Transcript

Ja h rb u ch fü r N u m i s m a ti k u n d G el dg esch i ch te 66, 2016 Elke Krengel (Berlin) Orphik in Pergamon: Die Bedeutung des Schlangenpaares auf den Cistophoren und römischen Prägungen1 (24 Abbildungen) So bekannt uns die Cistophoren des pergamenischen Reiches auch sind, der Anlass ihrer Einführung und die Bedeutung ihrer Ikonographie sind noch immer umstritten. Das hauptsächliche Augenmerk der Forschung lag in den letzten sechzig Jahren vor allen Dingen auf der Klärung der Datierungsfrage, wodurch die Interpretation der eigentümlichen Ikonographie der Münzen in den Hintergrund geriet. Die hier vorgestellte neue Deutung der Münzbilder liefert neben anderem durchaus ein neues Argument für den späten Datierungsansatz der Cistophoren. Entgegen häufig geäußerter Auffassung propagierte der neue Münztyp des pergamenischen Reiches keine dynastische, sondern, wie schon früh in der Forschung vermutet, eine dezidiert religiöse Botschaft. Allerdings wurde diese noch offener zum Ausdruck gebracht, als man es sich vor knapp dreihundert Jahren vorstellen konnte. In der ersten Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. wurde von Eumenes II. im pergamenischen Reich eine Silberwährung eingeführt, die nicht nur gewichtsmäßig, sondern auch vom Bildprogramm her aus dem Rahmen der gängigen Prägungen fällt. Beide Münzseiten werden nicht von den üblichen hellenistischen Herrscher- und Götterdarstellungen eingenommen, sondern von einer Kombination aus Symbolen, deren Aussagekraft heutzutage nicht leicht zu entschlüsseln ist, jedoch damals mit Sicherheit vom Betrachter verstanden werden konnte. „Jedes einzelne Motiv […] ist Träger einer spezifischen Bedeutung, die für das antike, in der Dechiffrierung numismatischer Botschaften trainierte Publikum unmittelbar ablesbar war, für uns jedoch erst durch die Einordnung in die Zusammenhänge der Tradition und geistigen Umwelt verständlich wird“, stellte schon D. Mannsperger in seinem vielzitierten Aufsatz über die Cistophoren Marc Antons und Octavians treffend fest. Auf den ersten Blick fällt bereits ins Auge, dass es auf diesem Münztypus vor Schlangen nur so wimmelt. Auf dem Avers der hellenistischen Cistopho Herzlich danke ich Matthias Barth sowie Wolfgang Fischer-Bossert für die Durchsicht des Manuskriptes, Perikles Mastrangelis für die Übersetzungskorrektur aus dem Griechischen und Wolfgang Etterich, Thomas Ganschow, William E. Metcalf und Bernhard Weisser für ihre freundliche Unterstützung und ihre Hinweise. 1 2 El ke K ren g el ren befindet sich, umgeben von einem Efeukranz mit Fruchtdolden, ein geflochtener Korb mit halb geöffnetem Deckel, aus dem eine Schlange kriecht und zu Boden gleitet. Auf dem Revers sind zwei Schlangen abgebildet, die sich um eine Bogentasche, aus der ein Bogen ragt, winden. Im Feld um diese Darstellung herum ist meist auf der linken Seite abgekürzt der Prägeort und auf der rechten Seite ein Symbol für den verantwortlichen Beamten wiedergegeben (Abb. 1).2 Mehr als elf Städte haben sich namentlich an der Prägung dieser Binnenwährung des pergamenischen Reiches beteiligt.3 Bisherige Deutungen der Ikonographie Die erste ausführliche Abhandlung über die Cistophoren verfasste bereits 1734 A. X. Panel. Er brachte diesen Münztypus mit den Münzen in Verbindung, die von Cicero und Livius als Cistophoren bezeichnet wurden.4 Cistophoren wurden, wie er wusste, von den Griechen auch die Träger der Cista mystica, des heiligen Korbes, in Festumzügen genannt und die Cistae mysticae wurden im Dionysos-, Demeter- und Persephonekult verwendet. Im Zusammenhang mit dem Efeukranz und den Schlangen, die eine besondere Rolle in dionysischen Umzügen spielten, deutete die Cista mystica auf den Cistophoren für ihn eindeutig auf die bacchischen Mysterien hin.5 Da die Festspiele für Dionysos in Asien laut Cicero Sabazia hießen, deren Existenz durch einige in Kleinasien gefundene Inschriften für den Gott Sabazios bestätigt wird, ging Panel davon aus, dass der Anlass für die Prägung der Cistophoren die vermutlich jährlichen Festspiele zu Ehren des Gottes waren.6 Antiken Zeugnissen entnahm Panel, dass dieser Gott in literarischen Quellen als Dionysos, in epigraphischen als Zeus bezeichnet wurde.7 Diodor berichte von einem alten Mythos, es habe vor langer Zeit einen anderen als den üblichen Dionysos gegeben, der von Zeus und Persephone gezeugt worden sei und 2  Abb. 1: Cistophor, Pergamon, circa 160–150 v. Chr., Kleiner – Noe 1977, Series 11a, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich eine Schlange nach links windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: Zwei sich um eine Bogentasche windende und in einem Knoten miteinander verbundene, aufgerichtete Schlangen, im Feld links Monogramm ΠΕΡ, im Feld rechts Fackel. 3  Pergamon, Sardeis, Ephesos, Tralleis, Laodikeia, Apameia, Synnada, Thyateira, Apollonis, Stratonikeia, Adramytteion und einige weniger sicher identifizierte Orte: Marcellesi 2012, S. 118 ff.; zur Binnenwährung: Meadows 2013, S. 149–205, bes. S. 149 ff. 4  Panel 1734, S. 8 f.; Cic. Att. 2, 6, 2; 2, 16, 4; 11, 1, 2; Cic. dom. 52; Liv. 37, 46, 3; 37, 58, 4; 37, 59, 4–5; 39, 7, 1; Fest. 4921. 5  Panel 1734, S. 13–18. 6  Panel 1734, S. 38 f.; Cic. nat. deor. 3, 58. 7  Als Belege für die Gleichsetzung mit Zeus gibt Panel 1734, S. 34 f. mehrere Inschriftentexte aus Kleinasien wieder. O r phik in Per g a m o n 3 Saba­zios genannt wurde.8 Seine Angaben werden ergänzt durch Informationen von Arnobius, zuvor habe Zeus bereits in der Gestalt eines Stieres seine eigene Mutter Demeter vergewaltigt, bevor er die Tochter aus dieser Vereinigung, Persephone, in Gestalt einer Schlange verführte. Bei der Einweihung in den Sabazioskult würde den Initianten als Symbol des Zeus eine goldene Schlange in den Gewandbausch geleitet und am Boden wieder herausgenommen werden.9 Der heidnische Mythos wie auch die Kultpraktiken wurden sowohl von den Kirchenhistorikern als auch dem Jesuiten Panel mit Abscheu wiedergegeben. Umso erstaunlicher ist es, wie präzise Panel recherchierte und die Schlangendarstellungen der Cistophoren auf den Sabazioskult beziehen konnte, ohne dass er die erst 1880 in Pergamon gefundene Inschrift kannte, die belegt, dass der Sabazioskult unter Attalos III. tatsächlich den Rang eines Staatskultes innehatte.10 J. H. Eckhel übernahm die Interpretation Panels, stellte aber richtig, dass die Cistophoren nicht ausschließlich Festprägungen zu den jährlichen Saba­ ziosfeiern gewesen seien, sondern den regulären Geldbedarf gedeckt hätten.11 M. E. Pinder sah die Köcher- und Bogenform auf dem Münzrevers als skythisch und für Herakles typisch an, zumal auch auf den Halb- und Viertelstücken der Cistophoren auf dem Revers die Symbole des Gottes, Keule und Löwenfell erscheinen (Abb. 2).12 Was die Koppelung von dionysischen und herakleischen Motiven auf den jeweiligen Münzseiten betraf, vermutete er, dass Herakles in den bacchischen Mysterien integriert gewesen sei. Vor allem aber erkannte Pinder, dass die sich um den Köcher windenden Schlangen, die an ihren Enden eng miteinander verbunden sind, ein Paar darstellen sollen, wobei die linke Schlange, die allgemein größer und stets mit einer zusätzlichen Halswindung dargestellt ist, das männliche Tier und die rechte Schlange der weibliche Part sei. Zu diesem Schluss kam er, da er ein ähnliches ebenfalls in einem Knoten verbundenes Schlangenpaar auf alexandrinischen Tetra­drachmen aus Hadrians zehntem Regierungsjahr entdeckte, die linke Schlange in ihren Windungen den Schlangenstab des Hermes und die rechte das Sistrum der Isis haltend (Abb. 3).13  Diod. 4, 4, 1.  Arnob. nat. 5, 20–21; Clem. Al. protr. 2, 15–16; nur zum Ritus: Firm. 10. 10  Lane, CCIS II, S. 12 Nr. 27. 11  J. H. Eckhel, Doctrina nvmorvm vetervm, Bd. I 4, Wien 1794, S. 364–366. 12  Pinder 1856, S. 537. Abb. 2: Didrachme, Ephesos, circa 166–160 v. Chr., Kleiner – Noe 1977, Series 5, Vs.: Löwenfell über Keule hängend, das Ganze in einem Kranz. Rs.: Weintraube auf Weinblatt, im Feld rechts ΕΦΕ. 13  Pinder 1856, S. 536. Abb. 3: G. Dattari, Numi Augg. Alexandrini, Kairo 1901, Nr. 1552: Tetradrachme, Alexandrien, Vs.: AVT KAIC TPAIANOC AΔΡΙΑΝΟC CΕΒ; Büste Kaiser Hadrians nach rechts. Rs.: L ΔΕΚΑΤΟV (Jahr 10 = 125/126 n. Chr.); Agathodaimonschlange mit Skhent-Krone nach rechts, in den Windungen einen Caduceus haltend, gegenüber Uraeusschlange mit Isiskrone nach links, in den Windungen ein Sistrum haltend, beide Schlangen mittig mit ihren Schwänzen in einem Knoten verbunden, darüber Keule. 8 9 4 El ke K ren g el Der Frage nach der Bedeutung des Schlangenpaares auf den Cistophorenreversen wurde in der darauf folgenden Forschung kaum noch nachgegangen. Das mag auch daran liegen, dass seit 1915 die Bedeutung der Cistophorensymbolik durch G. van Hoorn endgültig geklärt zu sein schien.14 Nach van Hoorn könnten die Cistophoren nicht mit dem Sabazioskult in Verbindung gebracht werden, da sie laut Livius bereits vor 190 v. Chr. existiert haben sollen, der Kult des Sabazios jedoch in Kleinasien jünger sei. Stattdessen seien die Münzseiten der Cistophoren den beiden Ahnherrn der Attaliden, der Avers dem Dionysos und der Revers dem Herakles, gewidmet. Wie am Telephosfries des Großen Altars in Pergamon zu sehen sei, habe der Legende nach der Sohn des Herakles in Vorzeiten Pergamon gegründet. Die Herleitung von Dionysos als dem zweiten Ahnherrn rührt aus einem viel zitierten Aufsatz von H. v. Prott aus dem Jahr 1902 her.15 Anhand zweier Orakelsprüche, die Attalos I. als „Sohn des Stieres“ und als „stiergehörnt“ preisen und der schon oben erwähnten pergamenischen Inschrift aus dem Jahr 135/134 v. Chr., die u. a. davon berichtet, dass ein Verwandter des Königshauses die Priesterwürde des Dionysos Kathegemon auf Lebenszeit verliehen bekam, schloss v. Prott, dass Dionysos Kathegemon der Gott des Familienkultes bzw. Stammvater der Attaliden sei. Allerdings wurde demselben Verwandten in Personalunion auch die Priesterwürde des Sabazioskultes übertragen, worauf später noch näher eingegangen werden soll. Die Schlussfolgerung v. Protts wurde in der Forschung aufgrund der schwachen Beweislage schon früh angezweifelt und gilt inzwischen als überholt.16 Als weiteres Argument gegen die These kann angeführt werden, dass Darstellungen von Dionysos, die man bei einem Stammvater auf den Münzen Pergamons erwarten würde, in der attalidischen Münzprägung vollkommen fehlen.17 V. Protts These hielt dennoch Einzug in die gängigen Handbücher und wurde als dynastische Erklärung für die Ikonographie der Cistophoren auch von Numismatikern übernommen, so zum Beispiel von S. P. Noe bzw. von F. S. Kleiner und S. P. Noe in ihrer Monographie über die frühe Cistophorenprägung, ferner von O. Mørkholm und zuletzt W. Szaivert.18 Religionswissenschaftler und Historiker dagegen sahen  G. van Hoorn, De origine Cistophorum, Mnemosyne 43, 1915, S. 233–237.  H. v. Prott, Dionysos Kathegemon, AM 27, 1902, S. 16–188. 16  Der Beiname Kathegemon, der „Anführer“, wurde von v. Prott mit paralleler Bedeutung zu Archegos oder Archegetes, dem Beinamen Apollons für die Seleukidendynastie, als „Stammvater“ und nur zweitrangig in der Bedeutung als „Anführer des bacchischen Schwarms“ angesehen. Dagegen: L. Robert, Études anatoliennes, Paris 1937 (Études orientales 5), S. 25 f.; H. Müller, Ein neues hellenistisches Weihepigramm aus Pergamon, Chiron 19, 1989, S. 539– 553, bes. S. 541 ff.; zuletzt Michels 2011, S. 114–140, bes. S. 131 ff.; Marcellesi 2012, S. 146. 17  Schon Ohlemutz 1940, S. 119 fand bemerkenswert, „daß auf den Münzen der Königszeit niemals das Bild des Dionysos erscheint, sondern immer nur seine Symbole“. 18  Noe 1950, S. 29–41, bes. S. 32; Kleiner – Noe 1977, S. 13; O. Mørkholm, Early Hellenistic Coinage. From the Accession of Alexander to the Peace of Apamea (336–188 B.C.), Cambridge 1991, S. 172; Szaivert 2008, S. 29–43. 14 15 O r phik in Per g a m o n 5 in den Schlangendarstellungen der Cistophoren weiterhin einen Hinweis auf den Sabazioskult.19 Eine originelle, allerdings nicht zu haltende Erklärung der Vorderseitendarstellung der Cista mystica publizierte 1998 E. Kosmetatou.20 Für Kosmetatou stellt die abgebildete Cista den Korb dar, in dem Athena ihren heimlichen Adoptivsohn Erichthonios im Schutz von je nach Überlieferung ein oder zwei Schlangen verborgen hielt. Der Avers würde den Moment zeigen, als die neugierigen Töchter des Athener Königs Kekrops, die über den Korb wachen sollten, jenen trotz Verbots öffneten und den für sie tödlichen Inhalt entdeckten. Mit diesem Symbol wollte man Athena, eine der Hauptgottheiten der Attaliden, die schon auf dem Revers der pergamenischen Porträttetradrachmen abgebildet war, auch auf den neuen Geldstücken ehren. Abgesehen davon, dass bisher keine Belege für eine Verehrung des Erichthonios in Pergamon gefunden wurden, wird die These Kosmetatous durch den Efeukranz widerlegt, der den Korb umgibt und ihn dadurch in einen dionysischen Kontext stellt. Diesen Widerspruch versucht Kosmetatou damit zu erklären, dass die Attaliden auf der Münzvorderseite nicht nur auf Athena, sondern mithilfe des Kranzes zugleich auch auf den (angeblichen) attalidischen Stammvater Dionysos Kathegemon verweisen wollten, während der Revers dem Ahnherrn Herakles gewidmet sei. Wäre jedoch mit der Cista auf dem Cistophor tatsächlich der Korb des Erichthonios gemeint, dann hätte man meines Erachtens diesen mit einem Olivenkranz umgeben, um den Bezug zu Athena zu verdeutlichen und eine Verwechslung mit der Cista des Dionysos zu vermeiden.21 Die Bedeutung des Schlangenpaares Der Schlüssel zum inhaltlichen Verständnis der Reversdarstellung und damit der gesamten Münze ist nicht die Deutung der Bogentasche, sondern die Interpretation der beiden Schlangen. Abgesehen von Pinder, der als einziger erkannte, dass es sich hier um eine männliche und eine weibliche Schlange, also ein Paar, handeln müsse, schenkten spätere Autoren dieser Beobachtung keine Beachtung mehr. Die Schlangen wurden lediglich als Beiwerk zur Bogentasche des Herakles angesehen. Sie würden diese nach Noes Meinung  T. Eisele, Sabazios, in: W. H. Roscher (Hrsg.), Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. IV, Leipzig 1909–1915, Sp. 232–264, bes. Sp. 236 f.; Nilsson 1950, S. 163 Anm. 5; D. Kienast, Rezension zu Kleiner – Noe 1977, Gnomon 51, 1979, S. 452–456, bes. S. 454. 