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Hausarbeit Queer Studies Und Kunstgeschichte, Catherine Opie

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2 2 Vgl. Villa, Paula-Irene: Judith Butler. Eine Einführung, Frankfurt/M 2003, S. 159 Im Sinne einer radikalen Diskontinuität in der Kette sex – gender – Begehren. Vgl. Jagose, Annamarie: Queer Theory. Eine Einführung, Berlin 2001, S. 162 f. Hark, Sabine: Lesbenforschung und Queer Theory: Theoretische Konzepte, Entwicklungen und Korrespondenzen, S. 104, in: Becker, Ruth / Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden 2008, S. 108-115 Brandes, Kerstin / Adorf, Sigrid: Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen" – Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theorie, S. 5, in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 5-10; auch im besonderen, z.B. welche Rolle queere Bilder in der Formierung gender-kritischer Wissensproduktion spielen und welchen Einfluss das auf den kunstgeschichtlichen Kanonon hat Blessing, Jennifer: Catherine Opie: American Photographer, S. 17, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, New York 2009, S. 10-28 Trotman, Nat: Selfportraits & Dyke, S. 72, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 72-73 Vgl. Hoenes, Josch: Und wenn sie eine feste Form angenommen haben" – Die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos, S. 74 f., in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 72-85 Rogoff, Irit: Er selbst – Konfigurationen von Männlichkeit und Autorität in der deutschen Moderne, S. 273, in: Zimmermann, Anja (Hg): Kunstgeschichte und Gender, Berlin 2006, S. 273-289 Ebd. S. 273 Vgl. Ebd. S. 275 Ebd. S. 275 Vgl. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M 2012, S. 75 f. Das eben sonst verschleiert bleibt Nach Lucy Irigaray: Die Maskerade ist (…) zu verstehen als das, was Frauen machen, um am Wunsch des Mannes teilzuhaben, aber zum Preis des Verzichts auf den eigenen", in: Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, a.a.O., S. 80 Vgl. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, a.a.O., S. 78-80 Vgl. Ebd. S. 80-93 Vgl. Trotman, Nat: Being and Having, S. 42 f., in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photografer, a.a.O., S. 40-49 Hoenes, Josch: Und wenn sie eine feste Form angenommen haben" – Die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos, S. 74 f., ., in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 72-85 Kunstnarben, Tattos und Piercings, auch Bodymodifications (Körperveränderungen) genannt, kennzeichneten ursprünglich die Zugehörigkeit zu einem Clan oder einer Gruppe (z.B.Cuttings: afrikanische Stammesvölker; Tattoos: hawaiianische und neuseeländische Tradition; Piercings: Indigene Völker am Amazonasgebiet). Vor allem aber sind sie Körperschmuck und ein Schönheitssymbol. Um außerhalb der hegemonialen Norm alternative Identitäts- und Gemeinschaftsmodelle zu entwerfen, bot es sich wohl an, auf traditionelle Bodymodifications zurückzugreifen. Sicherlich waren und sind sie für Angehörige der S/M-Szene besonders interessant. Dennoch sind Bodymodifications ein weltumspannendes westliches Phänomen, das sich mittlerweile auf allen gesellschaflichen Ebenen hoher Beliebtheit erfreut. Blessing, Jennifer: Catherine Opie: American Photographer, S. 12, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 10-28 Blessing, Jennifer: Catherine Opie: American Photographer, S. 14, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 10-28 Vgl. Ebd. S. 13; Außerdem bestehen hier wohl auch ironische Bezüge zum Familienschnappschuss und Schulportrait Ferguson, Russel: How I Think, Part I, An Interview with Catherine Opie, S. 104, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 104-107 Bätschmann, Oskar / Griener, Pascal: Hans Holbein, Köln 1997, S. 149 Nat Trotman: Portraits (1993-97), S. 53, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 50-69 Barthes, Roland: Die helle Kammer, Frankfurt/M 1985, S.33 f. Ferguson, Russel: How I Think, Part II: An Interview with Catherine Opie, S. 140, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O.,140-142 Hoenes, Josch: Und wenn sie eine feste Form angenommen haben" – Die Tranz Portraits Del LaGrace Volcanos, S. 77., in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 72-85, arret sur l'image" ist ein Begriff von Roland Barthes, der hier auch in Zusammenhang mit dem oben beschriebenen punctum gesehen werden kann. Wagner, Monika: Das Material der Kunst, München 2001, S. 222-228 Vgl. Dreher, Thomas: Flatz: Lebenszeichen und gelebter Augenblick, S. 16, in: Flatz – Bilder, Skulpturen und Objekte, Werkkatalog Bd. 1, München 1989, S. 13-37: Übrigens auch mit autobiographischem Hintergrund beschriebener Thematik Vgl. Foister, Susan: Holbein and England, London 2004, S. 222 Paul, Barbara / Schaffer, Johanna (Hg.): Mehr(wert) queer. Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken, Bielefeld 2009, S. 8 f. Evangelische Allianz der USA, die diverse Künstler wie Mapplethorpe und S. Sprinkle zensieren wollten Blessing, Jennifer: Catherine Opie: American Photographer, S. 16, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S. 10-29 Opie als Repräsentantin der vom Ausschluss bedrohten S/M-Szene Ferguson, Russel: I Have Represented This Country, An Interview with Catherine Opie by Russel Ferguson, S. 258, in: Hoban, Stephen (Hg.): Catherine Opie, American Photographer, a.a.O., S.256-265 Sie lebt heute mit ihrer Freundin, ihrem Sohn und diversen Tieren in einem großen Haus in einem Schwarzen Viertel Los Angeles. Vgl. Engel, Antke: How to queer things with Images?, S. 102 ff in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 102-112 Brandes, Kerstin/ Adorf, Sigrid: Indem es sich weigert, eine feste Form anzunehmen, S. 5, in: FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur: Kunst, Sichtbarkeit, Queer Theory, Heft 45, 2008, S. 5-10: Ein Satz, der versucht, die Charakteristik von Queer zu erfassen. Queer Studies und Kunstgeschichte Catherine Opie Schriftliche Hausarbeit LMU München Institut für Kunstgeschichte Hauptseminar: Männlich/Weiblich/?: Geschlechterdifferenzen in Kunst und Kunstgeschichte Dozentin: Prof. Dr. Anja Zimmermann Sommersemester 2014 Esther Mieves Mauerner Str. 2 82284 Grafrath Tel.: 08144/989799 [email protected] Matr.Nr.: 10995796 Kunstgeschichte (HF), SLK (NF) 3. Semester 20. August 2014 Inhalt Einleitung 2 Queer, Queer Studies, Catherine Opie und der kunstgeschichtliche Kanon 2 Hauptteil 4 Queeres Potential im visuellen Feld 4 Being and Having 4 Queerness und kunstgeschichtlicher Kanon 7 Portraits 7 Phantasie, queere Strategie und Revision der Kunstgeschichte 12 Self-Portraits: Cutting, Pervert, Nursing 12 Zusammenfassung und Ausblick 19 Eine neue Bildpolitik 19 Literaturverzeichnis 20 Abbildungsnachweise 21 Abbildungen…………………………………………………………………………………..22 Queer Studies und Kunstgeschichte Catherine Opie Einleitung Queer, Queer Studies, Catherine Opie und der kunstgeschichtliche Kanon Der Ausdruck queer ist ursprünglich ein anglikanischer Begriff für schräg, eigenartig, merkwürdig und wurde in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts als Beleidigung für schwule Männer verwendet. Im Zuge der Schwulen- und Lesbenbewegung in den 1980er-Jahren in den USA wurde dieser Begriff von den Betroffenen übernommen und als positiver Identitätsbegriff verwendet. D. h. queer ist ein Begriff, der oft als nützliche Abkürzung für lesbisch und schwul" verwendet wird, aber gleichzeitig nicht darauf begrenzt bleibt. Queer definiert sich aktuell in erster Linie durch seine Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit in Bezug auf Identität. Es ist ein integrativer Terminus, der aber gleichzeitig für die Aufhebung einer festgelegten Identität steht. Butler plädiert dafür, queer als eine performative Kategorie in ständigem Wandel zu begreifen. Mit ihrer Betonung des fragmentarischen, flexiblen, dialogischen Charakters von queer bietet sie ein Korrektiv für naturalisierte und scheinbar selbstverständliche Identitätskategorien, die den traditionellen Ausprägungen von Identitätspolitik zugrunde liegen und mit Ausschluss und strikter Normierung von Körpern operieren. Queer Theorie bzw. Queer Studies bezeichnet einen interdisziplinären Korpus von Wissen, der Geschlecht(skörper) und Sexualität als Instrumente und zugleich als Effekte bestimmter moderner Bezeichnungs-, Regulierungs- und Normalisierungsverfahren" hegemonialer Machtstrukturen begreift. Doch auch wenn die repräsentationspolitische Frage der Sichtbarkeit von Identität, Körper und Geschlecht ein zentraler Topos des queertheoretischen Diskurses ist, wird sie laut Kerstin Brandes und Sigrid Adorf eher selten als eine Frage des visuellen Feldes behandelt. In diesem Zusammenhang weisen sie auch auf die Relevanz und das Potential von Queer Studies im Rahmen einer kritischen Revision des Faches Kunstgeschichte hin. Die Frage danach, was Queer Theory und Kunstwissenschaft einander zu bieten haben und welche produktiven Schnittstellen und Verschaltungen es gibt und wie diese in ihrer wechselseitigen Produktivität formuliert werden können, diesem Thema widmet sich die vorliegende Hausarbeit am Beispiel der queeren Künstlerin Catherine Opie. Catherine Opie ist eine amerikanische Fotografin, die 1961 in Ohio geboren wurde und 1988 mit dem MFA in San Francisco ihr Kunststudium abschloss. Anhand der Portraitserien Being and Having und Portraits soll in den ersten beiden Kapiteln untersucht werden, was queere Kunst charakterisiert und wie sie innerhalb des kunstgeschichtlichen Kanons operiert. Darauf aufbauend sollen die eindrucksvollen Selbstportraits Cutting, Pervert und Nursing eingehend betrachtet und untersucht werden. Der Fokus liegt hier auf der wichtigen Rolle der künstlerischen Phantasie bzw. Imagination, die in der Entfaltung einer neuen (queeren) Bildstrategie nicht nur unseren Blick auf die Gegenwart sondern auch zurück auf den kunsthistorischen Kontext verändern kann. Hauptteil Queeres Potential im visuellen Feld Being and Having Bei Being and Having handelt es sich um eine ikonenartige Serie von 13 Farbfotografien, die Catherine Opie im Rahmen ihrer ersten Soloausstellung 1991 in der New Yorker 494 Gallery ausstellte (Abb. 1). Die Kopfstücke sind durchgängig vor leuchtend gelbem, monochromem Hintergrund abgebildet und in Holz gerahmt. Metallene Namensplaketten am unteren Rahmen enthalten Gravuren mit den Namen der Abgebildeten. Die Gesichter sind frontal und zentriert in den Rahmen eingepasst. Auffallend ist, dass alle Portraitierten selbstbewusst den Betrachter fokussieren. Attribute wie Kopfband, Cappie oder Zigarette und die Bärte mit den kurzen Haaren erzeugen machoartige Konnotationen von kontrollierter Männlichkeit. Bei