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Fedor Pellmann (München) DIE NATURAUFFASSUNG DES NOVALIS IN >DIE LEHRLINGE ZU SAIS<1 I. Auf dem Weg zu Novalis und der Natur Novalis legt mit seinem Romanfragment >Die Lehrlinge zu Sais< einen Text vor, der einen nicht nur für damalige Verhältnisse ungewohnten Weg zum Wesen der Natur, sondern auch zu dem des Menschen aufzeigt. Dabei kann es nicht verwundern, dass er in der Forschung eine ebenso grundlegend gewandelte Einschätzung erfahren hat, die von geistesgeschichtlichen bis hin zu strukturalistisch geprägten Analysen geht. Jenseits der germanistischen Interpretation hat er wenig Aufmerksamkeit erhalten, wenngleich die Frühromantik als Ganzes sich prinzipiell eines großen Interesses erfreut. Dies hängt nicht zuletzt mit einer Neubewertung der Romantik zusammen, welche als Vorläufer einer ganzheitlich bzw. postmodernen orientierten Kritik an der Moderne gesehen wird. Im Allgemeinen ist dabei die Forschung von der prämodernen zur postmodernen Betrachtung der Romantik vorgedrungen, wobei aber die Aspekte Dichtung und Leben, d. h. Natur, nicht zusammen betrachtet werden. Gerade aber mit Novalis liegt ein Ansatz vor, der auf Grund bestimmter Bedingungen Dichtung und Leben als eine urtümliche Einheit setzt und damit dem modernen biologischen Verständnis nahekommt und dieses somit vorwegnimmt. Seit den 1970er Jahren haben Francisco Varela und Humberto Maturana beschrieben, wie sich Leben als selbst gestaltender autopoietischer Prozess entwickelt. 2 Die Genetik hat dieser Sichtweise seit den 1990er Jahren viel Wichtiges hinzugefügt. Von der Betrachtung der Phänotypen, also Objekte, losgelöst, gehen die Biologie und Physik zur Innensicht der Welt über. Der Entschlüsselung des genetischen Codes ist zuletzt die Entdeckung subatomarer Strukturen und die Kybernetik gefolgt. Novalis' Naturauffassung lässt sich vor diesem Hintergrund mittlerweile anders verstehen als noch Jahre zuvor im historischen und strukturalistischen Diskurs: Der Text und seine Protagonisten, >Die Lehrlinge zu Sais <, zeichnen in einem textimmanenten Lernprozess den Weg zu einem modernen Lebensverständnis vor. Am Ende des Weges steht Novalis' erweiterte Idee der 1 Augsburg 1992 – überarbeitet München 2014; Anmerkung: Dem Aufsatz liegt die Kernidee einer Hauptseminararbeit zugrunde, die 1992 bei Prof. Dr. Dennis Mahoney entstand. 2 Maturana, Humberto R.: Biology of Cognition. Biological Computer Laboratory Research Report BCL 9.0. Urbana IL. University of Illinois 1970; ders. und Francisco Varela: El árbol del conocimiento. Bases biológicas del entendimiento humano. Santiago de Chile 1984. (Anm.: Diesen Gedanken verdanke ich Georg Jochum aus München.) Universalpoesie. >Die Lehrlinge zu Sais<, welche die Natur suchen, finden diese im Kern der menschlichen Existenz, in der Sprache, und geben dieser zugleich einen existenziellen, absoluten, dichterischen Rang und so nicht zuletzt eine Lesbarkeit. Hermann August Korff hat >Die Lehrlinge zu Sais< noch als »wenig mehr als ein Austausch seltsamer Ansichten über das Wesen der Natur « bezeichnet, die man dank ihrer Bruchstückhaftigkeit nicht begreifen kann. 3 Das Werk ist danach jedoch im Gegenzug durch Juri Striedter 4, gefolgt von Interpreten - wie vor allem von Ulrich Gaier 5 - als sehr wohl verständlich bezeichnet worden. Wenn Striedter noch den kompositorischen Textzusammenhang der >Die Lehrlinge zu Sais< untersucht und ein Dreischrittmodell großenteils nachvollziehbar innovativ dargelegt hat, meinen Gaier und auch Geza von Molnar 6, die einstmalige Unterschätzung der kompositorischen Einheit der Lehr ling durch eine zu gewagte strukturelle Schematisierung des Gefüges wieder wettmachen zu müssen. Nachdem in jüngerer Zeit Ángela García Canelles auf ihre Weise eine >Integrierung der Abschnitte ins Ganze< genau herausarbeitet 7 hat, legt Jürgen Daiber eine weitere tragende Idee zur Konstruktion und zum Verständnis des Textes vor. Er bezeichnet das Bauprinzip von >Die Lehrlinge zu Sais< als Netzwerk, das aus sich bündelnden Reihen besteht, um zu einer Einheit von Innen und Außen, Sprache und Natur zu gelangen . 8 Für eine andere interessante Forschungslinie, die von der historischen Grundlage der Sprachauffassung bei Novalis ausgeht, steht Maximilian Bergengruen, der sich die historischen Grundlagen von Novalis Sprache ansieht. Bergengruen entwickelt die Idee ei ner sprachlich-philosophischen Wechselbedeutung, welche nach und nach im Werk Novalis' hervortritt. Verantwortlich macht er dafür Novalis' Paracelsuslektüre und belegt den Zusammenhang der Gedanken im Text mit einer angeblichen Signaturensuche und Hieroglyphenfrage. Bemerkenswerterweise wird dabei der analytische Schwerpunkt in >Die Lehrlinge zu Sais< auf den Gedanken des Organischen gelegt. 9 Leider bleibt auch Daiber eine 3 Korff, Hermann August: Geist der Goethezeit. Versuch einer ideellen Entwicklung der klassisch-romantischen Literaturgeschichte. Bd. 3, Frühromantik. Berlin 1974. (= Korff, Goethezeit) 4 Striedter, Juri: Die Komposition der »Lehrlinge zu Sais«. Der Deutschunterricht, Jg. 7 (1955), Heft 2, S. 5 - 23. (= Striedter, Komposition) 5 Gaier, Ulrich: Krumme Regel. Novalis' >Konstruktionslehre des schaffenden Geistes< und ihre Tradition. Tübingen 1970. (= Gaier, Krumme Regel) 6 Molnar, Geza von: The Composition of the Novalis' »Die Lehrlinge zu Sais«. A Reevaluation. PMLA 85 (1971), S. 1002 - 1014. (= Molnar, Composition) 7 García Canelles, Ángela: Der Dialog in Novalis' Die Lehrlinge zu Sais, S. 148. Revista de Filología Alemana Bd. 8 (2000), S. 143 - 166. 8 Daiber, Jürgen: Experimentalphysik des Geistes. Novalis und das romantische Experiment. Göttingen 2011, S. 193f. (= Daiber, Experiment) 9 Bergengruen, Maximilian: Signatur, Hieroglyphe, Wechselrepräsentation. Zur Metaphysik der Schrift in Novalis' Lehrlingen, S. 52. Athenäum Bd. 14 (2004), S. 43 - 67. (= Bergengruen, Signatur) Anm.: Letzteres ist es laut durchgehende Spiegelung der inhaltlichen Struktur mit dem Prinzip der romantischen progressiven Kombination schuldig. Viel zu wenige Interpreten wagen einen allgemeinen geistesgeschichtlichen Blick auf die unbewussten Verbindungen und Erkenntnisse des literarischen Textes, wie z. B. John Neubauer mit dem Gedanken der unendlichen Potenzreihe oder Franziska Bomski, indem sie philosophisch -ontologische Erkenntnisse einbeziehen. 10Insofern versteht sich nun diese Arbeit im Wesentlichen als der Versuch, dem nachzukommen. Es muss dem Text letztlich zugestanden werden, - in Anlehnung an den Topos der progressiven Universalpoesie - eine eigene, ihm innewohnende, Variation der inhaltlich-formalen Struktur zu entfalten, indem er sich selbst progressiv konstituiert. Im Grunde verschmelzen dabei die klassischen Literaturbegriffe von Struktur, Erzählinstanz und Inhalt und bilden ein stofflich-logisches zeitenloses Absolutes. Im Einzelnen kann also bei einer Neulektüre von >Die Lehrlinge zu Sais < nicht ausreichend sein, lediglich zuzuordnen, welchem Absatz welche Philosophie angehört, genauso wenig auch einmal gefasste Textstrukturen unnachgiebig zu verfolgen. 11 Vielmehr wird es notwendig, zwar Strukturen, soweit sie vorhanden sind, zu suchen und aufzugreifen, aber im Grunde den Text als seinen eigenen Interpreten sprechen zu lassen. Es ist der Text, der sich intratextuell deutet, nicht der Erzähler und nicht der Interpret, ganz im Sinne einer Dichtung, die sich als universeller Kode und als reale Erscheinung versteht und selbst generiert. Da aber der Text die Welt repräsentiert, deutet Daiber auch, welches sich selbst gestaltend die Lehrlinge im Kern erzählt und interpretiert. 10 Vgl. Neubauer, John: Der Potenzbegriff in der Frühromantik. In: Romantik in Deutschland: Ein interdisziplinäres Symposion. Hrsg. von Richard Brinkmann, Stuttgart 1978, S. 175 – 186 (= Neubauer, Potenzbegriff); Bomski, Franziska: Zwischen Mathematik und Märchen. Die Darstellung des Zufalls und ihre erkenntnistheoretische Funktion bei Novalis, In: Kunst und Wissen, Beziehungen zwischen Ästhetik und Erkenntnistheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. Von Braueisen, Astrid, Stephan Pabst und Achim Vesper. Würzburg 2009, S. 163 - 192. (= Bomski, Mathematik) Anm.: Bomski arbeitet auf historisch -philologischer und naturwissenschaftlicher Basis Novalis' Wechselrepräsentation heraus. Ihr zufolge sind bei Novalis die Dinge sowohl für die Wissenschaften als auch für den Menschen das Ergebnis eines sprachlichen Deutungsprozesses. Der hermeneutische Grund dieses Vorgangs liegt ihr zufolge im Absoluten. Bereits Neubauer hat 1978 gezeigt, welch klaren Strukturen Novalis Gedankengebäude hinsichtlich Sprache und Naturphilosophie folgt. Neubauer weist maßgeblich Novalis' progressive Dichtung und progressive Naturbetrachtung als ein Ergebnis eines kombinatorischen mathematischen Prozesses nach, der durch unendliche Potenzreihen erfolgt. Er weist auch historisch nach, wie Novalis den Gedanken des »Complettirens« mit Schlegel teilt und durch mathematische Studien der Kombinationslehre des damaligen Mathematikers Karl Friedrich Hindenburg aus Leipzig ergänzt. Uerlings (ders., Novalis und die Wissenschaften. Forschungsstand und Perspektiven, S. 1, 7. In: Ders., (Hg.), Novalis und die Wissenschaft, Tübingen 1997, S. 1 - 22. (= Uerlings, Forschung) zeigt zudem, wie sich Novalis ausgehend von Schellings Einheitsgedanken über unendliche Potenzreihenkombinationen aus Zahl, Wert und Potenz zur Kosmologie bewegt. Bomski (dies., Mathematik, S. 163, 176f.) erläutert zuletzt mit den >Fichtestudien< Novalis' Gedanken zur >Arythmetika Universalis< aus dem >Allgemeinen Bouillon< . Natur ist laut Bomskis Analyse ein imaginatorisch spielerischer Kombinationsprozess mathematisch-semiotischer Art in unendlichen Reihen eines sich damit selbst konstruierenden präreflexiven Ichs. 11 Eine verdienstvolle und klare Arbeit hierzu: Takahashi, Yu: Die »geistige Gegenwart« bei Novalis. Diss. Trier 2008. der Text die Welt. II. Die Naturauffassung in >Die Lehrlinge zu Sais<: theoretische Reihung, dialektisches Synthesemodell oder zyklische wechseldeutige Integration Die Gestalt des unvollendeten Textes hat zu Verwirrung und Diskussion geführt. Insbesondere ist es schwer zu bestimmen, ob es sich angesichts der langen Gesprächsteile um Monologe oder Dialoge handelt. Ungelöst blieb bisher die Charakterisierungen der Methode, wie Novalis die beiden Teile des Romanfragments aufeinander bezieht, wie er weiter die einzelnen inhaltlichen und formalen Abschnitte miteinander verbindet oder auch nicht. Viel zur Diskussion der Form hat sicherlich auch ein unklarer und sich teilweise widersprechender und polymorpher Inhalt beigetragen. Zumindest nimmt man aber insoweit eine gewisse Textsystematik an, was die Bezugnahmen der aufeinander folgenden Paragraphen betrifft. Auf welche Art und Weise dies geschieht, entzieht sich aber eines Konsens. Die Forschung zur Bauart des Textes hat immerhin einen engeren Zusammenhang der beiden Hauptteile >Der Lehrling< und >Die Natur< aufgezeigt. >Der Lehrling< besteht seinerseits aus acht Teilen, die sich einerseits um eine Figur scharen, die als »Lehrer« auftritt. Andererseits gruppieren sich diese acht Teile dann jedoch wieder auch um die »Lehrlinge«. Inhaltlich geht dieses Kapitel allerdings noch in das folgende, >Die Natur <, über, es erstreckt sich nämlich bis hin zum Abschluss des Märchens, wo sich die Lehrlinge zufriedengestellt voneinander verabschieden. 12Danach beginnt der eigentlich zweite Teil des Textes, das >Gespräch der Reisenden<. Hier wird resümierend und kombinierend an Positionen des ersten Teils angeknüpft. Striedter behauptet zu Recht, dass jeder Abschnitt zwar einen eigenen Gedankengang bringt, sich im Ganzen aber ein durchgehender Gedankeng ang zeigt und jeder Abschnitt keine direkte Schlussfolgerung des vorhergehenden darstellt. 13 Derart fällt auch auf: Zwar stellt keiner der Abschnitte stellt eine eigentliche Antithese zum vorangegangenen dar, gleichwohl begreift er vorherige Positionen in s ich. Dieses Modell, das bereits vorangegangene Thesen und »Synthesen« mit jeder weiteren Position wiederum in diese einschließt - zwar nicht durchgehend, aber doch charakteristisch genug – lässt sich als 12 Kreuzer, Ingrid, Novalis: Die Lehrlinge zu Sais, Fragen zur Struktur, Gattung und immanenten Ästhetik, S. 233. In: Jahrbuch der deutschen Schiller Gesellschaft Bd. 23 (1979), S. 276 - 308. (= Kreuzer, Struktur) 13 Striedter, Komposition, S. 262. eine zyklische Integration oder wechseldeutige Inein andersetzung syntheseähnlichen Verfahrens bezeichnen. 14 Zyklisch, weil ab dem Gespräch der Reisenden Ansichten des Lehrlingsteils wieder neu aufgegriffen und verändert werden, zum Teil tatsächlich zu einer Synthese im Lehrer gelangen, integrativ, weil es si ch weitgehend um keine klassisch-dialektische Synthese aus These und Antithese handelt. Vielmehr kommen additiv verschiedene Sätze - in Verwandtschaft zur enzyklopädistischen Methode - zu einem syntheseähnlichen Komplex. Dort gehen diese nicht synthetisch im Neuen auf, sondern finden, Bausteinen ähnlich, darin ihren neuen Platz, indem sie sich, durch die Menschen, aber auch in der gesamten Welt im wechselhaften Zusammenspiel neu deuten. Auf diese Weise weist die Zertrümmerung der einsinnigen Textstruktur un d starren Sprache auch auf einen neuen Kode und ein neues Verständnis der Natur hin. Auf diese Weise werden die Text- und Weltteile direkt und sich ergänzend kombiniert und ergeben schließlich als gesamter Diskurs, aber auch unter zyklischem Verweis auf Zurückliegendes, eine neue Bedeutung. Diese Sprache nähert sich dem >Geheimnis von Sais<, dem menschlichen Leben. Novalis' Kode der Natur von damals ähnelt den Erkenntnissen zur DNA von heute erstaunlich. Die Doppelhelix, das Prinzip des Lebens, komplettiert und baut Stück für Stück das Leben auf. Bisher Gebrauchtes taucht hier an neuen Orten auf, erfüllt eine neue komplexe Funktion und ist oft redundant kodiert. Letztlich zeigt sich die DNA phänotypisch, also äußerlich in lebenden Körpern. Ähnlich verfahren auch die »Lehrlinge« und der »Lehrer« bereits am Anfang des Textes, wenn sie diverse Dinge und Objekte sammeln, ordnen und in einer Komposition mit einer vollkommen neuen Perspektive mit neuer Bedeutung zu einem neuen Ganzen anordnen. Darin finden sich all e Teile in ihrer individuellen Grundform noch vor, machen aber zusammengenommen einen neuen Sinn aus. Es wäre nicht undenkbar, dass Novalis dieses anfängliche inhaltliche Prinzip auf die Textstruktur übertragen hat. Bereits zu Anfang von >Die Lehrlinge zu Sais< wird Natur zum Thema gemacht und 14 Englert, Dorothea (diess.: Literatur als Reflexionsmedium für Individualität. Systemtheoretische Studien zur Funktion des ästhetischen Sinnangebots bei Schiller und Novalis. Frankfurt a. M. 1993, S. 186f., 189ff. [Münchner Studien zur literarischen Kultur in Deutschland Bd. 17. Hrsg. v. von Heydebrand, Renate u.a.] [= Englert, Reflexionsmedium]) hat in Ihrer Dissertation auch einen »zirkulären« Gedanken hervorgehoben, doch setzt sie ihn eher im »wechseldeutigen« Erkenntnisprozess eines abstrakten Willens an, der sich zugleich im Subjekt und in der Natur selbstreferentiell ausdrückt und erkennt. Auch Uerlings (ders, Forschung, S. 12) erwähnt die Zirkulärstruktur in Novalis Denken. Uerlings hat auch unlängst einen geistesgeschichtlichen Sprung von Novalis zur Moderne und Benn u.a. gewagt. (ders., Novalis und die Moderne. Seghers - Hilbig - Benn – Bachmann, S. 18ff. In: BlüthenstaubRezeption und Wirkung des Werkes von Novalis. Hg. von Herbert Uerlings. Tübingen 2000 [Schriften der Internationalen Novalis-Gesellschaft, Bd. 3], S. 7-38. bestimmt. 15 Natur ist etwas, was es zu erkennen gilt. In diesem Zusammenhang deutet der Begriff »Chiffernschrift« darauf hin, dass die Erkenntnis der Natur eine sprachliche Aufgabe ist, in der sich zugleich die prinzipielle Lesbarkeit der Natur offenbart. Sie ist aber den Menschen mittlerweile nicht mehr möglich: ein »Alcahest« 16 hat gleichsam ihre Sinne der eigentümlichen Naturerkenntnis unzugänglich gemacht. Man erkennt, wie das Problem der Naturerkenntnis durch Novalis auf ein Sprachproblem zurückgeführt wird. 17 Der zweite Abschnitt bringt im Gegensatz zum ersten eine Wendung zum Subjektiven . Die gestörte gegenwärtige Beziehung zwischen Natur (Objekt) und Mensch (Subjekt) ist laut Text Folge des »Unverstandes« der Natursprache. Der Mensch »suche« immer, was er eigentlich schon »habe«. Striedter sieht dabei ein Sprachproblem, er schreibt: »Die Sprache löst sich aus der Bindung an die Gegenstände. « 18 Das würde bedeuten, dass sich die ursprüngliche, identische Sprache unmit telbar auf ihre Objekte bezieht, also einen ikonischen Charakter (nach Peirce) hat. Novalis meint hingegen dazu: »Ächte« Sprache spricht jedoch nur für sich selbst. Augenscheinlich trennt Novalis an diesem Punkt die Sprache von ihren Bezugsobjekten und belässt sie beim Wort. Offensichtlich scheinen hier auch zwei Gegensätze aufeinanderzuprallen: Das Zeichen fungiert einerseits als Referent (Objekt) und andererseits als Signifikat (Bedeutung). Unbestreitbar wird deutlich, dass die Verwendung des Begriffs Chiffre und deren genauere Bestimmung auf etwas tiefer Liegendes hinweisen. Die menschliche Sprache hat für Novalis anscheinend eine kodifizierte Beziehung zu einem versteckten Grund, der hinter dem semiotischen Dreieck liegt. An die Stelle der normengeleitet en realen, dinggebundenen Sprache tritt also die Poesie, welche an den versteckten Grund der Sprache anknüpft. Sie ist die neue Kombination der Zeichen, welche als poetische Sprache zugleich die ursprüngliche Sprach- und Naturordnung »entbirgt«. Mit dem dritten Abschnitt erfolgt wieder ein Wechsel zur Welt, dieses Mal aber unter deutlicherer Einbeziehung der Sprache. 19 Letztere wandelt sich laut Text zum »Accord aus des Weltalls Symphonie«. Der einzelne Referent wird dadurch zum Absoluten gesteigert und die Vielfalt der sprachlichen Teile klingt wie ein Orchester zusammen. Darum gibt es an dieser Stelle auch kein konkretes Denotat mehr, die Wörter verlieren 15 HKA I, S. 79. 