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Natürliche Faunenwelt In Mitteleuropa. Was Können Wir Aus Der Steinzeit Lernen?

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Auszug aus: Roland de Beauclair, Susanne Münzel und Hannes Napierala (Hrsg.) Knochen pflastern ihren Weg Festschrift für Margarethe und Hans-Peter Uerpmann Jordi Serangeli Natürliche Faunenwelt in Mitteleuropa. Was können wir aus der Steinzeit lernen? Von Seite 237 bis 246 BioArchaeologica 5 Verlag Marie Leidorf GmbH . Rahden/Westf. 2009 ISSN: ISBN-13: ISBN-10: 1611-356X 978-3-86757-952-0 3-86757-952-0 Natürliche Faunenwelt in Mitteleuropa. Was können wir aus der Steinzeit lernen? Jordi Serangeli Abstract Today the influence of man on his environment is evident. The limited number of free living large mammals in Central Europe is the result of this influence. The process leading to the current situation is generally not well known. A comparison of the large mammal fauna that lived in Central Europe during the last interglacials and today’s fauna illustrates man’s influence in prehistory and, in addition, the potential for living fauna today, if the political will were there. Schlüsselwörter: Fauna, Klima, Over-Kill-Hypothese, Klima-Hypothese, Aussterben Zusammenfassung Der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt ist heute offensichtlich. Die Armut an wildlebender Großfauna in Mitteleuropa ist die Folge dieses Einflusses. Weniger bekannt ist aber der Weg, der zu der heutigen Situation geführt hat. Ein Vergleich zwischen der heutigen Großsäuger-Fauna und der der letzten Warmzeiten macht einerseits die Verantwortung des Menschen auch in prähistorischen Zeiten offensichtlich, andererseits zeigt er uns, was noch heute, wenn es einen politischen Willen gäbe, in Mitteleuropa möglich wäre. Keywords: Fauna, climate, overkill hypothesis, climate hypothesis, extinction Einleitung Eine zentrale Frage in unserer Gesellschaft ist, inwieweit wir Menschen für die heutigen Veränderungen der Umwelt verantwortlich sind. Diese Frage hat nicht rein intellektuellen Charakter. Der Mensch scheint die Grenzen seiner schonungslosen Nutzung der Umwelt erreicht zu haben, und langsam scheint er es auch zu begreifen (s. dazu Gore 2006). Aber was ist natürlich und was ist Folge der menschlichen Einwirkung? Wie weit reicht in der Vergangenheit der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt? Seit wann handelt der Mensch als „Zerstörer“ seiner eigenen Umwelt? Der Blick in die Zukunft und die Antworten auf diese Fragen können nur gelingen, wenn man die Daten aus der Vergangenheit analysiert und versucht, diese zu verstehen, zu deuten und zu erklären (s. dazu Bunzel-Drüke 2000; Koenigswald 2004; Barnosky et al. 2004). Erst danach kann man sich die noch wichtigere Frage stellen, ob wir in der Lage sind, etwas gegen die vom Menschen verursachten Zerstörungen zu unternehmen und diese Veränderungen eventuell rückgängig zu machen. Aktuelle Lage Um einen laufenden Prozess zu verstehen, muss man sich zuerst im Klaren sein, wo man steht. Wir heutigen Europäer sind so stark in unserer eigenen Kultur verankert, dass es uns schwerfällt, sie mit Abstand zu betrachten. Es ist schwer, sich eine Welt ohne Landwirtschaft, Städte, Straßen oder Industrie vorzustellen, um nur einige die Landschaft prägenden Veränderungen zu erwähnen. Nimmt man alle diese Konzepte aus unserer Gegenwart heraus, begibt man sich in eine Welt, die wild und exotisch erscheint: das vergangene, zum Teil verlorene Europa. 238 Heute ist Europa, und insbesondere Mitteleuropa, viel ärmer an größeren Wildtieren (Megafauna) als die anderen Kontinente. Unberührte Landschaften fehlen fast vollkommen und vieles, was wir als eine „natürliche Umwelt“ empfinden, ist es nicht. Wie aber ist es dazu gekommen? Dieser Beitrag setzt sich zum Ziel, anhand der Verbreitung von großen Wildtieren den Einfluss des Menschen, insbesondere in Mitteleuropa, zu analysieren und zusammenzufassen. Art für Art wird hier, beginnend bei der heutigen überlebenden Wildfauna, eine Art „Chronik“ des Rückgangs und des Aussterbens der wildlebenden Großfauna Mitteleuropas dargestellt. Am Ende wird diese mit der Fauna der letzten Warmzeiten verglichen. Dabei wird es natürlich auch um die Frage gehen, ob wir für die Veränderungen der Umwelt in geschichtlicher und vorgeschichtlicher Zeit verantwortlich sind oder nicht. Die Umwelt im Blick der Quartärökologie Heute ist bekannt, dass sich das Klima (und damit die Umwelt) im Laufe der Jahrtausende stetig geändert hat und sich weiter ändern wird. Dies hängt mit zahlreichen Faktoren zusammen, deren Zusammenwirken noch immer nicht im Detail verstanden wird. Eine Rolle spielen dabei z.  