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Phonologie Der Präaspiration Im Südsaamischen

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Phonologie der Präaspiration im Südsaamischen B.A.-Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades "Bachelor of Arts" der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. vorgelegt von Richard Kowalik aus Jena SS 2013 Skandinavistik Vorwort An dieser Stelle möchte ich all denjenigen danken, die mir auf dem Weg dieser Bachelorarbeit geholfen haben. Die erste Inspiration zum Thema verdanke ich Mikael Vinka (Universität Umeå), welcher mich auf das Phänomen Präaspiration im Südsaamischen hinwies. Mein besonderer Dank gilt meinem Betreuer Dr. Michael Rießler (Universität Freiburg), der diesen Themenvorschlag begeistert aufnahm und ihn konkretisierte und die Durchführung damit ermöglichte. Ich danke ihm für die intensive und immer wieder richtungsweisende Betreuung sowie seinem persönlichen Interesse am Thema. Joshua Wilbur danke ich für die vielen Gespräche und Hinweise und für sein unermüdliches und persönliches Interesse, das Thema mit mir zu diskutieren. Ebenfalls dankbar bin ich für seine Anfertigung der Abbildung Nr. 2. Weiterhin möchte ich Dr. Janet Duke für kritische Kommentare und Unterstützung danken. Allen meinen Kommilitonen, die nun alle über Präaspiration Bescheid wissen und mit denen ich täglich die Institutsbibliothek teilte, vor allem Jonas Koesling, möchte ich an dieser Stelle für diese intensive Zeit danken. Für das Korrekturlesen in der Endphase der Arbeit danke ich meiner Mutter und meiner Kommilitonin Lioba Speicher. Meinen Eltern möchte ich außerdem Danke sagen für ihre Unterstützung nicht nur bei der vorliegenden Arbeit, sondern während meiner gesamten bisherigen Studienzeit. Letztlich und vor allem danke ich Klara, meiner Freundin, die mir trotz der momentanen räumlichen Entfernung nicht nur immer wieder fachlich wichtige Hinweise und Vorschläge gab, sondern auch immer Geduld für meine Gedanken und Launen hatte. Mun liikon dutnje. 2 Zusammenfassung In der vorliegenden Arbeit wird das Phänomen Präaspiration im Südsaamischen behandelt. Anhand bestehender Aufzeichnungen zur Sprache wird einerseits die phonetische Realisierung des Phänomens herausgearbeitet und andererseits dessen phonologische Struktur untersucht. Es werden drei verschiedene phonologische Analysen angeführt und diskutiert, welche Vor- und Nachteile sie bieten: Liegt der Sequenz sonorer Laut S – Präaspirant h – stimmloser Plosiv C die phonologische Struktur (I) /ShC/ (die Präaspiration ist ein eigenes Segment), (II) /(S h)C/ (die Präaspiration ist ein Merkmal des vorangehenden Lautes) oder (III) /S( hC)/ (die Präaspiration ist ein Merkmal des nachfolgenden Lautes) zugrunde? Welche Lösung ist am elegantesten, mit welcher Lösung lässt sich das Phänomen am einfachsten beschreiben? Es wird für Alternative (III) argumentiert und präaspirierten Plosiven ein eigenes Phonem zugeschrieben. Eine segmentale Analyse oder eine Beschreibung als Konsonantenverbindung bietet jedoch für Lernergrammatiken auch Vorteile. Im Fazit wird die Möglichkeit angesprochen, das Phänomen bezüglich des Südsaamischen völlig neu zu untersuchen und sich vom bisherigen Konzept Präaspiration zu lösen. 3 Inhaltsverzeichnis Einleitung...........................................................................................................................6 Ziel der Arbeit...............................................................................................................7 Hinweise zu den saamischen Beispielen.......................................................................8 Aufbau der Arbeit.........................................................................................................8 I. Südsaamisch.................................................................................................................10 I.1 Genealogie, Name und Verbreitung.......................................................................10 I.2 Bisherige Beschreibungen.....................................................................................12 I.3 Typologische Besonderheiten................................................................................13 II. Präaspiration...............................................................................................................14 II.1 Definition.............................................................................................................14 II.2 Typologie..............................................................................................................17 II.3 Präaspiration in den saamischen Sprachen...........................................................18 III. Phonetik der Präaspiration.........................................................................................20 III.1 Phonetische Analysen in den saamischen Sprachen und im Isländischen..........20 III.2 Phonetische Realisierung im Südsaamischen.....................................................22 III.3 Verteilung von Präaspiration...............................................................................26 III.4 Das südsaamische Konsonantensystem..............................................................27 IV Phonologie der Präaspiration......................................................................................29 IV.1 Phonologische Analysen in den saamischen Sprachen.......................................29 IV.2 Bisherige Ansätze im Südsaamischen.................................................................30 IV.3 Phonologie der Präaspiration im Isländischen anhand Thráinssons Untersuchung 1978.............................................................................................................................33 IV.3.1 Entstimmung des vorangehendem Vokals...................................................34 IV.3.2 Epenthese von [h]........................................................................................34 IV.3.3 Derivation von /CC/....................................................................................35 V Die phonologische Analyse für das Südsaamische......................................................36 4 V.1 Die Alternativen Thráinssons...............................................................................36 V.1.1 Derivation von /CC/ – die h-Analyse...........................................................36 V.1.2 Epenthese......................................................................................................37 V.1.3 Entstimmung des Vokals...............................................................................38 V.2 Die Alternativen im Südsaamischen.....................................................................38 V.2.1 Die segmentale Analyse (I)...........................................................................39 V.2.2 Die Entstimmungs-Analyse (II)....................................................................41 V.2.3 Die Phonem-Analyse (III)............................................................................42 V.3 Folgen für das Konsonantensystem......................................................................45 Fazit.................................................................................................................................47 Literaturverzeichnis.........................................................................................................49 5 Einleitung Die folgende Arbeit beschäftigt sich mit Präaspiration im Südsaamischen. Präaspiration ist ein Phänomen, das in allen saamischen Sprachen (außer im Inarisaamischen, vgl. Sammallahti 1998:55) vorkommt, sowie in einigen angrenzenden skandinavischen Dialekten, im Isländischen, Färöischen und im Schottisch-Gälischen. Typologisch betrachtet ist es ein sehr seltenes sprachliches Phänomen (vgl. Silverman 2003:575). Es handelt sich um einen Hauchlaut vor einem Konsonaten. Der Begriff Präaspiration ist analog zum Begriff der (weitaus häufiger vorkommenden) Postaspiration gebildet, welche daher oft auch nur als Aspiration bezeichnet wird. Der Terminus suggeriert, dass es sich um eine „umgekehrte“ oder „spiegelverkehrte“ Postaspiration handle. Die Realisierung des Präaspiranten, des Hauchlautes, unterscheidet sich jedoch sowohl quantitativ als auch qualitativ von dieser. Dadurch wird die Bezeichnung Präaspiration dem Phänomen unter Umständen nicht ganz gerecht. In einigen anderen saamischen Sprachen (s.u.) wurde Präaspiration bereits genauer untersucht. Diese Abhandlungen haben vor allem die phonetische Ausprägung, das heißt die Dauer der Aspiration und die unterschiedliche Realisierung des Präaspiranten beachtet (z.B. McRobbie 1991, Engstrand 1987). Für Südsaamisch liegt in diesem Bereich bislang kaum Information vor: The phonetic realisation of the preaspiration in these stops varies. Information for Southern and Ume Saami is so scarce that no description can be offered. (Helgason 2002) […] most of its [the Sámi] dialects have not been sufficiently studied with regard to its [preaspiration] phonetic properties. (McRobbie 1991:1) Historisch wird für die saamischen Sprachen allgemein die Existenz von Präaspiration angenommen, synchron jedoch ist das Phänomen, vor allem dessen phonologische Struktur, noch wenig beschrieben und analysiert. In dieser Arbeit wird die Phonologie von Präaspiration im Südsaamischen näher untersucht. Anhand von Wörtern wie Beispiele (1) und (2) soll die phonologische Struktur von Präaspiration analysiert werden: (1) aahkkaa1 [aːhkːaː]2 „Großmutter, alte Frau“ 1 Alle Beispiele sind in der offiziellen südsaamischen Orthographie von 1978 geschrieben, auch wenn sie in der Originalliteratur anders aufgeführt sind. 2 Die Transkription ist hier eine gröbere. Der phonetische Wert der Präaspiration ist hier durch [h] wiedergegeben. Im Laufe der Arbeit, wenn die verschiedenen Realisierungen erläutert werden, wird für die Beispiele eine genauere Transkription angeführt. 6 (2) spaajhte [spaːjhtə] „schnell, rasch“ Von Interesse ist die Sequenz sonorer Laut – Präaspirant – Plosiv. In meiner Analyse des Südsaamischen wird der Präaspirant durch ein eigenes Zeichen < π > (griechischer Buchstabe „Pi“) wiedergegeben, als Phonem /π/ (s.u., Kap.II.1). Zur besseren Verständlichkeit verwende ich in diesem Abschnitt die Repräsentation durch /h/. In den Beispielen (1) und (2) sind also die Sequenzen /ahk/ und /jht/ von Interesse; allgemein formuliert /ShC/. /S/ steht für einen sonoren Laut, /h/ repräsentiert (vorerst) den Präaspiranten und /C/ einen stimmlosen Plosiv oder Affrikate. 3 Letzterer kann einfach oder geminiert vorkommen. Unter Sonoranten werden Vokale, Nasale, Liquida und Halbvokale verstanden, die Vokale können ebenfalls kurz oder lang sein. Neben dem Südsaamischen wird mehrfach auf das Isländische eingegangen, da für diese Sprache gute Beschreibungen vor liegen, wodurch sowohl das Phänomen als auch dessen Untersuchungen als Vergleich in der vorliegenden Arbeit dienen können. Ziel der Arbeit Ziel der Arbeit ist es, eine phonologische Analyse von Präaspiration im Südsaamischen zu geben. Dabei sollen folgende Fragen beantwortet werden: Welche Analyse eignet sich besser für eine Lernergrammatik? Welche liefert eine elegante phonologische Beschreibung? Welche Analyse kommt mit am wenigsten Ausnahmen aus? Mit welcher Analyse lässt sich eine phonologische Regel zur phonetischen Realisation aufstellen? Bevor sich in der Arbeit mit der Analyse beschäftigt werden kann, muss die Phonetik des Phänomens erläutert werden. Dazu soll vorher auf Definition, Typologie und bisherige Beschreibungen von Präaspiration eingegangen werden. Die Arbeit nimmt sich also ebenfalls zum Ziel, einen phonetischen und phonologischen Überblick über das Phänomen Präaspiration zu geben und es in einen typologischen Kontext zu setzen. Neben der phonologischen Analyse macht die Systematisierung der phonetischen Realisierung im Südsaamischen einen wichtigen Teil der Arbeit aus. Ziel der phonologischen Untersuchung ist es, bestehende Ansätze aufzugreifen, auf das Südsaamische anzuwenden und weiterzuführen sowie deren Eignung für verschiedene Zwecke zu erörtern. 