den Abgebildeten handelt es sich um Opies lesbische Freundinnen aus Los Angeles. Die Fotografin selbst ist hier keine distanzierte Beobachterin, sondern als Bo unter den Abgebildeten (Abb. 1, erste von links) und kommentiert das folgendermaßen: I thought it was important if I was going to document my community, to document myself within that community." Laut Opie handelt es sich bei der abgebildeten Bo allerdings um kein Selbstportrait, sondern um die Repräsentation ihrer Drag-King-Persönlichkeit bzw. ihres Alter Egos: I started developing personas when I began playing in the leather community in the early 80's, and Bo's Character I just fell in love with. He represents the quiet, psychopath side of me and is a way for me to play with ideas Cathy would never be able to play with. I kind of think of him as a serial killer from the Midwest who's an used aluminium-siding salesman. It's not like I'm playing a charakter with Bo – he just gives voice to another part of my mind that I know is there. We all have different personas living in us" D. h. Opie erzeugt durch die Art und Weise wie die Körper ins Bild gesetzt werden, eine visuelle Bildstrategie mit Effekten evidenter Männlichkeit, wobei die Abgebildeten durchweg Frauen sind. Laut Josch Hoenes fordert dies in Referenz auf kunsthistorische Darstellungskonventionen der Moderne die normativen Sehgewohnheiten des Betrachters heraus. Diese (die kunsthistorischen Darstellungskonventionen) gingen noch von zwei die Sehgewohnheiten bestimmenden Vorstellungen aus: Erstens, das Geschlecht einer Person könne an deren Körper abgelesen werden und zweitens, Fotografie könne Wirklichkeit abbilden. Opies Fotografien sind zwar eine ästhetische Dokumentation der Produktion von erstaunlich natürlich wirkender Geschlechtsidentität, sie haben aber weder einen Wirklichkeitsanspruch noch ist darin Geschlechtsidentität (gender) an das Geschlecht (sex) gebunden. D. h. indem die Künstlerin parodistisch kunsthistorische Darstellungskonventionen in Frage stellt, verändert sie auch den Blick des Rezepienten zurück auf die Moderne. In der Moderne diente vor allem das männliche Selbstportrait als beliebte Repräsentation für fixe, kohärente, eindeutige Identität", die aber laut Irit Rogoff eher dazu diente, vermeintlich natürliche, authentische Männlichkeit und Kultur stillschweigend zu verbünden, um sich gegenseitig als Autorität zu konstruieren". Frauen erschienen in Selbstportraits lediglich als Modell, Familienmitglieder oder Sujets im Hintergrund. Vergleicht man nun einige bekannte moderne Selbstportraits Anfang des 20. Jahrhunderts (Abb. 2) mit den Fotografien Opies, wird diese Praxis schnell enttarnt. Die Ölgemälde von Otto Dix, Lovis Corinth, Max Beckmann und Ernst-Ludwig Kirchner offenbaren sich ebenfalls als Maskerade. Neben den Abbildungen Opies wirken Kleidung, Frisur, Zigarette, Gewehr, Körperhaltung und Blickausrichtung der Portraitierten ebenfalls konstruiert. Die Aura der Einzigartigkeit, die dem männlichen Künstler durch den kreativen Prozess scheinbar zukommt" wird demontiert und geradezu ins Lächerliche gezogen. So schafft es Opies visuelle Strategie, eine tiefere Mitteilung zu transportieren, und zwar dass die Konfiguration von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht stabil, sondern konstruiert ist. In diesem Zusammenhang fungiert wohl auch der Titel Being and Having" als Richtungsweiser. Er zitiert Lacans Theorie von Haben und Sein, Phallus haben und Phallus sein. Der Phallus repräsentiert dabei symbolisch das autoritär, patriarchalische Gesetz des Vaters, dessen Zirkulation und Erweiterung durch die Zweigeschlechtlichkeit gesichert wird. Dieses Gesetz erfordert eine starre Identität von Mann und Frau, die zusammen die heterosexuelle Matrix bilden. Der Mann nimmt dabei die Position des Phallus haben ein und die Frau die Position des Phallus sein. D. h. der Mann hat den Phallus und definiert sich durch das Andere, die Frau, der der Phallus fehlt. Sie wird dadurch wiederum das Objekt, das die Macht des Phallus wiederspiegelt und somit Phallus ist. Leider wird die Frau zum Tauschobjekt, Repräsentantin männlichen Begehrens, was dazu führt, dass sie ihr eigenes verleugnen muss. Gleichzeitig kommt es aber zu einer radikalen Abhängigkeit auf beiden Seiten, einer komischen Verfehlung von Haben und Sein, in der eigentlich eine Unmöglichkeit in Szene gesetzt wird. Sowohl Opie als auch Butler entschleiern mit ihrer Kunst bzw. Philosophie diese Matrix. Opie setzt um, was Butler fordert: Wieder einen Zugang zum Sein zu finden, indem man zuvor das Sein des Phallus bzw. die autoritative Bedeutung des Gesetzes untersucht - das die sexuelle Differenz für seine eigene Intelligibilität ansetzt - und dann zurückgewinnen durch den Entwurf eines alternativ Imaginären für das Spiel des Begehrens. Die heterosexuelle Matrix ist nach Butler tatsächlich eine Maskerade. Sie ist erstens, eine Komödie geschlechtlicher Postitionen von männlich und weiblich und zweitens, bedeutet es für die Frau, Repräsentantin des männlichen Begehrens zu sein und somit das weibliche Begehren als Frau zu verleugnen. Dies erzeugt, wie oben schon erwähnt, eine Basis radikaler Abhängigkeit, denn der Mann braucht die Frau auch, um reflexiv seine Identität zu begründen. Opie's Fotografien können nach Butler also als Demaskierungsstrategie gelesen werden, die die zweigeschlechtliche