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Kindliche Erzählperspektive Und Interkulturalität In Irmgard Keuns "kind Aller Länder"

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Universität Hamburg Bachelorarbeit im Studiengang Lehramt an Gymnasien Eingereicht im Fach Deutsch zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts Kindliche Erzählperspektive und Interkulturalität in Irmgard Keuns „Kind aller Länder“ Eingereicht von Sarah Steidl Matrikelnummer: 6121245 Erstgutachterin: Prof. Dr. Ortrud Gutjahr Zweitgutachterin: Jun.-Prof. Dr. Esther Kilchmann Abgabedatum: 01.10.2012 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .................................................................................................................. 1 2 Relektüre des Romans „Kind aller Länder“ ............................................................ 4 2.1 Forschungsstand ........................................................................................................ 4 2.2 Methodisch-theoretisches Vorgehen ......................................................................... 5 3 Familienkonstellation: Die Trias von Vater, Mutter und Kind ................................ 6 3.1 Der Vater: Ein un-beweglicher Bohemien ................................................................. 7 3.2 Die Mutter: Abhängiges ‚Hausmütterchen‘ und Hysterikerin ................................ 10 3.3 Kully: Das „Kind aller Länder“ ................................................................................. 13 4 Kindliche Erzählperspektive .................................................................................. 16 4.1 Das Kind in der Kultur- und Literaturwissenschaft ................................................ 17 4.2 Narratologische Fundierung: Der kindliche Ich-Erzähler ....................................... 19 4.3 (K)ein weiblicher Schelm? ........................................................................................ 23 4.4 Inszenierte Naivität .................................................................................................... 25 4.4.1 Naivität: Ein ‚schillerndes‘ Kunstwort ............................................................... 25 4.4.2 Spielformen der Inszenierung.......................................................................... 26 5 Interkulturalität........................................................................................................ 28 5.1 Fremde als literarische Inszenierung im Exilroman ............................................... 29 5.2 Naive Narration als interkulturelles Phänomen ...................................................... 30 5.3 Die Grenzgängerin ohne Grenzen ............................................................................ 31 5.4 Ausbildung einer hybriden Identität? ...................................................................... 32 6 Schlussbetrachtung ............................................................................................... 33 7 Literaturverzeichnis ................................................................................................ 36 1 1 Einleitung »Hast du nie Heimweh?« fragte mich ein alter Mann, und ich wußte zuerst nicht, was er meinte. Er hat es mir erklärt. Manchmal habe ich Heimweh, aber immer nach einem anderen Land, das mir gerade einfällt. Manchmal denke ich an die singenden Autobusse an der Cote d’Azur, an eine Wiese bei Salzburg, die ein blaues Meer von Schwertlilien war, an die Weihnachtsbäume bei meiner Großmutter, an die Slotmaschinen in New York, an die Riesenmuscheln in Virginia und die Strohschlitten und den Schnee in Polen.1 Mit diesen Worten schildert das zehnjährige Mädchen namens Kully, die Erzählinstanz in Irmgard Keuns 1938 erschienenem Exilwerk „Kind aller Länder“, wie das Schicksal der politischen Emigration, das zwischen 1933 und 1945 Tausende im nationalsozialistischen Deutschland erlitten haben, eine Weltanschauung zu generieren vermag, die sich interkulturell verorten lässt. Der bislang wenig beachtete vierte und zugleich letzte Exilroman2 Keuns weist mit der kindlichen Erzählperspektive ein Spezifikum auf, das hinsichtlich seines literaturwissenschaftlichen Forschungsstandes buchstäblich noch „in den Kinderschuhen steckt“3 − obgleich die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kindheitsmotivik in der Literatur- und Kulturwissenschaft eine lange Tradition hat. Wie durch den Romantitel und das vorangestellte Zitat angedeutet, wird von ebendiesem „Kind aller Länder“ eine Art Weltkarte in assoziativen Sprüngen gezeichnet, die vom Leben einer dreiköpfigen Familie an etwa dreißig verschiedenen Orten und den jeweiligen Reisen in Bahnen, Dampfern und Taxis dorthin berichtet. Es wird dem Rezipienten ein „Einblick in einen vergleichsweise wenig beleuchteten Abschnitt des deutschen Exils“4 gewährt, der sich durch die absurd wirkende Situation auszeichnet, dass die Familie nur gemeinsam in der Bewegung durch die Reise an Heterotopien wirklich unbedroht ist: „Glücklich sind wir eigentlich immer nur, wenn wir im Zug sitzen“ (KAL 124). Trotz der Vielzahl an Schauplätzen und Figuren, welche die kleine 1 Keun, Irmgard: Kind aller Länder, München 2004, S. 210f. Im Folgenden wird der Roman durch Verwendung der Sigle „KAL“ zitiert und die Seitenzahl im Fließtext benannt. 2 Irmgard Keun (1905-1982) selbst ging 1936 ins Exil, nachdem ihre ersten zwei Werke „Gilgi – eine von uns“ (1931) und „Das kunstseidene Mädchen“ (1934) auf den „Schwarzen Listen“ des Dritten Reiches landeten, was ihrem vielversprechenden Karrierestart ein abruptes Ende bereitete. Zuvor erzielte bereits ihr Debüt immense Auflagenhöhen − im November 1932 konnte die sechste Auflage eine Gesamtauflagenhöhe von 26 000 bis 30 000 Exemplaren vorweisen, die von „Das kunstseidene Mädchen“ noch übertroffen werden sollte. Das literarische Schaffen Keuns im Exil umfasst vier Werke, die in kurzer Zeitspanne entstanden sind. 1936 erschien der aus mehreren zusammenhängenden Erzählungen bestehende Band „Das Mädchen, mit dem keiner verkehren durfte“, das Keun noch in Deutschland – also aus innerer Exilerfahrung heraus – begonnen hatte. Es folgte „Nach Mitternacht“, ein von vielen Seiten gelobtes Werk, das an die Erfolge des Karrierestarts der noch jungen Schriftstellerin anknüpfen konnte und in zahlreiche Sprachen übersetzt ist, wohingegen „D-Zug dritter Klasse“ (1938) und „Kind aller Länder“ kaum (positiv) rezipiert wurden und mit ihnen zugleich eine Zeitspanne ein Ende findet, die als Keuns produktivste angesehen werden muss. 3 Voutta, Antje: Den Anfang erzählen. Aspekte der Re-präsentation von Kindheit, Geburt und Subjektivation, München 2008, S. 10. 4 Bender, Stephanie: Lebensentwürfe im Romanwerk Irmgard Keuns, Tanusstein 2009, S. 105. 2 Familie durch die Emigration aus dem faschistischen Deutschland im Exil kennenlernt, ist es die Trias von Vater, Mutter und Kind, die von der Erzählerin in das Zentrum des Geschehens gestellt wird. Kully zeigt in ihrer Erzählung unterschiedliche Umgangsweisen mit der Exilsituation auf, erweist sich jedoch als einziges Familienmitglied, das die Umstände mit ‚anderen‘ Augen sieht und sich auf intuitive Weise und dank einer ihrem Alter immanenten Naivität die wichtigste Schlüsselqualifikation zum Leben und Akkulturieren in fremden Ländern aneignet: die Sprache des jeweiligen Landes. Es gibt in der deutschen Sprache einen Allgemeinplatz, der besagt, daß Kinder die Welt mit anderen Augen sehen. Und es ist nicht nur das Sehen des Kindes, das ein „anderes“ ist, sondern auch dessen Art und Weise sich auszudrücken und Erlebtes erzählerisch zu vermitteln.5 Die vor dem Hintergrund der Kriegserfahrung vermeintlich starr und statisch wahrgenommenen Termini „Heimat“ und „Exil“, die in Exilproduktionen meist als oppositionelles Paar für Begehren und Mangel fungieren, sind in „Kind aller Länder“ zwar in direkter Relation zueinander gesetzt, werden jedoch von der kindlichen Erzählerin in ein in sich verschränktes, fluidales Konstrukt eingearbeitet. In Anbetracht der von dieser Perspektivierung ausgehenden Besonderheiten stellt sich mir die Frage, weshalb die Kategorie des Alters bzw. die der Lebensphase einer (autodiegetischen) Erzählinstanz bislang so wenig Beachtung in der Narratologie fand, wo diese sich doch zum Beispiel ausführlich der Frage nach dem Geschlecht eines Erzählers als Untersuchungsgegenstand zugewendet hat. Auch die kulturelle und ethnologische Zugehörigkeit eines Erzählers wurde bereits als bedeutsam von den verschiedenen Teildisziplinen der Literaturwissenschaft postuliert. Es scheint mir demnach unabdingbar, sich dem Blick des Kindes als einen fremden und gleichfalls vertrauten wissenschaftlich zu nähern. Darüber hinaus ist dieser kindlichen Perspektivierung ein immenses Potential für eine Analyse nach Ansätzen der Interkulturellen Literaturwissenschaft zuzusprechen, denn die von Kully hier generierte Weltanschauung erklärt die von der Familie durchlaufenen Exilstationen auf der Odyssee6 durch Europa und Amerika zu einem Reflexions- und Interaktionsraum, der sich als zukunftsweisend für die kommenden Jahrzehnte und die damit verbundene Literatur(wissenschaft) verstehen lässt, wo Interkulturalität „[i]m Zeichen von Migration, Mauerfall und Globalisierung […] den Versuch [unternimmt], die sozi- 5 Voutta (2008), S. 39. Die Vermutung, der (Exilwerken eigentümliche) Reise-Topos umfasse hier nur die Beschreibung der Ausreise aus Deutschland und die Einreise in das Land des neuen Wohnsitzes, läuft in Bezug auf diesen Roman ins Leere, sodass sich der Terminus „Odyssee“ (Thurner, Christina: Der andere Ort des Erzählens. Exil und Utopie in der Literatur deutscher Emigrantinnen und Emigranten 1933-1945, Köln 2003, S. 93) als treffende Beschreibung des im Werk nachweisbaren Reisetopos herausstellt. 6 3 okulturellen Auswirkungen der Grenzüberschreitungen und -aufhebungen [...] durch Erklärungsansätze und Deutungsmuster zu erfassen“7. Ausgehend von der Betrachtung der kindlichen Erzählperspektive als ein „gänzlich unerforschtes Terrain“8 und der Interkulturalität als ein unvollendetes Projekt der Literaturwissenschaft,9 sucht die vorliegende Bachelorarbeit eine zeitgemäße Analyse des Romans vorzulegen, indem sie die narratolgogische Analyse der kindlichen Erzählperspektive mit dem kulturgeschichtlichen Ansatz der Interkulturellen Literaturwissenschaft verknüpft. Es wird hierbei gezeigt, inwiefern die kindliche Erzählstimme als Katalysator für eine interkulturelle Auslegung von „Kind aller Länder“ dient. Diese Arbeit bietet somit eine Relektüre des Romans an, da sie sich mit ihrem eigens gewählten Zugang kritisch zur Forschung positioniert, die den Roman „bisher überwiegend unter […] unangemessenen Prämissen rezipiert hat“10. Der Forschungsstand und das methodisch-theoretische Vorgehen werden dem dritten Kapitel vorangestellt, in dem aufgezeigt wird, inwieweit die triadische Familienkonstellation von Vater, Mutter und Kind ob ihrer strukturellen Beschaffenheit als repräsentativ für Migrationsnarrative zu werten ist: Entmachtung des patriarchalischen Oberhauptes der Familie – Vater Peter, der als Schriftsteller mit antifaschistischer Federführung Ausgangspunkt für den Weg der Familie ins Exil ist −, die zunehmende Hysterisierung der Mutter und schließlich der Bruch zwischen den Generationen, der mit der Fähigkeit der kindlichen Erzählfigur einhergeht, sich überall heimisch fühlen zu können. Dieses inszenierte Zusammenspiel von „geographisch, politisch und geschlechtlich markierte[n] Topographien“11 gilt es zu dekodieren, um die einzelnen Figuren als Stellvertreter jeweils einer von vielen möglichen Herangehensweisen an die Herausforderungen der Exilsituation zu erkennen. Darüber hinaus dient ein solche Dekodierung dem Verständnis meiner Annahme, dass aus der spezifischen Familienstruktur Kullys kindliche Erzählstimme hervortreten muss, denn bereits ihre Stellung zwischen ihren nach tradierten, gender-spezifisch bipolaren Stereotypen agierenden Eltern weist ihr innerhalb der Familienkonstellation eine Position des „Dazwischen“ zu. 7 Gutjahr, Ortrud: „Interkulturalität als Forschungsparadigma der Literaturwissenschaft. Von den Theoriedebatten zur Analyse kultureller Tiefensemantiken“, in: Heimböckel, Dieter; Mein, Georg (Hg.): Zwischen Provokation und Usurpation. Interkulturalität als (un)vollendetes Projekt der Literatur- und Sprachwissenschaften, München 2010, S. 17-41, hier: S.17. 8 Voutta (2008), S. 11. 9 Diese Beschreibung des Forschungsparadigmas „Interkulturelle Literaturwissenschaft“ bezieht sich auf einen im Jahr 2010 erschienenen Sammelband, aus welchem zwei Aufsätze für die vorliegende Arbeit bedeutsam sind. Vgl. Heimböckel, Dieter; Mein, Georg: Zwischen Provokation und Usurpation. Interkulturalität als (un)vollendetes Projekt der Literatur- und Sprachwissenschaften, München 2010 10 Thurner, Christina: Der andere Ort des Erzählens. Exil und Utopie in der Literatur deutscher Emigrantinnen und Emigranten 1933-1945, Köln 2003, S. 93. 11 Rohlf, Sabine: Exil als Praxis – Heimatlosigkeit als Perspektive? Lektüre ausgewählter Exilromane von Frauen, München 2002, S. 144. 4 Nach dem Kapitel „Kindliche Erzählperspektive“, das Kultur- und Literaturgeschichte mit narratologischen Untersuchungen in einen gemeinsamen Bezugsrahmen setzt, umfasst das Kapitel „Interkulturalität“ einschlägige Ansätze der Interkulturellen Literaturwissenschaft und wendet sie auf Werk und Erzählfigur an. Damit sei dargelegt – und von der Schlussbetrachtung weiter ausgeführt −, dass die Interkulturelle Literaturwissenschaft sich mehr als ‚nur‘ Kulturbegegnungen und -konflikten verschreibt, sondern sich darüber hinaus für eine Hermeneutik ausspricht, die zum Lesen mit ‚fremden‘ Augen animiert. 