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Vier Männer Und Ein Bild. Was Verbindet Kunz Von Der Rosen, Gonsalvo Di Cordova, Klaus Störtebeker Und Florian Geyer? über Das Sogenannte Störtebeker-porträt, In: Jörgen Bracker (hg.): Gottes Freund – Aller Welt Feind. Von Seeraub Und Konvoifahrt. Störtebeker Und Die Folgen, Hamburg 2001, S. 36-51.

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Vier Männer und ein Bild Was verbindet Kunz von der Rosen, Gonsalvo di Cord ova, Klaus Störtebeker und Florian Geyer? Über das sogenannte Störtebeker-Porträt. Gregor Rohmann I : ; i 1 • 'i· 11 ' I; 'i f ! i , . I· , 1 l" , . i' { " t " Der Fall ist bekannt. Jede und jeder in Hamburg mit einem gewissen Interesse für die Geschichte der Stadt kennt das Porträt des Klaus Störtebeker. Und wie es bei allgemein bekannten historischen Sachverhalten oft der Fall ist, hat wohl jede und jeder eine eigene Version der Geschichte zu erzählen. Dinge, über die jeder Bescheid zu wissen meint, gelten schnell als erledigt, auch wenn sie bei näherem Hinsehen alles andere als klar sind. In der populären Wahrnehmung wird das bekannte Bildnis wohl immer als das des berühmt-berüchtigten Seeräubers Klaus Störtebeker gelten. Um als Experte durchzugehen, genügt in aller Regel der Hinweis, dass es sich vielmehr um ein Bildnis des Kunz von der Rosen, des "Hofnarren" Kaiser Maximilians 1., handele - eine Erkenntnis, die immerhin in das Jahr 1808 datiert (Bartsch 1808,493, Nr. 87). I , i , f I! l '11 "I , " I Wenn der vorliegende Versuch die kunsthistorische Forschung der seitdem vergangenen zweihundert Jahre recht überblickt (und um mehr kann es hier keinesfalls gehen), zeichnet sich jedoch ein vielschichtigeres Bild ab. Des Kaisers Kumpan: Kunz von der Rosen Kaiser Maximilian I. (dt. König ab 1486; erwählter röm. Kaiser 1508-1519) war nicht nur "der letzte Ritter", sondern vor allem der erste Kaiser der Neuzeit - ein Herrscher, der sehr gezielt das Bild manipulierte, das sich die Öffentlichkeit - soweit es eine solche in den Anfangstagen des Drucks schon gab - von ihm machte. So war das Bild vom "letzten Ritter" Produkt eines ganz "modernen" Umgangs mit den neuen Medien der 36 Zeit, mit Buchdruck und Druckgraphik (vgl. Müller 1982). In Augsburg, das viele für die heimliche Hauptstadt Maximilians hielten (vgl. Böhm 1998), wollte der Kaiser sich vor allem als leutseliger Kumpan gesehen wissen. Der lebende Beweis für diese ständeübergreifende Unkompliziertheit des Habsburgers war Kunz von der Rosen (um 1460-1519), seit seiner Hochzeit 1509 Bürger von Augsburg und seit 1478 in Diensten des Erzherzogs und späteren Kaisers. Kunz von der Rosen hatte sich vom Söldner zum Berater und Dolmetscher Maximilians hochgedient (ADB 29, 195ff.; Panofsky 1942, 47; Schaar 1991, 56; Rohmann 2001). In der Entourage des Kaisers war er bald für die besonders waghalsigen und besonders amüsanten Draufgängereien zuständig. Wenn er offiziell als Hofnarr firmierte, so interpretierte er diese Rolle doch ganz neu: Kunz von der Rosen war dafür zuständig, in der Öffentlichkeit die Bodenständigkeit des Kaisers zu vermitteln. Zahlreiche Anekdoten über seine derben Scherze und riskanten Kriegslisten vermitteln einen Eindruck von seiner Popularität. Ausdruck dieser Bekanntheit sind mehrere überlieferte Porträts des Kunz von der Rosen, so vier Silberstift-Porträtskizzen von Hans Holbein dem Älteren (Tietze-Conrat 1935, 100; Panofsky 1942, 47; Hofmann 1983, Nr. 73), und eine hölzerne Matrize für eine Medaille von der Hand des Hans Schwarz (Tietze-Conrat 1935,100, Anm. 2; Panofsky 1942, 47). 1. (?) Als nun im Jahr 1512 der Kaiser mit seinen Beratern die Publikation einer großen Kupferstichserie zur Verherrlichung seines Hofes plante, des sogenannten "Tri- umphzuges Kaiser Maximilians", sollte auch der zum Hofnarren avancierte Söldner abgebildet werden, als Standartenträger zu Pferde dem Wagen mit den Schalksnarren vorwegreitend. Der Augsburger Maler Hans Burgkmair (1473-ca. 1531; vgl. Thieme-Becker V, 252-258), der diese Partie des Triumphzuges zu bearbeiten hatte, wird nun, so hat Erwin Panofsky schlüssig angenommen, Vorstudien zu dem Porträt des Kunz von der Rosen gemacht haben. Da er ein Reiterporträt vorbereitete, skizzierte er Kunz von der Rosen breitbeinig auf einer Mauer sitzend, in einer Haltung, der im Grunde nur das Pferd fehlt (Panofsky 1942, 49f.; vgl. jedoch Tietze-Conrat 1935, 100). 2. Wohl im Jahr 1515 nahm der Augsburger Kupferstecher, Radierer und Maler Daniel Hopfer (um 1470-1536; vgl. Thieme-Becker XVII, 474ff.) die - von Panofsky angenommene, aber nicht überlieferte - Vorstudie für Burgkmairs Reiterporträt als Vorlage zu einer Radierung mit dem Porträt des Kunz von der Rosen. Es handelt sich bei dieser Radierung um die älteste Fassung des uns bekannten Porträts, nach rechts blickend, vor einem Wolkenhimmel im Hintergrund und bis auf die Signatur des Künstlers unten links neben dem rechten Oberschenkel der Figur ohne Inschrift (Hol1stein 1986, Nr. 97, I). Ausgeführt wurde dieses Porträt nicht als Kupferstich, sondern als Radierung. Die Druckvorlage wurde nicht in eine Kupferplatte mittels eines Grabstichels eingraviert, sondern in eine aus gehärtetem Eisen geschmiedete Platte geätzt - eine Technik, deren Anwendung für die Vervielfältigung von Bildern gerade erst im Aufkommen begriffen war. Porträts als Kupferstich oder Radierung - in einer Auflage von vielleicht 100 bis 500 Stück - wurden gerade Anfang des 16. Jahrhunderts modern. Man konnte sie bei den Buchhändlern erstehen und sammeln oder sich an die Wand hängen. Vielfach wurden sie auch von den Dargestellten in Auftrag gegeben und an Freunde und Bekannte verschenkt (Panofsky 1942, 53ff.). Ihre Herstellung war wie der Buchdruck in erster Linie ein Geschäft und somit abhängig von der Marktlage. Kunz von der Rosen scheint um 1515 zumindest in Augsburg so populär gewesen zu sein, dass man ihn auch ohne die sonst vielfach übliche Namenslegende wiedererkannte. Unklar ist, wie oft nun Hopfer oder seine Nachfolger mit der betreffenden Platte druckten. 3. Dass Kunz von der Rosen sich gut verkaufte, dokumentiert ein Nachstich der Hopferschen Radierung: dieses mal als Kupferstich, im Gegensinn, d.h. seitenverkehrt, mit kleinerem Bildausschnitt, der den Unterleib und die Ellenbogen abschneidet (Bartsch 1808,493, Nr. 87; Hollstein 1986, Nr. 97A). 37 Abb.1: Daniel Hopfer: Kunz von der Rosen. Radierung, 1515; mit der Originalplatte zwischen 1682 und 1696 nachgedruckt in: David Funck: Opera Hopferiana; Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett, Inv.- Nr. 11450 (vgl. Nr. 9). i , -, i.. •• "..