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Eye Tracking Als Wirkvolles Marktforschungsinstrument Zur Analyse Und Steuerung Des Konsumentenverhaltens Am Beispiel Von Handelsunternehmen

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Eye Tracking als wirkvolles Marktforschungsinstrument zur Analyse und Steuerung des Konsumentenverhaltens am Beispiel von Handelsunternehmen von Prof. Dr. Andrea Honal, Katharina Böttger und Jürgen Bluhm Prof. Dr. Andrea Honal ist Professorin an der Dualen Hochschule Baden Württemberg in Mannheim mit Schwerpunkt auf Marketing und Handel sowie Leiterin des Steinbeis Transferzentrums - Institut für Marketing, Media und Management. Katharina Böttger ist Absolventin des Studiengangs Handel an der Dualen Hochschule Baden Württemberg in Mannheim und als Personalreferentin bei dem Handelsunternehmen Edeka Südwest tätig. Jürgen Bluhm ist langjähriger Berater und Marktforschungsexperte sowie als Aera Manager Market Research bei der Tobii Technology GmbH angestellt. 1. Aktuelle Herausforderungen und Trends im Marketing aus Kunden- und Unternehmenssicht Unter den aktuellen Rahmenbedingungen wird es für Unternehmen zunehmend schwieriger, sich gegenüber den Wettbewerbern zu differenzieren und bei den Kunden Präferenzen aufzubauen. Dennoch gelingt es einigen Firmen durch starke Marken und exzellente Produkte sowie Serviceleistungen, Kunden zu begeistern und langfristig an sich zu binden. Marken, wie bspw. Walmart, Amazon, Tesco oder IKEA, erzeugen bei den Konsumenten einen emotionalen Mehrwert, der für die Unternehmen kapitalisierbar ist. Neben dem Aufbau starker bzw. imageträchtiger Marken gewinnt die Vermittlung eines einzigartigen Shopping-Erlebnisses sowohl in Online-Kanälen als auch im stationären Handel zunehmend an Bedeutung. Nur, wenn die Kunden das bekommen, was sie sich wünschen bzw. was sie glauben, das es ihnen einen Nutzen stiftet, wird im Zuge der Informations- und Angebotsüberflutung überhaupt wahrgenommen. Deshalb ist es für Unternehmen von essenzieller Bedeutung, wichtige Trends frühzeitig zu erkennen und den Kunden gezielt anzusprechen (vgl. Honal, 2014). 1 Infolge der wachsenden Konzentrationstendenzen und der Entstehung neuer Betriebsformen in der Retail-Branche sind Unternehmen mit veränderten Herausforderungen konfrontiert, die es erfolgreich zu bewältigen gilt. So erzielten 2010 die fünf größten Unternehmen des deutschen Lebensmittelhandels mit 81 Milliarden Euro rund die Hälfte des Gesamtmarktumsatzes im Bereich Lebensmittel (vgl. KPMG AG/EHI Retail Institute, 2012). Ein Resultat dieser erhöhten Marktmacht gegenüber kleineren Mitbewerbern sind Preiskämpfe und sinkende Endverbraucherpreise. Durch den Aufbau eigener, starker Retail-Brands mit attraktiven Sortimenten und Eigenmarken, wie bspw. Rewe mit der Feinen Welt im FoodBereich, werden Konsumenten gezielt angesprochen und schwache Herstellermarken verdrängt. In einer neueren Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos, an der 23.000 Konsumenten aus 23 Ländern teilnahmen, wurde die zunehmende Angleichung hinsichtlich der Wahrnehmung von Hersteller- und Retail-Brands eindrucksvoll bestätigt. Es zeigte sich, dass Retail-Brands bezüglich verschiedener Eigenschaften als gleich oder sogar als etwas besser empfunden werden im Vergleich zu entsprechenden Herstellermarken. Zudem weisen Retail-Brands für 86% der Befragten in der Studie nicht nur ein gutes Preis-LeisungsVerhältnis auf, sondern bieten für 81% der befragten Konsumenten auch Produkte an, die sie sich wirklich wünschen oder hochwertige bzw. innovative Angebote in ihrem Retail-BrandPortfolio haben (vgl. Ipos, 2010). Für den Aufbau solcher starker Retail-Marken sind umfangreiche Kommunikationsmaßnahmen und die Nähe zum Kunden von zentraler Bedeutung. Obgleich durch diese Entwicklungen Herstellermarken stärker unter Druck gesetzt werden, gelingt es vielen Handelsunternehmen, sich als echte Alternative gegenüber Markenartikelherstellern zu positionieren (vgl. Esch, 2011). Im Zuge des demographischen Wandels, der mit einer alternden Gesellschaft und einem Anstieg von Einpersonenhaushalten einhergeht, wird die Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs immer wichtiger (vgl. Endl, 2010 sowie Schneider, 2009). Durch die rasante Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die erhöhte Mobilität läuft das Leben in einem schnelleren Tempo ab. Der daraus entstehende Zeitmangel ist mitverantwortlich für den Convenience-Trend, der auch den Handel stark beeinflusst. Einkaufen darf nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Die gesuchten Produkte müssen einfach und schnell gefunden werden. Das wachsende Umweltbewusstsein und die Qualitätsorientierung vieler Verbraucher stellen weitere Trends dar, auf die RetailUnternehmen mit neuen Bio-Produkten oder nachhaltigen Gütern in ihren Sortimenten 2 reagieren. Darüber hinaus nimmt die Preissensibilität der Kunden zu, so dass viele als Schnäppchenjäger agieren und ihre Produkte nur dort kaufen, wo diese am günstigsten sind. Im Zuge dessen nimmt die Marken- und Einkaufsstättentreue der Konsumenten ab. So kauft die Gruppe der sogenannten Smart Shopper, zu der 25% der deutschen Gesamtbevölkerung gehören, dort ein, wo sie ihre