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Von Asiaticus bis Zaisser: KPD-Mitglieder in China Nach der Gründung der Kommunistischen Internationale (Komintern) und der Kommunistischen Parteien Deutschlands und Chinas (1918-1921) kamen chinesische Kommunisten wie Zhu De, Zhou Enlai und Deng Xiaoping für kürzere oder längere Zeit nach Deutschland. Sie hatten zwar Kontakt mit deutschen Kommunisten, jedoch keinen Einfluß auf die Politik der KPD. Ganz anders verhielt es sich mit KPD-Mitgliedern, die nach China gingen. Sie waren zu verschiedenen Zeiten maßgeblich an militärischen und politischen Entscheidungen der KP Chinas beteiligt. Viele verstrickten sich allerdings in heftige parteiinterne Flügel- und Fraktionskämpfe, verwendeten aus Sicherheitsgründen Decknamen oder hielten sich nur kurz in China auf. Daher war ihre Identifizierung und die Erforschung ihrer Aktivitäten bisher sehr schwierig. Einige der im folgenden vorgestellten Personen starben in Gefängnissen und Lagern oder schwiegen lange aus politischen bzw. persönlichen Gründen. Nur wenige hatten wie Otto Braun und Ruth Werner die Möglichkeit, ihre Erinnerungen zu veröffentlichen. Leider sind jedoch diese in den siebziger Jahren in der DDR erschienenen Bücher einseitig und unvollständig. Erst in den letzten Jahren sind eine Reihe amerikanischer, chinesischer und deutscher Publikationen erschienen, die über einige der KPD-Mitglieder genauer Auskunft geben. Die Aktivitäten der KPD-Mitglieder in China lassen sich in zwei Phasen einteilen. In den zwanziger und frühen dreißiger Jahren schickten Armee und Geheimdienst der Sowjetunion und die Komintern zahlreiche KPD-Mitglieder mit konkreten Aufträgen nach China. Für derartige Aufgaben wurden häufig Mittel- und Westeuropäer ausgewählt, da sie unauffälliger waren als Inhaber von sowjetischen Pässen. Ab Mitte der dreißiger Jahre kamen viele europäische, insbesondere jüdische Flüchtlinge nach Shanghai. Unter ihnen befanden sich auch einige Kommunisten. Die meisten kehrten nach Ende des Zweiten Weltkriegs nach Europa zurück. Asiaticus Zu den frühesten und interessantesten Chinabesuchern gehört Mojzesz (Moses) GRZYB, der am 13. Juni 1897 in Tarnow bei Krakau geboren wurde. Er benutzte neben "Asiaticus" auch die Namen Hans bzw. Erich Shippe und Heinz Möller. Auf chinesisch nannte er sich Xibo. (Vgl. dnC 1/1989). Kurz nach dem ersten Weltkrieg kam er nach Deutschland und trat bald darauf in die KPD ein. Nach einem Aufenthalt in Moskau ging er 1925 nach China. Während der ersten Einheitsfront von KMT und KP arbeitete er für den Propagandaapparat der Kuomintang. Als die Einheitsfront 1927 scheiterte, kehrte er nach Deutschland zurück. Im Vorwort zu dem 1928 veröffentlichten Buch "Von Kanton bis Shanghai" schrieb Asiaticus über seine Rolle in China: "In dem Zeitabschnitt von Dezember 1926 bis Mai 1927 stand der Verfasser im Dienste des Zentralkomitees der Kuomintang bzw. ihrer Politischen Abteilung im Hauptquartier der National-revolutionären Armee. In ihrem Auftrage arbeitete er gemeinsam mit dem Genossen Friedrich Lienhard [= Karl Schulz, 1884-1933], dem Delegierten der Internationalen Arbeiterhilfe für China, als Redakteur der "Chinesischen Korrespondenz" [...] Mit der Abwendung auch der kleinbürgerlichen Führung der Kuomintang von den wirklichen Interessen der nationalen Revolution und ihrer Träger, des Proletariats, der Bauernschaft und der kleinbürgerlichen Armut, mußte auch diese Funktion ein Ende nehmen. Sie fand ihren Ausdruck in der Suspendierung des weiteren