B. die Aktivität der Sonne, die Neigung der Erde, die Distanz zwischen Sonne und Erde sowie die atmosphärische Wasser- und Luftzirkulation. Die Spannweite dieser natürlichen Veränderungen ist groß. In den Eiszeiten lag ein Eisschild über ganz Skandinavien, der bis London und Berlin reichte. In den Warmzeiten dagegen war es so warm, dass Flusspferde in der Themse lebten. Die Fundregion Schöningen, Kreis Helmstedt, Niedersachsen, ist besonders gut unter ökologischen Aspekten untersucht. Während der Eiszeiten betrug die Eisdicke hier bis zu 220  m (Feldmann 2002, 77). Aus dieser Zeit existieren deshalb mächtige Schichten der Grundmoränen und Schmelzwassersande der elsterund saalezeitlichen Vergletscherung. In den Warmzeiten dagegen lebten an der gleichen Stelle wärmeliebende Tierarten (Kolfschoten et al. 2007, 76–86) wie der Waldelefant (Elephas antiquus), das Waldnashorn (Dicerorhinus kirchbergensis) oder der Auerochse (Bos primigenius) und es existierten nadelholzreiche Laubmischwälder mit Fichte, Kiefer, Tanne, Eibe, Hainbuche, Hasel und Birke (Urban Jordi Serangeli 2007, 68). Reste dieser Arten sowie Reste von Insekten, Blättern, Samen, Früchten und Fischen sind unter den anaeroben Lagerungsverhältnissen in Schöningen in hervorragender Qualität erhalten. Klimaschwankungen sind also natürliche Prozesse, die gewaltige Veränderungen verursachen können. Für Mitteleuropa bedeutet dies Temperaturunterschiede im Jahresdurchschnitt von bis zu 15 °C (Mania 2007, 42). Die Urgeschichte arbeitet als geowissenschaftliche Disziplin unter dem „aktualistischen Prinzip“. Das heißt, dass die Gesetzmäßigkeiten aktueller Prozesse herangezogen werden, um frühere Entwicklungen zu verstehen. Es ist aber wissenschaftlich legitim und notwendig, auch den ungekehrten Weg zu gehen und die Daten aus der Vergangenheit auf die heutige Umwelt zu übertragen, um Europa und insbesondere Mitteleuropa heute besser zu begreifen. Nur durch diese Analyse kann man verstehen, was eine natürliche Umwelt in Mitteleuropa wäre. Der Rückgang und das Aussterben der mitteleuropäischen Großfauna Das 19. und das 20. Jahrhundert sind die Jahrhunderte gewesen, die das Bild der Welt am stärksten verändert haben. Die Industrialisierung, die starke Zunahme der Weltpopulation, die großräumige Abholzung von Urwäldern auf allen Kontinenten, der gewaltige Ausstoß von CO2, die Trockenlegung von Sumpfgebieten und die Eindämmung von Flüssen sind Eingriffe in die Natur, die eindeutig Folgen für das globale Klima haben. Inzwischen können solche Fakten nicht mehr übersehen oder als Vermutungen, Theorien oder Annahmen abgetan werden (Gore 2006). Dazu muss man noch erwähnen, dass Mitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert so stark von Straßen, Wasserkanälen, Bahnlinien, Zäunen und sonstigen Sperren in kleine „Parzellen“ zerschnitten wurde, dass Naturschutzgebiete heute meist nur kleine Flecken in einer stark anthropogen geprägten Landschaft sind. Selbst die Naturschutzgebiete sind anthropogen geprägt. Sie sollen einerseits Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten bieten, andererseits aber für Touristen so weit wie möglich zugänglich und uneingeschränkt sicher sein. Dieser Kompromiss und die räumlichen Begrenzungen führen Was können wir aus der Steinzeit lernen? dazu, dass eine echte Wildnis, in der echte Wildtiere leben und wandern können, in Mitteleuropa heute nicht mehr existiert. Betrachtet man die noch heute in Mitteleuropa „wild“ lebenden Großsäuger, sind folgende Anmerkungen zu machen: Das Wildschwein (Sus scrofa) ist einer der wichtigsten und größten Vertreter der heutigen Fauna Mitteleuropas. Diese Tierart, die durch eine sehr hohe Reproduktionsrate gekenn­zeichnet ist, ist in fast ganz Europa verbreitet. In manchen Regionen sind Wildschweine sogar so zahlreich, dass sie zu einer Plage geworden sind. Betrachtet man ihren „Erfolg“, so muss man darauf hinweisen, dass dieser nicht „natürlich“ ist. Wildschweine werfen sechs bis zwölf Junge pro Jahr. Unter natürlichen Verhältnissen überlebt aber nur jedes zehnte das dritte Lebensjahr. Es wird berichtet, dass in manchen Regionen der Sowjetunion ein erwachsener Wolf im Laufe eines Jahres 50 bis 80 Wildschweine unterschiedlichen Alters töten konnte (Heptner et al. 1966, 76). Da aber der Wolf in vielen Regionen ausgerottet wurde, bleibt in Mitteleuropa fast nur der Mensch (mit Gewehr oder Auto) als einziger Feind übrig. Es ist interessant zu bemerken, dass in der Vergangenheit, als es auch andere Raubtiere in Europa gab, wie den Höhlenlöwen (Panthera leo spelaea) und die Höhlenhyäne (Crocuta crocuta spelaea), die Bedeutung des Wildschweins offensichtlich viel geringer war als heute. Rehe (Capreolus capreolus) sind das typische Standwild Mitteleuropas. Diese scheuen Tiere leben im dichten Wald. Das Fehlen von natürlichen Feinden macht es ihnen jedoch möglich, sich auch in forstwirtschaftlich genutzten Wäldern mit wenigen Rückzugsmöglichkeiten zu vermehren. Rehe werden oft als Hinweis auf