~' . ~-_.-~.-~--_. ____ • ~~ !!t,;-=---"-'-;::~ ~- ~.,.t.cl~~~ -;-:;tio--_-~,~:;.c--". . - .... - .. L"'~ M~:~.J,':':!i".:-':.:...-!;~"'_~ t;"-~'";_... ",,!,,..:,- ...... .... ,. ~_~~~,....,-s.-:..-..,.,..- _ ;~~~~~:"._' ::-:.... ... -- .,.. - I, ~j : ,, :' ', ~i : " !ii ~!li Abb.2: ': " :: I :1' 1, I ! i !i I 'i 'J' ~, r 11 i' ,, 1 i • I ! di I ' Daniel Hopfer (7): Kunz von der Rosen. Nachstich mit der Signatur Daniel Hopfers; aus: Bents 1990 (vgl. Nr. 3). Rechts neben dem Hals der Figur ist wiederum die Signatur Daniel Hopfers gegeben, hier jedoch mit dem sogenannten Augsburger Stadtpir, dem Wappenzeichen der Reichsstadt. Dieses zapfen- oder traubenähnliche Gebilde auf einem Kelchfuß führten Daniel Hopfer und seine Söhne in ihrem 1524 von Kaiser Karl V. verliehenen Wappen (Harzen 1859, 131). Schon zuvor nutzten sie es jedoch auch für die Signaturen ihrer Werke (TIetze-Conrat 1935, 97). Die 1802 von Silberberg in Frankfurt nachgedruckten Hopferschen Radierungen haben allesamt den Stadtpir bei der Signatur (Silberberg 1802). Der seitenverkehrte Nachstich geht also entweder ebenfalls auf Hopfer zurück, oder aber der Nachstecher legte Wert auf die Zuschreibung seines Werkes an den Augsburger Künstler (Abb. 2). 4. Und die Popularität des Draufgängers aus der Entourage des Kaisers hielt offenbar an: In den Jahren 1555 bis 1560 ließ sich Hans Jacob Fugger (1516-1575) von dem Augs38 burger Schustermeister, Ratsherren, dann Ratsdiener und zuletzt Zöllner, vor allem jedoch Geschichtsschreiber Clemens Jäger (um 1500-1560) eine Geschichte des Kaiserhauses schreiben und von Künstlern aus der Nachfolge Georg Breus des Jüngeren (um 1510-1547; vgl. Thieme-Becker IV, 596f.) in einer prächtigen zweibändigen Handschrift gestalten (Rohmann 2001). Hans Jacob Fugger, Neffe des großen Anton Fugger, Herr von Kirchberg, Graf von Weissenhorn, Kaiserlicher und Königlicher Rat, zugleich Bürgermeister und Geheimer Rat von Augsburg und Juniorchef der zunehmend in die Krise geratenden Handelsgesellschaft, nach dem Tod seines Onkels der "erste Bankerotteur des Hauses Fugger" (von Pölnitz), wollte diesen" Habsburgischen Ehrenspiegel " seinen Nachkommen als Dokument der Nähe seines Hauses zum Kaiserhaus hinterlassen. Für das prekäre Verhältnis des Bankiers zu seinem politisch übermächtigen Schuldner war nun ausgerechnet Kunz von der Rosen ein Vorbild: Wie dieser sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte für seinen Herren, dafür diesem aber auch gelegentlich ein offenes Wort sagen konnte, so stellten sich auch die Fugger ihr Treuverhältnis zu den Habsburgern vor. Der" Habsburgische Ehrenspiegel" enthält daher eine ausführliche Biographie des Kunz von der Rosen, mitsamt einigen seiner schönsten Streiche und einem ganzseitigen Porträt: Einer Feder- und Tuschezeichnung nach der Hopferschen Radierung (Abb. 3). Die älteste, nur schriftliche Fassung des" Ehrenspiegels" in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (cvp 8614 *) enthält dieses Porträt noch nicht, wohl aber die älteste Prachtfassung in der Bayerischen Staatsbibliothek in München (cgm 896, fol. 330r.; vgl. TIetze-Conrat 1935, 100; Panofsky 1942, 44, und Lit. zu 5./6.). 5./6. Auch die vom Ende des 16. Jahrhunderts stammende Fassung in Wien (cvp 8614, fol. 311 r.; vgl. Bartsch 1808,493; Laurent 1847, 65; Harzen 1859, 128; Hind 1978, 256) und die mit dieser gleichzeitige, im Zweiten Weltkrieg zerstörte Dresdener Handschrift enthalten bzw. enthielten das nämliche Porträt (Goetze 1744,28; Laurent 1847,66). Diese Miniaturen spielten nun für die Identifikation des von Hopfer Porträtierten eine wichtige Rolle, zeigen sie doch, dass die Radierung von 1515 Vierzig Jahre später als Bildnis des Kunz von der Rosen gesehen wurde (Hind 1978,256; Panofsky 1942,47; Bents 1990, 90f.; kritisch: TIetze-Conrat 1935, 100). Dass es sich hierbei um einen beispielhaften Zirkelschluß handelt, liegt jedoch auf der Hand: Radierung und Buchillustration belegen sich gegenseitig. Zu fragen wäre auch, ob die viel beschworene Quellentreue Hans Jacob Fuggers für die Bebilderung des" Ehrenspiegels " irgendeine Relevanz gehabt haben könnte: Der Augsburger Kaufherr und Politiker hat nicht nur die Bilder nicht selbst gemalt, er hat auch das Buch nicht selbst geschrieben (Hartig 1917, 199; Maasen 1922, 68f.; Roth 1927, 1ff., 63105; Friedhuber 1973). Und die angebliche Quellentreue Clemens Jägers steht auf einem ganz anderen Blatt (Rohmann 2001). Als 1668 der Nürnberger Poet Sigmund von Birken den "Ehrenspiegel" überarbeitete und im Druck herausgab, tilgte er die Kurzbiographie des Kunz von der Rosen bis auf einige Anekdoten, die er in die Lebensbeschreibung Maximilians I. einfügte (von Birken 1668, 980, 995f., 1273, 1360, 1385f.; vgl. Laurent 1847, 66, Anm. 43). Das Porträt hatte für den dem Kaiser Leopold I. (1658-1705) gewidmeten Druck keine Funktion mehr und wurde daher ebenfalls ausgelassen. 7. Kunz von der Rosen wurde wieder interessant, als im Jahr 1789 Friedrich Floegel seine" Geschichte der Hofnarren" veröffentlichte. Schon Floegel wusste nichts Rechtes anzufangen mit dem Hofnarren, Berater, Dolmetscher, Lebensretter und Kumpan des Kaisers (FloegeI1789, 190-203). Er ließ sich jedoch von C. F. Holtzmann (1740-1811) nach der Miniatur in der Münchener Handschrift des" Ehrenspiegels" einen Kupferstich entwerfen, den Medardus Thoenert für den Druck umsetzte (Floegel 1789, 203; vgl. Laurent 1847, 66f.; Panofsky 1942,44). 8. Die beiden Graphiken mit der Signatur Daniel Hopfers haben sich vergleichsweise selten erhalten. Häufiger überliefert und entsprechend häufiger im Bild zu sehen sind Drucke vom Ende des 17. Jahrhunderts. Der Nürnberger Buch- und Kunsthändler David Funck war in den Besitz der Eisenplatten der Hopfer-Werkstatt gelangt (zur Person vgl. Sporhan-Krempel/Wohnhaas 1973, 1039; Sporhan-KrempeI1980, 977, 998f.; Benzing 1977, 1139). Das Porträt des Kunz von der Rosen druckte er mit den Originalplatten zunächst als Einzelblatt nach (Hol1stein 1986, Nr. 97, 11 a). 9. Später versah Funck 203 der Hopferschen Original platten mit einer durchlaufenden Numerierung (in unserem Fall die 27) unten links oberhalb der Hopferschen Signatur und 39 Abb.3: Nachfolge Georg Breus d. J.: Kunz von der Rosen. Miniatur aus dem" Habsburgischen Ehrenspiegel" (15551561) nach der Radierung von Daniel Hopfer; Bayerische Staatsbibliothek München, cgm 896, fol. 330r. (vgl. Nr. 4). ,.'~ ',:- ~ :. l,ö· ~~"'..~roi·l,,;7~ .., - :... <, . C.4~1r-6"'~r. -J"~·';C·':'A';'-·" ia.;",,,tl\ 4e>; ser ... "I\.e D~rp",.,:o.'