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Towarzystwo Naukowe w Toruniu Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu Editionswissenschaftliches Kolloquium 2015 Die Geschichte im Bild Herausgegeben von Helmut Flachenecker, Krzysztof Kopiński und Janusz Tandecki (Sonderdruck) Toruń 2016 Leitender Herausgeber der Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Thorn: Grażyna Halkiewicz-Sojak Redaktionsausschuss: Prof. dr hab. Jerzy Dygdała Prof. dr hab. Andrzej Kola Rezensenten: Prof. dr hab. Andrzej Radzimiński, UMK Dr hab. Paweł Gut, Archiwum Państwowe w Szczecinie Umschlagentwurf: Krzysztof Skrzypczyk Layout und Satz: Max Szot © Copyright 2016 Towarzystwo Naukowe w Toruniu ISBN 978-83-65127-09-9 Reihe: Publikationen des Deutsch-Polnischen Gesprächskreises für Quellenedition = Publikacje Niemiecko-Polskiej Grupy Dyskusyjnej do Spraw Edycji Źródeł Bd. 8 Wyd. 1. Ark. wyd. 26 Wąbrzeskie Zakłady Graficzne Wąbrzeźno, ul. Mickiewicza 11 Inhalt Abkürzungen und Siglen .............................................................................. 7 Einleitung .................................................................................................... 9 Geschichte im Bild Markus Naser — Regionale Historische Karten und ihre Umsetzung im Bereich Digital Humanities an der Universität Würzburg ................. 13 Piotr Tafiłowski — Geographical Horizons of the Poles in 16th Century from the Perspective of Social Communication ............ 27 Nils Bennemann — Karte und Kontingenz: Der Rhein im Kartenbild des 19. Jahrhunderts ....................................................... 35 Roman Czaja / Radosław Golba — Städteatlanten und GIS: die Edition der Katasterkarte der Stadt Thorn . ...................................... 49 Udo Arnold — Siegel als Bild der Geschichte – Siegel des Deutschen Ordens . ......................................................................... 67 Marcin Hlebionek / Adam Szweda — Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung für die Siegelkunde und Heraldik – Editorische Herausforderungen .................................... 85 Michał Gochna — Polish Nobility Seals in the recognitiones of the Kalisz district in 1591. The perspective of an Edition ................ 103 Lena Thiel — Wissen im diagrammatischen Kontext. Weltkarte und Weltbeschreibung bei Andreas Walsperger .................................... 109 Thomas Feuerer / Thomas Horst / Georg Paulus — Gesamtedition der pfalz-neuburgischen Landesaufnahme unter Pfalzgraf Philipp Ludwig zwischen 1579 und 1605 .................... 133 Wolfgang Wüst — Planvolle und digitalisierte Staatswerdung – Karten und Pläne als Medien zur illustrierten Machtfrage in der Frühmoderne ............................................................................ 151 6 Inhalt Ivana Ebelová / Eva Chodějovská — Erste Militärische (Josephinische) Landesaufnahme der böhmischen Länder 1764 – 1768 und militärisch-topographische Gebietsbeschreibung. Möglichkeiten und Grenzen der Editionsverarbeitung ................................................ 195 Bogusław Dybaś — Die Landesaufnahme von Galizien aus den Jahren 1779 – 1783. Über die Quelle und das Editionsprojekt . ..................................................................... 223 Piotr Kann / Tomasz Panecki — The „Gaul/Raczyński“ Map of Greater Poland (1807 – 1812). A Project for a Digital Edition ......... 239 Dennis Majewski — Raumstrukturierung durch Rechte. Die ‚Rechtslandschaft‘ und deren Visualisierung im Kartenbilde ......... 255 Paul Reinert — Historische Karten und ihre Spuren in der Kulturlandschaft Spessart .......................................................... 281 Marek Słoń — Geographische Register in den Editionen von Kartographischen Quellen ............................................................ 301 Andere Projekte in den Editionswissenschaften Agnieszka Bartoszewicz — The Old Warsaw Bench Court Register 1453 – 1535 – preparing a critical edition ......... 313 Andreas Rüther — Der Geheimbericht des Stadtschreibers Johann Frauenburg. Rechenschaft über seine Amtstätigkeit in Görlitz von 1470 bis 1480 .............................................................. 321 Wojciech Mrozowicz — „In Egipto non pluit vel raro“. Der Schlesier Michael Irste und seine Kenntnisse über die orientalischen Länder . ........................................................... 331 Krzysztof Kwiatkowski — Eine Sammlung von Quellenregesten und Quellenabschriften aus dem Kreis des Deutschen Ordens (1. Hälfte des 16. Jh.). Inhaltsübersicht und Editionsperspektiven .................................................................... 343 Personenverzeichnis (Max Szot) ................................................................ 355 Ortsverzeichnis (Max Szot) ....................................................................... 