ein milderes Klima betrachtet, obwohl sie Wintertemperaturen von –40  °C ertragen können und in Europa von Südspanien bis zum Polarkreis verbreitet sind (Niethammer & Krapp 1986, 240). In Sibirien, wo die Landschaft viel weniger durch Menschen verändert wurde, unternehmen Rehe Wanderungen von über 300 km Länge oder Höhenwanderungen von ca. 800 m Höhenunterschied (Heptner et al. 1966, 268). Wohin aber sollten sie innerhalb des heutigen Zentraleuropa wandern? Der Rothirsch (Cervus elaphus) ist fast überall in Europa verbreitet. Anders als viele andere Tierarten hatte der Rothirsch das Glück, dass die Jagd auf ihn schon sehr früh reglementiert wurde. Im Mittelalter war in vielen Regionen Europas die Jagd auf Rothirsche, die zum Hochwild zählten, 239 nur dem hohen Adel vorbehalten. Rothirsche wurden also geschützt, gezüchtet und in ihrer Verbreitung stark vom Menschen beeinflusst. In Schottland leben noch heute Rothirsche in einer fast baumlosen Landschaft. Es ist unklar, ob diese Anpassung natürlich oder auf das Fehlen von Wölfen auf den Britischen Inseln zurückzuführen ist. Der Damhirsch (Dama dama) ist in Mitteleuropa vielleicht schon von den Römern, spätestens aber im Mittelalter eingeführt worden (Niethammer & Krapp 1986, 144). Ob er am Ende der letzten Eiszeit in ganz Westeuropa ausgestorben war oder nicht, ist unklar (Serangeli 2006, 94–95). Tatsache ist aber, dass diese Art in ihrer heutigen Verbreitung sehr stark vom Menschen beeinflusst wurde. So wie der Rothirsch gehörte auch der Damhirsch zum Hochwild und genoss einen gewissen Schutz. Das Rentier (Rangifer tarandus) ist heute der Vertreter der Familie der Hirsche im Norden der nördlichen Hemisphäre. Man assoziiert diese Tiere heute mit Lappland und der Tundra und Taiga Russlands oder Kanadas. In der Eiszeit war es jedoch im Süden bis Kantabrien, vielleicht sogar bis Zentralspanien verbreitet (Serangeli 2006, 108). Bis zum Boreal, der ersten Phase unserer Warmzeit, hat das Rentier in Südwestdeutschland überlebt (Hahn et al. 1993, 46–47), in Norddeutschland lebte es noch bis in die Römerzeit, während es in Polen noch im Mittelalter verbreitet war (Heptner et al. 1966). Obwohl sicher das Klima die wichtigste Rolle für den Rückzug des Rentiers nach Norden spielt, haben sich die menschlichen Aktivitäten ohne Zweifel negativ auf die südliche Randpopulationen ausgewirkt und deren Auslöschung mitverursacht. Elche (Alces alces) waren bis weit in die historische Zeit hinein von der Rheinmündung über die Vogesen bis zum Nordfuß der Alpen und bis zu den Karpaten verbreitet. Erst im Mittelalter wurden sie in West- und in weiten Teilen Mitteleuropas ausgerottet. In Sachsen lebte das letzte Exemplar bis 1746, in Schlesien bis 1776 (Heptner et al. 1966, 324). In der Sowjetunion konnte erst ein absolutes Elchjagdverbot nach dem Ersten Weltkrieg ihre Ausrottung vermeiden. Durch den Schutz dieser Tiere insbesondere in Polen kommen in den letzten Jahren gelegentlich einzelne Exemplare wieder über die Oder nach Deutschland. Es ist jedoch interessant zu beobachten, wie neben der Freude über diese unerwartete Bereicherung der Fauna auch sofort die Gefahr, die von einem solchen 2,3 m großen und bis zu 800 kg schweren Tier im Straßenverkehr ausgeht, in den Vordergrund gestellt wird. Im Paläolithikum treten sie 240 erst nach 20.000 Jahren vor heute häufiger auf, und dies hängt eindeutig mit dem zunehmend feuchteren Klima zusammen (Serangeli 2006). Der Steinbock (Capra ibex) ist dank massiver Natur­ schutz­programme erfolgreich vor dem Aussterben bewahrt worden und hat heute eine stabile Population von mehreren Zehntausend Individuen in den gesamten Alpen. Anfang des 19. Jahrhunderts war seine Zahl aber durch die massive Bejagung mit Feuerwaffen auf weniger als 100 Individuen reduziert worden. Alle Individuen lebten in einem einzigen Reservat im Gran Paradiso in Italien. Die starke Bejagung führte außerdem dazu, dass die Steinböcke in manchen Regionen fast nur nachtaktiv waren, was nicht ihrem natürlichen Verhalten entspricht (Niethammer & Krapp 1986, 421). Heutzutage leben Steinböcke meist in Hochgebirgen, oberhalb der Baumgrenze, wo in Winter extrem kalte Temperaturen herrschen. Auch die Gämse (Rupicapra rupicapra) ist, so wie der Steinbock, in ihrer heutigen Verbreitung ein Bewohner der waldfreien, felsigen Regionen von Hochgebirgen. Das Verbreitungsareal beider Arten lag aber während des Paläolithikums, als die Hochgebirge unter Gletschern lagen, nicht nur tiefer, sondern erstreckte sich über alle felsigen Regionen in ganz Europa, auch an der Küste, weit unterhalb der Baumgrenze (Serangeli 2006, 129–133). Das ist besonders relevant, da an der Küste das Klima auch während der Eiszeit nie extrem kalt war. Einige Gämsen-Populationen leben noch heute in Griechenland (Niethammer & Krapp 1986, 324–325). Das heutige Verbreitungsareal