20  Kosmetatou 1998, S. 11–19. 21  Eine Vielzahl von Beispielen zeigt, dass sich ein Kranz als Randbegrenzung inhaltlich nicht von dem Münzbild absetzt, das er umgibt, sondern als Erweiterung des Innenbildes aufzufassen ist. In der Regel gehören Olivenkränze zum Bereich der Athena, Ährenkränze zum Bereich der Demeter usw. 19 6 El ke K ren g el beschützen oder, wie Szaivert annahm, an die Taten des kindlichen Herakles erinnern, der zwei von Hera entsandte Schlangen, die das Kind verschlingen sollten, erwürgte.22 Szaivert führt dafür als Beispiel den die Schlangen erwürgenden Herakles auf den „SYN“-Prägungen von Samos an. Allerdings ist in diesem Fall durch die Abbildung der gesamten mythischen Szene der Bezug zu Herakles unmissverständlich klargemacht worden. Zudem werden auf den Cistophoren die Schlangen nicht wie das über der Keule hängende Löwenfell auf den Unternominalen als getötete Trophäen präsentiert, sondern als quicklebendig. Vor allem ist es schwer vorstellbar, dass die neuen Reichsmünzen nicht mit dem pergamenischen Ahnherrn selbst, sondern mit seinen Todfeinden geschmückt sein sollen. Dass die Bogentasche nicht das Hauptmotiv der Rückseite darstellt, sondern das Schlangenpaar, wird angesichts der Cistophoren deutlich, auf denen statt der Bogentasche andere Motive zwischen den Schlangen zu sehen sind, wie Dreifuss, Rundtempel und Standarte auf den Cistophoren der römischen Statthalter ab 58 v. Chr., Zeus Kretagenes auf einem Cistophor aus Kreta (Abb. 8-10) sowie die sich ursprünglich auf der Vorderseite befindende Cista mystica auf den Prägungen unter Marc Anton und Octavian. Das Schlangenpaar sollte folglich losgelöst vom Beiwerk als eigenständiges Bildmotiv angesehen werden. Auf sämtlichen Cistophoren wird das Paar ausnahmslos in derselben Position wiedergegeben. Jede der beiden Schlangen bildet mit dem Schwanzende eine Schlaufe, die mit der Schlaufe der jeweils anderen Schlange verbunden ist. Der so gebildete Knoten ist auf allen Prägungen deutlich zu erkennen und befindet sich grundsätzlich auf der Bildachse im Vordergrund des Münzbildes. Was sollte mit dieser stets gleichartigen Darstellung ausgedrückt werden? Nun sind Schlangen von Natur aus Einzelgänger, die lediglich zur Paarungszeit im Frühjahr bereit sind, Körperkontakt zu ihren Artgenossen aufnehmen. Dann umschlingen sie sich, entweder in vielen Windungen in einem Ritualkampf zweier rivalisierender Männchen oder bei der Paarung selbst, indem das Männchen seinen Schwanz, der ungefähr ab dem letzten Fünftel des gesamten Schlangenkörpers beginnt, um den Schwanz des Weibchens legt (Abb. 4).23 Letztere Position ist exakt auf den Cistophoren wiedergege Noe 1950, S. 32; Szaivert 2008, S. 29 f.; zum Schlangen würgenden Herakles: Pind. N. 1, 33 ff.; Theokr. epigr. 24. 23  Im Frühjahr von April bis Mai paaren sich die Schlangen, nachdem sie aus dem Winterschlaf erwacht sind und ihre Erd- oder Baumhöhlen verlassen haben. An der Pheromonabgabe und dem heftigen Züngeln erkennt das Männchen ein paarungsbereites Weibchen. Es legt seine Kopfunterseite auf den Rücken des Weibchens und kriecht langsam vorwärts, indem es den Windungen des Weibchens folgt. Wenn sich die Köpfe auf gleicher Höhe befinden, windet das Männchen seinen Schwanz um den Schwanz des weiblichen Tieres, um die Geschlechtsorgane übereinander zu legen. Diese befinden sich vor dem Beginn des eigentlichen Schlangenschwanzes. In dieser Position verharren die Tiere fast bewegungslos, je nach Art 22 O r phik in Per g a m o n 7 ben. Auf manchen Münzstempeln wird die Bildaussage einer Paarung noch stärker verdeutlicht, indem die Schlangen mit den Zungen Kontakt aufnehmen, um ihre Pheromone wahrzunehmen, oder die Unterseiten ihrer Köpfe aneinanderlegen (Abb. 5–6).24 Weiter ist zu beobachten, dass die Reptilien auf den Cistophoren mit einem Bart ausgestattet sind, den es in natura gar nicht gibt und durch den nach Ansicht J. E. Harrisons die anthropomorphe Göttlichkeit der Schlangen zum Ausdruck gebracht werden sollte.25 Als Bartschlangen wurden zum Beispiel Zeus Ktesios, Zeus Meilichios und Agathodaimon dargestellt.26 Mit den Bartschlangen auf den Cistophoren ist eindeutig die Vereinigung eines göttlichen Paares in Schlangenmetamorphose abgebildet. Anders als auf der unter Hadrian geprägten alexandrinischen Tetradrachme sind die Schlangen jedoch nicht bekrönt und ihre göttliche Identität ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Wer ist dieses göttliche Paar? Auf der Suche nach einem literarischen Beleg für die Vereinigung eines Götterpaares in Schlangengestalt findet man folgende Version der mythischen Zeugung Persephones von dem christlichen Apologeten Athenagoras aus dem 2. Jh. n. Chr.:27 „Da seine Mutter Rhea die Hochzeit, die er (Zeus) zwischen zehn Minuten und zwei Tagen, meist ein bis zwei Stunden lang. Dabei müssen die restlichen Körperpartien nicht unbedingt ebenfalls eng beieinander liegen: H. Saint-Girons, Fortpflanzung und Entwicklung, in: R. Bauchot (Hrsg.), Schlangen: Evolution, Anatomie, Physiologie, Ökologie und Verbreitung, Verhalten, Bedrohung und Gefährdung, Haltung und Pflege, Augsburg 1994, S. 92-96. Abb. 4: Paarung zweier Prärieklapperschlangen. 24  Abb. 5: Cistophor, Ephesos, circa 150–140 v. Chr., Kleiner – Noe 1977, Series 28, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich eine Schlange nach links windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: Zwei sich um eine Bogentasche windende und in einem Knoten miteinander verbundene, aufgerichtete Schlangen, im Feld links Biene, darunter EΦE, im Feld rechts Schlange auf Cista mystica. Abb. 6: Cistophor, Ephesos, circa 160–150 v. Chr., Kleiner – Noe 1977, Series 12, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich eine Schlange nach links windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: Zwei sich um eine Bogentasche windende und in einem Knoten miteinander verbundene, aufgerichtete Schlangen, im Feld links EΦE, im Feld rechts Hirschprotome. 25  J. E. Harrison, Prolegomena to the Study of Greek Religion, Cambridge 1903, S. 327. Dagegen argumentiert Küster 1913, S. 76 Anm. 2, bei den meisten Schlangendarstellungen sei der Bart ebenso wie der Kamm nur aus dem Grund hinzugefügt worden, um die schreckenerregende dämonische Natur des Tieres zu verstärken. In späterer Zeit könnte der Bart jedoch die Schlange durchweg als männlich gekennzeichnet haben. Die anhand der Cistophoren gewonnenen Erkenntnisse bestätigen jedoch Harrison und sprechen gegen Küsters Annahme. Für fachlichen Rat danke ich an dieser Stelle herzlich F. J. Obst, ehemals Professor am Museum für Tierkunde der Staatlichen Naturhistorischen Sammlungen in Dresden und Schlangenexperte. 26  A. B. Cook, Zeus. A Study in Ancient Religion, Bd. II 2, Cambridge 1925, S. 1055-1068 (Zeus Ktesios), S. 1091-1160 (Zeus Meilichios); F. Dunand, Agathodaimon, LIMC I 1, Zürich / München 1981, S. 277-282. 27  Athenag. suppl. 20, 3: ... ὅτι τὴν μητέρα ‘Ρέαν ἀπαγορεύουσαν αὐτοῦ τὸν γάμον ἐδίωκε, δρακαίνης δ’ αὐτῆς γενομένης καὶ αὐτὸς εἰς δράκοντα μεταβαλὼν συνδήσας αὐτὴν τῷ καλουμένῳ Ἡρακλειωτικῷ ἅμματι ἐμίγη (τοῦ σχήματος τῆς μίξεως σύμβολον ἡ τοῦ Ἑρμοῦ ῥάβδος), εἶθ’ ὅτι 8 El ke K ren g el halten wollte, verbot, verfolgte er sie. Nachdem sie sich in eine Schlange verwandelte, tat er das gleiche, und sie mit dem sogenannten Herakleotischen Knoten umschlingend, vereinigte er sich mit ihr. Das Zeichen dieser Form der Vereinigung ist der Stab des Hermes. Nachher vereinigte er sich mit der Tochter Persephone (der Tochter der Rhea und des Zeus), indem er auch sie in Schlangengestalt vergewaltigte. Sie gebar ihm Dionysos.“ Dieser Mythos ist eine Variante des schon eingangs erwähnten, von den Kirchenschriftstellern Arnobius und Clemens Alexandrinus überlieferten Mythos, der im Zusammenhang mit dem Sabazioskult das inzestuöse Verhältnis von Zeus mit seiner eigenen Mutter Demeter sowie mit der gemeinsamen Tochter Persephone beschreibt.28 Der Unterschied liegt lediglich in der Tiergestalt, in die sich die Götter dabei jeweils verwandelten: In der ersten Variante paarte sich Zeus mit Demeter in Gestalt eines Stieres und mit Persephone in Gestalt einer Schlange, während beide Göttinnen ihre Menschengestalt beibehielten. Das Kind aus der Verbindung mit Persephone, Dionysos, nahm wiederum eine Stiergestalt an. In der von Athenagoras wiedergegebenen Version vereinigten sich zuerst Zeus und Rhea, die auch Demeter genannt wurde, als Schlangenpaar, später vergewaltigte Zeus in Schlangengestalt die gehörnte und zweigesichtige Tochter Persephone. Der von Athenagoras wiedergegebene Mythos fußt auf einer dem Hieronymos und Hellanikos zugeschriebenen Version der orphischen Theogonie.29 Sie wurde in Schriften überliefert, in denen der thrakische Sänger Orpheus als Urheber einer Weltentstehungslehre angesehen wurde, die noch vor den Kosmogonien Hesiods und Homers entstanden sein soll. Rekonstruieren lässt sich die orphische Theogonie mithilfe verstreuter Nachrichten bei klassischen griechischen Autoren Athens des 5. und 4. Jhs. v. Chr., von Hymnen auf Papyrosfragmenten, Auseinandersetzungen christlicher Schriftsteller wie zum Beispiel des Athenagoras mit den heidnischen Religionen und neuplatonistischen Schriften.30 Die orphische Theogonie ähnelt im Ganzen derjenigen Hesiods oder Homers, weist aber einige entscheidende Unterschiede auf. Um zuerst einmal nur die für unser Thema wesentlichen aufzuzeigen, bestehen sie unter anderem darin, dass Zeus nicht mit Demeter, sondern mit seiner eigenen Mutter Rhea, die später Demeter wurde, seine Tochter Persephone zeugte und nicht Φερσεφόνῃ τῇ θυγατρὶ ἐμίγη βιασάμενος καὶ ταύτην ἐν δράκοντος σχήματι, ἐξ ἧς παῖς Διόνυσος αὐτῷ; Text nach Kern 1922, Fragm. 58, Übersetzung: Kerényi 1994, S. 81.  Arnob. 5, 20-21; Clem. Al. protr. 2, 15-16.  West 1983, S. 179–190. 30  Quellensammlung der orphischen Schriften: Kern 1922; Orphei Hymni. Einführung: Guthrie 1935/1966. Grundlegender Kommentar zu den orphischen Schriften und der Theogonie: West 1983. Zum Hinweis, dass Rhea nach der Geburt des Zeus Demeter genannt wurde, vgl. Kern 1922, Fragm. 145; ebenso und zur Gestalt der Persephone: Athenag. suppl. 20, 2. 28 29 O r phik in Per g a m o n 9 mit der sterblichen Semele, sondern mit Persephone auf Kreta seinen Sohn Dionysos. Nach der Geburt wurde Dionysos von der Amme Hipta in einer geflochtenen, von einer Schlange umwundenen Getreideschwinge, dem Liknon, zur Göttermutter auf das kretische Idagebirge getragen. Dort, bewacht von Kureten, setzte ihn Zeus auf den Thron und erklärte ihn zum neuen und sechsten Götterkönig (nach Phanes, Nyx, Uranos, Kronos und Zeus). Aber die Titanen, angestachelt von der Eifersucht Heras, lockten das Kind mit Spielzeug an, zerrissen es daraufhin, kochten und rösteten sein Fleisch und aßen es auf. Athena konnte sein Herz, das noch schlug, retten und es in einem Korb zu Zeus bringen, der aus dem Herz einen neuen Dionysos schuf. Die Titanen jedoch verbrannte Zeus mit seinem Blitzbündel. Aus ihrem Ruß formte er die Menschen und Tiere, deren Körper zwar sterblich, aber deren Seelen unsterblich sind. Nach 300 Jahren im Jenseits werden die Seelen in einem neuen Körper wiedergeboren. Dionysos und Persephone wurden von Zeus dazu berufen, der Menschheit dabei zu helfen, Erlösung von der Wiedergeburt zu erlangen. Dafür ordnete Zeus bestimmte Reinigungszeremonien an, die von Kreta ausgingen.31 Eine ägyptische Bronzestatuette zweier Schlangen mit menschlichen Kö­p­ fen, laut Autorenangabe Isis und Osiris darstellend, zeigt zur Verdeutlichung des Paarungsaktes genau den Knoten des Herakles, den Athenagoras erwähnt (Abb. 7).32 Die Vereinigung des Schlangenpaares auf den Cistophoren wurde allerdings nicht artifiziell mit einem Heraklesknoten, sondern mit einfachen Schlaufen naturalistischer dargestellt. Dennoch wurde mit Sicherheit die Bildaussage von antiken Zeitgenossen anders als von heutigen Menschen verstanden: Auf dem Revers der Cistophoren ist eine heilige Götterhochzeit abgebildet. Bezieht man das dionysische Element des Efeukranzes auf dem Avers in die Betrachtung mit ein, ist unmissverständlich klar, dass es sich bei dem Paar einzig um Zeus und Demeter, gemäß orphischer Überlieferung die Eltern der Persephone und zugleich Großeltern des Dionysos, handeln kann. Die Hintergrundbilder des Schlangenpaares Das Schlangenpaar ist das Hauptmotiv und die entscheidende Aussage der Reversdarstellung. Wie schon erwähnt, konnte das Motiv zwischen den Schlangen in römischer Zeit offenbar problemlos ausgewechselt werden, ohne dass die hauptsächliche Bildaussage darunter gelitten hätte, sofern man nicht unterstellen möchte, dass in römischer Zeit die semiotische Bedeutung der Cistophoren nicht mehr verstanden und geistlos kopiert und variiert 31  Rekonstruktion der orphischen Urfassung der Theogonie mit Quellenangaben: West 1983, S. 70-75. 