3 In der Arbeit werden Affrikaten auch zu den Plosiven gerechnet (vgl. Hall 2000:80). Nur wenn eine Differenzierung zwischen diesen vonnöten ist, wird auch der Begriff Affrikate benutzt. 7 Hinweise zu den saamischen Beispielen Die Schreibweise des Südsaamischen ist in der Literatur recht unterschiedlich; es lassen sich bis zu vier verschiedene Schreibweisen für ein und das selbe Wort finden: Ein Beispiel dafür ist das Wort aahkkaa „Großmutter“ (heutige Orthographie), welches sich auch in den Formen ahka (Hasselbrink 1944), aakkaa (Hasselbrink 1981), aahka (Sammallahti 1998) finden lässt. Um fehlerhafte Beispiele auszuschließen, habe ich mich auf Wörter beschränkt, in denen das Phänomen eindeutig vorkommt oder deren phonetische Transkription vorliegt. Präaspiration ist als phonologisches Phänomen nicht voraussagbar, sondern ein Merkmal eines Wortes, was entweder vorhanden ist oder nicht. Die neue Orthographie, die ich in der vorliegenden Arbeit verwende, gibt Präaspiration konsequent graphemisch wieder. Bezüglich der phonetischen Transkription sei darauf hinweisen, dass diese außer der Sequenz mit Präaspiration eine grobe ist. Sekundärartikulationen wie Palatalisierung, Velarisierung oder Epenthese von Gleitlauten wurden, wenn sie nicht bereits in einer vorhandenen Transkription verzeichnet waren, nicht wiedergegeben. Alle Übersetzungen der saamischen Beispiele stammen aus dem südsaamischdeutschen Wörterbuch „Südlappisches Wörterbuch“ von Hasselbrink (1981). Aufbau der Arbeit Gegliedert ist die Arbeit in fünf Kapitel. Das einleitende Kapitel stellt die südsaamische Sprache vor. Kapitel II behandelt Präaspiration allgemein und beschäftigt sich mit der Definition und der Typologie sowie Beschreibungen des Phänomens in anderen saamischen Sprachen. In Kapitel III wird auf die Phonetik von Präaspiration eingegangen. Es werden die existierenden phonetischen Analysen in den saamischen Sprachen und im Isländischen dargestellt und eine systematische Beschreibung der phonetischen Realisierung von Präaspiration im Südsaamischen gemacht. Kapitel IV und V beschäftigen sich mit der Phonologie von Präaspiration. Existierende Analysen und Beschreibungen in den anderen saamischen Sprachen, im Südsaamischen und im Isländischen werden in Kapitel IV ausgeführt. Kapitel V untersucht die phonologische Struktur der Präaspiration im Südsaamischen anhand von drei verbleibenden Alternativen. Das Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt Vorschläge zur weiteren Untersuchung des Phänomens. 8 I. Südsaamisch I.1 Genealogie, Name und Verbreitung Südsaamisch ist eine uralische Sprache und wird in Teilen Mittel-Norwegens und Mittel-Schwedens gesprochen. Die Sprache ist Teil des finno-ugrischen Zweiges und stellt innerhalb der saamischen Sprachgruppe die südlichste der westsaamischen Sprachen dar. Abbildung 1 veranschaulicht die Position des Südsaamischen innerhalb der Sprachfamilie: Uralisch Finno-Ugrischen Finno-Saamisch Saamisch Finnisch Westsaamisch Südsaamisch Südsaamisch Ume Ostsaamisch Nordsaamisch Pite Festland Kola-Halbinsel Lule Nord Inari Skolt Akkala┼ Kildin Ter Abb. 1: Südsaamisch und die anderen saamischen Sprachen in der uralischen Sprachfamilie (die Darstellung basiert auf Sammallahti 1998:1–34). Südsaamisch bildet ein Ende des Dialektkontinuums, welches die saamischen Sprachen von Mittel-Skandinavien bis zur Kola-Halbinsel in Russland bilden. Die einzelnen Sprachen werde weiterhin in verschiedene Dialekte unterteilt (vgl. Sammallahti 1998:9–34). Ältere Beschreibungen orientieren sich oft an diesen Lokaldialekten (z.B. Lagercrantz 1923; Hasselbrink 1944; Bergsland 1946). Diese „Dialekt“-Beschreibungen liegen jedoch in einigen Fällen späteren übergeordneten Werken zu der jeweiligen Sprache zugrunde, wie im Falle Hasselbrinks für den Vilhelmina-Dialekt und das Südsaamische (vgl. Hasselbrink 1981:8). Sammallahti 9 (1998:24) gibt für das Südsaamische die zwei Hauptdialekte Åsele oder nördliches Südsaamisch sowie Jämtland oder südliches Südsaamisch an. Die Eigenbezeichnung für die Sprache ist Saemie oder Åerjelsaemien gïele (bei Hasselbrink: Oårjelsaamien), was mit „Saamisch“ beziehungsweise „die südsaamische Sprache“ übersetzt werden kann. Südsaamisch ist eine von sechs saamischen Sprachen, die eine standardisierte Schreibweise besitzen (vgl. Sammallahti 1998:2). Im Jahr 1978 ist die heutige Orthographie anerkannt worden (vgl. Bergsland 1994:14), die auf dem lateinischen Alphabet basiert und die neben dem < ï > (ein hoher, zentraler, ungerundeter Vokal [ɨ]) die Sonderzeichen < æ ä ö ø å > aus den schwedischen und norwegischen Alphabeten nutzt. Das Ausbreitungsgebiet des Südsaamischen erstreckt sich zwischen dem Ume-Fluss im Norden und der schwedischen Stadt Idre im Süden. Es umfasst in Schweden die Provinzen nördliches Dalarna, westliches Härjedalen und Jämtland sowie die nordwestlichen Gebiete Västerbottens, und in Norwegen vor allem die Kommunen Snåsa und Hattfjelldal (vgl. Sammallahti 1998:22). In Snåsa ist Südsaamisch 2008 als offizielle Sprache anerkannt worden (vgl. Solstad 2012:69), in den anderen Regionen ist sie anerkannte Minoritätssprache. Abb. 2: Das Ausbreitungsgebiet des Südsaamischen (Nr. 1) (Karte angefertigt von Wilbur). 10 Die Sprecherzahl beläuft sich auf ca. 500 (Sammallahti 1998:1). Die Sprache wird auf der UNESCO-Liste bedrohter Sprachen als ernsthaft bedrohte (severely endangered) Sprache klassifiziert (unesco.org). Die Sprachgemeinschaft wird jedoch als relativ aktiv und verhältnismäßig gut organisiert beschrieben. Die Fähigkeit, sowohl Südsaamisch zu verstehen als auch zu sprechen, ist beispielsweise bei den jüngeren Menschen (18 bis 40 Jahre) höher als bei älteren (vgl. Solstad 2012:138ff). Auch das Interesse am (Zweit-)Spracherwerb nimmt zu (vgl. ebd.) Nicht zuletzt bestätigt dies das Erscheinen einer neuen Lernergrammatik im vergangenen Jahr 2012 (Magga&Magga). I.2 Bisherige Beschreibungen Das Südsaamische ist in einer Reihe von Dialektbeschreibungen, Grammatiken und auch Wörterbüchern beschrieben. Viele dieser Werke datieren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine neuere umfassende Referenzgrammatik existiert derzeit noch nicht. Die erste südsaamische Grammatik wurde 1923 von Eliel Lagercrantz unter dem Titel Sprachlehre des Südlappischen nach der Mundart von Wefsen herausgegeben. Hasselbrink hat im Jahre 1944 eine ausführliche Lautlehre des Dialektes in Vilhelmina (Vilhelminalappskans Ljudlära) angefertigt und 1981 das umfangreiche Südlappische Wörterbuch herausgegeben, welches ebenfalls Abschnitte zur Laut- und Formenlehre beinhaltet. Collinder (1942) hat Sprachproben des südsaaamischen Dialektes in Härjedalen aufgezeichnet, ohne jedoch auf die Grammatik einzugehen. Bergsland hat 1946 eine Røros-lappisk grammatikk publiziert, sowie 1982 (1994) eine Lernergrammatik für das Südsaamische. Eine weitere Lernergrammatik ist 2012 von Magga&Magga erschienen. Außer letzteren beiden stellen alle Werke deskriptive Grammatiken dar. Im Folgenden werde ich vor allem mit den Aufzeichnungen Hasselbrinks arbeiten, da seine Werke das für die Arbeit relevanteste Material liefern. Der schwedische Pfarrer und Sprachforscher Gustav Hasselbrink (┼1982) hat in den Jahren 1931 bis 1944 Aufzeichnungen zum saamischen Dialekt in Vilhelmina gemacht (vgl. Hasselbrink 1981:8). Die Stadt Vilhelmina und der gleichnamige Verwaltungsbezirk liegt im nördlicheren Ausbreitungsgebiet des Südsaamischen. Anhand dieser Daten hat Hasselbrink im Jahre 1944 das Lautsystem des südsaamischen Dialektes von Vilhelmina 11 beschrieben und, ergänzend durch Aufzeichnungen aus dem Jahr 1967, im Jahr 1981 das dreitteilige Südlappische Wörterbuch herausgebracht, in dessen ersten Teil er sich erneut mit der Lautlehre befasst. I.3 Typologische Besonderheiten Typologisch unterscheidet sich das Südsaamische zu einem gewissen Grad von den anderen saamischen Sprachen und weist selbst einige „auffällige Unterschiede“ (vgl. Sammallahti 1998:24) zur Nachbarsprache Umesaamisch auf. Südsaamisch verfügt, im Gegensatz zu allen anderen saamischen Sprachen, nicht über Stufenwechsel, das heißt einem sowohl qualitativen als auch quantitativen regelmäßigen konsonantischen Wechsel im Wortinneren, durch welchen beispielsweise unterschiedliche Kasus ausgedrückt werden) (vgl. ebd.). Hingegen ist der Umlaut im Südsaamischen relativ komplex (vgl. Bergsland 1994:31f). Morphologisch wird, anders als etwa im Nordsaamischen, im Südsaamischen zwischen Genitiv und Akkusativ sowie Lokativ und Ablativ unterschieden (vgl. Magga&Magga 2012:209–218); das Südsaamische verfügt somit über acht Kasus statt beispielsweise den sechs Kasus im Nordsaamischen. Possession wird außerdem durch den Genitiv ausgedrückt, wie auch in den Nachbarvarietäten Ume-, Pite- und Lulesaamisch, vgl. Sammallahti 1998:98) , im Nordsaamischen hingegen durch Lokativ. Die Satzstruktur wird mit der Grundstruktur SOV (Subjekt–Objekt–Prädikat) angegeben (vgl. ebd.:230), während in anderen saamischen Sprachen die Struktur SVO vorherrscht.4 4 Die Wortstellung (SVO/ SOV) ist in den saamischen Sprachen eventuell weniger bedeutend und weist mehr Variation auf; vgl. Feist 2010:278f. 12 II. Präaspiration In diesem Kapitel wird das sprachliche Phänomen Präaspiration erläutert. Zuerst werden verschiedene Definitionen und Ansätze dazu bezüglich der Sprachen im nordeuropäischen Raum vorgestellt. Danach folgt eine typologische Übersicht, wobei der Fokus wiederum auf dem nordeuropäischen Raum liegt. Im letzten Unterkapitel wird kurz auf die Werke eingegangen, die sich mit dem Thema in den saamischen Sprachen befassen. Die Werke werden später bezüglich phonetischer und phonologischer Beschreibungen differenziert aufgegriffen (Kapitel III.1 respektive IV.1). II.1 Definition Bei Präaspiration handelt es sich um einen stimmlosen, oft glottalen, teils friktativen Laut vor einem konsonantischen Element, meist einem stimmlosen Plosiv oder einer stimmlosen Affrikate. Es existieren verschiedene Definitionen zur Präaspiration, die teilweise auch die unterschiedliche Analyse des Phänomens widerspiegeln. Kylstra (1972:368–382) gibt eine Übersicht über die bis dato existierenden Beschreibungen in verschiedenen skandinavischen und samischen Sprachen. Im Folgenden ein kurzer Überblick dazu (meine Hervorhebungen) (zit. n. Kylstra 1972): Präaspiration ist „[ein] h, allgemeiner Hauchlaut […] ein stimmloser Vokal” (Ross 1905; bezogen auf einen norwegischen Dialekt im Gudbrandsdal); ”ein Spirant […], eine Art h-Laut, der seinen Charakter ändert je nach der Beschaffenheit des vorhergehenden Vokals; dieser Laut, dessen wesentlicher Bestandteil ein stimmloser Vokal ist, wird hier mit h bezeichnet.“ (Reitan 1930; schwedischer Dialekt in Vemdalen); „[...] eine Verbindung von Tenuis mit vorhergehender Aspiration“ (Marstrander 1932; norwegischer Dialekt); „ein Hauch […] vor der Okklusion (Schlußphase).“ (Jensen 1969; norwegische Dialekte und Isländisch); „ein[es] hLaut[es] zwischen Vokal und Okklusiv.