Stereotype aufzulösen versucht. Da sich die Portraitierten als Lesbierinnen outen mit männlicher Geschlechtsidentiät, handelt es sich bei den Aufnahmen um eine parodistische (De)Konstruktion der Geschlechterontologie. Obwohl sie mit männlicher Identität abgebildet sind, können diese Fotografien als Enthüllung weiblichen Begehrens gelesen werden, das homosexuell orientiert und in phallischer Ökonomie unterdrückt ist. Gleichzeitig wird klar, dass es eigentlich keine authentische Männlichkeit und Weiblichkeit gibt. Mit anderen Worten, alles ist Drag (Maskerade). Erstaunlich ist, dass sowohl Butlers Unbehagen der Geschlechter als auch Opies Being and Having in den Jahren 1990 und 1991 unabhängig voneinander in San Francisco entstanden. Beide leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung des breiten Feldes Queer-Identität. Schon 1992 illustrierten Opies Fotografien ein Interview mit Butler im Artforum. Zusammenfassend könnte man sagen, dass diese Fotografien in einer gesellschaftlichen Situation, in der der eigene Körper hegemonial als falsch definiert wird, wenn Geschlecht und Geschlechtsidentität nicht übereinstimmen und echte Männlichkeit' an den Besitz spezifischer Körper geknüpft ist, das Potential besitzen, jenes Moment des Erstaunens und der Faszination in Gang zu setzen, das dazu einlädt, weiter über Männlichkeit, Weiblichkeit und ihre Produktionsweisen nachzudenken und zu diskutieren. An dieser Stelle, an der Männlichkeit (und Weiblichkeit, d. Verf.) nicht mehr selbstverständlich hingenommen, sondern zum Gegenstand von Auseinandersetzungen und Reflexionen wird, liegt das queere Potential." Catherine Opies Arbeiten besitzen meiner Ansicht nach dieses queere Potential im visuellen Feld. Im folgenden Kapitel soll nun noch näher auf ihre Portraits-Serie eingegangen werden bezüglich Queerness im Kontext des kunsthistorischen Kanons. Queerness und kunstgeschichtlicher Kanon Portraits Während sich Opie bei Being and Having Identität aus einer konzeptuellen Sichtweise in Form von Parodie annäherte, handelt es sich bei den Portraits, die im folgenden Text erläutert werden sollen, um individuellere ästhetische fotografische Dokumentationen von Alltagssubjekten und queerer Geschlechtsidentität. Die Serie von über 50 individuellen Portraits - Bruststücken und Ganzkörperportraits - vor verschiedenfarbigem, monochromem Hintergrund und variablen Maßen zwischen 20 x 16'' und 60 x 30 '' entstand in den Jahren 1993-1997 (Abb. 3, 4, 5). Die Portraitierten fokussieren wieder den Blick des Betrachters aus der Bildmitte heraus. Das einzige Requisit, welches die Abgebildeten im Raum verortet, ist ein Hocker bzw. Stuhl. Gleichzeitig ermöglicht dieser diverse individuelle Körperposen mit männlichen und weiblichen Konnotationen. So hat Jerome Caja in einer weiblichen Pose die Beine übereinandergeschlagen und die Arme ineinander verschränkt (Abb. 3, erster von links); Angela Scheirl hingegen sitzt mit geöffneten Beinen und breit angewinkelten Armen auf ihrem Stuhl (Abb. 4, erste von links). Ausgehend von heteronormativen Modellen spielen die Portraitierten gekonnt mit individuellen Posen, mit denen sie eine phantasievolle Verwirrung stiften. Die Abgebildeten, namentlich im Titel genannt, sind dieses Mal Freunde aus der S/M-Szene in San Francisco: Drag Kings und Queens, Performancekünstler, Transsexuelle, Transvestiten mit den entsprechenden Insignien dieser Szene wie Tattoos und Piercings. Jennifer Blessing kommentiert das folgendermaßen: Opie and her friends choose to toy with all manner of expectations regarding sexuality, of masculine or feminine behaviour, queering the notion of what is normative". Opie, wieder als Bo unter den Abgebildeten (Abb. 5, zweite von links), nennt ihre Community stolz my royal family und stellt damit bewusst eine Verbindung zum repräsentativen Hofportrait der Renaissance her. Dass sich ihre Arbeit in einer langen Traditionslinie einreiht, bestätigt sie immer wieder in Interviews: I have to be interested in art history since so much of my work is related to painting and photography history. It gives me the ability to use a very familiar language that people understand when looking at my work and seduce the viewer into considering work that they might not normally want to look at. It is very classical and formal in many ways." Inwiefern Opies Portraits classical" und formal" sind, indem sie vielfältige Bezüge herstellen zum kunsthistorischen Kanon, soll nun genauer untersucht werden. Fotografiegeschichtlich kann diese Serie im Bereich der Dokumentarfotografie eingeordnet werden, die sich in den Dreißigerjahren in Amerika zu einer eigenständigen Kunstgattung entwickelt hat und ebenfalls ein wichtiger Bestandteil von Opies Kunststudium war. D. h. die Aufnahmen besitzen neben einer formalen Ästhetik auch dokumentarischen Charakter. Sie können als subjektives Zeit-Dokument (von Opies Community, s.o.) gelesen werden. Laut Blessing changiert die Serie dabei u.a. zwischen der typologischen Tradition eines August Sander und der konzeptuellen Fotografie eines Thomas Ruff. August Sander hat während der Weimarer Republik die bedeutende Fotoserie Menschen des 20. Jahrhundert aufgenommen. Die Portraitierten sind hier ebenfalls in exakter Ausleuchtung frontal und zentriert aufgenommen. Auch wenn Sander in seinen Schwarz-Weiß-Bildern versucht, Menschen nach