von Steinbock und Gämse ist also als Refugium zu sehen. Der Mensch hat seit Langem Druck auf Gämsen und Steinböcke ausgeübt. Die intensive Jagd, die seit der weiten Verbreitung von Feuerwaffen betrieben wurde, ist sicher nur das letzte Kapitel einer Zurückdrängung, die möglicherweise zwei Protagonisten hat: den Wald einerseits, der die natürlichen Lebensräume von Steinbock und Gämse verkleinerte und isolierte, und andererseits den Menschen als Jäger und Hirten, der diese immer kleiner werdenden offenen Flächen für seine Schafe und Ziegen nutzte und Steinbock und Gämse als unwillkommene Konkurrenten sah. Neben den in freier Wildbahn noch lebenden Großsäugern gehörten eigentlich auch andere Großsäuger zur Umwelt Mitteleuropas. Diese haben entweder nur in Gefangenschaft überlebt oder sind sogar völlig ausge- Jordi Serangeli storben. Der Mensch ist in allen Fällen ein wichtiger Faktor für deren Populationsabnahme und in vielen Fällen auch für deren Aussterben. Der europäische Wisent (Bison bonasus) war noch in historischer Zeit von Frankreich und der Schweiz bis weit nach Osteuropa verbreitet. Im 6. Jahrhundert wurde er in Frankreich ausgerottet und nach und nach auch in ganz Mitteleuropa. In Sachsen wurde das letzte Exemplar im Jahr 1793 erlegt (Heptner et al. 1966, 493). In Osteuropa war er vom 15. bis zum 17. Jahrhundert noch so zahlreich, dass bei einer Jagd über hundert Individuen erlegt werden konnten. Die Verbreitung der weit reichenden Feuerwaffen führte dazu, dass er in der offenen Landschaft zu einer leichten Beute wurde. Seine Zahl schrumpfte auf eine extrem geringe Anzahl an Individuen, die im Białowiezer Naturreservat überlebt haben. Alle reinblütigen europäischen Wisente stammen aus dieser Gruppe. Inzwischen leben Wisente in verschiedenen Zoos und Reservaten, sodass sie nicht mehr vom Aussterben bedroht sind. Hier zeigt sich, dass eine Tierart, wenn der Mensch sie aktiv und konsequent schützt, die Chance bekommt zu überleben. Während der Eiszeiten war eine verwandte Art, der Steppen-Wisent (Bison priscus), von Kantabrien bis zum Stillen Ozean und nach Nordamerika verbreitet. In Europa zog sich das Verbreitungsareal der Wisente während der Warmzeiten etwas nach Norden, in kälteren Phasen bis nach Südeuropa. Dies geschah parallel zur Ausbreitung von dichten Wäldern von Süden her, an die eine andere Art von Rind, der Auerochse, besser angepasst war. Das Wildpferd (Equus ferus) gehört eigentlich zu den offenen Landschaften Europas. In der Eiszeit wurde es häufig gejagt und gegessen. In Südspanien kamen Wildpferde möglicherweise bis ins Neolithikum vor (Uerpmann 1976). Eine Gruppe Wildpferde lebte im 18. Jahrhundert, so wie andere Restpopulationen von Großsäugern, im Białowiezer Urwald, wobei der Wald als extremes Rückzugsgebiet angesehen werden soll. Das letzte freilebende Tier in Europa wurde im Gebiet um Königsberg im Jahr 1814 erlegt. Pferde sind von der Natur aus weder mit Hörnern noch mit Geweih ausgestattet, sondern mit langen, schnellen Beinen, um vor ihren Feinden zu flüchten, was in einem dichten Wald nur begrenzt möglich ist. In Sibirien lebten die allerletzten wilden Przewalski-Pferde. Die Trockenlegung vieler Sumpfgebiete in der russischen Steppe sowie die Was können wir aus der Steinzeit lernen? von Viehzüchtern übernommene Kontrolle der übrigen Wasserquellen führten zum schnellen Rückgang dieser Art. All dies spricht dafür, dass diese scheue Tierart in Europa in unbesiedelte Regionen verdrängt und an den Rand des Aussterbens gebracht wurde. Faszinierend ist, dass das Wildpferd, wenn auch in sehr geringer Zahl, trotz allem bis ins 19. Jahrhundert in Europa überlebt hat. Während des gesamten Paläolithikums gehören Pferde in ganz Europa zu den häufig gejagten und im Jungpaläolithikum zu den am häufigsten dargestellten Tierarten. Es besteht kein Zweifel, dass ohne den Einfluss des Menschen Pferde noch heute in Mitteleuropa verbreitet wären. Der Auerochse (Bos primigenius), der Vorfahre der heutigen Hausrinder, ist aus seinem ehemaligen Verbreitungsgebiet einerseits durch Jagd, andererseits durch den Erfolg der domestizierten Form verdrängt worden und letztendlich ausgestorben. Der Erfolg der domestizierten Form zeigt, dass sein Aussterben nichts mit klimatischen Veränderungen zu tun hatte. Die letzten europäischen Individuen starben in Polen im 17. Jahrhundert. Im Paläolithikum war der Auerochse in ganz Südeuropa verbreitet. In den Warmzeiten dehnte sich sein Lebensraum bis Mitteleuropa aus. Der Riesenhirsch (Megaloceros giganteus) ist ein gutes Beispiel für den direkten Einfluss des Klimas auf seine Verbreitung. In der Eiszeit war er von Zentralsibirien bis Kantabrien verbreitet. Am Ende der Eiszeit zog er sich nach Großbritannien, Dänemark und Osteuropa zurück. In Großbritannien und Dänemark ist er noch bis vor ca. 10.000 14 C-Jahren