Qualitätsprodukte am günstigsten bekommen - nach dem Motto „Geld sparen ist clever“ (vgl. Esch, 2011). Nichtsdestotrotz ist der erlebnisorientierte Kunde auf dem Vormarsch, wie aktuelle Studien belegen. Etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung zählt zur Gruppe der Erlebniskonsumenten, die weniger Produkte aufgrund ihrer funktionalen Eigenschaften erwerben, sondern verstärkt Marken kaufen, die ihnen positive Erlebnisse und Emotionen vermitteln. Nicht umsonst ist die Marke Apple seit Jahren eine der wertvollsten Marken der Welt. Konsumenten kaufen sich ein iPhone nicht, weil sie mit diesen telefonieren und surfen können, sondern weil es cool und stylish ist (vgl. Honal, 2014). Zunehmend ist auch ein Variety Seeking Trend bei den Konsumenten feststellbar. Hierbei wechseln Kunden ihre Marken nicht, weil sie unzufrieden sind, sondern um etwas Neues auszuprobieren. Ein Wechsel des Auswahlverhaltens kommt z.B. zustande, wenn neue Produkte auf den Markt kommen oder sich der Geschmack infolge des Einflusses der Werbung verändert (vgl. Honal, 2010). Aufgrund dieser neuen Herausforderungen weisen Handelsunternehmen ein neues Selbstverständnis auf, da sie sich nicht länger als Distributeur, sondern als Marketingakteur einstufen. Zur gezielten Gewinnung und Bindung der Kunden reicht es heute nicht mehr aus, Marketing-Maßnahmen aus dem Bauch heraus zu fällen, sondern es müssen eine Vielzahl von Einflussgrößen und Besonderheiten berücksichtigt werden, um einen wirkungsvollen Marketing-Mix zusammenstellen zu können (vgl. Esch, 2011). Daher gewinnt der Einsatz moderner Marktforschungstechniken an Bedeutung, um insbesondere das Kundenverhalten genauer untersuchen und hervorsagen zu können. Techniken, wie das Eye-Tracking, die bspw. zur Analyse der Konsumentenwahrnehmung am Point-of-Sale verwendet werden, sollten im Folgenden genauer erläutert und deren Nutzen für Handelsunternehmen vorausgestellt werden. 2. Einführung in die Grundlagen des Konsumentenverhaltens – Wie ticken Kunden heute? Zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges ist es für Handelsunternehmen wichtig zu wissen, wie ihre Kunden ticken, wie Kaufentscheidungsprozesse ablaufen und 3 wie man diese Prozesse durch wirkungsvolles Marketing gezielt beeinflussen kann. Die verhaltenswissenschaftliche, empirische Konsumentenforschung ist durch das sogenannte S-O-R-Paradigma geprägt, das auf dem neobehavioristischen Konzept der kausalen Verknüpfung von Stimulus, Vorgänge im Organismus (intervenierende Variabel) und Reaktion des Organismus basiert. Das Verhalten lässt sich demnach durch das Zusammenwirken von Umwelteinflüssen und von psychischen Vorgängen erklären, die in sich einem Konsumenten abspielen: Die Modellvariablen beziehen sich dabei auf die beobachtbaren Reize der Umwelt (S für Stimulus, z.B. ein Pralinen-Display im Store), auf die nicht beobachtbaren, internen psychischen Prozesse (O für Organismus, z.B. das Wecken des Bedürfnisses, eine bestimmte Pralinensorte zu konsumieren) und auf die direkt beobachtbaren Reaktion (R für Reaktion, z.B. das Kaufen der präferierten Pralinensorte aus dem Display). Bei der Verwendung dieses S-O-R-Paradigmas ist der Konsument als eine „Black Box“ anzusehen, da insbesondere die intervenierenden, sich in den Köpfen der Konsumenten abspielenden Prozesse, nicht beobachtbar sind. An diesem Punkt setzen moderne Marktforschungstechniken, wie das Eye Tracking an, um u.a. den Wahrnehmungsprozess beim Betrachten des Pralinendisplays nach zu verfolgen und untersuchen zu können (vgl. auch Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). Der Kaufentscheidungsprozess lässt sich dabei als ein interaktives Zusammenspiel mehrerer Stufen, von der Produktwahrnehmung bis zum Kauf des Produktes, verstehen. Neben sozialen Faktoren, die das Kaufverhalten beeinflussen, z.B. Freunde und Familie, spielen auch psychische Determinanten eine zentrale Rolle. Diese psychischen Determinanten des Kaufverhalten bzw. des Konsumentenverhalten im weiteren Sinnen können in aktivierende Prozesse einerseits sowie in kognitive Prozesse andererseits differenziert werden. Oftmals sind diese beiden Prozessarten eng miteinander verknüpft (vgl. Abbildung 1 sowie KroeberRiel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). 4 Abbildung 1: Übersicht psychische Determinanten des Konsumentenverhaltens Quelle: in Anlehnung an Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009 Unter aktivierenden Prozessen versteht man die aufeinander aufbauenden Konstrukte Emotion, Motivation und Einstellung, welche ein bestimmtes Verhalten auslösen. Dazu muss der menschliche Organismus zunächst durch physikalische, kognitive oder emotionale Reize aktiviert und in einen Zustand der Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft versetzt werden (vgl. auch Abbildung 2). Abbildung 2: Das Stufenmodell aktivierender Prozesse Quelle: Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009 5 Zu einer Kaufentscheidung führen letztendlich die kognitiven Prozesse, die durch aktivierende Prozesse beeinflusst werden. Sie werden in die Prozesse der Wahrnehmung, Denken und Entscheiden, sowie Lernen und Gedächtnis bzw. nach neueren Ansätzen in Informationsaufnahme, -verarbeitung und -speicherung