Berufsgruppen und Klasse zu typologisieren, bestechen die Aufnahmen durch eine hohe Sensibilität des Fotografen gegenüber Körperposen und Kleidungskodex. Aufnahmen wie die Sekretärin (Abb. 6) und der Student (Abb. 7) wirken sogar sehr androgyn und könnten Opie direkt inspiriert haben. Außerdem räumt Sander auch sog. Außenseitern wie verfolgten Juden, Landstreichern, fahrendem Volk, blinden Kindern einen gleichwertigen Platz in seiner Serie ein neben Bildungsbürgern, Handwerkern und Bauern. Bei Thomas Ruffs farbiger und technisch exakter Serienpräsentation aus den 80er-Jahren handelt es sich zwar auch meist um namentlich genannte portraitierte Freunde, die Aufnahmen wirken aber sehr schematisch und anonym (Abb. 8). Die Gesichter der Abgebildeten sind ausdruckslos, die Kleidung ist konventionell ohne Mehrdeutigkeiten. Die Aufnahmen erinnern an Reihen von Passbildern. Ohne Kontext kann man nichts Außergewöhnliches von ihnen ableiten. Bei näherer Betrachtung kann aber wahrgenommen werden, dass diese monotonen Serien in ihrer Konzeptualisierung offensichtlich ebenfalls die Zwänge der Eindeutigkeit und Unveränderbarkeit normierter Körper problematisiert. Opies Portraits sind dagegen expressive, heterogene Variationen von sehr lebendig wirkenden Individuen. Darüber hinaus kann bei den Portraits eine kompositionelle Nähe zur Renaissancemalerei bzw. zum Renaissanceportrait festgestellt werden. Die formale Komposition erinnert in erster Linie an Renaissancegemälde eines Hans Holbeins, der im 16. Jahrhundert Portraitmaler am englischen Hof Henry VIII war. Catherine Opie betont in einem Interview von 1996 den großen Einfluss, den Holbein auf sie hatte: I was thinking about Hans Holbein and the way that he used colour behind his subjects. Formally, it can bring out all these different shapes within the body, to make it pop. It is a way to take the people out of their environments and isolate them, because the art is really what they're doing with their body" Vergleicht man Opies Fotoportraits mit den Portraits von Holbein in Öl auf Leinwand, können erstaunliche Parallelen festgestellt werden. (Abb. 9) Alle Abbildungen zeichnen sich durch künstlerisch originelle Farbkontraste aus. Die Körper befinden sich im Bildzentrum vor verschiedenfarbigen Hintergründen ohne feste Verortung im Raum. Die helle Ausleuchtung und der Hintergrund produzieren eine trennscharfe Linie des Körperumrisses und lassen diesen plastisch hervortreten. Die Portraitierten sind dabei mit viel Liebe zum Detail abgebildet. Stoffmuster und Schmuck einer Jane Seymour korrelieren mit den Tattos und Piercings von John and Scott, Bernie and Jo. Insgesamt erzeugt das eine schlichte Eleganz. Opie überträgt folglich die Rhetorik des Renaissance-Portraits in das zeitgenössische Fotoportrait. Dem soll noch hinzugefügt werden, dass man in der Renaissance davon ausging, dass die Nähe zwischen Künstler und Modell während der Entstehung als Garant für die Authentizität des Bildnisses galt. Die getreue Wiedergabe der Züge der Modelle, die akkurate, penible Ausarbeitung bis ins Detail erzeugt dabei eine realistische Präsenz der Abgebildeten, die dies unterstützt. Beides trifft auf Opies Arbeit zu. Sicherlich entstanden die detailgenauen Aufnahmen aus einem sehr persönlichen Kontakt der Künstlerin zu den Portraitierten und entfalten dadurch auch eine besondere Kraft. Man kann sich in diesem Zusammenhang aber fragen, ob der Begriff Authentizität noch haltbar ist und nicht vielmehr schon durch den Begriff Performativität abgelöst wurde. Insofern ist der Terminus Garant für Authentizität hier nicht mehr eins zu eins übertragbar. Jedenfalls hat es Opie mit ihrer Kunst geschafft, an die verschränkten Linien kunsthistorischer Tradition anzuknüpfen und gleichzeitig ein neues queeres Muster einzuflechten durch Verschiebungen und Umarbeitung. Obwohl mit dokumentarischer Genauigkeit ausgeführt, ist es bei vielen Fotografien unmöglich, mit Sicherheit das Geschlecht der Portraitierten zu bestimmen. Laut Trotman handelt es sich bei den Portraitierten um Representatives of the destabilisation of gender itself, Opie's sitters fell between the cracks of organized political movements, challenging the feminist cause by questioning what it is to be a woman, disrupting lesbian solidarity by choosing to become men, or introducing an element of sexual violence that others found problematic. They occupied the margins of both normative sexuality and the movements that sought to revise that sexuality, creating their own identity and their own community around a unifying concept: "queerness"." D. h. die Portraitierten sind zwar Teil einer Gemeinschaft mit besonderen Sexualpraktiken, sie sind aber nicht als Typen der S/M-Szene klassifizierbar und lassen sich auch nicht in ein Schema pressen. Vielmehr repräsentieren sie die Vielfalt und Komplexität von Identität, die sich in der Stilisierung ihrer Körper wiederspiegelt. Sie sind keine normativen Stereotypen mehr sondern Zwischentypen, die ein alternativ Imaginäres für das Spiel des Begehrens entwerfen, wozu Judith Butler so dringend rät. Inwiefern Opie selbst sich phantasievoll als Künstlerin mit diesen Themen – wieder im Kontext mit der kunsthistorischen Tradition - auf der persönlichen Ebene des Selbstportraits beschäftigt und damit auch in die Reproduktion von Normativität in der (visuellen) Kultur interveniert, soll nun