16 Vgl. Mahoney, Dennis F.: Die Poetisierung der Natur bei Novalis. Beweggründe, Gestaltung, Folgen. Bonn 1980, S. 27. (= Mahoney, Poetisierung) 17 Vgl. Mähl, Hans Joachim: Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen. Heidelberg 1965, S. 355. (= Mähl, Goldenes Zeitalter) 18 Striedter, Komposition, S. 263. 19 HKA I, S. 79. ihre klar begrenzten Bedeutungen. Vielmehr bezeichnet ein Referent potenziell alle anderen, zumindest am Anfang dieses symphonischen, integrativen Prozesses, an dessen Ende - nach der Kombination der Teile - eine sprachlich-semantische Potenzreihe steht. Diese Reihe hat sich aus der reinen absoluten Bezeichnung zu einer neuen Wirklichkeit gewandelt, deren Wesen es ist, eine kollektive, absolute und doch vielgestaltige syntagmatische Reihen-Einheit zu sein. 20 Darum ist diese totale Sprache der Ausdruck dieses umfassenden Lebens, des eigentlichen Wesens der Natur; sie ist »des ewigen Lebens voll«. Sprache und Weltall – ein Pars pro Toto für die Natur - sind nicht nur durch Erkenntnis vermittelt, sondern sie drücken sich wechselseitig aus. Das absolut denotierende Zeichen scheint vorerst zugleich nur eine andere Existenzform der Natur zu sein und umgekehrt. Hat soweit Striedters Analyse noch ausgereicht, den Text zu erklären, so öffnet sich der Text mit den folgenden Abschnitten aber einer erweiterten Struktur. Natur ist bisher als Erkenntnis- und Sprachproblem eingeführt worden. Bis zu dieser Textstelle wurde Natur noch ein Platz zwischen dem Subjekt und einer objektiven Erkenntnis zugewiesen, nun verweist Natur darüber hinaus, nämlich auf das Dreizeitenmodell. Trotz aller subjektiven und quasi semiotischen Ansätze wird im Text Natur noch prinzipiell verstehbar dargestellt. Auf dieses Stadium des Diskurses folgt nun aber ein >Exkurs<, der hinter aller Realität und in der Zeit der Lehrlinge die Trennung von Natur, und Mensch aufzeigt. Er verweist an dieser Stelle lediglich auf verschiedene Ansätze von Naturerkenntnis, welche nach dem Gedanken des Dreizeitenmodells vorgestellt werden. Der folgende Abschnitt 21, der von dem »Lehrer« handelt, beschreibt eine Lösung des Problems, eine kombinatorische Konstruktion der Natur in Reihen. In dem Zustand der Zerstreuung der Teile, die einstmals eine Einheit gebildet haben, werden durch Kontemplation (»sah er zu«) und Nachahmung (»ahmte ihre Züge nach«) Reihen von sich wechselseitig vertretenden Teilen in neuer Bedeutung gebildet. Durch Analogie (»Bekanntes«) erhalten sie durch ein »Gestirn« sowie durch »Gemüth und Gedanken« eine veränderte Bedeutung. In einem Zustand des allgemeinen »Zugleichs« vertritt ein Teil metonymisch den anderen. Progressiv werden dem Text nach neue Länder und das Unbekannte erschlossen. Anstelle des begrifflichen Zeichensystems tritt also ein System ikonischer Zeichen, die der Natur selbst entnommen werden und damit die Verständigung 20 Novalis verwendet den Begriff der Potenzreihe öfters, insbesondere in den >Mathematischen Studien<, wie auch Neubauer gezeigt hat. (Vgl. Neubauer, Potenzbegriff) 21 HKA I, S. 79f. mit ihr gewährleisten. 22 Natur hat sich nun jedoch - im Gegensatz zu vorhin - zum empirischen Erkenntnisobjekt gewandelt, sie wird aber immer noch vom Menschen vermittelt. Am Versuch der Erforschung der Natur, ausgehend von der Schwierigkeit, sie zu verstehen, erkennt man hier ansatzweise, dass das, was als Natur im Text bezeichnet wird, erst neu geschaffen und konstruiert werden muss. Dies erfolgt laut Novalis im Spiel, worin die Objekte der Erkenntnis (Natur) eine Umdeutung erfahren. Im fünften Abschnitt 23 werden drei verschiedene Figuren vorgeführt, die sozusagen Personifikationen der philosophischen Triadik in der Gegenwart bilden. Von einem »Kind« ist die Rede, das noch in der ungeschiedenen Einheit des ursprünglichen Naturverständnisses lebt, weshalb der Lehrer ihm den Naturunterricht übergeben will. Ferner wird ein Diskursteilnehmer beschrieben, dem »glückte nichts«. Weder kann dieser sein verlorengegangenes Naturverständnis durch die Reihenkonstruktionen noch durch einen sogenannten offenen, ungetrübten Blick auf die Natur ausgleichen, der ihm besondere Funde zuführen würde. Er ist allein auf den Zufall angewiesen, der ihn dann aber immerhin dazu führt, den zentralsten Stein in der Reihenkonstruktion der anderen zu setzen. Diese teils empirische, konstruktive Reihenbildung, die aufgrund einer »Analogie zwischen allem Hervorgebrachten «ermöglicht wird 24, ergibt im Text ein sternförmiges Gebilde, von dessen Zentrum >unendliche Reihen< ausgehen. An ihren imaginären Schnittpunkten sind sie aber alle identisch . Die verschiedenen Teile in den Reihen lassen sich beliebig kombinieren, wird im Text erklärt. Das deutet darauf hin, dass die Teile untereinander weder entfremdet noch dissoziiert sind. Als »dritter« schließlich wird der »Lehrer« genannt. Er verkörpert ein vorläufiges Ideal der bewussten Naturauffassung. Für den Lehrling eröffnet sich damit eine »helle Ahndung «. 25 Erinnerung, Vergangenheit und Zukunft überschneiden sich angeblich im Ich, das sich im Text vergegenwärtigt. Denn diesem Lehrling dünken die gesammelten und gereihten Dinge nur »Hüllen« zu sein. 26 Ihn darum >führt alles in ihn selbst zurück<, er sucht hinter den Dingen nach der transzendentalen Bedeutung. Das Ich wird ihm dabei zum konzentrischen Glied des totalen Zusammenhangs. Seine Suche nach den neuen, tieferen Bedeutungen im Text gipfelt im transzendentalen Symbol der »Jungfrau«, 22 Bergengruen (ders., Signatur, S. 54ff.) legt hierzu zwar nur einen theoretisch und historisch ausgerichteten, aber interessanten Gedanken vor. Er interpretiert diese Schrift nicht nur als Ausdruck von Paracelsus Signaturen eines sich offenbarenden Organismus', sondern auch als Reflex der damals herrschende Begeisterung für Hieroglyphen. 23 HKA I, S. 80f. 24 Uerlings, Hardenberg: Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis. Werk und Forschung, Stuttgart 1991, S. 154. (= Uerlings, Hardenberg) 25 HKA I , S. 8 1 . 26 HKA I, S. 81. die ihm zum neuen Schlüssel, und ne uen Zeichen wird. Er erschließt sich damit eine »neue Ordnung «. Unverkennbar wird somit n eben dem wissenschaftlichen und empirischen Forschen des Lehrers die Suche nach dem Absoluten eingeleitet, indem der Lehrling sich zu sich selbst und zu seinem Inneren wendet. Erst das desorientierte, sich selbst suchende menschliche Wesen ermöglicht die Auffindung der verborgenen Bedeutung hinter den Erscheinungen, d. h. hinter dem »Schleier«. Natur wird nicht mehr wie zuvor oberflächlich als Materie begriffen, vielmehr geht es um ihr Wesen, das mit dem menschlichen Inneren verbunden erscheint. So ähnlich hat bereits der Diskurs am Anfang des Textes begonnen, wo Natur als sprachliches Erkenntnisproblem begriffen worden ist. Hier geht es aber um mehr, nämlich allgemein um die Sprache als Mittel, Natur zu erkennen. Die Sprache bezieht sich dabei einerseits auf eine symbolische, andererseits auf eine transzendente ewige Dimension (»Unsterbliche zu werden«). Es werden also mittlerweile mehrere Aspekte kombiniert, womit sich zugleich der Text im weiteren Verlauf für neue Naturkonzeptionen öffnet. Beide bisherigen grundlegenden Positionen, sowohl die empirische Reihenkonstruktion als auch die philosophische Suche nach dem Verborgenen im Ich, haben das Sprachproblem jeweils auf ihre Art und Weise integriert. Die moderne, entfremdete Sprache hat sich die reale Natur zur Aufgabe gesetzt, wobei sie die Natur mit Hilfe der sprachlichen Symbolfunktion abzubilden versucht. Damit vereint die objektive Naturerkenntnis gleichzeitig das Erkenntnis- und Transzendenzproblem. Dennoch ist keiner der verschiedenen Ansätze in dieser »Synthese« völlig aufgegangen, obgleich es den Anschein hat, als wäre die Naturerforschung des Lehrers dank der Kritik des Lehrlings beiseitegelegt. Man kann allerdings, ganz im Gegenteil, jeden Ansatz als variiertes und integriertes Teil im zusammengesetzten neuen ausmachen. Nun aber mündet der Textdiskurs, d. h. der Weg der Erkenntnis, zwar in das Verständnis des Selbst, nicht aber derart, wie Balmes meint, dass der Lehrling versucht, sich selbst in der Natur zu erkennen. 27 Vielmehr treibt es ihn gerade weiter; er will das Verborgene der Erscheinungen »entbergen«. Mit dieser Wendung bewegen sich die Handlung und der Textdiskurs weiter auf dem Weg der Naturerkenntnis. Der suchende Lehrling findet aber letztlich nicht sich, wie es auch in Novalis' Paralipomenon vom Mai 1798 heißt, sondern Rosenblütchen. In der Chiffre Rosenblüthchen entdeckt er die transzendentale symbolische Einheit mit Isis und Natur. Der Zusammenhang von Innen und Außen ermöglicht es dem Lehrling, sein Inneres zu bergen. Striedter resümiert dazu folgendermaßen: Hatte zu Anfang die Bewegung von der Betrachtung der Dinge zur Selbstbetrachtung des Ich und seines Innern geführt, so schwingt sie am Ende - zumindest als Postulat 27 B almes, Hans J ürgen: Ko mmentar, München Wien 1987, S. 117. (= Balmes, Kommentar) und Erwartung - über die Grenzen des individuellen Ich hinaus. 