._' I':':"'._L "; ',' i , ;f i l 'I ; i Ji :; r 'lI -:[ I Der Admiral und Türkenbezwinger: Gonsalvo di Cordova "1 t :i i 11' ,t '. . " :,: t :! :!il; lil !II Ji ~: iI :1 , i '11 .1I, I! i ! t } 'I Abb.4: Gonsalvo di Cordova, Venedig 1516, Kupferstich, nach der Radierung von Daniel Hopfer; aus: Hind 1978, Tafel 406 (vg/. Nr. 10). druckte von ihnen ein Sammelwerk der in seinem Besitz befindlichen Platten (Harzen 1859, 126f.; Hollstein 1986, 34 und Nr. 97, 11 b): "OPERA HOPFER/ANA, id est figvrae aliqvot aenae, qvas [ ... } DANIEL, H/ERONYMUM, Atqve LAMBERTUS HOPFER [ .. .] inädere. Denvo excuse prostant apvd DA V/DEM FUNCClUM, Iconopolam Noribergensem (Abb. 1). U ~i f. Da Funck seine Sammlung ohne Erscheinungsjahr herausgab, wird sie in der literatur meist lediglich stilvergleichend ins 17. Jahrhundert datiert (Laurent 1847, 68; Hollstein 1986, 34; Thieme-Becker XVII, 476; Panofsky 1942, 44). David Funck (16421709), der übrigens eine Tochter aus der bekannten Verleger-, Gelehrten-, Kupferstecher- und Künstlerfamilie (von) Sandrart geheiratet hatte, ist jedoch im sogenannten Ämterbüchlein der Stadt Nürnberg seit 1682 als" Kunstführer" , d.h. Kunsthändler, verzeichnet, und so wird das Werk nach diesem Jahr erschienen sein. Da die weiteren Nachdrucke des Hopferschen Porträts bereits 1696 in Hamburg als Vorlage für die Porträtierung Klaus Störtebekers dienten (siehe unten), sind die" Opera Hopferiana", wie auch die ihnen vorausgehende erste Auflage Funcks von der Hopferschen Radierung, in die Zeit zwischen 1682 und 1696 zu datieren. Weiteren Aufschluß könnte das erwähnte Nürnberger Ämterbüchlein bieten, in dem auch einzelne Werke der Aufgelisteten verzeichnet sind (Sporhan-Krempell Wohnhaas 1973,1039; Benzing 1977,1139). Dieses Sammelwerk ist vollständig heute nur noch sehr selten überliefert:. Das maßgebliche Verzeichnis der deutschen Druckgraphik kennt gerade eine vollständige Fassung in Paris (HolIstein 1986, 34). Da die Radierungen als Einzelblätter einen viel höheren Wiederverkaufswert hatten, wurden sie aus den Büchern herausgeschnitten und liegen so nur mehr vereinzelt vor. Auch das bekannte Porträt des Kunz von der Rosen gelangte auf diesem Weg in die Kupferstichkabinette. 40 10. Hopfers Radierung von 1515 wurde schon im Jahr nach ihrem Erscheinen auch in Venedig bekannt. Das Bildnis des Kunz von der Rosen löste in der Lagunenstadt nun vermutlich nicht unbedingt einen Kaufrausch aus. Ein geschäftstüchtiger Unbekannter jedoch nahm es als Vorlage für das Kupferstichporträt des Gonsalvo di Cordova. Gonzalo Fernandez de Cordoba y Aguilar, so sein spanischer Name, wenn man ihn nicht einfach .. il Gran Capitano" nannte, war gerade im Dezember 1515 gestorben. 1453 als Nachkomme einer alten spanischen Familie geboren und am Hof erzogen, hatte Gonsalvo sich im Krieg gegen die Mauren von Granada ausgezeichnet. 1495 führte er das spanische Heer in Italien gegen Karl VIII. von Frankreich (1483-1498). 1501/02 eroberte er für seinen König das Königreich Neapel. 1503 bis 1507 war er Vizekönig von Neapel, bevor er sich bis zu seinem Tod auf seine spanischen Güter zurückzog. Zuvor jedoch war er im Mai 1500 mit seinem Expeditionsheer den Venezianern im Kampf gegen die Türken zur Hilfe geeilt und hatte sich mit dem Sieg bei Cephalonia die dankbare Heldenverehrung in der Lagunenstadt verdient (Tietze-Conrat 1935, 98; Panofsky 1942,45). """..... .... .-.... .".:''..... ., , "~ ... ",". ,.... ~- ," . ~ ;, Die Nachricht von seinem Tod dürfte das Interesse an seiner Person angefacht haben. Der seitenverkehrte Nachstich des Hopferschen Porträts mit der Legende oben rechts neben dem Kopf war offenbar ein Erfolg: .. Uo uidoriosiss[imo} Capitaneo general de larmata deI ser[enissimo}. Re de Spania" - "Der siegreichste Capitano, General der Flotte des ehrwürdigsten Königs von Spanien" (Harzen 1847, 127f.; Hind 1978, 255f., Tafel 406; Tietze-Conrat 1935, 98; Panofsky 1942,44; Hollstein 1986, 121; Abb. 4). 11. Jedenfalls war das Porträt erfolgreich genug, ein weiteres Mal nachgestochen zu werden, erkennbar ungelenk und wiederum seitenverkehrt, d.h. nun wieder in der Ausrichtung der Hopferschen Radierung (Harzen 1847, 127f.; Hind 1978,257, Tafel 407; Tietze-Conrat 1935, 98; Panofsky 1942, 44; Hollstein 1986, 121). Die Legende links neben dem Kopf lautete nun: "Questo sie el gra[n} Capitanio de larmata deI Re de spania ch[i] distrusse el re d[e} granata retrato dal uiuo. " - "Dies ist der Gran Capitano der Flotte des Königs von Spanien, der den König [d.h. den maurischen Herrscher] von Granada vernichtet hat, porträtiert nach dem Leben." (Abb. 5). Das war nun erkennbar gelogen, doch es war geschäftstüchtig gelogen. Und es war wirkungsvoll, so wirkungsvoll, dass sich an den Kupferstichporträts des "Gran Capitano" und ihrem Verhältnis zu der Radierung Hopfers in der Forschung eine lange Kontroverse entspann. Erika Tietze-Conrat hatte 1935 die Gonsalvo-Bildnisse auf um 1500 datiert und als Vorlagen für Hopfer sehen wollen (Tietze-Conrat 1935, 58ff.). Erwin Panofsky jedoch wies ihre Annahmen überzeugend zurück (Panofsky 1942, 44ff.). Später bestätigte Tietze-Conrat die Überlegenheit seiner Hypothesen (Tietze-Conrat 1957, 60f.). Als Vorlage für das Kupferstich-Porträt des Gonsalvo di Cordova hatte Tietze-Conrat ein gemaltes Porträt von der Hand Tizians oder Giorgiones annehmen wollen (Tietze-Conrat 1935, 100f.; vgl. jedoch Harzen 1859, 128f.). Nun ist zwar überliefert, Tizian habe den "Gran Capitano" porträtiert, und Giorgio Vasari berichtet, auch Giorgione habe der Seeheld anlässlich eines Besuches in Venedig Modell gesessen. Vasari beschreibt das Porträt Giorgiones jedoch als eines in Harnisch und Waffen, was für den vorliegenden Kupferstich nicht zutrifft (Panofsky 1942, 46). 12. (?) Abgesehen von diesen Nachrichten sind keine Porträts des Gonsalvo bekannt, die sein Aussehen authentisch wiedergäben (Tietze-Conrat 1935, 98f.). Der berühmte Admiral blieb jedoch offenbar auch im weiteren 16. Jahrhundert eine populäre Gestalt. Jedenfalls wurde er häufiger porträtiert, dies nun nicht nach dem Leben, sondern frei stilisiert oder nach Vorlagen, die man für au- 41 Abb.5: Gonsalvo di Cordova, Venedig nach 1516, Nachstich des anonymen Kupferstichs von 1516; aus: Hind 1978, Tafel 407 (vgl. Nr. 11). = markante Gestalt des Kupferstiches als Muster für eine ihrer namenlosen Figuren nahmen. 