2 Relektüre des Romans „Kind aller Länder“ 2.1 Forschungsstand „Das Buch [„Kind aller Länder“] basiert in seinen sachlichen Einzelheiten auf den Exilerfahrungen Keuns, die sie bis dahin machen konnte“12, behauptet Walter Delabar und reiht sich noch im Jahr 2005 mit einer solchen Interpretation des Romans in die Tradition derjenigen ein, die biographischen Fehlschlüssen anheimfallen.13 In den wenigen literaturwissenschaftlichen Betrachtungen, 14 die das Werk gefunden hat, wird neben der Kritik an der assoziativen Episodenreihung immer wieder auf einen Bezug zu Keuns Biographie rekurriert. Daß es sich bei allen Schauplätzen der Romanhandlung sowie auch häufig bei den dort stattfindenden Ereignissen um eine detaillierte Verarbeitung von Irmgard Keuns eigenen Exilstationen und -erlebnissen zwischen Frühjahr 1936 […] und Herbst 1938 handelt15, sieht Ingrid Marchlewitz durch die Briefzeugnisse Irmgard Keuns an Arnold Strauss augenfällig und hinreichend belegt: So reisen Kully und Irmgard Keun beispielsweise mit einem Paß, der ‚in Frankfurt ausgestellt ist‘ […], tummeln sich am Strand von Ostende, begleiten Vater Peter beziehungsweise Joseph Roth [, den damaligen Lebenspartner Keuns,] auf eine Vortragsreihe nach Polen, wo sie den Winter bei Verwandten in Lemberg verbringen […]16.. 12 Delabar, Walter: „Überleben in der kleinsten Größe, Einüben ins Weltbürgertum. Zur Perpetuierung des Exils in Irmgard Keuns Roman Kind aller Länder“, in: Arend, Stefanie; Martin, Ariane (Hg.): Irmgard Keun 1905/2005. Deutungen und Dokumente, Bielefeld 2005, S. 205-216, hier: S. 206. 13 Gleichzeitig ist es jedoch auch Delabar, der Keuns Werk und die darin beschriebene Exilsituation als eine für die Betroffenen „neue Form der Unbehaustheit in der Moderne“ (S. 206) deklariert und somit über eine rein biographistische Analyse hinausgeht. 14 Es ist auffällig, dass „Kind aller Länder“ sogar in den monographischen Publikationen meist nur am Rande erwähnt wird – in einigen Biographien bei der Auflistung von Keuns Publikationen sogar gar nicht erwähnt wird. Christina Thurner widmet sich dieser erschreckenden Auffälligkeit in einer einseitigen Fußnote ihrer hier zitierten Arbeit (vgl. ebd. (2003), S. 94, hier: Fußnote 8). 15 Marchlewitz, Ingrid: Irmgard Keun. Leben und Werk, Würzburg 1999, S. 143. 16 Marchlewitz (1999), S. 143. 5 Derartige Analogien zwischen Romanhandlung und Autorenbiographie ließen sich viele auflisten. Aus diesem Grund werden im Kontext dieser Arbeit keine Zeugnisse aus weiteren literarischen Quellen Keuns zur Interpretation und Analyse der Romanfiguren und des Romans insgesamt herangezogen. Es sei in Bezug auf Keuns Schreibpraxis vielmehr darauf verwiesen, dass diese zeitlebens mit pseudo-autobiographischen Andeutungen spielte − sich beispielsweise bei der Veröffentlichung ihres Debüts („Gilgi – eine von uns“) um fünf Jahre jünger machte, um dasselbe Alter wie ihre Protagonistin zu haben.17 Eine sehr differenzierte Betrachtung des Romans „Kind aller Länder“ findet sich bei Doris Rosenstein, die eben jene Charakteristika (episodenhaftes Erzählen, Gestaltung der Übergänge und die Schlusspassage) des Romans anerkennend erwähnt, die bei Marchlewitz und anderen scharfe Kritik erfahren. Rosenstein weist meiner Meinung nach zu Recht eindringlich auf die spezifische Erzählsituation hin, die durch die kindliche Perspektivierung gegeben ist 18 und deren literaturwissenschaftliche Vernachlässigung mit Christina Thurner gesprochen „der Grund für [die] Missdeutung [des Romans] in der Nachkriegs-Sekundärliteratur [ist]“19. 2.2 Methodisch-theoretisches Vorgehen Diese Arbeit ist auf eine werkzentrierte Betrachtung ausgerichtet, weshalb ich trotz der Kritik an zahlreichen Merkmalen des Romans (zum Beispiel an der fehlenden Nennung von Jahreszahlen) diese als der kindlichen Erzählperspektive immanent betrachte. Ferner sei darauf verwiesen, dass es dem Rezipienten durch aufmerksame Lektüre(arbeit) möglich ist, die zeitlichen und räumlichen Sprünge der Erzählerin in eine grobe Chronologie zu bringen, deren Erzählgegenwart sich nachweislich über die Monate zwischen Frühjahr und Herbst 1938 erstreckt. Zur Orientierung lässt sich die Erzählung in die folgenden fünf Erzählstränge einteilen, denen ferner feste Handlungsorte zugesprochen werden können: Die Erzählung startet in Ostende, fährt in Brüssel fort, wechselt dann nach Amsterdam, bevor sie in Paris zwischenlandet. Von dort aus geht es nach Italien. Die große Schlußpassage führt die Ich-Erzählerin Kully schließlich mit ihrem Vater in die USA, bevor der Roman abrupt in Amsterdam endet. Dazwischen gestreut sind Berichte und Erinnerungen an Reisen nach Polen, Österreich, Südfrankreich und Italien.20 17 vgl. Thurner (2003), S. 96, hier: Fußnote 15. vgl. Rosenstein, Doris: „Irmgard Keun. Das Erzählwerk der dreißiger Jahre“, in: Kreuzer, Helmut; Riha, Karl (Hg.): Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd.28, Frankfurt/Main 1991, S. 362. 19 Thurner (2003), S. 98. 20 Delabar (2005), S. 207. 18 6 Die Komposition des Romans wird von mir folglich nicht (wie von Marchlewitz) als „missglückt“21 interpretiert. Vielmehr werden vorhandene Leerstellen als hermeneutische Lücken angesehen, die sich für meine Untersuchungen fernab biographischer Bezugnahmen als produktiv erweisen. Mein hiermit ausgesprochenes Anliegen der Relektüre des Romans hat Thurner im Jahr 2003 bereits postuliert, indem sie alle bisherigen Forschungen zu „Kind aller Länder“ als meist biographistisch eingefärbt tituliert hat und dazu aufforderte, den Roman als einen „in verschiedener Hinsicht für die von der Exilerfahrung geprägte Moderne“ 22 zu lesen. 23 Um die hiermit dargelegte Lesart des Romans als theoretisch fundiert herauszustellen, werden insbesondere die verschiedenen literaturwissenschaftlichen Ansätze und deren Verknüpfungen miteinander immer wieder exponiert. Mit dem Rekurs auf die im Kontext dieser Arbeit herangezogenen Ansätze ist ferner ein großer Korpus an verschiedensten Beiträgen der Literaturwissenschaft in die Analyse eingegangen, den ich gleich einer Werkzeugkiste verwende. Durch dieses Verfahren sollen neue Denkräume geöffnet und erschlossen werden. 3 Familienkonstellation: Die Trias von Vater, Mutter und Kind Kullys Eltern, Vater Peter und Mutter Annie, stehen sich einander in ihren genderspezifischen Verhaltensweisen gegenüber; sie „entfalten im Exil unterschiedliche Praktiken der Ortlosigkeit“24, wobei sie sich jedoch beide als recht unbegabt erweisen, „mit der transitären, instabilen Lebenssituation umzugehen“25, weshalb Kully besonders von den Grenzen ihrer jeweiligen Geschlechts- und Identitätskonstruktionen berichtet. Die Form des Romans weist zwar keinen linearen Handlungsablauf auf, ist jedoch „anhand der Figurationen Kully-Annie, Kully-Peter und Kully-Annie-Peter gegliedert […]“26 . Wenngleich es die kindliche Erzählperspektive ist, die Kully in den Bereich des „Dazwischen“ − zwischen Kindsein und Erwachsensein in und zwischen den verschiedenen Ländern – ansiedelt, beansprucht sie bereits als Figur des Romangeschehens eine Rolle, die sich jeglichen Zuschreibungs- und Verortungspraktiken entzieht. Mit ihrem Handeln – gar bereits mit ihrem Namen – situiert sie sich als gender- und altersloses Wesen „vor beziehungswiese außerhalb einer Geschlechterordnung“27. Aus ebendiesem Grund hat 21 Marchlewitz (1999), S. 147. Thurner (2003), S. 93. 23 Zur Unterstützung einer solchen Lesart setzt sie „Kind aller Länder“ mit den bekannten „Kindheitserinnerungen“ Walter Benjamins in Zusammenhang (oder auch in direkte Konkurrenz), wenn sie behauptet, dass Keuns Werk dieselben poetologischen Merkmale aufweise wie „Kind aller Länder“. 24 Rohlf (2002), S. 144. 25 Rohlf (2002), S. 144. 26 Delabar (2005), S. 210f. 27 Rohlf (2002), S. 179. 22 7 sie keinerlei Schwierigkeiten damit, „in die allgemeine Freiheit [zu wandern]“ (KAL 8). Ihre Figur wird zu einem „Symbol für die Bewegung ohne Tradition“28; sie bildet die Spitze einer als Dreieck imaginierten (Familien-)Trias, die hier nach Analyse der Elternfiguren erläutert wird. 3.1 Der Vater: Ein un-beweglicher Bohemien „Eßt und trinkt, ihr habt hier Kredit, macht euch gar keine Gedanken – ich habe vorgesorgt!“ (KAL 6). Bereits auf den ersten Seiten des Romans wird mit diesem Ausspruch des Vaters sein stereotypisches Ernährermodell veranschaulicht, dessen Umsetzung ihn jedoch aus der Romanhandlung immer wieder verschwinden lässt. Seine Abwesenheit wird von Kully – im Dialog mit ihrer Mutter oder in monologischen Reflexionen (wie der sogleich folgenden) − zum eigentlichen Erzählgegenstand erhoben: „Jetzt sind wir in Brüssel und warten wieder auf meinen Vater. So ist unser Leben“ (KAL 24). Vater Peter gehört als Schriftsteller einem intellektuellen Personenkreis an; er ist als Kulturträger zu analysieren, der jedoch nicht die spezifische deutsche Kultur in der Exilsituation – bildlich gesprochen – mit sich (in fremde Länder) trägt, sondern ist vielmehr Repräsentant eines abendländischen Kulturkreises und somit eine sich zum europäischen Kontinent zählende Person.29 Peter blickt dem Exil positiv entgegen, da er sich für das Verlassen seines Vaterlandes bewusst entschieden hat − „[er es] nicht mehr [in Deutschland] ausgehalten hat“ (KAL 8). „Im Exil […wird ihm] das Café zur Heimat“30, hier kann er als freiwilliger Emigrant31 seine schriftstellerischen Tätigkeiten fortsetzen – wobei er sich jedoch „[s]tets in hochfliegende Pläne verstrickt, aus denen selten etwas wird“32. Er gleicht eher einem Handlungsreisenden in Sachen Literatur als einem produzierenden Schriftsteller.33 Sein berufliches Netzwerk, die Verbindungen zu seinesgleichen, lassen den Rezipienten vorerst glauben, dass es Peter möglich ist, sich in allen Ländern Europas heimisch zu fühlen, denn im Gegensatz zu seiner Frau Annie kann er seine Lebensform auf die neue Situation der Unbehaustheit übertragen. Als Mitglied der intellektuellen Exilszene trifft er sich nahezu täglich mit Bekannten in Cafés – dem „kontinuierlichen Ort“34 der Exi28 Blume, Gesche: „Irmgard Keun. Schreiben im Spiel mit der Moderne“, in: Kimmich, Dorothee; Schmitz, Walter; Schöttker, Detlev; Zybura, Marek (Hg.): Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur, Bd. 23, Dresden 2005, S. 103. 29 Die Figur Peter ist mit dieser Gestaltung folglich mit den zu der Romangegenwart real existierenden Intellektuellen wie Thomas Mann, Klaus Mann oder Stefan Zweig zu vergleichen. 30 Kesten, Hermann: Dichter im Café, Wien 1959, S. 12 31 Diese Bezeichnung entstammt der literarischen Federführung Klaus Manns in „Der Wendepunkt“ und wurde vielfach in der Exilforschung rezipiert und als Terminus technicus vewendet. 32 Rohlf (2002), S. 161. 33 vgl. Marchlewitz (1999), S. 142. 34 Kesten (1959), S.12f. 8 lierten. Cafés als heimische Ortschaften ließen sich in allen europäischen Metropolen finden, bieten der Romanfigur Peter jedoch neben dem (literarischen) Austausch mit Gleichgesinnten auch jenen Ort, an dem er seiner Alkoholsucht nachgehen kann, was folgende Textpassage belegt: Es waren mehr deutsche Dichter in Nizza. Alle sagten, daß man nirgends so billig leben könne wie in Südfrankreich. Mein Vater saß mit den Dichtern meistens in dem großen Café Monnot am Place de la Victoire und trank Mirabellengeist und manchmal auch Pale Ale. (KAL 159)35 Ebendiese Alkoholabhängigkeit trägt einen großen Teil zur finanziellen Misere bei, die die Romanfiguren zeitweilig sogar hungern lässt, was folgendes Zitat eindringlich veranschaulicht: Meine Mutter und ich sitzen oft auf einer Bank […,] dann essen wir Sonne und fühlen in unserem Bauch ein warmes glückliches Leben. Mein Vater wollte keine Sonne essen. Er wollte lieber im Café Bazar sitzen und Sliwowitz trinken, weil er davon wärmer wird als von der Sonne. (KAL 82) Einen Assimilationsprozess durchläuft Peter folglich nicht. Er ist vielmehr die Figur des Romans, die „immer fort [will]“ (KAL 80), die nicht fähig ist, ein bürgerliches Familienleben zu führen, sondern immer wieder aus der Trias ausbricht − wenngleich dies kein Aufgeben des Abhängigkeitsverhältnisses ist, durch welches seine Ehefrau Annie psychisch und finanziell an ihn gebunden ist. Die Beschreibung der Vaterfigur durch die Kinderaugen Kullys setzt Peters Erscheinung und Verhalten in Bezug zu einer Wasser- beziehungsweise Meeresmetaphorik, wovon das folgende Zitat zeugt: Wenn meine Mutter und ich meinen Vater mittags abholten, sahen seine Augen manchmal aus, als seien sie weit ins Meer geschwommen und noch nicht wieder zurück. Meine Mutter und ich können gut schwimmen, aber die Augen von meinem Vater schwimmen noch viel weiter. (KAL 10) Diese metaphorische Umschreibung kann als Platzhalter für die von Kully nicht besser benennbare Sehnsucht ihres Vaters nach Weite, Ferne und Freiheit benannt werden, die in seiner Rastlosigkeit mündet. „Ein regelmäßiges Leben stört seine Arbeit und ekelt ihn an“ (KAL 10), und allerorts scheinen Peter Land und Leute nach kurzer Aufenthaltsdauer zuwider zu werden. Rücksicht darauf, dass seine Frau sich beispielsweise in Nizza heimisch fühlt, nimmt er nicht. Er drängt Annie vielmehr immer wieder in eine Form der Passivität, in welcher diese einen hysterischen Anfall gemäß der freudschen Definition erleidet. Er bestimmt Annies Leben durch vielseitige Bindung ihrer Person 35 Als besonders interessant ist eine weitere Textstelle für Peters Alkoholsucht zu nennen (vgl. S. 14 (KAL), da mit ihr die Figur Peter eingeführt wird und mit dem Auftritt auf den Schauplatz von Lektürebeginn an ein Bewusstsein des Rezipienten für eine Alkoholsucht dieser Romanfigur generiert