untergliedert (vgl. Foscht/Swoboda, 2007). Kognitive Prozesse sind damit alle psychischen Vorgänge, durch die ein Mensch sich selbst und seine Umwelt erkennt. Das eigene Verhalten kann dadurch gedanklich kontrolliert und bewusst gesteuert werden (vgl. Schneider, 2009). Nach dem klassischen Mehrspeichermodell des Gedächtnisses laufen kognitive Prozesse in drei verschiedenen Speichern des menschlichen Gehirns ab, wie Abbildung 3 veranschaulicht. Zu den drei Speichern gehören der Ultrakurzzeitspeicher, der Kurzzeitspeicher sowie der Langzeitspeicher, die sich hinsichtlich ihrer Zeitkonstante und Speicherkapazität unterscheiden. Der Ultrakurzzeitspeicher (sensorischer Speicher) übernimmt die Reize (z.B. Wahrnehmung der Pralinen auf dem Display) nach der sensorischen Reizaufnahme und stellt diese für die Weiterverarbeitung zur Verfügung. Hierbei werden die Informationen nur für eine sehr kurze Zeit bereitgestellt, anschließend verfällt die Gedächtnisspur der nicht beachteten Informationen. Die Speicherdauer liegt zwischen 0,1 und 1,0 Sekunden. Bei dem Transfer in den Kurzzeitspeicher geht eine Vielzahl der Informationen verloren, weil die Informationsverarbeitung ab einem bestimmten Punkt nicht mehr parallel, sondern seriell verläuft. Die Aufmerksamkeit, also die Bereitschaft einer Person, Reize aus der Umgebung aufzunehmen, entscheidet darüber, welche Informationen von dem sensorischen Speicher in den Kurzzeitspeicher gelangen (vgl. Honal, 2010). Der Kurzzeitspeicher übernimmt einen Teil der Informationen aus dem sensorischen Speicher zur Weiterverarbeitung, wobei die Auswahl vom Aktivierungspotenzial der Reize abhängt (z.B. Farbe und Größe der Pralinenverpackung). Der Kurzzeitspeicher übt somit die Funktion eines Arbeitsspeichers aus. Er speichert die Informationen für wenige Sekunden, um sie für die Verarbeitung bereitzustellen und übernimmt die aktive Verarbeitung der eingehenden Informationen. Hierbei erfolgt ein Abgleich mit dem gespeicherten Wissen aus dem Langzeitspeicher und eine Verknüpfung mit den bereits vorhandenen Wissensstrukturen. Der Kurzzeitspeicher verfügt über eine Speicherdauer von 15 bis 18 Sekunden und eine Kapazität von sieben (plus/minus zwei) Informationseinheiten. Der Langzeitspeicher ist mit dem Gedächtnis des Menschen gleichzusetzen und weist eine sehr große Speicherkapazität auf. Ist eine Information über den Kurzzeitspeicher in den Langzeitspeicher gelangt, wird diese 6 Information durch mehrfache Reizung einer neuronalen Bahn in biochemischen Substanzen gebunden und dort dauerhaft gespeichert (vgl. Honal, 2010 sowie Kroeber-Riel/Weinberg/ Gröppel-Klein, 2009). Abbildung 3: Vereinfachtes Mehrspeichermodell des menschliches Gedächtnisses Quelle: Eigene Darstellung Die Kaufentscheidungen der Konsumenten können nach dem Grad der kognitiven Beteiligung (Involvement) in extensive, limitierte, habitualisierte und impulsive Kaufentscheidungen eingeteilt werden (vgl. auch Kuß/Tomczak, 2007):  Extensive Kaufentscheidungen, z.B. Kauf eines Neuwagens: Sie sind durch eine hohe kognitive Beteilung und eine lange Entscheidungsdauer charakterisiert. Der Informationsbedarf bei dieser Kaufentscheidungsart ist besonders hoch. Zudem informiert sich der Konsument ausführlich über verschiedene Marken und Produkte, Preise und Händler und lässt sich im Geschäft meist ausführlich beraten.  Limitierte Kaufentscheidungen, bspw. Erwerb eines Mobiltelefons bei Vertragsverlängerung: Der Kunde kann bereits auf vorhandenes Wissen (Erfahrungen) zurückgreifen, so dass der Informationsbedarf geringer ist. Zudem ist das Engagement 7 bei der Kaufentscheidung im Vergleich zu extensiven Entscheidungen geringer und der Käufer beruft sich auf die ihm bekannten Produkte bzw. Marken.  Habitualisierte Kaufentscheidungen, z.B. Gewohnheitskäufe bei Gütern des täglichen Bedarfs: Bei diesen Kaufentscheidungen liegen nur ein geringes kognitives Involvement sowie eine kurze Entscheidungsdauer vor. So wird ein Kunde seine Milchsorte nicht regelmäßig wechseln, sondern in der Regel immer die gleiche Marke wählen. Oft neigen ältere Menschen zu habitualisierten Kaufentscheidungen, da sie im Allgemeinen weniger risikofreudig sind.  Impulsive Kaufentscheidungen, z.B. Spontankauf von Süßigkeiten in der Kassenzone: Diese ungeplanten Entscheidungen fallen meist direkt am Point of Sale, da der Konsument einer starken Reizsituation (z.B. besondere Regalplatzierung von Produkten oder sonstige Verkaufsförderungsmaßnahmen) ausgesetzt ist, die er gedanklich kaum kontrollieren kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die meisten täglichen Kaufentscheidungen einer geringen kognitiven Steuerung unterliegen und damit limitiert, habituell oder impulsiv erfolgen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). Darüber hinaus lassen sich Kaufentscheidungen grob in die beiden Kategorien High- und Low-InvolvementEntscheidungen differenzieren. Je höher das Involvement, also die Stärke der Beziehung zu einem Produkt ist, desto mehr Informationen werden gesucht und verarbeitet (vgl. auch Honal, 2010). Abbildung 4 zeigt die Kennzeichen dieser beiden Entscheidungskategorien: 8 Abbildung 4: Charakteristika von High- und Low-Involvement Entscheidungen Quelle: in Anlehnung an Honal, 2010 und Trommsdorff/Teichert, 2011 High-Involvement-Käufe sind für den Konsumenten folglich von hoher persönlicher Relevanz und mit verschiedenen Kaufrisiken verbunden. Aus diesen Gründen ist es lohnend, verschiedene Alternativen sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Im Gegensatz dazu stehen Low-Involvement-Käufe, bei denen es sich nicht lohnt, größere Anstrengungen in Informationssuche und Angebotsvergleiche zu investieren (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/ Gröppel-Klein, 2009). Da diese Art von Kaufentscheidung vor allem unbewusst abläuft, eignet sie sich in besonderem Maße für auch für Eye-Tracking-Untersuchungen, die im Folgenden genauer erläutert werden. 