14. Sicher ist jedoch, dass das zweite Kupferstichporträt des Gonsalvo zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt als Vorlage genutzt wurde für ein Porträt des "Gran Capitano" , das sich später zeitweise im Besitz des Earl of Yarborough befand (Panofsky 1942, 44). !r'1 . Der Freibeuter: Klaus Störtebeker i, : '! Kunz von der Rosen dürfte im 17. Jahrhundert nicht mehr von größerer Bekanntheit gewesen sein. Umso berühmter hingegen war mittlerweile ein Mann, der gut 100 Jahre vor ihm gestorben war, aber seine Karriere zu dem wohl bekanntesten Piraten der deutschen Seefahrt recht erst begann, als der Augsburger Hofnarr schon tot war (zur Rezeptionsgeschichte vgl. Koppmann 1877; Bents 1990, 77-96; Zimmerling 1980, 319326): Klaus Störtebeker, in Liedern besungen, von den Hamburgern zum überwundenen Staatsfeind Nr. 1 stilisiert, auf Flugblättern abgebildet - ein Mann also. von dem man sich nur zu gern ein Bild machte! : ji I: I . " ! !l f i : , ; L , ; i ::'I'! ,lir !i I I I ;, I I , ~I a ...;' ! .',. IIi Abb. 6: Daniel Hopfer/ David Funck: Klaus Störlebeker, Radierung, 1515, 1682-1696; Nachdruck mit der Originalplatte Hopfers: Kunz von der Rosen, von Funck mit der Legende versehen: .. Claus Stürtz den Becher u ; Staatsarchiv Hamburg (vgl. Nr. 15). Abb. 8 (5. 29, unten): Klaus Störlebeker, anonymer Kupferstich, aus: Adelunck 1696, 42, nach der von David Funck umbenannten Radierung von Daniel Hopfer; Museum für Hamburgische Geschichte (vgl. Nr. 18). thentisch hielt (Panofsky 1942, 46f.). So gab eben Tizian für ein großes Bild "Barbarossa küsst die Füße des Papstes Alexander 111." im Dogenpalast in Venedig einer seiner Figuren den Kopf des zweiten Kupferstichporträts des Gonsalvo. 13. Dies jedenfalls vermutet Panofsky, da Federico Zuccari (um 1540-1609; ThiemeBecker XXXVI, 572-574) 1582 dieses Bild Tizians, das 1577 durch ein Feuer zerstört worden war, erneuerte und in seiner Fassung der Kopf des Gonsalvo auftaucht. Er hätte ihn demnach von Tizian übernommen (Panofsky 1942, 44f.). Zu fragen bleibt freilich, ob es Tizian oder Zuccari um ein verstecktes Porträt des spanischen Admirals in der Historienszene des 12. Jahrhunderts ging, oder ob sie nur die 42 15. David Funck in Nürnberg hatte. nachdem er die Hopfersche Radierung zunächst einmal als Einzelblatt und dann eben im Rahmen seiner "Opera Hopferiana" veröffentlicht hatte. die geschäftstüchtige Idee. das Bildnis eines für ihn namenlosen Helden und den bild losen. aber namhaften Helden zusammenzubringen. Zunächst versah er die Originalplatte Hopfers. der er ja zuvor schon seine Nummer hinzugefügt hatte, oben mit einer Namenslegende: "Claus Siürtz den Becher", und druckte eine Auflage (Laurent 1847, 69; Bents 1990. 91). Ein Blatt dieser Auflage hat sich im Staatsarchiv Hamburg erhalten (Abb. 6). 16. Ob dieses Blatt schnell wegging, oder sich eben nicht gut verkaufte: Funck nahm erneut die Eisenplatte Hopfers. tilgte den unteren Rand und gravierte hier die bekannte Inschrift ein, ein Gedicht über den Trinkund Seehelden Klaus Störtebeker (Laurent • L IZlI _,I. .. N. n " ., ~.d.l _._----- .. _-- ,,,:. " ., .... - ~-_. 1847. 69; Harzen 1859, 129f., Anm. 33; Hollstein 1986, Nr. 97.111; Bents 1990, 91): " Ich Sturtz den Becher und die Kandel/und hab damit ein guten Handel/Auch finde ich meiner Brüder viel/Die eben das liben was ich will" (Abb. 7). 17. Und noch ein weiteres Mal wurde die Original platte Hopfers an die 170 Jahre nach ihrer Entstehung verändert und wiederverwendet: Funck oder ein unbekannter Nachbesitzer entfernte die Nummer ,,27", die in der linken unteren Ecke auf das Sammelwerk " Opera Hopferiana" verwiesen hatte, und druckte erneut das Bildnis, das nun zu dem des Klaus Störtebeker geworden war (HolIstein 1986, Nr. 97. IV). ..:,; ._- öiI ~ . 'I .1 I Nach Funcks Tod gerieten die Platten Daniel Hopfers wiederum in den Handel. Im Jahr 1762 stand noch ein geschlossener Bestand von 303 Platten zum Verkauf (Harzen 1859, 126, Anm. 23). Als 1802 der Frankfurter Kunsthändler Christian Wilhelm Silberberg 92 der Radierungen wiederum mit den Originalplatten unter dem Titel" Opera Hopferiana" druckte, war unser Porträt nicht mehr darunter (Silberberg 1802; Hollstein 1986, 34). Silberberg erwähnt noch 200 bis 250 Platten im Besitz eines Klosters. Später kamen Hopfersche Originalplatten in verschiedene Kupferstichkabinette (Harzen 1859. 126f.; Thieme-Becker XVII, 476). 18. Wohl frühestens 1682 hatte David Funck in Nürnberg mit den Platten Hopfers zu arbeiten begonnen. Als er die Porträtradierung Hopfers als Bildnis des Klaus Störtebeker in den Handel brachte. muss er gerade im fernen Hamburg auf ein ganz dringendes Bedürfnis gestoßen sein. Denn schon 1696 war die Radierung Vorlage für einen Kupferstich. mit dem die erste Ausgabe von Wolfgang Henrich Adelungks "Kurtze Beschreibung I I ," .1 Der Uhralten Kayserlichen und des Hai/. Römischen Reichs Freyen An-See- Kauffund Handels-Stadt Hamburg" bei dem Bericht über die Vitalienbrüder illustriert wurde (Adelungk 1696.42; Abb. 8). Das bekannte Bildnis erscheint hier vor einem schraffierten Hintergrund. seitenver- 43 Abb. 7 (oben): Daniel Hopfer/David Funck: Klaus Störlebeker, Radierung, 1515, 1682-1696; Nachdruck mit Originalplatte Hopfers: Kunz von der Rosen, von Funck mit der Namenslegende und dem Gedicht auf Klaus Störlebeker versehen; Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett (vgl. Nr. 16). . " a: ~ ); l.~. ~. I ! li i 'i I • ! Abb.9a: Medaille auf den Sieg geg. Klaus Störtebeker, Hamburg um 1696, nach der JIIustration in Adelungk 1696; Museum für Hamburgische Geschichte (vgl. Nr. 19). kehrt, d.h. nach links blickend, in einem ovalen Bildausschnitt. Dadurch ist das Porträt zum Brustbild reduziert: Oberkörper, Arme, Unterleib und Beinansatz sind nicht mehr zu sehen. Unter dem Bild steht die Legende: "Claus Stortzenbecher der Berrühmte Seeraüber [!]/ von den Hamburgern gefangen undt Zum Todt verurtheilt N 1401 / Albert Crantz. 10.06. von den Wenden. A[NNOJ 1401. " Der "berühmte Seeräuber, zu Hamburg hingerichtet im Jahr 1401", wird wiederum im Brustbild gezeigt. Das Halbprofil ist stärker dem Betrachter zugewandt. Vor allem jedoch blickt die Figur wie in dem Stich bei Adelungk nach links. So wird die gerade erschienene Buchillustration mit ihrer Inschrift Vorlage zu der Medaille gewesen sein (Abb. 9a). Die zahlreichen Ausgaben der erstmals 1519 erschienen "Wandalia" des Hamburger Domdekans und Stadtsyndicus Albert Krantz (1448-1517) kennen noch kein Bildnis des legendären Seeräubers. Die Bildunterschrift kann sich also nur auf den Umstand beziehen, dass Albert Krantz die maßgebliche Quelle für Adelungks historischen Bericht über die Vitalienbrüder war. Auf der Rückseite zeigt die Medaille den nicht minder berühmten französischen Kaperfahrer Jean Baert, mit der Inschrift: "IEAN BAERT. PYRATA GALLORVM MAXIMVS / NON /DEM OMN/B[VSJ FATVM". Die Umschrift auf dem Rand der Medaille lautet: "CONVENIUNT FACT/S PAR/BUS PAR NOB/LE FRATRVM". U Abb.9b: Rückseite: Porträt des französischen Freibeuters Jean Baert. Dieser Kupferstich wurde entweder von Anfang an auch als Einzelblatt vertrieben, oder aber häufiger aus dem Adelungkschen Buch herausgetrennt und verkauft. Jedenfalls hat er sich vielfach als Einzelblatt erhalten. Die wissenschaftliche Literatur weiß durchgehend nichts von seiner Verwendung als Buchillustration (Bartsch 1808, Nr. 87; Hollstein 1986, Nr. 97B; Hind 1978, 256). 