wird. 9 an ihn und artikuliert ferner an mehreren Stellen des Romans, welche Rolle (s)einer Frau in (s)einer Ehe zukommt – entwickelt ein ‚Rezept zum Umgang mit Ehefrauen‘: Wenn man mit einer Frau lebt, soll man sie nicht für sich arbeiten lassen. Sie glaubt ja doch immer, sie bringe Opfer. Dann darf man nicht nervös werden, sich über Fehler ärgern oder auch nur sachlich sein, sondern muss dankbar und gerührt tun, dazu habe ich keine Lust. Es ist mir schon lästig, wenn du mir einen Knopf annähst, Annchen, lieber lasse ich das vom Zimmermädchen machen. (KAL 21f.) Innerhalb des Eheverhältnisses kommt Peter eine autoritäre Position zu. Bereits der Kosename „Annchen“, den er zur Anrufung seiner Ehefrau benutzt, kann als Indiz für eine kindliche Position, die er ihr zuweist, gewertet werden. Er sieht in seiner Frau keinen ‚Partner auf Augenhöhe‘, der an wichtigen Entscheidungen partizipiert, und gestattet es ihr darüber hinaus nicht, die finanzielle (Not-)Situation durch Zuverdienste ihrerseits aufzubessern. Ebendiese patriarchalische Position steht der des gönnerischen Lebemanns gegenüber, den er im Austausch mit Kollegen mimt, wo er immer „eine besondere Flasche Champagner trinken [will]“ (KAL 13) und seine Familie in ein Taxi zwängt, wobei sie „zu Fuß gehen und das Geld [hätten] sparen können“ (KAL 19). Mit der ‚Amerika-Reise‘, dem letzten großen Erzählstrang in „Kind aller Länder“, wird erstmalig eine Situation geschildert, die den Vater machtlos und überfordert im ‚Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘ inszeniert. Aufgezeigt wird hier, dass auch Peter in Abhängigkeit von Frau und Kind lebt. Amerika, das insbesondere in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts als Symbol zur Darstellung von Freiheit fungiert, lässt den Vater unbeweglich werden. Diese Unbeweglichkeit mündet in der Vortäuschung seines eigenen Todes zur Erschleichung von Geld für die Rückreise nach Amsterdam. Es werden somit Visionen einer unbesorgten Zukunft als utopisch enttarnt, die von Peter vor Reiseantritt als vielversprechend betrachtet wurden. Die Schwierigkeiten mit dem fremden Kontinent beginnen für den Vater bereits beim Ankunftsritual des Interviews in den USA, denn er „brummte auf englisch [sic!] und wurde nicht richtig verstanden“ (KAL 177) − wohingegen Kully alle Fragen in fremder Sprache mit Leichtigkeit beantworten konnte. Sprachprobleme überschatten zugleich die Aussicht auf vermeintlich glänzende Vertragsabschlüsse und Kully kommt zu der treffenden Ansicht, dass ihrem Vater „Amerika […] über den Kopf [wächst]“ (KAL 179). Signifikant ist innerhalb dieses Erzählstranges, dass Peter an deutlichen Entzugserscheinungen leidet, da er seinem täglichen Alkoholkonsum in den Prohibitionsstaaten nicht nachkommen kann – ein Umstand, der sich mitunter in seiner Abneigung gegen alles Amerikanische manifestiert. Der Lebemann kann in Amerika sprichwörtlich nicht ‚seinen Mann stehen‘: „Konnte er in Europa auf den europäischen Geist vertrauen und sich zu einem übergreifenden Heimatbegriff bekennen, so versagen diese Kategorien in Amerika. Der American way 10 of life befremdet ihn und da er nicht den Willen zur Assimilation zeigt, erfährt er Ausgrenzung – er ist kein Weltbürger, sondern ein Fremder […].“ 36 Der geographische Ortswechsel geht an dieser Stelle ergo mit einem geistigen Standortwechsel einher, der ihn zur Heimfahrt nach Europa bewegt, die als Heimfahrt in den Schoß seiner Frau zu betrachten ist.37 3.2 Die Mutter: Abhängiges ‚Hausmütterchen‘ und Hysterikerin „Eine Art von Gegenbild zu dem leichtlebigen Bohemien Peter bildet seine freundliche, meist zurückhaltende und eher sprachlose Ehefrau Annchen“38, die in die Romanhandlung von Kully durch Zitation des Vaters („meine dicke kleine Goldammer“ (KAL 8)) erstmalig eingeführt wird. Hierbei wird sie mit einem Vogel verglichen, „[…] denn sie hat goldene fedrige Haare, eine runde weiche Brust wie so ein Vogel und ängstliche Augen“ (KAL 8). Kully führt ferner aus, dass ihre Mutter immer so aussehe, als wolle sie gleich fortfliegen, und niemals „richtig breit und fest wie ein Mensch [sitze], sondern wie ein Vogel auf einem Zweig“ (KAL 8). Dieser lakonisch anmutende VogelVergleich ist bestimmend für die Perspektive der Zehnjährigen auf ihre Mutter, die sich laut Gesche Blume als „femme fragile im Vorkriegseuropa“39 interpretieren lässt. In der kindlichen Erzählperspektive Kullys überschneidet sich deren Phantasiewelt mit mythologischen Darstellungsformen, sodass der Vogel „zum Symbol für das Flüchtige, Un(be)greifbare“40 wird, womit Blume treffend analysiert, dass Kully ihre Mutter nicht fassen kann, weil diese sich immer wieder in sich und ihren hysterischen Anfällen zurückzieht beziehungsweise unkontrolliert aus sich heraus ausbricht. Sie fliegt bildlich gesprochen davon. Dass die weitere Darstellung der Mutterfigur durch die Tochter jedoch ebendiesem metaphorischen Vogelbild kontrastierend gegenübersteht, ist auf die grundsätzliche Widersprüchlichkeit der Figur (sowohl in psychologischer Hinsicht als auch die Physis betreffend) zurückzuführen. Ferner wird diese Figur immer dann weicher und zerbrechlicher von der Erzählerin wahrgenommen, wenn bei letzterer die Angst wächst, (neben dem Vater) auch noch von der Mutter verlassen zu werden, wie folgender Textauszug zeigt: Manchmal hatte ich Angst, daß meine Mutter totgetreten würde, denn der kleine Strand war so voll von Bällen und Menschen und Hunden, die hin und her rasten. Meine Mutter ist auch einmal von einer Welle umgeschleudert worden, ich nie. (KAL 11) 36 Bender (2009), S. 113 vgl. Rohlf (2002), S. 170. 38 Marchlewitz (1999), S. 143. 39 Blume (2005), S. 95. 40 Blume (2005), S. 96. 37 11 Diese in Kullys Beschreibung zerbrechlich wirkende Dreißigjährige hat „außer Mann und Kind keine eigenen Interessen, wohl aber die stille, unerfüllte Sehnsucht nach Zärtlichkeit und einem geordneten, glücklichen Leben“41, die sie durch den Besitz von edlen, weichen und fließenden Stoffen (Seide) zu kompensieren versucht. Auf diese ‚stoffliche‘ Liebe reagiert Kully, die sich selbst nach Zärtlichkeit ihrer Mutter sehnt, eifersüchtig, wenn sie meint, dass ihre Mutter Seide mehr als Menschen liebe: „Sie liebt meinen Vater, sie liebt meine Großmutter, sie liebt mich. Danach liebt sie Seide, und manchmal liebt sie die Seide mehr als die Menschen“ (KAL 148). Durch die finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann bleibt Annie (in Gemeinschaft ihrer Tochter) meist an die jeweiligen Hotelzimmer (fernab des Heims in der Heimat Deutschland) ‚gekettet‘.42 Mit diesem einfältigen (Hotel-)Alltag passt sie sich nicht nur den Erwartungen ihres Mannes an, sondern lässt sich in der Analyse einem klassischen Daseinsmodus der Frau zuordnen, den Hélène Cixous in ihrem Werk „Geschlecht oder Kopf“ wie folgt beschreibt: Man findet sie [, die Frau,] immer in Zusammenhang mit einem Bett: Dornröschen wird aus diesem Bett durch den Mann herausgeholt, denn die Frauen wachen nicht von alleine auf, wie ihr wißt, sind dafür Männer nötig. Sie wird herausgeholt durch den Mann, der gekommen ist, um sie ins Bett nebenan zu bringen. […] Von Bett zu Bett, das ist also ihre Reise. 43 Als sich Annies Traum von einem (Eigen-)Heim mit Herd und damit verbundenen Tätigkeiten vorübergehend realisiert und sie in ihrem die Familie umsorgenden Aktionismus sogar ihren Mann zu der Einsicht bringt „daß [die Familie] mit Sparsamkeit sorglos ein halbes Jahr leben [könnte]“ (KAL 160), ist es wieder Peter, der durch die ‚Amerika-Reise‘ den Aufbruch der Familie markiert, durch den Annie in einen Strudel von Traurigkeit gerät. Es ist dieser Traurigkeit geschuldet, dass Annie sich in sich zurückzieht und auch für ihre Tochter unberührbar wird, die ihre Mutter immer wieder in den Blick nimmt, der jedoch von dieser nicht erwidert wird. Diese Unberührbarkeit bestärkt die Ansicht, dass die Figurengestaltung Anleihen bei der „femme fragile“ der Jahrhundertwende nimmt, bei der „die körperliche Schönheit und die psychische Zerbrechlichkeit […] sie zu einem Anachronismus [machen] und […] den Eindruck des Unwirklichen [verstärken]“44. Analog zur Vaterfigur wird auch die Mutterfigur von der Erzählerin in den Bereich der Wassermetaphorik situiert. Wo Wasser in Bezug auf Peter jedoch für den Wunsch nach Weite steht, werden in Bezug auf Annie die Wassermetaphern als Stellvertreter für 41 Marchlewitz (1999), S. 143. vgl. Rohlf (2002), S. 151. 43 Cixous, Hélène: „Geschlecht oder Kopf“, in: Barck, Karlheinz; Gente, Peter; Paris, Heidi; Richter, Stefan (Hg.): Wahrnehmung heute oder die Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1990, S. 98-122, hier: S. 101. 44 Blume (2005) S. 98. 42 12 die permanente Traurigkeit ihrer Person verwendet, die Assoziationen der Auflösung ihrer selbst hervorrufen45 : „Meine Mutter sah aus, als habe sie lange im Regen gesessen“ (KAL 22f.). Der Exilalltag erschöpft sich für die Mutter in „rudimentäre[n] Reste[n] eines Hausfrauendaseins“46, welches Kofferpacken, das Entfernen von Tintenflecken, Bügeln und die Übernahme einer kaum realisierbaren Art der Schulbindung für Kully umfasst. Dass dies die Mutter jedoch nicht glücklich macht, zeigt sich deutlich in den hysterischen Anfällen, die Annie „oft […] so fieberhaft tot [erscheinen lassen]“(KAL 103). In ihrer Todessehnsucht fällt Annie im Bett – das als Ort repräsentativ für Machtlosigkeit ist − buchstäblich in einen hysterischen Zustand, den der Leser durch die Augen Kullys wie folgt geschildert bekommt: Etwas Schreckliches ist passiert. Meine Mutter war auf einmal nicht mehr meine Mutter. Ich dachte, sie sei der Krieg und eine Bombe und zerspringt. Ich kam ins Zimmer, sie sprang aus dem Bett, schrie und gab mir eine Ohrfeige. Sie sprach ganz schnell und heiß und wild […]. Sie flog an die Wand zum Telefon […]. Sie hat auf alle Klingelknöpfe im Zimmer gedrückt, das Zimmermädchen angeschrien, auch den Kellner angeschrien. (KAL 91) Sigmund Freud beschreibt in seinen „Studien über Hysterie“ vier Phasen des hysterischen Krankheitsbildes, das im ausgehenden 19. Jahrhundert meist dem weiblichen Geschlecht zugesprochen wurde. Bei der Hysterie handelt es sich um eine auf psychotischer Grundlage entstehende seelische Verhaltensweise, bei der die erste Phase, die epileptoide, mit Zuckungen einhergeht, die in Beschreibungen von Annies Körperbewegungen schon zu Beginn der Romanhandlung (ab Seite 29) beschrieben werden. Sie wird von der zweiten Phase abgelöst, die in der oben zitierten Textpassage beschrieben ist. Innerhalb dieser Passage ist bereits auch die dritte Phase des hysterischen Anfalls inszeniert, die von Zorneseinbrüchen gekennzeichnet ist. Abgeschlossen wird das VierPhasen-Modell vom Delirium, das den von totaler Erschöpfung hervorgerufenen Fall in den Schlaf umfasst – „[… sie] fiel auf das Bett und schlief sofort ein“ (KAL 92). Gemäß der psychoanalytischen Theorie Freuds, die hier ob der Kürze dieser Arbeit nicht differenzierter ausgeführt werden kann 47 , ist es meist eine quälende Erinnerung, die Grund für die neurotische Störung ist, deren Symptombildung hervorgerufen wird, wenn die Seele von starken Gefühlen erregt wird, die das Ich nicht zulassen möchte. Im Anschluss an eine feministische Auslegung des Romans kann der hysterische Zusam- 45 vgl. Blume (2005), S. 99. Bender (2009), S. 117. 47 Das hier angewendete Verfahren der Textanalyse unter Einbeziehung eines psychologischen Zugangs teilt die von Freud eigens in einer literaturpsychologischen Abhandlung formulierte Ansicht, dass fiktive Gestalten in all ihren seelischen Äußerungen und Tätigkeiten so zu behandeln sind als wären sie wirkliche Individuen und nicht bloß fiktive Figuren eines Schriftstellers. Hiermit sei ferner erwähnt, dass sich diese Annahme auf alle drei in diesem Kapitel behandelten Romanfiguren bezieht und bei der Analyse der Gestalten – vor allem in Bezug auf die Mutterfigur − nomenklatorisch verfahren wird, folglich der Charakter und das Verhalten von ihr gemäß der Charakter- und Neurosenlehre klassifiziert wird und nicht (explanatorisch) versucht wird, de facto zu begründen, warum Annie etwas sagt oder tut. 46 13 menbruch auch als Ausbruch aus bestehenden gesellschaftlichen Geschlechterrollen gelesen werden.48 Ein weiterer kleiner – wenn auch halbherziger – Versuch des Ausbruchs aus ihrer einsamen Situation wird geschildert, wenn Annie im Hotel eine Verabredung mit einem Mann arrangiert, um sich ihrer weiblichen Reize wieder bewusst zu werden bzw. einen Anlass zur Inszenierung ebendieser zu haben. Kully schildert diesen (Ausbruchs-)Versuch der Mutter folgendermaßen: Sie telefoniert und lockt sich die Haare. Sie telefoniert und zieht sich das Kleid an aus schwarzer Seide mit weissen Spitzen. Sie telefoniert und pudert sich und hat Locken. Sie glänzt und leuchtet und riecht nach Veilchen. Sie küsst mich mit viel Kraft und ist wieder verändert. »Ich will leben, Kully […]«. (KAL 95) Was hier den Anschein einer Verliebtheit und eines ungebändigten Lebenswillens hat, ist lediglich die verzweifelte Tat einer unglücklichen Ehefrau, sich einem ungeliebten Mann als Objekt der Begierde anzubieten, der − Sargfabrikant von Beruf – Annie nicht nur ein Bett, sondern auch einen Ort für den Tod bietet. Insofern ist diesem Versuch des Ausbrechens und Aufbegehrens die Todessehnsucht Annies übergeordnet, die als Motiv den gesamten Roman durchzieht. Zu den Bewegungen des Romans trägt Annie kaum bei; sie wartet und weint vorrangig. Obgleich ihr Mann zunächst viel beweglicher wirkt, konnte auch ihm eine Unbeweglichkeit in der Exilsituation zugesprochen werden. Kullys Wahrnehmung und Verhalten in der Exilsituation vollzieht sich jedoch fernab der hier analysierten Verhaltensweisen der Eltern, was im Folgenden ausführlich aufgezeigt wird. 3.3 Kully: Das „Kind aller Länder“ „Kully [teilt] die Bewegungen und Aufenthaltsorte beider Eltern“49, doch trotz dieser geteilten Zeit mit den für sie so bedeutsamen Figuren unterscheidet sie sich in ihrer Exilexistenz und -wahrnehmung grundsätzlich von diesen. Carme Bescansa Leirós betont in ihrer Dissertation über „Gender- und Machttransgression im Romanwerk Irmgard Keuns“, dass die politische Emigration und die dadurch hervorgerufene Wurzellosigkeit von der Protagonistin von Beginn der Erzählung an Raum für eine Existenz in Freiheit ist.50 Ihr kosmopolitisches Agieren fußt auf einem Weltverständnis, welches die Ansicht artikuliert, dass es keinen Grund für eine Rückkehr nach Deutschland gibt, „denn die Welt ist sehr groß“ (KAL 8). 