32  Abb. 7: J. Leipoldt - W. Grundmann (Hrsg.), Umwelt des Urchristentums, Bd. III: Bilder zum neutestamentlichen Zeitalter, Berlin 1966, Abb. 266. 10 El ke K ren g el worden wäre. Angesichts des von dem Köchermotiv losgelösten Motivs des Schlangenpaares auf den Prägungen des Marc Anton und des Augustus sowie auf der Reichsprägung unter Vespasian, auf die später noch näher eingegangen wird, stellt sich jedoch heraus, dass dies durchaus nicht der Fall war. Die Bedeutung des Schlangenpaares wurde verstanden und gezielt für die römische Propaganda eingesetzt. Von den acht Prokuratoren, die von 58 bis 49 v. Chr. in den Städten der römischen Provinz Asien und zwischen 56 und 50 v. Chr. in den phrygischen Städten der Provinz Kilikien unter eigenem Namen Cistophoren prägten, tauschten drei das Köchermotiv gegen ein anderes Motiv zwischen den Schlangen aus. Auf diesen Münzen blieb ikonographisch vom ursprünglichen Hintergrundbild zuweilen lediglich die kleine Bogenspitze auf der Schulter der linken Schlange übrig (Abb. 8–10).33 Dabei gewinnt man den Eindruck, dass ein zunehmendes Bedürfnis bestand, das Bogentaschenmotiv zwischen   Der erste Prokurator, der 58–57 v. Chr. unter eigenem Namen Cistophoren in vier Prägestätten herausgeben ließ, T. Ampius T. F. Balbus, ersetzte den Köcher durch einen Dreifuß, über dem je nach Prägestätte Artemis Ephesia, Apollo, eine Amphora oder eine Eule gesetzt wurden, Stumpf 1991, S. 17-23, 303 f. Nr. 4–20c. Abb. 8: Stumpf 1991, S. 18 Nr. 8, Ephesos, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich nach links eine Schlange windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: T. AMPI TF PROCOS, im Feld links OZ EΦE, im Abschnitt ΓΛΥΚΩΝΤΙΣ, ΠΕΡΙΚΛΗΣ; Schlangenpaar um Dreifuß, auf dem nackter Apollon nach links steht, den linken Arm auf eine Säule gestützt und in der ausgetreckten Rechten einen Zweig haltend, im Feld rechts Fackel. Die drei darauf folgenden Prokuratoren kehrten wieder zum Köchermotiv zurück außer P. Lentulus P. F. Spinther, der als Prokonsul von Kilikien 57/56 v. Chr. nur in Laodikeia offenbar zwischenzeitlich ein Lyramotiv wählte: Stumpf 1991, S. 47 Nr. 75. C. Fannius, der spätestens 49/48 v. Chr. als Prätor Asien verwaltete, hatte offenbar zeitgleich das Priesteramt des Pontifex inne. In vier verschiedenen Prägestätten ließ er zwischen den Schlangen einen kleinen Rundtempel abbilden, auf dessen Dach eine weibliche Gottheit mit Opferschale und Szepter steht: Stumpf 1991, S. 35–40 Nr. 57–67. Abb. 9: Stumpf 1991, S. 35 Nr. 57, Apameia, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich eine Schlange nach links windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: C FAN PONT PR, im Feld links ΑΠΑ, im Abschnitt ΜΑΝΤΙΘΕΟΣ ΜΑΝΤΙΘΕΟΥ; Schlangenpaar um sechssäuligen Rundtempel, darauf nach links stehende weibliche Gottheit mit Opferschale in der ausgestreckten Rechten, Linke auf Szepter gestützt, im Feld rechts zwei Flöten. Nach J. M. Cody, New Evidence for the Republican Aedes Vestae, American Journal of Archaeology 77, 1973, S. 43-50, Taf. 5-6 spricht einiges dafür, dass es sich bei dem Tempel um den Vestatempel in Rom handelt. Einen fast identischen Rundtempel zeigen in Rom Denarrückseiten von Q. Cassius aus dem Jahre 57 v. Chr. in Kombination mit einem Vestakopf auf der Vorderseite. Fannius hätte damit eine seiner Aufgaben als Pontifex Maximus, die Aufsicht über die Vestalinnen in Rom, auch in seinem neuen Tätigkeitsfeld zum Ausdruck gebracht. Auch Q. Metellus Pius Scipio, der eigentlich Prokonsul von Syrien war und mit einem Imperium ausgestattet den Winter 49/48 v. Chr. in der Provinz Asia verbrachte, brach zu derselben Zeit mit der Tradition des Bogentaschenmotivs. Auf den Cistophoren, die in dieser Zeit für ihn in Pergamon geprägt wurden, wurde zwischen das Schlangenpaar ein Legionsadler gesetzt, ein Zeichen für seine Amtsgewalt: Stumpf 1991, S. 41 f. Abb. 10: Stumpf 1991, S. 41 Nr. 68, Pergamon, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich nach links eine Schlange windet, das Ganze im Efeukranz. Rs.: Q METELLUS PIUS oben, SCIPIO IMPER unten, im Feld links ΠΕΡ in Monogrammform; Schlangenpaar um Legionsadler. 33 O r phik in Per g a m o n 11 den Schlangen durch Symbole zu ersetzen, die den Machtbereich des jeweiligen Prokurators zum Ausdruck brachten. Der römische Prokurator übte offenbar eine persönliche Schutzfunktion für die Durchführung des auf den Cistophoren dargestellten Kultes aus. Beim ursprünglichen Bogentaschenmotiv tritt der Aspekt der Schutzfunktion noch deutlicher hervor, da der Köcher sich tatsächlich als Behausung für die Schlangen eignet. Das Motiv des Bogens in der Bogentasche diente schon früh als eine Art von Wappen des pergamenischen Reiches. Es wurde für die Gegenstempel genutzt, die wahrscheinlich zwischen 187 und 183 v. Chr. nach dem Friedensvertrag von Apameia auf die Tetradrachmen von Phaselis, Perge, Aspendos und Side im attischen Fuß gesetzt wurden, um sie als im pergamenischen Reich umlauffähig zu kennzeichnen.34 Wie an den Namenskürzeln neben der Bogentasche zu erkennen, beteiligten sich mindestens zehn Städte des pergamenischen Reiches an den Gegenstempelungen (Abb. 11-12).35 Vieles spricht dafür, dass in dieser Zeit das neue Nominal der Cistophoren noch nicht eingeführt war, da man sich ansonsten die Gegenstempelungsaktion hätte sparen können und stattdessen gleich die eingezogenen Tetradrachmen eingeschmolzen und mit reduziertem Gewicht als Cistophoren herausgegeben hätte.36 Das Bogentaschenmotiv war sehr wahrscheinlich bereits vor der Einführung der Cistophoren entwickelt worden und stand ursprünglich in keinem Zusammenhang mit dem Schlangenpaar. Ein Bogen ohne Tasche erschien schon von Prägebeginn an auf dem Revers der Philetairos-Tetra­drachmen hinter der thronenden Athena.37 Dafür, dass Bogen und Tasche dem Herakles, dem Ahnherrn Pergamons, gehören, spricht auch die Gestaltung der Kleinnominale der Cistophoren, wobei hier die den Göttern Dionysos und Herakles zugewiesenen Münzseiten entgegengesetzt zum Hauptnominal besetzt sind (Abb. 2). Auf die Bedeutung, die Herakles in der orphischen Theogonie des Hieronymos und Hellanikos zukommt, wird noch zurückzukommen sein. Entscheidend ist, dass der Revers der Cistophoren Zeus und Demeter gewidmet war. Deren kultische Vereh Meadows 2013, S. 171 f.  Marcellesi 2012, S. 136 mit Anm. 90. Abb. 11: Tetradrachme von Side, frühes 2. Jh. v. Chr., Vs.: Kopf der Athena nach rechts. Rs.: Nike nach links laufend, einen Siegeskranz haltend, darunter Granatapfel über ΔΗ; SNG Copenhagen 396. 397; Abb. 12: Ausschnitt von Abb. 11: Gegenstempel von Tralles: TRAΛ, Bogen in Bogentasche; R. A. Bauslaugh, Cistophoric Countermarks and the Monetary System of Eumenes II, NC 150, 1990, S. 39–65, bes. S. 42 f. 36  Marcellesi 2012, S. 136–139, die das Einsetzen der Cistophorenprägung bereits vor dem Frieden von Apameia vermutet, nimmt dagegen an, dass die Gegenstempelaktion erst nach der Einführung der Cistophoren stattgefunden habe. 37  Meadows 2013, S. 170. Ein Bogen erscheint auch auf den frühen attalidischen Bronzemünzen kombiniert mit einem Athenakopf auf dem Avers: Marcellesi 2012, S. 179 Nr. 19. 20. Bemerkenswert ist, dass aber das Motiv des Köchers nur für die Gegenstempel und Cistophoren verwendet wurde. 34 35 12 El ke K ren g el rung im pergamenischen Reich wurde auf den Münzen durch die Abbildung des pergamenischen Wappens, der Bogentasche, versinnbildlicht. Die Bedeutung des kretischen Cistophors Der einzige Cistophorentypus, der jemals außerhalb des pergamenischen Reichsgebietes bzw. der Provincia Asia geprägt wurde, weist auf dem Revers ebenfalls kein Köchermotiv zwischen dem Schlangenpaar auf (Abb. 13). Die mysteriöse Cistophorenprägung auf Kreta aus der Zeit Marc Antons, die völlig aus dem Rahmen der für die Insel üblichen Prägungen fällt, konnte bisher in der numismatischen Forschung nicht ansatzweise befriedigend erklärt werden. Von dem Münztypus sind bisher erst zwei Exemplare aus unterschiedlichen Stempelpaaren bekannt geworden. Auf dem Avers befindet sich im Efeukranz die übliche Cista mystica, aus der sich eine Schlange windet, auf dem Revers steht zwischen dem Schlangenpaar ein nackter Zeus nach rechts gewandt, der in seiner erhobenen Rechten ein Blitzbündel und auf seinem linken Arm einen auffliegenden Adler hält. Die Münzlegende lautet: ΚΥΔΑΣ ΚΡΗΤΑΡΧΑΣ ΚΡΗΤΑΙΕΩΝ.38 Bei Kydas handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen von Cicero erwähnten gleichnamigen kretischen Richter und Günstling Marc Antons.39 Man nimmt an, dass mit dem bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Titel Kretarch ein hoher Beamter Kretas bezeichnet wurde, über dessen genaue Rolle und Funktion allerdings nichts bekannt ist.40 Der Cistophor wurde, wie die Legende ΚΡEΤΑΙΕΩΝ zeigt, offenbar von den Kretern als Bundesprägung herausgegeben, wie man vermutete, ungefähr 43 v. Chr.41 Als Vorlage für das Zeusbild, das zwischen den Schlangen erscheint, wurde in der Forschung ein 49 v. Chr. in der Provincia Asia geprägter Denar der Konsuln und Pompeiusanhänger Lentulus und Marcellus angesehen, der sich auch in einem kretischen Hortfund befand.42 Allerdings ist dies  Abb. 13: I. N. Svoronos, Numismatique de la Crète ancienne, accompagnée de l’histoire, la géographie et la mythologie de l’ile, Bd. I: Description des monnaies, histoire et géographie, Macon 1890, S. 334 Nr. 1, Taf. XXXII 1, Vs.: Cista mystica mit halbgeöffnetem Deckel, aus der sich eine Schlange nach links windet, im Efeukranz. Rs.: Zwei in einem Knoten miteinander verbundene, aufgerichtete Schlangen, dazwischen auf einer Standlinie blitzeschleudernder Zeus nach rechts mit auffliegendem Adler auf seiner linken Hand, darüber ΚΥΔΑΣ, links und rechts der Schlangen in drei Zeilen ΚΡΗΤΑΡΧΑΣ, im Abschnitt ΚΡΗΤΑIEΩN; RPC I 1, S. 222–225 Nr. 926, I 2, Taf. 52 Nr. 926. 39  Cic. Phil. 5, 13 u. 8, 27. So auch Rouanet-Liesenfelt 1984, S. 343–352. 40  Zur Funktion des Kretarchen: J. Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des dritten Jahrhunderts n. Chr., München 1965 (Vestigia 6), S. 43 u. 85. 41  Rouanet-Liesenfelt 1984, S. 350. 42  RRC 445/1–2; G. Perl, Die römischen Provinzbeamten in Cyrenae und Creta zur Zeit der Republik, Klio 52, 1970, S. 319–354, bes. S. 347, Anm. 3, gefolgt von Rouanet-Liesenfelt 1984, S. 348 und RPC I 1, S. 222. 38 O r phik in Per g a m o n 13 keine hinreichende Begründung dafür, dass Kydas auf Kreta überhaupt einen Cistophorentypus prägen ließ und weshalb er den Köcher durch ein Zeusbild ersetzte. Die einzig sinnvolle Erklärung für eine Cistophorenprägung auf Kreta ist, wie schon Guthrie erkannte, religiös begründet.43 Diodorus Siculus, ein Autor des 1. Jhs. v. Chr., schrieb nämlich die orphische Version des dionysischen Mythos den Kretern zu.44 Nach ihm ließ man die gleichen Weihen, die in Eleusis, Samothrake und im Namen des Orpheus vollzogen wurden, im kretischen Knossos nach altem Brauch ganz offen allen zukommen.45 Der christliche Schriftsteller Firmicus Maternus beschreibt die Festspiele zur Erinnerung an den Tod des Dionysos folgendermaßen: „Die Einwohner von Kreta veranstalten, um die Wut ihres tobenden Herrschers (d. i. Zeus) zu mildern, Tage feierlicher Leichenbestattung und setzen eine jährliche Feier und religiöse Weihe alle drei Jahre fest, wobei sie alles der Reihe nach tun, was der Knabe (d. i. Dionysos) beim Sterben getan oder gelitten hat. Sie zerfleischen mit den Zähnen einen lebenden Stier, wodurch sie das grausame Mahl in jährlicher Erinnerung darstellen, und durch dunkle Wälder hin in verworrenem Geschrei laut wehklagend ahmen sie das tolle Rasen nach, damit jene Untat nicht als Tat der Hinterlist, sondern der Tollheit erscheine. Es wird die Kiste (cista) herbeigebracht, in welcher die Schwester das Herz heimlich geborgen hatte; durch Flötenklang und Klingen von Schallbecken deuten sie das Spielzeug an, mit welchem man den Knaben hintergangen hatte. So war zu Ehren des Tyrannen durch das unterwürfige Volk derjenige zu einem Gott erhoben, welcher keine Bestattung erhalten konnte.“46 Rouanet-Liesenfelt behauptete hingegen, dass der Kult des Dionysos auf Kreta nicht häufig sei.47 Auch die über einen Zeitraum von neun Jahren datierten Bronzeprägungen in Knossos von fünf verschiedenen Beamten nebst  Guthrie 1935/1966, S. 112; Belege für orphische Kultausübung auf Kreta, darunter goldene Totenpässe, wurden bereits von O. Kern, Orphiker auf Kreta, Hermes 51, 1917, S. 554–567, gesammelt. 44  Diod. 5, 75, 4-5. 45  Diod. 5, 77, 3. 46  Firm. err. 6, 5: Cretensis ut furentis tyranni saevitiam mitigarent, festos funeris dies statuunt, et annuum sacrum trieterica consecratione conponunt, omnia per ordinem facientes quae puer moriens aut fecit aut passus est. Vivum laniant dentibus taurum, crudeles epulas annuis commemorationibus excitantes, et per secreta silvarum clamoribus dissonis eiulantes fingunt non per fraudem factum, sed per insaniam crederetur. Praefertur cista in qua cor soror latenter absconderat, tibiarum cantu et cymbalorum tinnitu crepundia, quibus puer deceptus fuerat mentiuntur. Sic in honorem tyranni a serviente plebe deus factus est qui habere non potuit sepulturam. Deutsche Übersetzung von A. Müller, Des Firmicus Maternus Schrift vom Irrtum der heidnischen Religionen, Kempten / München 1913 (Bibliothek der Kirchenväter 14; Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt 2). 47  Rouanet-Liesenfelt 1984, S. 350. Dagegen sprach sich schon A. Pałuchowski, Le koinon crétois au temps du gouvernement de Marc Antoine à l’Est, Eos 92, 2005, S. 54–80, bes. S. 68 f., aus mit zahlreichen weiteren archäologischen Belegen. 