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Musizierende Mönche Und Ein Schlafendes Kirchenvolk – Mailänder Kirchenmusik In Einsiedeln, In: Geschichte Des Kantons Schwyz, Hrsg. Vom Historischen Verein Des Kantons Schwyz (hvs), 7 Bde., Schwyz 2012, Bd. 6, S. 122.

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Kultur und Lebenswelten 1712 - 2010 ~~~·~ <-,· Geschichte des Kantons Schwyz • Band 6 • 122 Geschichte des Kantons Schwyz • Band 6 Musizierende Mönche und ein schlafendes Kirchenvolk - Mailänder Kirchenmusik in Einsiedeln Der weit gereiste Zuger Söldnergeneral Beat Fidel Zurlauben (1720-1799) beklagte sich über die exzessive Musikliebe in den Klöstern der Alten Eidgenossenschaft des 18. Jahrhunderts und machte dafür in erster Linie die Einsiedler Mönche verantwortlich: «Diese überwiegende Neigung zur Musik hat sich erst seit etwa fünfzig Jahren in die schweitzerischen Abteyen eingeschlichen; und man glaubt mit gutem Grunde, dass sie dieselbe aus dem Kollegium zu Bellenz geholt haben, wo sich einige Mönche von Einsiedeln aufhalten. Die dortigen Professoren brachten bey ihrer Heimkehr den Enthusiasmus für die Italiänische Musik mit sich.» Die erhaltenen Dokumente aus der Musikbibliothek und dem Klosterarchiv Einsiedeln bestätigen Zurlaubens Bemerkung, wobei der vom Söldnergeneral allgemein umschriebene Enthusiasmus für die «Italiänische Musik» vornehmlich den Mailänder Komponisten gegolten haben muss. Dies bezeugen die heute noch in der Musikbibliothek befindlichen Musikalien sowie zwei Käufe von Notenmaterial aus Mailand im Wert von insgesamt 900 Gulden. Der auch für seine Bautätigkeit bekannte Abt Nikolaus Imfeld (1734-1773) bezahlte bei dieser stattlichen Investition im damaligen Gegenwert von fünfzehn neuen Cembali nicht weniger als 230 Gulden aus der eigenen Tasche. Die Einsiedler Benediktiner haben sich also nicht mit den Kompositionen ihrer eigenen Kapellmeister begnügt, sondern bezogen ihre Kirchenmusik von weit her, besonders eben aus der Lombardei. Hierbei spielte die von Zurlauben erwähnte Einsiedler Dependance in Bellinzona eine entscheidende Rolle. Denn die dort im Unterrichtswesen tätigen und deshalb auch musikalisch hervorragend ausgebildeten Patres kopierten eifrig die aus Mailand kommenden Musiknoten und leiteten diese nach Einsiedeln weiter. Waren die kostbaren Musikalien einmal im Mutterkloster eingetroffen, so wurden Abschriften an andere, zumeist benediktinische Ordensgemeinschaften der Alten Eidgenossenschaft weitergeleitet. Der genannte Abt Imfeld hatte im Übrigen durch die Aufnahme von insgesamt 26 musikalisch gebildeten Konventualen während seiner Amtszeit dafür gesorgt, dass die neu erworbenen Kompositionen von einer fahigen Musikkapelle gespielt werden konnten. Um den Sopran und Alt singenden Chorknaben aus der Klosterschule einen professionellen Sänger zur Seite stellen zu können, finanzierte das Stift sogar ein zweijähriges Gesangsstudium eines nicht zum Konvent gehörenden «castrierten Discantisten» in Mailand. Eigentlich war Mailand als Bezugsquelle für Kirchenmusik ungeeignet, da man im dortigen Bistum den ambrosianischen Ritus pflegte. Doch die Einsiedler waren sich der liturgischen Differenzen bewusst und beschafften sich einzig die Vertonungen, welche für die den römischen Ritus praktizierenden Mailänder Ordenskirchen komponiert worden waren. Leopold Mozart, Vater von Wolfgang Amadeus, berichtet über die dort gehörte Musik verblüfft: «[ ... ] alles bestehet in der Musik, und im kirchen aufputz, das übrige ist alles die abscheulichsteAusgelassenheit.» Angesichts der Vorliebe der Benediktiner für die Mailänder Musik überrascht daher Pater Markus Landtwings (1759-1813) Kommentar von 1804 zur Einsiedler Musikpraxis im 18. Jahrhundert keineswegs, da er das Gleiche feststellte wie Mozart in Mailand: «Es ist noch im frischen Andenken, wie unsere vorhin musizierten Vespern stundenlang und noch mehr dauerten, wo es nur um der Musicanten wohl, dem Volke aber, das nichts als hören musste, nur schlafen, den Beichtvätern aber im Beichthause nur die Begierde war, doch bald Gehülfen ab dem Musick-Chore zu bekommen.» Glücklicherweise zogen die Einsiedler Benediktiner im 18. Jahrhundert die Tätigkeit im «Musick-Chore» einem Dienst in der Choralschola oder dem Beichtstuhl vor, denn dadurch gelangten die Mailänder Kompositionen eines Johann Christian Bach, Giovanni Battista Sammartini oder Giovanni Battista Fioroni nach Einsiedeln, während die lombardischen Vorlagen der Abschriften später den napoleonischen Truppen oder der Nachlässigkeit von Archivaren zum Opfer fielen. Aus den vielen Unikaten in der Musikbibliothek Einsiedeln lässt sich heute nicht nur die prachtvolle Musikgeschichte der Benediktinerabtei Einsiedeln, sondern auch diejenige Mailands im 18. Jahrhundert rekonstruieren. Christoph Riedo Kultur und Lebenswelten 1712-2010 Geschichte des Kantons Schwyz • Band 6 Herausgegeben vom Historischen Verein des Kantons Schwyz ',i ". f"\ - :L ,; " > 'I < CHRONOS