28 Es sind bisher also zwei wesentliche Problemkreise im Text gezogen worden, die unterschiedlichen Figuren und Bewusstseinsstufen zugeordnet werden: die empirisch objektive Naturerkenntnis des Lehrers und die innerlich -persönliche des Lehrlings. Der zyklisch-integrative Verlauf des Diskurses zeigt mittlerweile folgende Merkmale. Die ersten, von einem unpersönlichen chorhaften »Sprecher« gehaltenen Abschnitte bereiten und formen im Allgemeinen vor, was dann mit den konkreten Figuren >Lehrling< und >Lehrer< ausgefüllt wird. In der Figur des Lehrers treten die gegenständliche und die innere Erkenntnis aber schon in eine Wechselbeziehung. Ihm wird die äußerliche Erforschung erst durch die innere Be-deutung (sic!) zum Analogisieren. Natur entsteht unter seinen Händen zu einem Gebilde konzentrierten und neuen Inhalts, den er in der Kombination mit anderen Dingen erhält. Der Lehrling stellt diese Methode in gewisser Weise aber wieder in Frage; er verfolgt einen Weg, der noch weiter nach innen führt, in die Transzendenz der Dinge. Ihm ist des Lehrers Verhältnis zur Natur, also dessen Fremdheit, fremd: Mir wird dann jedes so bekannt, so lieb; und was mir seltsam noch erschien und fremd, wird nun auf einmal wie ein Hausgerät.29 Der Lehrling leidet also unter einer noch weitaus größeren Fremdheit, nämlich unter einer, die das Wesen der Dinge betrifft. Dieses liegt hinter den Dingen. Darum beginnt er, sie zu suchen, und eröffnet dadurch den weiteren Gang der Handlung im Kapitel des Lehrers. Betrachtet man den folgenden großen Teil, so fallen allgemein einige Besonderheiten auf. Für Balmes handelt es sich in dem folgenden Kapitel um die Vervollständigung der »Selbst- und Naturerkenntnis« 30, während Molnar davon spricht, dass man es mit »man's relationship to nature as a development from original unity to estrangement and differentiation« zu tun habe. 31 Striedter sieht dagegen das »Grundthema (...) Verhältnis von Mensch und Natur« fortgesetzt, nur werde jetzt der Natur eine »größere Selbständigkeit« zugesprochen. Letzten Endes hat aber eher Kreuzer recht, wenn sie diesen Teil bis zum Abschluss des Märchens als Fortsetzung des ersten betrachtet. 32 Der Gang der Handlung befindet sich nämlich noch immer bei der Bildung und Diskussion 28 29 30 31 32 Striedter, Komposition, S. 271. HKA I, S. 82. Ebd., S. 107 Molnar, Composition, S. 1005. Kreuzer, Struktur, S. 276 - 308. der Lehrlinge, die nunmehr in eine zweite Phase treten. Allerdings hat es den Anschein, dass die bereits angerissenen inhaltlichen Positionen nun in einem neuen Zyklus unter veränderter Fragestellung wiederaufgenommen und vertieft werden. Im Zentrum stehen dabei nach wie vor die zwei bekannten Themen: erstens die objektiven und zweitens die subjektiven Ansätze zur Naturerkenntnis. Wiederum werden in der Gegenwart des Gesprächs Positionen parallel behandelt, die eig entlich entweder eine vergangene oder eine zukünftige Entwicklung repräsentieren, wodurch erzähltechnisch das große Zugleich der absoluten wiederherzustellenden Identität von Mensch Natur und Zeit erlangt wird. Die Entwicklung der Natur spiegelt sich erneu t in den sprechenden Figuren und wird durch diese getragen. Dieses Reflektieren der Figuren löst sich dann später im Märchen auf, es vereint seinerseits urtümliches und menschlich künstlerisches Sprechen. Im Einzelnen zeigt die Textanalyse aber weitere Ver webungen. Der erste Abschnitt 33 des zweiten großen Teils handelt im Fichteschen Sinne von einer Analyse der Natur, wobei diese und deren Teile dem Ich entgegengesetzt, d .h. objektiviert werden. In dem Teil >Die Lehrlinge< ist die Rede von einem »alte[n] einfache[n] Urzustand«, der dadurch sein Ende gefunden hat, dass die Menschen begonnen haben, sich die Dinge mit Namen bezeichnend »entgegen zu setzen«. Die Naturerkenntnis wird zu einer Erkenntnis des verfremdeten Selbst, ein Umstand, den der Lehrling im Te xt zuvor nur geahnt hat, der nun aber verdeutlicht wird. Das Wesen der Natur liegt, so der Text, demzufolge am ehesten im Schweben oder dem »Flüssigen«. Unschwer fällt darin eine erkenntnistheoretische Dialektik auf. Weder in den »wirklichen Dingen« noch in dem zu imaginierenden »Gegenstand eines unbekannten Sinns « - Positionen, die vorher durch Lehrer und Lehrling vertreten worden sind – liegt laut Novalis die volle Erkenntnis. Aus diesem Grund wird auch die Naturgeschichte zur Menschengeschichte und die Menschengeschichte von der Natur durchdrungen. 34 Novalis schreibt, dass Märchen und Poesie in Zukunft zu wahrhaftigen Ausdrucksformen des verloren gegangenen Urzustandes werden. Dieser Zustand ist den Menschen wohl nach wie vor noch inhärent, er muss laut Text nur wieder neu erreicht werden. 35 Das angesprochene Motiv der Poesie hingegen ist neu. Ihm wird nun das bereits eingeführte Motiv des Forschens gegenübergestellt. Im Text heißt es, Naturforscher und Dichter haben bisher dieselbe 33 HKA I, S. 82 - 84. 34 HKA I, S. 83f. 35 Molnar, Composition, S. 1009. Anm.: Molnar bezeichnet dies an dieser Stelle als »the unity that is the source and the end of all understanding.« Sprache gesprochen. 36 Somit entschlüsselt sich die Natur für ihren Leser als Übersetzer der natürlichen Symbolsprache, wobei die Forscher und Poet angeblich nur unterschiedlich verfahren. Der Forscher geht, heißt es weiter, analytisch und mit dem Verstand vor; doch er sammelt, ordnet und zerstört dabei die Natur. Der Dichter dagegen zersplittert mit Hilfe der Einbildungskraft die Natur und bildet sie neu. Aber er bewahrt poetisch die Natur und erhöht sie in die Sphäre eines unbestimmten Schwebens. In diesem Schweben wird die Natur angeblich versöhnt und der neue identische Zustand wieder herbeiführt, doch bleiben die Gegensätze letztlich unüberbrückt. Es geht in diesem Abschnitt also um die erkenntnistheoretische Begründung des polaren Zeitalters der Entgegensetzung, das durch die Antagonisten von empirischer Wissenschaft und dichterisch sympathetischem Verständnis gekennzeichnet ist. Dabei findet sich hier thematisch ebenso die Problematisierung des Ich wie die Erklärung der im Teil >Die Lehrlinge< festgestellten Trennung zwischen Natur und Ich wieder, indem beide Positionen (Weg nach innen ins Ich, enzyklopädistische Empirie) mit dem triadischen Modell zusammenkommen. Am Ende dieser Ineinandersetzung führt Novalis schließlich das neue Motiv der dichterischen Vermittlung ein. Daraufhin wird ein weiterer Exkurs eingeschoben. 37 Er thematisiert die verschiedenen Verhältnisse des zuvor neu gefassten, aber im Prinzip gestörten Verhältnisses zur Natur. Zuerst kommt eine sehr romantische Naturauffassung zur Sprache, die der grundsätzlichen »Sympathie«38 mit Natur. Darin besitzt das Ich angeblich eine natürliche Tendenz, sich »nach allen Seiten« aus diesem sogenannten sympathetischen »Mittelpunkt« zu verbreiten, indem es »reihenweise die Glieder knüpft«. Das bedeutet, dass die Wahrheit durch den Menschen schon in einer geheimen Verbindung mit der Natur besessen wird, sie liegt in einer natürlichen sympathetischen Anlage. Notwendigerweise führt deshalb »alles Bestreben« nach Wahrheit nur mehr davon weiter weg. Diese Position wird nun von »kindlichen Völkern« ergänzt. Ihnen ist Natur eine universale Religion gewesen. Diesen folgen im Text einfache »fröhliche Herzen«, die Natur als reines Genuss- und Konsumprodukt betrachten. Abschließend werden »sinnigere Seelen«39 genannt. Sie setzen an, die verwilderten Anlagen der Natur zu restituieren: »Allmählich fing ihr Herz (gemeint ist Natur; Anm. d. Verf.) an wieder menschlich sich zu regen.« Natur soll ihren latenten, natürlichen Anlagen gemäß 36 Balmes, Kommentar, S. 111. 37 HKA I, S. 85 - 87. 38 HKA I, S. 85. (auch folgende Zitate) 39 HKA I, S. 86. (auch folgende Zitate) vermenschlicht und gebildet werden, wovon man sich die Rückkehr d es goldenen Zeitalters und die ewige Gegenwart verspricht. Nur Künstler, Dichter und kindliche Menschen, aber auch echte Naturforscher, geschult in langem Umgang, freier künstlicher Betrachtung, kurzum geübten Sinnes, sind fähig, diese Restituierung der Na tur zu leisten. Diese Darstellung entfremdeter Natursucher erstreckt sich in den nächsten Abschnitt 40, wo sich Natur für >Einige< als ein furchterregendes Chaos darstellt. Zwar wird im Text der Natur Geist zugesprochen, dieser ist dem Menschen scheinbar jedoch feindlich gesonnen.41 Diesen Ansatz bauen nun »Muthigere« im Anschluss in ihr klassisch und zugleich aufklärerisch anmutendes Streben ein. 42 In der Unterwerfung und Nutzbarmachung der feindlichen Natur sehen sie den Triumph der menschlichen »Freyheit«. 43 Nicht zuletzt wird mit >Freiheit< ein entscheidendes neues Motiv angesprochen und mit den vorherigen kombiniert. Als nächstes plädieren »Mehrere« für Wiederherstellung des Urzustandes von Mensch und Natur, indem sie einen Weg nach innen vorschlagen. 44 Erst die Einführung des Gedankens einer umfassenden innerlichen Beziehung aller natürlichen Dinge und erkennenden Wesen, also die Sympathie, ermöglicht es an dieser Stelle, mehrerer Aspekte ineinander zu setzen. So wird auch das vorangegangene Motiv der Freihei t aufgegriffen und und nun vertieft. 45 Freiheit herrscht, den Sprechern zufolge, wo die Möglichkeit zu intellektualer Erkenntnis existiert. 