Erscheinens der "Chinesischen Korrespondenz"." In den folgenden Jahren veröffentlichte er in der " Weltbühne" und anderen Zeitschriften zahlreiche Aufsätze über China. Zu dieser Zeit wurde er als "Rechtsabweichler" aus der Partei ausgeschlossen. Im Herbst 1927 ging der bekannte deutsche Kommunist Heinz Neumann mit einem wichtigen Auftrag nach China. Der am 6. Juli 1902 in Berlin geborene Heinz NEUMANN war 1920 als Student Mitglied der KPD und 1925 Vertreter der KPD bei der Komintern geworden. Ruth von Mayenburg, die wie Neumann längere Zeit im Moskauer Komintern-Hotel Lux gelebt hatte schreibt: "Aus dem Lux griff sich Stalin persönlich einen weniger kompetenten Komintern->Chinesen< heraus, um ihn nach Kanton zu schicken: Heinz Neumann. Der unversöhnliche Gegner jeglichen >Versöhnlertums< in der KPD und Anhänger von Stalins Protegé Ernst Thälmann schien fähig zu sein, den chinesischen Genossen ordentlich auf die Beine zu helfen. [...] Als später bessere Einsicht den Kantoner Aufstand für ein abenteuerliches Unternehmen erklärte, das von vornherein zum Scheitern verurteilt war und nur mit einem Blutbad enden konnte, wurde Heinz Neumann mit dem wenig ruhmvollen Beinamen >der Schlächter von Kanton< bedacht." Lominadse beging 1934 Selbstmord. Neumann schadete der Mißerfolg zunächst nicht. Er stieg 1929 ins ZK und Politbüro der KPD auf, und zog 1930 als Abgeordneter in den Reichstag ein. 1932 wurde der treue Anhänger Stalins jedoch aus der KPD-Führung entfernt, 1937 in Moskau verhaftet, zum Tode verurteilt und erschossen. Seine Witwe Margarete Buber-Neumann (1901-1989), die selbst nicht in China war, hat sein Leben in mehreren Büchern beschrieben. In den späten zwanziger Jahren hielten sich einige spätere SED-Politiker in China auf. Der am 20. Juni 1893 in Gelsenkirchen-Rotthausen geborene Volksschullehrer Wilhelm ZAISSER war 1919 Mitglied der KPD geworden und hatte später - wie Heinz Neumann - in der Sowjetunion an militärischen Schulungen teilgenommen. 1929 und 1930 arbeitete Zaisser zusammen mit seiner Frau Else (1898-1987) - ebenfalls Lehrerin und KPD-Mitglied - für den militärischen Nachrichtendienst der Roten Armee in Nordostchina. Später nahm er als General Gomez am Spanischen Bürgerkrieg teil. Gerhart EISLER, der am 20. Februar 1897 in Leipzig geborene Bruder des Komponisten Hanns Eisler und der KPD-Führerin Ruth Fischer war 1918 Mitglied der KP Österreichs geworden und kam 1921 zur KPD. Er stieg 1928 ins Politbüro auf und plädierte für die Absetzung Thälmanns. Eisler wurde noch im gleichen Jahr gestürzt und ging dann nach Moskau. In dem in mehreren Auflagen erschienenen Band "Dr. Sorge funkt aus Tokyo", für das er das Vorwort schrieb, erwähnt Eisler seinen Aufenthalt in China von 1929 und 1931 ohne jedoch weitere Informationen zu liefern. Eislers erste Frau Hede Massing bemerkte dazu: "Gerharts Abordnung nach China war als Strafe gedacht. [...] Er soll dort, nach den verschiedensten Berichten zu urteilen, einen ungeheuren Erfolg damit gehabt haben, daß er die angeordnete Parteilinie erbarmungslos durchführte. Danach stand er wieder bei Stalin in Gunst." Nach der Verhaftung eines anderen Kominternvertreters floh Eisler aus Shanghai und lebte in den folgenden Jahren in Frankreich, Mexiko und in den Vereinigten Staaten. Die Sorge-Gruppe Eisler erlebte im letzten Jahr seines Aufenthalts in Shanghai die ersten Aktivitäten von Richard SORGE und dessen Bemühungen um den Aufbau eines Spionagerings. Der am 4. Oktober 1895 bei Baku im Kaukasus geborene Sorge ging in Berlin