9 3. Möglichkeiten zur Analyse und Steuerung des Konsumentenverhaltens am Beispiel des Eye Trackings 3.1 Funktionsweise und Anwendungsbereiche des Eye Trackings Das Eye-Tracking-Verfahren wird gegenwärtig in unterschiedlichen Bereichen als Analyse-, Prüfungs- und Diagnose-Instrument eingesetzt. So kann es im Bereich des Marketings u.a. zur Werbeerfolgskontrolle oder in der Medizin für neurologische, psychiatrische und neuropsychologische Fragestellungen, z.B. zur frühzeitigen Diagnose von Autimus bei Kindern verwendet werden. In der Psychologie begrenzt sich der Einsatz von Eye Tracking meist auf die Bildwahrnehmung und die Bewegungswahrnehmung sowie für die Trainingsanalyse, um den Lernfortschritt von Patienten zu vermitteln. Bereits vor über 100 Jahren wurden erste Apparaturen eingesetzt, um den Blickverlauf der Augen von Probanden zu studieren. Jedoch kam es seit in den 70er Jahren zu rasanten Entwicklungen in der Eye Tracking Forschung, welche die Grundlagen für die heutigen Anwendungsmöglichkeiten dieser Technik legten (vgl. Tobii Technology AB, 2013B). Wenn man eine visuelle Vorlage, wie ein Plakat oder eine Anzeige, betrachtet, so hat man den Eindruck, dass die Augen mit einem Blick den Stimulus erfassen oder kontinuierlich darüber hinweg gleiten. Dies ist jedoch nicht der Fall – vielmehr tastet der Blick die Vorlage mit unregelmäßigen Sprüngen ab, die dem Betrachter nicht bewusst sind. Bei dem menschlichen Blickverlauf ist daher zwischen den Fixationen, also dem Verweilen des Blick auf einem Punkt zur Informationsaufnahme, und den Saccaden, den schnellen Sprüngen zwischen den einzelnen Fixationen, zu differenzieren. Fixationen weisen eine längere Verweildauer (200 bis 400 Millisekunden) und dienen der Informationsaufnahme. Hingegen sind Saccaden durch eine kurze Verweildauer (30 bis 90 Millisekunden) charakterisiert und dienen lediglich zur Orientierung (vgl. Foscht/Swoboda, 2007 sowie Tobii Technology AB, 2008). Zur Informationsaufnahme ist es notwendig, dass die Augennetzhaut (Retina) ein klares Bild des Reizes registrieren kann. Informationen können allerdings nur von den lichtempfindlichen Zellen der Fovea Centralis, einem sehr kleinen Bereich der Netzhaut, in scharfe Farbbilder umgewandelt werden. Dazu ist es erforderlich, dass der Blick etwas länger verweilt. Aus diesem Grund werden nur Informationen, welche durch Fixationen aufgenommen werden, auch kognitiv weiterverarbeitet. Für die Analyse sind daher insbesondere Anzahl, Dauer und Reihenfolge von länger verweilenden Blicken von 10 Interesse, um Wahrnehmungsmuster zu erfassen. So sind längere Fixationen ein Indikator für kognitive Verarbeitungsprozesse des Gehirns. Die Anzahl der Fixationen innerhalb eines Suchprozesses kann Auskunft über die Sucheffizienz geben. Je weniger Standblicke registriert werden, umso schneller werden bspw. bestimmte Marken gefunden (vgl. Tobii Technology AB, 2008). Reize, die während den Saccaden auf das menschliche Auge treffen, werden peripher wahrgenommen. Sie können die durch Fixationen aufgenommenen Informationen ergänzen (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). Eye Tracking Anlagen können je nach Untersuchungszweck und örtlichen Gegebenheiten unterschiedlich aufgebaut sein. Der sogenannte Eye Tracker bildet das Kernstück jeder Versuchsanordnung. Er sammelt Daten über die Blickrichtung und Bewegungen der Augen. Die meisten Eye Tracker erzeugen dazu durch eine oder mehrere Infrarotlichtquellen Reflexionen auf der Hornhaut des menschlichen Auges. Auf diese Weise können die exakten Positionen der Pupille identifiziert werden. Bildsensoren registrieren das vom Auge wahrgenommene Bild, das Rückschlüsse auf Merkmale des Anwenders und dessen Augen, sowie Wahrnehmungsmuster ermöglicht. Zur genauen Berechnung dreidimensionaler Blickpunkte wird ein mathematisches Modell verwendet (vgl. Abbildung 5 sowie Tobii Technology AB, 2012A und Tobii Technology AB, 2013A). 