“ (Oftedal 1947; norwegischer Dialekt in Jæren); „[…] Mit Hinblick auf die Vokale handelt es sich um Stimmabbruch, mit Hinblick auf die folgenden Verschlusslaute um Präaspiration. Sie wird [h] umschrieben.“ (Kress 1963; Isländisch); „[…] den Hauch, der den langen Fortes vorangeht. […] dem Verschlusslaut zugerechnet […]“ (Einarsson 1927; Isländisch); „[…] ein frikativer, teils homorganer, teils auf dem vorangehenden Vokal beruhender Gleitlaut“ (Goodwin 1905; 13 Isländisch); „[…] slight aspiration before […] preaspiration is no more significant than the aspiration after k, p, t“ (Lockwood 1955; Färöisch); „voiceless vowel […] voiceless glide“ (Posti 1955; saamische Sprachen). Engstrand (1987) unterscheidet im Lulesaamischen zwischen der Präaspiration (VOffT, voice offset time), assoziiert mit dem „prestop sonorant sound (e.g. vowel or liquid)“ (ebd:105) und einem „silent interval“ (ebd:109), assoziiert mit dem folgenden Plosiv. Wagner (2002:26) liefert folgende Beschreibung explizit bezüglich des Saamischen: Vor starker Konsonanz besteht die Tendenz, das vokalische Akzentzentrum in den Konsonanten hinein zu verlegen: der haupttonige Vokal wird in seinem Endteil entstimmt, d.h. konsonantisch, und erscheint als –h–. Hierin kann man eine phonologische Analyse erkennen, und zwar, dass es sich um eine Entstimmung des Vokals handelt (s.u., Kap. IV). Nielsen (1979:XXVI) beschreibt den Präaspiranten „h“ als „a voiceless, sometimes more or less fricative, vowel [...]“ und gibt den Hinweis, dass man für die Repräsentation der Präaspiration genau genommen einen „special h-type“ für diesen Zweck hätte einführen sollen (vgl. ebd.). Etwas Ähnliches habe ich in dieser Arbeit vorgenommen, indem der Präaspirant durch ein eigenes phonologisches Zeichen /π/ wiedergegeben wird. Dieser wird jedoch nur verwendet, wenn es sich um das Südsaamische, das heißt meine eigene Analyse, handelt. Ein /h/ soll deswegen nicht verwendet werden, um deutlich zu machen, dass sich die qualitative Realisierung der Präaspiration von einem [h] deutlich unterscheiden kann. Diese Beschreibungen sind vor allem phonetischer Art und definieren Präaspiration unter anderem als zum Vokal gehörendes Element, als Gleitlaut, als eigenständiges Segment oder rechnen die Präaspiration dem nachfolgenden Konsonanten zu. Man ist sich darüber einig, dass eine Modifikation des Präaspiranten durch die umgebenden Laute stattfindet. Phonetisch kann Präaspiration, abhängig von der Quantität, entweder als [VhC] wiedergeben werden, wo [h] ein eigenes Segment normaler Länge darstellt, oder als [VhC], wobei [h] für einen kürzeren Laut steht. Einige der Definitionen geben Hinweise zu einer möglichen phonologischen Analysen. So kann man bei Einarssons und Marstranders Definition die phonologische Struktur /V(hC)/ zugrunde legen, da die Präaspiration dem Verschlusslaut zugerechnet 14 wird und als Komponente von diesem betrachtet wird. Wagner (2002:26) gibt folgende eine phonologische Erklärung für das Phänomen: Es handelt sich […] um eine durch die Akzentuierung bedingte Assimilation des haupttonigen Vokals an den nachfolgenden langen Konsonanten. Eine phonetische Definition gibt Ladefoged & Maddieson (1996): Präaspiration ist eine Periode der Stimmlosigkeit am Ende eines Vokals: „In preaspirated stops there is a period of voicelessness at the end of the vowel, nasal, or liquid preceding the onset of the stop closure.“ (ebd.:70). Rein phonetisch wird die Präaspiration also nicht dem Plosiv zugerechnet, da dieser Laut nicht verändert wird. Modifiziert oder entstimmt wird der vorangehende sonore Laut; phonetisch ist Präaspiration an diesem markiert. Folgende Definition für Präaspiration gibt Helgason (2002:11): (1) Preaspiration is a period of (usually glottal) friction that occurs between a vocalic and a consonantal interval. (2) Phonotactically within a language, this type of friction noise occurs only before a limited subset of consonant types, typically voiceless stops. Diese zweigeteilte Definition hat den Vorteil, dass sie die Präaspiration in (1) allgemein phonetisch beschreibt und in (2) auf phonotaktische Bedingungen für ihr Erscheinen hinweist, was die Definition nicht zu eng macht und trotzdem die verschiedenen Ausprägungen umfasst. In die Definition von Präaspiration wird ebenfalls die Verbindung von Nasal/Liquid plus Plosiv gerechnet (vgl. z.B. Ladefoged&Maddieson 1996:70; Helgason 2002:11). Teilweise wird dieses Phänomen als Sonoritätsschwund bezeichnet und gesondert behandelt. In dieser Arbeit bezieht sich jedoch Präaspiration sowohl auf die Verbindung Vokal+Plosiv als auch Nasal/Liquid+Plosiv. Im Folgenden verwende ich deswegen statt einem < V > in /VhC/ etc. ein < S > für einen sonoren Laut, der sowohl Sonoranten als auch Vokale mit einschließt: /ShC/. Bei den Plosiven sind auch die Affrikaten mit eingeschlossen. Wenn von der „engen“ Definition von Präaspiration gesprochen wird, bezieht sich das auf einen kurzen glottalen Laut vor einem Plosiv/einer Affrikate [hC]. II.2 Typologie In den Sprachen der Welt kommt Präaspiration sehr selten (< 1% (Clayton 2010)) vor. Mögliche Gründe dafür sowie eine nähere Untersuchung zur Entstehung des Phänomens 15 und Robustheit gegenüber Sprachwandel werden in Silverman (2003) und Clayton (2010) behandelt; vgl. auch Helgason (2002). Folgende Karte veranschaulicht die geographische Verteilung des Phänomens: Abb. 3: Globale Distribution von präaspirierten Verschlusslauten. Die unterschiedlichen Farben repräsentieren Sprachfamilien (Clayton 2010:86). Auffällig ist die Verbreitung des Phänomens in Nordeuropa, wo Präaspiration ein „areales Phänomen“ (Wagner 2002 [1964]:19f; Rießler 2008:129f) darstellt. Die drei Sprachgruppen, die Präaspiration aufweisen, sind zudem Kontaktsprachen:5 SchottischGälisch, Skandinavisch und Saamisch. Je nach den Kriterien für die Definition von „Sprache“ lassen sich hier zehn bis zwanzig Sprachen mit dem Phänomen zählen (vgl. Wagner 2002:19ff, Helgason 2002:3). In den skandinavischen Sprachen und Dialekten kommt Präaspiration in unterschiedlichem Ausmaße vor. Im Isländischen ist Präaspiration sehr deutlich hörbar. Es herrsche laut Thráinsson (1978:4) mittlerweile „fairly general agreement that preaspiration in Icelandic normally has the phonetic quality of an [h]“. Thráinsson (ebd.:3) analysiert das Element als „autosegmental“ und stellt eine Regel für dessen Erscheinen auf (s.u., III.3). Das Färöische weist ebenfalls Präaspiration auf, dort ist sie jedoch schwächer und quantitativ kürzer (vgl. Thráinsson 2004:47, Silverman 2003:583). In Norwegen kommt Präaspiration im Dialekt von Jæren, im Gudbrandsdal, im Trøndelag und auf der Insel Senja vor (vgl. Helgason 2002:60–72). Im 5 Zu einem möglichen historischen Zusammenhang des Phänomens in diesen Sprachen siehe Kusmenko 2008. Interessant ist die Beobachtung, dass sich Präaspiration in den skandinavischen Dialekten vor allem im (ehemaligen) Ausbreitungsgebiet der Saamen finden lässt. 16 Schwedischen findet sich das Phänomen in Dialekten in Härjedalen, in der nördlichen Dalarna, in Arjeplog, im Gräsö-Dialekt sowie auf Kökar (Helgason 2002:73–88, vgl. auch Kylstra 1972:367f) und im Stockholm-Schwedischen (Silverman 2003:583). Im Saamischen kommt Präaspiration in allen Sprachen außer dem Inari-Saamischen (vgl. Sammallahti 1998:55; Kylstra 1972:374) vor. II.3 Präaspiration in den saamischen Sprachen An dieser Stelle wird die Literatur angeführt, die sich mit dem Saamischen befasst und – phonetisch oder phonologisch – auf das Thema Präaspiration eingeht. Einige der folgenden Beschreibungen werden später noch genauer aufgegriffen. Neben den wenigen Artikeln speziell zum Thema Präaspiration gibt es eine Anzahl deskriptiver Grammatiken und Lernergrammatiken, die generelle Anweisungen zur Aussprache von Präaspiration geben. Manche der Beschreibungen lassen sich auch phonologisch interpretieren. Das Kolasaamische wurde von Rießler&Wilbur (2007) untersucht, sie vergleichen das Phänomen auch mit dem Nordsaamischen. Außerdem wird von ihnen ein alternatives Konsonantensystem des Kildinsaamischen aufgestellt, welches sich von dem bisherigen durch die Berücksichtigung palatalisierter Konsonanten als Phoneme sowie der Konsonantenverbindung /h+Plosiv/ unterscheidet (vgl. ebd.:72ff). Wilbur (2007) behandelt in seiner Magisterarbeit ebenfalls das Kildinsaamische, wo er u.a. auf die Realisation der Aspiration eingeht. Für das Skoltsaamische hat McRobbie (1991) eine akustisch-phonetische Analyse zur Dauer von Präaspiration erbracht. Sie diskutiert ebenfalls das „Segmentierunsproblem“, das heißt welchem Element die Präaspiration zuzurechnen sei und entscheidet sich dafür, die Präaspiration zum Konsonanten zu rechnen. Bezüglich des ausgestorbenen Akkalasaamischen und des Tersaamischen wurden keine Beschreibungen gefunden. Auch für das Inarisaamische liegen keine Abhandlungen vor, da diese Varietät keine Präaspiration aufweist. Information zur Präaspiration im Nordsaamischen kann man den Grammatiken für die Sprache entnehmen. Wiklund (1927) verweist auf einen „stimmlosen Vokal vor Tenuis“ und stellt die präaspirierte starker Stufe der nichtaspirierten schwachen Stufe gegenüber (ebd.:7ff). Nielsen (vgl. 1979:XXV–XXX) bezeichnet den Präaspiranten, repräsentiert durch ein [h], als stimmlosen und teilweise frikativen Vokal, der vor Tenues 17 und Affrikaten vorkommt. Die Sequenz h + stimmloser Plosiv rechnet er nicht als Konsonantenverbindung. Bartens (1989) verweist auf den Zusammenhang von Präaspiration und Stufenwechsel (vgl. ebd.:18). Nickel (vgl. 1994:19) liefert bezüglich des Phänomens Ausspracheregeln: „konsonantene c, cc, č, čč, k, kk, p, pp og t, tt leses med pust (/h/) foran [...]”. Eine phonetische Untersuchung liefert Engstrand (1987) für das Lulesaamische. Er betrachtet Präaspiration als eigenes Segment (vgl. McRobbie 1991:14). Das Pitesaamische hat Wilbur (2013) untersucht, er stellt eine Übersicht zur phonetischen Realisation (s.u., III.1) auf und gibt eine phonologische Analyse des Phänomens. Das von ihm aufgestellte Phoneminventar des Pitesaamischen umfasst Simplizia und Geminaten sowie unaspirierte und präaspirierte Plosive (und deren Geminaten), wodurch er 39 Phoneme erhält. 