vor heute nachgewiesen. In der Uralregion überlebte er noch bis 6.900 14C-Jahren vor heute (Stuart et al. 2004). Betrachtet man den Rückzug des Riesenhirsches, erscheint es eindeutig, dass er in der Eiszeit in Regionen mit einer ausgeprägten Topographie lebte: in Kantabrien, im französischen Zentralmassiv sowie am Rande der Pyrenäen und der Alpen. Solche Regionen fehlen im nördlichen Mitteleuropa. Außerdem unterstützte das feuchtere Klima im Holozän die Verbreitung von Elchen, die bis dahin in Mitteleuropa selten waren. Diese langbeinigen Tiere, die bestens an Sumpfsituationen angepasst sind, können durch ihre Nahrungskonkurrenz dem Riesenhirsch gegenüber einen zusätzlichen ökologischen Druck verursacht haben (Serangeli 2006, 112). Die Tatsache, dass die letzten Riesenhirsche in der Uralregion, wo immer ein kontinentales Klima herrschte, etwas länger überlebt haben, passt sehr gut zu diesen Überlegungen. 241 Zur Fauna Europas gehörten während der Eiszeit auch das Mammut (Mammuthus primigenius) und das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis). Es steht außer Frage, dass heutzutage nirgendwo auf der Welt eine Steppe existiert, die der Steppe des Mammuthus-Coelodonta-Faunenkomplexes entsprechen würde. Daher liegt es auf der Hand, dass die dramatische Abnahme der Zahl dieser Tiere nicht vom Menschen, sondern vom Klima und den daraus folgenden Veränderung der Umwelt verursacht wurde. Dies deckt sich mit der Beobachtung, dass das Mammut auf der ganzen Welt nahezu gleichzeitig zwischen 12–10.000 Jahren vor heute verschwunden ist. Interessant – und dem widersprechend – ist die Tatsache, dass allein auf der Wrangel-Insel im Nordpolarmeer Mammuts bis vor ca. 3.700 Jahren überlebt haben (Vartanyan et al. 1995). Sie sind wahrscheinlich erst ausgestorben, als der Mensch in diese Region eindrang. Neben dem Mammut und dem Wollnashorn gehörten bis weit in die Eiszeit drei weitere Arten zur Fauna Europas: das Steppennashorn (Stephanorhinus hemithoechus), das Waldnashorn (Stephanorhinus kirchbergensis) und der Waldelefant (Elephas antiquus) (Serangeli 2006). Diese Arten lebten während des gesamten Mittel- und Spätpleistozäns in Europa. Sie überlebten während der Eiszeit bis vor ca. 25.000 Jahren vor heute in Südeuropa, dann starben sie aus. Auch hier fällt auf, dass sie während der Eiszeit, also während einer für sie klimatisch ungünstigen Periode, ausgestorben sind. Daher hat das Klima auch in diesem Fall eine wichtige Rolle gespielt. Aber man muss diese Aussage ergänzen: Alle drei Tierarten hatten ca. 70.000 Jahre Eiszeit hinter sich und sie hatten schon das erste Kältemaximum der letzten Eiszeit um ca. 60.000 vor heute überlebt (Serangeli 2006, 61–82). Sie oder nahe verwandte Arten hatten auch bereits andere für sie extrem ungünstige Perioden wie die Elster- und die Saaleeiszeit in Europa überstanden. Es scheint also wenig plausibel, dass sie aus rein klimatischen Gründen ausstarben. Vielleicht ist es nur ein Zufall, aber sie starben aus, als der anatomisch moderne Mensch sich in Europa ausbreitete. Elefanten und Nashörner hätten auch im Holozän wieder nach Europa eindringen können, aber sie taten es nicht. Anhand schriftlicher Quellen der Ägypter weiß man, dass im Vorderen Orient im Holozän der Syrische Elefant verbreitet war (Gündem & Uerpmann 2003). Nashörner leben noch heute in Afrika und in Pakistan, sie scheinen aber im Holozän weder Israel noch den Iran wieder erobert zu haben. Die einzige schlüssige Erklärung ist, dass neben klimatischen, 242 Jordi Serangeli Abb. 1: Schematische Darstellung der vergangenen bzw. potentiellen Großsäugerfauna Mittel- und Westeuropas (ohne Berücksichtigung der endemischen Arten auf den Mittelmeerinseln).† ausgestorbene Art, (†) in Europa nicht mehr „wild“ vorkommende Art. umweltbedingten und topographischen Hindernissen der Faktor Mensch auch hier eine wichtige Rolle spielte. Am Beginn der verschiedenen Warmzeiten verliefen die möglichen Ausbreitungsrouten der gemäßigten und warmen Großsäuger-Fauna Afrikas in Richtung Europa entlang dem Niltal, über die Sinai-Halbinsel, entlang der östlichen Mittel­meerküste und entlang der türkischen Küste. Aus dem Indischen Subkontinent heraus musste die Fauna sich über den Indus, den Iran, den Fruchtbaren Halbmond und entlang der türkischen Küste ausbreiten. Der Mensch ist gerade im Gebiet des Nils, des Indus und des Fruchtbaren Halbmonds sehr früh sesshaft gewesen, und auch davor Was können wir aus der Steinzeit lernen? wusste er sicher diese Regionen für sich und seine Bedürfnisse zu nutzen. Für Tiere wurde also ab dem Beginn des Holozäns der Weg nach Europa immer schwieriger. Das Flusspferd (Hippopotamus amphibius antiquus) ist noch mehr als Elefant und Nashorn ein Beispiel dafür, dass sich die an gemäßigte und warme Klimate angepasste Fauna am Ende der Eiszeit bzw. zu Beginn des