11 Abbildung 5: Prozess des Eye Trackings am Beispiel eines bildschirmintegrierten Remote Eye Trackers Quelle: Tobii Technology AB, 2013A Grundsätzlich unterscheidet man zwischen ferngesteuerten Blickaufzeichnungsgeräten (Remote Eye Trackers) und mobilen Eye Trackers, die in Form einer Brille vom Anwender getragen werden (vgl. Tobii Technology AB, 2013A) Diese mobile Blickregistrierung hat den Vorteil, dass Messungen unabhängig von stationären Laboren unter realistischeren Bedingungen durchgeführt werden können (z.B. vor dem Regal eines Supermarktes). Vor Beginn der Blickaufzeichnung müssen Augenhöhe und Eye Tracker manuell aufeinander abgestimmt werden (Kalibrierung). Dazu muss der Proband verschiedene festgelegte Punkte fixieren (vgl. Tobii Technology AB, 2012A sowie Tobii Technology AB, 2012B). Das Blickfeld wird an einen angeschlossenen Computer gesendet, der den Verlauf von Fixationen und Saccaden aufzeichnet und anschließend auswertet (vgl. auch Kroeber-Riel/Weinberg/ Gröppel-Klein, 2009) Im Marketing gibt es vielfältige Anwendungsbereiche für das Eye Tracking. Im Bereich der Werbung kann z.B. gemessen werden, inwiefern die Werbebotschaft und insbesondere 12 Schlüsselinformationen vermittelt werden (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). Zur Analyse eignen sich Anzeigen in Printmedien, TV-Spots, Plakate oder Gebrauchsanweisungen, die in digitaler Form auf einem Bildschirm oder anhand eines Ausdrucks untersucht werden können (vgl. Dr. von Keitz GmbH, 2013 und Tobii Technology AB, 2012B). Durch die Aufzeichnung von Blickverläufen kann ferner die Benutzerfreundlichkeit von Webseiten, Software, Computerspielen oder von physischen Produkten getestet werden (vgl. Tobii Technology AB, 2012B). Im Rahmen von E-Commerce Prozessen werden dadurch u.a. die Effizienz und Übersichtlichkeit von Webseiten optimiert. Produktverpackungen können durch das Zeigen von Alternativen optimiert werden, indem ermittelt wird, welches Design die meiste Aufmerksamkeit erzeugt (vgl. Tobii Technology AB, 2008) Ein weiterer wichtiger Einsatzbereich, mit dem sich auch der empirische Teil dieser Arbeit beschäftigt, ist das Orientierungsverhalten von Kunden vor dem Regal (vgl. Schröder/Berghaus/ Zimmermann, 2005). Shopper-Studien messen dabei die Wirkung von Regalplatzierungen und Sonderangeboten auf den Kaufentscheidungsprozess (vgl. auch Kroeber- Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). 3.2 Empirische Studie zur Regaloptimierung am Point-of-Sale im Einzelhandel Im Sommer 2013 wurde am Zentrum für empirische und experimentelle Betriebswirtschaftslehre (ZEEB) der DHBW Mannheim eine empirische Eye Tracking Studie, welche sich mit der Ermittlung einer optimalen Warenplatzierung für Tafelschokolade (LowInvolvement-Produkt) eines deutschen Einzelhandelsunternehmens beschäftigte, durchgeführt. Zur Auswahl verschiedener Regalplatzierungsalternativen sowie der richtigen Schokoladenmarken und -sorten wurden jeweils 15 weibliche sowie 15 männliche Personen im Alter zwischen 18 und 66 Jahren im Rahmen eines persönlichen Interviews befragt. Neben offenen Fragen zu den verschiedenen Regalvarianten wurden geschlossene Fragen zur Markenbekanntheit, -einstellung und -kaufhäufigkeit im Bereich von Tafelschokolade im Rahmen der Vorstudie gestellt. Basierend den Vorstudienergebnissen wurden für die Hauptstudie die Regalalternativen mit den besten Bewertungen bezüglich ihrer Orientierungsfreundlichkeit ausgewählt und maßstabgetreu in dem Eye Tracking Labor des ZEEB aufgebaut (vgl. Abbildung 6 sowie Abbildung 7). 13 Abbildung 6: Horizontale Regalplatzierung (Variante 1) Quelle: Böttger, 2013 Durch die Aufzeichnung des Blickverlaufs sollte unabhängig von den späteren Aussagen der 22 Probanden untersucht werden, welche Marken in welcher Reihenfolge wahrgenommen werden. Von Interesse waren dabei zudem die einzelnen Fixationsdauern und -häufigkeiten, sowie das Erkennen von Wahrnehmungsmustern. Zur vollständigen Abbildung eines Kaufentscheidungsprozesses wurden die Probanden gebeten, sich für eines der im Regal platzierten Produkte zu entscheiden. Im Anschluss wurde jede Testperson nochmals zu vorhandenen Erfahrungen, Einstellungen und Kaufbereitschaft befragt, um die Aussagekraft der erfassten Daten qualitativ zu ergänzen. Der Fragebogen wurde ähnlich wie in der Vorstudie aufgebaut. An der Hauptuntersuchung nahmen 11 weibliche und 11 männliche Studenten der DHBW Mannheim teil, deren Alter zwischen 19 und 27 Jahren lag. 14 Ergebnisse der Eye Tracking Studie im Überblick: a) Blickverlauf:  In den Varianten mit horizontal aufgereihten Produkten waren vor allem horizontale Blickverläufe erkennbar, die auf der linken Regalseite ansetzten. Hier schien ein Zusammenhang zwischen der horizontalen Warenanordnung und der von links nach rechts ablaufenden Informationsaufnahme zu bestehen. Die Richtung der Warenplatzierung hat somit einen Einfluss auf die Konsumentenwahrnehmung. Die Kaufentscheidungsprozesse wurden bei der horizontalen Anordnung zudem schneller getroffen als bei der vertikalen Anordnung. Folglich kann eine horizontale Platzierung die Informationsaufnahme und -verarbeitung erleichtern und zu einer höheren Sucheffizienz beitragen.  