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Sandler Jacob Rezension Zu Claudia Hein Die Essbarkeit Der Welt

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Rezension zu: Claudia Hein, Die Essbarkeit der Welt. Einverleibung als Figur der Weltbegegnung bei Italo Calvino, Marianne Wiggins und Juan José Saer, Aisthesis-Verlag,Bielefeld 2016, 377 Seiten von Jacob Sandler Komparatistisches Vier-Gänge-Menü mit menschlichem Nachgeschmack Bereits der Titel, von Claudia Heins 2016 im Aisthesis Verlag erschienenen Studie Die Essbarkeit der Welt, verweist, in Analogie zu Hans Blumbergs ›Lesbarkeit der Welt‹, auf den kultur- bzw. literaturwissenschaftlichen Ansatz, dem sich das Buch verpflichtet fühlt: Die Gastropoetik und alimentäre Metaphorik, die spätestens seit dem Annales-Forscherkreis, an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, später bei Claude Lévi-Strauss, Gaston Bachelard, Derrida sowie Roland Barthes einen erkenntnistheoretischen Vorstoß in der Ergründung des Verhältnisses von Wissen, Welt, Sprache und Geschichte herbeiführte. Die Autorin zeigt anhand einer Auswahl kulturtheoretischer, philosophischer, anthropologischer und psychoanalytischer Texte (Hegel, Feuerbach, Canetti, Bachtin und Freud) sowie den drei literarischen Texten Sotto il sole giguaro von Italo Calvino, Marianne Wiggins’ John Dollar und Juan José Saers El Entenado, dass die Figur bzw. Metapher der Einverleibung als entscheidendes Kontinuum in der Aneignung von Weltwissen in der Kulturtheorie sowie Literaturproduktion fungiert. Dabei wählt sie eine ganz besondere Form der Einverleibung, den Kannibalismus, und den damit verbundenen kolonialistischen sowie postkolonialen Diskurs über die Entdeckung der neuen Welt als Drehund Angelpunkt ihrer Studie. Im Kern der sowohl psychoanalytisch wie auch dekonstruktivistisch angelegten Studie steht die Frage nach der Art und Weise der Funktion der Figuren der Einverleibung als Sinnstiftungsfiguren und deren kulturelle Funktion innerhalb des postkolonialen Kannibalismusdiskurses. Bereits die Primärtextauswahl verdeutlicht dies, handelt es sich doch um Texte, die jeweils in den 1980er Jahren – also am Höhepunkt postkolonialer Theoriebildung – entstanden sind. Wichtige theoretische Grundkonzepte von Heins Untersuchung sind Freuds Verständnis der Figur der Einverleibung und die daraus resultierende Ambivalenz dieser Figur, die Nachträglichkeit, im Sinne einer Suche nach Erklärungsmodellen von Ursprungsmomenten sowie die dafür notwendige Aufhebung der Grenzen zwischen Fiktion und Realität, Literatur und Theorie sowie diskursiver Realität und Wirklichkeit. Die Besonderheit von Heins Betrachtung der Figur der Einverleibung liegt folglich in der Verschränkung von körperlich-konkretem und zeichenhaftem >In-den-Mund-Nehemen<. Der Begriff Einverleibung ist demnach weder nur literal noch rein figurativ zu verstehen; „in der Einverleibung fallen vielmehr konkretes In-denMund-Nehmen und ein Moment metaphorischer Sinnstiftung in eins“ (18). Dieses Denkmodell überschreitet den körperlichen Akt, auf dem es aufbaut. „Das körperliche Einverleiben kann offensichtlich nicht stattfinden, ohne dass dabei eine ganze Reihe von Sinngebungsprozessen in Gang gesetzt würde“ (18f.). Am deutlichsten macht Hein diese Verschränkung am Beispiel Freuds, der dem Akt der Einverleibung gleich drei wichtige Momente innerhalb der Entwicklung von Säuglingen zuschreibt. Bei ihm wird das Saugen an der Mutterbrust neben dem rein physischen Bedürfnis der Nahrungsaufnahem gleichzeitig zur Ursprungserfahrung von Lust und ebenfalls