367 Marcin Hlebionek / Adam Szweda (Toruń) Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung für die Siegelkunde und Heraldik – Editorische Herausforderungen* Der Brester Friede vom 31. Dezember 1435 beendete den Konflikt zwischen Polen-Litauen und dem Deutschen Orden, der 1431 zu jenem Zeitpunkt begonnen hatte, als der Hochmeister Paul von Rusdorf ein Bündnis mit dem litauischen Großfürst Swidrigail (Švitrigaila, Świdrygiełło) eingegangen war. Ein bedeutender Schritt auf dem Weg zum Kriegsende war der bereits 1433 abgeschlossene Beifriedensschluss von Łęczyca, der innerhalb der nächsten 12 Jahren gelten sollte. Der „ewige“ Friede war endlich erreichbar, nachdem die polnisch-litauischen Truppen am 1. September 1435 bei Wilkomir (auf den Feldern des später angelegten Dorfes Pobojsk – heute Pabaiskas) die Armee des Großfürstes Swidrigail, die vom Deutschen Orden aus Livland unterstützt wurde, geschlagen hatten. Die Obrigkeiten des livländischen Zweigs des Deutschen Ordens stellten sich mit stiller Unterstützung des Hochmeisters dem bisher festen Bündnis mit Polen und dem (seit 1432) neu eingegangenen Bündnis mit dem litauischen Großfürsten Sigismund Kęstutaitis (Kiejstuto­ wicz) entgegen1. * Der Text entstand im Rahmen des Projektes „Dokumenty pokoju brzeskiego z 31 XII 1435 r. między Polską, Litwą a Zakonem Krzyżackim – edycja krytyczna“ [Urkunden des Friedens von Brest vom 31. Dezember 1435 zwischen Polen, Litauen und dem Deutschen Orden – eine kritische Edition]. Projekt finanziert vom Narodowe Centrum Nauki (Nationalen Wissenschaftszentrum) – UMO-2013/11/B/HS3/01462. 1  Diesen Konflikt schilderte ausführlich Marian Biskup, Wojny Polski z Zakonem Krzyżac­ kim (1308 – 1521) [Die  Kriege  Polens gegen den Deutschen Orden (1308 – 1521)] (1993) S. 143 – 199; vgl. auch: Anatol Lewicki, Powstanie Świdrygiełły. Ustęp z dziejów unii Litwy 86 Marcin Hlebionek / Adam Szweda In Brest, nach mehrwöchigen Verhandlungen2, stellten beide Konfliktparteien die Vorurkunden aus, die Anfertigung der Haupturkunden dauerte hingegen einige Monate länger. Die Besiegelung der Urkunde der polnischlitauischen Partei erfolgte während des Reichstages (des Sejms, conventio generalis) in Sieradz am 4. März 1436, im Falle des Deutschen Ordens erfolgte sie etwas später. Es ist wohl bekannt, dass man noch im Mai 1436 nicht über alle notwendigen Siegelstempel verfügte. Der Haupturkundenaustausch erfolgte schließlich am 1. August 1436 in Thorn3. Die Urkunde des Deutschen Ordens wurde zunächst in der Schatzkammer, und nachher im Kronarchiv aufbewahrt. Heute befindet sie sich im Hauptarchiv der Alten Akten in Warschau4. Die Schicksale der polnisch-litauischen Urkunde waren viel merkwürdiger. Nachdem sie während des dreizehnjährigen Krieges aus Marienburg evakuiert worden war, wurde sie zunächst nach Livland und nachher nach Franken umgelagert (was ihre Abschriften – nota­rielle Transumpte – bestätigen) und schließlich nach Wien gebracht, wo sie sich heutzutage in den Beständen des Deutschordens-Zentralarchivs befindet5. Die z Koroną [Der Aufstand Swidrygiellos. Ein Auszug aus der Geschichte der polnisch-litauischen Union] (1892, 22015); Jonas Matusas, Švitrigaila Lietuvos didysis kunigaikštis [Swidrygiello, litauischier Großfürst] (1938, 21991) S. 34 – 146; Carl August Lückerath, Paul von Rusdorf. Hochmeister des Deutschen Ordens 1422 – 1441 (1969) S. 123 – 133, 146 – 164; Marian Biskup, Polityka zewnętrzna zakonu krzyżackiego [Die Außenpolitik des Deutschen Ordens], in: Państwo zakonu krzyżackiego w Prusach. Władza i społeczeństwo, hg. v. Marian Biskup / Roman Czaja (2008) S. 244 – 250. 2  Siehe: Adam Szweda, Organizacja i technika dyplomacji polskiej w stosunkach z zako­ nem krzyżackim w Prusach w latach 1386 – 1454 [������������������������������������� Organisation und Verfahren der polnischen Diplomatie in den Beziehungen mit dem Deutschen Orden in Preußen in den Jahren 1386 – 1454] (2009) S. 409 – 411. 3  Ebd., S. 306 – 307; Adam Szweda, Dokumenty pokoju brzeskiego z 31 grudnia 1435 r. – wprowadzenie do tematu [Die Urkunden des Friedensvertrags von Brest vom 31. Dezember 1435 – Einführung], in: Pabaisko mūšis, jo epocha ir reikšmė [im Druck]. 4  Archiwum Główne Akt Dawnych (AGAD; Hauptarchiv der Alten Akten) in Warschau, Zbiór dokumentów pergaminowych [Sammlung der Pergamenturkunden], Nr. 1011; Przemysław Nowak, Dokumenty traktatów pokojowych Polski i Litwy z zakonem krzyżackim w XV wieku [Die Urkunden der Friedensverträge Polen-Litauens mit dem Deutschen Orden im 15. Jahrhundert] (2002) S. 138 – 139 (die gedruckte Dissertation befindet sich im Archiv der Jagiellonen-Universität – dem Autor danke ich für ihre Bereitstellung); Janusz Grabowski, Z dziejów stosunków Polski z Zakonem Krzyżackim w Prusach (XIII – XVI w.) [����������� Aus der Geschichte der Beziehungen Polens zum Deutschen Orden in Preußen (13. – 16. Jahrhundert)] (2006) S. 26, Nr. 12 und das Bildnis auf der S. 29. 5  Wien, Deutschordenszentralarchiv, Urkunden, Nr. 3359; vgl. Die Urkunden des Deutsch­ordens-Zentalarchivs in Wien. Regesten. Teilband 3: Dezember 1418 – Dezember 1526, nach dem Manuskript von Marian Tumler, hg. v. Udo Arnold (2007), Nr. 3359; Szweda, Dokumenty pokoju brzeskiego (wie Anm. 3). Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 87 Langzeitaufbewahrung in einem verglasten Schaukasten an der Wand „schützte“ (aus konservatorischen Gründen) diese Urkunde vor Digitalisierung und Erschließung in dem Online-Projekt monasterium.net zusammen mit anderen Dokumenten des Wiener Ordensarchivs6. Erst kürzlich wurden Restaurierung der Urkunde und Zustimmung zur Veröffentlichung möglich gemacht7. Im Unterschied zur polnisch-litauischen Urkunde, die mehrmals veröffentlicht wurde (in der letzten Zeit in der Edition von Erich Weise8), wurde die Ordensurkunde nie in extenso veröffentlicht9. Bisher erfreuten sich einige Hundert Siegel, die den beiden Dokumenten beigefügt wurden, keinerlei Interesse bei den Herausgebern, weswegen diese Frage im Rahmen des Projektes „Urkunden des Friedens von Brest vom 31. Dezember 1435 zwischen Polen, Litauen und dem Deutschen Orden – eine kritische Edition“ aufgenommen wurde. Das Projekt endet im Jahre 2017. Deshalb kann noch keine abschließende Bewertung erfolgen. Wir wollen uns daher auf die Urkunden konzentrieren, die von den Konfliktparteien ausgestellt wurden. Die im Deutschordens-Zentralarchiv aufbewahrte Urkunde Polen-Litauens hat die Form eines Pergamentkonvoluts, das aus vier beschriebenen Blättern und einem Leerblatt, das das Titelblatt „ersetzt“, besteht. Auf dem letzten beschriebenen Blatt befinden sich über der Textspalte Kanzlei- und archivarische Vermerke. Der Rücken des Konvoluts wurde zu einer Rolle geformt, mit Siegelschnüren verknotet, die durch runde Löcher, gesetzt in den Blättern in einer Linie am Rand, gezogen wurden. Diese Schnüre sind dünn und erinnern eher an dickere Fäden. Ursprünglich könnten sie rot und gelb bzw. braun gewesen sein, aber mit der Zeit blichen sie aus, so dass ihre Farben einander ähneln. In der späteren Zeit versuchte man die einzelnen Knoten zu festigen und sie mit schwarzen und weißen Fäden zu verflechten. Die Form der Schnüre und vermutlich auch die spätere konservatorische Bearbeitung führten zu einer so starken Verwirrung der Knoten, dass die Wiederherstellung der Reihenfolge, in welcher die einzelnen Siegel angehängt worden waren, heutzutage unmöglich erscheint. Die Urkunde erwähnt 209 Garanten, die das Diplom besiegelt haben sollen. 207 davon befinden sich auf der Garantenliste. Zwei übrige Personen  Szweda, Dokumenty pokoju brzeskiego (wie Anm. 3).  Herzlichen Dank sei dem Leiter des Deutschordenszentralarchiv – Pater Frank Bayard OT – gesagt. 8  Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert. Band 1: (1398 – 1437), hg. v. Erich Weise (21970) – hier auch die früheren Editionen. 9  Szweda, Dokumenty pokoju brzeskiego (wie Anm. 3). 6 7 88 Marcin Hlebionek / Adam Szweda erscheinen in der Formel datum per manus. Dazu kommen natürlich die Aussteller – der König und der Großfürst. Aus dieser Auflistung ergibt sich, dass sich an der Urkunde die folgenden Siegel befunden haben sollten: ein königliches Siegel, das Wladislaus III. von Polen und Ungarn gehörte, ein Siegel des Großfürsten von Litauen Sigismund und seines Sohnes Michael, drei Siegel anderer Fürsten aus dem Haus Olgierdowicz, vier Siegel der masowischen Herzöge, ein Siegel des Herzogs von Pommern-Stolp, zehn Siegel der Vertreter der Bischöfe, acht Stadtsiegel und 180 Siegel der Repräsentanten des Rittertums. Bis zum heutigen Tag überlebten neben den Siegeln des Königs Wladislaus, des Großfürsten Sigismund und des Fürsten Michael weitere drei Siegel der masowischen Herzöge, ein Siegel des Herzogs von Pommern-Stolp, eines der drei Siegel des Hauses Olgierdowicz, sieben Bischofs- und Erzbischofssiegel, sechs Stadtsiegel und 174 Rittersiegel, insgesamt also 195 Siegelstempel. Die meisten davon sind immer noch der Urkunde angehängt. Zusammen mit dem Diplom werden 32 lose Siegelabdrücke aufbewahrt, und eines der Siegel – der Stadt Posen – befand sich vor kurzem in der Sammlung der losen Siegel des Deutschordens-Zentralarchivs. Die im Warschauer Hauptarchiv der Alten Akten aufbewahrte Ordensurkunde ist ebenfalls ein Konvolut, das aus sechs Blättern besteht. Die Kanzleiund archivarischen Vermerke erscheinen hier sowohl auf dem ersten als auch auf dem letzten beschriebenen Blatt, was darauf hinweisen könnte, dass man sich der Urkunde im Archiv häufiger bediente. Der Rücken, an dem die Siegel befestigt wurden, wurde mit sieben bis acht Reihen von Schnüren aus nicht geflochtenen losen roten, grünen und blauen Fäden fest genäht. Die Garantenliste in der Urkunde erwähnt 214 Personen. Wir erfahren daraus, dass die Urkunde von den folgenden Personen besiegelt werden sollte: vom Hochmeister, von 27 höheren Zentral-, preußischen und livländischen Beamten des Deutschen Ordens, 21 Komturen (14 preußischen und 7 livländischen), 10 Vögten, zwei Provisoren, 13 Vizekomturen (Hauskomturen) sowie sechs Bischöfen samt den Kapiteln ihrer Domkirchen. Außer den Geistlichen und Ordensbeamten besiegelten die Urkunde noch 120 Repräsentanten des Rittertums und acht Städte. Bis zum heutigen Tag haben sich insgesamt 160 Siegelabdrücke erhalten10 – 49 Siegel der Ordensbeamten (von den ursprünglich 72 Abdrücken, die in der Korroboration genannt wurden), fünf Bischofssiegel (von den ursprünglich 6), 3 Siegel der Domkapitel (von 6), 5 der Städte  Grabowski, Z dziejów (wie Anm. 4) S. 26, Nr. 12 und das Bildnis auf der S. 29. 