zur Schule und promovierte an der Universität Hamburg. Er wurde 1919 KPD-Mitglied und arbeitete in den frühen zwanziger Jahren zeitweilig am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Ab 1925 war er bei der Komintern in Moskau tätig und nahm 1928 am Sechsten Weltkongreß teil. Er hielt sich zunächst von Anfang 1930 bis Herbst 1932 in China auf, bereiste das Land aber auch in den folgenden Jahren. Im Gegensatz zu früheren KPD-Mitgliedern war er weniger an Aktionen der chinesischen Kommunisten beteiligt, sondern mehr an der Beobachtung der Ausländer, vor allem der Deutschen und Japaner interessiert. Er benutzte seinen eigenen Namen, trat in der Öffentlichkeit als Journalist auf und pflegte enge Beziehungen zu Diplomaten und Geschäftsleuten. Ab 1936 arbeitete Sorge hauptsächlich in Japan. Dort wurde er 1941 verhaftet und am 7. November 1944 hingerichtet. Zu Sorges Mitarbeitern gehörte Ursula Kuczynski, die am 15. Mai 1907 in Berlin geborene jüngere Schwester des Wirtschaftswissenschaftlers Jürgen Kuczynski. Sie war 1926 in die KPD eingetreten, hatte 1929 einen Architekten geheiratet und ging mit diesem im Sommer 1930 nach Shanghai. Über ihre Aktivitäten während des dreijährigen Aufenthalt berichtete die in der DDR als Ruth WERNER bekannt gewordene Autorin in ihrem Buch "Sonjas Rapport": "Ich besinne mich, daß Richard mir vorschlug, ich solle einer Demonstration in der Hauptstraße beiwohnen, ohne direkt daran teilzunehmen. Mit Einkäufen beladen, um als Europäer ein Alibi für meine Anwesenheit zu haben, stand ich vor dem großen Warenhaus Wing-On und sah zu, wie Chinesen geschlagen und verhaftet wurden. Die Festnahme bedeutete in vielen Fällen das Ende. Ich sah in die Gesichter junger Menschen, deren Todesurteil soeben gesprochen worden war, und wußte, daß ich schon um ihretwillen jede Arbeit, die man von mir verlangte, leisten würde. Später erfuhr ich, daß Gerhart Eisler, wir kannten uns flüchtig aus Deutschland, mich dort gesehen hatte. Er machte die Genossen darauf aufmerksam, daß ich in Zukunft bei solchen Gelegenheiten damenhafter aussehen, zum Beispiel einen Hut tragen müsse. Bis dahin wußte ich nicht, daß er in China war, und ich habe ihn auch danach nicht dort getroffen. Nachdem ich Richard kennengelernt hatte, hörte ich, man habe sich nun auch von der Komintern gemeldet und wünsche meine Mitarbeit. Richard legte Wert darauf, mich in seiner Gruppe zu behalten; er fand einen Wechsel vom konspirativen Gesichtspunkt aus ungünstig, überließ mir aber die Entscheidung. Ich blieb bei Richard und seiner Gruppe, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, welches ihre besonderen Aufgaben waren. Erst viel später erfuhr ich, daß es sich um Mitarbeit bei der sowjetischen Aufklärung des Generalstabes der Roten Armee handelte." Ursula Kuczynski verließ Shanghai 1933, nahm an einer Schulung in Moskau teil und wurde 1934 und 1935 in Shenyang in Nordostchina eingesetzt. Ein weiteres Mitglied der Sorge-Gruppe war der Funker Max CHRISTIANSEN- CLAUSEN (1899-1979), der in Shanghai und Japan für Sorge arbeitete und ebenfalls festgenommen wurde. Er wurde 1945 aus japanischer Haft entlassen und lebte später wie Ruth Werner in Ostberlin. Berater Auch in den dreißiger Jahren gab es mehrere KPD-Mitglieder, die eng mit den chinesischen Kommunisten zusammenarbeiteten bzw. für den Kontakt mit der Moskauer Kominternzentrale sorgten. Die wichtigsten von ihnen waren Arthur EWERT, Otto BRAUN und Manfred STERN, die sich 1932 und 1933 in Shanghai aufhielten. In den "Chinesischen