19. Vermutlich noch im gleichen Jahr 1696 wurde in Hamburg eine Gedenkmedaille geprägt, deren lateinische Inschrift stark an die Bildunterschrift bei Adelungk erinnert: "CLAUS STÖRTZENBECHER PYRATA FAMOS[VSJ / HAMBURG/ NECAT[OJ 44 Die Medaille wird in der älteren Forschung dem Gothaer Christian Wermuth (16611739) zugeschrieben (Langermann 1802, 42ff.; Laurent 1847, 80; Jesse 1924). Jean Baert hatte es als Kaperfahrer gegen die Engländer im Ärmelkanal und Admiral der französischen Flotte bis zur Adelung durch den französischen König gebracht (1694). 1690 hatte er Hamburger Walfänger auf der Grönlandfahrt angegriffen (vgl. Prange, in diesem Band). 1696 fuhr er gegen die holländische Flotte in der Nordsee und tauchte auch vor Ritzebüttel auf. Zu diesem Zeitpunkt, als die Hamburger Admiralität Schiffe zur Abwehr Baerts in die Eibe legte, könnte die Medaille entstanden sein (Laurent 1847, 80, Anm. 54; Jesse 1924). In dem Doppelbildnis mit den Sinnsprüchen "Nicht jedem das gleiche Schicksal" und "Ein Paar gleich edler Brüder kommt zusammen, die das gleiche getan haben" könnte so die Geschichte Klaus Störtebekers gleichermaßen stolzes Siegesdokument wie Drohung an den französischen Feind gewesen sein: Wir kriegen jeden, der uns angreift, sei er adelig oder nicht! 20. Jean Baert starb 1702 in höchsten Ehren, ohne dass die Hamburger ihre Drohung hätten wahr machen können. Immerhin konnte man 1701 das dreihundertjährige Jubiläum des Sieges über Klaus Störtebeker begehen. Wahrscheinlich zu diesem Zweck wurde erneut eine Medaille angefertigt. Sie zeigt beinahe nur noch den bekannten Kopf, jedoch ins Profil gewendet und zur Karikatur vergröbert: Der Blick aus übergroßen Augen ist stierend, die knollenähnliche Nase und die übergroßen Lippen geben dem Bildnis die ungestüme bis wahnhafte Wildheit, die man offenbar von einem Seeräuber erwartete (vgl. Jesse 1924; Abb. 10). Die Wendung des Porträts nach links wiederholt die Richtung des Adelungk-Stiches und der ersten Medaille. Daher scheint es sinnvoll, dieses Stück nicht als um 1695 entstandene erste Medaille, sondern als zum Jubiläum 1701 nach Vorlage der älteren geprägt anzusprechen (Laurent 1847, 80, vgl. jedoch Jesse 1924). Das Bildnis Klaus Störtebekers hat die Inschriften: "CLAUS. STORTZE. / BECHER.", und" CAPT[IVUSJ 1401." Die Rückseite zeigt eine Stadtansicht von Hamburg mit dem Grasbrook, dem Hinrichtungsplatz der Stadt, dazu mit der Umschrift "HAMBVRG" unterhalb des Bildes und "VIRTVTE PATRVM" oberhalb. Wiederum also wurde die maßgebliche Bedeutung des Sieges über die Vitalienbrüder für das historische Selbstbewußtsein der Hansestädter beschworen: "Aufgrund der Tapferkeit der Väter" hatte man Störtebeker überwunden, und Episoden wie jene vom Auftauchen Jean Baerts in der Eibe oder die Bedrohung der Hamburger Schiffahrt durch die nordafrikanischen Korsaren zeigen nur zu deutlich, dass die Vergegenwärtigung der Geschichte hier eine ganz handfeste politische Funktion hatte. Beide Medaillen wurden in Gold und in Silber geprägt (Jesse 1924). 21. Auf die Spitze getrieben wurde die karikierende Wirkung in dem illustrierenden Kupferstich zu Langermanns "Münz- und Medaillenvergnügen " von 1808: In den groben Zügen des Bildnisses der Medaille wurde hier noch die wulstige Lippe zu einer herausgestreckten Zunge. Klaus Störtebekerwar damit vom stolzen Recken zum sabbernden Kranken umgedeutet (Langermann 1808, 41). 22. Wie die karikierende Umgestaltung des Porträts zum wilden Gewaltmenschen in der zweiten Hamburger Medaille schon zeigt, bot sich das Porträt, das nun ohne jeden 45 Abb.10a: Medaille auf die Hinrichtung Klaus Störtebekers, Hamburg 1701, Museum für Hamburgische Geschichte (vgl. Nr. 20). Abb.10b: Rückseite: Stadtansicht mit dem Grasbrook. :I Zweifel Klaus Störtebeker zeigte, für Spekulationen über den Charakter des Dargestellten an. So nimmt es nicht wunder, dass 1775 Johann Caspar Lavater auf der Suche nach Material für seine "Physiognomischen Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe" auf das Störtebeker-Porträt bei Adelungk stieß. Im Kapitel "Von der Harmonie der moralischen und körperlichen Schönheit" (Lavater 1775, I, 57ft.) vergleicht er die Gesichtszüge des Münsteraner Täufer-Bürgermeisters Bernt Knipperdollinck (gestorben 1536; vgl. ADB 16,293-295) mit denen unseres Porträts. Da er zu wissen meinte, was für eine Gestalt der Abgebildete gewesen war, konnte er ohne Mühe zu eindeutigen Schlüssen über seinen Charakter gelangen: fi~ ~ I . I I I I I , I I ! " j' ~lotioln il ; unb ttllt lU beR !Blluern, ireiwiUig, 111" i9r !Bmbet. ~G wllr ., , Ijlorian ~el)er, ber fd)~IIf1e .t>elb 'td glln3en SlllmpfeG. "Sein Sdjidflll ~Ilt nur \1)enige .Büge bon i9R1 in bie ~: fd}id]te iimge~n Illiien; 11m biefe \llenigen uid)en au, feine @e. fI.tlt au be(tud)ten. liG UhU bief bon bem @eifle beG eblen Ulrid) ~utku in i~m, bie neue .Beit ~Iltte i~n ergriffen mit i~ren re{j. gmfen unb l'clitifd)en Xrie&tn, er ge~örte nid)t me~r feinem @Stanb, er ~crte bem $clfe, bet \jteigeit Iln. !!.DaG er bor~er \1)Qr unb trieb, liegt im ~lInleln. ~Ilft er in SlriegGbienfien feine .augenb berlebt ~aUe, erfll~ren \1)ir !