eingehend besprochen und untersucht werden. Phantasie, queere Strategie und Revision der Kunstgeschichte Self-Portraits: Cutting, Pervert, Nursing Catherine Opies Selbstportraits Cutting, Pervert und Nursing, die in dieser Reihenfolge zwischen 1993 – 2004 entstanden, sind künstlerische Fotodokumentationen markanter Schnittstellen ihres Lebens. Es handelt sich dabei durchweg um dokumentierte Körperaktionen, die Performancecharakter besitzen. Sie entfalten eine imaginäre Kraft, die viele Ebenen tangiert. Zusammenfassend könnte man auch einführend sagen, dass diese besonderen Fotografien nach Roland Barthes ein queeres punctum enthalten, welches unsere normativen, sozusagen einstudierten, Sehgewohnheiten unterbricht: Das zweite Element durchbricht (oder skandiert) das studium. Diesmal bin nicht ich es, der es aufsucht (wohingegen ich das Feld des studium mit meinem souveränen Bewußtsein ausstatte), sondern das Element selbst schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren. Ein Wort gibt es im Lateinischen, um diese Verletzung, diesen Stich, dieses Mal zu bezeichnen, das ein spitzes Instrument hinterlässt; dieses Wort entspricht meiner Vorstellung um so besser, als es auch die Idee der Punktierung reflektiert und die Photographien, von denen ich hier spreche, in der Tat wie punktiert, manchmal geradezu übersät sind von diesen empfindlichen Stellen; und genaugenommen sind diese Male, diese Verletzungen Punkte. Dies zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, möchte ich daher punctum nennen." D. h. Opies Selbstportraits haben das Potential, affektiv in die Welt des Betrachters einzubrechen und eine Öffnung zu provozieren, die normative Sehgewohnheiten in den Hintergrund rücken lässt. Wie genau und in welchem Kontext, das soll im folgenden Text erörtert werden. Bei Cutting handelt es sich um ein 1993 entstandenes Bruststück Opies vor leuchtend grünem, dekorativ gemustertem Stoffhintergrund. (Abb. 10) Die kurzhaarige, gepiercte und tätowierte Portraitierte kehrt dem Betrachter den blanken Rücken zu, auf dem ein blutendes Cutting sichtbar wird. Dabei handelt es sich um eine Art geritzte Kinderzeichnung, die zwei händchenhaltende Frauen bzw. Mädchen vor einem Haus abbildet, während eine Wolke den Himmel verdunkelt. Auf der autobiografischen Ebene formuliert Opie hier, bedingt durch eine Trennung von ihrer damaligen Freundin, einen verlorenen Traum von Ehe und gemeinsamem Heim. Auf politischer Ebene könnte diese Aufnahme auch als Visualisierung des Stigmas lesbischer Liebe gelesen werden. Auf der Ebene des kunsthistorischen Kontextes bewegt sich das Portrait in der Bildtradition Weiblicher Akt, wobei hier der Rücken gleichzeitig als Leinwand fungiert. Die zeitnahe, blutende Ritzung erzeugt dabei ein arret sur l'image (Stoppsignal), das den Betrachter zunächst einmal schockiert, dann aber eine komplexe Kommunikation herausfordert; z.B. über die Kunstpraxis der 90er-Jahre, in denen viele KünstlerInnen mit kunstfremden Materialien wie Blut und Fleisch experimentierten in einem Tabubruch mit der christlichen Bildtradition. Es war ihnen dabei wichtig, Geschlechterdifferenzen anhand realer weiblicher (und auch männlicher) Körper aus Fleisch und Blut zu thematisierten. In diesem Zusammenhang hatte sich auch schon 1988 der Künstler Wolfgang Flatz mit Faust einem ähnlich intensiven Cutting unterzogen (Abb. 11). Es formuliert die unterdrückte männliche Gewalt in der Nachkriegszeit, die in vielen Familien ein Schattendasein fristete und viele Kinder und Jugendliche traumatisiert und sprachlos zurücklies. Sicherlich entfaltet sich dieses Selbstportrait Opies – wie auch die anderen beiden - wieder aus einer kompositionellen Nähe zu Hans Holbein und der Bildtradition der Renaissance. Wie genau, das soll im folgenden Vergleich von Catherine Opies Cutting mit Hans Holbeins Charles de Solier von 1534 herausgearbeitet werden (Abb. 12). Vereinfacht könnte man sagen, die beiden Werke sind gleich aber unterschiedlich. Sie bestechen beide durch eine exakte Ausleuchtung und den hohen Realismus der Portraitierten. Beide Körper sind auf Bauchhöhe vor feinmaschigem, glänzendem Gewebe abgebildet und nehmen auffallend stabil und aufrecht das Bildzentrum in Besitz. Bei Charles de Solier handelt sich um ein Ölgemälde, das den französischen Botschafter im 16. Jahrhundert während eines Besuches am englischen Hof abbildet. Dieses Portrait eines Nobleman transportiert eindrucksvoll traditionelle normative Vorstellungen von Männlichkeit. Der vollbärtige Portraitierte blickt fokussiert nach draußen, trägt standesgemäße elegante Kleidung und hält ein Messer in filigranem Goldgehäuse als Attribut in seinen Händen. Catherine Opie hingegen widersetzt sich diesem repräsentativen Kodex, indem sie sich wegdreht und den Blick abwendet. Stattdessen zeigt sie ihren breiten entblößten Rücken. Die Portraitierte trägt ihre Haare kurz, hat Ohrpiercings und eine Tätowierung am rechten Oberarm. Diese Bildstrategie erzeugt in einem hochcodierten Rahmen Spannungen und Widersprüche. D. h. Opie arbeitet das traditionelle Hofportrait um und nimmt hier eine lesbisch-queere Position ein. Sie produziert damit eine Verunsicherung, die den selbstverständlichen Glauben an das körperliche Geschlecht und den Abbildungscharakter der Abbildungen problematisiert. So kann Charles de Solier auch als höchst ästhetisches Artefakt