Aufzeichnungen" schilderte Braun die Situation zur Zeit seiner Ankunft in Shanghai: "Binnen wenigen Tagen nach meiner Ankunft nahm ich Verbindungen mit Genossen Arthur Ewert auf, der zu dieser Zeit Kominternvertreter beim Zentralkomitee der KP Chinas war. Ich kannte ihn gut aus der Parteiarbeit in Deutschland. Einige Jahre später ist er in Brasilien zusammen mit seiner Frau Szabo verhaftet und scheußlich gefoltert worden. Der Kominternvertretung gehörten außerdem ein russischer Genosse an, der als Mitarbeiter der OMS (Abteilung für internationale Verbindungen) verantwortlich war und sich als Emigrant tarnte, sowie zwei amerikanische Genossen, die die KIM (Kommunistische Jugendinternationale) und die Profintern (Rote Gewerkschaftsinternationale) vertraten." Der 1890 geborene Ewert war in den zwanziger Jahren bis ins Politbüro der KPD aufgestiegen, später jedoch kritisiert worden. Fernando Morais schreibt: "1928 zieht Ewert als Vertreter der KPD in den Deutschen Reichstag ein. Sein Stern verliert jedoch schnell wieder an Glanz. Eine tiefe Meinungsverschiedenheit innerhalb der Komintern über die von den Kommunisten einzuschlagende Taaktik macht schließlich auch vor seiner Person nicht halt. Im Sommer 1928 wird Ewert auf dem VI. Kongreß der Kommunistischen Internationale in Moskauer als >Versöhnler< angeklagt. Man wirft ihm vor, sich zusammen mit seinem Freund und Genossen Gerhart Eisler der von Ernst Thälmann in der KPD vertretenen Linie widersetzt zu haben, die die sozialdemokratische Partei zum Hauptfeind der Kommunisten erklärt." Nach etwa zwei Jahren als Vertreter der Komintern in China ging er nach Südamerika, wo er verhaftet wurde. Er starb 1959 in einem Sanatorium der DDR. Ruth von Mayenburg kommt in "Hotel Lux" zu folgender Einschätzung: "Den politischen Emissären folgten auf dem Fuße die sogenannten 'Militär- Spezialisten'. Unkundig der chinesischen Sprache und Mentalität, stets eines Dolmetschers bedürftig im Umgang mit den chinesischen Genossen, taten sie sich schwer mit dem Kommandieren; so etwa der auf der Moskauer Frunse- Akademie militärisch ausgebildete deutsche Journalist Otto Braun und sein aus dem Lux exportierter Genosse Arthur Ewert, der parteiintern wie Gerhart Eisler zu den 'Versöhnlern' gehörte - was die Frage berechtigt erscheinen läßt, ob nicht solche Partei-Störenfriede gewissermaßen 'zur Bewährung' den chinesischen Genossen zur Verfügung gestellt wurden." Manfred Stern kam kurz nach Ewert als Militärberater nach Shanghai, verließ aber schon 1934 die Stadt. In "Sonjas Rapport" wird die folgende Begegnung erwähnt: "Zu meinen schönsten Erinnerungen gehören die wenigen Male, die ich "unkonspirativ" mit Genossen zusammen war. Einmal trafen wir uns im Jahre 1932 in einem Hotelzimmer. Anwesend waren Otto Braun, [...] Richard und als Gastgeber ein mir fremder Genosse mit dunklem Haar und dunklen Augen. Ich nannte ihn wie die andern Fred. Warum wir uns trafen, weiß ich nicht mehr. Es war ein fröhlicher Abend. Freds herzhaftes Gelächter klang robust und lebenslustig, er hatte eine schöne Stimme, kannte viele Lieder, und es war ein Genuß, ihm zuzuhören. Er war Mittelpunkt dieses Abends. Viele Jahre später erkannte ich ihn auf einem Foto als "den Helden von Madrid" wieder. Es war Manfred Stern; unter dem Namen General Kleber war er als Befehlshaber, Verteidiger und Held der Front von Madrid berühmt geworden." Otto Braun, der auch die Namen Karl Wagner und Li De benutzte, blieb von 1932 bis 1939 in China. Der am 28.September 1900 in Ismaning bei München