46 Diesem philosophischen und abstrakten Weg der Entgrenzung gesellen sich allerdings das bereits eingeführte Sprachmot iv (»große Schrift«) und der Weg nach innen bei. So entsteht schließlich ein wechselseitig sich repräsentierendes Zeichen- und Interpretationsschema von Innen und Außen, das die existenziellen Grenzen hinter sich lässt. Auf diese Weise wird auch der Umgang mit Natur nun zu einem sorglos »genießenden«, da Natur das sympathetische Du-Ich und keine unverständliche, gesichtslose Vielfältigkeit diverser, geschiedener Objekte und Gesetzmäßigkeiten bildet. Endgültig hat sich nun im menschlichen Inneren der wahre S inn erschlossen, Natur gerät zum sprachlichen Abbild der inneren Welt und nicht umgekehrt. Durch die dem Menschen gegebene Freiheit ordnen sich die verschiedenen 40 HKA I, S. 87. 41 Vgl. Molnar, Composition, S. 1008: Molnar ordnet dieser Position ein urtümlich christlich-jüdisches Denken zu, das in den mittelalterlichen Wandel der Naturauffassung fällt. 42 HKA I, S. 89. 43 Gaier, Krumme Regel, S. 56. 44 HKA I, S. 89f. 45 Gaier, Krumme Regel, S. 57. 46 Balmes, Kommentar, S. 112. Grundverhältnisse zur Natur auch formal nicht mehr in zeitlicher Darlegung, sondern werden simultan in eins gesetzt und integriert. Dies spiegelt demzufolge der Text wider: »Mehrere« sprechen Mehreres gleichzeitig als einen einzelnen Text aus. Insofern haben nun alle scheinbar objektiven Ansätze, also diejenigen welche nicht primär die Ich Problematik reflektieren, im Ich ihre Aufhebung gefunden, indem sie zusammengesetzt worden sind. Angesichts des Aspekts der Identität (Sympathie) der Gegensätze kann nichts ausschließlich als Außen oder Innen bezeichnet werden. Die angestrebte Erkenntnis der Natur ist damit bemerkenswerterweise nicht auf naturwissenschaftliche, sondern auf psychologische und semiotische Weise gelöst. 47 Konsequenterweise bringt nun ein »ernster Mann« auch die ich-bezogenen, subjektiven Ansätze zu einer Verbindung, indem er Natur nur noch als »Abdruck« des Ich begreift.48 Er entwickelt damit eine quasi Fichtesche transzendentale Theorie des Bewusstseins 49, in der die Natur als Produkt der Einbildungskraft des Ich verstanden wird. Diese »Figur der Rückwendung« auf das Ich bedeutet, wie Striedter es formuliert50, dass mit der strukturellen Identität von Mensch und Natur die menschlich sittliche Ordnung auch zugleich die der Natur ist.51 Galt bisher die Suche der Natur, in der das Ich erkannt wurde, so kehrt sich diese Analyse nun um. Das Ich steht im Mittelpunkt, es wird wechseldeutig in der Natur wiedererkannt. Dabei nimmt der Abschnitt den Fokus auf das Ich zum Anlass, den Aspekt der imaginativen Phantasie und moralisch-sittliche Komponenten zu integrieren und zu akzentuieren. Dieser Verbindung stellt er neu das Motiv der anzustrebenden Vernunft bei. Angesichts der bleibenden Widersprüche zwischen Subjekt und Objekt sind in der thematischen Hin-und-Her-Debatte noch ungelöst, und nicht zuletzt auf Grund des dialogischen Vorgehens der Disputanten wird darum der analytische Verstand des, respektive der »Lehrlinge« im Anschluss verwirrt.52 Welt, Natur und Identität erscheinen an dieser Stelle weder empirisch noch rational lösbar. Doch ein »muntrer .Gespiele«53 bringt eine Lösung: er eröffnet den vorläufigen Schlüssel zur 47 Vgl. Englert, Reflexionsmedium, S. 190f.: Englert zeigt klar, wie wenig es Novalis um echte Natur geht, sondern um Modalitäten einer willentlichen Identität. 48 HKA I, S. 90. 49 Vgl. Gaier, Krumme Regel, 5, 60f.: Gaier hält diese Position durch Franz von Baaders (ders.: Beyträge zur Elementar-Physiologie. Hamburg 1797) beeinflusst. 50 Striedter, Komposition, S. 277. 51 Vgl. Englert, Reflexionsmedium, S. 188ff.: Auch Englert zeigt die Dichotomie von Ich und Welt bei Novalis als Entwicklung einer »Moralität«. Sowohl Gaier als auch Englert überakzentuieren den damals durch Kant geläufigen Begriff der Moral. Moral wird vielmehr bei Novalis wie viele andere Begriffe neu kodiert. 52 HKA I, S. 95. 53 HKA I, S. 91. Vgl. Pfaff, Peter; Natur-Poesie. Zu den >Lehrlingen zu Sais< des Novalis. In: Was aber bleibet, stiften die Dichter? Zur Dichter-Theologie de Goethezeit. Hrsg. v. vom Hote, Gerhard, Peter Pfaff und Hermann Natur und zu sich selbst, indem er das Märchen von >Hyazinth und Rosenblütchen< vorträgt.54 Durch die wissenschaftliche Neugier aus dem urtümlichen Harmoniezustand herausgerissen, sucht Hyazinth im Grunde die ganze Zeit eigentlich genau das, was er seit Anfang schon besitzt: Rosenblütchen und die Liebesverbindung mit ihr. Erst Traum und Phantasie eröffnen ihm den Zugang zum Tempel zu Sais, wo er den Schleier lüftet, dabei hinter die empirische Oberfläche der Dinge schaut und Rosenblütchen wiederfindet.55 Damit wird deutlich, dass die emotionale Erkenntnis hinter die Aporie von Objekt und Subjekt zurückreicht. Hyazinth hat sowohl die Einheit mit der Natur als auch mit sich selbst wiederhergestellt. Das Märchen stellt insofern, mit seiner Aussage und mit seiner Form, einen Mittelpunkt und eine Achse des Textes dar. Die »Lehrlinge« gehen daraufhin auseinander. Im Anschluss daran 56, nachdem also alle »Lehrlinge« zufrieden gegangen sind, sprechen sich die verschiedenen Naturdinge selbst aus. H iermit ist die Bildung der »Lehrlinge« abgeschlossen. Es hat sich ihnen, ausgehend von der Frage nach objektiver Erkenntnis, eröffnet, dass Natur auf diese Weise nicht erforschbar ist, und so bestätigen es die Naturdinge nun selbst. Damit fällt das Denken als Traum des Gefühls in dieses zurück. Es endet der erste Versuch, Naturerkenntnis bewusster zu fassen. 57 Nochmals bestätigt sich, dass sich erst mit dem Gefühl das Liebes - und Naturmysterium erschließt und der entfremdete Zustand des Menschen erst durch s ein absolutes Bestreben, nämlich »Gott zu werden«, entstanden ist. Ist die Freiheit im Zustand der Einheit mit Natur also eine a priori »gemeinschaftliche«, die in der Bindung der Gegensätze von menschlichem Subjekt und der vielgestaltigen Natur wurzelt, so zeigt der Gedanke der Freiheit zugleich auch immer eine gewisse Grenze und Trennung. Eine absolute Freiheit ist vorerst undenkbar, da alle Thesen in ihr dialektisches Gegenteil umschlagen würden. Solange das Subjekt sich denkt und sein Widerpart nicht geklärt ist, droht die subjektive Erkenntnis zu einem substanzlosen Absoluten zu werden, weshalb sich das Ich vorerst damit 54 55 56 57 Timm, München 1987, S. 89 – 103. (= Pfaff, Natur-Poesie) Anm.: Pfaff arbeitet insbesondere den Schellingschen Einfluss, u. a. in der Rede des »munteren Gespielen« heraus, der indirekt mit seiner Anspielung auf den »Geist« deutlich wird. Vgl. Neubauer, John, Biofocal Vision. Novalis Philosophy of Nature and Disease, Chapel Hill, 1971, S. 120 (= Neubauer, Biofocal Vision). Anm.: Das Märchen sieht Neubauer eher als die Balance zwischen Empirismus und Gefühl, zwischen Natur und Bewusstsein, die durch die Sprache hergestellt wird. Unwillkürlich nimmt Novalis damit Arthur Schopenhauers negative, existenzkritische Vorstellung der Welt als Wille und Vorstellung vorweg. Im Gegensatz zu Schopenhauer bejaht aber Novalis das Gefühl hinter dem Schleier der sog. Maja. HKA I, S. 95. Neubauer (Biofocal Vision, S. 125) meint darum zurecht, dass man es hier noch nicht mit der endgültigen, eigentlichen Aussage zu tun hat. begnügt, die Natur zu durchdringen und in gewisser Weise zu beherrschen. 58 Man hat es hier also mit der umfassendsten und knappsten Ineinandersetzung aller vorangegangenen Thesen zu tun. Einmal ist die Grundopposition Denken und Forschen versus Gefühl gesetzt, zweitens wird diese in das triadische Geschichtsdenken integriert, wobei drittens in diesem die Erkenntnisproblematik in Form des Erkenntnisstrebens erscheint, viertens stellt sich letzteres immer noch teilweise als Sprachproblem dar ( »Natur verstände«) und fünftens läuft alles auf ein Verhältnis freier menschlicher Herrschaft der Natur hinaus, allerdings im Sinne einer Rückkehr zum bewusstseinsfernen Zustand vor aller Individuation. Bis hierher hat man deutlich sehen können, wie sich das Kapitel >Der Lehrling< bis hierher in das Kapitel >Die Natur< hinein erstreckt hat. Die Problematik eines scheinbar objektiven und angedacht subjektiven Naturverständnisses, die im ersten Teil dieses Kapitels eröffnet wurde, ist im >zweiten Teil< nun zwar vertieft, nicht aber gelöst worden. Die verschiedenen Positionen sind nämlich nur ineinander gesetzt. Die Möglichkeit des objektiven bewussten Verständnisses ist sozusagen zurückgenommen. Objektiv heißt noch nach wie vor entfremdet und geschieden, trotz aller Versuche empirisch-wissenschaftlicher Bewusstmachung. Gerade aus diesem Aufklärungsprozess aber hat sich die Erkenntnis des entfremdeten und tri adischen Geschichtszustandes herausgestellt. Subjektiv zu handeln, ist hingegen noch unbenommen - d. h. trotz aller transzendentalen Reflexion und der erkannten sympathetischen Wechselrepräsentation von Ich und Natur – der einzige Ausweg geblieben. Die Objekte und Teile der Natur sind vorerst Teile dieser Erkenntnis. Der zweite Grundgedanke der >Lehrlinge<, dass es sich nämlich um einen transzendentalen Zusammenhang zwischen Ich und Natur handelt, in dessen Zentrum letztlich das Ich als Weltschöpfer steht, ergänzt und vervollständigt die bisherigen weltimmanenten