zu einer ersten Stufe des wertenden Urteilens. Das Kind erfährt also, dass es über die Mutterbrust seinen Hunger stillen kann, es lernt die Nähe der Mutter spüren und darüber hinaus unterscheidet es, ob die vorhandene Muttermilch gut oder schlecht ist. Diese Ambivalenz der Figur der Einverleibung bzw. deren vielfache Sinndimensionen steht im Kern von Heins Auseinandersetzung mit der Einverleibung und dem Kannibalismus. Amuse-gueules und Aperitif In der den Werkanalysen vorgeschalteten Theoriegeschichte der Einverleibung verdeutlicht die Verfasserin die Ambivalenz der Figur der Einverleibung und deren Funktion als blumbergsche absolute Metapher in der Theoriebildung anhand von Schriften Hegels, Feuerbachs, Canettis, Bachtins und Freuds. Dabei setzt sie die einzelnen Theoretiker miteinander in Bezug und verdeutlicht, in welchem verzweigten Sinnbeziehungsnetz sich die Figur der Einverleibung bewegt. Zentral ist dabei die Frage, „was den Einverleibungsakt zu einer so vielschichtigen Ermöglichungsfigur macht, um das Dasein des Menschen in seiner Begegnung mit einem Außen oder Anderen zu denken“ (24). Bei Hegel wird die Einverleibung zu einer soma-semiotischen Figur, deren körperlich-sinnlicher Anteil sich einer Ausgrenzung verwehrt. Was Hegel getrennt betrachtet, vereint Feuerbach in seinem berühmeten Auspruch: „Der Mensch ist, was er isst.“ D.h., es geht ihm gerade um die Verbindung des Menschen mit der Welt über das Materielle bzw. die Nahrungsaufnahme. Während Canetti und Bachtin „die Pole eines Einverleibungsdenkens zwischen Schließung und Öffnung“ (24) ausloten. Canetti sieht im „Akt der Einverleibung die paradigmatische Form eines absoluten Einschlusses“ (24), wodurch er über das Verhältnis von Macht und Einverleibung reflektiert. Bachtin hingegegn sieht in dieser Figur gerade die Offenheit und Verbundenheit des Körpers mit der Welt. Bei beiden wird die Einverleibung und das Verdauen ebenfalls in ihrer subversiven Dimension gedacht. Und bei Freud wird, wie schon angedeutet, gerade die Ambivalenz des Akts der Einverleibung im Kontext kindlicher Erfahrungen thematisiert. Abschließend skizziert die Verfasserin knapp die Geschichte des Kannibalismusdiskurses, um den Leser mit abschließenden Ausführungen zur Dekonstruktion der Diskursfigur des Kannibalen durch wichtige Vertreter der post colonial theory, wie Arens Williams, Peter Hulme, Maggie Kylour und Christian Moser, und zu Montaignes Essay Des Cannibales für die anschließenden drei Werksanalysen einzustimmen, die den Hauptteil der Studie ausmachen. Sie zeigt, wie die Existenz des Kannibalen bis heute immer wieder zur Debatte steht und verdeutlicht den fiktiven Charakter dieser Figur und inwieweit sie im historischen Kontext Teil einer Projektion des Eigenen ins Fremde hinein ist. Mexikanische Vorspeisen aus Italien Die Ouvertüre des literaturwissenschaftlichen 3-Gänge-Menüs ist die Erzählung Sotto il sole giaguaro des italienischen Autors Italo Calvino, in der ein italienisches Pärchen nach Mexiko reist. Mexikanische Speisen, Liebe und die aztekische Kultur gehen hier eine enge Verbindung ein. Vor der eigentlichen Textanalyse kontextualisiert Hein Calvinos Erzählung mit Bezug auf die Arbeiten der Kulturanthropologen Michael Harner und Marvin Harris. Harner stellt die These auf, dass der Kannibalismus „als Reaktion auf eine Proteinunterversorgung“ (67) sei, die er an der aztekischen Kultur vorstellt. Diese These nimmt Harris auf und beschäftigt sich mit diesem Mangel und den aus der Verteilung des Menschenfleisches resultierenden eindeutigen Machtstrukturen. Beide