Holozän erneut auf den Weg gemacht hat, Europa zurückzuerobern. Während der letzten Warmzeit gehörten Flusspferde zur Fauna Europas. Reste dieser Tiere wurden bis Großbritannien gefunden. Da Flusspferde nur in Regionen leben können, in denen es auch im Winter offene Wasserflächen gibt, wurden diese Tiere mit dem Fortschreiten der Eiszeit immer weiter nach Süden gedrängt. Die bronze- und eisenzeitlichen Fundstellen in Israel (Uerpmann 1976, 46) weisen darauf hin, dass Israel ein gutes Refugium für diese Art war und dass es für diese Tiere kein natürliches Hindernis gab, um von hier aus nach Norden vorzudringen. Der letzte Pflanzenfresser, der hier angesprochen werden soll, ist der europäische Wasserbüffel (Bubalus murrensis). Diese Tierart lebt, so wie das Flusspferd, in feuchten Gebieten, in der Nähe von Wasser, in Regionen, wo es auch im Winter warm genug ist. In der letzten Warmzeit kamen Wasserbüffel bis nach Norddeutschland und die Niederlande (Koenigswald 2002, 101). Heutzutage leben Wasserbüffel als Haustiere auf der Schwäbischen Alb, im Allgäu, in Brandenburg, Süditalien und Rumänien, die Zahl der Züchter steigt stetig. Dies zeigt, mit Einschränkungen, dass der heutige Wasserbüffel kein Problem hätte, als Wildtier in Teilen Europas zu überleben, so wie er es in vergangenen Warmzeiten tat. Auch hier ist anzunehmen, dass der Wasserbüffel durch den Menschen daran gehindert wurde, aus seiner „Kernregion“ Indien nach Europa „zurückzukehren“. Neben den Pflanzenfressern gehören auch Raubtiere zur Fauna Europas. Bei diesen war der erste Grund der Bejagung sicher nicht die Nahrungssuche, sondern eher das Fell, der Schutz des Viehs und das kulturell bedingte höhere Ansehen einer Jagd auf wehrhafte Raubtiere. Das größte in Europa (über-)lebende Raubtier ist der Braunbär (Ursus arctos). Im Mittelalter kam er noch in fast ganz Europa vor, um dann mit der Verbreitung von Feuerwaffen aus vielen Ländern zu verschwinden. Bären gehören zu einer Familie, die in der Vorgeschichte ununterbrochen unseren Kontinent besiedelte. Neben dem Braunbären gab es auch den Höhlenbären (Ursus spelaeus), 243 der am Ende der letzten Eiszeit ausstarb, und den Eisbären (Ursus maritimus), der durch vereinzelte Reste in England, Dänemark und Skandinavien nachgewiesen ist (Serangeli 2006, 44). „Bruno“, der erste freilebende Bär in Deutschland seit 1835, hat gezeigt, dass die angeborene und zum Teil kulturell bedingte Angst des Menschen vor dem „gefährlichen Bären“ auch heute noch immer groß ist. Ein hoch technisiertes Land wie Bayern war im Jahr 2006 nicht in der Lage, sein „Problem“ anders als mit der Tötung dieses in Deutschland „geschützten“ Tieres zu lösen. Der Wolf (Canis lupus) ist der bekannteste Vertreter der Gruppe der größeren Raubtiere in Europa. Wölfe sind Rudeltiere und als solche haben sie, abgesehen vom Menschen, keine natürlichen Feinde. Sie kommunizieren u. a. durch Heulen und brauchen sich in menschenleeren Gegenden kaum zu verstecken. Der Wolf wurde jahrhundertelang insbesondere in den „zivilisiertesten“ Teilen Europas verfolgt. Das letzte Exemplar wurde in Großbritannien 1743 und in Deutschland 1904 erlegt. In manch anderen Regionen Europas hat er nur durch ein relativ hohes Reproduktionspotential sowie durch seine Anpassungsfähigkeit überlebt. Noch heute haben die wenigen Tiere, die meist über Österreich, die Tschechische Republik oder Polen nach Deutschland einwandern, kaum eine Chance, hier heimisch zu werden, da sie, obwohl Wölfe in Deutschland nach dem Gesetz streng geschützt sind, oft erlegt werden. Der Luchs (Lynx lynx) ist die größte in Europa noch lebende Raubkatze. Anders als beispielsweise der Wolf lebt er meistens als Einzelgänger. Dadurch, trotz seiner Größe von bis zu 1,3 m, muss er sich und seine Nachkommen nicht nur vor dem Menschen, sondern auch vor Wölfen, Bären oder dem Vielfraß schützen. Diese Adaptation führt dazu, dass diese Tiere sehr scheu sind und von den Menschen kaum wahrgenommen werden. Trotzdem ist sein Aussterben in vielen Regionen von der Überjagung durch den Mensch verursacht worden. Eine Art, die in der letzten Eiszeit, aber auch in der letzten Warmzeit in Europa lebte und unter natürlichen Umständen in Europa noch heute leben würde, ist der Löwe (Panthera leo). Bis in die ersten Jahrhunderte nach Christus lebten Löwen noch auf dem Balkan (Becker 1986). Aus Griechenland und der Türkei sind Reste von Löwen aus der jüngeren Vorgeschichte bekannt (Nobis 2001; Uerpmann 2006). Löwen sind in Europa nicht nur durch den direkten Einfluss des Menschen zu Grunde gegangen. 