>.trllue, baS er tiner \)on benen \1).1r, \1)eId)t @ölJ bon ~rlid)ingen in ben ~icnflen t-ee fd)\1lä6ijd)en' !Bunbe~ au. IDli!dntü91 gefllngen nll~nten. ~Ilr ~!orilln ei.ne .Beit (ang btel(etdjt ~aulltmann bon ~llnbGfned)tefa~nlctn? E5ttn ~au' l~fen~eibel fid] I1lefenUid] "cn ben Ilnbern burd] megerifd)e I I ! I 'I " i I " , I 46 unb Uc&ung; tltlln fie9t, eG ifl eine Slrieil"fd)llllr, biefet "fd)\Il.tqe ~llufeM untet ~Iorilln, ltlie er fid) feLbfl nllnnte, unb ~m !jLorilln ltlar Ilud) flofa Iluf feine fd)ltlllqc Ed)llar unb fprold) \)on ben Dben\1)äfberu arG aufammengefaufenent' @efinbel. ~aft er bei ber €5idingen 'fd]en 1tnterne~mung \1)l1r, unb unter ben geäd}tcten friinfijd)tn Slittern, ijt f.lfl Ilt\1)iS. - _. ' 'J)er @rllf "on .pelfent1ein, Dbtrllogt Ilur bem Ilrten !!.Delfen· fd)fciie !l.Deine&erg, ~Iltte &efllnntfid] "on €5tuttgllrt unb ben ma •• *n t-eG fd]\1)abifd)en !Bunbee ~ufttllg unb IDl.lnnfd)llften er~ll{ten, belll liinbringen bet Dben\1)ii[ber !Blluern fid) entgegen 3u ftenen. Slllnm Iluf $cine&trg mieber Ilngelommen, fd)rie6 er Il&et Iln bidJie· gierung aurlid, bllft er mit feinen \1)enigen ~enten bent mit C!lllil fed)", tllufenb IDlllnn einbtingenben !Blluern~llufen Ilue betn Dben\1)llfb unb ~*n(09ifd)en in bie ~iinge nid)t I1lerbe \Iliberfle~en rönnen. - ~Illtung "Uebergewicht von Kraft - umgeben mit Schwachheit zeugt Bösewichter! - vergleiche diese Gesichter mit den vorhergehenden und urtheile. Nicht umsonst - ward er mit Catilina verglichen, der gewaltreiche, übermächtige, eiserne Knipperdolling! Schau doch die Felsenseele in den stürmenden Wellen des Glückes und Unglückes. Schau den zermalmenden Ernst - die Seele, geschaffen, zu richten, zu herrschen, und zu tödten! Und den Pendant, den Seeräuber, vergleiche Blick, Stirn, Nase, Bart - mit Knipperdo/ling - und läugne, kannst du - dass Physiognomie Wahrheit spreche, und dass Harmonie sey zwischen Geist und Körper, Herz und Angesicht. " (Lavater 1775, I, 118). Für die Illustration seines Werkes ließ Lavater die Porträtvorlagen auf wenige, markante Züge reduzieren. Diese Beschränkung auf wenige, skizzenhafte Striche trug nun gewiss zur Überzeugungskraft seiner Argumentation bei. Störtebeker ist hier nicht der wirre Gewalttäter, sondern das Opfer seiner fehlgeleiteten Kraft, ein unmäßiger Machtmensch eher als ein Irrer. In jedem Fall war also ein allgemein anerkanntes Porträt für den legendenumwobenen Seeräuber gefunden. Es dauerte jedoch nach Lavater gar nicht mehr lange, bis - wie eingangs erwähnt - Adam Bartsch darauf hinwies, dass die Radierung auf Hopfers Bildnis des Kunz von der Rosen zurückgehe (Bartsch 1808, 87). Doch wie so oft erwies sich auch hier das Geschichtsbewusstsein als nahezu völlig resistent gegen wissenschaftliche Erkenntnis: Klaus Störtebeker blieb Klaus Störtebeker, und es wäre eine Aufgabe für die Kunstgeschichte, der weiteren Geschichte seines Porträts in der Historienmalerei und Buchillustration des 19. und 20. Jahrhunderts nachzugehen (vgl. Bents 1990, 90ft., 108ft.; Hennig, in diesem Band 81,82). Der Bauernbefreier: Florian Geyer So verfestigte sich einerseits immer mehr die Assoziation des bekannten Porträts mit dem bekannten Namen, andererseits jedoch führte die verwickelte Geschichte des Bildes zu einiger Verwirrung, wen das Bild denn nun "wirklich" zeige. 23. Nicht ganz so genau nahm es in diesem Durcheinander die in Berlin erscheinende "Gartenlaube", ein "lIIustrirtes Familienblatt" , das das deutsche Bürgertum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit Erbaulichem aller Art versorgte. In der Nr. 6 des Jahrgangs 1860 druckte man als Auszug aus der Bauernkriegsgeschichte Wilhelm Zimmermanns eine Erzählung über den "Heldentod" des Florian Geyer, des Anführers der "Schwarzen Schar" im Bauern krieg (Vgl. ADB 8, 502f.; Dericum 1980). Als Porträt des fränkischen Ritters wählte man einen Nachstich der Hopferschen Radierung, also entweder aus den Auflagen Hopfers oder aus den ersten David Funcks, jedenfalls vor Ergänzung der Namenslegende und des Gedichts auf Klaus Störtebeker (Gartenlaube 6/ 1860, 85; vgl. Koppmann 1877, 58). Zu dem "lustigen Rat" des Kaisers, dem spanischen Granden und dem gefährlichen Seeräuber trat nun noch der revolutionäre Bauern befreier (Abb. 11). Was verbindet sie alle? 24. Unsere Aufzählung der Kandidaten für das Porträt Hopfers ist damit noch nicht am Ende. Denn in der Zeitschrift des Vereins für 47 Abb. 11: Florian Geyer, lIfustration aus der in Berfin erscheinenden " Gartenlaube", Nr. 6/1860; Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (vgl. Nr. 23). r-- ; Hamburgische Geschichte des Jahres 1847 findet sich unter den ergänzenden Bemerkungen J. M. Lappenbergs zu dem Aufsatz von J. C. M. Laurent ein Hinweis auf ein angebliches Porträt Franz' I. von Frankreich (1515-1547), das der Verfasser in Versailles gesehen zu haben angibt. Dieses Bildnis nun, für das er auch die Inventarnummer (No. 1697) mitteilt, nennt Lappenberg als dem Hopferschen Porträt, "soweit mir dasselbe gegenwärtig war", ähnlich (Lappenberg 1847a, 60H.). "Es wäre zu wünschen", so Lappenberg weiter, "daß ein Kunstkenner den Stich des Daniel Hopfer zu Versailles mit jenem Bild des Königs vergliche, um die Frage vollständig zu erledigen. " Dieser berechtigte Wunsch scheint nun einige Jahrzehnte später in Erfüllung gegangen zu sein. Jedenfalls berichtet Karl Koppmann 1877, dass "Herr Buchhändler Strack [. .. ] aus seiner reichen Porträtsammlung dem Verein für Hamburgische Geschichte den Nachweis geliefert" habe, "daß die Ansicht Lappenbergs auf einem Irrthum beruht [. .. ]" (Koppmann 1877a, 58). Erstaunlich freilich bleibt, dass Lappenberg bis in Details der Ausstattung hinein Übereinstimmungen gesehen zu haben angibt (Lappenberg 1847a, 601). Das Gesicht, so Lappenberg, sei jedoch sicher jenes Franz' I. Lappenberg hatte offenbar das Hopfersche Blatt undeutlich im Kopf, als er in Versailles auf die Königsporträts stieß. So wird man wohl annehmen können, dass es ein bestimmter Typ der Porträtierung war, den er wiedererkannte, oder besser: dem er aufsaß. Franz I. ließ sich wiederholt in einer betont markanten, männlichen Haltung porträtieren - ganz ähnlich der eigentümlichen Reiterfigur ohne Pferd auf Hopfers Radierung (vgl. etwa die Abb. bei: Scaillierez 1992; Meilen 1971). ·i : .:,' I: . Denn was ist auf Hopfers Blatt überhaupt zu sehen (vgl. Panofsky 1942, 44)? Auf einer Art Bank vor einem Wolkenhimmel sitzt breitbeinig ein etwa mittelalter Mann, frontal zum Betrachter. Der Kopf ist ins Halbprofil nach rechts gewendet. Schräg auf dem ungebändigten, halblangen Haupthaar trägt ' 48 ;1:l J er ein Barett mit durchgezogenen Schmuckbändern und einem Medaillon. Ein an den Enden aufgezwirbelter Schnurbart und ein breiter Kinnbart betonen die markanten, tief eingeschnittenen Züge. Der durch die zusammengezogenen Augenbrauen entschlossen wirkende Blick geht bei streng aufgerichtetem Haupt in die Ferne. Er trägt ein abgestepptes, gepolstertes Wams mit quer und längs aufgesetzten Stoff-Flecken und einer schmalen, angesetzten Borte am Hals. Um den Hals liegt ein schwerer, wohl goldener Ring mit einem Gelenk oder einer Schließe vorn vor der Brust. Die Hose ist im Schoß mit Schleifen gebunden. Sie ist in einer Art Wolkenschnitt längsgestreift und geschlitzt. So schwierig die Identifikation dieser Kleidungsstücke im Bild sich auch im einzelnen gestaltet, ist die Forschung doch überein gekommen, dass es sich hier nicht um den "burleske[n] Aufzug des berufenen Schalksnarren" (Harzen 1859, 129) handelt. Ob es sich nun um "die