48 Gemäß eines solchen Deutungsansatzes wäre die Mutterfigur in den Kontext von Keuns Werken der Weimarer Republik zu interpretieren, in denen ein neuer, unabhängiger Typ Frau literarisch exponiert wurde. 49 Rohlf (2002), S. 178. 50 vgl. Bescansa Leirós, Carme: „Gender- und Machttransgression im Romanwerk Irmgard Keuns. Eine Untersuchung aus der Perspektive der Gender Studies“, in: Hörisch, Jochen; Wild, Reiner (Hg.): Mannheimer Studien zu Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 42, St. Ingbert 2007, S. 236. 14 Obgleich bei erster Lektüre leicht der Eindruck entstehen kann, dass Kully dem Exilleben zu jeder Zeit an jedem Ort etwas Positives abgewinnen kann, sei hier darauf verwiesen, dass sie in der Schlusspassage des Romans ihren Heimat-Diskurs mit der Folgerung abschließt, dass die Heimat einer Person dort sei, wo sie Liebe findet: „Ich möchte aber nirgends hin, wenn meine Mutter nicht dabei ist. Richtiges Heimweh habe ich eigentlich nie. Und wenn mein Vater bei uns ist, schon gar nicht“ (KAL 210f.). Das Leben Kullys im Exil ist ergo nicht mit der Aussage Gina Kaus‘ gleichzusetzen, die meint, dass „Kinder [nicht] emigrieren, sie reisen, für sie ist es ein Vergnügen“51. Obwohl der Terminus der Reise in dieser Arbeit bereits als Topos mehrfach Verwendung gefunden hat, ist Kullys Reise eine, die sie nicht nur durch verschiedene Länder führt, sondern auch durch verschiedene geschlechtlich markierte Räume.52 Kullys Reise generiert einen Lebensmodus, der sich im geschlechtlichen und auch geographischen Sinn im „Dazwischen“ verortet bzw. ortlos ist. Das Besetzen eines Zwischenraums spricht Kully jedoch nicht die Aufgabe zu, zwischen den Exil- und Verortungspraktiken ihrer Eltern als eine Art androgynes Wesen zu vermitteln, „sondern situiert sich vor beziehungsweise außerhalb einer Geschlechterordnung, die sie zwingen würde, sich auf eine der beiden möglichen Alternativen − männlich versus weiblich – festzulegen“53. Kully nimmt sich vielmehr die Freiheit, sich in und zwischen den Orten, Rollen und Existenzweisen ihrer Eltern zu bewegen und reflektiert deren Agieren durch die ihr zukommende Erzählerrolle. Sie spricht über ihre Eltern, ist ihnen in vielen Situationen des Exilalltags überlegen und überlegt, wie sie den finanziellen Notstand der Familie abwenden kann. Aus diesem Grund ordne ich Kully in der bildlich als Dreieck imaginierten Trias der Familie die obere Spitze des Dreiecks zu, die dieses „über“ in vielerlei Hinsicht treffend versinnbildlicht und zugleich den Mittelpunkt zwischen den an den Eckpunkten des horizontalen Dreieckschenkels verorteten Eltern darstellt, was aufzeigt, dass diese beiden auf gänzlich unterschiedliche Weise der Exilsituation nicht gewachsen sind − ihrer Tochter sogar unterlegen sind. Bevor sich diese Arbeit der spezifisch kindlichen Erzählstimme widmet, sollen einige Überlegungen zum Namen der Protagonistin aufgeführt und von mir ergänzt werden, da sich bereits der Name „Kully“ jeglicher Verortungspraktiken entzieht und ihr jenes interkulturelle Gesicht verleiht, das durch die Erzählperspektive eine solche Stimme einverleibt bekommt. Einer der von Thurner hervorgebrachten Deutungsansätze meint, dass „[d]er Name ›Kully‹ […] an die Hindi-Bezeichnung ›kuli‹ für ›Tagelöhner‹ [erinnert], die von einem indischen Volksstamm herkommt, dessen Angehörige sich als 51 Kaus, Gina: Und was für ein Leben (Erinnerungen), Hamburg 1979, S. 202. vgl. Rohlf (2002), S. 179. 53 Rohlf (2002), S. 179. 52 15 Fremdarbeiter verdingten“ 54 . Kully kann eine vergleichbare Funktion zugesprochen werden, da sie von Tag zu Tag lebt und von Schauplatz zu Schauplatz in ihrer Erzählung springt. Des Weiteren bricht Thurner den Namen auf seinen englischsprachigen Klang herunter: „[i]n ›coolie‹ steckt […] das Morphem ›cool‹, was wiederum eine Eigenheit der Ich-Erzählerin trifft, die scheinbar nie aus der Ruhe zu bringen ist.“55 Meiner Meinung nach lässt sich der Name mit zwei weiteren Bedeutungen aufladen, die dem Charakter der Figur und auch meinen sich daran anschließenden Ausführungen gerecht werden: der Name „Kully“ evoziert das Bild eines Kugelschreibers.56 Ebendiese Bedeutungszuschreibung des Figurennamens begründet sich meiner Meinung durch die Ansicht, dass es Kully ist, die hier ihre Wahrnehmungen und Erlebnisse niederschreibt − diesen ihre Stimme verleiht. Ferner ist sie es, die Geschichte fortschreibt, die die Exilsituation, die allen Figuren fremd ist, mit Leben füllt – sich eine Weltkarte schreibt, auf der sowohl Orte als auch Nicht-Orte Platz finden. Darüber hinaus ist der Name durch seine Endung auf „y“ bereits ohne explizite englische Aussprache international eingefärbt, was zur kosmopolitischen Einstellung der Protagonistin passt und sich in Bezug zu Kullys sprachlichen Kompetenzen setzen lässt, die den Eltern fehlen. Letztere sind ferner auch Träger typisch deutscher Namen, was den Kontrast zu ihrer Tochter umso deutlicher markiert. Der Name scheint mir auch den geschlechtslosen Auftritt der Figur zu unterstreichen. Kully tritt dem Leser als biologisch nahezu unkategorisierbares Kind entgegen, das sich geschlechtstypischen Spielformen entzieht und sich lieber mit ihren mit ins Exil mitgenommenen Schildkröten befasst, die analog zu Kullys Heimatverständnis ihr Heim/Haus auf dem Rücken mit sich tragen. Im Anschluss an diese Ausführungen bleibt die Erkenntnis, dass Kully durch ihr Auftreten (und sogar durch ihren Namen) den Leser in seiner Lektüre kurz innehalten lässt und ihn zur Vergegenwärtigung der Tatsache bewegt, dass die Erzählerin erst zehn Jahre alt ist und einen Blick auf die sie umgebende Welt wirft, durch den (mit der KeunRezipientin Elfriede Jelinek gesprochen) die Beschreibung „einen Drall [erhält]“57. Der Frage, inwieweit dieser „Drall“ sich durch die kindliche Perspektivierung generiert, wird im folgenden Kapitel nachgegangen. 54 Thurner (2003), S. 102, hier: Fußnote 40. Thurner (2003), S. 102 56 Die Kurzform „Kuli“ bezeichnete ursprünglich den 1928 von Rotring entwickelten Tintenkuli, dessen Bedeutungsverlust der weltweite Einzug des Kugelschreibers in den 1940er Jahren zuzuschreiben ist, der heutzutage als „Kuli“ in der deutschen Umgangssprache etabliert ist. 57 Jelinek, Elfriede: „Weil sie heimlich einen muß, lacht sie über Zeitgenossen“, in: Morawitz, Kurt (Hg.): Die horen, Bd. 4, 25. Jg., Göttingen 1980. S. 221-225, hier: S. 224. 55 16 4 Kindliche Erzählperspektive Ein und dieselbe Geschichte kann auf ganz unterschiedliche Weise vermittelt werden. Aus diesem Grund unterscheidet die Erzähltheorie verschiedene Formen der narratologischen Vermittlung. Die hier betrachtete Ich-Erzählung wird durch die Konstituente „Person“ definiert, die den Erzähler in der „Welt der Charaktere“ 58 des Romans leben lässt. Jenes „Ich mit Leib“59, 60, welches in „Kind aller Länder“ erzählt, tritt nicht nur mit der Ich-Erzählern eigentümlichen „Quasi-Menschlichkeit“61 auf, welche „unmittelbare, augenblickshafte, ungeordnete Aussagemöglichkeiten“62 generiert, sondern zeichnet sich durch das Spezifikum aus, dass es noch „in den Kinderschuhen steckt“63. Das Kind sieht die Welt ob seines Alters mit ‚anderen‘ Augen. Es werden im Roman „Kind aller Länder“ somit zwei Aspekte verknüpft: der etablierte narratologische Terminus des „Ich-Erzählers“ und das „historisch, gesellschaftlich und kulturell höchst wandelbare[] Konstrukt der ‚Kindheit‘ […]“64. Beide Aspekte sind einschlägige Themen der Literaturwissenschaft, haben jedoch in ihrer gemeinsamen Verortung in Prosatexten noch wenig wissenschaftliches Interesse zugesprochen bekommen. Für ein besseres Verständnis der kindlichen Erzählperspektive scheint es sinnvoll, sich ein solches systematisch durch die Betrachtung der benannten Aspekte anzueignen65 – zumal es sich „bei der Inszenierung des kindlichen Blickes um eine Entwicklung handelt, die zu einem großen Teil aus der Beschäftigung mit dem Kind über die Jahrhunderte heraus verstanden werden muss […]“66. Diesem Kapitel liegt somit die Annahme zugrunde, dass Perspektivstrukturen in Prosatexten ebenso wie literarische Motive „keine zeitlichen Konstanten dar[stellen], sondern […] vielmehr historisch bedingt und in den Prozeß der kulturellen Sinnbildung eingebunden [sind]“67. Es wird sich der narratologischen Besonderheiten der kindlichen Erzählperspektive folglich zunächst über die Darlegung der 58 Stanzel, Franz Karl: Theorie des Erzählens, Göttingen 2001, S. 123f. Stanzel (2001), S. 124. 60 Als „Ich mit Leib“ bezeichnet der österreichische Anglist und Literaturwissenschaftler Stanzel den IchErzähler und versinnbildlicht mit dieser Aussage, dass sich bei Ich-Erzählungen die Ebene der narrativen Vermittlung und die Figurenrede (im Gegensatz zu Erzählungen in Er-Form) nicht voneinander trennen lassen. 61 Voutta (2008), S. 98. 62 Hofmann, Regina: „Der kindliche Ich-Erzähler in der modernen Kinderliteratur. Eine erzähltheoretische Analyse mit Blick auf aktuelle Kinderromane“, in: Ewers, Hans-Heino; Garbe, Christine; Steinlein, Rüdiger (Hg.): Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien. Theorie – Geschichte − Didaktik, Bd. 65, Frankfurt/Main 2010, S. 182. 63 siehe Fußnote 3. 64 Hofmann (2010), S. 78. 65 vgl. Voutta (2008), S. 78 66 Barth, Mechthild: Mit den Augen des Kindes. Narrative Inszenierungen des kindlichen Blicks im 20. Jahrhundert, Heidelberg 2009, S. 18. 67 Voutta (2008), S. 33. 59 17 Bedeutung des Kindes auf literaturhistorischer und kulturgeschichtlicher Ebene genähert. 4.1 Das Kind in der Kultur- und Literaturwissenschaft Die historische Entwicklung des Motivs der Kindheit in den verschiedenen Literaturen ist seit langer Zeit ein tradiertes Anliegen der Literaturwissenschaften, dennoch sind es vor allem die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die sich bei dem Thema „Kind“ überschneiden − gar fließend ineinander übergehen.68 Von immenser Bedeutung auf den Gebieten der Geistes- und Sozialwissenschaften ist die zum Standardwerk avancierte Arbeit „Geschichte der Kindheit“ des französischen Historikers und Soziologen Philippe Ariès aus dem Jahr 1960. In dieser Schrift wird das Kind in historischer, sozialer, psychologischer und literaturwissenschaftlicher Hinsicht beleuchtet. Aufgrund seiner interdisziplinären Ausrichtung löste das Werk eine eingehende Beschäftigung mit dem Kind in den einzelnen Wissenschaften aus. Dass das „Kind“ oder die „Kindheit“ ein Konstrukt ist, dem im Geschichtsverlauf eine wandelnde Bedeutung zugesprochen wird, wird hier insbesondere hervorgehoben; gleichzeitig schließt Ariès seine These an, dass es die Vorstellung von Kindheit als eigenständige Zeitspanne mit ihr eigentümlichen Charakteristika nicht immer gegeben hat, sondern diese erst eine Erfindung der Neuzeit sei.69 Wird aus der Perspektive eines Kindes erzählt, so hat man es mit einem bereits kulturell und historisch eingefärbten Entwurf von Kindheit zu tun, welcher nicht immer kongruent mit dem realen Kind ist. Dem ist hinzuzufügen, dass diese Inkongruenz von dem Faktum generiert wird, dass die Zeitspanne der Kindheit für den Autor – den Erwachsenen – kaum noch greifbar ist. Sie wird oder ist bereits in eine Art mythischen Bereich überführt worden, sodass sich quasi zwangsläufig an theoretischen Abhandlungen über das Kind orientiert wird. 70 Die Geschichte literarischer Kindheitsmotive ist demnach stets als eine von „Projektionen und Idealisierungen des Kindes als des ‚Anderen‘, uns gleichsam fremd und vertraut […]“71, zu verstehen. Ebendies unterstützt eine Auslegung des Romans „Kind aller Länder“ anhand einiger Ansätze der Interkulturellen Literaturwissenschaft, die sich den semantisch vielschichtigen Begriff „Fremde“ einver- 68 vgl. Barth (2009), S. 18. Ein für den deutschsprachigen Raum kulturhistorisches Werk, das sich dem Thema Kind widmet, ist Hagen Richters „Das fremde Kind“, bei dem sich der Autor ebenfalls mit den sich wandelnden Bildern der Kindheit beschäftigt und hervorhebt, welche der pädagogischen, gesellschaftlichen und literarischen Ideen unser neuzeitliches Verständnis von Kindheit besonders geprägt haben und weiterhin prägen werden. 70 vgl. Barth (2009), S. 18. 71 Voutta (2008), S. 20. 