18 III. Phonetik der Präaspiration Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Phonetik von Präaspiration. Zuerst wird eine Übersicht über einige phonetische Untersuchungen gegeben (III.1). Dabei geht es vor allem um die Quantität, aber auch um die Qualität des Präaspiranten. Danach wird die phonetische Realisierung des Phänomens im Südsaamischen herausgearbeitet (III.2). Die Verteilung von Präaspiration wird angegeben und das südsaamischee Konsonantensystem wird aufgestellt. III.1 Phonetische Analysen in den saamischen Sprachen und im Isländischen Im Bereich der Phonetik liegen einige Untersuchungen zur Präaspiration in den saamischen Sprachen vor. Die meisten untersuchen das Phänomen auf akustisch-phonetischer Grundlage. Auch die deskriptiven Grammatiken und Lernergrammatiken geben generell Anweisungen zur Aussprache von Präaspiration, wobei dessen phonetische Variation in den Lernergrammatiken weniger behandelt wird. Weiterhin gehe ich auf das Isländische und das Färöische ein, da für diese Sprachen viele Daten vorliegen und daher einen interessanten Vergleich ausmachen. Präaspiration ist, wie oben bereits angeführt, unter anderem als ein stimmloser Vokal, als ein Gleit- oder Übergangslaut, als eigenes Segment oder als rein konsonantisches Merkmal beschrieben. Die Ausprägung des Phänomens unterscheidet sich in den einzelnen Sprachen sowohl quantitativ als auch qualitativ: Während sie beispielsweise im Isländischen die Länge eines durchschnittlichen kurzen Segments haben (die durchschnittliche Dauer des Präaspiranten beträgt 104 ms, gegenüber 114 ms Dauer des vorangehenden Vokals; Thráinsson 1978:23), ist sie im Färöischen kürzer (ca. 72 ms, Thráinsson 2004:47 und Helgason 2002:160f). Im Gegensatz zum Isländischen kann im Färöischen auch ein langer Vokal vorangehen (vgl. Thráinsson 2004:49). Im Isländischen wird der Präaspirant als phonetisch [h] mit normaler Länge (s.o.) transkribiert, im Färöischen, wo der Präaspirant weniger stark ist, als ein phonetisch kürzeres [h], was somit Analogie zur Transkription von Postaspiration aufweist (vgl. Thráinsson 2004:47f). Für das Skoltsaamische stellt McRobbie eine durchschnittliche Dauer des 19 Präaspiranten von 65 ms (vor langem Konsonant) beziehungsweise 82 ms (vor überlangem Konsonant) fest (vgl. 1991:8). In den saamischen Sprachen, die Stufenwechsel aufweisen (der, wie oben erwähnt, rein quantitativ sein kann), könnte die Länge der Präaspiration außerdem beeinflusst werden von der Länge des folgenden Konsonanten (vgl. McRobbie 1991:4–9). Tatsächlich tritt ein längerer Konsonant mit einer längeren Präaspiration auf (vgl. ebd:7). Als entscheidenden Faktor gibt McRobbie jedoch die Dauer des vorangehenden Vokals an, in Analogie mit der Analyse des Isländischen, wo ebenfalls der Vokal die Länge der Präaspiration konditioniert (vgl. ebd:9). Ein langer vorangehender Vokal bedeutet also kürzere Präaspiration, ein kurzer Vokal längere Präaspiration. Engstrands (1987) Beispiele weisen alle eine Sequenz /l/+Plosiv auf, Wörter mit der Sequenz Vokal+Plosiv tauchen nicht auf (vgl. ebd.:107). Wenn man nur die entstimmte Zeit (VOffT) beachtet, verzeichnet Engstrand zwischen 44 und 203 ms Dauer für Präaspiration. Nielsen (1979:XXVIII) schreibt über die Dauer von Präaspiration im Nordsaamischen folgendes: „ʰ represents very short voiceless vowels (which may be of a more or less fricative nature) before tenues and affricate tenues […]“. Präaspiration in diesen Stellungen wird durch ein hochgestelltes h ([h]) angezeigt, welcher er die quantitativen Dauer „very short“ zuschreibt. Damit spricht Nielsen zweite Variation des Präaspiranten an, nämlich die Qualität. Diese wird, wie bereits genannt, vor allem vom vorangehenden Vokal beeinflusst, aber auch der nachfolgende Konsonant kann bestimmten Einfluss auf den Präaspiranten haben (vgl. II.2). Im Kildinsaamischen gibt Wilbur (2007:15) die phonetischen Varianten [ç, x, h] an. Es kann also neben einem glottalen [h]-Laut auch frikative Realisierungen geben. Eine frikative Realisierung [f] wird in der Literatur ebenfalls angeführt, doch mit dem Vermerk, dass dieses nachgeprüft werden müsse (vgl. etwa Thráinsson 1978:45). Weiterhin betont Helgason (2002:12), dass es in der Realisierung der Präaspiration nicht nur sprachenabhängige, sondern auch einen „great deal of […] speaker- and context-dependent variation“ gibt. Dies kann durch Wilburs (2007:15) Untersuchungen für das Kildinsaamische bestätigt werden, in welcher einer der Informanten Präaspiration durchweg als glottalen Frikativ [h] realisierte, ein anderer jedoch durchweg als palatalen Frikativ [ç]. 20 Wie die oben angeführten Zahlen zur Dauer von Präaspiration zeigen, gibt es einige ausführliche Untersuchungen zur phonetischen Quantität des Phänomens. Viele der Untersuchungen zu Präaspiration (Engstrand 1987, Helgason 2002, McRobbie 1991, Thráinsson 2004) beziehen sich genau auf diesen Teil der phonetischen Realisierung des Phonems. Die qualitative Realisierung wird zwar auch angesprochen, jedoch in weit geringerem Umfang. Eine (phonologische) Regel dazu ist in der Literatur nicht angeführt worden. III.2 Phonetische Realisierung im Südsaamischen Wie bereits eingangs erwähnt, sind die diesbezüglichen Daten für das Südsaamische bisher sehr knapp. Eine akustisch-phonetische Untersuchung, wie etwa McRobbie (1991) oder Engstrand (1987) durchgeführt haben, liegt derzeit noch nicht für das Südsaamische vor. Im Rahmen dieser Arbeit war eine solche Untersuchung nicht möglich, auch wenn dies in vielerlei Hinsicht sinnvoll und hilfreich gewesen wäre. Folgendes Kapitel hat daher die Beschreibungen und Aufzeichnungen Hasselbrinks aus den Jahren 1931–1944 (Vilhelmina) und 1967 (Frostviken und Hotagen) (vgl. Hasselbrink 1981:8) zu Grunde. Hasselbrink hat sich in seinen Werken (1944 und 1981) eingehend mit Präaspiration befasst und viele Aspekte zur Realisierung und Verteilung angeführt. Die Orthographie und Transkription ist seine eigene und nicht konform mit der offiziellen südsaamischen Orthographie beziehungsweise mit dem IPA. Im „Südlappischen Wörterbuch“ (Hasselbrink 1981) wird die Präaspiration orthographisch nicht wierdergegeben. Im Folgenden habe ich daher versucht, Hasselbrinks ältere und neuere phonetischen Beschreibungen zur Präaspiration zu systematisieren sowie mittels des IPA-Zeicheninventars zu transkribieren. Dabei ergibt sich manchmal das Problem, dass Hasselbrink Variationen in der Aussprache bei ein und demselben Wort verzeichnet. Laut Hasselbrink kann teils stärkere, teils schwächere Präaspiration auftreten (1944:70): (1) gärhkuo [gærhkuo] vs. (1') gärhkuo [gærhkuo] „Kirche“ In der Orthographie bereitet das zwar keine Umstände, da Präaspiration egal welcher Dauer immer wiedergegeben wird, für die Transkription ergeben sich allerdings Unterschiede, die evtl. als Argumente für phonologische Strukturen herangezogen werden können (vgl. Isländisch und Färöisch; im ersteren wird Präaspiration als /hC/ 21 analysiert und als selbständiger Laut, im letzteren als / hC/, was lediglich eine „umgekehrte Postaspiration“ sei; vgl. Thráinsson 1978; 2004). Im Beispiel (1) wird der Präaspirant als selbständiger Laut /h/ betrachtet (Sequenz /rhk/), in Beispiel (1') als stimmloser Abschluss des vorangehenden Lautes bezeichnet (also /rik/) (vgl. Hasselbrink 1944:70). An anderer Stelle (vgl. ebd.:18; 75) bezeichnet er den Laut auch als Gleitlaut. Auf diese Problematik, ob ein Laut als selbständiger Sprachlaut oder als Gleitlaut analysiert werden solle, weist Hasselbrink selbst hin (vgl. 1944:135). Präaspiration kann im Südsaamischen vor stimmlosen Plosiven und Affrikaten auftauchen. Konkret handelt es sich also um die stimmlosen Plosive /p t k/ sowie die stimmlose alveolare Affrikate /ts/ ([ts]) und die stimmlose postalveolare Affrikate /tj/ ([ʧ]) (wobei Affrikaten auch zu den Plosiven gezählt werden können, vgl. Hall 2000:80). Vor der Präaspiration stehen in der Regel Vokale oder Sonoranten, zusammengefasst als die Gruppe der „sonoren Laute“. Im Einzelnen sind das die Vokale /i e a ɑː o u y/, die Nasale /m n/, die Liquide /l r/ und die Halbvokale /j v/. Der Präaspirant variiert (qualitiativ) auch im Südsaamischen in der Realisation; er wird zum einen vom vorangehenden Laut beeinflusst, zum anderen hängt die Realisation vom folgenden Konsonanten ab. Angaben zur Quantität können aufgrund mangelnder Quellen an dieser Stelle nicht gemacht haben. Hasselbrinks Beschreibungen (1944:102–104) behandeln die phonetische Realisation der Präaspiration. Allerdings muss beachtet werden, dass sich diese Aufzeichnungen allein auf seine Beschreibungen der Laute gründet und also bereits einer „Interpretation“ unterliegen. Teilweise sind die phonetischen Beschreibungen weniger eindeutig; so gibt er beispielsweie die Qualität des Präaspiranten vor palatalisiertem [k] wie folgt an: „en muljerad velar frikativa, ungefär som ty. ich-Laut, men något vidare [...]”6 und es werden eine Reihe Spezialzeichen verwendet, die hier zum einen nicht wiedergegeben werden können, und zum anderen nicht wiedergegeben werden sollen, da die hiesigen Transkriptionen im IPA gemacht werden. Außerdem verzeichnet Hasselbrink selbst Unregelmäßigkeiten und Unsicherheiten bei den einzelnen Realisierungen: „[…] förekommer lika ofta eller oftare ett [...]“, […] hör man stundom 6 Hasselbrink 1944:103: ”Ein moullierter (=palatalisierter) velarer Frikativ, ungefähr wie der deutsche ich-Laut, jedoch etwas weiter […]”. Meine Übersetzung. 22 […] ett slags velariserat [...]“7 etc. Es wird somit eine große Vielzahl an möglichen Realisierungen beschrieben, die nicht immer eine klare Verteilung hat. Man muss jedoch bedenken, dass die Aufzeichnugen einerseits alt (s.o.) sind und zum anderen die technischen Möglichkeiten zum damaligen Zeitpunkt begrenzt waren; die phonetische Qualität müsste also wahrscheinlich in einigen Fällen überprüft werden. Es ergibt sich aus den Beschreibungen folgendes Schema (die Transkription ist Hasselbrinks, jedoch mittels des IPA wiedergeben): Vorangehende Präaspirant r Laut Nachfolgender Konsonant Beispiel 1) [i e a] [h] oder „stil.Vokal“ [p t ts ʧ] daahppedh [daːhpːeth] 2) [u o y] homorganer labial. Laut [p t ts ʧ] guhtte [gɯɯiwtːe] 3) v.a. [i] [ç], jedoch „breiter“ v.a. vor [kj] dihkkie [diçk:jie] 4) palatalis., „labialisierter Laut“ labialis. Vokal [kj] und andere luhkie [lɯɯwkjie] 5) [e a] [x] [k] aahkkaa [aːxkːaː] 6) [ɑː] [x] velarisierter Konsonant gaahttjedh [gɑːxtjeth] [k] luhkkedh [luxwkːeth] 7) labialis. Vokal labialisiertes [x] 8) [m n l r] stimmloser [p t k] geämpaan Konsonant [geæmmipaːn]8 Tab. 1: Realisation der Präaspiration im Südsaamischen nach Hasselbrink 1944. Es wird angegeben, dass die Realisierung von 1) auch für 2), 4) und 7) gelten (Hasselbrink 1944:104). Wenn wir also die Realisierungen 1), 2), 4) und 7) als eine Realisierung zusammenfassen und auch 5) und 6) gemeinsam betrachten, ergibt sich folgende Darstellung: 7 Hasselbrink 1944:102: „kommt oft oder öfters ein […] vor“, „hört man manchmal eine Art velarisiertes [...]“. Meine Übersetzung. 8 Hasselbrink gibt hierfür kein Beispiel, das hiesige ist von mir aus der Literatur ausgewählt worden. 23 Vorangehender Laut Präaspirant 1 [i e a u o y] Nachfolgender Konsonant [h]; “stl. Vokal“ 2 [i] [ç] ([ȷ] oder [ʝ]) 3 [e a ɑː] [x] 4 [m n l r] 9 [p t ts ʧ] [kj] [k]; velarisierter Konsonant „stimmloser /p t k/ Kons.“ Tab. 2: Vereinfachte Darstellung von Tab. 1. Aus Hasselbrinks Transkriptionen von 1981 lässt sich folgendes Schema für die Realisierung der Präaspiration aufstellen (vgl. ebd.:42–55): Vorangehender Laut Präaspirant Nachfolgender Laut 1 [i e a ɑː æ o y] [h] [p t ts ʧ] 2 [i] [ç] ([ȷ]) [kj] 3 [u] [x] [k] 4 [j v m n l r] „stl. Kons.“ [p t k] Tab. 3: Realisierung der Präaspiration nach Hasselbrink 1981. Zu Nr. 3 merkt Hasselbrink (1981:45) an, dass hier ebenso [h] statt [x] vorkommen kann. Die Beschreibungen der Tabellen weichen zwar in einiger Hinsicht voneinander ab, es lassen sich aber mittels dieser Aussagen mit ziemlicher Sicherheit folgende Feststellungen machen: Vorangehender Laut Präaspirant Nachfolgender Laut 1 [i e a ɑː æ o u y] [h] [p t ts ʧ] 2 [i] [ç] [kj] 4 [j v m n l r] „stl. Kons.