typisch spanische Tracht vom Ende des 15. Jahrhunderts" (TietzeConrat 1935, 100), die Tracht des französischen Hofes (Lappenberg 1847, 601) oder aber eher die deutsche Mode der gleichen Zeit handelte (Panofsky 1942, 47; Schaar 1991, 56; Jesse 1924), hing stark von der Einstellung des jeweiligen Verfassers zur Frage der Herkunft des Porträts zusammen. Der vornehme Mann in Augsburg um 1520 jedenfalls trug weder die eigenartig aufgesetzten Flecken auf dem Wams (die nicht mit der überaus modernen Schlitzung, dem "gerissenen" Wams, zu verwechseln sind), noch überhaupt ein solches Wams ohne eine Schaube oder ein anderes Obergewand darüber, wie uns etwa ein Blick auf die vier großformatigen Monatsbilder Georg Breus des Älteren von etwa 1530 (vgl.GrÜber 1994) oder in das Trachtenbuch des Matthäus Schwarz von 1525 lehren kann (Fink 1963). Noch am ehesten wird man in der Tat von einer Art Landsknechtstracht sprechen können (Panofsky 1942,44). In der Miniatur des" Habsburgischen Ehrenspiegels" ist die ungewöhnliche Flicken-Ap- plikation missverständlich als Schlitzung mit durchgezogenem Unterfutter interpretiert. Außerdem ist der metallene Halsring zunächst übernommen, dann jedoch durch Übermalung getilgt worden (vgl. Bents 1990, 119). Schon 1555 wusste man sich offenbar auf die Kleidung des Dargestellten keinen rechten Reim mehr zu machen. Durch die gespreizte Beinhaltung wird die Scham kapsel sichtbar. Sie ist jedoch verdeckt von der Scheide eines großen BeidhänderSchwerts, das links am Gürtel befestigt ist und zwischen den Beinen liegt. Schwert und Scham kapsel im Schritt der Figur markieren überdeutlich die Männlichkeit des Dargestellten. Wollte man einen Mann als weibisch karikieren, ließ man ihn in der zeitgenössischen Malerei mit einem Spinnrocken zwischen den Beinen dastehen, wie den antiken Heroen Herkules nach seiner Unterwerfung durch Omphale (Bischoff 1998). Sollte Daniel Hopfer für seine Radierung tatsächlich auf eine Vorstudie Burgkmairs zu seinem Reiterbildnis des Kunz von der Rosen zurückgegriffen haben, so hätte er sie doch ganz spezifisch umgearbeitet: Schwert und Schamkapsel hätten zu Pferde in dieser Form nicht gezeigt werden können. Hopfer hätte also die ungewöhnliche Haltung der Figur zu einer ganz neuen Bildaussage genutzt. Der stolz aufgerichtete Körper wird betont durch die abgespreizten Ellenbogen - ein Motiv, das in der Porträtmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts für stolze Männlichkeit stand (Spicer 1994). Zudem liegt die linke Hand an der Parierstange des Beidhänders, so dass der Daumen durch den Griffbügel gelegt ist. Das Schwert zu tragen war das Vorrecht des freien, erwachsenen Mannes, die Hand am Schwertgriff so ein beliebtes Motiv der Porträtkunst (Fink 1963, 75). Und man wird nicht fehlgehen, die Größe des Schwerts zu dem prätendierten Grad an Männlichkeit und Selbständigkeit in Relation zu setzen. Das Hopfersche Porträt versammelt also zahlreiche stereotype Motive der Darstellung heroischer Männlichkeit (Panofsky 1942, 44). Es war weniger eine individuelle Per- sönlichkeit, die hier präsentiert wurde, als vielmehr eine Komposition von Motiven, die im Zusammenspiel das Bild eines ganzen Kerls ergeben sollten. Und diese Komposition war wohl ausgesprochen gelungen. So nimmt es nicht wunder, dass sie in einem Geschäft, in dem es auf die Lieferung glaubwürdiger Bilder für die Sehbedürfnisse der Kundschaft ankam, herhalten musste für die Porträts ganz verschiedener Männer, die doch zweierlei gemeinsam hatten: Sie waren ganze Kerle, und sie versprachen Publikumsinteresse. Und noch mehr: Gerade, weil Daniel Hopfer mit seinem "Kunz von der Rosen" ein beinahe idealtypisches Porträt gelungen war, konnte sein Werk für die verschiedensten Zuschreibungen genutzt werden. So konnte man ohne größere Veränderungen am Bild in ihm gleichermaßen den rauhbeinigen Kumpan des Kaisers wie den legendenumwobenen Seeräuber, den allerchristlichsten Sieger gegen die Türken wie den Anführer der aufrührerischen Bauern oder vielleicht sogar den König von Frankreich sehen. Wie offen das Hopfersche Bildnis für derartige Projektionen war, zeigen noch die Spekulationen der Literatur über den angeblich aufscheinenden Charakter des jeweils angeblich Dargestellten. Lavater steht mit seinen Gewissheiten über die Physiognomie des Bösewichts keineswegs allein: Wollte der eine eben den "berufenen Schalksnarren" erkennen (Harzen 1859, 129) oder gar die Schellen des typischen Narrenkostüms entdeckt haben (Laurent 1847, 68), so sahen andere einen "kantig-kauzige[n] Charakterkopf" (Bents 1990, 119), einen "gespreizten Draufgänger", jedoch mit "Mutterwitz", "Gutmütigkeit" und "Gerechtigkeitsliebe" (Schaar 1991, Nr. 22) oder einen "verwegenen Haudegen" (Hofmann 1983, Nr. 76). Je nach Porträt konnte Kunz von der Rosen von der gleichen Verfasserin als Mann von" kluge[m] Scharfsinn" und der Fähigkeit, "die Not Hilfsbedürftiger deutlich zu machen" (so über die Holbeinsche Silberstiftzeichnung, Hofmann 1983, Nr. 73), aber auch als Rohling von "ausnehmender Derbheit" (Ebenda, Nr. 76 über das HopferBlatt) gesehen werden. 49 &ZL Als C. F. Holtzmann 1789 für Floegels "Geschichte der Hofnarren" einen Kupferstich nach der Miniatur im Habsburgischen Ehrenspiegel entwarf, machte er wohl nicht ohne Grund aus dem fordernd in die Ferne schweifenden Blick des stolzen Recken das verschmitzte Lächeln des Schalks zum Betrachter: Der Hofnarr musste ein Hofnarr sein (Laurent 1847, 66f.). So konnte schon E.G. Harzen im Jahr 1859 augenzwinkernd konstatieren: "In Kunzens groben Zügen liess die Ironie des Zufalls, der oft ergötzlich scherzt, hier die Republik des San Marco ihren ruhmgekrönten Hort vergöttern, dort hingegen die Stadt der Hansa einen grimmigen Erbfeind verabscheuen." (Harzen 1859, 130, Anm. 33). Wer ist der Dargestellte? Harzen konnte noch nichts von Florian Geyer wissen, der ja erst ein Jahr nach seiner Veröffentlichung ins Spiel kommen sollte. Diese letzte Identifikation mit dem Bauernbefreier scheint nun nur der Verlegenheit oder dem Halbwissen eines gehetzten Bildredakteurs entsprungen zu sein. Sie eröffnet jedoch ein Verständnis für die Austauschbarkeit von Porträts in der Druckgraphik der frühen Neuzeit - ein Verständnis, das eher von erstaunlich heutigen Arbeits- und Marktbedingungen als von angeblich gestrigen Mängeln in der Wahrnehmung des Individuums auszugehen hat. ·11 I: jl j: '1 i I I ; I , I 'I [ j.l '/1 - So hatte Erwin Panofsky die für die Rezeptionsgeschichte des Porträts ja nicht ganz unwichtige Identifikation mit Klaus Störtebeker mit knappen Bemerkungen abgetan (Panofsky 