69 18 leibt hat, der analog zu dem Begriff des Anderen gesetzt werden kann, und zum Terminus technicus dieser Forschungsrichtung avancierte. Wo das Kind in der Antike noch keinen bedeutenden Eingang in die Literatur fand,72 nimmt das Kindheitsmotiv im deutschsprachigen Raum, in England und in den USA im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts einen hohen Stellenwert in der gesellschaftlichen Diskussion ein, der aus der Veröffentlichung von Jean-Jacques Rousseaus pädagogischer Schrift „Émile ou De l’éducation“ (1762) resultiert. Wenngleich die deutschsprachige Literatur des 18. Jahrhunderts keine detaillierten Darstellungen des Kindes aufgreift, entsteht doch erstmalig eine Literatur, „die sich explizit an Kinder und Jugendliche zum Zwecke der ‚Erziehung des Menschengeschlechts‘ richtet“ 73 . Der rousseauschen Auffassung vom ‚noch unfertigen‘ Kind steht kontrastierend das romantische ‚Herder-Kind‘ gegenüber. Herders Konzeption zufolge ist das Kind zwar eigenständig, jedoch schwach und naiv.74 Gemeinsam ist Rousseau und Herder, dass sie im Zuge einer Idealisierung und Utopisierung des Kindes einen realitätsnahen Umgang mit dem Wesen Kind unterminieren. Auch die Kind-Konzeptionen Goethes und Schillers neigen − wie die vieler romantischer Schriftsteller − zur Verherrlichung des Kindes. Exemplarisch für das damalige Kind-Verständnis kann das folgende Zitat von Novalis eingebracht werden: „Ein Kind ist weit klüger und weiser […] als ein Erwachsener“75. Wesentliche Merkmale des romantischen Kindheitsmythos sind die positiv belegten Begriffe von Irrationalität und Verstandesferne, denn die Phase der Kindheit hat man als Platzhalter für Phantasie, Empfindsamkeit, Weisheit und Unschuld interpretiert. Dieses Kindheitsbild lässt sich als eine Art Gegenbild zur Epoche der Aufklärung verstehen, weil es den Anspruch einer moralischen Auseinandersetzung mit Kindern in einen poetologischen transponiert hat, der erst bei und nach Goethe als literaturwürdig betrachtet wurde. In der deutschen Spätromantik etabliert sich, beginnend mit E. T. A. Hoffmanns „Fantasie- und Nachtstücke“, das Bild des ‚bösen‘ Kindes, das jedoch wiederum der Kindheitsverherrlichung im 19. Jahrhundert weicht.76 Realisten wie Theodor Fontane, 72 Eine Ausnahme bietet die frühe idealistische Kindheitsverehrung bei Vergil, wo das Kind als Symbol für das zukünftige „Goldene Zeitalter“ Einzug in seine Schriften fand. Wenngleich Vergil als eine Art Ausnahme betrachtet werden muss, haben antike Kindheitsfiguren durchaus einen Eindruck auf die romantische Dichtung (zum Beispiel bei Novalis) gehabt. 73 Voutta (2008), S. 27. 74 Zum Verständnis von Herders Kindheitskonzeption bietet sich unbedingt die Lektüre von Hans-Heino Ewers‘ „Kindheit als poetische Daseinsform. Studien zur Theorie der romantischen Kindheitsutopie im 18. Jahrhundert. Herder, Jean Paul, Novalis und Tieck“, München 1989 an. 75 Novalis: „Vermischte Bemerkungen“, in: Ders.: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, 4 Bde., hrsg. v. Richard Samuel, Stuttgart 1977-2006, Bd. 2, S. 557. 76 Auch wenn die ‚bösen‘ Kinder zunächst noch die Ausnahme bildeten, so zeugt es doch von der Modernität des hoffmannschen Literaturverständnisses, wenn man sich bewusst macht, dass circa 150 Jahre später ein Oskar Matzerath, ausgestattet mit einer Blechtrommel, als sogenanntes „Anti-Kind“ die Bühne der Weltliteratur betritt. Im Zusammenhang mit dem Begriff des „Anti-Kinds“ sind auch Gisela Elsners „Die Riesenzwerge“ zu nennen, die wie Günther Grass‘ Protagonist ebenfalls über die Grenzen der deutschsprachigen Literatur hinaus bekannt wurden. 19 Gottfried Keller oder C. F. Meyer versuchten nun, fiktive Kinder und Kindheiten an außerfiktionale Realitäten anzupassen.77 Die Neigung, aus kindlicher Perspektive zu schreiben, entspringt Rainer Hagens Ausführungen in „Kinder, wie sie im Buche stehen“ zufolge der Entwicklung der westlichen Literatur im 20. Jahrhundert: die Moderne mit ihrem Fokus auf die Darstellung menschlichen Innenlebens und subjektiver Wahrnehmung produziert schließlich literarische Kinder, die mit der Bezeichnung Motiv nur noch unzureichend gefasst sind. Die kindliche Perspektive − in der Ich-Form wie auch in der Fokalisierung − wird hier prominent und ist eng an den Bildungsroman bzw. den Künstlerroman gebunden.78 Mit der Nachkriegsliteratur treten (erzählende) Kinder später in einem gänzlich neuen Zusammenhang auf. In „Kind aller Länder“ liegt eine Ich-Erzählerin vor, die diesen kindlichen Nachkriegskindern zeitlich vorausgeht. 4.2 Narratologische Fundierung: Der kindliche Ich-Erzähler Obgleich im Kontext dieser Arbeit der Terminus „Ich-Erzähler“ oder „kindlicher Ich-Erzähler“ verwendet wird, sei darauf verwiesen, dass sich Gérard Genette, dessen Veröffentlichung „Die Erzählung“ als Standardwerk der Narratologie etabliert ist, von den durch das Wirken Stanzels mitbegründeten Bezeichnungen „Er-Erzähler“ und „IchErzähler“ abwendet; er spricht sich für die Verwendung zweier Alternativ-Termini aus und begründet diesen Vorschlag durch die Erkenntnis, dass ein Autor „nicht zwischen zwei grammatischen Formen, sondern zwischen [folgenden] zwei narrativen Einstellungen (deren grammatische Formen nur eine mechanische Konsequenz sind)“79 wählen kann: Er kann die Geschichte von einer ihrer „Personen“ […] erzählen lassen oder von einem Erzähler, der selbst in dieser Geschichte vorkommt. Die Anwesenheit von Verben in der ersten Person innerhalb eines narrativen Textes kann also auf zwei sehr verschiedene Situationen hindeuten, die die Grammatik vermengt, die die narrative Analyse jedoch auseinanderhalten muß: einerseits darauf, daß der Erzähler sich selbst als solchen bezeichnet […], andererseits darauf, daß der Erzähler mit einer der Figuren der Geschichte identisch ist. 80 Mit Genette wird demnach zwischen einer „heterodiegetischen Erzählung“, bei der die narrative Instanz nicht Teil seiner Erzählung ist, und dem „homodiegetischen Erzähler“, der als Erzählfigur Teil der von ihm geschilderten Erzählung ist, unterschieden. Neben dieser Trennung der narrativen Vermittlungsformen ist es insbesondere die Frage nach dem Grad der Beteiligung eines homodiegetischen Erzählers an seiner Geschichte, die 77 vgl. Voutta (2008), S. 29. Als ein Beispiel hierfür ist „A Portrait of The Artist as a Young Man“ von James Joyce nennen. 79 Genette, Gérard: Die Erzählung, München 1994, S. 174. 80 Genette (1994), S. 175. 78 20 Genette in „Die Erzählung“ be- und verhandelt. Während die Abwesenheit absolut sei, stellt er für die Anwesenheit der Erzählfigur im Romangeschehen fest, dass diese […] ihre Grade [hat]. Man muß daher innerhalb des homodiegetischen Typs zumindest zwei Spielarten unterscheiden: einmal die, wo der Erzähler Held seiner Erzählung ist […], und dann die, wo er nur eine Nebenrolle spielt, die fast immer die eines Zeugen oder Beobachters ist […]. Für die erste Spielart (die sozusagen den höchsten Grad des Homodiegetischen repräsentiert) schlagen wir den naheliegenden Ausdruck autodiegetisch vor.81, 82 Die Ich-Erzählerin Kully sei demnach als autodiegetische Erzählinstanz verstanden, wenngleich dieser Terminus im Kontext dieser Arbeit nicht durchgängig verwendet wird.83 Da die theoretischen Erkenntnisse der Analyse von Erzählfiguren jedoch der Auseinandersetzung mit erwachsenen Erzählern entspringen, stellt sich mir einmal mehr die Frage, durch welche Besonderheiten sich die kindliche Erzählfigur (in Abgrenzung zu ihrem erwachsenen Pendant) auszeichnet. 84 Nicht selten wird der kindlichen Perspektivierung der Vorwurf einer Komplexitätsreduktion gemacht, den man als Grund für das dieser narratologischen Besonderheit verwehrte literaturwissenschaftliche Interesse deuten kann. Der Versuch einer Definition der kindlichen Erzählperspektive erweist sich als schwierig und führt zu der Erkenntnis, dass dieses narratologische Phänomen ein vielschichtiges, vielstimmiges und den Rezipienten einbindendes Phänomen ist. Es erlaubt uns Rezipienten – oder fordert uns ob seiner appellativen Textstruktur dazu auf85 −, „unsere historisch gesättigten Wissensbestände von einem neuen Blickwinkel aus zu beleuchten“86. Vielschichtigkeit wird in „Kind aller Länder“ von der Erzählfigur auf eindrückliche Weise repräsentiert, changiert diese doch immer wieder zwischen Kind- und Erwachsensein und macht es dem Rezipienten damit denkbar schwer, sie einem Kind(chen)schema zuzuordnen. Auch Vermutungen, die kindliche 81 Genette (1994), S.175f. Matias Martinez und Michael Scheffel haben (angelehnt an die Ansichten Susan Sniader Lansers) verschiedene Formen der Beteiligung des homodiegetischen Erzählers graphisch auf einer Skala dargestellt, bei der fünf verschiedene Formen der Beteiligung des Ich-Erzählers denkbar sind. Die fünf Formen der möglichen Beteiligung sind: der unbeteiligte Beobachter, der beteiligte Beobachter, der Ich-Erzähler als Nebenfigur, der Ich-Erzähler als eine der Hauptfiguren und schließlich der Ich-Erzähler als alleinige Hauptfigur (vgl. Martinez, Matias; Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 2003, S. 82). 83 Es wird in der Forschung geäußert, dass Kullys Eltern ebenso Hauptfiguren sind wie es Kully selbst ist. Meiner Meinung nach ist es dem spezifischen Zugang der jeweiligen Forschungsarbeit geschuldet, welche Bedeutung den jeweiligen Figuren zukommt. In meinem Fall kommt den Eltern , wie es dem Kapitel zur Familienkonstellation zu entnehmen ist, eine immense Bedeutung zu, da sich hieraus erst meine Analyse der Figur Kully vollziehen lässt. Dennoch ist es eben meinem Titel und dem damit verbundenen Forschungsinteresse geschuldet, die Figur als die alleinige Hauptfigur zu sehen – sie als Protagonistin der Erzählung zu betrachten. 84 vgl. Hoffmann (2010), S. 152. 85 siehe hierzu: Iser, Wolfgang: „Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa“, in: Warning, Rainer (Hrsg.): Rezeptionsästhetik, München, 1975. 86 Barth (2009), S. 16. 82 21 Ich-Perspektive bedinge eine Einheitlichkeit des sprachlichen Ausdrucks, werden von diesem Roman durchbrochen: Kully ist in der Lage, Mitteilungen der sie umgebenden Erwachsenenwelt wiederzugeben und sich dabei komplizierter Satzgefüge zu bedienen, was dem schnellen und parataktischen Erzählen an anderen Textstellen kontrastierend gegenübersteht. Rosenstein verweist (kritisierend) auf ebendiese Besonderheit, wenn sie schreibt, „[…] daß die Autorin das Aussagespektrum ihrer Ich-Erzählerin nicht nur erweitert, sondern partiell sehr weit von der Bewußtseinsebene eines ‚normalen‘ KindIchs abgehoben hat […]“87. Es sind jedoch Aussagen wie diese, die einmal mehr betonen, dass die kindliche Erzählperspektive ein taktisches Geflecht ist – ein Geflecht, dem man durch Dekodierung eine Vielschichtigkeit zusprechen muss, die meinen Zugang zu dieser Arbeit erst möglich macht. Als Erzählinstanz wird Kully gewissermaßen zu einer „Reflexionsfigur der Moderne“88. Funktion solcher Figuren ist mit Reimar Klein gesprochen das Vollziehen einer Desidentifikation − „an sich selbst und dem Rest der Welt […]“89. „Reflexionsfiguren der Moderne lösen sich auf, setzen frei und schaffen Konfigurationen, deren Unsinn einen neuen, anderen Sinn aufscheinen lässt“90. Der kindlichen Perspektivierung immanent ist eine mitunter ausufernde Auseinandersetzung mit körperlichen und sprachlichen Merkmalen, da es ebendiese sind, die den Kindern (in der Beobachtung erwachsener Figuren) ins Bewusstsein – und somit in den Text – dringen. Die im Folgenden zitierte Textpassage macht eine solche Auseinandersetzung Kullys mit der Physis ihrer Mutter im Vergleich zu ihrer eigenen deutlich: Ich sehe meiner Mutter sehr ähnlich, sie hat nur viel blauere Augen als ich und dickere Beine und ist auch sonst viel dicker. Ihre Haare sind sauber gekämmt und hinten am Kopf zusammengeknotet. Meine Haare sind kurz und immer wüst. Meine Mutter ist viel schöner, aber ich weine weniger. (KAL 8f.) Aus diesem Textauszug geht hervor, dass Kullys Verspieltheit sich auch äußerlich in ungebändigten Haaren zeigt. Obgleich sie ihre Mutter als „viel schöner“ bezeichnet, artikuliert Kully an anderer Stelle im Roman den Wunsch, nicht erwachsen und erst recht nicht weiblich zu werden, wenn sie eine der weiblichen Nebenfiguren des Romans beschreibt: Sie hatte lange fremde Locken und einen großen schwarzen Hut. Und sie hatte eine bunte Seidenbluse angezogen – da sah man, daß sie darunter genau solche Kugeln hat wie meine 87 Rosenstein (1991), S. 188. Klein, Reimar: „Die Konstruktion der Sehnsucht: zum Bild des Kindes bei Goethe und Benjamin“. Bei diesem Text handelt es sich um einen unveröffentlichten Vortrag, den Klein am 24. Mai 2000 an der Universität Basel gehalten hat und den er dieser hier häufig zitierten Literaturwissenschaftlerin Christina Thurner als Typoskript auch in schriftlicher Form zugänglich gemacht hat. Zitiert nach Thurner (2003), S. 113. 89 Klein (2000), zitiert nach Thurner (2003), S. 113. 90 Klein (2000), zitiert nach Thurner (2003), S. 113. 88 22 Mutter. Meine Mutter sagt, das sei Brust. Ich möchte nicht, daß sowas an mir wächst. (KAL 25) Ein „frühes Selbst“91 thematisierende Reflexionen kindlicher Erzählfiguren sind jedoch gleichwohl der Tatsache geschuldet, dass diesen ob ihres Alters ein geringes Repertoire an sozialen Rollen zukommt.92 Neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Person sind es daher insbesondere Familien- und Freundschaftsverhältnisse, die im Text thematisiert werden. Das Thema der Familie ist Lebenswirklichkeit aller LeserInnen, und in der kindlich-perspektivischen Auseinandersetzung mit diesem erkennen wir „den eigenen Lebensanfang mit seinen noch scheinbar unendlich vielen Möglichkeiten [wieder] und begreifen beziehungsweise stilisieren [das (erzählende) Kind] […] zu einem außergewöhnlichen Wesen“93. Wenngleich wir alle einst Kind gewesen sind, gibt es kein Zurück in diese Lebensphase, die als die wohl prägendste der menschlichen Existenz begriffen wird.94 Neben Familienmitgliedern und Freunden wird häufig auch der Besitz eines (Haus-)Tieres in der kindlichen Erzählperspektive zu einem bedeutenden (Erzähl-) Gegenstand, „[d]abei ist die Beziehung allerdings weniger durch das Besitzverhältnis geprägt als vielmehr durch die Liebe und Freundschaft des kindlichen Ich-Erzählers zu seinem Tier“.95 In „Kind aller Länder“ wird der Besitz von Haustieren darüber hinausgehend mit dem Thema der Familie (und deren finanziellen Notstand) auf eigentümliche Weise zusammengeführt. Kully übernimmt im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht nur Verantwortung für ihre Schildkröten und Meerschweinchen, denen sie Abfälle aus den jeweiligen Hotelküchen besorgt, sondern versorgt bereits auch ihre Eltern in ähnlich fürsorglicher Manier: da wird dem Vater der Koffer gepackt, der Mutter die Haare gekämmt, es werden Spiritusflammen ausgepustet und vom Schiffsbuffet wird Fleisch mitgenommen, um es der Mutter von New York aus nach Amsterdam zu schicken. Himbeereis, Lesezeichen und Haare sollen verkauft werden, weil „alles Geld kostet“ (KAL 17). So schafft sich Kully schließlich auch ihre Meerschweinchen an, weil ein „Junge […] gesagt hat, sie bekommen noch Kinder“ (KAL 90) und Kully sich durch den Verkauf dieser erhofft, endlich Geld [zu] haben“ (KAL 91).96 91 Das Verständnis eines „frühen Selbst“ bezieht sich auf folgenden Aufsatz: Gutjahr, Ortrud: „Auf dem Schauplatz eines frühen Selbst. Inszenierungsformen von Kindheit in der Literatur“, in: Lange-Kirchheim, Astrid; Pfeiffer, Joachim; Strasser, Petra (Hg.): Kindheiten, Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 30, Würzburg 2011, S. 35-55. 