Thesen gelten als Tabubrüche innerhalb der Kannibalismusdebatte, die Calvino mit Begeisterung für seine Auseinandersetzung mit dem Kannibalismus nutzte. Darüber hinaus interessierte ihn jedoch ein weiterer Aspekt, nämlich die kulinarische Beschäftigung mit dem Geschmack des Menschenfleisches, die besonders in seinem Text zur Sprache kommt. Anschließend geht Hein auf Paratexte und Rahmen des Werks ein, insbesondere die Verbindung von Calvinos Text zu Bernadino de Sahagúns Historia general de las cosas de Nueva España, und kontextualisiert ihre Analyse innerhalb des bisherigen Calvinoforschung. Sie hält sich an Gian Paolo Biasins Thesen, der gerade in der Verbindung von Sinnlichkeit, Erotik und der Einverleibung ein Kontinuum in Calvinos Gesamtwerk sieht. Nach Ausführungen über das Interesse Calvinos am Geschmackssinn, das er mit seinem Zeitgenossen Giorgio Agamben und Michel Serres teilte, die sich quasi zeitgleich mit den fünf Sinnen und dem Geschmack beschäftigten, Serres in seinem Buch Les cinq sens und Agamben in seinem Enzyklopädieeintrag zu >Gusto<, geht sie zur eigentlichen Textanalyse über. Ihre These: Sinnlichkeit in Form des Essens und der Erotik verbinden sich bei Calvino mit historischem Wissen und mit einem ›Geschmackswissen‹ vom Kannibalismus. Die Erotik liest sie anhand der Liebesbeziehung zwischen dem Ich-Erzähler und dessen Begleiterin ab, die sich in einem universalen Liebeskannibalismus auflöst – in einem sich gegenseitigen Verschlingen. Das widerständige Sinnliche realisiert sich hingegen in den umschweifigen Beschreibungen von Essensszenen und Geschmäckern. Das große Interesse und die damit verbundenen Gespräche über die aztekische Kultur, insbesondere über deren vermeintlichen kannibalischen Rituale, ruft zudem die Kannibalismusdebatte auf. Damit leitet die Verfasserin zu Reflexionen über Calvinos literarisches Schaffen über. Sie liest aus der Erzählung eine Ästhetik einer sinnlichen Lust an der Sprache heraus, die er mittels der literarischen Verbindung von historischem, erotischem und kulinarischem Wissen verdeutlicht. Dies führt Hein zu Rolande Barthes goût des mots: Sprache und vor allem die ästhetische Sprache der Literatur werden zu lustvollen Häppchen. Englische Schildkrötensuppe Als zweiten Gang serviert Hein dem Leser den Roman John Dollar der amerikanischen Autorin Marianne Wiggins. In diesem Teil beschäftigt sich die Verfasserin mit weniger ansehnlichen Essensszenen, wie mit der Einverleibung von Schlangen, Fledermäusen, Schildkröten, mit Diskursfressern (Gabriel Schwab) und Koprophagie. Im Roman landet eine Gruppe englischer Kolonialherren auf einer noch unbekannten Insel, auf der sie Kannibalen entdecken. Die alles fressenden Kolonialherren werden aufgefressen und nur noch eine Lehrerin, Charlotte, der Seemann John Dollar und die Kinder der Verstorbenen überleben. Ähnlich wie in Lord of the Flies (die Verfasserin hebt diesen intertextuellen Bezug hervor) durchlebt die ›Kindergruppe‹ eine seltsame Wandlung, in der unterschiedliche Formen der Einverleibung zutage treten, die Hein in ihren Sinndimensionen auslegt. Zum einen diskutiert der Roman den Zerfall des kolonialen Machtgefüges, anhand koprophagischer Einverleibungsszenen sowie an die Eucharistie angelehnte Einverleibungen. Zum anderen thematisiert er Ausgrenzung und Integration. Letzteres zeigt Hein anhand des Verhaltens zweier Protagonistinnen, die, im Gegensatz zu zerstörerischen Formen der Einverleibung, Wege aufzeigen, in denen Einverleibung möglich ist ohne das Einverleibte zu zerstören, womit Hein zum Thema Blick und