244 Die Ausbreitung des Waldes, der Rückgang der offenen und halboffenen Steppe, der zahlenmäßige Rückgang oder sogar das Verschwinden mancher seiner Beutetiere wie Wisent und Pferd haben ihm als Räuber natürlich stark zugesetzt, aber auch hier gibt es keinen Zweifel, dass der Mensch eine wichtige Rolle bei seiner Dezimierung gespielt hat. Löwenjagd war immer, neben einer Notwendigkeit für Bauern und Viehzüchter, auch eine prestigeträchtige Aktivität, die in Europa mit den Römern sogar das Ausmaß einer Unterhaltungsindustrie erreichte. Auch die Hyäne (Crocuta crocuta) gehörte zur Fauna der offenen Regionen Europas. Die europäische Unterart war die Höhlenhyäne (Crocuta crocuta spelaea), die in Europa sowohl während der letzten Eis- wie auch während der letzten Warmzeit lebte. Sie verschwand aus Mitteleuropa in der Zeit um das zweite Kältemaximum. Wann sie aus Südeuropa und dem Vorderen Orient verschwand, ist unbekannt (Königswald 2002, 119). Heute lebt die Tüpfelhyäne (Crocuta crocuta) in weiten Teilen Afrikas, wo sie dank ihres hohen Anpassungsvermögens, ihres starken sozialen Verhaltens und ihrer relativ hohen Reproduktion außerordentlich erfolgreich ist. Es gibt keinen erkennbaren Grund, warum die Hyäne, die in Afrika durchaus auch an sehr trockene Regionen angepasst ist und in den offenen Landschaften südlich der Sahara vorkommt, nicht wieder nach Europa hätte einwandern können. Alternativ würde man mit der heutzutage zahlenmäßig selteneren Streifenhyäne (Hyaena hyaena) in Europa rechnen. Diese Art lebt in Nord- und Ostafrika, im Vorderen Orient, im Kaukasus und ist bis nach Indien verbreitet. Reste dieser Art wurden u. a. bei den Ausgrabungen in Troia entdeckt (Uerpmann 2006). Historische Betrachtung Aus dieser kurzen Auflistung der größeren Tiere Mitteleuropas wird deutlich, dass, bevor Tierarten aus Mitteleuropa verschwanden, ihr Ausbreitungsareal immer erst stark geschrumpft ist. Die Reduktion des Verbreitungsgebiets und das Aussterben scheinen nicht immer von den gleichen Faktoren beeinflusst worden zu sein. Bei zahlreichen Arten ist die starke Reduktion des Areals meistens vom Klima verursacht worden, was die sogenannte Klimahypothese unterstützt. Das eurasische Verbreitungsgebiet wärmeliebender Fauna schrumpfte während der Eiszeit, das von kälteliebender Fauna dagegen Jordi Serangeli während der Warmzeit. So konnten aus einer Art, die weit verbreitet war, nach klimatischen, natürlichen Ereignissen nur kleine „Restpopulationen“ übrig bleiben, die, wie Inseln im Ozean, keinen Kontakt zueinander hatten. Diese wenigen Vertreter einer Art waren entscheidend für das Überleben oder Aussterben. Diese „Inseln“ waren aufgrund der geringen Ausdehnung und der geringen Individuenzahl sehr gefährdet. Es scheint klar, dass, wenn ein zusätzlicher Faktor, wie zum Beispiel die Ankunft des Menschen, dazu führte, dass die räumliche Ausdehnung noch mehr begrenzt wird oder dass die kleine Population noch weiter reduziert wird, eine Restpopulation schnell verschwinden konnte. Dies wird als „Overkill-Hypothese“ bezeichnet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Mammut-Restpopulation auf der Wrangel-Insel, die erst Jahrtausende nach dem Ende der Eiszeit durch die Ankunft des Menschen zerstört wurde. Der entscheidende Einfluss des Menschen auf die Ausbreitungsgeschichte zahlreicher Tierarten in den letzten 200 Jahren ist ausführlich dokumentiert. Für vorgeschichtliche Zeiten ist zwar die Datenbasis unzureichend, aber es ist sicher kein Zufall, wenn zahlreiche Tierarten mit der Ankunft des anatomisch modernen Menschen nicht mehr nachweisbar sind. Bis jetzt scheint dagegen weder der Neandertaler noch der Homo erectus in Verdacht zu stehen, andere Tierarten „verdrängt“ oder „ausgelöscht“ zu haben. Und dies, obwohl beide in der Lage waren, ballistisch perfekte Speere herzustellen und in der Jagd auf Großsäuger zu verwenden, wie beispielsweise in Schöningen (Steguweit 1999; Thieme 1999). Dennoch wird in diesem Zeitraum der Rückzug oder das Aussterben von Tierarten eher als natürliche Folge von klimatischen Ereignissen gesehen. Ein Zusammenhang scheint dagegen zwischen der Ankunft des anatomisch modernen Menschen vor ca. 40.000 bis 35.000 Jahren und dem Aussterben von Tierarten zu bestehen, die aufgrund klimatischer Veränderungen selten geworden waren. Das ist der Fall für den Waldelefanten sowie für das Wald- und das Steppennashorn in Spanien, wo die letzten Populationen überlebt hatten, und für den Riesenhirsch und den Wisent in Süditalien (Serangeli 2006). Obwohl der letzte Beweis im juristischen Sinne nie erbracht werden kann, hat man den starken Verdacht, dass der Mensch in Europa schon damals eine Rolle zum Nachteil der ausgestorbenen Tierarten gespielt hat. Bei sehr großen Herbivoren, die keine natürlichen Feinde und eine sehr geringe Reproduktionsrate haben, reichen schon Was können wir aus der Steinzeit lernen? geringfügige anthropogen verursachte Veränderungen der Sterblichkeitsrate aus, um im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende verheerende Folgen nach sich zu ziehen. Der Verdacht, dass der Mensch schon während des