92 vgl. Hofmann (2010), S. 154. 93 Barth (2009), S. 15. 94 vgl. Voutta (2008), S. 9. 95 Hofmann (2010), S. 154. 96 Denkbar ungewöhnlich ist Kullys Besitz zweier Schildkröten. Neben den zwei Schildkröten, die Kullys Exilstationen begleiten, besiedeln diese − mit ihrem Haus auf dem Rücken ausgestatteten − Tiere als Motiv den Roman. In Amerika, das von vielen Menschen zur Zeit des Nationalsozialismus als Exil gewählt wurde, zählt Kully auf einem Cottage siebzehn Schildkröten, die zunächst − wo der Vater noch auf Verträge hofft – noch in den Bächen schwimmen, wenig später aber – nachdem der Vater seinen Tod fingiert – tot am Wasser liegen. 23 Es zeigt sich folglich, dass in diesem Roman nicht mit der Stimme eines Jedermanns gesprochen wird, sondern eine Ich-Erzählerin die Stimme erhebt, die als „ein sehr waches, aufmerksames, zuweilen etwas vorlautes und altkluges Kind“ 97 treffend beschrieben ist. In den Hotels bin ich auch nicht gern gesehen, aber das ist nicht die Schuld von meiner Ungezogenheit, sondern die Schuld von meinem Vater, von dem jeder sagt: dieser Mann hätte nie heiraten dürfen. (KAL 5) Textpassagen wie diese erweisen sich als besonders interessant, da sie Zeugnis von Kully Auseinandersetzung mit ihrem Status als unmündiges Kind geben. Kully bürgt zwar mit ihrem Namen für das, was sie erzählt, macht jedoch an vielen Stellen im Roman deutlich, dass sie ob ihres Alters für gar nichts bürgen kann. Somit ist die kindliche Erzählperspektive gleichsam als „Legitimation und Delegitimation des Erzählten zu begreifen“98. Auch wenn Kully den Wunsch artikuliert, noch vieles lernen zu wollen, will sie letztlich nicht erwachsen werden und sich ihren spezifischen Blick auf die Welt und die (der) Erwachsenen bewahren. 4.3 (K)ein weiblicher Schelm? Bei dem Versuch, die ästhetischen Merkmale des Romans literaturwissenschaftlich zu benennen oder gar eine Definition der kindlichen Erzählperspektive zu geben, kann man – wie es der nachfolgende Auszug aus Thurners Auseinandersetzung mit der Figur Kully darlegt − dazu neigen, dieser pikareske Züge zuzuschreiben. Irmgard Keun übernimmt […] das pikareske Prinzip der komplementären, dialogischen Beziehung zwischen Lesenden und Ich-Erzählinstanz, die darauf beruht, dass der Leser, die Leserin mehr weiss [sic!] als der Ich-Erzähler und aufgefordert ist, die Leerstellen, die der Text aufweist, zu überbrücken.99 Obgleich dieser Aussage die Ansicht folgt, dass der Roman trotz signifikanter Anleihen kein klassischer Picaroroman ist100, wird in der Forschung nicht selten ein vermeintlich enger Bezug von Keuns Roman zum Schelmenroman genannt, den ich jedoch gerade von „Kind aller Länder“ durch die kindliche Ich-Erzählerin Kully aufgebrochen sehe. Aus diesem Grund wird im nachfolgenden Kapitel der Begriff der inszenierten Naivität erläutert, der meiner Meinung nach die kindliche Perspektivierung treffender beschreibt.101 97 Thurner (2003), S. 95. Thurner (2003), S. 103. 99 Thurner (2003), S. 109. 100 vgl. Thurner (2003), S. 109. 101 Es wird hier ein ähnliches Verfahren vollzogen wie in Tanja Nauses Dissertation aus dem Jahr 2002, in der sie die Inszenierung von Naivität zur Beschreibung der Erzählstrategie verschiedenster Romane der 98 24 Warum also kann in Bezug auf Kully nicht von einem weiblichen Schelm gesprochen werden? In einem richtungsweisenden Werk hat der spanische Literaturwissenschaftler Claudio Guillén (1987)102 auf acht Merkmale verwiesen, die den pikaresken Roman auszeichnen. 103, 104 Beim Protagonisten des Schelmenromans handelt es sich nach Guillén in der Regel um einen ‚halben‘ Außenseiter, weil er sich der Gesellschaft nicht ganz verschließt, jedoch zugleich nicht wesentlicher Bestandteil dieser ist. Obgleich man Kully (aufgrund ihres Alters) nicht wirklich zum intellektuellen Kreis ihres Vaters zählen kann, tritt Kully mit ihrem aufgeweckten Wesen den Nebenfiguren offen entgegen und ist Teil der Gesellschaft der Exilierten. Guillén meint ferner, dass der Schelm im Rückblick sein Handeln moralisch kritisiert. Kully rechtfertigt sich jedoch im Gegensatz dazu für ihr Verhalten und erzählt gleichfalls nicht durchgängig in der Retroperspektive. In der Nichterfüllung dieser wesentlichen Merkmale liegt es begründet, dass Kully nicht als weiblicher Schelm zu deuten ist, obwohl dem Roman einige Merkmale − wie das der Reise und der Bewegung − eindeutig eingeschrieben sind und auch Kully sich – analog zum Picaro – durch Raum und Zeit bewegt. Sind es jedoch beim Picaro die horizontale Bewegung durch den geographischen Raum und eine vertikale durch die verschiedensten Gesellschaftsschichten, vollziehen sich bei Kully die Bewegungen neben denen auf geographischer Ebene in bzw. durch geschlechtlich markierte Räume. Ferner sind es die Räume der Welt der Erwachsenen und der der Kinder, zwischen denen Kully changiert und sich als eine Art Schwellengestalt positioniert. Mit dieser Arbeit wird sich einer Genrezuschreibung folglich entzogen und auch die pikaresken Anleihen, die dem Roman zugesprochen werden, gilt es meiner Meinung nach zurückzuweisen, da der Schelm als inhärent Fremder in der Literatur auftritt, wohingegen das Kind uns Lesern – wie bereits erläutert − als vertraute und fremde Figur zugleich begegnet. Nachwendeliteratur postuliert und sich gegen eine Zuschreibung pikaresker Merkmale dieser Romane ausspricht. Bibliographische Angaben zur Dissertation werden in der nachfolgenden Fußnote gegeben. 102 Guillén, Claudio: The Anatomies of Roguery. A Comparative Study in the Origins and the Nature of Picaresque Literature, New York 1987. 103 vgl. Nause, Tanja: Inszenierung von Naivität. Tendenzen und Ausprägungen einer Erzählstrategie der Nachwendeliteratur, Leipzig 2002, S. 26. 104 Dieser Katalog von Eigenschaften wurde in der Forschung als derart grundlegend angesehen, dass seit seiner Veröffentlichung kaum noch Versuche einer Erweiterung, Spezifizierung oder Kritik desselben unternommen wurden. 25 4.4 Inszenierte Naivität105 4.4.1 Naivität: Ein ‚schillerndes‘ Kunstwort Mit dem Begriff „Naivität“ liegt im Gegensatz zum „Schelmenroman“ keine Genrebezeichnung vor, sondern vielmehr „ein heute in den unterschiedlichsten lebensweltlichen Wortverwendungen zu findender Begriff“106, dessen großes deskriptives Potential die Möglichkeit bietet, „literarische Texte unter einer neuen, bisher kaum genutzten Perspektive zu lesen […]“107. Ebenso wie André Fischer es hier in seiner Dissertation über „Inszenierte Naivität“ begründet, werden, nach kurzer Erläuterung der Denkfigur „Naivität“, Spielformen der Inszenierung von Naivität benannt und ihr Bezug zu der kindlichen Erzählperspektive in „Kind aller Länder“ herausgearbeitet. Die Begriffsgeschichte dieses Terminus, der seine Blüte im 18. Jahrhundert hatte, ist lang und kann ob der Kürze dieser Arbeit nicht umfassend nachgezeichnet werden. Die Begriffsgeschichte ist Fischer zufolge bei Montaigne und dessen „Essais“ aus den Jahren 1580-1595 anzusetzen, wo das Naive bereits als Stilideal be- und verzeichnet wurde. Die deutsche Diskussion um die Kategorie des Naiven setzte hingegen mit Batteux‘ „Einteilung in die schönen Wissenschaften“ erst circa zweihundert Jahre später ein.108 Als ein Hauptproblem dieses Begriffs stellt sich die ihm immanente Parallelität von lebensweltlicher und künstlerischer Bedeutung heraus. In den sich hieraus immer wieder entfesselnden ästhetischen Debatten wurde Naivität von einem Ideal des Ausdrucks und des Stils zu einem des Wesens und des Seins. Schillers Essay „Über naive und sentimentalische Dichtung“ (1795/96) ist viel diskutiert; in der Forschung werden (mit Fischer und Schöttker) zwei Deutungsansätze dieser dichtungstheoretischen Schrift vertreten, die trotz ihrer Gegensätzlichkeit aufzeigen, dass auch Schillers Aufsatz das Problem der Dualität der Bedeutungen von Naivität enthält. Naivität ist eben ob seiner semantischen Vielfalt ein Terminus, der auch heute Anlass zu Diskussionen bietet, wobei sich nach Fischer und Schöttker kein Weiterer wissenschaftlich auf so intensive Weise mit dem Begriff auseinandergesetzt hat. Ganz gleich, ob wir Naivität als Stilideal postulieren wollen oder man sich dem Begriff als lebensweltlichen Ausdruck für unüberlegtes, geistloses Verhalten bedient, bleibt die folgende Assoziation für mich unumgänglich: „Denkt man an Kinder, denkt man häufig an Naivität“109. Eine Engführung 105 Diese Überschrift ist der für dieses Kapitel bedeutsamen Dissertation André Fischers entliehen. Bibliographische Angaben sind im Literaturverzeichnis aufgeführt. 106 Fischer, André: „Inszenierte Naivität. Zur ästhetischen Simulation von Geschichte bei Günter Grass, Albert Drach und Walter Kempowski“, in: Fuhrmann, Manfred; Lachmann, Renate; Imdahl, Max; Iser, Wolfgang; Jauss, Hans Robert; Preisendanz, Wolfgang; Striedter, Jurij (Hg.): Theorie und Geschichte der Literatur und der schönen Künste. Texte und Abhandlungen, Bd. 85, München 1992, S. 1. 107 Fischer (1992), S. 1. 108 vgl. Nause (2002), S. 29. 109 Barth (2009), S. 141. 26 beider Begriffe „Kind“ und „Naivität“ erweist sich folglich als großes Potential, um der weitestgehend undefinierten kindlichen Erzählperspektive eine sie auszeichnende Erzählstrategie zuzusprechen. 4.4.2 Spielformen der Inszenierung Erwachsene Leute wollten mir erzählen, dass man in den Himmel kommen kann. Ich kann nicht leiden, wenn Menschen Kinder so dumm finden und denken, dass sie alles glauben. Welcher vernünftige Mensch würde denn noch auf der Erde mit Sorgen und Ärger leben bleiben, wenn er im Himmel umsonst und ohne Geld sein kann? Ich glaube auch nicht, dass böse Menschen in die Hölle kommen. Böse Menschen sind viel zu schlau und würden garnichts [sic!] Böses tun, wenn sie in die Hölle kommen würden. (KAL 116) Vorgeschobene Naivität schlägt in dieser von Kully vermittelten Textpassage unvermittelt in scharfsinnig-rationale Einsichten um, indem die christlich-mythologische Jenseitsvorstellung einer vorgeblichen Vernunftlogik gegenübergestellt wird. Obgleich dieser Romanauszug zeigt, dass die kindliche Erzählperspektive Kullys sich durch ein Changieren zwischen naiver Welterfahrung und kluger Reflexionen ebendieser auszeichnet, sind es doch diese Brüche, die die naiven Anteile der Erzählung umso mehr verdeutlichen. Es sind Aussprüche wie diese, die sich dem Rezipienten ein altes Sprichwort vergegenwärtigen lassen, das besagt: Kindermund tut Wahrheit kund. Die kinderleicht und naiv erzählende Erzählstimme zieht getreu diesem Sprichwort Analogien, die sich als wahrhaft zutreffend erweisen und vermutlich von einem erwachsenen Ich-Erzähler vor dem Hintergrund der Exilsituation wohl kaum so leichtfertig hätten ausgesprochen werden können. Das nachfolgende Zitat legt exemplarisch einen kinderleicht anmutenden Vergleich dar, der „Zurechnungsfähigkeit, Glaubwürdigkeit und Phantasievermögen der Erzählinstanz […] konstruiert, um gleich wieder dekonstruiert zu werden.110 Zu dieser Zeit fingen die Deutschen an, Österreich zu nehmen. In Nizza war gerade Karneval. Karneval ist auch etwas wie Krieg. Man hat nicht das Gefühl, daß karnevalistische Leute einander leiden können. Es heißt ja auch alles Schlacht: Blumenschlacht, Konfettischlacht. (KAL 154) Solch scharfsinnig naive Vergleiche finden sich im Hinblick auf die Beschreibung der politischen Situation zahlreiche; sie verschaffen der „Erzählerin gegenüber ihrer Umwelt offensichtlich eine Souveränität, wenn auch nur eine subjektiv illusorische“ 111 . Komplexe Sachverhalte, historische Ereignisse oder auch historische Personen werden von Kully auf konzentrierte Aussagen heruntergebrochen: „Ich weiß aber, daß Hitler den Deutschen gehört und Mussolini den Italienern“ (KAL 147) oder „Der Mann am Radio hieß Hitler. Er wollte ein neues Land haben, die Tschechoslowakei.“ (KAL 105). 110 111 vgl. Thurner (2003), S. 112. Thurner (2003), S. 106. 