43 14 El ke K ren g el einem Kydas, den Rouanet-Liesenfelt allerdings nicht für identisch mit dem Kydas der Cistophorenprägung hält, könnten m. E. im Zusammenhang mit dort abgehaltenen jährlichen dionysischen Festspielen gesehen werden.48 Der auf diesen Bronzen erscheinende Zeuskopf und der Adler mit offenen Flügeln entsprechen jedenfalls den Details der Zeusfigur auf den Cistophoren. Nach einer mehrjährigen Pause der Cistophorenprägung in der Zeit der römischen Bürgerkriege wurde die Produktion dieses Münztypus also nicht zufällig ausgerechnet auf Kreta wieder aufgenommen. Marc Anton, der sich seit 41 v. Chr. selbst in der östlichen Reichshälfte als Neos Dionysos feiern ließ, hatte offensichtlich ein persönliches Interesse daran, die orphischen Festspiele in Knossos wiederaufleben zu lassen, und beauftragte seinen Günstling Kydas auf Kreta wahrscheinlich noch in demselben Jahr mit der Organisation der Feiern.49 Die Rarität der kretischen Cistophoren spricht für eine Sonderprägung anlässlich der Festspiele in geringer Stückzahl. Die Bedeutung der Cista mystica mit Schlange Die Cista mystica wurde zum ersten Mal überhaupt in Pergamon auf eine griechische Münze gesetzt. Dass sie auch noch auf der Schauseite der Münze statt der üblichen Götter- oder Herrscherköpfe erschien, wurde von den Zeitgenossen als so bemerkenswert angesehen, dass der neue Münztypus nach ihr benannt wurde, Cistophorus, der Cistaträger. Warum wurde vom pergamenischen Herrscherhaus ausgerechnet eine Cista Mystica als Hauptmotiv des neuen Nominals gewählt? Was wollte man mit dem ungewöhnlichen Münzbild zum Ausdruck bringen? Eine Cista mystica war eines der wichtigsten Kultgeräte in bestimmten Mysterienkulten. Neben den Kulten des Attis, der Isis und der Ma-Bellona, wurde sie vor allem in denjenigen des Dionysos und der Demeter verwendet.50 Der Efeukranz, der auf den Cistophoren die Cista mystica umgibt, macht dem Betrachter klar, dass dieser Korb Bestandteil des Dionysoskultes ist. Ebenso wie der Wein ist der Efeu eng mit Dionysos verbunden, mit dem er zuweilen identifiziert wurde, und wirkt halluzinogen.51 Außerdem ähnelt die Blattform des Efeus einem Herzen und erinnert an den Mythos, dass Dionysos nach dem Zerreißen durch die Titanen aus seinem Herzen von Zeus  RPC I 1, S. 223 f.  Zu Marc Anton als Dionysos: T. Fuhrer, Inszenierungen von Göttlichkeit. Die politische Rolle von Dionysos/Bacchus in der römischen Literatur, in: R. Schlesier (Hrsg.), A Different God? Dionysos and Ancient Polytheism, Berlin / Boston 2012, S. 373–390, bes. S. 377 ff. u. Anm. 23: Auch in Athen wurden Marc Anton zu Ehren panathenäische Festspiele abgehalten. 50  O. Jahn, Die Cista Mystica, Hermes 3, 1869, S. 317–334; Burkert 1972, S. 297 Anm. 18; Krauskopf 2005, S. 274–278; weitere Literatur bei Bremmer 2014, S. 108 Anm. 135. 51  Paus. 1, 31, 5; über die Wirkung von Efeu Plut. qu. R. 112. 48 49 O r phik in Per g a m o n 15 ein zweites Mal erschaffen wurde.52 Athena hatte nach dem Gemetzel das übrig gebliebene Herz in einer Cista mystica geborgen.53 In diesem Zusammenhang von Interesse ist, dass auf den Bronzemünzen der pergamenischen Könige ein Athenakopf auf dem Avers mit einem herzfömigen Efeublatt auf dem Revers kombiniert wurde, eine Motivkombination, die so ungewöhnlich ist, dass sie m. E. nur mit dem dionysischen Mythos befriedigend erklärt werden kann.54 Die Beschreibungen von Kirchenschriftstellern über die Einweihungsriten in Eleusis belegen, dass der Inhalt der Cista mystica geheim war und nur den Einzuweihenden offenbart wurde.55 Der Grad der Geheimhaltung wurde in den dionysischen Mysterien aber offenbar nicht so streng wie in Eleusis eingehalten, wofür auch m. E. die Darstellung auf den Cistophoren spricht.56 Clemens Alexandrinus verrät, dass sich in dem Korb neben anderem Efeublätter, Kuchen in verschiedenen Formen und eine Schlange, das Orgion, das Geheimritusmerkmal des Dionysos Bassareus, befunden hätten.57 In der Cista befanden sich demnach unter anderem auch Ingredienzien, aus denen Dionysos erschaffen werden konnte.58 Die Schlange, die auf den Cistophoren aus dem Inneren der Cista mystica kriecht, war nach Clemens also ein wichtiger Bestandteil des Kultes. Dasselbe Motiv einer sich aus der Cista mystica windenden Schlange wurde auf einem Revers der makedonischen Gedenkmünzen für Alexander den Großen aus 52  Firm. err. 6, 4. Auch die goldenen orphischen Totenpässe weisen eine Efeublatt- bzw. Herzform auf: A. Bernabé - A. I. Jiménez San Cristóbal, Instructions for the Netherworld. The Orphic Gold Tablets, Leiden / Boston 2008 (Religions in the Graeco-Roman World 162), S. 61, bes. Anm. 3, ebenso F. Díez-Platas, Dionysos’ Herz: Gott und Efeu. Zeugnisse in Bildern und Texten. Vortrag auf dem 13. FIEC Kongress am 26. August 2009 in der Humboldt Universität zu Berlin (http://www.academia.edu/10973811/_Dionysos_Herz_ Gott_und_Efeu._Zeugnisse_in_Bildern_und_Texten_). 53  Kern 1922, Fragm. 35, 210, 214. 54  Marcellesi 2012, S. 180 Nr. 24. 25. In dieser für Philetairos herausgegebenen Serie mit dem Athenakopf auf dem Avers wurde auch eine Reversdarstellung mit dem bebänderten Thyrsos geprägt: S. 179 Nr. 22. 23. Die Datierung der Bronzemünzen ist zumeist nicht sicher. 55  Laut Clem. Al. protr. 2, 21, 2 soll das Kennwort der eleusinischen Mysterien gelautet haben: ἐνήστευσα, ἔπιον τὸν κυκεῶνα, ἔλαβον ἐκ κίστης, ἐργασάμενος ἀπεθέμην εἰς κάλαθον καὶ ἐκ καλάθου εἰς κίστην, „Ich habe gefastet, ich habe den Kykeon getrunken, ich nahm aus der Cista, werkte, legte ab in den Korb (Kalathos) und aus dem Korb in die Cista“; Burkert 1972, S. 297 ff. 56  Bremmer 2014, S. 108 mit Anm. 139. 57  Clem. Al. protr. 2, 22, 4: ... καὶ δράκων, ὄργιον Διονύσου Βασσάρου. Der Singular von ὄργια ist selten und kommt unter anderem im orphischen Hymnos 52, 5 vor, vgl. LSJ unter ὄργιον. Nach Athanassakis - Wolkow 2013, S. 39 u. 152 ist der Beiname Bassareus, der fuchshafte oder Fuchsfell tragende Dionysos, thrakischen Ursprungs. Der orphische Hymnus 45 ist ihm gewidmet. 58  Ebenfalls in einer Cista soll nach Clem. Al. protr. 2, 19, 4 das Zeugungsglied des zerrissenen Dionysos von den Kabiren geborgen und zu den Etruskern gebracht worden sein. 16 El ke K ren g el dem 3. Jh. n. Chr. geprägt (Abb. 14).59 In dieser Gedenkserie erscheint auf einem anderen Revers ebenfalls eine Bartschlange, die sich einer Frau auf einer Kline nähert (Abb. 15).60 Bei beiden Bildern ist offensichtlich, dass die Schlange Zeus darstellen soll, den mythischen Beischläfer der Olympias und Vater Alexanders.61 Plutarch erklärt den Mythos der Schlangenzeugung Alexanders mit der Tradition, dass in Makedonien alle Frauen seit ältester Zeit den geheimen orphischen Weihen und dem ekstatischen Kult des Dionysos ergeben seien.62 Ebenso wie auf den makedonischen Gedenkprägungen ist in der Schlangengestalt auf dem Avers der Cistophoren Zeus zu sehen, der der Cista mystica einen Besuch abstattete und sie wieder verließ.63 Die Schlange hat in  Abb. 14: AMNG III 831 var. (Vs. wie 837), 243/244 n. Chr., Vs.: ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΥ; Büste des Alexander mit Diadem und Kürass nach rechts. Rs.: KOINON MAKEΔΟΝΩΝ B NEΩ EOC; aus einer Cista mystica nach links kriechende Schlange. 60  Abb. 15: AMNG III 367, 231-235 n. Chr., Vs.: ΑΛΕΞΑΝΔΡΟΥ; Kopf des Alexander mit Diadem nach rechts. Rs.: ΚΟΙΝΟΝ ΜΑΚΕΔΟΝΩΝ ΝΕΩΚΟ; Olympias, halb aufgerichtet auf einer Kline liegend, eine auf das Bett gekrochene aufgerichtete Bartschlange begrüßend. Das Reversmotiv war so populär, dass es auf zahlreichen Kontorniaten kopiert wurde, kombiniert sowohl mit dem Alexanderporträt im Löwenfell als auch mit den Porträts verschiedener Kaiser auf dem Avers: A. Alföldi, Die Kontorniaten, 2 Bde., Budapest 1942-1943, Taf. 3, 1. 2; 4, 1. 2; 12, 9; 13, 12; 14, 1. 2; 30, 9; 32, 1. 5. 7; 33, 4; 37, 10. 11; 39, 3. 4; 40, 9; 45, 9. 10; 47, 6. 8; 58, 11. 61  So schon Pinder 1856, S. 535; E. Simon, Die Portlandvase, Mainz 1957, S. 15 ff. belegt, dass jene Geschichte von der göttlichen Abstammung Alexanders in Variationen auch auf andere Herrscher übertragen wurde bis hin zu Augustus, dessen Mutter Atia ihren Sohn in einem Tempel von Apollon empfangen haben will. Sie sei dort eingeschlafen und träumte, sich mit einer Schlange verbunden zu haben. 62  Plut. Alexander 2-3. Der orphische Text auf dem Derveni Papyros, der aus einem nahe Thessaloniki gelegenen Grab aus der Zeit Philipps II. stammt, bestätigt durchaus die Feststellung Plutarchs: A. Bernabé, The Derveni Theogony: Many Questions and Some Answers, HStClPh 103, 2007, S. 99–133. 63  Darauf, dass mit der sich aus dem Korb windenden Schlange nicht etwa eine andere Erscheinungsform des Dionysos gemeint sein kann, deuten ähnliche Darstellungen auf den zahlreichen provinzialrömischen Prägungen aus Magnesia am Mäander, die Motive aus der Kindheit des Dionysos zeigen. In verschiedenen Variationen wird hier das Dionysoskind auf einer Cista mystica sitzend gezeigt, um die sich eine Schlange windet. Es ist nicht anzunehmen, dass auf den Münzen Magnesias Dionysos auf dem Korb zweifach, sowohl in Menschenals auch Schlangengestalt, dargestellt wurde. Auch hier soll wohl damit an den mythischen Zeugungsakt des Zeus erinnert werden. Dagegen meint F. Díez Platas, Dioniso y las serpientes. Imágenes y textos en el arcaísmo, Estudios Clásicos 138, 2010, S. 29-37, Schlangen wären das Alter Ego von Dionysos; bei Eur. Bacch. 5, 1017 kann Dionysos zwar neben Stier und Löwe auch als Schlange erscheinen. Letztere wird dort allerdings als vielköpfig beschrieben. Genauso unwahrscheinlich ist es, dass die Schlange im Korb Dionysos sein sollte, wenn das Reversmotiv mit einem Demeter- oder Korekopf auf dem Avers kombiniert wurde, vgl. die Beispiele bei E. Schönert-Geiß (Bearb.), Die Münzprägung von Perinthos, 2 Bde., Berlin 1965 (Griechisches Münzwerk), Nr. 173 u. 181. Zu den Münzen Magnesias: S. Schultz (Bearb.), Die Münzprägung von Magnesia am Mäander in der römischen Kaiserzeit, Berlin / Hildesheim / New York 1975: Schlange, gewunden um Cista mystica: 287 (Severus Alexander), Schlange, aus Cista mystica kriechend: 465–466 (Gordian), Schlange gewunden um Cista mystica, auf 59 O r phik in Per g a m o n 17 vielen Kulturkreisen eine phallische Bedeutung.64 Wenn man die Cista nach W. Burkert als Symbol für den Uterus ansieht, dann kann man die Aversdarstellung als subtile Andeutung der Vereinigung von Zeus mit einer Frau, in diesem Fall gemäß orphischer Vorstellung mit Persephone deuten.65 Die Hochzeit von Zeus mit Persephone konnte auch bildlich nur angedeutet werden, da sie als etwas Unsagbares galt.66 Die Analyse der Avers- und Reversdarstellung der Cistophoren hat gezeigt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit auf beiden Münzseiten, auf subtile Art und Weise wie bei einem Mysterienkult zu erwarten, die orphische Version der Dionysoszeugung in zwei Schritten und zugleich die Wiedergeburt des Gottes angedeutet wird: auf dem Revers die Zeugung der Persephone durch Zeus und Demeter in Schlangengestalt, auf dem Avers die Zeugung des Dionysos durch Zeus und Persephone und zugleich die Möglichkeit der Wiederauferstehung des Gottes. Sabazioskult in Pergamon Die Deutung der Aversdarstellung auf den Cistophoren steht, anders als die Deutung der Reversdarstellung, durchaus nicht im Widerspruch zu der frühen Interpretation von Panel und Pinder, die im Bild der sich aus der Cista mystica windenden Schlange im Efeukranz einen Hinweis auf den Sabazioskult sahen. Zeus in seiner Eigenschaft als Erzeuger des Dionysos in Schlangengestalt konnte nämlich nach orphischer Vorstellung auch Sabazios genannt werden. In den orphischen Hymnen, die zahlreichen Göttern gewidmet sind, die in der orphischen Theogonie eine Rolle spielen, existiert auch eine Hymne an Sabazios, in welcher er dem Zeus gleichgesetzt wird.67 Sabazios war ein thrakisch-phrygischer Gott, der schon im 5. Jh. v. Chr. literarisch und im 4. Jh. v. Chr. inschriftlich erwähnt wurde, ikonographisch in größerem Umfang jedoch erst in römischer Zeit in Erscheinung trat, meist in Form einer göttlichen Hand in Segensgestus (Benedictio latina), um die der das Dionysoskind sitzt: 150 (Septimius Severus), 201–203 (Caracalla), 206–209 (Caracalla), 222–223 (Geta), 333 (Maximinus), 421 (Gordian), 517, zusätzlich umtanzt von Kureten: 162163 (Caracalla); Abb. 16: Schultz 421 (Gordian): ΜΑΓΝΗΤWΝ ΕΒΔΟΜΗ ΤΗC ΑCΙΑC; Dionysoskind nackt mit ausgestreckten Armen von vorn auf der Cista mystica sitzend, um die sich eine Schlange nach rechts windet, das Ganze von einem Kranz umgeben. 64  Küster 1913, S. 149 f., mit zahlreichen Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen; Burkert 1972, S. 171; G. Baudy, Ackerbau und Initiation. Der Kult der Artemis Triklaria und des Dionysos Aisymnetes in Patrai, in: F. Graf (Hrsg.), Ansichten griechischer Rituale. Geburtstags-Symposium für Walter Burkert, Castelen bei Basel, 15. bis 18. März 1996, Stuttgart / Leipzig 1998, S. 143–167, bes. S. 153 f. mit Anm. 39. 65  Zur Bedeutung der Cista als Frauenschoß mit Quellenangabe: Burkert 1972, S. 299. 66  Orphei Hymni 30, 9. 67  Orphei Hymni 48. 