungspotenziale der strukturierten Konfliktanalyse in den IB te wirken. Sie helfen, auch durch ihre Determiniertheit, Konfliktparteien zu identifizieren, die Konfliktgegenstände einzugrenzen und Institutionen der Konfliktbearbeitung zu erkennen. Gerade die komplexe Welt der IB, in der etliche Akteure in einem Konflikt interagieren, benötigt diesen klaren Fokus auf eine Konfliktanalyse. Dies ist nicht nur dahingehend sinnvoll, dass der Forschende sich seiner Vorannahmen bewusst ist, also seine eigenen grundsätzlichen Auffassungen über die Welt reflektiert, sondern vor allem auch hinsichtlich einer theoretischen Eingrenzung von Kernbegriffen einer Konfliktanalyse wie Konflikt, Gewalt oder Institution. Dieser Zusammenhang von Theorie und Konfliktmerkmalen wird abschließend noch einmal beispielhaft anhand der vier Großtheorien deutlich gemacht: Großtheorie Conflict-item Mögliche Konfliktparteien Möglicher Konfliktgegenstand/-typ Mögliche Konfliktaustragungsform Neorealismus Liberalismus Institutionalismus Konstruktivismus Staaten Staaten (Analyse: Innerstaatl. Interessengruppen) Interessenkonflikte Staaten, IOs Akteure der Weltgesellschaft Normen & Normverletzung Anreize & Druck im Rahmen interdependenter Regime Internationale Regelwerke & Institutionen; Völkerrecht Conflict Management & Resolution Wahrnehmungs- & Identitätskonflikte Stereotypisierung; Feindbildaufbau; diskursive Legitimation von Gewalt Macht-/ Interessenkonflikte Balancing, bandwagoning Schaffung Dialogforen; von InterdeVerständigungspendenzen; prozesse; ReDemokratisieflektion der eirung genen Position Conflict MaConflict TransMögliches Konnagement & formation fliktbearbeiTransformatungskonzept tion Tab. 1: Beispielhafte Konfliktmerkmale zu IB-Großtheorien (Eigene Darstellung) Mögliche Institutionen der Konfliktbearbeitung Allianzen; Abschreckung; balance of power Conflict Management Einwirkung auf die Innenpolitik des anderen Staates Diese Tabelle soll stark vereinfachend die Gemeinsamkeiten und Unterschiede wichtiger Theorien deutlich machen, die sich selbstverständlich in unterschiedlichste Unterschulen und weiteren Differenzierungen aufteilen lassen. Des Weiteren bietet ein klarer theoretischer Bezug Vorteile in der empirischen Analyse. Er hilft, Fragen, die an das Datenmaterial gestellt werden, zu präzisieren und strukturell zu ordnen. Eine Konfliktanalyse, 43 Friedrich Plank/Ingo Henneberg die nach unserem Verständnis in erster Linie auch eine empirische Untersuchung darstellt, ist in hohem Maße abhängig von den Datenquellen und dem Zugang zu den Gegenständen der Analyse. Wie sich solche Analysen strukturiert und methodisch vielfältig bearbeiten lassen, zeigen die nun folgenden 13 Konfliktanalysen sehr anschaulich. Literatur Azar, Edward E. und John W. Burton. 1986. International Conflict Resolution: Theory and Practice. Boulder: Lynne Rienner. Bercovitch, Jacob. 1995. Introduction: Thinking About Mediation. In: Resolving International Conflicts: The Theory and Practice of Mediation, hg. von Jacob Bercovitch, 1–10. Boulder: Lynne Rienner. Bloomfield, David und Ben Reilly. 1998. The Changing Nature of Conflict and Conflict Management. In: Democracy and deep-rooted conflict: options for negotiators, hg. von Peter Harris und Ben Reilly. Stockholm: International IDEA. Burton, John W. 1993. Conflict: Human Needs Theory. New York: Palgrave Macmillan. Dudouet, Veronique. 2006. Transitions from violence to peace: revisiting analysis and intervention in conflict transformation. Berlin: Berghof-Forschungszentrum für Konstruktive Konfliktbearbeitung. Galtung, Johan. 1969. Violence, Peace, and Peace Research. Journal of Peace Research 6, Nr. 3: 167–191. Henneberg, Ingo und Friedrich Plank. 2014. Conflict management in the constitution of South Sudan (2011). In: Legal Transformation in North Africa and the South Sudan, hg. von Thilo Marauhn und Hatem Elliesie, 117–136. Den Haag: Eleven Int. Publishing. Lederach, John Paul. 2003. The little book of conflict transformation. Intercourse: Good Books. Miall, Hugh. 2004. Conflict Transformation: A Multi-Dimensional Task. In: Transforming ethnopolitical conflict: The Berghof Handbook, hg. von Alex Austin, Martina Fischer, Norbert Ropers und Berghof Forschungszentrum für Konstruktive Konfliktbearbeitung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Mitchell, Christopher. 2002. Beyond Resolution: What Does Conflict Transformation Actually Transform? Peace and Conflict Studies Vol. 9, Nr. Nr. 1: 1–24. Ramsbotham, Oliver, Tom Woodhouse und Hugh Miall. 2011. Contemporary Conflict Resolution. Cambridge: John Wiley & Sons. Riemann, Cordula. 2004. Assessing the State-of-the-Art in Conflict Transformation. In: The Berghof Handbook for Conflict Transformation, hg. von Beatrix Austin, Martina Fischer, und Hans J. Giessmann, 3–20. Berlin: Berghof Foundation for Peace Support. Simmel, Georg. 1908. Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Leipzig: Duncker & Humblot. Weber, Max. 1968. Gesammelte Aufsätze zu Wissenschaftslehre. Hg. von Johannes Winckelmann. Tübingen: Mohr. Wehr, Paul Ernest. 1979. Conflict regulation. Boulder: Westview Press. 44