27 Es bleibt folglich festzuhalten, dass die naive Erzählstrategie einer Komplexitätsreduktion dient, was jedoch nicht bedeutet, dass einer solchen zwangsläufig Trivialität zugesprochen werden muss – wie es ein Großteil der Forschungsliteratur zu „Kind aller Länder“ eingefordert hat. Es ist Inszenierungen von Naivität eigentümlich, dass sie strategisch auf eine Komplexitätsreduktion abzielen. Texten dieser Inszenierungsform kommt ferner eine gewisse Kürze zu, „denn die inszenierte Naivität schafft keine wirklich großen (im Sinne von episch breiten) Romane, sondern eher konzentrierte, reduzierte Texte“112. Der Roman „Kind aller Länder“ umfasst 211 Seiten − die Erzählzeit beträgt folglich wenige Stunden −, was aufzeigt, dass sich die Denkfigur einer naiven Inszenierung treffend auf das Werk beziehen lässt. Um eine Komplexitätsreduktion zu erzielen, bedient sich die Inszenierung von Naivität häufig der Erzählperspektive aus dem Blickwinkel eines Protagonisten. Meist wird hierbei die von jemandem gewählt, „der schon per se weniger weiß und auf die Dinge einen eingeschränkten Blick hat“113. Es treten folglich häufig Kinder als Erzählfiguren auf. Der kindliche Blick zur Inszenierung von Naivität bedarf jedoch keinem Vokabular eines Kindes, sondern entzieht sich dem Mimesis-Gedanken: „Die naive Perspektive ist inszeniert, darf also auch deutlich künstliche Züge tragen.“114 Hiermit ist folglich jene Besonderheit der mitunter künstlich gemachten Sprache angesprochen, die in Bezug auf Kullys Sprechart bereits herausgestellt wurde. Gleichzeitig kann das bereits erwähnte parataktische Erzählen Kullys als Strategie zur Komplexitätsreduktion gedeutet werden. Neben der Kinderperspektive bedient sich die Inszenierung von Naivität noch einer weiteren Erzählstrategie: der assoziativen Anordnung der Erzählung. 115 Rosenstein verwies bereits in ihren Anmerkungen zum ersten Leseeindruck auf das Fehlen eines kontinuierlichen Erzählverlaufes, was in der Rezeption des Werkes so häufig herbe Kritik erfahren hat. Insofern bietet es sich an, diese Besonderheit der kindlichen Erzählperspektive der Strategie zur Inszenierung von Naivität zuzuordnen. Assoziatives Erzählen ist sowohl kindlich als auch naiv zu interpretieren und erzeugt in der Verbindung mit der Erzählstimme Kullys einen besonderen Eindruck bei den LeserInnen. Wenngleich „[d]ie Kontroll-Instanz eines impliziten Rezipienten“116 ausgeblendet scheint, so ist es doch genau dieses (Erzähl-)Verhalten, was dem Kommunikationsverhalten eines zehnjährigen Kindes gerecht wird, weil es in dieser Lebensphase erst langsam die Fähigkeit ausbildet, sich in den Adressaten seiner Erzählung hineinzuversetzen.117 112 Nause (2002), S. 37. Nause (2002), S. 40. 114 Nause (2002), S. 65. 115 vgl. Nause (2002), S. 73. 116 Rosenstein (1991), S. 205. 117 vgl. Rosenstein (1991), S. 205. 113 28 Es ist also dargelegt, inwieweit inszenierte Naivität der kindlichen Perspektivierung eigentümlich ist. In einer wechselseitigen Verstärkung der Wirkung von kindlicher Erzählperspektive und inszenierter Naivität fordert der Roman den Rezipienten auf, die Verfahren der Verfremdung zu durchschauen und sich ihrer ästhetischen Prägnanz in seiner (literaturwissenschaftlichen) Bewertung bewusst zu werden. Eine solche naive Narration durch die kindliche Perspektivierung ist nachfolgend Aus- und Ansatzpunkt für die interkulturelle Deutung des Romans. 5 Interkulturalität Der Begriff Interkulturalität steht unübersehbar hoch im Kurs. […]. Ganz offensichtlich ist Interkulturalität ein vielfach einsetzbarer und deutungsoffener Begriff, der ob seiner positiven Konnotation mit Fremdverstehen, kultureller Begegnungssituation und Zugang zu neuen kulturellen Dimensionen auf breiten Konsens stößt.118 Wenngleich sich aus dieser treffenden Beschreibung des Terminus die Tatsache ableitet, dass sich Interkulturalität als Forschungsparadigma119 zahlreicher Wissenschaftszweige erweist, so ist es ihr auch gelungen, innerhalb der Germanistik ab Mitte der 1980er Jahre eine eigenständige Fachrichtung zu etablieren. 120, 121 Hat sich die Interkulturalität zunächst der interkulturellen Hermeneutik, der Kulturthemenforschung, der Imagologie und der Stereotypenforschung gewidmet, fanden im Verlauf der Profilierung dieser Teildisziplin auch zunehmend Texte der Migrations-, (Post-)Kolonialismus- und Globalisierungsforschung Eingang in die Untersuchungen.122 So erweist sich der vorliegende Exilroman „Kind aller Länder“ ob seiner durch die kindliche Erzählperspektive generierten Differenzkonstruktionen für die Analyse anhand dieses Forschungsparadigmas als produktiv. Wird doch in der Lektürearbeit spielerisch das Ein- und Annehmen einer fremden – dem Rezipienten ehemals eigenen − Perspektive eingeübt. Obwohl die Figur Kully bereits von einigen Literaturwissenschaftlern als Weltbürgerin analysiert wurde und der eigens von Keun gewählte französischsprachige Titel des Romans „L`enfant cosmopolite“ ebenfalls eine solche Lesart nahelegt, sind die insbesondere in diesem Kapitel ausgeführten Überlegungen als Novum zu verstehen, das keinerlei Anspruch auf 118 Gutjahr (2010), S. 17. Diese Formulierung ist an den folgenden Aufsatz angelehnt: Gutjahr, Ortrud: „Interkulturalität als Forschungsparadigma der Literaturwissenschaft. Von den Theoriedebatten zur Analyse kultureller Tiefensemantiken“, in: Heimböckel, Dieter; Mein, Georg (Hg.): Zwischen Provokation und Usurpation. Interkulturalität als (un)vollendetes Projekt der Literatur- und Sprachwissenschaften, München 2010, S. 17-41. 120 vgl. Gutjahr (2010), S. 17. 121 Mit der Gesellschaft für interkulturelle Germanistik hat sich eine Forschungs- und Ausbildungsrichtung etabliert, die sich unter der Leitung von Alois Wierlacher, Dietrich Krusche und Bernd Thum aus dem Zusammenhang des Deutschen als Fremdsprache (DaF) entwickelt hat. 122 vgl. Gutjahr (2010), S. 20f. 119 29 allgemeine Zustimmung postuliert, sondern Anreiz für einen neuen Blick auf den Roman geben soll. 5.1 Fremde als literarische Inszenierung im Exilroman123 In der Exilsituation − als ein per se interkulturell zu bezeichnendes Phänomen − ruft die topografische Veränderung Fremderfahrung und kulturelle Differenzerlebnisse hervor. Das sich hier offenbarende Spannungsverhältnis von miteinander in Kontakt tretenden „soziale[n] Gruppen und Individuen […], die zuvor in größerer geografischer und sozialer Distanz gelebt haben“124, zeichnet sich ferner durch den Sprachkontakt als einer spezifischen Form des Kulturkontaktes aus. „Wenn man Glück hat, findet man [im Exil] ein zweites Vaterland. Aber findet man auch eine zweite Sprache?“125, fragt sich Klaus Mann und widmet sich hiermit den Auswirkungen des Sprachkontaktes für und auf die Exilanten. Der Gebrauch von Sprache wird vor dem Hintergrund der Exilsituation sowohl als Frage der nationalen als auch einer sozialen Zugehörigkeit thematisiert, da mit einem Sprachwechsel meist auch − wie im Fall von Klaus Mann126 – berufliche Perspektiven erschlossen werden können. Ein solches Erschließen bzw. NichtErschließen von Perspektiven findet sich im Roman „Kind aller Länder“ wieder. Mit Peter ist durch Kullys Augen eine Figur beschrieben, die sich die fremde Sprache zur Erschließung beruflicher Perspektiven (in Amerika) nicht aneignet; für Annie gibt es durch ihre (durch Peter und ihre hysterischen Anfälle bedingte) Verortung im Hotelzimmer keinerlei Anlass zur Auseinandersetzung mit den fremden Sprachen im Exil. 123 Die Kapitelüberschrift ist angelehnt an folgende Publikation: Gutjahr, Ortrud: „Fremde als literarische Inszenierung“, in: Dies. (Hg.): Fremde Freiburger Literaturpsychologische Gespräche, Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 21, Würzburg 2002[a], S. 47-67. 124 Gutjahr, Ortrud: „Alterität und Interkulturalität“, in: Benthien, Claudia; Velten, Hans Rudolf (Hg.): Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte, Reinbek 2002[b], S. 345369, hier: S. 346. 125 Utsch, Sabine: „Der exilbedingte Sprachwechsel von Klaus Mann – im Fokus von Sprach- oder Literaturwissenschaft? Ein Plädoyer für interdisziplinäre Grenzüberschreitung“, in: Heimböckel, Dieter; Mein, Georg (Hg.): Zwischen Provokation und Usurpation. Interkulturalität als (un)vollendetes Projekt der Literatur- und Sprachwissenschaften, München 2010, S. 275-305, hier: S. 275. Utsch erläutert, dass das Manuskript Klaus Manns unter dem Titel „Die Sprache“ im Klaus-Mann-Archiv (KMA) unter der Sigle (KM 593) liegt, zuerst jedoch unter dem Titel „Der Dichter und die Sprache im Aufbau“ im Jahr 1947 veröffentlicht wurde. 126 Bereits die erste Amerika-Reise Klaus Manns 1936/37 entfachte bei ihm eine Reflexion über die Muttersprache und der damit einhergehenden Bindung an das deutsche Vaterland. Die Niederlande und Frankreich, wo er – den Romanfiguren in „Kind aller Länder“ ähnlich – bis dato gelebt hatte, waren ihm vertraut. Erst in dem deutsch-amerikanischen Sprach- und Kulturkontakt identifizierte Mann jene interkulturelle Differenz, die ihn sein Exil gewahr werden ließ. Klaus Mann gehört (im Gegensatz zu Schriftstellern wie Lion Feuchtwanger, Ernst Bloch oder auch Theodor W. Adorno) zu jenen exilierten Schriftstellern, die den Sprachwechsel gewagt haben, der mitunter als Tabubruch betrachtet wurde. Durch seine sprachliche Metamorphose, für die mehrere Erklärungsversuche in der Forschung zu finden sind, wurde er zum in englischer Sprache schreibenden Schriftsteller, obgleich er sich als Repräsentant der deutschen Sprache und Kultur verstand – eine solche durch den Plan eines „Kultur-Bädecker“ dem amerikanischen Publikum sogar vermitteln wollte. 30 Mit Kully erleben wir hingegen die Aneignung zahlreicher Sprachen, mit denen sie sich selbst als das „Kind aller Länder“ konstituiert. Die Romanfiguren erleben in der Exilsituation folglich einen Statuswechsel, den Ortrud Gutjahr in ihrem Aufsatz „Fremde als literarische Inszenierung“ folgendermaßen beschreibt: Die Fremde wird hier gerade nicht als Erfahrung eines Einbruchs von Fremde, sondern als Statuswechsel, als Selbst-zum-Fremden-Werden ausgestaltet. Die aus der Heimat Vertriebenen oder Entflohenen werden depriviert und in doppelter Hinsicht zu Fremden, wenn sie sich in der neuen Kultur nicht assimilieren wollen oder können und ihnen auch die frühe Heimat entrückt.127 Obgleich Kully diejenige Figur ist, die sich assimiliert, entrückt auch ihr die Heimat Deutschland, welche sie aufgrund von deren Verortung auf einem „Schauplatz eines frühe[re]n Selbst“128 nicht mehr greifen kann und sich daraufhin ihren Heimatbegriff im Exil bildet. In ihrer Erzählung begreift sie sich zunächst immer wieder als Deutsche und somit als Fremde im Exil, bricht diese Selbstbeschreibung jedoch zugleich auf, wenn sie von ihren sprachlichen Kompetenzen, sich überall akkulturieren zu können, berichtet: Bei dieser gemeinsamen Arbeit habe ich auf einmal Französisch gelernt, wir haben gemeinsam aufgeregt Laute ausgestoßen. Ich war zu aufgeregt, mich vor den Kindern zu genieren, plötzlich konnte ich sprechen wie sie. […]. Ich weiß jetzt so viel französische Worte, daß ich sie gar nicht zählen kann. (KAL 11f.) Ihren Status als Kind, ihre Bereitschaft, sich fremden Kindern gegenüber zu öffnen und mit diesen gemeinsam auch Verbotenes zu wagen, benennt Kully als Grund für ihren individuellen Assimilationsprozess: „Ich weiß aber, daß man sich als Kind viel besser in ein fremdes Land einführt, wenn man nicht so artig ist“ (KAL 12). 5.2 Naive Narration als interkulturelles Phänomen Kullys Aneignung von interkulturellen Kompetenzen − wie dem Sprechen fremder Sprachen − ist im Kontext ihrer kindlich-naiven Erzählstimme zu situieren, die mitunter auch deutsche Dialekte als fremdsprachliche Äußerungen wahrnimmt: [W]as ich zuerst in Bordighera lernte, war kein Italienisch, sondern Berlinisch. Das stellte sich später heraus, und ich konnte es nicht wissen, denn Berlinisch war mir auch vollkommen fremd, es ist ein anderes Deutsch als Kölnisch. In Polen habe ich auch einmal erlebt, daß ich sehr gut Polnisch sprach, doch dann war es auf einmal gar kein polnisch, sondern Jiddisch. (KAL 146) Es zeigt sich hier, dass durch naive Narration Fremdes und Vertrautes in direkten Zusammenhang gesetzt werden können. Das (Allzu)-Fremde anderer Sprachen verliert vor der Erkenntnis, dass sich auch deutsche Dialekte fremdsprachig anhören können, an Bedeutung bzw. an Bedrohung und kann somit leichter in den Bereich des Vertrauten 127 Gutjahr (2002[a]), S. 64. Formulierung abermals angelehnt an den Aufsatztitel von Gutjahr (2011). 128 31 überführt werden. Kully erfährt sich selbst als Fremde, die sich durch das Aneignen von Sprachen zur Vertrauten (von Gefährten anderer Nationalitäten) generieren kann; sie erkennt darüber hinaus, dass Fremdwahrnehmungen an die Situierung an Orten gebunden ist und (all-)tägliche Auseinandersetzungen mit Fremde(n) die Wahrnehmung des Vertrauten evozieren, was der folgende Textauszug exemplarisch darlegt: Als ich zum erstenmal [sic!] in Belgien einen Neger sah, bin ich stundenlang hinterher gelaufen. In Amerika habe ich so viele Neger gesehen, daß ich gar nicht mehr hinguckte. Aber zuerst war ich sehr aufgeregt und wollte am liebsten alle anfassen. (KAL 201) Aussprüche wie diese zeugen von der Entwicklung, die Kully im Roman durchläuft. Das Exil wird ihr zur Schule – einer Schule, in welcher die Konfrontation der Exilierten mit einer halbwegs unbekannten Wirklichkeit literarisch so gestaltet ist, dass der Rezipient befreiend über sie lachen kann, ohne dass dabei die historische Bedeutsamkeit des Exillebens verwischt werden würde, denn die erbarmungslose und faktisch aussichtslose Situation der Exilierten liegt als eine zu dekodierende Schicht dieser rührend-naiven Narration unter – gewinnt dadurch sogar an Bedeutung. Sie ist nicht in die verbale Kommunikation eingeschrieben ist, sondern lässt eher an einem sprachlosen Raum verorten, der die Sprachlosigkeit vieler Exilierter versinnbildlicht. 