18 El ke K ren g el sich eine Schlange windet.68 In der anikonischen Phase der griechischen Zeit wurde der Gott vermutlich in reiner Schlangenform verehrt.69 Von Clemens Alexandrinus und Firmicus Maternus wird Sabazios definitiv als Schlange bezeichnet. Auch der eingangs geschilderte Ritus, in welchem dem Einzuweihenden eine Schlange als Symbol für den Zeugungsakt des Zeus unter dem Gewand hindurchgezogen wurde, spricht für diese Annahme.70 Firmicus Maternus nennt den Schlangengott explizit Iuppiter Sabazios. Alle archäologischen Zeugnisse bestätigten bisher die Identität von Sabazios und Zeus. Dennoch setzten die meisten antiken literarischen Quellen Sabazios mit Dionysos gleich. E. N. Lane zeigte im „Corpus Cultus Iovis Sabazii“ auf, wie sich dieser Gedankenfehler von der Kranzrede des Demosthenes ausgehend literarisch fortpflanzte und zur Unsicherheit auch in der heutigen Literatur beitrug.71 Meines Erachtens ist die Verwechselung vor allem darauf zurückzuführen, dass im orphischen Sabazioskult die Verehrung des Zeus als auch die seines Sohnes Dionysos als Einheit betrachtet wurde. Der Sabazioskult ist in Pergamon mehrfach belegt.72 Wie eingangs schon erwähnt zeigt eine auf der Terrasse des Athenatempels in Pergamon gefundene Inschrift aus dem Jahr 135/134 v. Chr., dass der Kult in Pergamon sogar staatlich eingesetzt und gefördert wurde. Der von Attalos III. verfasste Erlass lautete:73 „König Attalos grüßt die Ratsversammlung und das Volk der Perga68  H. Schaefer, Sabazios, RE I A 2, Stuttgart 1920, Sp. 1540–1551; T. Eisele, Sabazios, in: W. H. Roscher (Hrsg.), Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. IV, Leipzig 1909–1915, Sp. 232-264; R. Fellmann, Der Sabazios-Kult, in: M. J. Vermaseren (Hrsg.) Die orientalischen Religionen im Römerreich, Leiden 1981 (EPRO 93), S. 316-339; Lane – Vermaseren, CCIS I–III. 69  Küster 1913, S. 148 f.; R. Gicheva, Sabazios, LIMC VIII 1, Zürich / Düsseldorf 1997, S. 1068-1071, bes. S. 1071. 70  Clem. Al. protr. 2, 16, 2: Σαβαζίων γοῦν μυστηρίων σύμβολον τοῖς μυομένοις ὁ διὰ κόλπου θεός· Δράκων δέ ἐστιν οὗτος, διελκόμενος τοῦ κόλπου τῶν τελουμένων, ἐλεγχος ἀκρασίας Διός; Arnob. 5, 21, 6: ipsa novissime sacra et ritus initiationis ipsius, quibus Sebadiis nomen est, testimonio esse poterunt veritati, in quibus aureus coluber in sinum demittitur consecratis et eximitur rursus ab inferioribus partibus atque imis; Firm. err. 10: Sabazium colentes Iovem anguem, cum initiantur, per sinum ducunt. 71  Lane, CCIS III, S. 2 f., 49-60. 72  Lane, CCIS II, Nr. 26 u. 27, III, S. 5 f. 73  M. Fränkel (Hrsg.), Die Inschriften von Pergamon, Berlin 1890 (Altertümer von Pergamon VIII 1), S. 164–166 Nr. 248, Z. 45–61: Βασιλεὺς Ἄτταλος Περγαμηνῶν τῆι βουλῆι καὶ τῶι δήμωι χαίρειν· ἐπεὶ βασίλισσα Στρατονίκη ἡ μήτηρ μου, εὐσεβεστάτη μὲγ γενομένη πασῶμ, φιλοστοργοτάτη δὲ διαφερόντως πρός τε τὸμ πατέρα μου καὶ πρὸς ἐμέ, πρὸς ἅπαντας μὲν τοὺς θεοὺς εὐσεβῶς προσηνέχθη, μάλιστα δὲ πρὸς τὸν Δία τὸν Σαβάζιον, πατροπαράδοτον αὐτὸγ κομίσασα εἰς τὴμ πατρίδα ἡμῶν, ὃγ καὶ ἐμ πολλαῖς πράξεσι καὶ ἐμ πολλοῖς κινδύνοις παραστάτηγ καὶ βοηθὸν ἡμῖγ γενόμενον ἐκρίναμεν διὰ τὰς ἐξ αὐτοῦ γενομένας ἐπιφανείας συγκαθιερῶσαι τῆι Νικηφόρωι Ἀθηναῖ, νομίσαντες τοῦτον αὐτῶι ἄξιογ καὶ πρέποντα τόπον ὑπάρχειν, διεταξάμεθα δὲ ἀκολούθως τούτοις καὶ περὶ θυσιῶγ καὶ πομπῶγ καὶ μυστηρίων τῶν ἐπιτελουμένωμ πρὸ πόλεως αὐτῶι ἐν τοῖς καθήκουσι καιροῖς καὶ τόποις, ἐποήσαμεν δὲ αὐτοῦ καὶ ἱερέα διὰ γένους Ἀθήναιον τὸν ἐμὸν, εὐσεβείαι καὶ καλοκἀγαθίαι διαφέροντα καὶ τῆι πρὸς ἡμᾶς διηνεκεῖ πίστει· κρίνομεν διὰ ταῦτα, ὅπως ἂν εἰς τὸν ἅπαντα χρόνον ἀκίνητα καὶ ἀμετάθετα μένηι τά τε πρὸς τὸν θεὸν τίμια καὶ τὰ πρὸς τὸν Ἀθήναιομ O r phik in Per g a m o n 19 mener. Da Königin Stratonike, meine Mutter, die äußerst fromm gegenüber allen und äußerst zärtlich meinem Vater und mir zugetan war, gegenüber allen Göttern und am meisten gegenüber Zeus Sabazios ehrfurchtsvoll zugeneigt war, brachte sie diesen von ihren Vätern Überlieferten in unser Vaterland. Da er uns erschien, beschlossen wir, diesem als unseren Begleiter und Helfer in vielen Unternehmungen und vielen Gefahren einen Schrein im Tempel der Athena Nikephoros einzurichten. Diesen Ort hielten wir für würdig und angemessen für ihn. Wir ordneten dementsprechend Opfer und Festzüge und Mysterienfeiern an, die für ihn zum Schutz der Stadt zu gebührender Zeit und an gebührenden Orten verrichtet werden sollen. Wir schufen für ihn auch einen erblichen Priester, meinen Athenaios, der sich durch Frömmigkeit und Hochherzigkeit und Treue gegenüber uns auszeichnet“. Aus einem weiteren Erlass derselben Inschrift geht hervor, dass Athenaios dieses Amt bereits von Attalos II. verliehen bekommen hatte und außerdem seit 142/141 v. Chr. das Priesteramt für Dionysos Kathegemon. Athenaiaos, der mit dem Königshaus verwandt war, hatte also seit diesem Jahr beide Priesterämter in Personalunion inne, was meine schon zuvor geäußerte Vermutung stützt, dass Zeus Sabazios und Dionysos gemeinsam kultisch verehrt wurden. Der Zeitpunkt der Einführung des Sabazioskultes in Pergamon ist nicht sicher. 189/188 v. Chr. wurde Stratonike mit Eumenes II. verlobt. Kurz darauf könnte die Heirat stattgefunden haben. Sollte die kappadokische Prinzessin jedoch noch zu dieser Zeit ein sehr kleines Kind gewesen sein, wäre die Hochzeit möglicherweise erst nach 175 v. Chr. erfolgt.74 Den Status eines staatlich geförderten Kultes erlangte der Sabazioskult erst in der Regierungszeit des Attalos III. zwischen 135 bis 133 v. Chr. Seitdem wurde der Kult nicht nur im attalidischen Herrscherhaus gepflegt, sondern auch öffentlich in Opfern und Festzügen gefeiert.75 φιλάνθρωπα, τὰ γραφέντα ὑφ’ ἡμῶμ προστάγματα ἐν τοῖς ἱεροῖς νόμοις φέρεσθαι παρ’ ὑμῖν. δ΄, Δίου δ΄, Λύτος ἐκ Περγάμου.  Vgl. die Überlegungen dazu bei E. V. Hansen, The Attalids of Pergamon, Ithaca / London 19712 (Cornell Studies in Classical Philology 36), S. 95 und Ohlemutz 1940, S. 270. Dagegen vermutet Kosmetatou 1998, S. 14 im Versuch, eine Verbindung zwischen Sabazioskult und Cistophoren auszuschließen, dass die Einführung des Sabazioskultes erst frühestens in den späten 170er Jahren stattgefunden hätte. 75  Einen Eindruck von solch einem Festzug für Sabazios vermittelt die Schilderung eines Umzugs im Athen des 4. Jhs. v. Chr. in der Kranzrede des Demosthenes, der damit seinem politischen Gegner Aischines schaden wollte, Demosth. Steph. 259-260: ... ἐν δὲ ταῖς ἡμέραις 74 τοὺς καλοὺς θιάσους ἄγων διὰ τῶν ὁδῶν, τοὺς ἐστεφανωμένους τῷ μαράθῳ καὶ τῇ λεύκῃ, τοὺς ὄφεις τοὺς παρείας θλίβων καὶ ὑπὲρ τῆς κεφαλῆς αἰωρῶν καὶ βοῶν „εὐοἳ σαβοῖ“ καὶ ἐπορχούμενος „Ὑῆς Ἄττης Ἄττης Ὑῆς“, ἔξαρχος καὶ προηγεμὼν καὶ κιστοφόρος καὶ λικνοφόρος καὶ τοιαῦθ’ ὑπὸ τῶν γρᾳδίων προσαγορευόμενος, μισθὸν λαμβάνων τούτων ἔνθρυπτα καὶ στρεπτοὺς καὶ νεήλατα, ἐφ’ οἷς τίς οὐκ ἂν ὡς ἀληθῶς αὑτὸν εὐδαιμονίσειε καὶ τὴν αὑτοῦ τύχην, „Bei Tage jedoch pflegtest du diese famosen Prozessionen, die mit Fenchelkraut und Silberpappellaub bekränzten Schwärme, durch die Gassen zu führen, dabei die breitköpfigen Schlangen festzuhalten 20 El ke K ren g el Es ist also denkbar, dass mit der aus der Cista mystica kriechenden Schlange auf dem Avers der Cistophoren nicht nur Zeus in Schlangenform, sondern ebenso gut auch Sabazios gemeint war, der frühestens in den 180er Jahren, spätestens seit 175 v. Chr. vom attalidischen Herrscherhaus verehrt wurde.76 Vergessen werden sollte dabei nicht, dass die hauptsächliche religiöse Aussage der Cistophoren nicht in der Propagierung des Sabazioskultes lag, sondern darin, Zeugung, Geburt und Wiedergeburt des Dionysos zu feiern. Orphik in Pergamon Der erste, der eine Verbindung zwischen orphischer Kultausübung und Pergamon erkannte, war Otto Kern. 1911 publizierte er eine Reihe von Hinweisen, die in seinen Augen belegten, dass in Pergamon die orphischen Hymnen entstanden seien.77 Im Gegensatz zu den orphischen Rhapsodien, die nur aus Bruchstücken rekonstruiert werden können, sind die orphischen Hymnen, die erst kurz vor dem Fall Konstantinopels im Westen bekannt wurden, das bisher einzige komplett erhaltene Werk der Orphik.78 Es handelt sich um eine Sammlung von Gebeten an verschiedene Götter, die offenbar in einem Gottesdienst – die Sorte des zu verbrennenden Räucherwerks wird vor jedem Gebet angegeben - gesungen wurden. Unter den angerufenen Göttern, die zum üblichen orphischen Pantheon gehören wie Rhea, Zeus, Persephone und Dionysos befinden sich auch Götternamen, die weitgehend unbekannt sind, aber in Inschriften auf dem Gebiet des pergamenischen Reiches oder in Pergamon selbst belegt sind. Eine dieser Gottheiten heißt Mise, die in einer Inschrift aus Samurlu nahe Pergamon mit Persephone gleichgesetzt wurde. und überm Kopfe zu schwenken, den Ruf ‚Euhoi Saboi‘ zu erheben und die Weise ‚Hyes Attes, Attes Hyes‘ zu tanzen, wobei dich die alten Weiblein mit Namen wie ‚Vorsänger‘ und ‚Anführer‘, ‚Kisten-‘ und ‚Korbträger‘ und ähnlichen Titeln ansprachen und zum Lohn mit eingeweichten Brocken und Zopfkuchen und frischen Fladen bedachten.“ Textausgabe und Übersetzung: Demosthenes, Rede für Ktesiphon über den Kranz. Mit kritischen und erklärenden Anmerkungen herausgegeben und übersetzt von W. Zürcher, Darmstadt 1983 (Texte zur Forschung 40). In dieser Quelle wird höchstwahrscheinlich zum ersten Mal ein Cistaträger erwähnt. Zwar ist in allen Handschriften κιττοφόρος, Efeuträger, überliefert, dennoch folgt die Mehrzahl der Textausgaben der Emendation durch Harpokration, der unter κιττοφόρος vermerkte: ἔνιοι μετὰ τοῦ σ γράφουσι κιστοφόρος· τὰς γὰρ λεγομένας κίστας ἱερὰς εἶναι ἔλεγεν τοῦ Διονύσου και ταῖν θεαῖν´, „Einige schreiben Kistophorus mit s, denn man sagt, dass die sogenannten Kisten dem Dionysos und den zwei Göttinnen geweiht sind.“ Auch die Zusammenstellung mit einem Liknonträger macht nach meiner Auffassung den Begriff Cistaträger wahrscheinlicher. Nach Bremmer 2014, S. 105 Anm. 110 trugen die Cistae in den Prozessionen offenbar grundsätzlich Frauen, meines Erachtens vermutlich auf dem Kopf, vgl. z. B. Krauskopf 2005, S. 177 Nr. 817. 76  Auch hinter manchen anderen Schlangendarstellungen auf griechischen und römischen Münzen verbirgt sich vermutlich Sabazios. 77  Kern 1911, S. 431–436. 78  Athanassakis – Wolkow 2013, S. IX f. O r phik in Per g a m o n 21 Eine weitere Weihung an die Göttin wurde auf einer Orthostatenplatte im Demeterheiligtum von Pergamon ausgegraben.79 Der Name Meilinoe in den Hymnen war bisher der einzige literarische Beleg für diesen mit Hekate verbundenen Namen, bis er auf einem in Pergamon gefundenen Zaubertisch des 3. Jhs. n. Chr. entdeckt wurde.80 Dionysos wird in einem Hymnos als Euaster, Eua rufender Gott, bezeichnet, ein Epitheton, das ansonsten nur in einer pergamenischen Inschrift vorkommt, in der eine Kultvereinigung, die sich als die Bakchoi des Eua rufenden Gottes bezeichnen, für den verstorbenen König Eumenes II. einen Altar weihten.81 Im großen Hof des mit Zuschauerrängen versehenen Demeterheiligtums fand man neben anderen Altären auch Altäre allen Göttern beziehungsweise dem Allgöttlichen geweiht, eine Bezeichnung, die auf orphisches Gedankengut schließen lässt.82 Unter den Altären befand sich auch ein Rundaltar mit der Weihung einer Hymnensängerin an die ansonsten seltene Göttin Nyx, die Nacht, der der dritte orphische Hymnos gewidmet ist.83 Auch an Sabazios ist eine Hymne gerichtet, dessen Kult, wie schon erläutert, in Pergamon sogar zum Staatskult aufstieg. Mit Zeus Saba­ zios wird in den Hymnen Hipta, die Amme des Dionysos angerufen. Sie wird als chtonische Mutter bezeichnet, die im lydischen Tmolos Gebirge oder im Idagebirge in Phrygien wohnt.84 Hipta ist eine seltene lokale Muttergottheit, die ansonsten nur in vier lydischen Inschriften des 2.–3. Jhs. n. Chr. aus der Landschaft Maionien nördlich des Tmolos Gebirges und somit auf ehemaligem pergamenischen Reichsgebiet genannt wird.85 O. Kern vermutete aufgrund der gehäuften Belege im pergamenischen Demeterheiligtum, dass die orphischen Hymnen dort gedichtet wurden. Diese Schlussfolgerung ist nach Guthrie zwar nicht zwingend, aber die Hinweise reichen aus, um anzunehmen, dass orphische Hymnen dort zumindest gesungen wurden.86 Das würde durchaus auch die ungewöhnlichen dionysischen Schmuckelemente im Demeterheiligtum erklären, die sich auf den Brüstungsplatten der römischen Südstoa befinden.87 Auch die Zusammenstellung von 79  Orphei Hymni 42; Kern 1911, S. 433; G. Ricciardelli (Hrsg.), Inni orfici, Rom / Mailand 2000 (Scrittori greci e latini), S. 398 ff.; Morand 2001, S. 169–174. 80  O. Kern, Die Herkunft des orphischen Hymnenbuchs, in: Genethliakon. Carl Robert zum 8. März 1910. Überreicht von der Graeca Halensis, Berlin 1910, S. 87–101, bes. S. 94; Morand 2001, S. 181–188; Athanassakis – Wolkow 2013, S. 195. 81  Orphei Hymni 30, 1; Ohlemutz 1940, S. 93 f.; H. Müller, Ein neues hellenistisches Weihepigramm aus Pergamon, Chiron 19, 1989, S. 499–553, bes. S. 540 f.; Michels 2011, S. 127 f. 82  Ohlemutz 1940, S. 219 f.; Agelidis 2011, S. 180. 83  Kern 1911, S. 434; Ohlemutz 1940, S. 218 ff.; Athanassakis – Wolkow 2013, S. 77. 84  Orphei Hymni 48, 4 u. 49. Auch Euripides lässt Dionysos und die Mänaden aus dem Tmolos-Gebirge stammen (Eur. Bacch. 64 u. 462). 85  Morand 2001, S. 174–181. 86  Guthrie 1935/1966, S. 261. 87  Zur Rolle des Dionysos im Demeterheiligtum: Ohlemutz 1940, S. 114 f. 22 El ke K ren g el Dionysos und Demeter auf dem Revers einer römischen Provinzialbronze Pergamons lässt sich orphisch erklären.88 Was die Datierung betrifft, stammen zwar fast alle archäologischen Belege aus dem 2.