gesehen werden, das eine hochcodierte Form der Performativität wiederspiegelt. Handelt es sich hier also gar nicht um den authentischen Charles de Solier, sondern um eine meisterhafte Täuschung? Opie fordert zu einem kunst- und kulturwissenschaftlichen Diskurs heraus, der auch das Potential hat, unseren Blick neu und fragend zurück auf die Kunstgeschichte auszurichten. In jedem Fall kreiert sie eine neue Bildpolitik, indem sie das repräsentative Portrait umarbeitet und damit heterosexuelle Normativdiskurse anficht. Diesen Duktus behält sie auch bei den Selbstportraits Pervert und Nursing bei, lediglich in neuen Zusammenhängen. In dem fotografischen Selbstportrait Pervert von 1994 wendet sich Catherine Opie dem Betrachter wieder zu (Abb.13). Allerdings verbirgt ihr Gesicht eine schwarze Ledermaske. Auf ihrer Brust wird wieder ein frisches, ornamentales Cutting sichtbar mit Lettern, die das Wort Pervert bilden. Mehr als 40 Nadeln durchstechen in einer symmetrischen Anordnung die ganzen Armlängen. Dieses Bild ist eine Tour de Force, ein Kampfbild, eine performative Tortur, wie Opie sagt, und entstand aus einem sehr wütenden Impuls: Pervert is a very angry piece. I was pissed off, I really wanted to make that piece because of what was happening culturally in the U.S.: the (NEA) censorship, the fuss around the Mapplethorpe show and what was happening in mainstream gay culture. All of a sudden mainstream gays and lesbians were calling themselves 'normal' (…) And that really bothered me, because what did that make everybody else?" Dieses Bild ist laut Opie kein Kunstgegenstand, den man sich über das Bett hängen und jeden Morgen beim Aufstehen anblicken sollte, sondern vielmehr eine außergewöhnliche queere Stimme gegen hegemoniale Normativitätsdiskurse, die sich immer wieder über Ausschluss definieren. Und dennoch zeichnet es sich auch durch eine höchst ästhetische Komposition aus. D. h. diese Fotografie liefert wieder mehrere Schichten an Information. Der exklusive goldene Stoffhintergrund mit schwarzen Blattornamenten korreliert mit dem Metall der Maske, der Spritzen, des Brustpiercings und dem ornamentalen Schriftzug Pervert. Auf den zweiten Blick entsteht eine elegante Komposition. Opie operiert auch hier wieder mit einer ausgefeilten Ästhetik, die mehrdeutige Bezüge zum kunsthistorischen Kanon herstellt (s.o.: Beschreibungen zu Cutting). So könnte man (etwas provokativ) sagen, dass dieses Bildnis in seiner stilisierten, repräsentativen Form höchst performativ ist, aber nicht mehr oder weniger als das eines Charles de Soliers von Holbein. Den Abschluss einer Trilogie, wie Opie sagt, bildet Nursing (Abb. 14), das im Jahre 2004 – also zehn Jahre nach Pervert – entstand: Nursing with (my son, d. Verf.) Oliver created a trilogy for me where it ended the story a little bit. Nursing was just, for me, this perfect moment to expand the idea of my body and ideas of identity. And at the same time to be political, because obviously, Pervert is still there as a scar. That's a permanent scar and it was made to be a permanent scar. And you know, in some ways it is like the Madonna and the child; but at the same time it's not because I'm an older women (…)and Oliver (was considered, d. Verf.) to be too old to be nursing." Wie die Künstlerin sagt, wird sie hier zur Stillenden in der Kunst, der Maria Lactans, wie in der christlichen Ikonografie dieser Darstellungstypus genannt wird. Aber auch hier widersetzt sie sich wieder der Norm. Sie ist über 40 Jahre alt, massiv und trägt ein sehr großes Kind in ihren Armen. In der traditionellen Mutter-Kind-Darstellung - z.B. aus der Leonardoschule des 15. Jahrhunderts - wird Maria zartgliedrig und jugendlich dargestellt, keusch in rot-blaue Gewänder gehüllt. (Abb. 15). Opie hingegen ist, wie in einem modernen Gemälde der Stillenden Mutter von Paula Modersohn Becker (Abb. 16), unbekleidet abgebildet und wirkt auch ebenso down to earth. Erstmalig in der Reihe der Selbstportraits richtet Opie hier ihren Blick aus. Sie blickt ihrem Sohn beim Stillen tief in die Augen und hält ihn sicher in ihren Armen. Damit transportiert sie die wesentlichen idealistischen Aspekte einer Mutter- und Kind-Darstellung. Das Portrait spiegelt die Erfüllung des Wunsches nach Familie und gemeinsamem Heim, das sie eine Dekade eher formuliert hatte. Auch die Narbe Pervert ist immer noch sichtbar als Spur der Vergangenheit, die in die Gegenwart hineinwirkt. So entsteht aus den drei Selbstportraits ein stimmiges Narrativ, anhand dessen Opies phantasievolle queere Strategie sehr klar wird. In der Weigerung, Stereotypen zu wiederholen entfaltet sie stattdessen neue Bilder mit einer sog. performativen Kraft, die wiederum den Blick auf die alten Meister verändert. Ihre Regelverletzungen, scheinbaren Missbräuche der Norm (z.B. durch Abwenden, blutende Cuttings usw.) können das Scheitern des performativen Aktes kennzeichnen - der auf Wiederholung der Norm basiert - und stattdessen die performative Wirksamkeit einer Phantasie ausmachen. Das Nichterfüllen der Norm führt bei Opie dazu, dass das Begehren neue Bewegungsrichtungen erproben kann. Dies hat hier zu einem enorm phantasievollen kreativen Prozess geführt. Durch Verschieben, Umarbeiten, Anfechten, Neuerfinden schafft es die Künstlerin, mitzuteilen, dass die Phantasie die Form ist, in der sich das Begehren bewegt und Neues kreiert, anstatt nur