10 Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 89 (von 8) und 89 der Ritter (von 120). Die Inhaber von neun Siegeln konnten bisher nicht identifiziert werden. Nur wenige der der Urkunde Polen-Litauens angehängten Siegel (das königliche11 und die bischöflichen) wurden in rotem Wachs aufgedrückt, andere hingegen in natürlichem Wachs, das unterschiedlich (dunkel und hell) eingefärbt war. Gewöhnlich wurden die Siegelschüsseln aus Wachs geformt, das dieselbe Farbe wie der Siegelabdruck hatte. Eindeutig differenzierter waren die Farben der Siegel an der Ordensurkunde. Man benutzte hier rotes, grünes, schwarzes und natürliches Wachs. Sichtbar sind dabei gewisse Regelmäßigkeiten. Die Siegel der Ordensbeamten wurden vermutlich abhängig vom Rang einer Person in rotem, schwarzem bzw. natürlichem Wachs aufgedrückt, die Bischofssiegel hingegen ähnlich wie im Falle der polnischen Urkunde in rotem Wachs. Die Siegel der Domkapitel sind grün und schwarz, die der Städte schwarz bzw. natürlich. Die Rittersiegel wurden in schwarzem Wachs aufgedrückt. Beim Vergleich beider Urkunden aus der Sicht der Sphragistik sollte man noch bemerken, dass der heutige Erhaltungsgrad der Akten darauf hinweist, dass die Ordensurkunde mit größerer Sorgfalt angefertigt wurde. Wir stoßen dabei auf keinen Siegelabdruck in einer Wachsmasse, aus der die Siegelschüssel geformt wurden, und die Siegelabdrücke selbst waren viel klarer lesbarer. Im Falle der polnischen Urkunde fällt auf, dass das Legendenfeld und manchmal sogar auch das Siegelfeld nicht fest genug zugedrückt worden waren. Die Bedeutung beider Urkunden entspringt nicht nur den in ihnen enthaltenen Beschlüssen, die eine gewisse Etappe der Konflikte zwischen Polen und dem Deutschen Orden beendeten, sondern auch der Anzahl der ihnen beigefügten Siegel. Die Anzahl der Garanten, welche die Dokumente besiegelten und namentlich erwähnt wurden, deutet darauf hin, dass die Diplome das Repräsentanzbewußtsein der Eliten beider Länder zu diesem Zeitpunkt abbildeten und daher von großer Bedeutung sind. Diesbezüglich bekommt man eine Einsicht in die Gruppe jener Personen, die zur Staats- und Provinzialelite gehörten. Die Siegel gewähren auch einen Einblick in die Entwicklungsprozesse der Ikonographie der auf den ersten Blick relativ einheitlichen Rittersiegel. Wir versuchen diese Veränderungen, die dank den „Brester“ Siegeln zu erkennen sind, anhand ausgewählter Beispiele zu schildern.  Das ist das kleine Wappensiegel des Königs, der damals minderjährig war und kein Majestätsiegel besaß. Deshalb benutzte in diesem Fall auch der Hochmeister sein „sigillum minus“. 11 90 Marcin Hlebionek / Adam Szweda Zunächst sollte an die Sphragistik angeknüpft werden. Im Falle der Urkunden zeigte sich eine große Anzahl der früher unbekannten Siegel. Häufig stößt man auf die „neuen“ Siegel unter den Abdrücken der Sigillen der Ritter. Als ein repräsentatives Beispiel gilt hier das große Siegel des Fürsten Kasimir II. von Bels, mit dem sogar der beste Kenner der masowischen Sphragistik Stefan Krzysztof Kuczyński nicht vertraut war12. Die bisher unbekannten Siegel deuten darauf, dass man aufgrund der Siegelstempelsammlung auf den Dokumenten des Friedens von Brest die sphragistischen Systeme der einzelnen Inhaber erforschen kann. Wir nennen hier einige bezeichnende Beispiele. Bisher erwähnte die Fachliteratur nur ein Siegel Michaels, des Sohnes des Großfürsten von Litauen Sigismund Kęstutaitis13. Die uns interessierende Urkunde schildert ein anderes, bisher unbekanntes Siegel des Fürsten. Trotz der ikonographischen Ähnlichkeiten (beide Siegel zeigen einen gerüsteten Reiter) sind die Veränderungen in der Legende besonders auffallend: das erste Siegel bezeichnet Michael als Sohn des Großfürsten Litauens, das zweite nennt ihn nur Fürsten Michael. Vergleichbar ist es im Falle des Fürsten von Kiew Andrei Vladimirovič (Andrzej Włodzimierzowic), von dem bisher drei Siegel bekannt waren. Der Urkunde von Brest wurde ein anderer Siegelstempel beigefügt. Von den anderen Siegeln des Fürsten unterscheidet er sich durch die Form des Legendenfeldes (im Vergleich zu den Typen I und II) bzw. durch die Darstellung (im Vergleich zum Typ III)14. Unter den Deutschordenssiegeln ist das Siegel des Hauskomturs von Marienburg die wesentliche Entdeckung, da es lediglich hier zu finden ist15.  Stefan Krzysztof Kuczyński, Pieczęcie książąt mazowieckich [���������������������� Die Siegel der masowischen Herzöge] (1978) S. 351, Nr. 50. 13  ����������������������������������������������������������������������������������� Skarbiec diplomatów papiezkich, cesarskich, królewskich, książęcych, uchwał narodowych, postanowień różnych władz i urzędów [Die Schatzkammer der päpstlichen, kaiserlichen, königlichen, herzoglichen Diplomaten, der Staatsbeschlüsse und Bestimmungen verschiedener Obrigkeiten und Behörden] […]. Bd. 2, hg. v. Ignacy Daniłowicz, (1862) S. 183; vgl. Marian Gumowski, Pieczęcie książąt litewskich [Die Siegel der litauischen Fürsten], Ateneum Wileńskie 7/3 – 4 (1930) S. 692, Akta unji Polski z Litwą 1385 – 1791 [Akten der polnischlitauischen Union 1385 – 1791], hg. v. Stanisław Kutrzeba / Władysław Semkowicz (1932) Nr. 90, S.  59; Oлег Однороженко, Руські королівські, господарські та князівські печатки ХІІІ – XVI ст. [Die russischen Siegel der Könige und Fürsten im 13. – 16. Jahrhundert] (2009) S. 133. 14  Marcin Hlebionek, Nieznana pieczęć księcia Andrzeja Włodzimierzowica przy do­ kumencie pokoju brzeskiego z 1435 r. [Das unbekannte Siegel des Fürsten Andrzej Wło­dzi­ mie­rzowic auf der Urkunde des Friedensvertrags von Brest 1435], Сфрагістичний щорічник 5 (2015) S. 135 – 141. 