–3. Jh. n. Chr.89 M. L. West ist sich dennoch sicher, dass die orphischen zeitgleich mit den homerischen Werken bereits Anfang des 1. Jhs. v. Chr. in Pergamon kanonisiert wurden.90 Dort befand sich seit der Gründung durch Eumenes II. die zweitbedeutend­ ste Bibliothek der hellenistischen Welt nach der Bibliothek von Alexandrien, an der namhafte Dichter, Philosophen und Naturwissenschaftler versammelt waren.91 Ein zweiter Beleg dafür, dass die Orphik bereits im 2. Jh. v. Chr. in Pergamon beheimatet war, ist neben der erwähnten Weihung der Bakchoi des Dionysos Euaster an Eumenes II. nun die Cistophorenprägung. Ein weiterer Hinweis könnte meines Erachtens im Bildschmuck des Pergamonaltars gesehen werden. Pergamonaltar, Cistophoren und Datierung Es wird inzwischen allgemein angenommen, dass auf dem umlaufenden Fries des Großen Altars von Pergamon die Schlacht der olympischen Götter gegen die Giganten als Spiegelung eines historischen Ereignisses, nämlich der zweiten Schlacht der Attaliden gegen die Galater im Jahre 166 v. Chr. wiedergegeben ist.92 Am Sockelende rechts vom Treppenaufgang zum Altar und damit im besten Blickfeld des Altarbesuchers ist im Umfeld seiner Nymphen und Satyrn Dionysos dargestellt.93 Man hat diese herausragende Position damit erklärt, dass Dionysos Kathegemon vom attalidischen Herrscherhaus besonders verehrt wurde.94 B. Andreae wies darauf hin, dass die Attaliden für 88  H. v. Fritze, Die Münzen von Pergamon, Berlin 1910 (Preußische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse. Abhandlungen 1910, Anhang 1), Taf. IV 23 (Maximinus Thrax); Ohlemutz 1940, S. 120: „Ein erneuter Beweis für die gemeinsame Verehrung der Mysteriengottheiten“; B. Weisser, Die kaiserzeitliche Münzprägung von Pergamon, Diss. phil., München 1995, Nr. 2270, S. 115 sieht die Zusammenstellung als Göttergalerie. 89  Morand 2001, S. 285; Agelidis 2011, S. 180 geht deshalb von einer orphischen Kultausübung im Demeterheiligtum erst in römischer Zeit aus. 90  West 1983, S. 251; skeptischer gesehen von R. G. Edmonds III, Redefining Ancient Orphism. A Study in Greek Religion, Cambridge 2013, S. 45 u. 146. 91  S. Brehme, Die Bibliothek in Pergamon, in: Grüßinger u. a. 2011, S. 194–197. 92  H. Schwarzer, Der Herrscherkult der Attaliden, in: Grüßinger u. a. 2011, S. 110–117, bes. S. 112 f. 93  Es erscheint mir wahrscheinlicher, in der Göttin mit dem großen Löwen, die Dionysos im Kampf unterstützt, nicht Semele, sondern Hipta zu sehen, Amme des Dionysos in der orphischen Kosmogonie, die ebenfalls auf dem Berg Tmolos wohnt. Zweifel an der Identifizierung dieser Göttin mit Semele bestanden in der Forschung laut Simon 1975, S. 31 mit Anm. 156 bereits früher. Demnach wurde für diese Figur auch Nysa, eine andere Amme des Dionysos, vorgeschlagen. 94  Simon 1975, S. 49 f. O r phik in Per g a m o n 23 die Hervorhebung des Gottes auf dem Altarfries noch einen gewichtigeren Grund gehabt hätten. Nachdem die Pergamener 166 v. Chr. in der Schlacht am Berg Tmolos bei Sardes unter Aufbietung aller Kräfte die sie bedrohenden Galater vernichtend geschlagen hatten, schrieben sie ihren Sieg dem Eingreifen des Dionysos zu, der im Tmolos Gebirge aufgewachsen war, und weihten ihm am Schlachtort und in seinem Geburtsort Theben ein Heiligtum, wie man aus einer Weihinschrift des Eumenes II. für das Heiligtum des Dionysos Lyseios in Theben entnehmen kann.95 Auf der gegenüberliegenden Seite der Treppe auf dem nördlichen Risalit befinden sich Meeresgötter beginnend mit Okeanos. B. Andreae begründet die hervorgehobene Position der Meeresgötter mit der Flotte, die bei dem Aufstieg Pergamons eine besondere Rolle gespielt habe.96 Es gibt m. E. noch eine weiter gehende Erklärung. Fasst man bei dem um den Altar laufenden Fries die nördliche Treppenwange als Anfang und die südliche Treppenwange als Ende auf, beginnt der Fries mit Okeanos und seiner Frau und endet mit Dionysos und seinen Nymphen.97 Mit Okeanos und Dionysos beginnt und endet die Orphische Theogonie und zwar genau in der Version des Hieronymos und Hellanikos, die Athenagoras überliefert.98 Der Abschluss der Götterabfolge auf dem Großen Altar mit Dionysos als sechsten und letzten Götterkönig ist spezifisch orphisch. Die orphische Theogonie in der Version des Hieronymos und Hellanikos scheint also in Pergamon die Gestaltung nicht nur der Cistophoren, sondern auch des Pergamonaltars beeinflusst zu haben. Man könnte sich vorstellen, dass ähnlich wie am Altarfrieses auch auf den beiden Münzseiten der Cistophoren und ihrer Unterwerte Anfang und Ende der orphischen Kosmogonie dargestellt sind. Neben Zeus und Rhea kommt nämlich in der orphischen Version von Hieronymos und Hellanikos am Beginn der Kosmogonie gleich nach Okeanos bzw. dem Wasser ein weiteres göttliches Schlangenpaar vor, Chronos und Ananke. Noch ungeklärt ist, warum in orphischen Schriften Chronos, die Zeit, auch Herakles genannt wurde.99 Es gäbe damit aber tatsächlich mythisch eine Verbindung zwischen Dionysos am Ausgang der Kosmogonie und Herakles kurz nach dem Auftakt, 95  B. Andreae, Der Farnesische Stier. Schicksale eines Meisterwerkes, Freiburg i. Br. 1996 (Quellen zur Kunst 1), S. 81 f.; E. Robert, Études anatoliennes. Recherches sur les inscriptions grecques de l’Asie Mineure, Paris 1937 (Études orientales 5), Nr. 4, 84. 96  B. Andreae, Skulptur des Hellenismus, München 2001, S. 139. 97  Simon 1975, S. 5, die als Vorbild für die Götteranordnung des Frieses die Kosmogonie Hesiods ansah, konnte unter dieser Prämisse zu Recht keine chronologische Abfolge, sondern nur genealogische Übereinstimmungen von Göttergruppen an den einzelnen Altarseiten erkennen, denn Hesiods Theogonie beginnt mit Chaos und Gaia, worauf Nacht und Uranos folgen; Hes. theog. 116–133. 98  Kern 1922, Fragm. 57 = Athenag. suppl. 18. Vgl. West 1983, S. 179–190. Athenagoras sieht den Anfang der orphischen Theogonie mit der Homers im Einklang, denn bei diesem beginnt die Kosmogonie ebenfalls mit Okeanos und Thetis, Hom. Il. 14, 201. 99  West 1983, S. 190–198; Orphei Hymni 12. 24 El ke K ren g el der bekanntlich zugleich auch der Stammvater der Attaliden war. Die Analyse der römischen Cistophoren wird allerdings zeigen, dass die Identifizierung des Schlangenpaares mit Zeus und Rhea die vorherrschende sein muss und diejenige mit Chronos/Herakles und Ananke allenfalls mitschwingt. Fand womöglich sowohl der Baubeginn des Pergamonaltars als auch die Einführung der Cistophoren in demselben Zeitraum statt? Das würde tatsächlich zutreffen, wenn man sowohl für den Altarbau als auch für die einsetzende Cistophorenprägung die Spätdatierungen bevorzugen würde.100 A. Meadows geht aufgrund einer mehrmaligen Beizeichenüberlappung von Philetairos-Tetradrachmen und Cistophoren und entsprechender Hortfundauswertungen davon aus, dass die Cistophorenprägung unter Eumenes II. in den sechziger Jahren des 2. Jhs. v. Chr. einsetzte.101 Er schlug noch präziser vorläufig dasselbe Jahr vor wie zuvor schon Kleiner, 167/166 v. Chr., also das Jahr, in dem Eumenes II. den Krieg gegen die Galater führte und mit Dionysos’ Hilfe gewann.102 P. Thonemann meint, Eumenes II. hätte mit den Cistophoren bewusst die Münzen der Achäischen Liga imitiert, mit welcher er bereits im Krieg gegen Antiochos III. verbündet gewesen war, und die Liga als Modell für ein Koinon, einen Städtebund des pergamenischen Reiches, angesehen.103 Diese Einschätzung erklärt allerdings in keiner Form die spezifisch religiöse Programmatik der cistophorischen Bilder. Die Ikonographie der neuen Reichswährung propagierte etwas anderes, nämlich dass sich die Städte des pergamenischen Reiches vereint unter dem Schutz des orphischen Dionysos befänden, der die Unzerstörbarkeit ihrer Existenz garantierte. Die Schutzfunktion des Gottes und des mit ihm verbundenen Götterpantheons wurde im pergamenischen Reich noch höherwertiger als die Schutzfunktion des Königs angesehen, weshalb man bei dieser Binnenwährung sogar darauf verzichtete, ein Königsporträt auf die Münzen zu setzen. Handelte es sich bei der Orphik hier bereits um eine Art von Reichsreligion? Zumindest kann man  Ein kommentiertes Literaturverzeichnis über die verschiedenen Datierungsansätze für den Pergamonaltar bietet W. Radt in: G. De Luca – W. Radt, Sondagen im Fundament des Großen Altars, Pergamenische Forschungen 12, 1999, S. XV–XIX. 101  Meadows 2013, S. 175–178; R. Ashton befürwortet eine frühe Datierung zwischen den späten 190er und 180er Jahren: R. Ashton, The Attalid Poll-Tax, ZPE 104, 1994, S. 57–60 und ders., The Use of the Cistophoric Weight-Standard Outside the Pergamene Kingdom, in: Thonemann 2013, S. 245–264, bes. S. 249; ebenso Marcellesi 2012, S. 132–145; F. de Callataÿ, The Coinages of the Attalids and their Neighbours: A Quantified Overview, in: Thonemann 2013, S. 207-244, bes. S. 227, nimmt eine mittlere Position ein und präferiert eine Periode zwischen 180 und 170 v. Chr. 102  Kleiner – Noe 1977, S. 18. 103  Thonemann 2013, S. 33 f. 100 O r phik in Per g a m o n 25 da­von aus­gehen, dass das attalidische Herrscherhaus die Einweihung in die bacchischen Riten unterstützte und förderte.104 Die Bedeutung des Schlangenpaares auf den Prägungen Marc Antons und Octavians Anhand der Adaption und Umgestaltung der von den Pergamenern entwickelten Cistophorenmotive durch die Römer wird deutlich, dass ein tieferes Verständnis ihrer Aussage erst mithilfe der orphischen Erklärung möglich ist. Die Interpretation der Ikonographie bleibt sonst, wie so häufig, in einer rein phänomenologischen Beschreibung stecken.105 D. Mannsperger arbeitete dagegen hervorragend heraus, wie Marc Anton und Octavian auf ihren Cistophoren noch mithilfe kleinster Details ihre jeweiligen Positionen als Neos Dionysos und apollinischer Vindex Libertatis propagierten. Dank der orphischen Entschlüsselung des Schlangenpaares und der Cista mystica lassen sich nun bei der Interpretation der römischen Cistophoren noch mehr Erkenntnisse gewinnen. Da das jeweilige Herrscherporträt den Avers einnahm, wurden sämtliche von den hellenistischen Cistophoren übernommenen Motive auf dem Revers versammelt. Dabei wurde das Schlangenpaar neben der Cista mystica als so bedeutsam angesehen, dass es in jedweder Form auf keinem der römischen Reverse fehlt, während die Bogentasche aus den schon erörterten Gründen entfallen konnte. Marc Anton ließ, wie schon erwähnt, vermutlich während seines Aufenthalts in Kleinasien 41 v. Chr., als er seine Rolle als Neos Dionysos zu zelebrieren begann, die Cistophorenprägung auf Kreta, dem mythischen Ursprungsort des orphischen Dionysoskultes, wiederaufleben.106 Zwei Jahre später, nachdem er 40 v. Chr. seinen Pakt mit Octavian durch die Heirat mit dessen Schwester Octavia in Rom besiegelt hatte, kehrte er zusammen mit seiner Frau und der gerade geborenen Tochter Antonia in den Osten zurück und residierte in Athen.107 Zwei unterschiedlich gestaltete Cistophorenprägungen wurden vermutlich im Sommer 39 v. Chr. für Marc Anton und Octavia in Ephesos herausgegeben.108 Die eine Ausgabe zeigt auf dem Avers das efeubekränzte Porträt des Marc Anton und das der Octavia im Perlkreis, in hellenistischer Tradition hintereinander gestaffelt, mit der Umschrift M. AN Im Gegensatz zu den Römern, die nach dem Bacchanalienskandal im Jahr 186 v. Chr. den Dionysoskult einzudämmen versuchten, vgl. M. Riedl, The Containment of Dionysos: Religion and Politics in the Bacchanalia Affair of 186 BCE, International Political Anthropology 5, 2012, S. 113-133. 105  So z. B. bei L. Horne, Images and insights: the provincial coinage of Mark Antony, JNAA 19, 2008, S. 87–92. 106  Zur Rolle Marc Antons als Dionysos: Mannsperger 1973, S. 386. 107  Plut. Ant. 31 u. 33. 108  RPC I 1, S. 377 Nr. 2201. 2202; zur Feindatierung: Mannsperger 1973, S. 384 Anm. 10. 104 26 El ke K ren g el TONIVS. IMP. COS. DESIG. ITER. ET. TERT. Auf dem Revers befindet sich zwischen der Aufschrift III. VIR. R. P. C. eine Cista mystica, umgeben von den sich paarenden Schlangengöttern, die in derselben Position wie auf den griechischen Cistophoren wiedergegeben sind (Abb. 17). Auf der geschlossenen Cista steht Dionysos mit langem Gewand, der sich mit seiner Linken auf einen Thyrsos stützt und mit seiner Rechten einen Kantharos hält. Damit wird die zweistufige Abfolge der mythischen Zeugung des Gottes, nun von außen nach innen zu lesen, komprimiert auf einer Münzseite dargestellt: Zuerst wurde im Hieros Gamos Persephone gezeugt, später gebar Persephone Dionysos. Die andere Cistophorenausgabe für Marc Anton und Octavia mit derselben Umschrift variiert die Darstellung nicht unerheblich. Hier wird der Imperator auf dem Avers alleine dargestellt (Abb. 18). Das dionysische Umfeld wird durch einen zweiten Efeukranz als Randbegrenzung noch stärker betont. Unter dem Kopf Marc Antons deutet ein Lituus auf sein Amt als Mitglied des Augurenkollegiums hin.109 Die Büste der Octavia findet sich auf dem Revers, wo sie anstelle des stehenden Dionysos auf die Cista mystica gesetzt ist. Für die ungewöhnliche Position des Kopfes über der Cista mystica konnte bisher noch keine Erklärung gefunden werden.110 Interpretiert man jedoch, wie zuvor schon erläutert, die Cista als Frauenschoß, dann nimmt Octavia hier die Rolle der Persephone ein. Sie würde damit die lange Reihe von römischen Kaiserinnen anführen, die seit Livia als Ceres/Demeter dargestellt wurden.111 Sollte diese Cisto­phorenemission noch vor der Geburt der Antonia und vor der Ankunft der Familie im Osten des Reiches in Auftrag gegeben worden sein, könnte das Bild einen Hinweis auf die Schwangerschaft und die Hoffnung auf die Frucht einer sowohl göttlichen als auch irdischen Heiligen Hochzeit zum Ausdruck gebracht haben. Wäre nämlich aus der Verbindung zwischen Marc Anton und Octavians Schwester ein Sohn hervorgegangen, so wäre er der gegebene Kandidat für die zukünftige Weltherrschaft gewesen, ganz so wie der orphische Dionysos zum nächsten Götterkönig auserkoren war.112 Zwei Münzprägungen des Octavian, die nach dem Sieg über Anton herausgegeben wurden, nehmen direkt auf die Cistophoren Marc Antons Bezug  Mannsperger 1973, S. 385 Anm. 12.  Ders., S. 384 Anm. 9. 