Transcript

Marxistische Arbeiter-Schulung in Berlin: Eine Chinesin berichtet Im September habe ich an einem achttägigen Einführungskurs der Marxistischen Arbeiterschule (Masch) teilgenommen. Es lag mir daran, von Marxisten selber über den Marxismus belehrt zu werden. Meine chinesischen Bekannten, die sich in unseren Gesprächen beklagten, daß ich dem Marxismus nicht genug Verständnis entgegen brächte, hatten mich an die Masch verwiesen." Das Ergebnis war eindeutig: Etwas Positives habe ich leider dort kaum gelernt. Aber es ist lehrreich, von dem Kurs zu berichten, um die Bedeutung einer solchen Schulung ins Auge zu fassen." Am Ende des Artikels steht: Die erste theoretische Schulung, die wir als Sozialisten nötig haben, ist die, daß wir lernen, selbstständig an Probleme heranzugehen, sie in gemeinsamen Gesprächen zu bearbeiten, indem wir einander mit Gründen und Gegengründen gegenseitig zu überzeugen suchen, statt daß wir nachplappern was eine Autorität uns an Schlagworten vorsetzt. Eine solche Erziehung zu eigenem Denken fehlt in der Masch noch." Der Funke" Dies veröffentlichte am 6. November 1932 die Zeitung Der Funke" in Berlin. Autorin war Chi-yin Chen, die 1923 nach Deutschland gekommen war und zunächst in Göttingen, später in Berlin studierte. Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Personen, die bei der Masch eine wichtige Rolle spielten: der bekannte Kommunist und Sinologe Karl August Wittfogel und der wenig bekannte Laszlo Radvanyi, der mit der später berühmten Schriftstellerin Anna Seghers verheiratet war – beide Eheleute hatten in Heidelberg studiert und waren nach der Promotion nach Berlin gezogen. Beeindruckend ist an diesem und anderen Texten von Chen, daß sie viel Kontakt zu Kommunisten hatte und sich ernsthaft mit der Ideologie beschäftigte, aber trotzdem skeptisch blieb und nicht der KPD beitrat. Immerhin war sie in Göttingen mit dem Kommunisten Xie Weijin liiert und in Berlin mit der Kommunistin Hu Lanqi befreundet – alle drei kamen aus Sichuan; in Berlin hatte sie auch mit Anna Seghers Kontakt, die damals auch schon in der Partei war. Andere Erfahrungen Es gab allerdings auch eine Phase wo Chen nach Hessen zur Walkmühle zog um dort mit Anhängern des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds zusammenzuleben - diese waren Vegetarier und lehnten Alkoholkonsum ab. Da sie dort die einzige Chinesin war, hatte sie bessere Möglichkeiten Deutsch zu lernen als die Chinesen in den Großstädten. Ende der zwanziger Jahre verbrachte sie auch längere Zeit in Shanghai. (Ihre Erfahrungen dort waren vermutlich Grundlage für die Geschichte 1. Mai Yanshuhpou', die Anna Seghers in den dreißiger Jahren schrieb.) Sie lebte später in der Volksrepublik, traf noch einmal Anna Seghers, war mit Eva Siao (Sandberg) aus Breslau befreundet und starb 1968. Insgesamt beeindruckt bei ihr, die eigentlich Cheng Qiying hieß, die Neugier, Klarheit und Toleranz. Schade, daß sie keine Bücher veröffentlichte! Dr. Thomas Kampen