15  Janusz Trupinda, Znaki władzy Zakonu Niemieckiego w Prusach w XIII i w I połowie XIV wieku [Die Herrschaftszeichen des Deutschen Ordens in Preußen im 13. und in der 12 Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 91 Abbildung 1 a, b, c. Die Siegel der Fürste: Kasimir II. von Bels (a, links oben), Andrei Vladimirovič (b, rechts oben) und Michael Zygmuntowicz (c, unten). Mit der Form des sphragistischen Bildsystems für die einzelnen Inhaber sind rechtliche Fragen eng verbunden. Dazu gehört das Fehlen eines eigenen Siegels (carentia sigilli). In so einer Situation bediente sich eine Person, die eine Urkunde besiegeln musste, eines anderen, in der Regel geliehenen Siegelstempels. Dass wir in unserer Siegelsammlung mit einer Karenz zu tun haben, erfahren wir anhand eines Siegelabdrucks aus der Ordensurkunde, der zu Augustinus von Szewno gehörte, der sich des Siegels, geerbt vom Vater Jasiek, ersten Hälfte des 14. �������������������������������������������������������������������� Jahrhunderts], in: „Rzeź gdańska“ w świetle najnowszych badań. Materiały z sesji naukowej 12 – 13 listopada 2008 r., hg. v. Błażej Śliwiński (2009) S. 142, Bildnis Nr. 22. 92 Marcin Hlebionek / Adam Szweda bediente16. Ein geerbtes Siegel benutzte auch der nicht zum Ritter geschlagene Johannes von Logendorf. Auf das Erben eines Siegelstempels weist hin, dass dem Namen des Inhabers auf seinem Siegel das Wort „Herr“ beigefügt wurde. Es kann darauf deuten, dass das Siegel zum Inhaber, der ein strenuus miles war, Abbildung 2. Das Siegel von Janus und Johannes von Logendorf. Abbildung des Exemplars aus der Erektionsurkunde des Preußischen Bundes. Siehe Bernhard Engel, Die mittelalterlichen Siegel des Thorner Rathsarchives, 2 Theil, Privatsiegel mit Ausschluss der rein polnischen, Thorn 1895, S. 19, Taf. III, Nr. 210. gehören musste17. Wir wissen aber, dass Janus Logendorf, der tatsächlich zum Ritter geschlagen wurde, Vater unseres Johannes war18. In der Siegellegende kommt der Name des Inhabers auch in Form von Hannus, aber nicht Hans vor. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Logendorfer die Urkunde mit 16  Artur Hryniewicz, Oblicza dziewiętnastowiecznego kolekcjonerstwa sfragistycznego na przykładzie losów pieczęci z aktu rozejmu łęczyckiego [Gesichter des sphragistischen Sammelns im 19. Jh. am Beispiel der Geschichte der Siegel aus den Akten des Friedensvertrages von Łęczyca], Rocznik Sztuki Śląskiej 22 (2013) S. 143, Anm. 11. Zum Verwandtschaftsgrad zwischen Augustinus und Jasiek siehe: Klemens Bruski, Lokalne elity rycerstwa na Pomorzu Gdańskim w okresie panowania zakonu krzyżackiego. Studium prozopograficzne [����������� Die ortsansässigen Rittereliten in Pommerellen zur Herrschaftszeit des Deutschen Ordens. ������������ Ein prosopographisches Studium] (2002) S. 237. 17  Hryniewicz, Oblicza (wie Anm. 16) S. 143, Anm. 12. 18  Związek Pruski i poddanie się Prus Polsce. Zbiór tekstów źródłowych [Der Preußische Bund und Preußens Unterwerfung gegenüber Polen. Eine Quellensammlung], hg. v. Karol Górski (1949) S. 239, Anm. 18. Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 93 dem vom Vater geerbten Siegel bestätigte19. Bis wir das Siegel Johannes finden, müssen wir annehmen, dass Johann sein väterliches Siegel bis zu seinem Lebensende benutzte. Abbildung 3 a, b. Zwei Siegelabdrücke von Peter Korczbok aus der polnisch-litauischen Urkunde. Mit der Siegelkarenz verbindet sich auch die Wiederholung von Abdrücken eines Siegels, die im Falle der Urkunde Polen-Litauens sichtbar wird. Sie ist wahrscheinlich die Folge davon, dass die Garanten ihre Siegelstempel einander liehen, weil sie zum bestimmten Zeitpunkt über kein eigenes Siegel verfügten. Bisher konnte man sie mit Sicherheit in einigen Fällen feststellen, aber vor dem endgültigen Abschluss der Inventarisierungsarbeiten und der Analyse der Ergebnisse kann man das Ausmaß dieser Erscheinung nur mit Mühe bestimmen. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass wir im Unterschied zu den Siegeln aus der Ordensurkunde, bei der wir beinahe ausschließlich auf die Ab Johannes von Logendorf wurde in einem Zeugenrotulus der Urkunde des Friedens von Brest und der Gründungsurkunde des Preußischen Bundes als nicht geschlagener Ritter erwähnt (siehe: Bernhard Engel, Die mittelalterlichen Siegel des Thorner Rathsarchives. Teil 2: Privatsiegel mit Ausschluss der rein polnischen (1895) S.  19, Taf. III, Nr. 210; Marcin Hlebionek, Pieczęcie przy dokumentach Związku Pruskiego. Akt erekcyjny i dokumenty akcesyjne [Die Siegel auf den Urkunden des Preußischen Bundes. Gründungsakt und Akze­ ssionsurkunden] [im Druck]). Nichtsdestotrotz befindet sich in der Legende seines Siegels die Bezeichnung „Herr“, was darauf hinweisen kann, dass er doch zum Ritter geschlagen wurde. Weil Janus Logendorf, ein Ritter, Vater unseres Johannes war, (siehe: Związek Pruski, hg. v. Górski (wie Anm. 18) S. 239, Anm. 18) sollte man annehmen, dass Janus das Vatersiegel dazu benutzte, um beide Diplome zu beglaubigen. 19 94 Marcin Hlebionek / Adam Szweda drücke von geerbten Siegel stoßen, im Falle der Zwillingsabdrücke aus der polnischen Urkunde eher mit solchen Siegeln zu tun haben, die nicht unbedingt geerbt, sondern vielmehr von lebenden Inhabern aus anderen Gründen geliehen wurden. Die Bestimmung der Karenzsiegel regt zu weiteren Forschungen an, die es ermöglichen, die Gründe der Siegelverleihung weiter zu erforschen, was anschließend neue Einsichten in das von Tomáš Krejčik untersuchte „Leben des Siegels“ gewähren kann20. Die Rittersiegel aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden gewöhnlich in der Form von Beschreibungen herausgegeben, die den Editionen von Dokumenten beigefügt wurden21. Das hat zur Folge, dass ihre Charakteristik in diesen Editionen bereits eine Interpretation ist und folglich nicht immer das wiedergibt, was auf dem Siegel tatsächlich geschildert wurde. In den Analysen verzichtete man daher auf verschiedene Übergangsformen der Zeichen, die von den Editoren mit den endgültigen Formen der Wappen identifiziert wur Tomáš Krejčík, Pečeť v kultuře středověku [Das Siegel in der Kultur des Mittelalters] (1998) S. 51 – 74. 