5.3 Die Grenzgängerin ohne Grenzen Über eine Grenze kommt man nicht, wenn man keinen Pass hat und kein Visum. Ich wollte immer mal eine Grenze richtig sehen, aber ich glaube, das kann man nicht. […]. Ich habe zuerst gedacht, Grenzen seien Gartenzäune, so hoch wie der Himmel. Aber das war dumm von mir, denn dann könnten ja keine Züge durchfahren. Eine Grenze ist auch keine Erde, denn sonst könnte man sich ja einfach mitten auf die Grenze setzen oder auf ihr herumlaufen, wenn man aus dem ersten Land ‘raus muss und in das andere nicht ‘rein darf. Dann würde man eben mitten auf der Grenze bleiben, sich eine Hütte bauen und da leben und den Ländern links und rechts die Zunge ‘rausstrecken. (KAL 36) Kullys Reflexion über die Bedeutsamkeit von Grenzen und Visa evoziert meiner Meinung nach auch das Bild eines grenzenlosen Lebens – eines Lebens, dass sich eine Handlungsorientierung zu eigen macht, bei der es „zur Auflösung und Neuschaffung von Grenzziehungen, Macht- und Gewaltverhältnissen sowie Geschlechterrollen kommt“129. Obgleich das Thema der Grenze mit Gedanken an die schwierigen Lebensumstände im Exil einhergeht, nimmt Kully bereits die menschliche Gemachtheit dieses Nicht-Ortes wahr: „Aber eine Grenze besteht aus gar nichts, worauf man treten kann. Sie ist etwas, das sich mitten im Zug abspielt […]“ (KAL 36). Die Grenze wird in Bezug zum Zug gesetzt, der sich mit Michel Foucault gesprochen als Heterotopos deuten lässt und somit zu einem Raum wird, der mehrere Räume miteinander verbindet, die sich wiederum als neue Denkräume analysieren lassen. „Glücklich sind wie immer nur, 129 Gutjahr (2010), S. 24. 32 wenn wir im Zug sitzen“ (KAL 124), äußert Kully und suggeriert damit auch eine Art des Wohlbefindens, das durch die Idee des Auf-der-Grenze-Lebens (zwischen den Ländern) artikuliert wird, bei der man den Ländern um einen herum die Zunge rausstreckt. Hiermit wird jener Überlegenheitsstatus verbildlicht, der Kully durch ihre Umgangsweise mit der Exilsituation ohnehin zugestanden werden muss, denn „[d]ie IchErzählerin Kully ist […] eine mehrschichtig angelegte, im transitären Erzählraum mäandrierende Figur, die sich jeder (Krisen-)Situation scheinbar mühelos anpasst […].“130. Die autodiegetische Erzählinstanz bewegt sich folglich im „transitären Zwischenraum. Einen festen Ort der Erzählung gibt es nämlich nicht […]“131 – Orte und Nicht-Orte werden gleichermaßen in Kullys interkulturelle Weltanschauung eingearbeitet. 5.4 Ausbildung einer hybriden Identität? Der abschließende Teil der Analyse des Romans spricht sich für die Interpretation der Romanfigur Kully als hybride Identität aus. Dieser Ansatz stützt sich auf das Faktum, dass die Interkulturelle Literaturwissenschaft die Bedeutung von hybrider Narration oder kultureller Alterität auch in einem neuen Blick auf die deutschsprachige Literatur entdeckt hat.132 Als ein Beispiel hierfür ist die mich gleichermaßen beeindruckende und mich zu meinem Ansatz inspirierende Grass-Rezeption der Blechtrommel durch Salman Rushdie zu nennen, in der Oskar als eine „hybride Erzählerfigur“ und das Kaschubische als „dritter Ort“ analysiert wird.133 Mit seinen essayistischen Arbeiten hat der indische Literaturwissenschaftler Homi Bhabha grundlegende Theorien der Interkulturellen Literaturwissenschaft mitbegründet, die sich vor allem dem Subjekt der postkolonialen Welt widmen, das ihm zufolge nur eine hybride Identität erwerben kann. Die Identität dieses Subjekts ist bzw. wird demnach nicht durch die Identifikation mit einem einsinnigen Konzept wie etwa von ‚dem Deutschen‘ oder ‚dem Türken‘ fixiert. Der Bereich der Kultur wird von Bhabha als ein Bereich des Transzendierens bestimmt. Demnach ist die Herausbildung der Identität eines Menschen nicht die einer ihm fest verwurzelten Anlage, sondern wird durch die produktive Auseinandersetzung mit divergierenden Tendenzen generiert, die allesamt auf ihn einwirken.134 130 Thurner (2002), S. 110. Thuner (2002), S. 109f. 132 vgl. Hofmann, Michael: Interkulturelle Literaturwissenschaft. Eine Einführung, Paderborn 2006, S. 121. 133 vgl. hierzu: Rushdie, Salman: Ein Reisender über Grenzen im Ich und in der Zeit. In: Hermes, Daniela; Volker, Neuhaus (Hg.): Günther Grass im Ausland. Texte, Daten, Bilder. Frankfurt/Main 1990, S.174180. 134 Hofmann (2006), S. 29. 131 33 Mit Bhabha, dessen Gedanken in einigen Punkten auf der Geschichtsphilosophie Walter Benjamins fußen, kommt einer postkolonialen Empfindung von Zeit die Erfahrung von Brüchen zu, die sich das Individuum produktiv machen sollte.135 Bhabhas postkoloniale Theorien erweisen sich für die Analyse der Romanfigur Kully als besonders ergiebig, da diese eine ist, die ihre Identität nicht auf die Widerspiegelung kultureller Merkmale stützt, sondern sich um ein Transzendieren – im Rahmen ihrer altersspezifischen Möglichkeiten – bemüht und dabei in ihrem Verhalten einen Bruch mit jenen Traditionslinien begründet, die für die Selbstwahrnehmung der Eltern noch konstitutiv sind. Die Ansicht, dass die Identität des postkolonialen Subjekts auf dem Aushandeln der verschiedenen Tendenzen, die auf es einwirken, beruht, lässt sich somit auf die kindliche Erzählfigur übertragen, denn diese ‚bastelt‘ sich ein Selbst aus den ihr im Zuge einer durch Exil- und Migrationsbewegungen pluralisierten Welt angebotenen Bausteinen. Ein solches ‚Bastelbild‘, findet sich auch in der nachfolgenden Definition des Hybriden durch Elisabeth Bronfen u.a.: Hybrid ist alles, was sich einer Vermischung von Traditionslinien oder Signifikantenketten verdankt, was unterschiedliche Diskurse und Technologien verknüpft, was durch Techniken der collage und samplings, des Bastelns zustandegekommen ist.136 Diese Definition stützt meine Interpretation Kullys als hybride Identität, die meiner Meinung nach Teil einer zeitgemäßen Analyse des Romans sein sollte. 6 Schlussbetrachtung Obgleich eine Auslegung von „Kind aller Länder“ anhand ausgewählter Theorien der Interkulturellen Literaturwissenschaft im Rahmen dieser Bachelorarbeit nur in einem beschränkten Maß realisiert werden konnte, sollte dennoch aufgezeigt sein, dass die Relektüre des Romans, welche selbst von vielerlei Fremderfahrungen meiner selbst gezeichnet war, sich für eine Hermeneutik ausspricht, die zum Lesen mit ‚fremden‘ Augen animiert, [d]enn indem Literatur diesen Möglichkeitsraum entfaltet, bei dem Vertrautes und Fremdes interferieren können, bricht sie nicht nur die Grenzen historischer, sprachlicher oder kultureller Alterität auf, sondern auch die Fremdheit in uns selbst, welche die poetische Sprache als kreatives Moment allererst wachruft. Ein Gewahrwerden dieser innersubjektiven Fremdheit, das Spiel mit der eigenen Differenz gehört mithin zur anthropologischen Voraussetzung jeglichen Verstehens von Fremde. 137 Durch den eigens gewählten Zugang zum Roman wurde die Auseinandersetzung von der Erkenntnis getragen, dass von der kindlichen Perspektive ein Weltverständnis aus135 vgl. Hofmann (2006), S. 30. Bronfen, Elisabeth; Marius, Benjamin; Steffen, Therese (Hg.): Hybride Kulturen. Beiträge zur angloamerikanischen Multikulturalismusdebatte, Tübingen 1997, S. 14. 137 Gutjahr (2002[a)], S. 64. 136 34 geht, welches auch heute noch – mehr als siebzig Jahre nach Veröffentlichung des Romans – aktuell ist. Vor dem Hintergrund einer von zahlreichen Migrationsbewegungen geprägten Welt müssen gerade heutzutage Erwachsene die Welt mit fremden Augen wahrnehmen – mit einem unwissenden Blick einer neuen und fremden Kultur begegnen. Dieser fremde Blick sollte offen sein, um zu der (Ein-)Sicht zu führen, dass Grenzziehungen zwischen Eigenem/Vertrautem und Fremdem/Anderem aufgebrochen werden können. Kullys kindlich-naiver Blick auf die Welt liefert demnach ein Paradebeispiel für ein realiter zu vertretenes interkulturelles Weltverständnis. Das Fremde hat in „Kind aller Länder“ durch und mit der Protagonistin auf eindrückliche Weise Gestalt angenommen. Die kindliche Erzählperspektive hat sich als geeignet erwiesen, dem Rezipienten zu vergegenwärtigen, dass einem das Fremde auch in Form eines vergessenen, verdrängten oder gar bekämpften Eigenem (literarisch) entgegentreten kann. Der große (semantische) Spielraum der Fremde ist folglich operationalisierbar, um einen Blick auf eine vermeintlich beängstigende Situation – wie sie der Exilalltag darstellt – werfen zu können. „Als nomadisch, dezentriert, kontrapunktisch beschreibt Edward Said das Exil“138 und trifft damit eine Definition des Exilbegriffes, auf die der Handlungsentwurf in „Kind aller Länder“ fußt. Von einem solchen Verständnis des Exils ausgehend, scheint die Erzählfigur auf dem nahezu unüberschaubaren Schauplatz zu agieren; sie prägt eine Auffassung von Heimat, die sich über eine Art überterritoriales Nicht-Fremdsein im Exil als produktiv erweist. Auf diese Weise weitet Kully „jenen traditionell bürgerlichen Begriff des Heims aus, der eine konkrete territoriale Einheit meint, die als zentral empfunden wird und zu der eine enge Verbundenheit besteht“139. Kully präsentiert sich uns als Person, die die ganze Welt umarmen will. Ein solches Weltverständnis wird von Irmgard Keun versinnbildlicht, wenn sie Kully irgendwo zwischen Europa und Amerika – also quasi auf der Grenze der wirkungsmächtigsten Kontinente der Welt sitzend − erzählen lässt, dass diese die Welt als ein Ganzes (um-)fassen will: Einmal nahm mich abends der Kapitän mit auf die Kommandobrücke […]. Ich habe meine Arme ausgestreckt und dachte, sie würden so lang werden, daß ich links Amerika mit meinem Vater und rechts Europa mit meiner Mutter anfassen könne. (KAL 210) Hier zeigt Keun, dass das Heimatverständnis Kullys nicht ‚nur‘ als überterritorial zu bezeichnen ist, sondern es gleichsam an die Anwesenheit der sie liebenden Personen geknüpft ist, was durch die Schlusspassage des Romans noch expliziter herausgestellt wird: „Ich möchte aber nirgends hin, wenn meine Mutter nicht dabei ist. Richtiges 138 139 Thurner (2003), S. 127. Thurner (2003), S. 127. 35 Heimweh habe ich eigentlich nie. Und wenn mein Vater bei uns ist, schon gar nicht“ (KAL 211). Von Kully ausgehend werden Fragen aufgeworfen, die die faktisch existierenden Gedanken der Exilierten widerspiegeln, wovon insbesondere Kullys Sprachreflexionen zeugen, die von mir mit denen von Klaus Mann in Bezug gesetzt wurden. Als „Kind aller Länder“ erweist sich Kully nicht nur als ein generell kosmopolitisches Kind, sondern vielmehr als ein ‚Kind unserer Zeit‘. Mit der kindlich-naiven und dabei Wirklichkeit entlarvenden Sicht auf die Welt geht eine Absage an einen Lebensentwurf einher, der sich einem festen Ort als Heimat verspricht. Obgleich eine solche Einstellung zur damaligen Zeit einer mitunter nationalsozialistisch beschränkten Sicht auf Länder und deren Bewohner keinen realisierbaren Gegenentwurf vorhalten konnte, wird mit Kullys Perspektive doch gleichwohl die Ansicht Elfriede Jelineks gestärkt, die in ihrer Rezeption von „Kind aller Länder“ Kindern folgendes Attribut zuschreibt: Die Kinder treten wie Marsmenschen als Fremde, als nicht Verbildete, nicht Vorprogrammierte, in diese Welt und filtern die vorgefundene Wirklichkeit durch eine vertrackte Art von Unschuldigkeit, von Erstlingshaltung sozusagen.140 Hieran anschließen lässt sich ein Zitat Walter Benjamins, der betont, dass es Kinder sind, denen „Wörter noch wie Höhlen [dienen], zwischen denen sie seltsame Verbindungswege erkennen“141. Wo Kinder sich in Erstlingshaltung durch ihre kindlich-naive Sprache und ihren fremden Blick als Neuling einen Blick auf die Welt zu eigen machen, sind es ebendiese Kinderaugen, die wir Erwachsenen als (Augen-)Höhlen betrachten können, die bei genauerem Hinsehen – mit offenen Augen – nicht als Weg in eine vermeintlich dunkle Fremde wahrzunehmen sind, sondern als Höhlen, die Denk- und Erkenntnisraum generieren. Die Ansicht, dass man, wenn man an Kinder denkt, gleichermaßen an Naivität denkt, lässt sich im Anschluss und als Abschluss an die eingehende Beschäftigung mit dem Roman „Kind aller Länder“ und dem Schreiben dieser Arbeit folgendermaßen ergänzen bzw. umformulieren: Denke ich an Kinder als Erzählfiguren, denke ich an ein bislang unzureichend untersuchtes literarisches Phänomen, welches von der Narratologie und auch der Interkulturellen Literaturwissenschaft mehr Beachtung finden sollte. Denke ich an Kully, denke ich daran, dass es wie so oft den Auftritt einer literarischen Figur bedurfte, um mir selbst einzugestehen, dass ich noch Kind sein darf und es auch bleiben sollte. 140 141 Jelinek (1980), S. 224. Benjamin, Walter: Denkbilder, Frankfurt 1974, S. 132. 36 7 Literaturverzeichnis Siglenverzeichnis KAL = Keun, Irmgard: Kind aller Länder, München 2004. Primärliteratur Keun, Irmgard: Kind aller Länder, München 2004. Sekundärliteratur Sekundärliteratur zu Person und Werk Irmgard Keuns Bender, Stephanie: Lebensentwürfe im Romanwerk Irmgard Keuns, Tanusstein 2009. Bescansa Leirós, Carme: „Gender und Machttransgression im Romanwerk Irmgard Keuns. Eine Untersuchung aus der Perspektive der Gender Studies“, in: Hörisch, Jochen; Wild, Reiner (Hg.): Mannheimer Studien zu Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 42, St. Ingbert 2007. Blume, Gesche: „Irmgard Keun. 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Alle aus solchen Quellen wörtlich oder sinngemäß übernommenen Passagen habe ich im Einzelnen unter genauer Angabe des Fundortes gekennzeichnet. Quellentexte, die nur in elektronischer Form zugänglich waren, habe ich in den wesentlichen Auszügen kopiert und der Ausarbeitung angehängt. Die schriftliche Fassung entspricht derjenigen auf dem elektronischen Speichermedium. Die vorliegende Arbeit habe ich vorher nicht in einem anderen Prüfungsverfahren eingereicht. ______________________ ___________________________________ Datum Unterschrift Einverständniserklärung zur Ausleihe an die Fachbibliothek Ich erkläre mich einverstanden, dass meine Bachelorarbeit an die Fachbereichsbibliothek des Instituts für Germanistik II der Universität Hamburg ausgeliehen wird. ______________________ ___________________________________ Datum Unterschrift