“ [p t k] Tab. 4: Fusionierte und komprimierte Darstellung der Realisation von Präaspiration im Südsaamischen aus Tab. 2 und 3. Auf eine gesonderte Darstellung der Realisierung Nr. 3 [x] wird verzichtet, da diese in vielen Fällen als Variation von Nr. 1 auftritt. Die velare friktative Realisierung rechne ich daher als auf Grundlage der Daten nicht systematisierbare Variation von 1. In der Literatur sind viele nicht systematisierte Variationen verzeichnet und nicht für alle Fälle Beispiele angeführt und einige Beschreibungen hinterlassen gewisse Unklarheiten. Man darf jedoch von einer tendenziellen richtungsweisenden Richtigkeit dieser 9 Die zusätzlichen Beschreibungen und die Variationen dieser Realisierung bei Hasselbrink (1944:103f) unterstützen die Annahme, dass es sich statt eines palatalen Frikativs auch um einen Approximanten handeln kann. 24 Systematisierung ausgehen. Dennoch wäre es sinnvoll, die phonetische Qualität der tatsächlichen und auch heutigen Realisierung anhand neuer Aufnahmen zu überprüfen und neu zu analysieren. Zudem weist die Beschreibung des Pitesaamischen von Wilbur (2013:35) viele Ähnlichkeiten auf. Tab. 5: Realisierung der Präaspiration im Pitesaamischen (Wilbur 2013:35).10 Wilbur schreibt, dass die Realisierung vom vorangehenden Element abhängt (vgl. ebd.). Auf seine phonologische Analyse wird unter III.1 eingegangen. Hasselbrink (1944:78) gibt an, dass in der Verbindung hk(k), hkj (kj), hp(p), ht(t) h(t)tj und h(t)ts die Tenues präaspiriert sind, das h aber so stark sei, dass diese Verbindungen eher als Konsonantengruppen zu betrachten sind. In seinem Wörterbuch von 1981 bezeichnet er die Präaspiration nach Halbvokalen und Liquiden als „stimmlosen Abglitt (ebd.:39). Andere Fälle von Präaspiration, beziehungsweise die „Stimmlosigkeit“ des vorangehenden Elements (ebd.), gibt er mit < h > wieder. III.3 Verteilung von Präaspiration An dieser Stelle sei kurz eine Übersicht über die Verteilung von Präaspiration gegeben. Folgende Tabelle kann man aus den Angaben Hasselbrinks (1981:42–55) aufstellen: Vorangehender Laut Präaspirant Nachfolgender Laut 1 Vokale (kurz und lang) /π/ Plosive, Affrikaten 2 Halbvokale /j v/ /π/ Plosive, Affrikaten /π/ Plosive 3 Sonoranten: Nasale /m n/ Lateral /l/ Vibrant /r/ 4 Plosive /π/ Tab. 6: Verteilung von Präaspiration. Plosive, Affrikaten Präaspiration taucht zwischen Vokal und Plosiven/Affrikaten auf, zwischen Halbvokal und Plosiven/Affrikaten, interkonsonantisch zwischen m/n/l/r und Plosiven 10 Mittlerweile wurde von Wilbur ein Detail dieser Tabelle verändert: In Realisierung Nr. 3 „[a hp]“ gibt er nun stattdessen [ahp] an. 25 sowie auch zwischen Plosiv plus Affrikata (alle Plosive und Affrikata sind stimmlos). Letzteres bezeichnet Hasselbrink als „Interaspiration“ (1981:46). Auf dieses Phänomen wird in dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen. Die Interaspiration wird konsequent durch [h] beziehungsweise [h] wiedergeben, weswegen ich sie als Postaspiration des vorangehenden Plosivs zähle. III.4 Das südsaamische Konsonantensystem Das Konsonantensystem umfasst laut Bergsland (1994:20) und Magga&Magga (2012:14) 20 Phoneme, Hasselbrink (1981) unterscheidet zwischen „schwachen“ und „starken“ Affrikaten (wie auch bei den Plosiven) und kommt somit auf 22 Phoneme. Bergsland rechnet die Affrikaten zu den Plosiven mit dazu. Das /h/ wird bei Hasselbrink als Konsonant mit „verschiedener“ Artikulationsart eingeordnet (1981:39), Bergsland beschreibt /h/ als „pustelyd“ (1994:20). Es lässt sich folgendes Konsonantensystem aufstellen: Artik.stelle bilabial Artik.art Plosive Nasale p labiodental b alveolar t m Approximanten palatal d velar k n Vibranten Frikative postalveolar ɲ glottal g ŋ r f v s ʃ l h j Affrikaten ʦ ʣ ʧ ʤ Tab. 7: Das Konsonanteninventar des Südsaamischen. Dialektal erscheinen die dentalen Frikative [θ ð] (vgl. Hasselbrink 1981:39). Weiterhin gibt Hassebrink an, dass die Gruppe der h-Laute, die u.a. die Präaspiration beschreiben, eine schwierig zu analysierende Gruppe mit wechselndem Artikulationsort sei (vgl. ebd.:81). Alle Konsonanten können auch geminiert vorkommen, jedoch nicht wortinitial und -final (vgl. Bergsland 1994:23; Magga&Magga 2012:20). Präspiration taucht nur vor stimmlosen Plosiven auf. Betrachtet man das Plosivsystem getrennt, sieht es laut der Literatur folgendermaßen aus: 26 Artik.stelle bilabial alveolar palatal velar Artik.art Plosive p b t d k g Affrikaten ʦ ʣ ʧ ʤ Tab. 8: Die Plosive im Südsaamischen. Stimmlose Plosive können im Südsaamischen entweder unaspiriert, präaspiriert oder postaspiriert auftreten (vgl. Hasselbrink 1981:42). Unterschiedliche phonologische Analysen der Präaspiration können das Konsonantensystem mitunter stark verändern, indem beispielsweise die präaspirierten Konsonanten oder die modifizierten vorangehenden Laute als eigene Phoneme gerechnet werden. Diese Möglichkeiten werden in Kapitel V diskutiert. 27 IV Phonologie der Präaspiration An dieser Stelle wird zunächst eine Übersicht über bisherige phonologische Beschreibungen des Phänomens in den saamischen Sprachen gegeben (IV.1). Danach werden die Ansätze, die es bezüglich des Südsaamischen gibt, ausgeführt und diskutiert (IV.2). Der letzte Abschnitt (IV.3) stellt eine phonologische Untersuchung von Präaspiration im Isländischen vor. IV.1 Phonologische Analysen in den saamischen Sprachen Einige phonologische Ansätze wurden bereits in Kapitel I.3 angesprochen: Engstrand rechnet den Präaspiranten als eigenes Segment, McRobbie zählt ihn zum Konsonanten. Bezüglich des Nordsaamischen findet sich bei Wagner (2002:26) folgende Angabe: „das doppelte -tt- wird als langes präaspiriertes -htt- […] ausgesprochen. Diese Beschreibung ähnelt der des Isländischen von Thráinsson (1978) (s.u., III.3) stark; alle geminierten stimmlosen Plosive werden präaspiriert. Jedoch taucht Präaspiration auch vor kurzen Plosiven auf, eine ähnliche Regel wie im Isländischen scheidet also als Erklärung für das Nordsaamische aus. Rießler&Wilbur (2007:73) analysieren das Phönomen im Nordsaamischen als „cluster“ [h+Plosiv], welches eine Sequenz aus zwei einzelnen Phonemen sein könnte. Der erste Teil [h] könne zudem entweder lang oder kurz sein; Beispiel: dohppa [hːp] /tohːpa/ und dohpa [hp] /tohpa/. Es wird zwischen dieser Konsonantenverbindung [hp] und „true preaspiration“ (ebd.) unterschieden, welche sich (beispielsweise) [hpː] oder [hp] manifestiere. Im Kolasaamischen sei diese Konsonantenverbindung hingegen phonemisch, eine Frage jedoch, die noch zu klären sei (vgl. ebd.). Einige Argumente sprechen dafür, Präaspiration im Kildinsaamischen als „segment of its own“ (ebd:74) zu betrachten (vgl. ebd.); die Konsonantengruppe /h + Plosiv/ wird also als phonemische Gruppe analysiert. Die Analyse, die Wilbur (vgl. 2013:35f) für das Pitesaamische gibt, sieht folgendermaßen aus: Es existieren präaspirierte und unaspirierte Plosive, welche jeweils eigene Phoneme bilden. Beide kommen einfach und geminiert vor. Präaspirierte Plosive tauchen nur im Konsonantenzentrum auf. Der präaspirierte Plosiv bildet mit dem Präaspirationsmerkmal [h] ein Segment. Dieses Segment kommt entweder kurz oder lang vor; bei einer Längung wird das Segment als Ganzes lang, und nicht nur der Plosiv 28 (Beispiel: [hpː]) oder der Präaspirant ([hːp], wie es im Nordsaamischen (Rießler&Wilbur 2007:73) angegeben werden kann). Aus diesem Segment wird dann, je nach vorangehendem Element, die Lautfolge [{Vokale außer /i/} – h – Plosiv], [/i/ – ç – Plosiv] und [{Sonorant /m n l r/} – {entstimmter Sonorant /m n l r/} – Plosiv] gebildet. Vergleiche folgende Tabelle: /ahp/ → [ahp] h → [içp] /i p/ h /m p/ → [mmip] Tab. 9: Beispiele für die phonologische Struktur der Präaspiration im Pitesaamischen (Wilbur 2013:35). IV.2 Bisherige Ansätze im Südsaamischen In den Lernergrammatiken von Bergsland (1994) und Magga&Magga (2012) werden Sequenzen mit Präaspiration teils als Konsonantenverbindungen /h/+/C/ betrachtet, teils wird Präaspiration als Eigenschaft langer stimmloser Plosive /CC/ → [hC] gesehen. Der Terminus „Präaspiration“ wird jedoch nicht genannt. Orthographisch wird Präaspiration als < h > plus Plosiv wiedergegeben, die Qualität des Präaspiranten wird nicht näher beschrieben. Auch wenn die Information knapp gehalten ist, kann man dennoch einige phonologische Schlüsse aus ihnen ziehen. Folgende, zunächst recht ähnliche Beschreibung des Phänomens geben die Grammatiken (meine Hervorhebung): Til de enkle lukkelydene p t k og ts tj svarer dobbelkonsonantene bp dt gk (uten pust) og dts dtj [...] Av de mange konsonantforbindelser mellom vokaler merkes særlig de som består av h og en følgende p t k ts eller tj (aldri b d g) […] slike forbindelser [finnes] også etter konsonanter med stemmetone: j v r l m n ng [...] (Bergsland 1994:22f)11 Til de korte konsonantlydene k, p, t, ts og tj svarer dels dobbelkonsonanter skrevet gk, bp, dt, dts og dtj og dels h + k, p, t, ts eller tj. [...] Særskilt bør man merke seg forskjellen mellom konsonantgrupper uten pustelyd og med pustelyd, skrevet med bokstaven h […]. (Magga&Magga 2012:18)12 11 „Den kurzen Verschlusslauten p t k und ts tj entsprechen die langen Konsonanten bp dt gk (ohne Aspiration) und dts dtj […] Von den vielen Konsonantenverbindungen zwischen Vokalen seien besonders die beachtet, die aus h und einem folgenden p t k ts oder tj (niemals b d g) bestehen […] Solche Verbindungen existieren auch nach den stimmhaften Konsonanten: j v r l m n ng […].“ Meine Übersetzung. 12 „Den kurzen Konsonantlauten k, p, t, ts und tj entsprechen teils die langen Konsonanten geschrieben gk, bp, dt, dts und dtj und teils h + k, p, t ts oder tj […] Besonders sollte man sich den Unterschied zwischen Konsonantgruppen ohne Aspiration und mit Aspiration merken, geschrieben mit dem Buchstaben h […]. Meine Übersetzung. 29 Hier lässt sich jedoch ein kleiner, aber wichtiger Unterschied in der Beschreibung feststellen: Bei Bergsland werden alle präaspirierten Konsonanten, unabhängig vom vorangehenden Laut, als Konsonantenverbindung beschrieben. Die Aspiration wird als selbständiger Laut betrachtet. Magga&Magga hingegen sprechen nur bei Verbindungen von Sonorant oder Halbvokal plus Plosiv von einer solchen. Präaspirierte Plosive sind als Geminate beschrieben, welcher < h + (Plosiv) > geschrieben wird. (Diese Analyse greife ich später nochmals auf.) Folgende Verteilung der Plosive lassen sich bezüglich der beiden Grammatiken aufstellen: Simplizia Phoneme Realisierung /b d g/ [Ci] Geminate Konsonantenverbindung /p t k ts tj/ /bp dt gk dts dtj/ [Cih] /h/ + /p t k ts tj/ [Ciː] [hCi] 13 Beispiel baenie peara åabpa dåehkie Tab. 10: Verteilung der Plosive nach Bergsland (1994:20ff). Simplizia Phoneme /b d g/ Geminaten /p t k ts tj/ /bp dt gk dts dtj/ /hp ht hk hts htj/ Realisierung [Ci] [Cih] [Ciː] [hCi] Tab. 11: Verteilung der Plosive nach Magga&Magga (2012:17ff). Nach Bergsland kommt das Phänomen, was als Präaspiration bezeichnet wird, nur in Konsonantenverbindungen vor. Laut Magga&Magga taucht das Phänomen Präaspiration sowohl vor geminierten stimmlosen Plosiven auf als auch in Konsonantenverbindungen. Auch wenn in Bezug auf Bergslands Analyse der Begriff „Präaspiration“ weniger verwendbar wird (da er ein solches Phänomen nicht beschreibt, sondern nur von Konsonantenverbindungen spricht), erhält Bergsland dennoch eine einheitlichere Beschreibung als Magga&Magga. Bei letzteren gibt es nämlich streng genommen zweierlei Präaspiration: Einerseits bei geminierten stimmlosen Plosiven, andererseits in der Konsonantenverbindung Sonorant/ Halbvokal plus Plosiv. Diese Sequenz Sonorant/Halbvokal plus präaspirierter Plosiv wird in beiden Grammatiken als Konsonantenverbindungen bezeichnet. Hasselbrink (1981:50) nennt 13 Die Beispiele in den Werken sind oft die gleichen, da Magga&Magga viel Material von Bergsland übernommen haben (vgl. Magga&Magga 2012:5). 