Einverleibung überleitet. Zentrale Sekundärquellen sind Freuds Totem und Tabu, seine Abhandlung über Leonardo Da Vinci, Lacans stade du miroir, Nicolas Abraham und Maria Torok sowie Julia Kristevas AbjektTheorie. Ebenfalls nimmt Hein den Roman als Anlass über Gert Mattenklotts Ikonophagie-These, d.h. das Verhältnis von Blick und Einverleibung, zu schreiben. Hein knüpft in ihrer Romananalyse ein dichtes intertextuelles Netz von Psychoanalyse, Kolonialismusforschung, theoretischer Fiktion und Anthropologie, das deutlich macht, wie der Roman selbst zahlreiche Figuren der Einverleibung in sich einschließt, sie „in seinem Bauch“ versammelt und zu einer „heterogenen ästhetischen Einheit [...] in der Textvielfalt“ (263) verbindet. Ursprung, Melancholie und Existenz argentinisch Den Abschluss des Drei-Gänge-Menüs bildet El Entenado des argentinischen Autors Juan José Saers. Im Roman wird Saers letzter Wohnort in Argentinien, Colastiné, zu einem kannibalischen Stamm des 16. Jahrhundert. Ein Schiffsjunge eines spanischen Expeditionsschiffes ist der einzige Überlebende, nachdem der Rest der Crew in einer kannibalischen Orgie des Stammes verspeist wurde. Der Kannibalismus ist im Roman Spiegel und Auslöser der Existenzproblematik der Colastiné und bildet den Dreh- und Angelpunkt der Reflexionen des Ich-Erzählers. Hein beginnt ihre Analyse mit Reflexionen über den Begriff des ›Nichts‹, den sie mit der Melancholie und der Suche nach Ursprungsszenen verbindet. In El Entenado führt letztere ins Nichts, was Hein als wichtigstes Element ihrer Lektüre extrapoliert. Um dieses zentrale Thema spinnen sich weitere Themenkomplexe wie der Verlust den die conquista bedeutet, die implizite Auseinandersetzungen mit der argentinischen Militärdiktatur sowie die sartresche Bodenlosigkeit der Existenz. Hein liest Saers Roman entsprechend als ein „hellsichtiges Eintauchen in die negura sin fondo de la historia“ (275). Zentrales Moment des Romans ist die Melancholie. Mit Bezug zu Maggie Kilgours postkolonialen Studien lässt sich zeigen, wie im Kannibalismus eine melancholische Struktur zu erkennen ist. Diese fächert Hein weiter auf und bringt sie mit Freuds, Kristevas sowie Abrahams und Toroks Arbeiten zur Melancholie in Verbindung, um so aus Saers Roman eine Verknüpfung von Deutungsverlust und Verdrängung abzulesen, welche neben der Beschäftigung mit der Conquista auch auf die Auseinandersetzung mit der argentinischen Militärdiktatur verweist. Damit leitet die Verfasserin zu einer gedächtnistheoretischen Lesart des Romans über, die sie v.a. anhand von Ansätzen aus der Memoria-Forschung analysiert. Dabei stehen die selbstreflexive und die metahistoriographische Ebene der Erzählung im Mittelpunkt. Diese Thematisierung der Bedingtheit des Erinnerns und des Erzählens verdeutlicht Hein an einem bataillschen Darstellungsexzess des Protagonisten, der sich in verschiedenen Formen (Erzählen, Theater, Kopftheater) seiner Vergangenheit zu nähern versucht. Dieses Erinnern und die Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist dabei ganz an den Geschmack, an einen sabor antiguo, den des Menschenfleischs, gebunden, was Hein zur Psychoanalyse zurückführt und damit zur Suche nach der Ursprungsszene, die sich als notwendige Fiktion erweist. Sie zeigt, wie sich in dieser Suche Deutungsverlust und Verdrängung verknüpfen, was erneut zur Verbindung mit der Militärdiktatur zurückführt. Neben dem Verlust und der Verdrängung als Herausforderung des Protagonisten sieht Hein hierin eine zweite Ebene, die sie wieder unmittelbar mit der Einverleibung in Verbindung