111  Quellenbelege bei H. Temporini, Die Frauen am Hofe Trajans. Ein Beitrag zur Stellung der Augustae im Principat, Berlin / New York 1979, S. 72 Anm. 353. Die Ehefrauen Marc Antons waren sowieso die ersten Römerinnen, die auf Münzen abgebildet wurden. 112  Auf dynastische Ambitionen weist auch die Münzprägung Marc Antons für seinen Sohn Antyllus hin, vgl. W. Trillmich, Münzpropaganda, in: W.-D. Heilmeyer - E. La Rocca - H. G. Martin (Hrsg.), Kaiser Augustus und die verlorene Republik. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 7. Juni – 14. August 1988, Berlin / Mainz 1988, S. 474–528, bes. S. 481. 109 110 O r phik in Per g a m o n 27 und sind nach Mannsperger als propagandistische Antwort darauf zu verstehen. Der wahrscheinlich in Italien zwischen 29 und 27 v. Chr. geprägte Quinar zeigt auf dem Avers den Kopf Octavians mit der Legende CAESAR IMP VII und auf dem Revers, wieder umgeben von den sich paarenden Schlangen die Cista mystica (Abb. 19).113 Auf dem Korb steht nun allerdings statt Dionysos eine Victoria mit Palmzweig und Siegeskranz und zusammen mit der Umschrift ASIA RECEPTA ist die Aussage klar, dass Marc Anton als Neos Dionysos besiegt und die Provinz Asien zurückgewonnen wurde. In dieser mystischen Cista sollte in Zukunft kein neuer Dionysos mehr entstehen. Der 28 v. Chr. in Ephesos geprägte Cistophor Octavians ist der apollinische Gegenentwurf zur dionysischen Selbstdarstellung Marc Antons (Abb. 20).114 Die Besonnenheit Apollons wird gegen die dionysische Ekstatik gesetzt. Auf dem Avers bezeichnet sich Octavian in der Umschrift IMP. CAESAR. DIVI. F. COS. VI. LIBERTATIS. P. R. VINDEX als Beschützer der Freiheit des römischen Volkes und trägt zum ersten Mal den Lorbeerkranz Apollons. Ein großer Lorbeerkranz umgibt auch die Reversdarstellung, in deren Zentrum die auf ein Kurzschwert tretende Personifikation des Friedens, Pax, wie die erläuternde Reverslegende besagt, abgebildet ist. Auch bei dieser Emission erweitert das orphische Vorbild die Interpretationsmöglichkeiten: Wie bei dem Quinar ist auf dieser Prägung Dionysos nicht mehr zu sehen. Im Hintergrund thront klein auf der Cista mystica die Zeus-Sabazios-Schlange, ein Motiv, das es schon als Beizeichen auf attalidischen Cistophoren gab.115 Die im Unterschied zum Vorbild verkleinerte und aus dem Zentrum gerückte Cista mystica, von der sich Pax abwendet, macht den Bewohnern der Provinz Asien deutlich, dass der dionysische Kult zwar noch geduldet wird, aber keine große Rolle mehr spielen soll. Auch die sich paarenden Schlangen sind nur noch in einem Symbol auf dem Revers vorhanden. Pax hält sie als Kerykeion in ihrer rechten Hand empor. Die Erklärung von Athenagoras, dass der Stab des Hermes das Zeichen der Heiligen Hochzeit von Zeus und Rhea sei, stammt, so K. Kerényi, ebenso wie der Vergleich mit dem „Herakleotischen Knoten“ vermutlich aus der orphischen Originalquelle.116 Diese Vorstellung von der Bedeutung des Kerykeions, egal, ob sie wirklich der Ursprungssymbolik entsprach oder nicht, war offenbar bereits im 2. Jh. v. Chr. in der griechischen Welt weit verbreitet, denn sogar auf Bronzemünzen des baktrischen Königs Demetrios I. wurde das Kerykeion mit Schlangenköpfen und Hera­klesknoten abgebildet (Abb. 21).117 Bei der Konzeption von Octavians  RIC I2, S. 31 u. 61 Nr. 276.  RPC I, S. 377 Nr. 2203; Mannsperger 1973, S. 382. 115  Vgl. Abb. 5: Kleiner – Noe 1977, Series 28. 116  Kerényi 1994, S. 81. 117  Zur Geschichte und Bedeutung des Kerykeions: M. Halm-Tisserant - G. Siebert, Kerykeion, LIMC VIII 1, Zürich / Düsseldorf 1997, S. 728–730; das Vorbild für das Motiv stammt, wie 113 114 28 El ke K ren g el Pax-Cistophor ging man offensichtlich davon aus, dass die griechische Bevölkerung des Ostens neben der Hauptbedeutung des Stabes als Zeichen der Eintracht die orphische Nebenbedeutung kannte und verstand. Dieses Verständnis war auch später noch in Rom vorhanden, wie die PAX AVGVSTAE Prägungen unter Claudius zeigen, auf denen die geflügelte Pax das Kerykeion über eine vorauskriechende Bartschlange hält.118 Auf dem Cistophor Octavians wurden die sich ehemals wild paarenden Schlangen jetzt von Pax quasi gezähmt und kontrolliert vorgeführt, ein Beispiel für die Gesinnung, die zu den ein paar Jahre später von Augustus verordneten strengen Tugend- und Ehegesetzen führte.119 Orphik in Judäa: Das Schlangenpaar auf den flavischen Prägungen Ein weiteres Mal in der Münzprägung wurde das Motiv der Cista mystica und des Schlangenpaares von den flavischen Kaisern aufgegriffen. Auf Aurei und Denaren des Vespasian und Titus, durch die Konsulatsangaben datiert auf 75 n. Chr., erscheint auf den Reversen mit der Legende PONTIF TR P COS VI (Vespasian) und PONTIF TR P COS IIII (Titus), eine von einem Schlangenpaar umgebene Cista mystica, auf der eine Victoria mit Palmzweig und Siegeskranz steht (Abb. 22).120 Das Rückseitenbild ist eindeutig eine Kopie des ASIA RECEPTA-Quinars von Octavian. Wie L. Winkler-Horaček darlegte, muss der Anlass der Prägung im Jahr 75 n. Chr. die Fertigstellung und Öffnung des Friedenstempels gewesen sein, den Vespasian in Rom anlässlich des Sieges im Jüdischen Krieg 69/70 n. Chr. E. D. Van Buren, Entwined Serpents, Archiv für Orientforschung 10, 1935–1936, S. 53–65, bes. S. 55 darlegt, wahrscheinlich, obwohl von Halm-Tisserant und Siebert angezweifelt, aus dem vorderasiatischen Raum. Van Buren weist darauf hin, dass es sich bei dem Motiv um sich paarende Schlangen handelt, wobei sich auf seinen Beispielen die Schlangenleiber häufiger als zweimal überkreuzen. Die Schlangenstelen für Fruchtbarkeitsopfer zeigen in Indien heute noch dieselbe Form, sowohl die der Mehrfachüberkreuzungen als auch die Form einer Acht, vgl. H. Uber - P. P. Mondhe, Weltschlangen – Schlangenwelten. Auf den Spuren eines Reptils durch Mythos und Magie, München 2002, Abb. S. 36 u. 37. Abb. 21: Æ Trichalkon des Demetrios I., Baktrien, circa 200–190 v. Chr., Vs.: Elephantenkopf mit erhobenem Rüssel und Glocke um den Hals. Rs.: ΒΑΣΙΛΕΩΣ ΔΗΜΗΤΡΙΟΥ; Kerykeion; O. Bopearachchi, Monnaies gréco-bactriennes et indo-grecques. Catalogue raisonné, Paris 1991, S. 167, série 5, Monogramm nicht gelistet. 118  Zu den Prägungen des Claudius: RIC I2, S. 122 Nr. 9 und S. Weinstock, Pax and the ‚Ara Pacis‘, JRS 50, 1960, S. 44–58, bes. S. 50. 119   Zu den Ehegesetzen: A. Mette-Dittmann, Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps, Stuttgart 1991 (Historia Einzelschriften 67). 120  RIC II 12, S. 114 Nr. 775 (Vespasian Aureus), Nr. 776 (Vespasian Denar) und S. 115 Nr. 785 (Titus Aureus). Abb. 22: Vs.: T CAESAR IMP VESPASIAN; Kopf des Titus mit Lorbeerkranz nach rechts. Rs.: PONTIF TR P COS IIII; Victoria mit Palmzweig und Siegeskranz auf Cista mystica, umgeben von zwei aufgerichteten Schlangen. O r phik in Per g a m o n 29 errichten ließ.121 Der Autor ist allerdings der Meinung, dass die einzelnen dionysischen Bildzeichen in der flavischen Nachahmung des augusteischen Vorbildes ihren ursprünglichen Sinn verloren hätten, sich nur indirekt auf den Sieg über Judäa bezögen und nur noch als Chiffre für den Sieg und die Herrschaft Roms über den Osten gedeutet werden sollten. Betrachtet man jedoch das Reversbild der flavischen Prägungen genauer, erkennt man einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied im Vergleich zum augusteischen Vorbild, ja sogar zu sämtlichen je geprägten griechischen Vorbildern: Das Schlangenpaar hat keinen direkten Körperkontakt mehr. Die Tiere bilden zwar im Bereich der Geschlechtsorgane mit ihren Körpern immer noch die üblichen Schlaufen, aber diese sind nicht mehr durch einen Knoten miteinander verbunden und die Schwanzenden hängen lose herunter. Da diese Darstellungsweise auf allen bekannten Stempeln der Flavier erscheint, kann an eine Nachlässigkeit einzelner Stempelschneider nicht gedacht werden.122 Das Bild war offensichtlich von vornherein so konzipiert. Die variierte Aussage war offenbar wichtig und für jeden, der sehen kann, klar: Das Paar kann und soll keine Nachkommen mehr zeugen. Es ist hochwahrscheinlich, dass die Bevölkerung, die anlässlich der Einweihung des Friedenstempels in Rom die dionysischen Motive auf den Aurei und Denaren zu sehen bekam, Dionysos mit Yahweh, dem Gott der Juden assoziierte.123 Es spielt dabei keine Rolle, wie das jüdische Volk selbst diese Angleichung empfand. Aus Sicht eines Römers waren die Juden offenbar mit den potentiell anarchistischen Dionysosanhängern gleichzusetzen. Bereits 139 v. Chr. wurden Juden für Sabaziosanhängern gehalten und aus Rom und Italien ausgewiesen.124 Der zur Zeit der flavischen Kaiser schreibende Plutarch nannte mehrere übereinstimmende Merkmale, anhand derer eine Gleich­setzung des bacchischen und jüdischen Kultes gerechtfertigt sei.125  Winkler-Horaček 2010, S. 457–483, bes. S. 467 ff.  Winkler-Horaček 2010 erwähnt S. 463 mit Anm. 35 neben Aurei und Denaren auch Sesterzen des Vespasian mit dem Cistophorenmotiv. Es handelt sich hier allerdings um ein Exemplar aus Paris, das zwar im Katalog des Britischen Museums aufgelistet und abgebildet wurde, sich aber offensichtlich als eine ältere Fälschung herausstellte, wie schon anhand des Stils und des starken Untergewichts von nur 12,88 g ersichtlich ist: H. Mattingly, Coins of the Roman Empire in the British Museum, Bd. II: Vespasian to Domitian, London 1930 (Catalogue of the Roman Coins in the British Museum), S. 165, §. Aus diesem Grund wurde das Nominal nicht mehr im RIC II 12 aufgenommen. Neben anderem berücksichtigte der Fälscher nicht die ikonographische Besonderheit der Emission, die nicht mehr miteinander verbundenen Schlangen. 123  R. Seaford, Dionysos, Abingdon / New York 2006 (Gods and Heroes of the Ancient World), S. 120 f. 124  E. J. Bickerman, The Altars of the Gentiles: A Note on the Jewish ‘Ius Sacrum’, RIDA III 5, 1958, S. 137–164, bes. S. 144–151, vermutete sogar, dass diese jüdischen Sabaziosanhänger aus Pergamon kamen; dazu auch Lane, CCIS II, S. 47 T. 12 u. III, S. 8 f. 125  Plut. symp. 4, 6, 2. J. M. Scott, Bacchius Iudaeus. A Denarius Commemorating Pompey’s Victory over Judea, Göttingen / Bristol CT 2015 (Novum Testamentum et Orbis Antiquus. 121 122 30 El ke K ren g el Diese Überzeugung war nicht völlig unbegründet, denn Bestrebungen einer Angleichung gab es sowohl von außen oktroyiert als auch innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft.126 Ab dem 2. Jh. v. Chr. wurde sogar in Alexandrien der Orpheus-Mythos von hellenisierten jüdischen Kreisen aufgegriffen und in das jüdische religiöse Weltbild integriert.127 Vor allen Dingen bekamen auch die einfachen römischen Legionäre während des Krieges in Judäa Hinweise auf den vermeintlichen Dionysoskult vor Augen geführt: unter anderem goldene Weinranken im Inneren des Tempels Yahwehs in Jerusalem – die Beute wurde in den Tempelhallen des römischen Friedenstempels ausgestellt -, und die zahlreichen jüdischen Münzen mit Weinsymbolen, speziell die mit einem Kantharos und einem Weinblatt geschmückten Bronzemünzen des jüdischen Aufstandes aus den Jahren 67/68 und 68/69 n. Chr. (Abb. 23).128 Die flavische Gold- und Silberemission kann als direkte Antwort auf die jüdischen Aufstandsmünzen gesehen werden: Mit dem Symbol der unverbundenen Schlangen gibt sie dem Wunsch Ausdruck, dass der Schoß für die aufständischen Dionysosanhänger nicht mehr fruchtbar sei. Von allen hier untersuchten Münzen mit dem Bild des Schlangenpaares zeigt besonders das Beispiel der flavischen Prägungen, dass das Schlangenpaar ausschließlich in einem dionysischen Kontext zu sehen ist. Die entscheidende ursprüngliche Aussage des Bildes ist, dass das Götterpaar, ausgedrückt durch die Verknotung der Leiber, fortpflanzungsfähig ist und damit Zeugung und Wiedergeburt des Dionysos garantiert werden kann. So erscheint ein letztes Mal das Schlangenpaar auf einem äußerst seltenen Tridrachmon des Trajan, in Kleinasien oder dem Nahen Osten geprägt, wie- Studien zur Umwelt des Neuen Testaments 104), S. 51 ff. Tac. hist. 5, 5, 5 erörterte dasselbe Thema, entschied sich aber gegen eine Gleichsetzung. 126  Im 2. Jh. v. Chr. wurden die Juden von Antiochos IV. gezwungen, bacchische Prozessionen abzuhalten und Efeukränze zu tragen: 2 Makk 6, 7. M. López Salvá, Dionysos and Dionysism in the Third Book of Maccabees, in: A. Bernabé - M. Herrero de Jáuregui - A. I. Jiménez San Cristóbal - R. Martín Hernández (Hrsg.), Redefining Dionysos, Berlin / Boston 2013 (MythosEikonPoiesis 5), S. 452-463. 127  Z. B. machte Artapanos von Alexandrien Moses zum Lehrer von Orpheus, West 1983, S. 33 f.; G. G. Stroumsa, The Afterlife of Orphism: Jewish, Gnostic and Christian Perspectives, Historia Religionum 4, 2012, S. 139–157, bes. S. 143–149. 