Jungpaläolithikums (mit-)verantwortlich für das Aussterben der Megafauna in Südeuropa gewesen ist, wird verstärkt, wenn man den Blick nach Nordamerika, Südamerika oder nach Australien richtet, wo ebenfalls nach der Ankunft des Menschen zahlreiche Tierarten ausstarben (Barnosky et al. 2004). Das Aussterben von Elefanten und Nashörnern in ihren Rückzugsgebieten in Südeuropa kann als die erste von Menschen verursachte, folgenreiche Einwirkung auf seine Umwelt in Europa betrachtet werden. Diese Tiere fehlten dann am Beginn des Holozäns, um Mitteleuropa wieder zu besiedeln. Da die Siedlungsstrategie des Menschen noch zusätzlich natürliche Wanderungen zwischen Regionen verhinderte oder zumindest erschwerte (s. oben sowie Serangeli 2008), konnten auch verwandte Tiere von anderen Kontinenten nicht mehr bis Mitteleuropa vordringen. Aber gerade Elefanten und Nashörner prägen als Megafauna in ihren heutigen Verbreitungsgebieten durch das Zertrampeln und Zerstören von höherwüchsiger Vegetation ihre Umwelt sehr stark. Dort wo sie zahlreich sind, entstehen oder vergrößern sich baumlose Areale, die wiederum andere Tiere besiedeln können. Das von Menschen verursachte Fehlen von Megafauna in Europa führte dazu, dass der Wald sich im Holozän ungehindert und schnell ausbreiten konnte, dass offene Areale nur im hohen Gebirge zu finden waren und dass Tierarten wie Pferde und Wisente, die offene Landschaften bevorzugen, verdrängt wurden. Obwohl also die Wiederbewaldung Europas im Holozän klimatisch bedingt war, unterlag diese schon menschlichen Einflüssen. Eine natürliche Faunenwelt in Europa Richtet man den Blick in die weit entfernte Vergangenheit, bietet die Fundstelle Schöningen mit ihren einmaligen Erhaltungsbedingungen und stratigraphischen Abfolgen einen spannenden Vergleich zu unserer heutigen Warmzeit. Am Ufer eines Sees mit verschiedenen Verlandungsfolgen sind Reste von Elefanten (Mammuthus trogontherii), Nashörnern (Dicerorhinus kirchbergensis), Rindern (sowohl Bison als auch Bos), Pferden (Equus mosbachiensis), Hirschen 245 (Cervus und Capreolus) und, seltener, Wildschweinen (Sus scrofa) entdeckt worden. Unter den Raubtieren sind Bären (Ursus spelaeus sowie eine kleinere Bärenart), Wölfe (Canis lupus), Füchse (Vulpes vulpes) und Hyänen vertreten (Kolfschoten et al. 2007, 76–86). Außer der starken Zunahme der Weltbevölkerung und ihren Folgen gibt es keine gravierenden Unterschiede zwischen der heutigen Warmzeit (Holozän) und der vergangenen Warmzeiten, insbesondere dem Holstein-, oder dem Eeminterglazial. Die Pflanzenwelt und insbesondere die Bäume sind die gleichen, die es noch heute in Europa gibt (s. dazu Urban 2007). Also sollten in einer natürlichen Umwelt in Mitteleuropa ebenfalls Elefanten, Nashörner, Wisente, Auerochsen, Pferde, Hirsche, Wildschweine, Bären, Wölfe, Füchse und Hyänen leben können, wie sie für Schöningen nachgewiesen wurden. Dazu käme auch der Löwe, der, wie schon erwähnt, in Europa durchgehend bis ins 1. Jh. n. Chr. vertreten war. Nachts könnte man noch heute, so wie vor Hunderttausenden von Jahren, brüllende Löwen, heulende Wölfe, brummende Bären, kichernde Hyänen, wiehernde und stampfende Pferde, trompetende Elefanten, muhende Rinder und röhrende Hirsche hören. Diese Welt erscheint uns heute exotisch, wenn nicht sogar fantastisch, sie war aber hier bei uns Realität und die Erforschung der Steinzeit lehrt uns, dass sie in begrenzten Regionen auch wieder Realität werden könnte; klimatisch wäre es kein Problem. Das würde aber bedeuten, dass ein politischer Wille und eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung dahinter stehen sollte, die weit über die Bereitschaft geht, ein Paar Euro für die Rettung bedrohter Tierarten in entfernten Kontinenten zu spenden. Bibliographie Barnosky, A., Koch, P., Feranec, R. S., Wing, S. L., Shabel, A., 2004. Assessing the Causes of Late Pleistocene Extinctions on the Continents. Science 306, No. 5693, 70–75. Becker, C. 1986. Kastanas. Die Tierknochenfunde. Prähistorische Archäologie in Südosteuropa 5. Berlin. Bunzel-Drüke, M., 2000. Artenschwund durch Eiszeitjäger? In: Bayrische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft: Großtiere als Landschaftsgestalter – Wunsch oder Wirklichkeit? Berichte aus der LWF 27, Freising. Feldmann, L., 2002. Das Quartär zwischen Harz und Allertal. Habilitationsschrift an der Technischen Universität Clausthal, Clausthal-Zellerfeld. 246 Gore, A. A., 2006. Eine unbequeme Wahrheit. 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Radiocarbon dating evidence for mammoths on Wrangel Island, Arctic Ocean, until 2000 BC. Radiocarbon 37, 1–6. Dr. Jordi Serangeli Universität Tübingen Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie Schloss Hohentübingen Burgsteige 11 D–72070 Tübingen und Forschungsstelle Schöningen Neue Straße 29 D–38444 Wolfsburg [email protected]