30 Präspiration in dieser Stellung „falsche Aspiration“, da die Aspiration nicht zum Plosiv gehöre, sondern eine „Vertretung von h“ (ebd.) sei. In der phonologischen Analyse möchte ich das Phänomen Präaspiration elegant, komplett und wenn möglich ohne Ausnahme beschreiben. Das Merkmal +präaspiriert kann nicht vorausgesagt werden (im Gegensatz zum Isländischen, vgl. Thráinsson 1978:37f), da es ein Merkmal ist, was entweder vorhanden ist oder nicht. Vielleicht kann aber die Realisierung mittels einer phonologischen Regel erklärt werden. Es finden sich Sequenzen im Südsaamischen, die sich nur durch das Merkmal präaspiriert unterscheiden. Daher ist die graphematische Wiedergabe des Präaspiranten vonnöten, welches in der aktuellen Orthographie berücksichtigt wird, wie folgende Beispiele (Magga&Magga 2012:18) verdeutlichen: (2) laejpie ”Brot” vs. (3) kraejhpie ”(rauhes) Gelände” Die Wörter weisen die gleiche Konsonantenverbindungen Halbvokal + Plosiv auf, einmal tritt Präaspiration auf und einmal nicht. Auch Minimalpaare lassen sich finden: (+)präaspiriert (–)präaspiriert mälhkie [mælxkie] mälkie [mælkie] njälhtjaa [njælhtsɑː] njältjaa [njæltsɑː] alhtse [alhtse] [altse] gierhkie [gierxkie] gierkie [gierkie] lunhte [lunhte] [lunte] jähkkuo [jæhkːuo] jäkkuo altse lunte laahppedh [lɑːhpːeth] laabbedh [jækːuo] [lɑːpːeth] lättedh [lætːeth] läddedh [lætːeth] Tab. 12: Minimalpaare von Präaspiration im Südsaamischen. In der folgenden phonologischen Analyse der Präaspiration will ich diese Ansätze genauer untersuchen sowie weitere Ansätze diskutieren. Da nun schon mehrfach auf das Isländische verwiesen wurde, möchte ich zunächst auf Präaspiration in dieser Sprache eingehen. Gleichzeitig bietet das die Möglichkeit, eine phonologische Analyse des Phänomens in einer anderen Sprache vorstellen zu können. Teile dieser Analyse können auch auf das Südsaamische übertragen werden. 31 IV.3 Phonologie der Präaspiration im Isländischen anhand Thráinssons Untersuchung 1978 Präaspiration ist im Isländischen relativ ausführlich beschrieben (vgl. Rießler 2004:199). Besonders der Artikel „On the Phonology of Icelandic Preaspiration“ von Höskuldur Thráinsson (1978) liefert eine für diese Arbeit wertvolle phonologische Analyse von Präaspiration, wodurch die Untersuchung zum einen als Vergleich, zum anderen teilweise auch als Parallele für meine eigene Analyse dienen wird. Um die Basis für diesen Vergleich zu schaffen, gehe ich in diesem Kapitel genauer auf den Artikel ein. Es ist Thráinssons Ziel der Arbeit, eine phonologische Regel für das Erscheinen von Präaspiration aufzustellen. Er gibt folgende drei Möglichkeiten für eine phonologische Analyse an (ebd.:5): Präaspiration (1) verweist immer auf ein zugrundeliegendes /h/, (2) sie verweist nur in manchen Fällen auf ein zugrundeliegendes /h/ und kann in anderen Fällen durch eine phonologische Regel erklärt werden, (3) sie ist in jedem Fall von einer Regel abzuleiten. Möglichkeit (1) kann Präaspiration nur vor historisch langen Plosiven erklären, nicht aber das synchrone phonologische System, wie etwa das Entstehen von Präaspiration beispielsweise bei Flexion. (2) stellt keine konsistente Beschreibung dar, da hier Präaspiration durch zwei unterschiedliche Arten zustande kommen würde, was sehr unwahrscheinlich ist. Deswegen ist laut Thráinsson Möglichkeit (3) anzunehmen. Präaspiration kommt bei allen langen Plosiven vor, was er mittels einer phonotaktischen Regel erklärt.14 Die Regel, die aufgestellt wird, besagt, dass alle geminierten Plosive präaspiriert werden. Präaspiration hat eine klar segmentale Realisierung. Es bleiben laut Thráinsson (1978:21) drei Alternativen, wie diese phonologische Regel wirken kann: (1) Die Regel veranlasst, dass die zweite Hälfte des vorangehenden Vokals entstimmt wird; (2) Es handelt sich um eine Epenthese, die ein /h/ (Thráinsson: [h]) in einer bestimmten lautlichen Umgebung einschiebt; (3) Die Regel wandelt den ersten Teil eines geminierten/langen Plosivs in ein [h] um. 14 Thráinsson (1978) bezeichnet sie als phonologische Regeln. Es kann jedoch argumentiert werden, dass sie besser in den Bereich der Phonotaktik zu rechnen sind, weshalb ich sie als phonotaktische Regeln bezeichne. Phonotaktik beschäftigt sich mit den „möglichen und unmöglichen Kombinationen von Segmenten“ (Hall 2000:60). Das Isländische kennt keine langen Konsonanten nach kurzen Vokalen (vgl. Thráinsson 1978:13), die nicht präaspiriert werden. Eine andere Kombination als diese ist also im Isländischen nicht möglich; somit ist die Regel als phonotaktisch zu betrachten. 32 Thráinsson zeigt nun, warum (3) die Präaspiration im Isländischen am adäquatesten beschreibt und warum Regel (1) und (2) nicht zutreffen können. An dieser Stelle seien die Inhalte der drei Alternativen bezüglich des Isländischen laut Thráinsson (vgl. 1978:22–32) kurz erläutert. IV.3.1 Entstimmung des vorangehendem Vokals Die Entstimmung der zweiten Hälfte des vorangehenden Vokals würde bedeuten, dass der vorangehende kurze Vokal in zwei überkurze Laute Vokal + Präaspirant geteilt werden müsse. Überkurze Laute gibt es jedoch im Isländischen nicht und auch die phonetischen Messungen zeigen (ebd.:23), dass die Dauer der Präaspiration ungefähr der Länge des Vokals entsprechen und also nicht kürzer als ein kurzer Laut ist. Weiterhin nennt Pétursson (vgl. ebd.), dass sich der Vokal in der Sequenz [VhC], also Vokal – Präaspirant – (langer) Plosiv, qualitativ vom langen Vokal in einer Sequenz [VːC] unterscheide. Entscheidende Argumente für diese Hypothese gebe es somit nicht. IV.3.2 Epenthese von [h] Epenthese ist der „ausspracheerleichternde[n], etymologisch nicht motivierte[n] [Einschub eines] Lautes“ (Glück 2010:173). Die These des epenthetischen Einschubes von [h] wird laut Thráinsson von niemandem ernsthaft vertreten (vgl. 1978:28). Präaspiration vor /p t k/ + /l m n/ sowie Präaspiration vor langen Plosiven würde außerdem verschiedene Regeln fordern, was nicht elegant und sehr unwahrscheinlich wäre. IV.3.3 Derivation von /CC/ Die dritte Alternative ist die, für welche Thráinsson letztlich plädiert. Laut dieser ist die Präaspiration von (langen) stimmlosen Plosiven abgeleitet: Der erste Teil des geminierten Plosivs wird in ein Präaspirationssegment umgewandelt. Dem Problem, die Präaspiration vor /p t k/ + /l m n/ nicht durch eine zweite Regel erklären zu müssen, schafft er Abhilfe, indem er zeigt, dass

in diesen Fällen phonologisch die lange Laute /pp tt kk/ unterliegen (ebd.:30). Thráinsson (vgl. 1978:32f) stellt also folgende phonologische Regel auf: von /pp tt kk/ werden die phonetischen Sequenzen [hp ht hk] abgeleitet; es wird die erste Hälfte des langen oder geminierten Konsonanten in ein Segment umgewandelt, welches phonetisch [h] entspricht. Die phonetische Qualität kann vom vorangehenden Vokal beeinflusst werden, sie 33 variiert jedoch nur gering (Thráinsson 1978:4; siehe auch Einarsson 1927). Während im Isländischen vor einem langen Konsonanten immer ein kurzer betonter Vokal steht, kommen im Südsaamischen auch lange Vokale in dieser Position vor, vgl. aahkkaa [aːhkːaː] „Großmutter“. Dieser Umstand im Isländischen unterstützt die These, dass es sich bei Präaspiration um ein regelhaftes phonologisches Merkmal handelt. Im Südsaamischen hingegen ist die Verteilung weniger übersichtlich (siehe Kap. III.2). 34 V Die phonologische Analyse für das Südsaamische Ich komme nun zu verschiedenen Analysen der Präaspiration im Südsaamischen. In Kapitel V.1 werden die drei Alternativen bezüglich des Südsaamischen diskutiert, die Thráinsson für das Isländische untersucht ha,. Danach wird auf die verschiedenen Alternativen eingegangen, die für das Südsaamische als relevant erscheinen. Diese Alternativen greifen einerseits die bereits oben begonnenen Überlegungen zu Bergsland 1994 und Magga&Magga 2012 wieder auf, andererseits haben sie sich aus den Beschreibungen in der Literatur ergeben. Ich führe diese Alternativen aus, stelle sie einander gegenüber und diskutiere die Vor- und Nachteile der Analyse für verschiedene Beschreibungen beziehungsweise Anwendungsbereiche. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Analysen nicht anhand von konkreten Theorien untermauert werden können, sondern dass sie auf empirischer Grundlage entstehen und ihre Rechtfertigung anhand ihrer Ziele bestimmt werden. Konkret bedeuet das, dass beispielsweise eine Analyse phonologisch sinnvoll und elegant sein kann, wenn sie das Phänomen ganzheitlich beschreibt, für einen Lerner der Sprache jedoch weniger geeignet ist, weil sie komplexer als eine andere Beschreibung ist. V.1 Die Alternativen Thráinssons Die drei bereits oben vorgestellten Alternativen wende ich im Folgenden auf das Südsaamische an, behandle sie hier jedoch in umgekehrter Reihenfolge, da so die wahrscheinlichste Alternative an letzter Stelle steht. V.1.1 Derivation von /CC/ – die h-Analyse Diese Alternative mag für das Isländische zutreffen, für das Südsaamische hingegen scheint Thráinssons These der Derivation von [hC] aus langem oder geminiertem /CC/ weniger plausibel zu sein. Zwar liefern Magga&Magga genau eine solche Analyse, indem sie schreiben, dass sie langen stimmlosen Plosiven das Merkmal +präaspiriert zuweisen (s.o.). Im Südsaamischen werden jedoch lange wie kurze Plosive präaspiriert. Es existiert beispielsweise sowohl die Sequenz [πC] in gihpe „Sahne“ als auch [πCː] wie in aahkkaa „Großmutter“. Präaspiration beziehungsweise präaspirierten Plosiven eine zugrunde liegende Geminate /CC/ oder ein langes /Cː/ zuzuweisen, ist daher ungenügend. 35 Etwas umformuliert möchte ich die These trotzdem genauer erörtern: Der Präaspiration liegt das Phonem /h/ ~ [h] (nicht nur bei langen Plosiven) zugrunde; das Phonem ist dabei immer Teil einer Konsonantengruppe /h/ + Plosiv. Ein offenkundiges Problem dieser Analyse ist die mangelnde Möglichkeit, die phonetische Variation bei der Realisierung der Präaspiration nach Vokal zu erklären – die, wie bereits erwähnt, Magga&Magga nicht erläutern. In der Sequenz < ihp > ist es ungenügend, das „h“ als /h/ zu beschreiben, da es hier nicht als glottales [h] realisiert wird, sondern als palataler Frikativ [ç]. Auch in < ahk > muss das „h“ nicht notwendigerweise als [h] realisiert werden, sondern kann auch als velarer Frikativ [x] auftauchen. Noch problematischer ist es, mit dieser Analyse Präaspiration nach Sonoranten zu erklären, also die Entstimmung des zweiten Teils eines vorangehenden Sonoranten /m n l r/ oder Halbvokal /j v/ vor (kurzem) Plosiv. Diese Sequenz, dessen Realisierung ich gemäß Ladefoged&Maddieson (1996:70) auch zur Präaspiration rechne (siehe auch Kapitel I.1) kann mit dieser Analyse nicht durch Präaspiration erklärt werden. Wenn man unter Präaspiration nur die reine Aspiration vor einem Verschlusslaut versteht (vgl. dazu Helgason 2002:16), würde man bei /h/ = [h] die Analyse verwenden können, die Varianten [ç] und [x] und entstimmte Sonoranten aber nicht mit dem Phänomen Präaspiration erklären können. Diese Lösung ist weniger elegant und kann nicht alles erklären, was man unter dem Phänomen Präaspiration versteht, weswegen ich diese Alternative als phonologische Analyse für das Südsaamische ausschließe. Dennoch bietet diese Beschreibung auch Vorteile. Wenn man das System für Lerner erklärt, muss man das Phänomen Präaspiration nicht erläutern, es genügt, wenn man auf die Besonderheit der Konsonantenverbindungen mit /h/ verweist. Diese Beschreibung kommt außerdem ohne Regeln aus, da Präaspiration orthographisch immer angezeigt wird, und man kann hoffen, dass die Realisierung des Phonems in dieser Position automatisch von den Sprechern an den vorangehenden Laut angeglichen wird. Nicht zuletzt wäre das Konsonantensystem dem des Schwedischen/Norwegischen sehr ähnlich und würde Sprechern, die eine dieser Sprachen als Erstsprache besitzen und Südsaamisch lernen, vertraut vorkommen. 