Bei vielen Blickaufzeichnungen konnte beobachtet werden, dass die erste Fixation der linken (meist oberen) Regalhälfte galt, was durch die Aussagen der Probanden bestätigt wurde (vgl. Abbildung 6) Eine Platzierung in diesem Regalbereich müsste somit zur Wahrnehmungs- und Verkaufssteigerung beitragen. Die Wahrnehmung könnte allerdings auch mit der Platzierung starker Marken in diesem Regalbereich zusammenhängen, sodass diese Hypothese nicht eindeutig belegt werden kann und Anlass für Folgestudien gibt. 15 Abbildung 7: Blickverlauf eines Probanden zu einer vertikalen Warenanordnung (Variante 2) (Hinweis: Hier sind nur die ersten 22 Fixationen abgebildet) Quelle: Böttger, 2013  Vertikale Blickverläufe wurden vor allem in Variante 2 gemessen, was vermutlich mit der vertikalen Warenplatzierung zusammenhing. Im Rahmen der Vorstudie wurden vertikale Anordnungen von vielen Befragten als übersichtlich gewertet. b) Fixationen:  Sowohl in der Vor- als auch in der Hauptstudie war erkennbar, dass Marken, die auf den ersten Blick wahrgenommen wurden, oftmals mit einer positiven Einstellung zusammenhingen und häufig gekauft wurden. Allerdings war eine positive Einstellung keinesfalls Voraussetzung für die Wahrnehmung. In der Vorstudie wurden z.B. häufig die Eigenmarken bei mittiger Positionierung zuerst erkannt, ohne dass der Befragte diese notwendigerweise schon probiert haben musste.  In beiden Studien waren die Verpackungsfarbe und -gestaltung die meistgenannten Gründe für die sofortige Wahrnehmung auffälliger Markenprodukte. Hierzu gehörten die Marktführer Milka und Ritter Sport, die durch ihr unverwechselbares Design schnell 16 gefunden wurden. In den Planogrammen der Vorstudie – also den visuellen Darstellungen der möglichen Artikelplatzierungen in dem später eingesetzten Regale für die Hauptstudie – wurden zudem die eher umsatzschwachen Marken Ovomaltine und Die Weisse von Nestlé aufgrund ihrer Farbe bzw. großen und dadurch auffallenden Schrift verstärkt wahrgenommen. Um die Markenerkennung zu beschleunigen, ist somit eine Verpackungsgestaltung von Vorteil, die sich von anderen Marken abhebt und deutlich unterscheidet.  In Variante 2 konnte nachgewiesen werden, dass ein hoher Anteil der Marke Milka (ca. 25% des Gesamtregals) zu vergleichsweise höheren Fixationshäufigkeiten und -dauern führte. In der anderen Variante, in der Milka nur auf dem untersten Regalboden vertreten war, wurde die Marke deutlich weniger fixiert. Der Anteil einer Marke ist folglich maßgeblich für die Fixationshäufigkeit.  Die totalen Fixationsdauern zeigten, dass mehrheitlich Produkte ausgewählt wurden, die vorher länger betrachtet wurden als andere Artikel. Häufig wurde dabei angegeben, die Entscheidung aufgrund der hervorstechenden Produktverpackung oder einer Platzierung in einem aufmerksamkeitsstarken Regalbereich (z.B. in Sichthöhe) getroffen zu haben. Je länger ein Produkt betrachtet wird, desto mehr steigt die Kaufbereitschaft.  In Regalbild 2 wurde eine vergleichsweise lange Fixationsdauer einer eher umsatzschwachen Eigenmarke gemessen. Diese befand sich in der Regalmitte direkt neben den aufmerksamkeitsstarken Artikeln von Milka und profitierte von der stärkeren Fixierung des Regalbereichs. Eine gemeinsame Platzierung von schwachen und starken Marken kann die Aufmerksamkeit auf die schwache Marke daher erhöhen. Allerdings konnte nicht eindeutig bewiesen werden, dass die erhöhte Fixationshäufigkeit der Eigenmarke nicht allein auf die mittige Regalplatzierung zurückzuführen ist.  In den Varianten ohne Eigenmarken-Display konnten sich die Marktführer Milka und Ritter Sport durchsetzen und wurden stärker fixiert als die Handelsmarken. Gegenüber anderen, weniger bekannten Herstellermarken, wie z.B. Trumpf, Sarotti, Ovomaltine oder Minus L, schnitten die Eigenmarken allerdings besser ab und erzielten vergleichsweise hohe Fixationsdauern. Diese Werte spiegelten sich auch in den Befragungsergebnissen wider. In allen Befragungen kannten mindestens 87% der Probanden die Eigenmarken des Handelsunternehmens. Kaufbereitschaft und -häufigkeit waren zwar weniger stark ausgeprägt, allerdings verdeutlichen die Studienergebnisse den Trend der 17 positiven Einstellung und Wahrnehmung zu Handelsmarken, die zunehmend in direkter Konkurrenz zu den klassischen Markenprodukten stehen. c) Platzierungsvarianten  Die Kennzeichnung einzelner Produktkategorien erwies sich als gute Unterstützung bei Suchprozessen. Allerdings muss es sich dabei um leicht verständliche und eine überschaubare Anzahl von Kategorien handeln, da es sonst schnell zu einer Informationsüberlastung kommt. Hinweisschilder müssen außerdem aufmerksamkeitsstark, angebracht werden, um wahrgenommen zu werden.  Der Vergleich der Blickaufzeichnungsdauern zeigte, dass die Probanden ihre Kaufentscheidung in einer Variante mit weniger Artikeln ca. 10 Sekunden schneller trafen als in der Ausgangsanordnung. Dies könnte zwar einerseits auch damit zusammenhängen, dass der Versuchsaufbau und einzelne Artikel bereits bekannt waren. Andererseits zeigt dies aber, dass eine geringfügige Sortimentsreduktionen zu einer erleichterten Orientierung und dem Abbau der Informationsüberlastung beiträgt.  Um zu testen, ob die Produkte von Milka aufgrund ihres hohen Bekanntheitsgrades unabhängig von der Regalzone gefunden und gekauft werden, wurden diese in der zweiten Variante in der aufmerksamkeitsschwachen Bückzone platziert. Sowohl die Ergebnisse der Vorstudie, als auch die der Eye Tracking-Studie zeigten, dass Milka in diesem Regalbereich deutlich weniger wahrgenommen wurde. Nur noch 19% von ehemals 56% der Testkunden entschieden sich für ein Milka Produkt. Somit scheint die Regalzone doch einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung und das Konsumentenverhalten zu haben. Eine Platzierung in einer aufmerksamkeitsschwächeren Regalzone kann nur unzureichend durch eine hohe Markenbekanntheit kompensiert werden. d) Konsumentenverhalten  Der Trend des Variety Seekings war bei allen Regalvarianten vereinzelt erkennbar. Rund 11% der Versuchsteilnehmer entschieden sich bewusst für ein bisher unbekanntes Produkt und begründeten dies damit, eine neue Sorte testen zu wollen. Diese Beobachtung zeigt, dass Sortimentswechsel und Neulistungen in Verbindung mit 18 Abwechslung für den Kunden ein Anreiz für den Besuch einer Geschäftsstätte sein können.  