Gedanken. Schließlich bringen Liebe und Gefühl die vorläufige Lösung der Naturthematik und beenden damit das Kapitel >Die Lehrlinge<. Dass man aber auch gerade die umgekehrte Richtung, oder vielmehr in beide Richtungen, sowohl objektiv als auch subjektiv, gehen kann, das soll der »Lehrer« am Ende des Textes zeigen. Er tritt im Grunde den progressiven Weg an, während hier noch der regressive vorherrscht. Trotz aller inhaltlichen Widersprüche setzt sic h der Text als Ganzheit fort. Es 58 Gaier (ders., Krumme Regel, S. 102) sieht in diesem Stadium sogar ein spielerisch -göttliches Herrschaftsverhältnis über die Natur. werden nun im >Gespräch der Reisenden < 59 die Standpunkte vertieft, neu kombiniert, und zu einem Resümee geführt. Das Motiv der mit Gefühl kombinierten Erkenntnis erweitert sich, indem die bereits vorhandenen Ergebnisse wieder aufgenommen werden. So entsteht durch die inhaltliche Überlappung und Kontinuität der Eindruck, dass es sich vordergründig gar nicht um den Dialog von Natur suchenden Individuen handelt. Obwohl verschiedene >Protagonisten< den Text polyphon erscheinen lassen, wird eher die durchgehende dialogische Gesamtentwicklung einer integrativen »Synthese« deutlich. Dieses chorhafte »Fluidum« gleichsam überall vorhandener Worte und Aspekte gilt den Sprechenden wie die Ursprache der Poesie und sie wird von ihnen selbst auch universell aufgegriffen. Die Gesprächsteilnehmer scheinen alle Gedanken im gemeinsamen Gespräch schon zu besitzen. Nicht zuletzt daran zeigt sich ein allgegenwärtiges Reservoir des Wissens, was die hinzukommenden »Reisenden« demonstrieren. Im Grunde können sie an dieser Stelle inhaltlich den Stand des Gesprächs gar nicht kennen und dennoch setzen sie genau dort ein, wo die »Lehrlinge« geendet haben. Auf diese Weise manifestiert sich also formal im Textdiskurs, was mit dem Motiv der Sympathie zwischen Natur und Mensch gemeint ist. Novalis schreibt die menschlichen Rollen der Natur gegenüber zusammenfassend: Oft erfahren diese liebenden Kinder in seligen Stunden herrliche Dinge aus den Geheimnissen der Natur […]. Ihren Tritten folgt der Forscher, […] ihrer Liebe huldigt der mitfühlende Dichter und sucht durch seine Gesänge diese Liebe, diesen Keim des goldenen Alters, in andere Zeiten und Länder zu verpflanzen. 60 Betrachtet man die Makrostruktur dieses Textteils, so zeigt sich, dass die Aussagen hier in der ersten Runde eher in Thesenform vorliegen, in der zweiten dagegen integriert und verändert und am Schluss des Teils der »Reisenden« durch des vierten Reisenden zweite Rede zu jenem besagten Resümee der drei Wege zusammengefasst werden. Die im Text angesprochene Kritik der Erkenntnis wird mit dem Abschnitt des >ersten Reisenden< zu einer neuen Erforschung und Bewertung der Epistemologie fortentwickelt. 61 Nochmals thematisiert der Diskurs eingehend die subjektive Erkenntnisfrage im Fichteschem Sinne 62, nunmehr aber unter dem Aspekt des Verhältnisses von Ich und »Wahrnehmungen«. Damit zeigt sich wiederum die psychische 59 HK A I, S. 9 6. 60 HKA I, S. 103. 61 HKA I, S. 96f. 62 Vgl. Balmes, Kommentar, S. 115.; Anm.: Balmes geht hierbei eher von einer Referenz zum Organon Gedanken des Novalis von 1798 aus, der den eigenen Körper dabei als Werkzeug der Welterkenntnis fasst. und physische Bedingtheit des Prozesses. Bei dieser Untersuchung des Denkprozesses mündet die Rede schließlich in die Annahme einer letz tlich spielerischen Freiheit, die sich gerade in einem Sowohl-als-auch ausdrückt. Der Text spricht davon, dass man durch fortgesetzte Selbstreflexion des Denkens zum Ergebnis gelangt und Erkenntnis ein Schwebezustand »zwischen zwei Welten« ist. In diesem entgrenzten Zustand wird die Welt transparent und erkennbar. Nun klärt sich, dass objektive und subjektive Erkenntnis nicht mehr entfremdet sind, sie durchdringen und bedingen sich im Hin und Her. Die spielerische Erkenntnis vereint aber auch gleichzeitig »Empfinden und Denken«. Dem Diskurs gelingt es, Empirie mit Epistemologie zu vereinen, indem er der Frage nachgeht, was die individuelle Wahrnehmung ausmacht. In der bereits erwähnten Ineinandersetzung dieser Positionen hebt er die beiden Perspektiven auf, da die Debatte den fühlenden menschlichen Körper favorisiert und derart den Dialog bzw. Diskurs im Gefühl aufhebt. Weitere Teile dieser Integration sind die neue Verbindung von objektivem, bewusstem Denken mit subjektivem Gefühl und das einheitsstiftende Prinzip des die Welt schöpferischen Ich, das dabei zugleich das Spiel - und Freiheitsmotiv integriert. Nicht zuletzt kommt hier wieder das Sprachmotiv zur Geltung, das im »Dechiffriren« der Natur angedeutet wird. Der zweite, >andere Reisende< 63 erklärt daraufhin Natur lediglich als einen Schnittpunkt und als Einverständnis vieler Wesen, wodurch er das Motiv der Mannigfaltigkeits aufgreift. Damit hinterfragt er allerdings zugleich indirekt die Idee des ersten Reisenden, in der dichterischen Dechiffrierung die L ösung zu suchen. 64 Der >dritte Reisende<65 liefert im Anschluss nun auch einige Gedanken zur Erkenntnis, stellt hingegen bei dieser heraus, wie sehr sie von Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit geprägt ist. Ist im Diskurs bisher die geschichtstriadische Idee n ur als Ahnung aufgetaucht, so wird dieses Modell nun mit der erkenntnistheoretischen Ich -Problematik zusammengebracht. Sowohl die empirische »Auslegung« als auch die »Fantasie«66 reichen dem Text zufolge nicht aus, die Natur zu verstehen. Dazu bedarf es ang eblich des »Naturhistorikers« und »Zeitensehers«. Natur und Mensch sind also der gleichen Struktur, d. h. der Zeitlichkeit, unterworfen, weshalb man durch Naturauslegung zur Erkenntnis des Lebens und Menschseins gelangen kann. 67 In einem Zirkel von Chiffrieren und 63 HKA I, S. 98. 64 Mahoney, Poetisierung, S. 41. 65 HKA I, S. 98f. 66 Vgl. Neubauer, Biofocal Vision, S. 126. 67 Gaier, Krumme Regel, S. 96. Dechiffrieren erhält der Mensch sich selbst und Natur stets nur als eine »unendliche Antwort«. In diesem Abschnitt liegt damit abermals eine Kombination der geläufigen Positionen vor: erstens der Polarität Empirie -Phantasie, die aber nun in der geschichtlichen Erkenntnis Hegelschen Sinn geradezu aufgehoben wird, und zweitens des Sprachmotivs (Chiffrieren). Die Natur musisch -spielerisch und phantasierend zu dechiffrieren und doch nicht zu verstehen, ist dem Text nach die Bestimmung des »Zeitensehers«. Für die Integration von Mensch und Natur durch Poesie plädiert dann der >schöne Jüngling<, in dem man wohl einen >vierte[n] Reisende[n]< erkennen kann. 68 Der Dichter wird zum Vermittler der entfremdeten Gegenwart. Ihm ist nichts »fremd«, seine Phantasie lässt die Natur zu neuem Leben gedeihen. Es herrscht auch hier eine »wunderbare Sympathie« zwischen ihm und der Natur. Zudem taucht in diesem Abschnitt auch das Motiv der Liebe auf, diesmal aber in einer Einheit mit des Dichters Natur ->Anrede<. Dabei wird ihm alles zum wechselgleichen »Du«. Auffällig ist, dass sich zwar mit der Fichteschen Methode der Benennung der Dinge diese vom Betrachter entfremdet haben, nunmehr aber genau der gleiche Weg, nur progressiv gesteigert, fortgesetzt wird. Der entfremdete Zustand soll sprachlich vermittelt und durchbrochen werden. Dadurch, dass der Dichter die Dinge poetisch und unter Zuhilfenahme seiner >Sympathie< betrachtet und versprachlicht, werden diese wieder in die Einheit der Welt zurückgeführt. Der Dichter erlöst sozusagen vorläufig mit seinem Wort die »zu Stein« gewordene, d. h. die dem Menschen zur Leblosigkeit erstarrte Natur. Es bleibt aber der dichterischen Sprache noch die allgemeine Entfremdung. In diesem Abschnitt ergibt sich also eine neue Ineinandersetzung von Sprache, Triadik, Sympathie einerseits und Identitätsproblematik mit dem Poesie- und Phantasiegedanken andererseits. Der erste Teil des Gesprächs der >Reisenden< hat erkennen lassen, wie vor allem die erkenntnistheoretischen Positionen aus der Konklusion der Lehrlinge zunehmend hinterfragt und in den Mittelpunkt gerückt wurden. Die ersten drei Aussagen der Reisenden sind dabei geschickt mit der des vierten, der den Dichter als Vermittler einführt, zu einem Ergebnis gelangt. Dieses Resultat nimmt auf seine Weise zwar erneut die bewusstmachenden Ansätze zurück, belässt es diesmal aber nicht im reinen Gefühl, wie es die >Lehrlinge< mit dem Gedanken der Liebe angesprochen haben. Vielmehr gehen die Positionen und Sätze in den subtileren sympathetischen Zustan d der Poesie und des 68 HKA I, S. 99f. Dichters ein. Man entsinne sich der >Lehrlinge<; sie haben gesucht, was sie schon längst eigentlich hatten. Es ging ihnen darum, zu einem ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Anders allerdings ist der Fall des Dichters in diesem Teil des Gesprächs zu bewerten. Durch die fortgeschrittene Gedankenintegration und die Textstruktur der sprachlichen Progression erweitert sich der Hauptgedanke, den man nach und nach erkennen kann. Noch immer liegt diesem die Idee der sympathetischen Identitä t von Natur und Mensch bzw. Dichter zugrunde. Hingegen hat sich dennoch ein gewisser Fortschritt hin zur rationalen Progression