1942, 44f.) und die Verwendung für eine Abbildung Florian Geyers in der "Gartenlaube" schlicht ignoriert, um dann aber aus seiner überzeugenden Hypothese, dass das Porträt in Augsburg als "Kunz von der Rosen" entstanden und in Venedig als "Gonsalvo di Cordova " nachgestochen worden sei, weitreichende Schlüsse zu ziehen: Hier zeige sich, so Panofsky, dass das porträtgetreue Kupferstich-Bildnis ein originäres Produkt des deutschen Humanismus sei, entstanden gerade in der Zeit nach der 50 Wende zum 16. Jahrhundert. Während in Deutschland der bürgerliche Humanismus zur Abbildung des Individuums durchdringe, verharre die italienische Druckgraphik in der typologischen Porträtierung, der es eben nicht auf tatsächliche Porträthaftigkeit ankomme, sondern auf die Abbildung von stereotypen Kategorien (Panofsky 1942, 51f.). Das entsprach nun sehr schön dem fortschrittsgläubigen Bild, das man sich gerade unter deutschen Gelehrten lange Zeit von der Renaissance und dem Humanismus machte. Es beruhte nur, wie ersichtlich, auf der Ausblendung aller entgegenstehenden Fakten. Wir wissen heute, dass die Wiederverwendung von Druckstöcken für spätere Arbeiten in der sich entwickelnden Druckgraphik - auch in der Abbildung von Personen - alles andere als außergewöhnlich war (vgl. nur Vavra 1992). Das Porträt sollte nicht unbedingt porträthaft im Sinne einer Abbildung des realen Aussehens einer Person sein. Es sollte mittels einer ganzen Reihe von allgemeinverständlichen Zeichen einen bestimmten Typus darstellen, eine Person in die ihr zukommende gesellschaftliche Kategorie einordnen. Das war nun zunächst kennzeichnend für die mittelalterliche Kunst. Natürlich gab es seit dem Spätmittelalter zunehmend auch "wirkliche", porträthafte Porträts. Doch wo man aus den verschiedensten Gründen über das Aussehen einer Person nichts wusste, musste man sie nach wie vor so gestalten, wie man sie sich eben vorstellte. Dafür suchte man sich Vorlagen, die dem Bild, das man sich von der abzubildenden Person gemacht hatte, entsprachen. "Wirklichkeit" war bestimmt durch die Entsprechung mit dem Vorstellungshorizont der Betrachter. So war das typologische Porträt vielleicht viel" wirklicher" als das "wahre", das Äußere des Dargestellten wiedergebende. Und selbst da, wo Menschen "nach dem Leben" gezeigt wurden, blieb das Spiel mit den Zeichen der Typologie doch maßgeblich für die Gestaltung (vgl. etwa: Hinz 1974; Dülberg 1990; Groebner 1998). , •• ' _. 11' • .' ... __ &. - - , Man musste eben vielfach auch Menschen abbilden, von deren Aussehen man nichts wusste, zumal als Kupferstecher, der für einen Massenmarkt arbeitete. Die Druckgraphik, und das ist die ganze Erklärung für die komplizierte Wirkungsgeschichte von Daniel Hopfers Radierung, war unmittelbarer als andere Formen des Kunstschaffens ein Geschäft. Die Kunden verlangten nach einem Bild des Klaus Störtebeker, und sie bekamen es. Ob dieses Bild "echt" war, konnten sie nicht überprüfen: Außer den Kupferstichen gab es ja kein Medium, mittels dessen man sich das Aussehen fremder Menschen hätte vergegenwärtigen können. Wo es konkurrierende Bildangebote gab, war es für den Stecher jedoch durchaus opportun, die Porträthaftigkeit als Verkaufsargument ins Feld zu führen, wie dies der Produzent des zweiten "Gonsalvo"-Nachstichs tat. Wenn dann ein Bild vorlag, wurde es selbstverständlich weiterverwendet, wo man es brauchte, sei es als "echte" Vorlage für die kopierende Porträtmalerei, sei es als willkürlich ausgewähltes Musterblatt für den Werkstattgebrauch. Das typologische Verständnis der Abbildung von Personen blieb also in der vervielfältigenden Kunst unter dem Druck der Marktmechanismen viel länger wirksam, als die sehr auf Spitzenleistungen und epochemachende Fortschritte fixierte Kunstgeschichtsforschung lange Zeit hat glauben wollen. Noch 1860 funktionierte für den Alltagsgebrauch des deutschen Bürgertums eine rein typologische Abbildung Florian Geyers wobei zumindest gebildete Mitglieder des Vereins für Hamburgische Geschichte sich offen über dieses Bild mokierten. Bezeichnend ist nun, dass die wissenschaftliche Literatur sich einerseits immer auf die Frage konzentriert hat, wen das Bild den nun "wirklich" zeige, andererseits jedoch selbst allzu oft ganz sorglos mit den Vorlagen umgegangen ist: Gelegentlich wurde im Kommentar Kunz von der Rosen angekündigt, dazu jedoch ohne jede Erklärung die Funcksche Fassung mit dem Text auf Klaus Störtebeker gezeigt (Hofmann 1983, Nr. 76; Hollstein 1986, Nr. 97). Mit einiger Regel- mäßigkeit wurden die verschiedenen Fassungen und Auflagen ohne Unterschied und ohne präzise Benennung verwendet, wie sie gerade zur Hand waren. Auf der Suche nach dem authentisch Dargestellten verfiel die Kunstwissenschaft gelegentlich sogar in eben jenes typologische Denken, dessen Überwindung als Ausdruck mittelalterlicher Irrationalität sie doch mit der Entdeckung der Porträttreue als epochale Leistung feierte: "Das ernste, durchfurchte Gesicht [ ... ] stimmt viel mehr zum Charakterbild, das wir uns nach der historischen Persönlichkeit Gonsalvos machen, als zu jenem des kaiserlichen ,Freudenmachers' [ ... ]" (Tietze-Conrat 1935, 100). Die Radierung also konnte nicht Kunz von der Rosen zeigen, weil "wir" uns den ganz anders vorstellten - besser hätte David Funck vermutlich auch nicht erklären können, warum er den Leuten seinen Klaus Störtebeker verkaufen konnte. Tut man das, was Historiker immer tun sollten, nämlich ihren Gegenstand als geschichtlich ernstnehmen, dann wird man sich sowohl der Frage nach dem "eigentlich" Dargestellten entschlagen, als auch vor den beschriebenen Unsorgfältigkeiten in Acht nehmen müssen: Jedes Porträt, nimmt man es typologisch, zeigt den, den es zeigen soll freilich nicht unbedingt sein Äußeres, sondern das Bild, das sich die Betrachter von ihm machen sollen. Hopfers Radierung zeigt Kunz von der Rosen, der anonyme Nachstich Gonsalvo di Cordova, die Bearbeitungen des späten 17. Jahrhunderts Klaus Störtebeker und die Illustration in der "Gartenlaube" Florian Geyer. Wir sollten also weniger fragen, wen die Bilder denn nun abbilden, als vielmehr, wie sie ihn zeigen wollten und mussten, damit man ihnen glaubte, dass sie zeigen, wen sie abbilden wollen. Nur so können wir zu einem Verständnis kommen für die Art und Weise, wie Künstler des Mittelalters und der frühen Neuzeit Menschen abbildeten, und wie Menschen der Zeit sahen, gesehen wurden und gesehen werden sollten. 51 . . . ~OTTH.· FRI!UNI):;~ji~.', 4LLI!R .W~Lj, F~I~~~C~,:)i r '. ~, ' . • ..>;:. (~ . " '. e '., , ~ • .....,; .'- }: < ." .," ~ ~ ;~ ~ •• •• ,:' .' .' • ,t"J, .