21  Dies betrifft vor allem die polnischen Siegel, siehe beispielsweise: Akta unji Polski z Litwą1385 – 1791 (wie Anm. 13); Kodeks dyplomatyczny Wielkopolski. Bd. 5 ����������� [Der diplomatische Kodex Großpolens], hg. v. Franciszek Piekosiński (1908), Bd. 6 – 11, hg. v. Antoni Gąsiorowski u. a. (1982 – 1999) (insbesondere Bd. 11, ��������������������������������������� S. 311 – 317; Aufzeichnung der Siegel); Dokumenty strony polsko-litewskiej pokoju mełneńskiego z 1422 roku [Die polnischlitauischen Urkunden des Friedensvertrags vom Melnosee 1422], hg. v. Przemysław Nowak / Piotr Pokora (2004); Jan Wroniszewski, Pieczęcie przy dokumencie adopcyjnym szlachty polskiej z 1413 r. [Die Siegel auf der Adoptionsurkunde des polnischen Adels 1413], in: Akty horodelskie z 1413 r. Dokumenty i studia, hg. v. Jūratė Kiaupienė / Lidia Korczak (2013) S. 321 – 358; Edmundas Rimša, Pieczęcie dokumentu bojarów litewskich z 1413 r. [Die Siegel auf der Urkunde der litauischen Bojaren 1413], in: Akty horodelskie z 1413 r. (wie oben) S. 423 – 452. Die Beschreibungen der Siegel findet man auch in den heraldischen Arbeiten, siehe beispielsweise: Franciszek Piekosiński, Heraldyka polska wieków średnich [Polnische Heraldik des Mittelalters] (1899) oder letztens Józef Szymański, Herbarz średniowiecznego rycerstwa polskiego [Das Wappenbuch des polnischen Rittertums im Mittelalter] (1993). Relativ selten sind die Siegelstudien (siehe beispielsweise: Marian Haisig, Sfragistyka szlachecka doby średniowiecza w świetle archiwaliów lwowskich [Die Sphragistik des mittelalterlichen Adels im Lichte der Archivalien aus Lemberg�������������������������������������������� ]������������������������������������������� (1938). Die Siegel des preußischen Rittertums wurden bereits im 19. Jahrhundert von George Adalbert von Mülverstedt veröffentlicht (Ders., Der abgestorbene Adel der Provinz Preussen (1874); Ders., Nachträge zu Vossberg’s Geschichte der Preussischen Siegel, Zeitschrift des Historisches Verein für den Regierungsbezirk Marienwerder 6 (1882); Ders., Zur mittelalterlichen Orts- und Adelslunde Westpreussens, Zeitschrift des Historischen Vereins für den Regierungsbezirk Marienwerder 34 (1896)) sowie Bernhard Engel (vor allem: Die mittelalterlichen Siegel. Teil 2 (wie Anm. 19)). Siehe auch: die Bewertung der Arbeiten von B. Engel, angefertigt von Beata Możejko, Stan badań nad sfragistyką Pomorza Gdańskiego w średniowieczu [������������������������������������� �������������������������������������� Der Forschungsstand über die Sphragistik Pommerellens im Mittelalter], in: Pieczęcie w dawnej Rzeczpospolitej. Stan i perspektywy badań, hg. v. Zenon Piech / Jan Pakulski / Jan Wroniszewski (2006) S. 225ff. 20 Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 95 den. In der heutigen Heraldik stößt man aber auf viele Beispiele der Unentschiedenheit bezüglich der Form bzw. der Lage eines Zeichens. Man kann hier beispielsweise auf das Siegel eines unbekannten Inhabers hinweisen. Auf einem Wappenschild im Siegelfeld wurde eine Löwenhälfte abgebildet, die hinter der Mauer mit vier Zinnen hervor springt, auf die fünf Steine gelegt waren. Dieses Zeichen verbindet Bestandteile der Wappenstämme Prawdzic und Zaremba Abbildung 4 a, b. Die Verbindung der Elemente der Wappenstämme Prawdzic und Zaremba (a, links) sowie eine unbekannte Variante des Wappenstammes Nałęcz (b, rechts). und gilt gleichzeitig als eine graphische Annäherung einiger Wappen aneinander 22. Zahlreiche, den Forschern nicht immer bekannte Varianten kommen auf den Siegeln vor, die man allgemein als Abbildungen des Wappenstammes Nałęcz bezeichnen kann. Neben der Schilderung von zwei in der Fachliteratur bekannten Varianten des (umgebundenen und umgelegten)23 Tuchkranzes („pomłość“) stoßen wir auch auf andere Varianten: mit einem Knauf innerhalb des Kranzes oder – eine viel spektakulärere Variante – mit einem Kranze, umgekehrt dargestellt. Eine ähnliche umgekehrt dargestellte allgemeine Figur 22  Diese Erscheinung wurde von den polnischen Heraldikern im Falle der Wappenstämme Pałuka und Topór bereits aufgezeichnet. Siehe: Antoni Małecki, Studia heraldyczne 2 [��� Heraldische Studien] (1890) S. 93 – 96; Władysław Semkowicz, Ród Pałuków [Das Geschlecht Pałuk], Rozprawy Akademii Umiejętności, Wydział Historyczno-Filozoficzny 49 (1907) S. 50 – 54; Szymański, Herbarz (wie Anm. 21) S. 217. 23  Piekosiński, Heraldyka polska (wie Anm. 21) S.  101 – 103; Jan Pakulski, Nałęcze wielkopolscy w średniowieczu [Das Geschlecht Nałęcz aus Großpolen im Mittelalter] (1982) S.  18 – 20; Jerzy Łojko, Średniowieczne herby polskie [Mittelalterliche polnische Wappen] (1985) S. 35 – 41; Szymański, Herbarz (wie Anm. 21) S. 195, Anm. 5. 