128  Zu den in den Hallen des Friedenstempels ausgestellten Beutestücken: Winkler-Horaček 2010, S. 470; zu der Bedeutung der Weinsymbole auf jüdischen Münzen, die sich u. a. auf das Sukkotfest beziehen könnten: D. Hendin, Jewish Coinage of the Two Wars: Aims and Meaning, in: D. M. Jacobson - N. Kokkinos (Hrsg.), Judaea and Rome in Coins, 65 BCE - 135 CE. Papers Presented at the International Conference Hosted by Spink, 13th – 14th September 2010, London 2012, S. 123-144, bes. S. 138. Abb. 23: Y. Meshorer, Ancient Jewish Coinage, Bd. II, New York 1982, S. 260, 11: Prutah aus dem Jahr 2 des jüdischen Aufstandes, 67/68 n. Chr., Vs.: Hebräische Legende: Jahr 2; Amphore. Rs.: Hebräische Legende: Freiheit Zions; Weinblatt an Weinrebe. O r phik in Per g a m o n 31 der im Kno­ten ver­eint (Abb. 24).129 Die Reversdarstellung ist eine Kopie eines Cistophors Marc Antons. Auf der Cista mystica steht Dionysos mit langem Gewand sich mit seiner Linken auf einen Thyrsos stützend, mit seiner Rechten Wein aus einem Trinkgefäß gießend und von den sich paarenden Schlangen umgeben. Die Prägung ist datiert auf das Jahr 113/114 n. Chr., dem er­sten Jahr des großen Orientfeldzugs Trajans. Wie aus der mit ihr verbundenen Tridrachmon-Emission mit dem Reversbildnis der Diana von Ephesos zu ersehen ist, wurde auf den Münzen propagandistisch auf die alten religiösen Werte des griechischen Ostens gesetzt – die orphische Bewegung hatte im 2. Jh. n. Chr. in Pergamon einen erneuten Höhepunkt erreicht -, um damit die Sympathien der griechischen Bevölkerung im Aufmarschgebiet des Partherfeldzuges zu gewinnen. Betrachtet man die Entwicklung des Schlangenmotivs über die Jahrhunderte hinweg, wird deutlich, dass die ursprünglich religiöse Aussage auf den hellenistischen Prägungen unter den Römern mehr zu einer politischen wurde. Für die Zeitgenossen waren die Aussagen in jedweder Ausprägung bedeutsam. Die angebliche Hässlichkeit, mit der die Cistophoren auf den modernen Betrachter wirken, ist wahrscheinlich, abgesehen von der Unkenntnis über die Bedeutung der Symbolik, in der unbewusst empfundenen Gefährlichkeit und Sündhaftigkeit der Schlangen begründet.130 Dabei ist die Ikonographie der Cistophoren mit Sicherheit eines nicht: langweilig. 129  RPC III 2, S. 799 ff.; von E. A. Sydenham, The Coinage of Caesarea in Cappadocia, London 1933, S. 64 Nr. 186, wurde dieser Münztypus noch nach Caesarea in Kappadokien gelegt; B. Woytek, Die Cistophore der Kaiser Nerva und Traian, SNR 89, 2010, S. 69–144, bes. S. 122 ff. sieht den Ursprung der Münzen mit Cistophorentypen im Nahen Osten. Abb. 24: RPC III 1, Nr. 3574; Woytek Typ 4, Vs.: ΑΥΤΟΚΡ ΚΑΙC ΝΕΡ ΤΡΑΙΑΝΟC CΕΒ ΓΕΡΜ ΔΑΚ; Kopf des Trajan mit Lorbeerkranz. Rs.: ΔΗΜΑΡΧ ΕΞ ΙΖ ΥΠΑΤS; Dionysos mit langem Gewand auf einer Cista mystica nach links stehend, sich mit seiner Linken auf einen Thyrsos stützend, mit seiner Rechten Wein aus einem Trinkgefäß gießend, umgeben von zwei in einem Knoten verbundenen, aufgerichteten Schlangen. 130  E. S. G. Robinson, Cistophori in the Name of King Eumenes, NC VI 14, 1954, S. 1-8, bes. S. 1, empfand besonders die krümmenden Leiber der Schlangen und die überladene Verzierung als hässlich. 32 El ke K ren g el Tafel I (M. 1,5 : 1) Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 (ohne M.) O r phik in Per g a m o n 33 Tafel II (M. 1,5 : 1) Abb. 5 Abb. 7 Abb. 6 Abb. 8 34 El ke K ren g el Tafel III (M. 1,5 : 1) Abb. 9 Abb. 10 Abb. 12 (ohne M.) Abb. 11 Abb. 13 O r phik in Per g a m o n 35 Tafel IV (M. 1,5 : 1) Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 36 El ke K ren g el Tafel V (M. 1,5 : 1) Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 O r phik in Per g a m o n 37 Tafel VI (M. 1,5 : 1) Abb. 22 Abb. 21 Abb. 23 Abb. 24 38 El ke K ren g el Abgekürzt zitierte Literatur Agelidis 2011 AMNG III Athanassakis – Wolkow 2013 Bremmer 2014 Burkert 1972 CCIS Grüßinger u. a. 2011 Guthrie 1935/1966 Kerényi 1994 Kern 1911 Kern 1922 Kleiner – Noe 1977 Kosmetatou 1998 Krauskopf 2005 Küster 1913 Lane, CCIS II Lane, CCIS III S. Agelidis, Kulte und Heiligtümer in Pergamon, in: R. Grüßinger – V. Kästner – A. Scholl (Hrsg.), Pergamon. Panorama der antiken Metropole [Begleitbuch zur Ausstellung der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel, 30. September 2011 – 30. September 2012], Petersberg 2011, S. 174–183. H. Gaebler (Bearb.), Die antiken Münzen Nord-Griechenlands, Bd. III: Die antiken Münzen von Makedonia und Paionia, 1./2. Abteilung, Berlin 1906/1935. A. N. Athanassakis – B. M. Wolkow, The Orphic Hymns. Trans­lation, Introduction, and Notes, Baltimore 2013. J. N. Bremmer, Initiation into the Mysteries of the Ancient World, Berlin / Boston 2014 (Münchner Vorlesungen zu Antiken Welten 1). W. Burkert, Homo Necans, Interpretationen altgriechischer Opferriten und Mythen, Berlin / New York 1972 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 32). Corpus Cultus Iovis Sabazii (CCIS); s. Lane und Vermaseren. R. Grüßinger – V. Kästner – A. Scholl (Hrsg.), Pergamon. Panorama der antiken Metropole [Begleitbuch zur Ausstellung der Antiken­ sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin im Pergamonmuseum auf der Berliner Museumsinsel, 30. September 2011 – 30. September 2012], Petersberg 2011. W. K. Ch. Guthrie, Orpheus and Greek Religion. A Study of the Orphic Movement, London 1935, New York 19662. K. Kerényi, Dionysos, Urbild des unzerstörbaren Lebens, Stuttgart 1994 (K. Kerényi, Werke in Einzelausgaben, hrsg. von M. Kerényi). O. Kern, Das Demeterheiligtum von Pergamon und die orphischen Hymnen, Hermes 46, 1911, S. 431–436. O. Kern, Orphicorum Fragmenta, Berlin 1922. F. S. Kleiner – S. P. Noe, The Early Cistophoric Coinage, New York 1977 (Numismatic Studies 14). E. Kosmetatou, Cistophori and Cista Mystica. A New Interpretation of the Early Cistophoric Types, RBN 144, 1998, S. 11–19. I. Krauskopf, Kiste, cista, in: Thesaurus Cultus et Rituum Antiquorum (ThesCRA), Bd. V: Personnel of Cult. Cult Instruments, Los Angeles 2005, S. 274–278. E. Küster, Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion, Gießen 1913 (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 13, 2). E. N. Lane, Corpus Cultus Iovis Sabazii (CCIS), Bd. II: The Other Monuments and Literary Evidence, Leiden 1985 (EPRO 100, 2). E. N. Lane, Corpus Cultus Iovis Sabazii (CCIS), Bd. III: Conclusions, Leiden / New York / Kopenhagen / Köln 1989 (EPRO 100, 3). O r phik in Per g a m o n Mannsperger 1973 Marcellesi 2012 Meadows 2013 Michels 2011 Morand 2001 Nilsson 1950 Noe 1950 Ohlemutz 1940 Orphei Hymni Panel 1734 Pinder 1856 RIC I2 RIC II 12 Rouanet-Liesenfelt 1984 RPC I RPC III RRC Simon 1975 39 D. Mannsperger, Apollon gegen Dionysos. Numismatische Bei­ träge zu Octavians Rolle als Vindex Libertatis, Gymnasium 80, 1973, S. 381–404. M.-Ch. Marcellesi, Pergame de la fin du Ve au début du Ier siècle avant J.-C. Pratiques monétaires et histoire, Pisa / Rom 2012 (Studi Ellenistici 26). A. Meadows, The Closed Currency System of the Attalid Kingdom, in: P. Thonemann (Hrsg.), Attalid Asia Minor. Money, International Relations and the State, Oxford / New York 2013, S. 149–205. Ch. Michels, Dionysos Kathegemon und der attalidische Herrscher­ kult. Überlegungen zur Herrschaftsrepräsentation der Könige von Pergamon, in: L.-M. Günther – S. Plischke (Hrsg.), Studien zum vorhellenistischen und hellenistischen Herrscherkult, Berlin 2011 (Oikumene. Studien zur antiken Weltgeschichte 9), S. 114–140. A.-F. Morand, Études sur les Hymnes orphiques, Leiden / Boston / Köln 2001 (Religions in the Graeco-Roman World 143). M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion, Bd. II: Die hellenistische und römische Zeit, München 1950 (HdAW V 2, 2). S. P. Noe, Beginnings of the Cistophoric Coinage, ANS MN 4, 1950, S. 29–41. E. Ohlemutz, Die Kulte und Heiligtümer der Götter in Pergamon, Würzburg 1940. W. Quandt (Hrsg.), Orphei Hymni, Berlin 1941. A. X. Panel, De Cistophoris, Lyon 1734. M. E. Pinder, Über die Cistophoren und über die kaiserlichen Silbermedaillons der römischen Provinz Asia, Berlin 1856 (Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem Jahre 1855. Philologische und historische Abhandlungen, S. 533– 635). C. H. V. Sutherland, The Roman Imperial Coinage, Bd. I: From 31 BC to AD 69, London 19842. I. A. Carradice – T. V. Buttrey, The Roman Imperial Coinage, Bd. II 1: From AD 69–96: Vespasian to Domitian, London 20072. A.-M. Rouanet-Liesenfelt, Le crétarque Kydas, in: Aux origines de l’Hellénisme. La Crète et la Grèce. Hommage à Henri Van Effenterre, Paris 1984 (Publications de la Sorbonne. Histoire Ancienne et Médiévale 15), S. 343–352. A. Burnett – M. Amandry – P. P. Ripollès, Roman Provincial Coinage, Bd. I: From the death of Caesar to the death of Vitellius (44 BC – AD 69), 2 Teile, London / Paris 1992. M. Amandry – A. Burnett, Roman Provincial Coinage, Bd. III: Nerva, Trajan and Hadrian (AD 96–138), 2 Teile, London / Paris 2015. M. H. Crawford, Roman Republican Coinage, 2 Bde., London 1974. E. Simon, Pergamon und Hesiod, Mainz 1975 (Schriften zur antiken Mythologie 3). 40 El ke K ren g el Stumpf 1991 G. Stumpf, Numismatische Studien zur Chronologie der römischen Statthalter in Kleinasien (122 v. Chr. – 163 n. Chr.), Saarbrücken 1991 (Saarbrücker Studien zur Archäologie und Alten Geschichte 4). Szaivert 2008 W. Szaivert, Kistophoren und die Münzbilder in Pergamon, NZ 116/117, 2008, S. 29–43. Thonemann 2013 P. Thonemann (Hrsg.), Attalid Asia Minor. Money, International Relations and the State, Oxford / New York 2013. Vermaseren, CCIS I M. J. Vermaseren, Corpus Cultus Iovis Sabazii (CCIS), Bd. I: The Hands, Leiden 1983 (EPRO 100, 1). West 1983 M. L. West, The Orphic Poems, Oxford 1983. Winkler-Horaček L. Winkler-Horaček, Parthersieg und cista mystica. ,Tradition‘ und 2010 ,Reduktion‘ in Münzbildern unter Vespasian und Titus: Zwei Fallbeispiele, in: N. Kramer – Ch. Reitz (Hrsg.), Tradition und Erneue­ rung. Mediale Strategien in der Zeit der Flavier, Berlin / New York 2010 (Beiträge zur Altertumskunde 285), S. 457–481. Abbildungsnachweis Abb. 1: Triton I, 1997, Nr. 519. Abb. 2: Kleiner – Noe 1977, Taf. XI 10. Abb. 3: Privatslg. Abb. 4: Zeichnung der Autorin nach einem Photo in: R. Bauchot (Hrsg.), Schlangen: Evolution, Anatomie, Physiologie, Ökologie und Verbreitung, Verhalten, Bedrohung und Gefährdung, Haltung und Pflege, Augsburg 1994, S. 93. Abb. 5: Triton VII, 2004, Nr. 233. Abb. 6: Classical Numismatic Group, Inc., Mail Bid Sale 57, 2001, Nr. 339. Abb. 7: J. Leipoldt – W. Grundmann (Hrsg.), Umwelt des Urchristentums, Bd. III: Bilder zum neutestamentlichen Zeitalter, Berlin 1966, Abb. 266. Abb. 8: Auktionshaus H. D. Rauch GmbH 95, 2014, Nr. 130. Abb. 9: UBS Gold & Numismatics, 67, 2006, Nr. 5485. Abb. 10: Classical Numismatic Group, Inc., Auction 90, An Internet & Mail Bid Sale, 2012, Nr. 957. Abb. 11: Roma Numismatics Limited, IV 2, 2012, Nr. 1816. Abb. 12: dito. Abb. 13: I. N. Svoronos, Numismatique de la Crète ancienne, accompagnée de l’histoire, la géographie et la mythologie de l’ile, Bd. I: Description des monnaies, histoire et géographie, Macon 1890, S. 334 Nr. 1, Taf. XXXII 1. Abb. 14: Auktionshaus H. D. Rauch GmbH, Sommerauktion 2010, Nr. 168. Abb. 15: Numismatik Lanz, München, 151, 2011, Nr. 347. Abb. 16: L. Robert, Documents d’Asie Mineure, Athen 1987, S. 25 Abb. 10. Abb. 17: Numismatik Lanz, München, 106, 2001, Nr. 220. Abb. 18: Roma Numismatics Limited, VII, 2014, Nr. 979. Abb. 19: Stack’s Coin Galleries, December 2007, Nr. 317. O r phik in Per g a m o n 41 Abb. 20: Roma Numismatics Limited, V, 2013, Nr. 645. Abb. 21: Hess-Divo AG, 317, 2010, Nr. 322. Abb. 22: Roma Numismatics Limited, III, 2012, Nr. 421 (ex Mazzini Coll.). Abb. 23: Gemini, VI, 2010, Nr. 311. Abb. 24: RPC III 2, 3574, 2. Zusammenfassung Schon 1856 entdeckte Pinder, dass es sich bei den beiden Schlangen auf den Cistophorenreversen um ein männliches und weibliches Tier handeln muss. Diese Forschungsspur wird wieder aufgenommen und dargelegt, dass es sich bei der Darstellung um einen Paarungsakt handelt, der mit einem Knoten verdeutlicht wird. Das Schlangenpaar ist das Hauptbild des Reverses. Der Köcher als Wappen Pergamons ist nur ein Hintergrundbild, das austauschbar ist. Nach dem orphischen Dionysosmythos sind die Schlangen Zeus und Demeter, die Persephone zeugten. Auf dem Avers wird angedeutet, dass Zeus, wiederum in Schlangengestalt, mit Persephone Dionysos zeugte. Avers und Revers zeigen die Dionysoszeugung in zwei Schritten. Die Cistophorenprägung mit orphischer Bedeutung ist ein weiterer Beleg für eine orphische Kultausübung unter den Attaliden. Da neben den Cistophoren auch der Fries am Pergamonaltar orphisch beeinflusst zu sein scheint, ist eine gemeinsame Entstehungszeit nach dem pergamenischen Sieg über die Galater 166/167 v. Chr. als Dank an Dionysos wahrscheinlich. Orphisch lässt sich auch die kretische Cistophorenprägung unter Marc Anton erklären. Die Römer verstanden diese religiöse Symbolik und setzten sie als politische Propaganda ein. Summary In 1856 Pinder observed that the two snakes, shown on the reverses of the Cistophoric coinage, have different sexes, which provides a better understanding of these coin types. It will be argued that the knot the two snakes are forming is a feature of their natural mating habits during sexual intercourse. The quiver on the reverse represents the heraldic figure of the Pergamene Empire. In Orphic mythology, Zeus and Demeter, both in the form of snakes, are the parents of Persephone. The obverse too seems to refer to the orphic circle, where Zeus, again as a snake, mates with Persephone and creates Dionysos. Hence, the creation of Dionysos is the topic of the images of the Cistophori. This is yet more evidence for the promotion of the Orphic cult by the Attalids. As the frieze of the great altar of Zeus at Pergamon seems to be influenced by the Orphic genealogy of gods as well, it seems to be more than a coincidence that both the beginning of the Cistophoric coinage and the layout of the great altar are now agreed to be dated to the early years after Eumenes II’s victory over the Galatians in 166 BC. The Cistophori in particular allude to viewing this victory as Dionysos’ achievement. It will further be argued that the small Cistophoric issue from Crete in the time of Marc Antony can also be understood as referring to Orphic ideas. Hence, the Romans were far from misinterpreting the religious agenda of the Cistophoric coin images, which they effectively used when shifting the focus to their own political propaganda.