ereignet. Der Geist ist scheinbar aus dem Urzustand der Natur, die nur eine wenig entwickelte, instinktive Geistigkeit zugelasse n hat, zur freien Vernunft gelangt. Erst aber der Lehrer wird am Ende diese Entwicklungslinie vervollständigen. Zuvor beginnen die Reisenden jedoch die zweite Runde ihres Gesprächs. In diesem Sinne nimmt auch der erste Reisende mit seiner zweiten Rede 69 den >Vernunftgedanken< auf. 70 Er setzt die >schöpferische Weltbetrachtung< sowohl im Fichteschen als auch im poetischen Sinne fort. »Der denkende Mensch kehrt zur ursprünglichen Function seines Daseyns, zur schaffenden Betrachtung « zurück, heißt es dort. 71 In dieser Betrachtung sind Kreation und Wissen, Poesie und Empirie eins. Aufgrund dieser Identität 72, in der sich der schaffende Mensch begreift, wird die »Beschreibung dieser inneren Weltgeschichte « auch zur »wahren Theorie der Natur«. Nicht zuletzt, weil sich also Innen- und Außenwelt wechselseitig repräsentieren, wird der sprachschöpferische Mensch und Dichter zum Erretter der Natur. Man findet in dieser Ineinandersetzung folglich sowohl die Fichteschen Gedanken als auch die poetische Weltanschauung in schöpferischer Eintracht wieder. Die Wechselidentität Natur-Mensch umfasst auf diese Weise Vernunft (Intellektualität) und das Motiv der Liebe, das »ein neues Band des Du und Ich « geschaffen hat. Der nächste Sprecher betont lediglich wieder das »große Zugleich« in der Natur. 73 Dabei wird hervorgehoben, dass Natur ständig in Verwandlung und Tätigkeit begriffen ist. Der »Geist« aber wird diesbezüglich als das maßgebliche Medium des Naturverständnisses betrachtet, was soviel heißt, dass Natur erst im Menschen vermitt elt werden kann. 69 HKA I, S. 101f. 70 Vgl. Mahoney, Poetisierung, S. 44.; Anm.: Mahoney erklärt diesen Schub an Intellektualität durch den Einfluss Schellings. 71 HKA I, S. 101. 72 Besonders aber die Aspekte einer >inneren Selbstempfängnis< und einer >Urerscheinung< können einigen Anlass geben, bei diesem Abschnitt spezifisch Plotinsche Einflüsse in Betracht zu ziehen. 73 HKA I, S. 102; Vgl. Mahoney, Poetisierung, S. 46.; Anm.: Mahoney hält diesen Standpunkt vielmehr für eine Wiederaufnahme des Schnittpunktmodells, das in der Nähe zu Leibniz Monadenlehre angesiedelt war. Mit der zweiten Rede des >dritten Reisenden < 74 erhalten schließlich alle Positionen des Textes ihre höchste abschließende Integration. Der darauffolgende Abschnitt bestätigt dies nur noch einmal und unterstreicht, was der dritte Reisende nu n resümiert. Seiner Rede lässt sich entnehmen, dass es > drei Wege der Naturerkenntnis< gibt, die hierarchisch geordnet sind, wobei das niedrigste Naturverständnis dem Forscher zukommt. Ihm folgt an zweiter Stelle der Dichter-Philosoph und an höchster Stelle rangiert der Liebende. Der Forscher unter ihnen schließt zwar angeblich auf die Allgegenwart und dabei überkommt ihn auch ein »höherer Geist«, jedoch bleibt er im besten Falle immer noch bei der Entgegensetzung der Natur stehen. 75 Der »Künstler« aber bildet dem Text zufolge die Natur nach und erlangt einen neuen Weg zur Natur, indem er »wunderlich die Worte mischt «. Die solchermaßen umgedeutete, abstrakte Natur erfährt mit der . Restitution der Zeichen und Worte durch di e Poesie gleichzeitig ihre eigene Wiederherstellung. Die Natur wird dabei als ein durch Sprache vermitteltes Objekt oder als Du verstanden. Sie erscheint in ihrer poetischen Gestalt laut Text herrlicher als zuvor, obwohl sie ihr eigenes Wesen beibehält. Novalis spricht hier von eigenem »Thun und Hervorbringen« der Natur. Unverkennbar rückt dabei die Natur dem Menschen ein Stück näher, indem sie durch die Sprache des Dichters erschlossen wird. Er hat also in seiner Dichtkunst ein taugliches Instrument, das ihn in die Natur »zurückführen« kann. Die Liebenden hingegen sind getragen von dem >Bewusstsein ihrer Unzertrennlichkeit< und erfahren angeblich mehr »Geheimnisse der Natur« als sonst einer. Selbst die Dichter müssen dieser urtümlichen und unzerstörten Spur folgen. Am Ende des Gesprächs der Reisenden zeigen sich damit eigentlich nur zwei hierarchisch angeordnete Wege, denn der dritte, die Poesie- und Sprachproblematik, hat sich soeben, spätestens seit dem Märchen, aus der Handlung in die Form des Textes autopoetisch einverwandelt: die Poesie. Nichtsdestoweniger ist dieser Weg maßgeblich. Sowohl durch das Märchen als auch durch das anschließende Gespräch der Naturdinge wird die Dichtung, nämlich das Medium zwischen Natur und Mensch, erfolgreich im Text in den Text umgesetzt, aus dem Gespräch entsteht eine neue Sprache, die Lehrlinge gehen zufrieden fort. Selbst noch in ihrer neuen symbolischen (poetischen) oder ehemaligen ikonischen (mimetischen) Restituierung stellt sie den Weg und den Übergang dar. Dies hat der Drei -Wege-Abschnitt gezeigt. Poesie führt zum goldenen Zeitalter, endet aber darin in der Liebe. Der Dichter ist 74 HKA I, S. 102f. 75 Gaier, Krumme Regel, S. 99. scheinbar ein »Messias«, doch befindet auch er sich nur potenziell in einem ganzheitlichen Zustand, der nur noch vereinzelt im Liebenden und Kind vorkommt, nämlich als Gefühl u nd Liebe. Letzten Endes geht es um Sprache und Erkenntnis. Romantisieren heißt also zu erkennen und aktiv mit der neu kodifizierten Sprache den Endzustand des Lebens mit dem Anfangszustand der Natur zu verbinden. Die Poesie wird dadurch zur Naturwissenscha ft, sie ist ein sprachlicher und wissenschaftlich fundierter Erkenntnisprozess der Welt. Leben und Natur entwickeln sich zu einem zyklisch integrativen Kode, d. h. einem Prozess, der seinen Ursprung in der Natur hat, aber durch die mediale Erkenntnisarbeit des Menschen entsteht. In dieser neuen Form wird die Natur eigentümlich erst zum Leben. So wie aber auch der Textdiskurs erst nach und nach offensichtlich wird, eröffnet sich das allgemeine Sein, das in die Zukunft verlagert wird. Hier treffen sich in einem kollektiven Zustand alle Stimmen der Menschen, sie kehren gleichermaßen in der Zukunft aus einem summierten, potenzierten Zustand zu dem der ursprünglichen Natur zurück. Dieses noch mysteriöse Sein bezeichnet der Diskurs an dieser Stelle als Gefühl. Die letzte Rede des >Jünglings< unter den Reisenden 76 wiederum hebt darum anschließend hervor, dass >Natur nicht gelehrt werden kann <. Vielmehr wird Natur als ein »Liebesmysterium« angesehen, dessen Schlüssel wiederum Liebe und Wollust ist. 77 Es ist jedoch kritisch anzumerken, dass dieser Gelehrtenstreit an dieser Stelle nur berührt wird und nicht im Vordergrund steht. Dagegen werden mit dieser vierten >Synthese< der zweiten Gesprächsrunde genauso wie mit der vierten der ersten die progressiveren Gedanken wieder integrativ zugunsten der emotionalen Erkenntnis zurückgenommen, u. z. mit Hilfe der Textkomposition. Nochmals heißt es an dieser Stelle, dass die objektive Natur dem Analytiker ( »Scheidekünstler«) sozusagen unverständlich bleibt und dass neben dem Liebenden gerade noch der Dichter dem Mysterium folgen kann.78 Die Erstarrung (des nach wie vor bestehenden Widerspruchs von progressivintellektualer und regressiv-emotionaler Natur- und Selbsterkenntnis) wird, wie Gaier sagt, in der »wollüstigen Auflösung«79 vorläufig gelöst.80 Mittlerweile ist auch der >Lehrer< mit den >Lehrlingen< zurückgekehrt.81 Aber die >Reisenden< eröffnen, dass sie eigentlich auf der Suche nach einer »heiligen Sprache« sind, 76 77 78 79 80 HKA I, S. 104f. Gaier, Krumme Regel, S. 109f. HKA I, S. 105. Gaier, Krumme Regel, S. 99. Mahoney, Poetisierung, S. 51. Anm.: Mahoney hat an dieser Stelle auch bezüglich der dabei angeschnittenen Hieroglyphen- und Sprachproblematik folgerichtig gezeigt, dass nunmehr das neue Sprachverständnis zum ersten Mal den >ReisendenLehrlingen zu Sais< selbst erinnert. Dass dies die abschließende Synthese des Textes ist, erscheint aber unwahrscheinlich. Die »Reisenden« sprechen an dieser Stelle nämlich von nur noch einzeln erhaltenen Bruchstücken und Worten dieser heiligen Sprache, die zwar losungshaft die Natur entschlüsseln, im Grunde ist aber diese Sprache, und damit die poetische und imaginäre Weltschöpfung und -vereinigung, nicht mehr auffindbar. Die Poesie wird in Frage gestellt, der Abschnitt verweist auf seine Art auf die widersprüchliche Utopie des goldenen Zeitalters in der Vergangenheit. Dadurch nimmt der Gang dieser >Dialogik< der verschiedenen Positionen unendliche Ausmaße an. Auf alle Fälle besteht aber ein Unterschied zwischen der resümierenden Poesiekonzeption des dritten >Reisenden<, also jener der entfremdeten Jetztzeit, und jener, die sowohl am Anfang als auch am Ende steht und durch die drei Wege zur Natur abgelöst wird. Eine solche entfremdet e Poesie muss theoretisierend und vorläufig Utopie, Bruchstück oder Ahnung bleiben. Aus diesem Anlass hebt der Text auch nun an, in der Person des >Lehrers< die beiden Wege zu vereinen, welche die Natur als objektive Realität und subjektive Einheit mit dem Ich verstehen 82: intellektuale und emotionale Natur- und Selbsterkenntnis. Weder steht die zufällige Erkenntnis des Liebenden im Vordergrund, noch macht die Einbildungskraft den echten »Naturkündiger« aus. Der »Lehrer« hingegen bemüht sich um die Integration von »Gemüth«, »kindlichem Wesen« und »Geduld«. Nur die systematische und rationale Ausbildung und Schulung der im Menschen vorhandenen Anlagen macht das »wahre Naturverständnis« aus. Gaffer sagt hierzu treffend vom Lehrer: Nur diese im System organisierte und wieder zur Natur gewordene Lehrart, die Ursprache in höherer, bewußter [Hervorhebung durch den Verfasser] und differenzierter Form, macht den rechten Lehrer zu dem Naturkündiger.83 Damit hat es den Anschein, als ob es sich gar nicht um ein Fragmen t handeln würde. Die anfänglich gesuchte reale, objektive Natur wird im Verlauf des >Lehrlingsteils< 82 Uerlings (ders., Forschung, S. 2) hält den Gedanken der Einheit von Geist und Natur bei Novalis für maßgeblich, ihm zufolge ist es der letzte Versuch, Kunst, Natur und Wissenschaft vor dem großen Einsetzen der Moderne zu beginnen. 