zu wiederholen. Bewegtes Begehren lädt nämlich laut Antke Engel Performativität affektiv auf, was aber eben auch ganz andere Bewegungsrichtungen entfalten kann als die Norm verlangt. D. h. hier liegt evtl. auch das Potential einer Revision der Kunstgeschichte verborgen. Wenn Bilder andere Vorstellungen und diskursive Kontexte verbinden, kommt der Phantasie eine Produktivität zu, die sich nicht mehr nur über eine Ausrichtung der Norm erklären lässt. Durch Übertretung von z.B. sozialen, ökonomischen, geschlechtlichen, sexuellen und ethnischen Statusgrenzen kann die Norm vielmehr kritisch hinterfragt werden. Dadurch werden (unter Umständen auch rückwirkend) die glatten Grenzen sozialer Differenzierungskategorien - durch Geschlecht, Begehren, Klasse, Herkunft, Ethnie – dezentriert. Das wiederum eröffnet neue Begehrensachsen, in denen traditionelle Vorstellungen von männlicher und weiblicher Repräsentation unterbrochen werden und Raum geschaffen wird für eine neue Vielfalt, die sich weigert, eine feste Form anzunehmen". Zusammenfassung und Ausblick Eine neue Bildpolitik In der vorliegenden Schrift wurde zunächst einmal versucht, das queere Potential in Opies Kunst paradigmatisch anhand der ikonenartigen Portraitserie Being and Having zu beschreiben. Über die Art und Weise, wie sie die Körper ihrer lesbischen Freundinnen ins Bild setzt, erzeugt die Künstlerin visuelle Effekte evidenter Männlichkeit, die parodistisch kunsthistorische Darstellungskonventionen moderner Männlichkeit in Frage stellen und neue Begehrensachsen öffnen. Männlichkeit und Weiblichkeit werden hier nicht mehr als selbstverständlich hingenommen, sondern sind Gegenstand von Auseinandersetzungen und Reflexionen. Anschließend wurden die Portraits Gegenstand einer intensiven Untersuchung hinsichtlich queerer Kunst im Kontext des kunstgeschichtlichen Kanons. Dabei wurden sie mit wichtigen Werken aus Malerei und Fotografie verglichen. Es wurde herausgearbeitet, dass diese außergewöhnlich individuellen Portraits sich sowohl vielschichtig entlang kunsthistorischer Tradition bewegen als auch mit traditionellen Sehgewohnheiten von Repräsentation und normativer Geschlechtsidentität brechen. Abschließend wurde ausführlich anhand von Opies Selfportraits Cutting, Pervert und Nursing exemplarisch herausgearbeitet, wie durch phantasievolle Verschiebungen und Umarbeitungen eine neue Bildpolitik kreiert werden kann, die in die reproduktive kunsthistorische Praxen interveniert. Die Verfasserin ist der Meinung, dass diese neue Bildpolitik das Potential hat, die Blickachse aus der Gegenwart heraus zurück in die Vergangenheit zu verändern und damit neue kulturelle Codes zu erzeugen. Da sich Opies Werk aber nicht nur auf Portraits beschränkt, sondern auch Arbeiten wie Landschaftsaufnahmen, Sportfotografien und Stadtbilder aus Straßen- und Gebäudekomplexen umfasst, wäre es weiterhin interessant, dies im Rahmen kultureller Identität und zu untersuchen. Diese ist aber nicht mehr Gegenstand dieser Arbeit, sondern könnte ein spannendes Feld für zukünftige, weiterführende Untersuchungen darstellen. 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Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 4 Opie, Catherine: Portraits, Angela Scheirl, John and Scott, Bernie, Jo, 1993, Fotografien, 20 x 16 ''. Aus: Kat. Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 5 Opie, Catherine: Portraits, Divinity Fudge, Bo, Mitch, 1994/97, Fotografien, 60 x 30 ''. Aus: Kat. Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 6 Sander, August: Rundfunksekretärin, 1931, Fotografie. Aus: Kat. Menschen des 20. Jahrhunderts, München 1980, Tafel 191 7 Sander, August: Abiturient, 1926, Fotografie. Aus: Kat. Menschen des 20. Jahrhunderts, München 1980, Tafel 380 8 Ruff, Thomas: Portraits, 1988, Fotografien, 210 x 165 cm. Aus: Kat. Thomas Ruff, Works 1979-2011, Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Kunst, München 2012 9 Holbein d.J., Hans: Jane Seymour, 1537, Öl/LW, 65,4 x 40,7 cm. Aus: Kat. Holbein and England, London 2004 9 Holbein d.J., Hans: Christina von Dänemark, Herzogin von Dänemark, 1538, Öl/LW 179,1 x 82,6 cm. Aus: Kat. Holbein and England, London 2004 9 Holbein, Hans d.J.: Sir Richard Southwell, 1536, Öl/LW, 47 x 38,8 cm. Aus: Kat. Holbein and England, London 2004 10 Opie, Catherine: Self-Portrait/Cutting, 1993, Fotografie, 40 x 30 ". Aus: Kat. Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 11 Flatz, Wolfgang: Faust, 1988, Fotografie. Aus: Flatz – Bilder, Skulpturen und Objekte, Werkkatalog Bd. 1, München 1989 12 Holbein d.J., Hans: Charles de Solier, Sieur de Morette, um 1534 / 35, Öl/LW, 92,5 x 75,4 cm. Aus: Kat. Holbein and England, London 2004 13 Opie, Catherine: Self-Portrait/Pervert, 1994, Fotografie, 40 x 30 ''. Aus: Kat. Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 14 Opie, Catherine: Self-Portrait/Nursing, 2004, Fotografie, 40 x 30 ''. Aus: Kat. Catherine Opie, American Photographer, New York 2009 15 Leonardo da Vinci-Schule: Maria Lactans, um 1490, Öl/Holz, auf Leinwand übertragen, mit späteren Übermalungen, 42 x 33 cm. In: Chastel, André (Hg.): Leonardo da Vinci, Sämtliche Gemälde und die Schriften zur Malerei, München 1990 16 Modersohn-Becker, Paula: Stillende Mutter, 1907, Öl/LW 113 x 74 cm. Aus: Kat. Paula Modersohn-Becker, Malerin, Zeichnerin, Frankfurt/M 1981 [Geben Sie den Untertitel des Dokuments ein]