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Historische, ästhetische Und Psychoakustische Aspekte Des Phänomens 'konsonanz' Und 'dissonanz' Und Dessen Anwendung Im Bereich Filmmusik

Historische, ästhetische und psychoakustische Aspekte des Phänomens 'Konsonanz' und 'Dissonanz' und dessen Anwendung im Bereich Filmmusik

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  Bergische Universität WuppertalFachbereich A / Geistes- und KulturwissenschaftenMusikpädagogik Sommersemester 2013Seminar: Film und Musik  Dozent: Dr. H.-W. Boresch   Hausarbeitzur Lehrveranstaltung „Film und Musik“ Historische, ästhetische und psychoakustische Aspekte desPhänomens  Konsonanz  und  Dissonanz  und dessen Anwendung imBereich Filmmusik  Verfasser: Dustin Nägel 9344106. Sem., komb. [email protected] Vorgelegt am 6. August 2013  INHALTSVERZEICHNIS 1. EINLEITUNG ...........................................................................................................................................1 2. REIN AKUSTISCHE ERKLÄRUNGSMODELLE 2.1.1 Die pythagoreische Proportionstheorie.................................................................................................42.1.2 Die pythagoreische Proportionstheorie: Kritische Betrachtung.............................................................52.2 Die galileische Proportionstheorie.........................................................................................................7 3. PSYCHOAKUSTISCHE MODELLE 3.1.1 Die Helmholtz'sche Klangverwandtschaftstheorie................................................................................83.1.2 Die Helmholtz'sche Klangverwandtschaftstheorie: Kritische Betrachtung............................................93.2.1 Die Stumpf'sche Tonverschmelzungstheorie.......................................................................................113.2.2 Die Stumpf'sche Tonverschmelzungstheorie: Kritische Betrachtung..................................................12 4. DIE ENTWICKLUNG DER DISSONANZ ZUM KLISCHEE IM BEREICH FILMMUSIK .......................13 5. FAZIT ......................................................................................................................................................18LITERATURVERZEICHNIS.............................................................................................................................20EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG.................................................................................................................22  Historische, ästhetische und psychoakustische Aspekte des Phänomens  Konsonanz  und  Dissonanz  und dessenAnwendung im Bereich Filmmusik  1 1. EINLEITUNG 1.1 Überblick  „Konsonant und wohlklingend werden diejenigen Intervalle sein, deren Töne in einer gewissen Ordnung das Trommelfell erschüttern; wozu vor allem gehört, dass dieSchwingungszahlen in einem rationalen Verhältnis zueinander stehen, damit dieKnorpel des Trommelfells sich nicht in unausstehlicher Qual befinden, um inverschiedene Richtungen ausweichen zu müssen und den auseinander gehendenSchlägen zu gehorchen.“  - Galileo G  ALILEI (1638)Der berühmte italienische Physiker und Sohn eines Lautenisten war mit seiner Definitiondes Phänomens von Konsonanz und Dissonanz in vielen Punkten erstaunlich dicht anden Erklärungsmodellen späterer Jahrhunderte, etwa dem von H ELMHOLZ (1877) und S TUMPF  (1868). Es handelt sich bei den beiden letzteren im Detail um recht verschiedenepsychoakustische Modelle, die auch heute noch wahlweise zur Erklärung der Phänomensherangezogen werden (vgl. C OUSENEAU , 2012). Im weiteren Verlauf soll auf beide nochnäher eingegangen werden.„[...] sich nicht in unausstehlicher Qual befinden.“... G  ALILEI geizt hier nicht mitausdrucksstarker Wortwahl; einige seiner Zeitgenossen scheinen ihm mit vermeintlichunsauberer Intonation derart körperliche Schmerzen bereitet zu haben, dass sich der Gelehrte veranlasst sah, eine Theorie über Verhältnisse von Durchmesser, Spannung undLänge von Saiten aufzustellen, mit deren Hilfe Musikinstrumente leichter zu stimmen undunangenehme Klänge zu vermeiden wären. Damit war er aber keineswegs der ersteMathematiker, der sich auf dieses Feld der Musiktheorie begeben hat. Das Phänomenbeschäftige große Denker schon vor 2600 Jahren. Pythagoras von Samos, der im 6.Jahrhundert vor Chr. lebte, soll in einer Schmiede den Zusammenhang von Masse der Hämmer und Tonhöhe der Hammerschläge erkannt haben. Dabei unterschied er wohlklingende und weniger wohlklingende Zusammenklänge. Interessanterweise geltendie (von anonymer Hand gemachten) Aufzeichnungen über seine Berechnungen zudiesem Thema als die erste gesicherte korrekte mathematische Beschreibung einesphysikalischen Phänomens überhaupt (vgl. S IMONYI , 2001). Es handelt bei dem PhänomenKonsonanz und Dissonanz also keineswegs um ein für die künstlerische Praxis zwar   2 Dustin Nägel wichtiges, aber darüber hinaus doch eher nutzloses Kuriosum, sondern offensichtlich umeine bedeutende Fragestellung der gesamten abendländischen Wissenschaftsgeschichte.Was aber macht nun den einen Klang 'schräg' und lässt den anderen 'gerade' erscheinen?Was unterscheidet Konsonanz von Dissonanz?L EMACHER   UND S CHROEDER schreiben in ihrer  Harmonielehre (1958), 'Konsonanz' käme von con, lateinisch für „zusammen“ und sonare im Sinne von „klingen“. Konsonante Intervalleoder Akkorde seien „in sich ruhend“ und „nicht auflösungsbedürftig“. 