geborene Braun war 1919 in die KPD eingetreten und 1926 verhaftet worden. Margarete Buber-Neumann erwähnt folgendes Episode: "Im Jahre 1928 verkündeten eines Tages die Schlagzeilen der Boulevardblätter, daß es einer Gruppe tollkühner Kommunisten gelungen sei, ihren Genossen Otto Braun aus dem Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit zu befreien. Die Hauptrolle bei diesem Husarenstreich spielte Olga Benario, die Braut des Befreiten. Es ging also um Politik und Liebe, und das ließ die Herzen der Berliner höher schlagen." Beide flohen in die Sowjetunion, doch das Glück war nur von kurzer Dauer: Olga Benario ging nach Südamerika, Otto Braun in den Fernen Osten. 1932 hielt er sich zunächst in Nordostchina, dann in Shanghai und im Sowjetgebiet von Jiangxi auf. 1934 nahm er am Langen Marsch teil und verbrachte die nächsten Jahre in Yan'an. Er war der einzige KPD-Berater, der nicht nur in Shanghai und Kanton, sondern auch längere Zeit bei der Roten Armee im Landesinnern tätig war. Er lebte nacheinander mit zwei Chinesinnen zusammen und hatte mindestens einen Sohn. Als Braun 1939 in die Sowjetunion zurückkehrte, blieben diese jedoch in China. Noch während Brauns Anwesenheit in Nordwestchina traf Edgar Snow dort ein und führte mehrere ausführliche Gespräche mit Mao Zedong. Das daraus entstandene Buch "Roter Stern über China" wurde bald darauf in verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Unter den vielen Rezensenten gab es einen scharfen Kritiker: Asiaticus. Er war Anfang der dreißiger Jahre mit seiner Frau Gertrud (Trudy) Rosenberg wieder nach China gekommen. In der amerikanischen "Pacific Affairs" und anderen Zeitschriften veröffentlichte er Artikel über den Krieg in China. Obwohl er nicht mehr Parteimitglied war, vertrat er dennoch die Linie der Komintern und unterstützte Maos parteiinternen Gegner Wang Ming. Als er nach der Kritik an Snows Buch Yan'an besuchte, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit Mao Zedong, der Edgar Snow verteidigte. Deprimiert reiste Asiaticus wieder ab. Er kam am 30. November 1941 zusammen mit kommunistischen Soldaten in der Provinz Shandong bei einem japanischen Luftangriff ums Leben. Flüchtlinge in Shanghai Ende der dreißiger Jahre war Shanghai für zehntausende europäische, insbesondere jüdische Flüchtlinge der einzig mögliche Zufluchtsort.(Vgl. dnC 3/1994) Unter ihnen gab es einige Kommunisten wie Walter CZOLLEK (1907- 1972) aus Berlin, Alfred DREIFUSS (1902-1993) aus Württemberg und Johannes KÖNIG (1903-1966) aus Thüringen, die vorher jeweils mehrere Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern inhaftiert waren. Dreifuß schreibt in seinem Bericht über die Emigration: "Der Verfasser dieser Arbeit war, nachdem er dank der Hilfe seiner Mutter aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen wurde, von Juni 1939 bis Juni 1947 politischer Emigrant in Schanghai. Er arbeitete - die Jahre des Pazifischen Krieges, in denen Kulturarbeit nicht möglich und er arbeitslos war - als Regisseur, Journalist und als Dozent für Musikgeschichte an einer Schanghaier Universität." Der 1925 in die SPD eingetretene Anhalter Architekt Richard PAULICK (1903- 1979) war dagegen schon 1933 nach Shanghai gekommen und hatte 1936 als Peter Winslow die Zeitschrift "Voice of China" mitbegründet. Die Emigranten arbeiteten zunächst mit Asiaticus-Grzyb zusammen und bildeten eine Studiengruppe. Im oben erwähnten Bericht zitiert Alfred Dreifuß eine bis dahin unveröffentlichte Schilderung des 1972 verstorbenen Walter