96 Marcin Hlebionek / Adam Szweda bemerkt man in einigen Vorstellungen des Wappenstammes Abdank. Auf unterschiedliche Varianten stößt man auch im Falle anderer Wappen. Beim Wappenstamm Oksza hat man es mit einer gemeinen Figur zu tun, die im Balken anstatt im Pfahl abgebildet ist; im Falle des Wappenstammes Bończa mit einem Einhorn, das man als aufsteigend bezeichnen kann. Auf eine identische Änderung stößt man aber auch im Falle des Wappenstammes Junosz. Im Wappenstamm Dołęga wurde das als eine gemeine Figur abgebildete Hufeisen durch einen Bogen bzw. Kesselring ersetzt, und in den Wappenstämmen Doliwa und Dryja kommen die gemeinen Figuren entweder abwechselnd oder schräg (ev. schräglinks) oder frei im Schildfeld vor 24. Eine interessante Variante findet man auf einem Siegel, bei dem auf dem Wappenschild ein Wolf abgebildet wurde. Wir haben es also höchstwahrscheinlich mit einer Variante des Wappenstammes Gryzima zu tun, die Józef Szymański als ein getrenntes Wappen namens Frangebarg identifizierte25. Nebenhin bemerkt war dieses Wappen bisher nur aus schriftlichen Vermerken bekannt. Wir setzen uns hier mit den neuen Zeichen auseinander, die bisher weder in der sphragistischen noch in der heraldischen Fachliteratur aufgezeichnet wurden. In der uns interessierenden Siegelsammlung finden wir solche nur ein paar Mal. Dazu gehört das Wappen, das im Wesentlichen an eine städtische Hausmarke erinnert. Es stellt einen Stab dar, oben besteckt mit einem Ring, unter ihm drei Kreuze, die Unterlagen zueinander gerichtet, umgekehrt abgebildet, das Kreuz in der Mitte bekränzt mit einem Ring. Das weitere, in der Fachliteratur nicht erwähnte Symbol ist ein Strichzeichen und zeigt zwei Kreuze auf einem Bogen. Im Rahmen der Ikonographie geben die Siegel schließlich auch die Entwicklung der heraldischen Kompositionen wieder. In der gesamten Wappensiegelsammlung treten keine gemeinen Figuren mehr auf, die direkt auf dem Siegelfeld gesetzt wurden. Sie befinden sich immer auf dem Wappenschild. Eine derartig einfache Schilderung des Wappens, die gemeine Figur auf dem Schild, überwiegt in der Ikonographie der Rittersiegel sowohl im Falle jener aus der Ordensurkunde als auch der Urkunde Polen-Litauens. Häufig kommen auch etwas erweiterte Kompositionen vor, die am häufigsten im gotischen Vierblatt Schilde mit einem Helm, einer Helmzier und einer Helmdecke darstellen. Seltener sind aber die Vorstellungen auf den weltlichen Siegeln, die andere heraldische Wappenelemente zeigen. Umgekehrt sind die Proportionen auf den Siegeln der kirchlichen Würdenträger und Fürsten. Da Vgl. Szymański, Herbarz (wie Anm. 21) S. 113, Anm. 4 (Doliwa), S. 117 – 118 (Dryja).  Ebd., S. 120 – 121. 24 25 Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 97 rauf dominieren die erweiterten Vorstellungen, und eine einfache Schilderung des Wappens (gewöhnlich begleitet von Insignien) ist selten. Abbildung 5 (a, b, c, d). Beispiele der heraldischen Kompositionen auf den Rittersiegeln. Die Siegelinschriften, die in der besagten Siegelsammlung vorkommen, wurden sowohl in gotischer Minuskel als auch Majuskel angefertigt, wobei die erstgenannte überwiegend ist. Dies ergibt sich daraus, dass die Minuskelschrift in den Inschriften dieser Zeitperiode vorherrschend war. Wir stoßen darauf grundsätzlich auf den privaten wie auch amtlichen Personensiegeln, die relativ spät angefertigt bzw. häufig aktualisiert wurden. Die Minuskelbuchstaben haben unterschiedliche Formen (verschiedene Minuskelformen, Serifen-Schrift sowie einfache Beispiele). Die Siegel mit Inschriften in gotischer Majuskel sind 98 Marcin Hlebionek / Adam Szweda eindeutig seltener, obwohl sie in verschiedenen Gruppen der Inhaber zu finden sind. Es kann nicht wundern, dass die meisten davon auf den Siegeln der in der langen Dauer tätigen Stadt- und Kapitelämter vorkommen. Die Majuskel tritt auch – obwohl selten – auf den Personensiegeln der polnischen und Ordensgaranten auf. Man kann daher annehmen, dass sie häufiger auf den Ordenssiegeln zu finden ist. Abbildung 6 (a, b, c, d, e). Beispiele der Typographie der Siegellegenden – verschiedene Versionen der Inschrift: „sigillum Iohannis“. Bei der Vorbereitung der Edition der den Urkunden beigefügten Siegeln sollte man alle oben beschriebenen Erscheinungen in Betracht ziehen. Angesichts des unterschiedlichen Erhaltungsgrades der Siegelknoten ist die Auswahl einer für beide Urkunden geeigneten und dabei kohärenten Editionsordnung Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 99 zweifelsohne problematisch. Wie bereits erwähnt, führen die Verwirrung der Schnüre auf der polnisch-litauischen Urkunde sowie die Art der Siegelverleihung dazu, dass die Wiederherstellung der ursprünglichen Komposition wie auch die Ordnung der Siegelstempel nach der Reihenfolge der Garantenliste unmöglich erscheint. Es ist aber zu betonen, dass man das Ausmaß der Schwierigkeiten, die von den Karenzsiegeln verursacht werden, erst nach dem Abschluss der Inventarisierungsarbeiten festgestellt werden kann. Für die Ordensurkunde wäre jene Vorgehensweise geeignet, die von den Herausgebern der Siegel aus dem Friedensvertrag vom Melnosee vorgeschlagen wurde, d. i. geordnet nach den Reihen und weiterhin nach der Reihenfolge der Siegel in den einzelnen Reihen. Diese Methode kann aber im Falle der polnisch-litauischen Urkunde nicht angewendet werden. Dies ergibt sich aus drei Gründen. Erstens wurden die Siegel der Urkunde in einer Reihe angehängt. Zweitens, wie bereits erwähnt, haben wir es mit der Verwirrung der Schnüre in so einem hohen Grade zu tun, dass die Rekonstruktion ihrer vormaligen Ordnung heute unmöglich