36 V.1.2 Epenthese Den Präaspiranten als Epenthese zu beschreiben, ist auch im Saamischen nicht sinnvoll. Zwar taucht in der Literatur der Begriff vereinzelt bezüglich Präaspiration auf, in diesen Fällen liegt jedoch meistens keine klare, systematische Beschreibung oder Abgrenzung von epenthetischen Gleitlauten vor. Stimmlose Plosive kommen sowohl unaspiriert als auch präaspiriert vor; eine Ausspracheerleichertung kann somit nicht vorliegen. Es liegen weiterhin Minimalpaare für diese Verteilung vor: lättedh [læhtːeth] vs. läddedh [lætːeth]; lunte [lunhtə] vs. lunde [luntə]. Die Bildung von Minimalpaaren, die sich nur durch +/–präaspiriert unterscheiden, ließe sich nicht mit Epenthese erklären. V.1.3 Entstimmung des Vokals Die Gründe, warum Thráinsson (1978) die These der Entstimmung des Vokals in der Sequens [VhCː] für das Isländische verwirft, ist die Länge (d.i., die Kürze) des vorangehenden Vokals (s. Kapitel III.3.1). Im Saamischen jedoch gehen der Präaspiration auch lange Vokale voran, wie im Wort aahkkaa „Großmutter“, wo sich die Sequenz [SːhCː] finden lässt. Diese Alternative kann aus diesem Grunde für das Südsaamische nicht verworfen werden. Auf diese Analyse wird daher im Folgenden noch ausführlicher eingegangen. V.2 Die Alternativen im Südsaamischen Es werden nun drei verschiedene Analysen für das Phänomen Präspiration, beziehungsweise die Sequenz Sonorant – Präaspirant – Plosiv, durchgeführt. Diese drei Möglichkeiten haben sich teilweise aus den bisherig vorgestellten Alternativen und teilweise aus den Beschreibungen in der Literatur herausarbeiten lassen. Die drei Alternativen sind in Tabelle 13 anhand des Wortes aahkkaa [ɑːhkːɑː] „Großmutter“ veranschaulicht. Die Spalten mit den römischen Ziffern (I–III) beziehen sich auf die drei Analysen: 37 Analyse I II III Orthographie aahkkaa aahkkaa aahkkaa Phonologische Struktur (spezif.) /ɑːπkɑː/ /ɑiːkɑː/ /ɑː(πk)ɑː/ Allgemeine /SπC/ /SiC/ /S(πC)/ phonol. Struktur Tab. 13: Übersicht über die verschiedenen Analysen von Präaspiration anhand des Beispielwortes aahkkaa „Großmutter“. Das Zeichen /π/ (Pi) steht für den Präaspiranten, /S/ für einen sonoren Laut /l m n r/ oder einen Vokal, der der Präaspiration vorangeht, und /C/ für einen einfachen oder geminierten stimmlosen Plosiv /p t k ts tj/. In (II) wird die Zugehörigkeit zum vorangehenden sonoren Laut durch das diakritische Zeichen [˳] für Stimmlosigkeit ausgedrückt; es besagt, dass der letzte Teil des Sonoranten entstimmt wird. Statt /Si C/ hätte man auch /SSiC/ schreiben können, um sowohl den stimmhaften als auch den entstimmten Teil des Sonoranten zu markieren. Ich habe mich jedoch für erstere Variante entschieden, um nicht ein weiteres Element einzuführen und um gegenüber Alternative (III) mehr Einheitlichkeit zu wahren. Die Klammern um ( πC) in (III) sollen die Zugehörigkeit des Merkmals zum Plosiv verdeutlichen. Es handelt sich um zwei grundlegende Betrachtungsweisen: A) der Präspiration liegt ein eigenes Segment zugrunde (Analyse I), oder B) die Präaspiration ist Merkmal eines anderen Lautes (Analysen II & III). Die letztere Möglichkeit gliedert sich in zwei weitere: bei (II) ist Präaspiration ein Merkmal des vorangehenden sonoren Lautes, bei (III) ist Präaspiration ein Merkmal des nachfolgenden Konsonanten. Auf die Beschreibungen und Definitionen zurückgeführt, die in Kapitel I.1 und im Laufe der Arbeit aufgelistet sind, stellt Analyse (I) (auch: die segmentale Analyse) eigentlich eine Konsonantenverbindung dar, in der, gemäß Hasselbrink (vgl. 1944:78), der Präaspirant so stark ist, dass /π/ als eigenes Segment gerechnet werden muss. Bergslands (1994) und Magga&Maggas (2012) Beschreibungen weisen Ähnlichkeiten zu dieser Analyse auf. Analyse (II) (die Entstimmungs-Analyse) orientiert sich an der Bezeichnung „stimmloser Vokal“, welcher vor allem in tendenziell älterer Literatur (vgl. Wagner 2002:27) auftaucht. Präaspiration wird hier als ein modifizierter sonorer Laut analysiert (vgl. Maddieson&Ladefoged 1996:70). Engstrands (1987) Bezeichnung „voice offset time“ (VOffT) kommt dieser Analyse ebenfalls nahe. Analyse (III) (die 38 Phonem-Analyse) spiegelt die Meinungen von bspw. Einarsson und Marstrander (für die nordgermanischen Sprachen) sowie auch von Rießler und Wilbur (für das Kolasaamische und das Pitesaamische) wieder. V.2.1 Die segmentale Analyse (I) Diese Analyse ist der h-Analyse (IV.1.1) nicht völlig unähnlich, sie führt diese aber einen Schritt weiter und abstrahiert das Präaspirationssegment. Statt eines zugrundeliegenden Phonems /h/ nehme ich hier ein abstraktes Phonem /π/ an, welches den Präaspiranten repräsentiert. Dies erscheint mir gerechtfertigt, da das Phonem /h/ nur im Onset einer Silbe vor Vokal (aahällaa „Eisente“) oder final im Wortauslaut (båetieh „sie kommen“) als glottales [h] auftaucht, und (außer den Sonderfällen bähhaa „böse“, aahhaa „kleine Bucht“ und rähhaa „Bären-,Wolfsfell“, vgl. Hassebrink 1944:103) niemals im Konsonantenzentrum ohne nachfolgenden Plosiv auftaucht. Mit einem abstrakten Zeichen /π/ für die Präaspiration hingegen wären die Variationen, welche die Realisierung zeigt, mit berücksichtigt; abhängig von der lautlichen Umgebung wird /π/ unterschiedlich, aber regelmäßig, realisiert. Außerdem setzt sich dadurch die Analyse optisch von der des Isländischen oder des Nordsaamischen ab (wo der glottale Laut /h/ für den Präaspiranten steht; vgl. Thráinsson 1978; Rießler&Wilbur 2007). Es ist laut Thráinsson (1978:21) für das Isländische „phonologically insufficient to say that preaspiration is just a feature of the stop, or the inverse of postaspiration […]“ Ebendort vermerkt er auch, dass die Quantitätsrelationen es unvermeidbar machen, Präaspiration als eigenes Segment zu betrachten. Auch im Südsaamischen kann man für viele Fälle annehmen, dass der Präaspirant phonetisch mindestens die einfache Länge „kurz“ hat (welches hier nur hypothetisch anhand der vorliegenden Aufzeichnungen und des Vergleichs mit benachbarten verwandten Sprachen angenommen werden kann und welches es phonetisch zu untersuchen und bestätigen gilt). Dem Präaspiranten auch im Südsaamischen als ein eigenes Segment zu klassifizieren, erscheint somit sinnvoll. Verstärkend kommt das Argument hinzu, dass die Realisierung des Präaspiranten variiert. Für die Sequenz Vokal + /π/ + Plosiv würde die Analyse so aussehen: /VπC/ → [VhC, VxC, VçC] Der Präaspirant wird, abhängig von der lautlichen Umgebung, unterschiedlich realisiert. Die Realisation könnte mithilfe einer Regel bestimmt werden. Ein Problem dieser Analyse ist wiederum der Einbezug von Sonorant + Plosiv in 39 das Phänomen Präaspiration. In diesen Lautverbindungen würde /π/ nicht als [h x ç] etc. realisiert werden (welches relativ regelmäßig verteilt ist und dadurch mittels einer Regel erklärt werden könnte) – eine Sequenz /SπC/, beispielsweise [mxk] oder [lçk] ist sehr unwahrscheinlich –, sondern als stimmloser Sonorant. Bergsland (1994) beschreibt beide Arten als Konsonantenverbindung (s.o.) mit h, was zwar eine einfache, aber wiederum weniger elegante Beschreibung ist und selbst Präaspiration der „strengen“ Definition nach, also [hk] oder auch [hk] etc., nicht mit diesem Phänomen erklärt – was der Präaspiration nicht gerecht würde. In einer vereinfachten Weise liegt letztendlich diese Alternative der neuen Orthographie des Südsaamischen zugrunde: In den Lernergrammatiken wird Präaspiration als eigenes Segment einer Konsonantenverbindung wiedergegeben und orthographisch mit wiedergegeben. Das wäre für Lerner praktisch und einfach zu erklären. Eventuell kann man davon ausgehen, dass die korrekte phonetische Variation bei der Realisierung der Wörter selbständig richtig gemacht wird, da es sich um eine Art Assimilation der Laute handelt. V.2.2 Die Entstimmungs-Analyse (II) Die hier vorgestellte Lösung ähnelt eher einer exakten phonetischen Beschreibung als einer phonologischen Analyse: Präaspiration ist (eigentlich: wird realisiert als) ein modifizierter sonorer Laut, der vor stimmlosen Plosiven auftritt. Diese Analyse richtet sich stark an der Phonetik des Phänomens aus, sie gibt eine präzise Angabe zur Qualität der Präaspiration. Phonologische Regeln zur unterschiedlichen Realisierungen werden dadurch überflüssig, da jeder Variation der Realisierung ein eigenes Phonem entspricht. Für das Isländische verwirft Thráinsson diese These, weil die Entstimmung des zweiten Teils eines kurzen Vokals in zwei überkurzen Lauten resultieren müsse und es keine überkurzen Laute im Isländischen gibt. Da Präaspiration auch bei kurzen Vokalen vorkomm, müsste gleiches für das Südsaamische gelten. Der phonetische Eindruck der Dauer von Präaspiration (der ja, wie oben erwähnt, quantitativ oft als „eigener Laut“ zu rechnen ist), ist im Südsaamischen jedoch nicht überkurz, sondern scheint zumindest normal kurz zu sein (s.o., IV.2.1). Aufschluss dazu kann eventuell Engstrands phonetische Untersuchung (1987) zum Lulesaamischen geben. Er behandelt zwar nur Folge Sonorant /l/ + Plosiv (vgl. ebd.:107) und nicht Vokal + Plosiv, stellt aber Folgendes fest: in einer präaspirierten Sequenz ist das entstimmte Segment länger als 40 ein gleiches Element (= ein einfacher Sonorant) in anderer Stellung. Das heißt, er verzeichnet eine Längung des sonoren Lautes bei Präaspiration: /li / → [lli ]. Präaspiration würde also eine Längung eines sonoren Lautes bedeuten, dessen zweiter Teil entstimmt wird: /SiC/ → [SSiC]. Die Variation der Realisierung ist dadurch abgedeckt, dass es sich beim Präaspiranten um einen homorganen Laut des vorangehenden sonoren Lautes handelt. Das Merkmal Präaspiration ist deutlich erkennbar und lässt sich von unaspirierten Sequenzen gut unterscheiden. Wie es sich für den Fall bei langen vorangehenden Lauten verhält, die entstimmt werden, ob hier ebenfalls eine Längung geschieht, müsste man phonetisch überprüfen. Ebenso wie bei den kurzen muss hier zwischen langen nichtentstimmten und entstimmten vorangehenden sonoren Lauten unterschieden werden, wie beispielsweise aagkie [ɑːkːie] „Daune“ vs. aahkkaa [ɑːhkːɑː] „Großmutter“. Den Wörtern könnte man analog die Struktur /ɑːkːie/ /ɑiːkːaː/zugrunde legen. Trotzdem ist es eine eher unpraktische Beschreibung, weil sich ein riesiges Konsonantensystem ergäbe, was auch typologisch auffällig wäre.15 Es würden zudem Phoneme existieren, die nur in ganz bestimmten Kontexten vorkommen. Auf dieses regelhafte Vorkommen kann mittels der Analyse jedoch nicht eingegangen werden. Wenn man diese Lösung in eine möglichst graphem-phonem-treue orthographische Konvention einbauen wollte, müsste der entstimmte Laut entweder durch besondere Markierung oder konsequent das Merkmal +präaspiriert angegeben werden. Der zu entstimmende sonore Laut müsste jedenfalls gekennzeichnet werden und eine Unterscheidung von einem unaspirierten langen Konsonanten oder Vokal ermöglicht werden. Um diese Analyse bezüglich des Südsaamischen genauer diskutieren zu können – also auf eine eventuelle Längung des vorangehenden, zu entstimmenden Lautes verweisen zu können –, müsste man mit phonetischen Aufnahmen arbeiten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit war jedoch eine solche Untersuchung nicht möglich und auch nicht beabsichtigt. Auch wenn die Qualität der Präaspiration in dieser Lösung ohne Regeln erklärt werden könnte, scheint sie dennoch weniger anwendbar zu sein. Es würde ein auffällig 15 Im Kildinsaamischen (vgl. Rießler&Wilbur 2007:74) wird das Konsonanteninventar auf diese Weise aufgestellt. 