Czollek: "Ankunft am 17. VI. 1939 in Schanghai. Abgeholt von Alfred Dreifuß und Max Lewinsohn. Wohnung zunächst in der Ward Road mit Schwester Erika. [...] Durch Dreifuß baldige Verbindung zu Richard Paulick, der so etwas wie einen 'politischen Salon' führte. Dort Bekanntschaft mit dem bereits eingesessenen Schanghaier Heinz Grzyb, alias Erich Möller, alias Asiaticus. Publizistisch für chinesische Partei tätig, in fortschrittlichen amerikanischen Zeitungen Interpret der fernöstlichen Sowjetpolitik. Durch Grzyb erhielt ich die Verbindung zu TASS und zur KPCH= Kommunistische Partei Chinas. Davor jedoch Schaffung einer Parteigruppe unter den Emigranten, die von Hans König, mir und zeitweise von Günther Nobel geführt wurde. Intensive Aufklärungsarbeit und Überwindung durch den Pakt Sowjetunion-Deutschland hervorgerufener Spannungen zunächst innerhalb der Gruppe. Dann aktiveres Auftreten unter den Emigranten, allerdings mit wenig Erfolg, da antikommunistische Tendenzen vorherrschten. Die Emigration setzte sich im wesentlichen aus Kleinbürgern ohne ausgeprägte politische Interessen zusammen. Der Kampf um die bloße Existenz ließ bei ihnen keine Blickerweiterung zu. [...] Verbindung zu TASS nach dem Tode von Heinz Grczyb, der hinter den japanischen Linien während einer Reise für ein Buch über die von der KPCH befreiten Gebiete umkam, abgebrochen, da kein Anlaß mehr bestand und meine Verbindung zur chinesischen Partei nicht gefährdet werden durfte." Wiederholt finden sich im gleichen Buch relativ nüchterne Darstellungen der Arbeit der Kommunisten: "Wir wenigen Kommunisten (20 im engeren und 70 bis 80 Leute im weiteren Kreis) taten was wir konnten. Einen Einfluß auf die Gesamthaltung der Emigranten hatten wir nicht. Sicher, es gab auch unter den "Unpolitischen" Freunde, Menschen, die unsere Bemühungen und auch zeitweiligen Erfolge respektierten und dankbar anerkannten. Doch sie und wir blieben eine Minderheit in diesem Chaos von Meinungen, Haltungen und Indolenz." Wie Dreifuss konnten viele Flüchtlinge China nicht sofort nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlassen. Die meisten kehrten erst 1947 nach Europa zurück oder gingen in andere Länder. In der DDR Die überlebenden KPD-Mitglieder gingen nach dem Krieg größtenteils in den Osten Deutschlands. Im Westen gab es damals nur wenig Informationen über sie und ihre Geschichte. Bemerkenswert ist jedoch, daß die Kommunisten, die sich in der DDR niederließen, in den fünfziger und sechziger Jahren kaum etwas über ihre Zeit in China veröffentlichten. Johannes König war der einzige der früheren Emigranten, der noch einmal für längere Zeit nach China zurückkehrte. Er arbeitete von 1950 bis 1955 als Leiter der DDR-Mission und als Botschafter in der VR China. Später ging er als Botschafter in die Sowjetunion und Tschechoslowakei und stieg zum stellvertretenden Außenminister auf. Er starb am 22. Januar 1966 in Prag. Walter Czollek, der 1947 nach Berlin zurückkehrte, leitete von 1954 bis zu seinem Tod den Verlag Volk und Welt. Alfred Dreifuss arbeitete an mehreren Bühnen als Chefdramaturg und als Schriftsteller. Der Architekt Paulick traf 1950 in der DDR ein und war am Bau der Berliner Stalinallee und am Wiederaufbau anderer Städte beteiligt. Wilhelm Zaisser wurde 1950 zum Minister für Staatssicherheit ernannt, nach dem 17. Juni 1953 jedoch abgesetzt und aus der SED ausgeschlossen. Bis zu seinem Tod - am 3. März 1958 - gehörte er dem Institut für Marxismus- Leninismus in Berlin an. Else Zaisser mußte 1953 als Ministerin für Volksbildung zurücktreten und arbeitete später als freischaffende Übersetzerin. Sie starb am 15. Dezember 1987. Gerhart Eisler veröffentlichte Anfang der fünfziger Jahre eine Selbstkritik wegen "Abweichungen von der KPD-Linie in den zwanziger Jahren" und hatte zunächst keine wichtigen Ämter. 