'Dissonanz' von lat. dis , auseinander; dissonante Mehrklänge seien entsprechend „auflösungsbedürtig“ und „insich strebend“. Warum das so ist? Darüber schweigen sich die Autoren aus. Darin ist inder knapp 200-seitigen, und ansonsten doch sehr soliden Harmonielehre kein Platz. Etwasirritierend, bedenkt man, dass es sich bei dieser Frage um eine zentrale, vielleicht sogar DIE zentrale Frage jedes Musikschaffens handeln könnte.Was also ist dissonant  ?Zunächst einmal sollte festgehalten werden, dass der Dissonanzbegriff historisch undkulturell und damit ästhetisch bedingt ist (S ETHARES , 2005). Noch im Mittelalter beinhaltendie meisten Musiktraktate eine Klassifizierung von Intervallen; meist in konsonant,assonant und dissonant. Die Einordnung der Intervalle in diese drei Gruppen änderte sichim Verlauf einiger Hundert Jahre mehrmals, so dass man leicht dazu verführt ist, zubehaupten, jede Epoche habe ihre eigenen Vorstellungen von Kon- bzw. Dissonanzen: Sogalt die Quarte seit antiken Zeiten bis ins hohe Mittelalter noch als eines der 'vollkommen'konsonanten Intervallle, den concordantiae . Seit dem 12. Jahrhundert verstanden sieMusiktheoretiker allerdings im Falle eines Auftretens zwischen der untersten Stimme undeiner Oberstimme als auflösungsbedürftig. Im 15. Jahrhundert dann ordnet sie T INCTORIS  (1473) in seinem Traktat Terminorum musicae diffinitorium als erster den Dissonanzen zu.Die einfachen Schwingungsverhältnisse der unteren Partialtöne der Obertonreihe, einUmstand der auch schon den Musiktheoretikern der Antike und des Mittelalters nichtzuletzt durch die Monochord-Versuche des Pythagoras bekannt gewesen sein dürften (vgl.C  ARTER , 1945), ordnen die Quarte in modernen psychoakustischen Theorien klar den'vollkommen' konsonanten Intervallen zu (vgl. C OUSENEAU , 2012). Auch wenn mit Beginn der Renaissance große und kleine Terzen wie Sexten den zumindest unvollkommenen  Historische, ästhetische und psychoakustische Aspekte des Phänomens  Konsonanz  und  Dissonanz  und dessenAnwendung im Bereich Filmmusik  3 Konsonanzen (Assonanzen) hinzugefügt wurden und im 20. Jahrhundert durch„Emanzipation der Dissonanz“ (Zweite Wiener Schule) mehr und mehr Akzeptanz für ursprünglich als dissonant eingestufte Klänge geschaffen wurde (siehe Teil 3 der Arbeit),kann kaum von einem stetigen historischen Fortschritt gesprochen werden. Dies beweistnicht zuletzt die Inkonsequenz bei der Klassifizierung der Quarte.Die historischen Theorien, die sich ausschließlich auf physikalische Gesetzmäßigkeitender Tonerzeugung und/oder auf mehr oder weniger ästhetische Willkür beziehen, sollenim ersten Teil behandelt werden.Trotz der kulturell tradierten Ästhetik des Begriffspaars gibt es physikalisch und biologischeinleuchtende psychoakustische Erklärungsmodelle für dieses Phänomen. Diese bildetensich zum Ende des 19. Jahrhunderts heraus, vornehmlich vorangetrieben durch H ELMHOLZ  (1877) und S TUMPF (1883). Diese Herangehensweise, die – in früheren Jahrhundertenaufgrund fehlender Erkenntnisse auf dem Gebiet der Psychoakustik unmöglich –neurophysiologische, physikalische und psychologische Erkenntnisse mit einbeziehen,nehmen eine Sonderstellung ein. Dem widmet sich der zweite Teil der Arbeit. Leider bietetder Umfang dieser Arbeit nicht die Möglichkeit, die Theorien in voller Ausführlichkeitdarzulegen, so dass sowohl bei der Auswahl der Erklärungsmodelle (es gibt noch deutlichmehr) wie auch bei inhaltlichen Aspekten Abstriche gemacht werden mussten..Im dritten Teil soll eine spezielle Anwendung dessen, was gemeinhin als Neue Musik  bezeichnet wird, fernab des Konzertsaals beleuchtet werden. Avantgardistische Klängesind gemeinhin reich an Dissonanzen. Ein Umstand, den die meisten als unästhetisch,befremdlich, viele gar als abschreckend empfinden. Wie kommt es aber, dass Horror-Filme seit Anfangszeiten des Kinos massenhaft Zuschauer in die Kinosäle locken (B ROWN ,1994), obwohl dort teils so gewagte klangliche Dissonanzen geboten werden, dass – imKonzertsaal präsentiert - vielleicht gar ein Alban Berg mit Graus zurückgewichen wäre?Die Dissonanz scheint hier eine spezifische Funktion zu erfüllen; und das äußersterfolgreich. Neben dieser Fragestellung soll auch der Versuch unternommen werden,einen möglichen Zusammenhang zwischen Teil 2 und 3 auszuarbeiten.Den Abschluss bildet ein kurzes zusammenfassendes Fazit mit dem Hinweis auf einealternative Sichtweise der Konsonanz-Dissonanz-Problematik.