83 Gaier, Krumme Regel, S. 104. durch die Einführung der emotionalen Erkenntnis relativiert, indem die darin aufgezeigte Aporie von Ich und Natur regressiv überwunden wird. Es bleibt aber nicht bei einmal getroffenen Schlüssen, sondern in der diesem Text eigentümlichen Art und Weise der Veränderung des Inhalts durch die dialogische Form und die Konzentrierung der kombinatorischen Ineinandersetzung der Positionen werden diese im zweiten Zyk lus des >Gesprächs der Reisenden< vertieft und zu ihrem Schluss der drei Wege geführt. Zwei von ihnen, wie deutlich geworden ist, werden dann durch den »Lehrer« in eine Verbindung gebracht. An dieser Stelle führt die inhaltliche Progression der Positionen die Textkomposition in eine unendliche, erweiterte Kombination fort. In diesem Sinne ist der Text auch buchstäblich ein romantisches Gespräch, in dem viele Stimmen konzertieren, wobei aber außer der dialogischen Integration keine Endlichkeiten vorhanden si nd. Die anfänglich anschaulichen Versuche der Reihenbildung der Lehrlinge ergeben die Werkzeuge, mit denen die Textstruktur zyklisch integrativ entschlüsselt und zugleich die vielfältigen inhaltlichen Positionen vermittelt werden können. Eindeutig liegt da bei eine grobe Strukturbewegung von der objektiv angenommenen Natur des Lehrers über die Hinwendung zum Subjektiven durch den Lehrling hin zu einer sowohl Ich als auch Natur inbegriffenen verborgenen Identität vor. Jedoch ist diese Bewegung eher in Form der >mannigfachen Wege< in den Zustand des entfremdeten Zeitalters eingebettet. Dieses entfremdete Zeitalter bringt es aber unwillkürlich mit sich, progressiv auf seine eigene Versöhnung, bzw. die dargelegten Versöhnungswege, hinzuweisen. Das Entscheidende des Textes scheint also weniger die typisch romantische erkenntnistriadische Struktur als vielmehr die sprachlich dialogisch progressive Konstruktion unendlicher Ineinandersetzungen oder Reihen hin zur Natur-Utopie zu sein. Sie taucht immer wieder im Text auf. Innerhalb dieses Prinzips erhalten die Erkenntniswege, die sich auf Liebe, Geist und Poesie gründen, auch nur einen vorläufigen Übergangscharakter. Erst der sinnlich bildhafte Text sollte für Novalis alle diese Gesprächselemente zu einer abschließenden Form auflösen. Doch das ist nicht mehr geschehen. Das, was durch den dritten Weg der Poetisierung angerissen worden ist, hat anfangs als Sprachproblem begonnen. Nachdem sich die Sprache von ihrer Fixierung befreit hat, hat sie eine umfassendere Bedeutung im Textdiskurs und im Gedankengang der Lehrlinge erlangt. Die jüngere Forschung hat allgemein gezeigt, dass Novalis dabei dem modernen autoreferentiellen oder semiotischen Sprachgebrauch sehr nahe ist. 84 Das erstarrte sprachliche Zeichen ist scheinbar ikonographisch geworden, indem es in der analogen Konstruktionsmethode eine konkrete Denotation gewonnen hat. Seine ganze Form ist mit seiner Bedeutung identisch, und zwar als Ding. Jedoch ist diesem ikonischen Zeichen dennoch eine variable Bedeutung zu eigen, der Referent des Zeichens, die Natur, löst sich zunehmend auf, die natürlichen Bezüge enden letztlich im Ich und Gefühl. Sie werden so in »geheimer Analogie« umgedeutet und können beliebig verwendet werden, ganz so wie die Positionen der »Protagonisten« sich wechselseitig schwebend ergeben und ergänzen. Die Referenz der Zeichen liegt dabei in der zentralen Identität begründet, aus der sie ihre Analogiefähigkeit schöpfen. Das ist der Unterschied zum rein ikonischen Zeichen. Durch die Einbeziehung der subjektiv inneren Komponente tendiert ein solches romantisches Ikon zum offenen Konnotieren eines Symbols. Und dadurch ist auch ein Schritt hin zur transzendental symbolischen Sprache getan. Diese, so wie sie im Märchen dann auftritt, nimmt als sich abzeichnende Universalpoesie den Platz eines möglichen, sich aber noch in vager Zukunft befindlichen Vermittlers ein. Auf diese Art und Weise erreicht Novalis nicht nur, die Sprache auf ihre »Autofunktion« zu reduzieren und sie vom Gegenständlichen zu befreien, sondern er gibt ihr auch autopoetisch einen neuen Inhalt. Dieser ist absoluter Natur, umfasst eben universal alle möglichen und kombinierbaren Denotationen und Konnotationen. Darin besteht der Unterschied zur strukturalistischen Sprachauffassung. Einerseits löst sich Novalis' Sprache zwar vom Objekt, andererseits spricht sie aber ihrem neuen Inhalt mehr als nur alle möglichen formalen Wortkombinationen 85 zu, nämlich auch alle realen Kombinationen (»Accord aus des Weltalls Symphonie«). 86 So abstrakt und unendlich diese Bedeutung letztendlich auch sein mag, so erkennt Novalis doch die Problematik, die später zur Kritik einer solch leeren philosophisch idealistischen oder lingu istisch strukturalistischen, d.h. autoreferentiellen Sprache geführt hat. 87 Novalis versucht, das Problem der Referenz zu umgehen, indem er die Sprache noch als Ausdruck des Lebens und als reales Medium zwischen Natur und Mensch annimmt. In seinem zyklischen Entwicklungsprozess werden darum die verschiedenen Konzeptionen der Sprache, wie sie 84 Vgl. Uerlings, Moderne, S. 7ff.; Anm.: >Die Lehrlinge zu Sais< ergänzen Novalis' skizzenhafte sprachtheoretische Gedanken, wie er sie v. a. in der Auseinandersetzung mit Gnosis, Mystik und Fichte entwickelt hat. 85 Mukarovsky, Jan, Kapitel aus der Poetik, Frankfurt 1967, S. 13f. 86 HKA I, S. 79. 87 Der philosophische Idealismus wurde v. a. durch Marx und Engels im 19. Jahrhundert kritisiert, der Strukturalismus seit den 1970er Jahren. Die Kritik an ihm formulieren Derrida und Lévi-Strauss u. a. auch im Text auftauchen, zu einer erweiterten Universalpoesie geführt. Diesbezüglich ist darum auf die Fortsetzung des Romans oder der Geschichte verwiesen worden. Am Ende des Textes aber haben Geist und Liebe, Reflexivität und die Transreflexivität inhaltlich im Lehrer und formal durch die Ineinandersetzung im Text zu einem neuen Medium der Naturerkenntnis beigetragen. Die Spirale der Konstruktion endet, wo sie begonnen hat, beim reifen Menschen, dem Lehrer. Dazwischen lagen ausgebreitet und wieder vereinigt »mannigfache Wege« zur Natur. IV. Am Ende ist alles Progression Alle Synthesen dazwischen, in der entfremdeten Zeit also, würden keinen endgültigen Sinn ergeben, weil es sich schlechterdings nicht um eine Entwicklung, sondern um eine Ineinandersetzung von innen und außen, Mensch und Natur, Realität und Dichtung in Universalpoesie handeln sollte. Diese kommt im Sinne Novalis' aus der inneren Identität mit dem Universum und harrt ihrer Wiederherstellung. Damit hat eine Dialektik also nur in ihrer Beziehung zum Subjekt Sinn. Diese bleibt ebenso vorläufig, wie auch der Gedanke der Poetisierung noch nicht vollendet ist. Hingegen wird Natur unmittelbar mit der subjektiven Erkenntnis und Identität verschränkt. Wege, Perspektiven und nicht endgültige Antworten stehen am Schluss. Sowohl die dialogische Textstruktur als auch die gesprächsartige Form geben indirekt weitere Aspekte dazu, wie die im Inhalt behandelte Vermittlung des goldenen Zeitalters sich teilweise durch Liebe und Poesie vollzieht. Das Gespräch selbst aber nimmt die Poetisierung der Welt und Natur vorweg, die im nicht mehr geschriebenen Teil hätte stattfinden sollen. Sprache, Gespräch und Poesie entstehen sozusagen in und aus der Handlung und verwandeln sich buchstäblich der Form ein. Anders als Aufklärung und Naturwissenschaft unternimmt es jedoch Novalis, den Individualismus durch das eigene Selbst, also auf dem Weg nach innen, zum absoluten Subjektivismus umzudeuten, ohne aber in die Fichtesche absolute Freiheit und Leere des totalen Ich abzugleiten. Vielmehr gelangt Novalis mit der Idee des transreflexiven Gefühls über die Grenzen des Ich und Nicht-Ich hinaus: Er legt den Fokus auf eine erweiterte Konzeption der Natur und setzt die Pole von Subjekt und Objekt wieder innerlich zusammen. Beide bewahren aber letztlich ihre Eigenheit, so wie es die Allegorie des Bildes von Sais gezeigt hat. Darum verliert sich eigentlich bei Novalis äußerlich auch nicht die zur Progression und Aktion notwendige Spannung. Vielmehr ist gerade alles Progression, so wie der gesamte Text selbst. Darin ist eine Echtheit begründet, die den vorläufigen Prozess des Lebens erkennt und die Gegenwart des Lebens als großen Plan liest.