1956 stieg er dann zum stellvertretenden Vorsitzenden und 1962 zum Vorsitzenden des Staatlichen Rundfunkkomitees auf. Er wurde 1967 ZK-Mitglied, starb jedoch am 21. März 1968 während eines Aufenthalts in der Sowjetunion. Eisler hatte noch 1965 für den Militärverlag der DDR das Vorwort zu dem Band "Dr. Sorge funkt aus Tokyo" verfaßt. Dieses Buch war vor allem ein Beitrag zum Sorge-Kult in der DDR und Sowjetunion, erhielt jedoch auch einige ausgewählte Informationen über deutsche Kommunisten in China. Erst nach der Absetzung Ulbrichts und der Eskalation des sino-sowjetischen Konflikts erschienen die Erinnerungen von Otto Braun, Alfred Dreifuß und Ruth Werner. Braun arbeitete in der DDR hauptsächlich als Übersetzer und Herausgeber. 1973 erschienen seine "Chinesischen Aufzeichnungen" im Dietz Verlag, er starb am 15. August 1974. (Vgl. dnC 1/1993.) Ruth Werner, die 1977 "Sonjas Rapport" veröffentlichte, erlebte schließlich noch die langsame Verbesserung der Beziehungen zwischen der DDR und der Volksrepublik China. Im Alter von 81 Jahren konnte sie 1988 noch einmal das Land besuchen und Bekannte aus den dreißiger Jahren wiedersehen. Kurz darauf erschien "Sonjas Rapport" auf Chinesisch. In China war das Interesse an den KPD-Beratern und Emigranten bis in die achtziger Jahre gering. Während zahlreiche Bücher von und über Maos "Freund" Edgar Snow veröffentlicht wurden, galten Braun und Grzyb als dessen Gegner. In den letzten Jahren sind aber auch ihre Werke auf Chinesisch erschienen. Braun wird jedoch weiterhin kritisiert. Bei Grzyb werden die Konflikte mit der KP-Führung ignoriert und sein Kampf "für die Befreiung des chinesischen Volkes" hervorgehoben. Im Oktober 1989 fand in Anwesenheit seiner Witwe Trudi Rosenberg im Süden Shandongs eine Gedenkfeier für den "Internationalisten" statt. Die Initiative zur Veröffentlichung seiner Werke ging allerdings von Historikern in der Provinz Shandong aus, nicht von der Parteizentrale. Thomas Kampen LITERATUR: Asiaticus: "Von Kanton bis Schanghai 1926-1927", Berlin, 1928; Theodor Bergmann: "Deutsche Internationalisten in China", dnC 3/1984; Lutz Bieg: "Xibo - oder wer war Asiaticus?", dnC 1/1989; Otto Braun: "Chinesische Aufzeichnungen (1932-1939)", Berlin, 1973; Margarete Buber- Neumann: "Von Potsdam nach Moskau - Stationen eines Irrwegs", Frankfurt, 1990; Jochen Cerný: "Wer war wer - DDR", Berlin, 1992; Alfred Dreifuß: Schanghai - Eine Emigration am Rande, in: Eike Midell: "Exil in den USA", Leipzig, 1983; Thomas Kampen: "Otto Braun auf dem langen Marsch", dnC 1/1993; Francoise Kreissler: "Getto in Shanghai", dnC 4/1988; Petra Löber: "Jüdische Flüchtlinge in Shanghai", dnC 3/1994; Julius Mader, Gerhard Stuchlik, Horst Pehnert: "Dr.Sorge funkt aus Tokyo", Berlin, 1976; Janice R. MacKinnon: "Agnes Smedley, the life and times of an American radical", Berkeley, 1988; Hede Massing: "Die große Täuschung", Freiburg, 1967; Ruth von Mayenburg: "Hotel Lux", München, 1991; Fernando Morais: Olga, Berlin, 1990; Qiu Chengzhong: "Ein deutscher Achte-Route-Armist", China heute, Januar 1990; Joachim Sagasser: "Auskünfte über Ruth Werner", Berlin, 1982; Ruth Werner: "Sonjas Rapport", Berlin, 1977; "Zhandou zai Zhonghua dadi - Hansi Xibo zai Zhongguo", Jinan, 1990.