In beiden Studien konnte häufig ein positiver Zusammenhang zwischen Einstellung und Wahrnehmung gefunden werden. Produkte, die von den befragten Personen als „Lieblingsmarke“ benannte wurden und daher gewohnheitsmäßig gekauft werden, wurden bei der Kaufentscheidung bevorzugt. Wie bereits dargelegt, wurden bekannte und präferierte Produkte allerdings nicht kürzer fixiert. 3.3 Untersuchung zum Verpackungsdesign am Beispiel von kurzlebigen Konsumgütern Viele Konsumgüterhersteller und Handelsunternehmen ändern in regelmäßigen Abständen das Verpackungsdesign ihrer Produkte, um diese für den Konsumenten attraktiver und im zeitgemäßen Layout erscheinen zu lassen. Oft sind in solchen Fällen kreative Werbeagenturen aktiv, die jedoch ohne einen verhaltenswissenschaftlichen Hintergrund „hippe“ Verpackungsdesigns entwerfen, jedoch sich deren Auswirkungen auf das Konsumentenverhalten nicht bewusst sind. Ein Negativbeispiel hierfür ist die Veränderung des Verpackungsdesigns des Orangensaftes Tropicana von PepsiCo, der 2009 im neuen Gewand auf den Markt kam. Auf der ursprünglichen Verpackung war eine saftige Orange abgebildet, welche die Qualität und Frische des Premiumsaftes unterstreichen sollte. Auf dem neuen Verpackungsdesign wurde hingegen nur noch der Orangensaft in einem Glas gezeigt, durch den nach Aussage des Chefdesigners Peter Arnell nur das reine Endprodukt – also der „pure Genuss“ visualisiert werden sollte (vgl. hierzu Abbildung 8). Die Folgen zeigten sich schnell: Anstelle des erhofften Umsatzzuwachses kam es zu einem Abverkaufseinbruch von über 20% innerhalb weniger Wochen. Das Unternehmen musste die Fehlentscheidung hinsichtlich des Verpackungsdesigns gegenüber den Kunden eingestehen und die neue Verpackung wieder vom Markt nehmen. Seit dieser Zeit ist Tropicana wieder in seinem altbewährten Gewand in den Verkaufsregalen zu finden (vgl. Zmuda, 2009). Solche Fehler können bereits im Vorfeld vermieden werden, wenn sich Konsumgüterhersteller bzw. Handelsunternehmen des Eye Trackings bedienen, um vor der eigentlichen Markteinführung zu untersuchen, ob das neu geplante Design bei der Zielgruppe ankommt und der Produktnutzen über die Verpackung auch vermittelt werden kann. 19 Altes Design Neues Design Abbildung 8: Änderungen des Verpackungsdesign am Beispiel der Orangensaftmarke Tropicana von PepsiCo Quelle: Zmuda (2009) Die Vorteile eines gezielten Einsatz von Eye Tracking Systemen im Konsumgüterbereich zeigt eine Untersuchung von dem Eye Tracking Anbieter Tobii Technology eindrucksvoll, die in Kooperation mit dem Marktforschungsinstitut Stratégir durchgeführt wurde. Die Verkaufszahlen des von der Marke Bonduelle angebotenen Salates schwächelten seit einiger Zeit. Deshalb wurde eine Eye Tracking Studie durchgeführt, in der im ersten Schritt das aktuelle Verpackungsdesign des Salates getestet wurde. Die Analyseergebnisse zu der bisherigen Verpackung zeigten, dass die Probanden die Verpackung relativ lange abscannten, um alle relevanten Informationen zu erhalten. Zudem wurde der Markenname kaum wahrgenommen (vgl. auch Abbildung 9). Daraufhin wurde im zweiten Schritt ein neues Verpackungsdesign entworfen, welches besser auf die Bedürfnisse der Zielgruppe 20 abgestimmt war. Eine Eye Tracking Untersuchung des neuen Verpackungsdesigns bestätigte, dass die Probanden den Markenname nun schneller und besser wahrnahmen. Zudem konnten die relevanten Informationen zu dem Produkt zügiger und präziser erfasst werden und somit die Kaufentscheidung der Konsumenten unterstützt werden (vgl. auch Abbildung 9). Durch Einführung des neuen Verpackungsdesigns konnte die Marke Bonduelle einen Umsatzzuwachs von 15% innerhalb kurzer Zeit erzielen (vgl. Tobii, 2011). Altes Design Neues Design Abbildung 9: Ergebnisse der Eye Tracking Analysen hinsichtlich des alten und neuen Verpackungsdesign bei der Salatmarke Bonduelle Quelle: Tobii (2011) 4. Zusammenfassung und Ausblick Die bisherigen Ausführungen machen die umfangreichen Veränderungen in der RetailBranche deutlich. Handelsunternehmen können es sich heute nicht mehr leisten, sich nur auf ihre klassischen Aufgaben zu konzentrieren. Vielmehr müssen sie selbst aktiv werden und sich als Serviceanbieter gegenüber den Kunden verstehen. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist es für Handelsunternehmen besonders wichtig, die Konsumenten in die Shops oder auf die Website zu locken und die Produkte in Szene zu setzen. Es reicht nicht mehr aus, die Produkte willkürlich in das Regal einzuräumen und darauf zu warten, dass die Konsumenten die neusten und besten Angebote auch wahrnehmen. Erfolgreiche Händler 21 zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf wissenschaftlich fundierte Ergebnisse setzen, um ihr Angebot zu vermarkten und in Szene zu setzen. Mit Hilfe der Eye Tracking Methodik können Retail-Unternehmen ihre Regal optimal bestücken oder die Usability ihrer Online-Shops erhöhen (vgl. auch Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein, 2009). Obgleich der Einsatz der Eye Tracking Technik nur Mittel zum Zweck ist, liefert diese Methodik objektive und zuverlässige Forschungsergebnisse, die praxisnah umgesetzt werden können. So können bspw. mit Hilfe dieser Methodik Werbekampagnen optimiert und Anzeigen so gestaltet werden, dass die Konsumenten die Botschaften auch richtig wahrnehmen und nichts Wichtiges übersehen. Zunehmend werden Eye Tracker auch zur Optimierung von Verpackungsdesigns eingesetzt. Durch diese Marktforschungsanalysen können – wie bereits erörtert – verschiedene Verpackungsalternativen getestet und analysiert werden, welche die besten Effekte bei den Verbrauchern. Meist sind nur kleinere Änderungen im Verpackungsdesign nötig, die jedoch eine große Wirkung erzielen. So kann bspw. durch die Umpositionierung des Markenlogos auf der Verpackung die Wahrnehmung des Kunden positiv beeinflusst werden, so dass er bereits in Bruchteilen von Sekunden wahrnimmt, zu welcher Marke das Produkt gehört. Zukünftig wird die Bedeutung des Eye Trackings laut Expertenaussagen weiter steigen. Seit einiger Zeit werden Eye Tracker von Handelsunternehmen auch zur Verbesserung ihrer mobilen Applikationen (Apps) verwendet, indem die Apps auf ihre Benutzerfreundlichkeit und Usability – ähnlich wie Webseiten – getestet werden. Zukünftig werden Eye Tracking Systeme im Handel auch stärker in Kombination mit Biofeedbacksystemen eingesetzt werden. Mit Hilfe von Biofeedbacksystemen können bestimmte Körperfunktionen, wie u.a. Blutdruck, Puls, Hautwiderstand, Hauttemperatur, Atemmuster, Muskelpotenziale oder Hirnströme, erfasst und somit dem Bewusstsein zugänglich gemacht werden. Dies geschieht im Allgemeinen durch Töne, z.B. Lautstärke oder Tonhöhe, oder durch Visualisierungen, bspw. Zeiger oder Balkengraphiken. Für die bewusst wahrnehmbare Darstellung kommen verschiedene biologische Istwerte in Frage. Diese werden nicht-invasiv gemessen, in einen Analog-Digital-Wandler konvertiert, gemittelt, verstärkt und anschließend graphisch oder akustisch aufbereitet. In der Marktforschungspraxis werden hierzu meist kleine, tragbare Geräte eingesetzt, die einen oder mehrere Parameter aufzeichnen können. Die Übertragung kann meist kabellos mittels der Bluetooth-Technik an einen Rechner erfolgen, der die 22 Messergebnisse auf Basis einer speziellen Biofeedbacksoftware auswertet und graphisch aufbereitet. Die Auswertungen können anschließend dazu genutzt werden, um verschiedene Handlungsempfehlungen abzuleiten. In der Handelspraxis erfolgt dies meist so, dass ein Proband vor einem Testregal steht. Mittels eines Eye Trackers wird der Blickverlauf – wie bereits beschrieben – aufgezeichnet. Parallel dazu ist an dem Finger des Probanden eine Messsonde angebracht, die bspw. den Hautwiderstand und damit indirekt den Grad der Anspannung des autonomen Nervensystems misst. Dieser Messwert wird auf dem Monitor des angeschlossenen Rechners angezeigt. Die neusten Softwareprogramme von Eye Trackern werten gleichzeitig auch Biofeedbackdaten mit aus, so dass neben den Blickverläufen die dazugehörigen Wirkungskurven bspw. des Hautwiderstandes beim Betrachten des Testregals mitzeigen und analysieren kann. Durch die Kombination der Messung verschiedener körperlichen Reaktionen des Probanden – also des Blickverlaufs einerseits und des Hautwiderstands andererseits, der als Indikator für den Erregungszustand des Probanden auf einen bestimmten Reiz dient, können aussagekräftigere Forschungserkenntnisse abgeleitet werden. So geben die Eye Tracking Ergebnisse Auskunft darüber, was der Probanden wahrnimmt und die Biofeedbackdaten zeigen, wie der Proband darauf reagiert, bspw. ob er beim Betrachten des Testregal erregt ist oder sein Puls ansteigt, wenn er ein tolles Produkt betrachtet. An dem Zentrum für empirische und experimentelle Betriebswirtschaftslehre (ZEEB) Kombinationstechnik bereits der erfolgreich DHBW Mannheim werden diese genutzt, um Retail-Unternehmen bei neue der Optimierung ihres Marketings zu unterstützen. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass das Eye Tracking ein modernes und wirkvolles Marktforschungsinstrument zur Analyse und Steuerung des Kundenverhaltens ist und in Zusammenarbeit mit Experten gezielt verwendet werden sollte, um Unternehmen bei der Verbesserung ihrer Retail-Kompetenz zu unterstützen. 23 Literatur ASSAEL, H. (1998): Consumer Behavior and Marketing Action, 6. Auflage, Cincinnati (Ohio): South-Western. BÖTTGER, K. (2013): Ableitung von systematischen Ansätzen zur Regaloptimierung im Bereich von Low-Involvement-Produkten zur besseren Ausschöpfung von Absatzpotenzialen bei der EDEKA Südwest, Offenburg. DR. VON KEITZ GMBH (2013): Institut für Wahrnehmungsforschung: Fallbeispiel NIVEA BEAUTÉ, Online im Web: http://www.vonkeitz.com/blickaufzeichnung _fallbeispiel.html (Abruf am 20.04.2013). ENDL, CLAUDIA (2010): „Werbeformen für die Märkte von morgen“, in: STI Group (Hrsg.): Greif zu und kauf mich – Displays als Erfolgsmotor für Marken und Handel, 1. 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