scheint. Drittens wiederholen sich wahrscheinlich einige der Siegelstempel, die die polnisch-litauische Urkunde beglaubigen, und kommen mehr als einmal vor. Diese Faktoren verursachen, dass sich die miteinander korrelierte (im Sinne: nach ähnlichen Regeln geordnete) Edition der Siegel der beiden Urkunden auf eine künstliche Systematik stützen sollte, welche die Gruppierung der Abdrücke erlauben könnte. Wie es scheint, könnte hier die Einteilung der Siegelinhaber in Untergruppen von Bedeutung sein. Sie sollte aber allgemein sein und auch die soziale Differenzierung beider Parteien, die die Urkunde unterzeichneten, berücksichtigen. Innerhalb der einzelnen Inhabergruppen scheint die alphabetische Ordnung angemessen zu sein. Eine solche Methode der Editionsordnung knüpft an das noch im 19. Jahrhundert entwickelte System von Louis Douët d’Arcq26 an. Man sollte aber berücksichtigen, dass ihre konsequente Anwendung in beiden Fällen dazu führen würde, dass die Reihenfolge der angehängten Siegel an einer der Urkunden nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Man sollte auch die Beschreibung der mehrmals vorkommenden Siegel erwägen. Möglich sind hier zwei Vorgehensweisen. Erstens sollte jeder Siegelstempel getrennt beschrieben werden. Es wird wahrscheinlich dazu führen, dass gewisse Angaben wiederholt werden, aber eine solche Lösung würde ein einheitliches Beschreibungsformular für alle Objekte zulassen. Im zweiten Modell sollten die sich wiederholenden Abdrücke  Louis Douët d’Arcq, Elements de sigillographie tires de la collection de sceaux, in: Collection de sceaux 1, bearb. v. Dems. (1863) S. XXXVIII. 26 100 Marcin Hlebionek / Adam Szweda zusammen beschrieben werden, was die Anfertigung ihrer „vollkommenen“ Charakteristik ermöglichen sollte. Eine solche Methode wird in der archivarischen Bearbeitung der Siegel vorgeschlagen (siehe unten). Vielleicht sollte man in diesem Fall eine unsymmetrische Editionsordnung zulassen, in der die Ordnung der der polnisch-litauischen Urkunde beigefügten Siegel „künstlich“ wäre. Die Editionsordnung der Siegelstempel aus der Ordensurkunde sollte hingegen die Reihenfolge, in welcher sie angehängt wurden, wiedergeben. Das für die polnische Sphragistik klassische Beschreibungsformular der Siegel entwickelte Stefan Krzysztof Kuczyński. Es diente diesem Forscher dazu, ein Katalog der Siegel der masowischen Herzöge anzufertigen27. Er konzentrierte sich auf eine möglichst vollständige Beschreibung aller erhalten gebliebenen Exemplare der Abdrücke aus einem Siegelstempel, die unterschiedlichen Dokumenten beigefügt worden waren. Das Formular, das anhand der Richtlinien aus den Veröffentlichungen des Komitees für Sphragististik am Internationalen Archivrat 28 modifiziert wurde, gilt als Grundlage der Siegelbeschreibung in der ersten modernen sphragistischen Edition einer mit mehreren Siegeln beglaubigten Urkunde: der Veröffentlichung der Siegel, die mit der Urkunde des Friedens vom Melnosee verbunden ist und von Przemysław Nowak und Piotr Pokora bearbeitet wurde29. Trotz einer kritischen Rezension der Edition erhob man keinen grundsätzlichen Einwand gegen das Formular, das zur Veröffentlichung der Siegel aus der Urkunde vom Melnosee gebraucht wurde30. An dieses Vorbild knüpften auch die späteren Editionen der sphragistischen Materialien an31. Wir gehen davon aus, dass eben diese Richtlinien als Vorbild für unsere Edition gelten sollten. Aber auch in diesem Falle ist die Modifizierung des Formulars nicht ausgeschlossen, weil sie von der Spezifik der Dokumente abhängig ist. Im Falle vom Melnosee hatten wir mit keiner Wiederholung der Abdrücke zu tun, im Unterschied zu der Urkunde von Brest. Wie bereits erwähnt, kann man hier jene Methode erwägen, die für die Siegelbeschreibung in Archiven entwickelt wurde, wo man auf mehrfaches Auftreten der Stempel aus  Kuczyński, Pieczęcie (wie Anm. 12) S. 249 – 420.  ������������������������������������������������������������������������������������������ Project de regels pour l’etablissement de notices descriptives de sceaux, Folia caesaroaugustiana 1 (1984) S. 97; Vocabulaire international de la sigillographie (1990) S. 19 – 34. 29  Dokumenty strony polsko-litewskiej, hg. v. Nowak / Pokora (wie Anm. 21). 30  Izabela Skierska, „Dokumenty strony polsko-litewskiej pokoju mełneńskiego z 1422 roku“, hg. v. Przemysław Nowak / Piotr Pokora, Poznań 2004 [Buchrezension], Roczniki Historyczne 70 (2004) S. 254 – 259. 31  Siehe beispielsweise: Katalog pieczęci dokumentów horodelskich [Der Siegelkatalog der Urkunden aus Horodło], in: Akty horodelskie z 1413 r., hg. v. Kiaupienė / Korczak (wie Anm. 21) S. 320. 27 28 Die Urkunden des Friedens von Brest (31.12.1435) und ihre Bedeutung… 101 einem Siegel relativ häufig stößt. Praktisch wurde sie von Marcin Hlebionek im Siegelinventar aus dem Bromberger Archiv angewandt32. Sie beruht darauf, dass die für alle Abdrücke eines Siegels gemeinsamen Angaben an einem Ort gesammelt werden und dass man getrennt davon ausschließlich jene Angaben anführt, die für ein bestimmtes Exemplar charakteristisch sind. Die Auswahl der geeignetsten Beschreibungsmethode wird nach dem Abschluss der ersten Inventarisierungsarbeiten und der Identifizierung der einzelnen Abdrücke getroffen werden.  Marcin Hlebionek, Katalog pieczęci przy dokumentach samoistnych w zasobie Archiwum Państwowego w Bydgoszczy (2012). 32