41 großes Phoneminventar aufgestellt werden, welches teilweise eine sehr beschränkte Verteilung aufweist. Die Lösung ist wenig elegant und für Lerner der Sprache relativ unpraktisch. Auf Grundlage dieser Argumente schließe ich diese Analyse für das Südsaamische aus. V.2.3 Die Phonem-Analyse (III) Die verbleibende Möglichkeit ist die, präaspirierten Plosiven ein eigenes Phonem zuzuweisen. Das Präaspirationssegment ist Teil des Plosivs und stellt also eine nicht voneinander zu trennende Einheit dar. Es kann demzufolge phonologisch auch nicht separat beschrieben werden Diese Einheit gebe ich mit einem hochgestellten < π > vor stimmlosem Plosiv < C > wieder, woraus sich das Phonem /πC/ ergibt. Diese Lösung bietet mehrere Vorteile: Bezüglich des Konsonantensystems ergibt sich daraus nur eine moderate Veränderung von fünf zusätzlichen Phonemen /πp πt πk πʦ π ʧ/. (Vielleicht könnte man sogar erwägen, die präaspirierten Affrikaten heraus- zunehmen und nur präaspirierte Plosive angeben. Affrikaten werden laut Hasselbrink (1981:52f) identisch wie eine Konsonantenverbindung ausgesprochen, das heißt [ʦ] ist gleich mit [ts]. Statt einer Affrikate könnte auch eine Konsonantenverbindung angegeben werden. Dadurch ließe sich das Konsonanteninventar etwas vereinfachen und präaspirierte Phoneme würden sich auf die drei / πp πt πk/ beschränken. Dies müsste aber eingehender untersucht werden.) Diese Phoneme treten nur in bestimmter Stellung auf und werden je nach lautlicher Umgebung unterschiedlich realisiert, sie haben also verschiedene Allophone. Im Gegensatz zu der segmentalen Analyse umgeht man das Problem, wo bei Präaspirant + langer Plosiv die Längung anzugeben ist (entweder beim Präaspiranten oder beim Plosiv). Einem langen präaspirierten Plosiv kann man als Segment das Merkmal „lang“ als Ganzes zuweisen. Präaspiration ist ein Segment, welches als Ganzes lang oder kurz ist. Weiterhin, im Gegensatz zur segmentalen Analyse erhält man keine zusätzlichen Segmente [x ç], welche man eventuell in das Phoneminventar eingliedern müsste und welches weniger elegant erscheint, da deren Auftreten sehr beschränkt ist. Vor allem aber lassen sich beide Sequenzen Vokal plus präaspiriertes Phonem und Sonorant/Halbvokal plus präaspiriertes Phonem in die Analyse mit einbeziehen. Wir hätten damit Präaspiration mit nur einem Phänomen beschrieben und können auf 42 Konsonantenverbindungen mit h plus Plosiv verzichten. An dieser Stelle will ich nochmals auf die phonetische Seite der Präaspiration eingehen, diesmal jedoch anhand dieser Analyse. Wie bereits festgestellt, wird Präaspiration, das heißt in diesem Fall das Phonem, je nach der lautlichen Umgebung unterschiedlich realisiert. Man kann phonetisch feststellen, dass das Phonem /πC/ bei seiner Realisierung den vorangehenden Laut entstimmt (s.o., III.2 und V.2.2). Bei der Realisierung nach Vokal ergibt sich, abhängig von dessen Qualität, folgendes Schema: /VπC/ → [VhC VxC VçC]. Phonetisch macht die Präaspiration eine stimmlose Sequenz zwischen Vokal und Plosiv aus und wird hier frikativ, beziehungsweise (weitgehend) homorgan zum vorangehenden Vokal realisiert (s.o.). Nach Sonorant /m n l r/ und Halbvokal /j v/ müsste gleiches gelten, weswegen diese Realisierung wie folgt ausgedrückt werden kann (/S/ steht in diesem Fall für Sonoranten und Halbvokale): /SπC/ → [SSiC] (Die Beschreibung dieser phonetischen Realisation unterscheidet sich damit nicht von der, die Analyse (II) angibt.) Beide Regeln lassen sich zusammenfassen als /SπC/ → [SSiC] wobei /S/ hier wieder für alle sonoren Laute steht. Mittels entsprechender Regeln kann man also die Realisierung erläutern und systematisieren. Wie oben angegeben, stellt /πC/ das Phonem „präaspirierter Plosiv“ dar. Der Name des hier beschriebenen Phänomens (Prä-Aspiration) verweist durch seine Bezeichnung auf eine scheinbare Analogie zu Aspiration/ Postaspiration. Um die Wiedergabe allgemein anschaulicher und leichter verständlich zu gestalten, greife ich bei der konkreten Angabe der Phoneme im Südsaamischen auf das hochgestellte < h > zurück. Das Zeichen ist leserfreundlicher als ein < π > und allgemein verständlicher, da es sich bei dem Merkmal letztendlich doch oft um einen stimmlosen, frikativen Laut handelt. Weiterhin wird auch Konformität mit dem Zeicheninventar des IPA gewährleistet. Letztendlich bediene ich mich somit des Zeichens, welches auch die enge Definition von Präaspiration verwendet. Die Wiedergabe /πC/ verbleibt also mein allgemeines Phonem, im Konsonantensystem werden die konkreten Phoneme / hp ht hk hʦ h ʧ/ angegeben. Man könnte jedoch erwägen, das Phänomen anders zu benennen und dadurch auch ein treffenderes Symbol schaffen zu können. 43 Auf dieser Grundlage schlage ich diese Lösung, nämlich der Präaspiration ein eigenes Phonem zuzuweisen, als die am besten geeignetste vor. Sie beschreibt das System phonologisch am kohärentesten und elegantesten, da sie ohne Ausnahmen auskommt. V.3 Folgen für das Konsonantensystem Der Übersicht halber habe ich die Konsonantensysteme, die sich aus den Lösungsvorschlägen ergeben, nicht bei der jeweiligen Analyse aufgestellt, sondern liste sie hier separat auf. Die Plosivsysteme sähen für die jeweiligen Analysen wie folgt aus: Für (I) ergibt sich ein recht kleines Phoneminventar mit eigenen Lauten für den Präaspiranten, das im System bereits bekannte [h] sowie die zwei zusätzlichen Laute [x ç]. Analyse (II) ergibt ein relativ großes Phoneminventar und was außerdem typologisch etwas auffällig ist. Das System von Analyse (III) ist nur geringfügig größer als (I). Tabelle XY fasst die Analysen zusammen (es werden nur die für die Präspiration relevanten Laute aufgeführt): Analyse I II III Phoneme /p t k ʦ ʧ π h/ /p t k ʦ ʧ h li mi ni ri vi ij ḁ ɑiː ei ii oi ui yi/ /hp ht hk hʦ hʧ h/ [p t k ʦ ʧ h li mi ni ri vi ij ḁ ɑiː ei ii [hp ht hk hʦ hʧ h] oi ui yi] Tab. 14: Phonologische Darstellung der möglichen Analysen von Präaspiration. Allophone [p t k ʦ ʧ x ç h] Die jeweiligen kompletten Konsonantensysteme sehen wie folgt aus. Grau unterlegt sind die Änderungen, die sich aus der jeweiligen Analyse gegenüber dem bestehenden System ergeben: Artik.stelle bilabial Artik.art Plosive Nasale p labiodental b alveolar t m Approximanten palatal d velar k n Vibranten Frikative postalveolar ɲ glottal g ŋ r f v s ʃ l ç x j Affrikaten ʦ ʣ ʧ ʤ Tab. 15: Das Konsonanteninventar des Südsaamischen laut Analyse (I). 44 h Hierzu sei vermerkt, dass Hasselbrink (1981:39) den Laut [h] unter der Artikulationsart „Verschieden“ anführt. Damit deutet er an, dass der Laut bei Präaspiration unterschiedlich realisiert werden kann. Parallel dazu könnte man in dieser Tabelle eine eigene Kategorie „Präaspiranten“ als Artikulationsart angeben und darunter [ç x h] verzeichnen. Ich möchte jedoch Einheitlichkeit mit der IPA-Tabelle wahren und verzeichne diese Laute daher unter den Frikativen. Artik.stelle bilabial Artik.art labiodental alveolar Plosive p b t d Nasale mi m ni n ri r Vibranten Frikative f v s Approximanten postalveolar palatal velar k ɲ glottal g ŋ ʃ li h l ij j Affrikaten vi ʦ ʣ ʧ ʤ Tab. 16: Das Konsonanteninventar des Südsaamischen laut Analyse (II). Das /vi/ habe ich hier nicht als Frikativ, sondern als Approximant eingeordnet (die Transkription Hasselbrinks 1944 rechtfertigt dies, vgl. etwa S. 22, 98, 103). Weiterhin müssten für die Vokalphoneme die stimmlosen Varianten der Vokale /a ɑː e i o u y/ = [ḁ ɑiː ei ii oi ui yi] angeführt werden. Artik.stelle bilabial Artik.art Plosive p hp b Nasale m labiodental alveolar t h t palatal velar glottal k hk g d n Vibranten Frikative postalveolar ɲ ŋ r f v s Approximanten ʃ l h h j h Affrikaten ʦ ʦ ʣ ʧ ʧ ʤ Tab. 17: Das Konsonanteninventar des Südsaamischen laut Analyse (III). Wie bereits angesprochen, entscheide ich mich für diese Lösung als die eleganteste und auch praktischste. Das Konsonantensystem unterscheidet zwischen unaspirierten 45 und präaspirierten Plosiven, welche jeweils eigene Phoneme darstellen. Diese Phoneme kommen nur im Konsonantenzentrum und niemals wortinitial vor. Allophone dieser Phoneme decken die unterschiedliche Realisierung ab; diese werden nicht, wie bei Analyse (I), als eigene Phoneme aufgelistet. Dieses Konsonantensystem enthält somit eine komplette und trotzdem knappe Beschreibung des Phänomens. 46 Fazit Die Arbeit hat die Vor- und Nachteile verschiedener Beschreibungen und Analysen von Präaspiration diskutiert. Zielgebend war, einerseits eine einfache, lernerfreundliche und andererseits eine elegante, kohärente phonologische Beschreibung zu geben. Diesbezüglich relevant erscheint mir die Phonem-Analyse. Die segmentale beziehungsweise h- Analyse bietet trotzdem einige Vorteile. Vereinfacht stellt sie eine Konsonantenverbindung von /h/ plus Plosiv dar. Sie bietet sich für tendenziell eher kürzer gefasste Lernergrammatiken an, eine elegante und umfassende phonologische Beschreibung des Phänomens kann sie jedoch nicht liefern. Ein Problem hinsichtlich der phonologischen Beschreibung, das sich bei der h- und /π/Analyse ergibt, ist die Sequenz Sonorant+Plosiv. Hier stießen diese Analysen an ihre Grenzen; während sie Präaspiration bei Vokal+Plosiv als Präaspiration erklären konnten, passte diese Art nicht in das Muster. Es bieten sich nun zweierlei Möglichkeiten: 1) unter Präaspiration versteht man nur Vokal + Plosiv, die VOffT bei Sonorant+Plosiv ist ein anderes Phänomen. Problematisch daran ist die Ähnlichkeit dieser Phänomene; ein solches System ist weniger elegant. 2) Man verwirft diese Analysen. (Eine dritte Herangehensweise wäre eine völlig neue Beschreibung des Phänomens.) Heutigen Lernern der Sprache wird durch die Orthographie Präaspiration angezeigt, das Phänomen muss insofern für Lerner nicht zwangsweise eingehend erklärt werden. Ein Nachteil jedoch ist der Umstand, dass man die Variation der phonetischen Qualität des Präaspirationssegmentes nicht präzise erläutern kann. Das System, welches sich aus Analyse (III) ergibt, wäre für Lerner der Sprache vielleicht zunächst etwas komplizierter zu verstehen. Es wird jedoch eine kohärente phonologische Beschreibung gegeben und ein überschaubares System mit Opposition von unaspirierten und präspirierten Plosiven aufgestellt: Bestimmte präaspirierte Phoneme kommen nur in besonderer Stellung vor. Weiterhin kommt die Analyse ohne Ausnahmen aus. Für Lerner der Sprache dürfte deswegen auch diese Beschreibung sinnvoll und verständlich sein. Die genaue phonetische Realisierung des Phänomens kann mittels Regeln beschrieben werden. Damit ist diese Analyse die eleganteste. Aufgrund des begrenzten Umfangs der Arbeit konnten die Ansätze zu einer phonologischen Regel für die phonetische Realisierung der Präaspiration nicht mehr 47 angeführt werden. Außer den hier beachteten Analysen existieren noch andere Herangehensweisen und Möglichkeiten, das Phänomen zu untersuchen und zu beschreiben. So wurde nicht auf einen möglichen Zusammenhang mit Sonoritätshierarchie eingegangen oder die Silbenphonologie näher betrachtet. Dies könnte Gegenstand einer nächsten Arbeit werden. Weiterhin könnte vielleicht eine Untersuchung des Phänomens anhand der Optimalitätstheorie (z.B. Kager 1999, McCarthy 2008) neue Ergebnisse erzielen – und sich vom Konzept Prä-Aspiration lösen, indem man das Phänomen von Grund auf neu beschreibt. Wie bereits angesprochen, ist der Begriff Präaspiration nicht immer ganz treffend; außerdem setzt er gewissermaßen per se dem Phänomen und dadurch auch dessen Beschreibung einen Rahmen, von dem sich zu lösen eventuell neue Erkenntnisse mit sich führen könnte. Neben neuen phonologischen Betrachtungsweisen könnte auch eine phonetische Untersuchung in Anlehnung an Engstrand (1987) oder McRobbie (1991) von Interesse sein, da die hier zugrundeliegenden phonetischen Beschreibungen mittlerweile relativ alt sind und man nicht ausschließen kann, dass sich die Phonetik des Phänomens bereits weiterentwickelt hat. Auch diesen Aspekt der Präaspiration in den saamischen Sprachen kontrastiv zu untersuchen, wäre interessant. 48 Literaturverzeichnis Bartens, Hans-Hermann. 1989: Lehrbuch der saamischen (lappischen) Sprache. Hamburg: Buske. Bergsland, Knut. 1946: Röros-Lappisk Grammatikk. Instituttet for sammenlignende Kulturforskning. Oslo. 1994: Sydsamisk grammatikk. 2. utg. Karasjok: Davvi girji. 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