bringt. Die eben angesprochen Selbstreflexion, die bei Saer in die Bodenlosigkeit führt, parallelisiert sie mit Sartre massses monstreuses et molles aus La Nausée, wobei die Verbindung in der Einverleibung von einem viskosen oder bodenlosen Außen liegt, das alles verschluckt. Saers Erzähler beschäftigt sich mit der Grundambiguität des menschlichen Seins, wodurch Hein eine existentialistische Lesart des Roman eröffnet. Zum Abschluss der Analyse von El Entenado geht die Verfasserin noch auf einen mythopethischen Kommentar Saers hinsichtlich der Namengebung seines Protagonisten sowie des Stammes – der nach Saers letzten Wohnort in Argentinien bennant ist – ein. Mittels dieses Kommentars stellt sie heraus, wie Saers eigene Biographie sich im Roman widerspiegelt, wie das Fremde, das Saers Eigenes wird, im Text zum Fremden wird und wieder zurück in das einstige Vertraute projiziert wird. Nachgeschmack Sicherlich ist es nicht einfach ein so komplexes und vielschichtiges Werk knapp zusammenzufassen. Dennoch muss man nach einer ersten Lektüre sagen, dass Claudia Hein in Essbarkeit der Welt ihrem eigenen Anspruch gänzlich gerecht wird. Sie bewegt sich theoretisch zwischen Psychoanalyse und Dekonstruktivismus und umkreist essayistisch das Thema Einverleibung und die Funktion der Figur der Einverleibung. Sie zeigt worin die Stärke der Ambivalenz dieser Figur liegt, d.h. die vielseitigen Anknüpfungspunkte für eine literaturwissenschftliche Beschäftigung mit dieser Figur und die durch sie eröffneten Zugänge zu literarischen Texten. Sie verdeutlicht wie unterschiedlich diese Figur mit dem Denken und der Aneignung von Welt und Wissen, insbesondere im Kontext des Kannibalismusdiskurses, verbunden ist. Die Einverleibung ist, wie Hein zeigen konnte, eben „keine Figur der einfachen Lösungen. Einschluss und Öffnung sind hier immer zwei Seiten einer Medaille.“ (350) Dabei belegt Hein ihr analytisches Vorgehen durch ein weit gespanntes Netz theoretischer Quellen, die sie in ausführlichen Fußnoten kommentiert, um auch einem thematisch nicht eingelesenen Leser ihre Ausführungen verständlich zu machen. Zwar mögen die vielen Fußnoten den Lesefluss zum Teil stören, doch sind sie für den gerade beschriebenen Leser durchaus aufklärend und hilfreich. Interessant wäre ein Ausblick gewesen, der auf aktuellere Texte oder Filme zumindest einen Blick wirft, um aufzuzeigen, wie sich die Figur der Einverleibung im 21. Jahrhundert evtl. gewandelt hat. Man denke z.B. an Zombie-Filme wie den kubanischen Splatter-Film Juan de los muertos, die häufige Verwendung der Einverleibungs-Metapher im Zusammenhang mit dem Kapitalismus sowie Kannibalismus im Diskurs über die Flüchtlingsproblematik, was die Möglichkeit für Kritik an der Verwendung dieser Figur hinsichtlich aktueller gesellschaftlicher und kultureller Ereignisse ermöglicht hätte. Die Stärken des essayistischen und in terminologisch nicht überlasteter Schreibweise verfassten Buches sind der strukturierte Aufbau und die vielseitigen Anregungen und Quellenverweise. Der Aufbau des Buchs erlaubt es auch Einzelaspekte zu betrachten – ohne dabei das gesamte Buch zu lesen – und für die eigene Arbeit zu nutzen. Hein zeigt wie sich verschiedenen theoretische Ansätze der Psychoanalyse, Kulturtheorie, Philosophie und Literaturwissenschaft verbinden lassen und wie diese für die Interpretation der literarischen Werke fruchtbar gemacht werden können. Sie eröffnet ihren Lesern das breite Feld der Gastropetik und alimentären Metaphorik und regt zur weiteren Betrachtung dieser in der Kultur so (un)heimeligen Figur an.